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Julius Levin

Das Lächeln des Herrn von Golubice-Golubicki

Roman

 

 

  

 

 

 

 

Reese Verlag

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2013 Reese Verlag, Lothar Reese, Hannover. April 2013.

Alle Rechte dieser Ausgabe vorbehalten.

ISBN: 978-3-944621-01-2

 

 

 

 

 

 

 

 

REESE JAHRHUNDERT BIBLIOTHEK

BAND 4

 

 

 


 

 

RV

 

 

Julius Levin

Das Lächeln des Herrn von Golubice-Golubicki

Roman

 

 

  

 

 I.

 

Ich habe Herrn von Golubice-Golubicki noch ganz gut gekannt. Das heißt, soweit man einen solchen Mann gut kennen kann, wenn man nicht mit ihm lebt. Ich habe ihn mehrere Male gesehen, seltener gesprochen. Aber, da ich ihn gesehen und gesprochen habe, bin ich in der Lage zu beurteilen, was mehr wert war, ihn zu sehen oder ihn zu sprechen.

Entschieden hatte ich mehr davon, ihn zu sehen. Schon deshalb, weil ihn das weniger ermüdete. Als ich die Ehre hatte, ihn kennenzulernen, fiel ihm das Sprechen schon schwer. Und wenn es leicht ist zu erkennen, was jemand, der leicht spricht, verschweigen will, so ist es sehr schwierig zu erkennen bei einem Menschen, dem die Sprache, das rein Mechanische der Sprache, Ungelegenheiten verursacht und der deshalb möglichst nur das sagt, was die geringsten Schwierigkeiten für die Innervation verursacht.

Die Bekanntschaft des Herrn von Golubicki machte ich in der Posenschen Kreisstadt G., in die er sich zurückgezogen hatte, weil sie ruhig war und noch außerdem den Ruf als beste Niederlage von Ungarwein genoß, wenigstens vor dem Auftreten der Reblaus.

Ein Apotheker hatte den einen Erdgeschoßflügel seines Hauses zu einer Weinstube eingerichtet, die einen besondern Ruf hatte. Erstens, weil ihr Inhaber wirklich etwas von Wein verstand, und zweitens, weil er, als Apotheker, das Vertrauen genoß, nur ganz reine Dinge zu verabfolgen. Auf der einen Seite des Hauses widmete er sich der Heilung leidender Menschen, für die er Tränkchen kochte und Pillen drehte; auf der andern Seite wurde er ein Restaurateur, der gesunden Leuten verabreichte, was ihr Herz erfreute. Rechts vom Eingang war er Mann der Wissenschaft. Sobald er den Hausflur überschritten hatte, der gewissermaßen die beiden Berufe des Besitzers voneinander trennte, wurde der Apotheker ein Bonvivant, der seine ›Freunde‹ mit echt polnischer, aber von einer gewissen weltmännischen Zurückhaltung wohltuend gemilderter Zuvorkommenheit in die Räume geleitete, wo sich neben andern, für die Laufkundschaft bestimmten Tischen ein besonderer, den Honoratioren vorbehaltener, großer, runder befand.

An diesem nahm ein Teil der Gerichtsbarkeit, der höheren Lehrerschaft, der Medizin, auch der Kaufmannschaft Platz, um die innerhalb und auch die außerhalb der Stadt vorgekommenen Dinge zu besprechen. Man trank dazu ein Fläschchen Herben - halbe Flaschen kamen erst später -, oder man labte sich an Nürnberger Bier, dessen Ausschank dem Apotheker ebenfalls gestattet worden war.

Am Honoratiorentische wurde ausschließlich Deutsch gesprochen, und dadurch fühlte sich die polnische Kundschaft ein wenig beengt. Das hinderte indes nicht, daß auch Polen dort Platz nahmen. Namentlich fanden sich fast regelmäßig einige katholische Geistliche ein, die mit der leitenden Gesellschaft aus allerlei Gründen in Beziehung zu bleiben wünschten. Es waren teils bäuerisch, teils sehr elegant und stattlich aussehende, aber stets erstaunlich weltkundige Herren, die mit ihren glattrasierten, ironiedurchleuchteten Gesichtern, in ihren langen schwarzen Röcken und hohen Schaftstiefeln viel interessanter waren als die weltlichen, die sich im wesentlichen in der Nachahmung des amtlichen, militärischen Gebarens gefielen.

In der Weinstube hatte Herr von Golubicki schon lange verkehrt, ehe der Honoratiorentisch sich gewissermaßen herauskristallisiert hatte. Als das schwere Werk der Zulassung und Ausscheidung möglichst befriedigend vollendet war, wurde Golubicki ständiges Mitglied. Und dazu eines der beliebtesten. Selbst die polenfeindlichsten Persönlichkeiten, die allerdings am Honoratiorentische ihre Waffen in der Scheide ließen, freuten sich seiner Anwesenheit. Kaum öffnete er die Tür, so wurde er auch schon mit einem besonders freudigen: Ah! begrüßt. Jeder wollte den liebenswürdigen, damals angeblich so gesprächigen Herrn an seiner Seite haben, und es schien, als wenn erst mit ihm die rechte Stimmung in den, wenn auch sonst mit aller provinzialen Gemütlichkeit ausgestatteten Raum einzog Und Golubicki war nicht nur eines der beliebtesten, er war auch zweifellos das pünktlichste, verläßlichste Mitglied durch viele Jahre hindurch. Denn er verreiste niemals. Während Ferien aller Art den Stammtisch zeitweise mehr oder minder lichteten, hatten sie für Golubicki keine Bedeutung. Er kam alle Tage. Und wenn er auch einmal mit einem Gespann über den Markt hinwegraste, so kehrte er doch stets am selben Abend wieder in die Stadt zurück. »Golubicki fährt seinen Pächter besuchen«, sagten dann die Ortskundigen.

Sie wußten, daß er in der Umgegend der Kreisstadt nicht unwesentliche Besitzungen hatte, die er aber nicht mehr selbst bewirtschaftete. Und wen anders als seinen Pächter sollte Golubicki auch besuchen?

Nicht nur die Ortskundigen, sondern alle Welt wußte: Golubicki verkehrte nicht, und man verkehrte auch nicht mit ihm. Aber eben nur, weil aller Welt bekannt war, daß Golubicki nicht verkehren wollte. Hätte er einen Augenblick gewollt, so hätte man es ebenfalls gewollt.

Auf seine angeblichen Familienstreitigkeiten legte man keinen großen Wert. Denn wo fanden sie sich nicht in verzweigteren Familien, besonders denen des polnischen Adels? Verkäufe, Erbteilungen, Politik und Weibergeschichten gaben genug Anlaß zum Zank und zur Entzweiung. Und warum sollte gerade die Familie der Golubicki von der allgemeinen Regel eine Ausnahme machen? Daß Stanislaus von Golubicki sich mit Zygmunt einmal so an die Haare bekommen hatte wie zwei Löwen, war aller Welt bekannt. Aber wie oft waren Vettern aufeinander losgegangen, ohne sich später zu versöhnen! Und überdies war ja Stanislaus, wie man sich tagtäglich überzeugen konnte, ein wenig sonderbar.

So schien es denn, als ob das Leben Stanislaus Golubickis fest vorgezeichnet war bis an sein zweifellos seliges Ende. Denn Stanislaus tat niemandem etwas zuleide. Und wenn er, wie allgemein bekannt, auch kein übermäßig heißer Katholik war, so ging er doch regelmäßig zur Kirche wie zur Beichte und hielt seine Ostern musterhaft. Deshalb hätte man sich auch billigerweise fragen dürfen, was denn eigentlich Stanislaus zu beichten gehabt hätte. Gegen die Religion verging er sich nicht. Gegen die Sittengesetze gewiß nicht. Höchstens hätte Stanislaus im Beichtstuhl ein paar Flaschen Ungarwein zuviel bekennen müssen.

Aber das hatte schon an sich wenig Bedeutung und verlor von ihr noch viel, weil Golubicki aus alter Gewohnheit dem Propst Woycychalski beichtete und Woycychalski eigentlich noch viel mehr trank als Stanislaus.

 

Da trat etwas ein, was selbst das Phantasie begabteste Mitglied des Honoratiorentisches, der königliche Kommissionsrat, sich niemals hätte träumen lassen.

Stanislaus fühlte sich eines Tages genötigt, allein an einem Tische Platz zu nehmen.

Er war vordem erschienen und hatte getrunken wie gewöhnlich. Den nächsten Tag aber und die folgenden Tage war er ausgeblieben. Man hatte sich nach ihm erkundigt, aber die Auskunft war, ohne gerade unfreundlich zu sein, karg und deutlich sachlich. Der Herr von Golubicki wäre unpäßlich am Unterleib, hatte das Dienstmädchen Marinka, des Deutschen wenig kundig, geantwortet, als sich einer der Herren um die Gunst bemühte, vorgelassen zu werden. Und als Golubicki am neunten, zehnten Tage wiederkam, begrüßte er die Herren zwar mit gewohnter gewinnender Freundlichkeit, aber er ging, ohne weiter ein Wort zu sagen, an einen andern Tisch und bestellte sich sein Quantum. Sein Gebaren war von so wenig mißzuverstehender Entschiedenheit, daß niemand wagte, ihm Gesellschaft zu leisten.

Die Bestürzung über dieses Ereignis war ungeheuer.

Man blieb stumm.

Golubicki merkte, daß seine Abtrennung von der Körperschaft sie lahmlegte und wenigstens solange lahmlegen würde, als sie das abgetragene Glied vor sich sähe. Er blieb denn auch nicht weiter, zahlte, nahm seinen Hut und ging, diesmal aber, ohne sich von jedem einzeln zu verabschieden.

Als er die Tür von draußen zugemacht hatte, wurde das Stillschweigen noch eisiger, als es vorher gewesen war. Die Blicke blieben gesenkt. Man vermied es, einander anzusehen. Man hatte Mißtrauen gegeneinander.

Es mußte sich jemand Golubicki gegenüber mindestens unrichtig benommen haben. Wer sollte das gewesen sein? Worin konnte die so verstimmende Handlung bestanden haben?

Der Gymnasialdirektor gab den mürrisch in sich selbst Gekehrten den Mut, wenigstens die Blicke von ihren Gläsern loszukleistern.

Aber mehr brachte er auch nicht fertig als den Ausruf: »Unbegreiflich!« Die Mitglieder hingegen begannen bald einander mehr oder minder versteckte Vorwürfe zu machen, die Streitigkeiten herbeizuführen drohten.

»Vielleicht darf ich mir eine Bemerkung erlauben«, sagte, nachdem ein Stillschweigen eingetreten war, jetzt verbindlich der Kommissionsrat. »Ehe wir uns in unbegründeten und gefährlichen Vermutungen ergehen, wäre es am Ende besser, wir fragten Golubicki ganz einfach, was er gegen uns alle oder einen einzelnen von uns hat. Er ist uns als Ehrenmann eine Erklärung schuldig.«

»Sehr richtig!« sagte der Doktor, der wenig vertragen konnte. »Er muß antworten, zum heiligen Schockschwerenot.«

»Nur Ruhe!« wandte der Gymnasialdirektor ein. »Ich bin der Meinung des Kommissionsrats.«

»Jawohl«, sagte der Oberlehrer. »Wir ordnen jemanden von uns ab, natürlich eine Persönlichkeit, die Golubicki besonders angenehm ist.«

»Vielleicht Woycychalski«, sagte der Direktor.

»Keine Pression«, schrie der Doktor, der es illoyal find, Golubicki durch den Beichtvater bedrängen zu lassen.

»Sie, Herr Direktor, sind die geeignetste Persönlichkeit«, fiel der Oberlehrer schnell ein.

»Bravo«, rief die ganze Gesellschaft, besonders laut der Doktor, der schon nach der Uhr zu sehen begann, obwohl ihm eben erst der Kellner die schon längst bestellten Königsberger Fleck anbrachte. Er hatte zwei schwere Lungenentzündungen, einen Typhusfall und mehrere Wöchnerinnen zu besuchen.

Er achtete denn auch nicht im mindesten mehr darauf, daß die Gesellschaft den Direktor förmlich und eiligst an Golubicki entsandte und ihm von vornherein Vollmacht gab, jede Genugtuung zu versprechen.

Die nächste Versammlung der Korona wurde auf übermorgen anberaumt.

 

Wie verabredet, begab sich der Direktor am folgenden Tage nach Schluß des Vormittagsunterrichts in Zylinder, Gehrock und mit weißer Krawatte zu Herrn von Golubicki.

 

Am für die nächste Sitzung festgesetzten Tage gab der Direktor etwa folgenden Bericht von seinem Besuche. Ich vermutete schon damals hinter Golubicki etwas Eigenartiges, und deshalb habe ich die Schilderung kurz nach dem Anhören skizziert. Meine Ergänzungen sind ganz gering, keinesfalls aber solche, die die Szene selbst oder ihren Sinn entstellen. Sie ist vom Gymnasialdirektor, der neben vielen andern Gaben und Gnaden auch diejenige der Nachahmung und sinnlich anschaulichen Darstellung hatte, offenbar mit besonderer Aufmerksamkeit festgehalten worden und wurde mit nicht geringerer Genugtuung wiedergegeben.

»Ich traf«, so begann der Direktor, »Herrn von Golubicki an der gläsernen Korridortür an, als er gerade einen jungen Herrn, offenbar polnischer Abkunft, mit den Worten: »Auf morgen, nicht wahr« verabschiedete. Sie wissen, meine Herren, daß ich Polnisch zwar lese, aber nicht gut spreche. Jedoch kann ich versichern, daß der angegebene Sinn derjenige der Worte des Herrn von Golubicki war.

Kaum hatte mich Golubicki bemerkt, als er mir auch schon in sehr freudiger Erregung entgegenstürzte. Es fehlte nicht viel, daß er mich um den Hals nahm und auf beide Wangen küßte. Er schien sich plötzlich zu besinnen, daß diese Begrüßung bei den Deutschen selten oder gar nicht Sitte ist, und ließ sich denn auch mit dem Druck beider Hände genügen.

Mein lieber Herr Direktor, mein lieber Herr Direktor, rief er einmal über das andere und zog mich durch die Tür, die er übrigens nicht weiter geöffnet hatte, als nötig war, um seine schmächtige Gestalt und die womöglich noch schmächtigere des jungen Mannes hindurchzulassen. Jetzt hatte er sie so weit aufgerissen, daß August der Starke hätte eintreten können. Und als er mich im Korridor empfing, machte er mir noch eine tiefe, verbindliche Reverenz. Dann nahm er mir meinen Hut ab, hing ihn sorgfältig an einen einfachen hölzernen Rechen und bat mich, in sein Zimmer zu treten, das voll von Zigarettenrauch war. Als ich ein wenig hüstelte, riß er sofort das Fenster auf und schob mir einen Stuhl so hin, daß der Luftzug mich nicht treffen konnte. Dann lief er auf den Korridor hinaus und rief: Marinka, den von 1862 und zwei Gläser.

Mein Protest gegen diesen Befehl wurde mit höchster Lebhaftigkeit abgewiesen Überhaupt war der Empfang so ungekünstelt herzlich und dabei so sehr derjenige eines echt polnischen Kavaliers. Lieber Panie, lieber Herr Direktor, entschuldigen Sie die Unordnung, sagte er einmal über das andere, auf einige herumliegende Papiere weisend.

Lassen Sie es nur, mein lieber Herr von Golubicki, antwortete ich, als er die Bogen zusammenraffen wollte, vielmehr muß ich Sie bitten, meinen Besuch nicht übelzunehmen.

Nichts könnte ihm angenehmer sein, sagte er darauf als mich nach so langer Zeit einmal bei ihm zu sehen. Ich verstand das nicht recht, denn ich bin niemals bei ihm gewesen, und er hat auch niemanden aus unserem Kreise jemals eingeladen, ihn zu besuchen.

Ein auf dem Zylinderbüro nahe am Fenster liegendes offenes dickes Schreibheft ließ mich daran denken, daß er irgendeine Arbeit vorhatte, deren Unterbrechung so kurz wie möglich sein sollte. Aber er wollte nichts von einer Abkürzung meines Besuchs wissen. Nicht doch, sagte er mit gewohnter Lebhaftigkeit, Sie sahen ja selbst, lieber Herr Direktor, daß ich den jungen Mann verabschiedete, der mir ein wenig hilft. Ja, ja, antwortete ich darauf, die Rechnungen ... die Abschlüsse ... wenn man ein so großes Gut hat wie Sie ... Golubice ist immer noch eines der schönsten, wenn auch nicht größten Anwesen der Provinz.

Diese Bemerkung schien ihm zu schmeicheln. Aber mit den Rechnungen irgend etwas zu tun zu haben, stellte er in Abrede. Er habe am Ertrage kein persönliches Interesse, sondern das Gut völlig in die Hand eines Pächters gegeben. Soweit mir bekannt, wußte das niemand unter uns.

Als wir soweit waren, klopfte es an die Tür, die ins Nebenzimmer führte. Kommen Sie! sagte Golubicki auf polnisch. Marinka, die übrigens anfangs der Fünfziger zu sein scheint, erschien und setzte mit ausgesuchter, fast andachtsvoller Bescheidenheit ein mit schneeweißem, rotberändertem Tuche bedecktes Teebrett auf den Tisch. Von dem Tuche hob sich eine staubige Flasche Ungarwein ab, neben der zwei alte Gläser böhmischer Herkunft und ein starker Propfenzieher lagen.

Einen Augenblick, bitte, sagte Golubicki, füllte die Gläser und rief mir ein Prosit zu.

Na zdrowie! antwortete ich, um ihm ein kleines Vergnügen zu machen, und hatte damit auch vollen Erfolg.

Mein lieber Herr Professor, rief Golubicki einmal über das andere. Ich lobte den prachtvollen Wein und bewunderte die seltenen Gläser.

Sie stammen von ... von meinen Vettern, sagte Golubicki, einen Augenblick in Verlegenheit. Wir haben sie von meinem verstorbenen Onkel, dem Golubicki-Zurawiniec, geerbt, der sie von einem unserer Ahnen übernommen hatte. Dem Herrn war die Kaiserin Maria Theresia eine Aufmerksamkeit schuldig. Eigentlich wollte ich die Gläser zurückgeben, denn, wie Sie vielleicht wissen, sind die Beziehungen zwischen unsern Vettern und uns völlig abgebrochen.

Na, wenn das schon so ist und Sie selbst mit Ihren Vettern nichts zu tun haben wollen, lieber Herr von Golubicki, dann haben wir Stammtischmitglieder uns eigentlich gar nicht so sehr zu wundern, daß auch mit uns die Beziehungen abgebrochen sind.

Er hatte ja wohl geahnt, warum ich ihm den Besuch machte, aber errötete jetzt tief, da das eigentliche Thema zur Sprache kommen sollte.

Ach Gott, lieber Gott, stotterte er hin und her, ja, ... wenn es nichts weiter ist als mein Austritt aus dem Stammtisch, so bin ich schon beruhigt ...

Und ich bin es nicht eher, erwiderte ich kurz, bis Sie mir gesagt haben, was uns des Vergnügens Ihrer werten Gesellschaft beraubt ... Sie sind uns immer eines der angenehmsten Mitglieder gewesen ...

O, Sie sind alle sehr feine, liebenswürdige Herren; Sie haben stets viel Nachsicht mit meinen schlechten Gewohnheiten und meinem mindestens so schlechten Deutsch gehabt. Es ist mir immer ein sehr großes, exquisites - er betonte das Wort exquisites - Vergnügen gewesen, mit Ihnen zu verkehren ... Ich wäre glücklich, wenn die Herren von meinen Empfindungen genau unterrichtet wären ...

Ich versprach, mit großem Vergnügen seine Worte zu wiederholen, und Sie werden mir das Zeugnis ausstellen, meine Herren, daß ich mich des mir gewordenen Auftrags entsprechend entledigt habe.«

»Und was war das Ergebnis der Unterhaltung?« unterbrach sichtlich ungeduldig der Kommissionsrat, der aus der Stimmung der Gesellschaft heraus sprach.

»Sofort!« sagte der Direktor. »Ich fahre fort. Ich erklärte, nach dem für die ganze Gesellschaft so schmeichelhaften Zeugnis doppelt neugierig auf die Gründe sein zu müssen, die Golubicki veranlaßt hätten, einen ihm so werten Kreis so plötzlich zu verlassen.

Sie verlangen ein bißchen viel, Panie - Herr Direktor ... offen gestanden ... ich kann es selbst gar nicht einmal so recht sagen. Es liegt wirklich nichts Wesentliches vor.

Aber doch etwas Bestimmtes?

Auch das nicht einmal.

In diesem Augenblick muß ich mich verfärbt haben. Denn Golubicki beeilte sich hinzuzusetzen: Nicht wenn ich, wie soll ich sagen? ... präzis sein sollte. Nein, nein, bekräftigte er nochmals und legte mir, um mich gewissermaßen im vorhinein zu beruhigen, seine beiden Hände in meine Rechte.

Ich erklärte nunmehr, vor einem doppelten Rätsel zu stehen. Würde sehr bedauern, erwiderte er.

Es ist aber doch so, mein lieber Herr von Golubicki, bekräftigte ich. Machen wir uns doch den Sachverhalt klar! Sie verkehren in einer Gesellschaft, deren unantastbare Honorigkeit von Ihnen auch noch heute anerkannt wird. Sie sind dort ein lieber Gast. Man behandelt Sie mit der größten Höflichkeit. Haben Sie jemals sich über irgend etwas oder über jemanden unter uns zu beklagen gehabt? Diese Frage schien ihn bedenklich zu machen. Es malte sich etwas wie Bedauern in seinen Blicken. Er sah aus wie ein gutes Tier, dem man etwas Gutes getan hatte.

Aber ich bemerkte deutlich, daß er seine Regungen niederkämpfte.

Sehr wohl ... sehr wohl, murmelte er vor sich hin und wechselte die Farbe, sehr wohl, sehr wohl!

Und trotzdem, fuhr ich jetzt unerbittlich fort (man mußte das Gesicht des Direktors gesehen haben, um von seiner Unerbittlichkeit eine Vorstellung zu bekommen), verlassen Sie die Gesellschaft ostentativ, es gibt keinen andern Ausdruck, nehmen an einem andern Tische Platz, weisen alle Versuche, Sie in den alten Kreis zu ziehen, ab und verursachen, Sie können es glauben, eine tiefe Mißstimmung; ja, mehr! Sie säen das Mißtrauen, gewiß ohne es zu wollen! Aber auch ohne oder gegen Ihren Willen ist es aufgegangen. Bedenken Sie, Herr von Golubicki, wir, wir die Honoratioren, verdächtigen uns gegenseitig! Ein jeder glaubt vom andern, er habe Sie beleidigt. Das ist zum Lachen, nicht wahr ...? Und auf Golubickis Angesicht zeichnete sich ein halb ironisches, schicksalergebenes Lächeln. Er sagte : Ich bin trostlos ... Ich habe, wenn ich so sagen darf, eine Geste gemacht ... nichts als eine Geste ... Ich hatte kein eigentliches Bewußtsein ...

Dann widerrufen Sie sie so schnell wie möglich, fiel ich ein, bekehren Sie sich, lieber Herr von Golubicki, oder darf ich sagen, lieber Freund?

Da war er ganz gerührt, und ich hoffte schon, ich hätte gewonnenes Spiel. Dann aber stand er plötzlich auf und begann im Zimmer auf und nieder zu gehen. Er warf langsam seine Hände um und um Offenbar wollte er meinem Blick entgehen. Plötzlich drehte sich Golubicki um und sagte:

Ich beehrte mich schon, Ihnen zu bemerken, lieber Herr Direktor ... ach bitte, trinken Sie doch! ... Ich beehrte mich schon, Ihnen zu bemerken, daß ein eigentlicher Grund, das heißt ... ich meine eine aus Tatsachen bewußt gezogene, auf den Willen wirkende Folgerung bei mir nicht vorliegt. Wenn ich aber trotzdem die Geste gemacht habe, so war sie wohl nötig, auch ohne daß ich Möglichkeit habe, sie zu begründen. Leider bin ich mehr als einmal in der Lage gewesen, meine Handlungen nicht völlig begründen zu können ... Weder die großen noch die kleinen ... das heißt im Sinne des gemeinen Sprachgebrauchs, bitte ... Denn ich persönlich, verzeihen Sie, wenn ich darin mich voranstelle ... ich persönlich kenne nicht groß und nicht klein ... Denn was soll das bedeuten? Kleine Ursachen, große Wirkungen, so sagt man ... Ist Unsinn ... Wenn Wirkungen groß sind, wie können Ursachen klein sein? Und sind Wirkungen klein, waren Ursachen niemals groß.

Für mich, fiel ich ein, liegt nichts Beschämendes darin, eine Geste zurückzunehmen, die ich nicht begründen kann.

Ich fürchte mich auch nicht vor der Beschämung ... Aber ich weiß aus Erfahrung ... daß ich die Geste nicht widerrufen darf ... Gerade das Fehlen eines logischen Grundes ist für mich ein Zeichen, daß sie geschehen mußte; daß sie, verzeihen Sie, wenn ich mich nicht gut in einer fremden Sprache ausdrücke ... ich meine, daß sie aus meinem tiefsten Wesen heraus geschah. Um es ganz verständlich zu sagen, daß sie unvermeidlich war ... inévitable puisquinné, wie meine in Gott ruhende Urgroßtante gesagt haben soll, die noch bei Maria Leszczynska Ehrendame war.

Ich entgegnete darauf, ich wüßte wohl, daß eine ganze Anzahl solcher im wesentlichen unbewußt vollzogener Handlungen nicht wieder gutgemacht werden. Leider setzte ich hinzu, was ihn etwas stutzen machte. Ich schloß mit den Worten: Man nimmt sie stets zurück, wenn sie andern peinlich sind.

Bin ich anderer Ansicht ... bin ich anderer Ansicht! - Ich will sehr gerne solche Handlungen bedauern aber nicht zurücknehmen ... Sind unbewußt ... gut! also beinahe weise ...

Er mußte meinen Unmut bemerkt haben und fuhr fort: Sie verstehen, liebster Herr Professor ... ich handle nicht aus Mangel an Courtoisie gegen jene so verehrten Herren oder gegen Sie ... keineswegs ich bin kein unhöflicher Mensch ... Seltsamer Mensch? Ja ... habe ich auch oft gefunden, ohne ändern zu können ...

Mir schien, als ob der Ungarwein aus dem Herrn des Hauses zu sprechen begann. Ich erhob mich deshalb und widerstand auch den wiederholten Versuchen Golubickis, mich auf meinen Stuhl niederzudrücken. Ich sagte ihm nun, ich glaubte zu einem unrichtigen Moment gekommen zu sein. Wenn ich fort wäre, würde er vielleicht eine andere Auffassung gewinnen.

Vielleicht, vielleicht ... ich liebe Sie sehr, werter Herr Direktor ... Aber ich liebe nicht, verzeihen Sie ... ich liebe nicht, wenn man am Unbewußten zweifelt ... Und Ihr Zweifel ist vielleicht für mich ein Hinderungsgrund ... Aber darum dürfen Sie noch nicht gehen Bleiben Sie noch, bitte, verehrter, lieber Herr Direktor ... Ich kann ja morgen den ganzen Tag überlegen ... oder heute nachmittag ...

Es war kein Ergebnis erzielt worden und unter den vorliegenden Verhältnissen auch nicht zu erzielen. Trotzdem wollte ich ihn nicht merken lassen, daß ich die Sache aufgab, und ich sagte: Also, auf Wiedersehen, nicht wahr?

Er antwortete: Hoffentlich! ...

Als ich nun endgültig ihm die Hand zum Abschied reichte, wollte er sie an seine Lippen führen, wie wenn sie einer schönen Dame oder einem Erzbischof angehörte. Ich mußte sie ihm beinahe grob entziehen. Und aus dem Überschwang seiner Gefühle glaubte ich schließen zu dürfen, daß er von mir endgültig Abschied nahm.

Merkwürdig, merkwürdig!«


II.

 

Die Folge dieser Erzählung war, daß ich mich für Herrn von Golubicki noch viel mehr interessierte, als ich vordem für möglich gehalten hätte. Es war mir eine Art Bedürfnis geworden, ihm auch nur zu begegnen. Mit sehenden Augen wäre ich da beinahe an einem Original vorübergegangen.

Und doch hätte mich schon sein Äußres, das ihn so sehr von seiner Umgebung schied, auf ihn hinweisen sollen. Er war eigentlich der einzige wahre Weltmann in seinem Kreise. Der ganze Kreis, selbst die darin befindlichen katholischen Geistlichen, war nur teils sehr fein, teils sehr charakteristisch. Golubicki aber war ein wahrer, ein bescheidener Aristokrat. Er mußte sehr schön gewesen sein; das sah man noch jetzt. Und dabei hatte er den Nachteil, noch nicht Greis zu sein. Nicht eben allzu groß, war er doch über Mittelmaß gewachsen, und das Verhältnis seines Körpers und seiner Gliedmaßen war von der Natur fein durchdacht. Er erschien höher, als er wirklich war, und enttäuschte nicht, wenn er aufstand und sich zu seiner wirklichen Größe erhob. Und dabei zeigte er etwas Geknicktes, das sich bis zum Insichversunkenen steigern konnte, falls die Unterhaltung ihn nicht anregte, und er nur von Zeit zu Zeit höflicherweise Zeichen von Anteilnahme gab. Wenn er zustimmte oder widersprach, was weniger mit dem Munde als mit den Augen und der zwar sehnig gewordenen, aber feinen, aus der breit ausladenden Manschette hervorblickenden Rechten geschah, so durfte man glauben, daß er in seinen guten Tagen die Verkörperung der schönen Bewegung gewesen sein mußte. Seine Ruhe schien nur die Vorbereitung einer harmonisch verlaufenden Innervation zu sein. Und dabei begannen seine Arme sichtlich etwas widerspenstig zu werden, und seine in hochabsätzigen Lackstiefeln steckenden Füße störten den glatten Verlauf des Konturs durch mehr als eine gichtverdächtige Rundung.

Von der kurzen, gewippten Nase her stiegen einige Falten zu dem etwas weibischen Munde herab, der unter einem in symmetrischen Halbbogen und an den Spitzen diskret gehobenen Schnurrbart durch das Gesicht hin kokettierte. Diese Falten ließen auf viel Erfahrung mit dem schönen Geschlecht schließen, das gewiß vor allem Golubickis stahlgraue Augen bewundert hat. Sie waren vom Alter und etwas Geheimerem gedämpft. Erst jetzt, da ich sie nur ausnahmsweise beobachten konnte, bemerkte ich ihre tiefe Rätselhaftigkeit.

In der Kleidung bevorzugte er das Schwarz und die Künstlerkrawatte, die er sich in Paris angewöhnt hatte, wo er, vom Grafen Grzymala eingeführt, im Kreise der Fürstin Czartoryska mit Chopin und Delacroix bekannt geworden war.

Was selbst nach kürzester Bekanntschaft mit Herrn von Golubicki an ihm besonders auffiel, war, daß er stets lächelte. Er lächelte auf sehr verschiedene Arten, einmal gütig, einmal ironisch, manchmal sogar etwas blöde. In den Augenblicken, wo er sich unbeobachtet glaubte, nahm sein Lächeln zuweilen einen beängstigenden Charakter an. Es schien, wie wenn er sich eine furchtbare Vision hinweglächelte. Gerade mir, der ich in dem Kreise der Honoratioren nur seit kurzer Zeit verkehrte, machten sich die Abstufungen in den Gesichtsausdrücken des Herrn Golubicki besonders bemerkbar. Die andern Herren waren an das Spiel seiner Gesichtsmuskeln oder an deren endgültige Einstellung so gewöhnt, daß sie selbst dort nichts Besondres wahrnahmen, wo ich wahre Revolutionen in seiner Seele feststellen konnte. Lächelte Herr von Golubicki bewußt oder unbewußt?

Diese Frage war sehr schön, oder sie schien wenigstens so, weil sie sehr methodisch war, aber ihre Methodik war ihr Unsinn. Was sollte sie zeitigen, einem schwankenden Irrlicht, einem Gespenst gegenüber?

 

Die Weigerung Herrn von Golubickis, an den Honoratiorentisch zurückzukehren, wurde bezeichnenderweise allerseits für endgültig angesehen. Man beschloß in demselben Sinne, in dem bereits der Szekler Landtag bei dem großen Regen beschlossen hatte. »Gut! Mag Herr von Golubicki so lange fortbleiben, wie er will und kann.«

Das sah so von außen sehr überlegen, ja verächtlich aus, es entsprach aber nur einem inneren, auf völlige Ohnmacht zurückzuführenden Bedauern.

Alle fühlten sich tödlich beleidigt und warteten offenbar nur auf eine Gelegenheit, um sich über Golubicki hermachen zu können, wie sehr sie auch vorläufig sich das Wort gegeben zu haben schienen, von ihm völlig zu schweigen.

Ich persönlich hätte sehr gern seinen Fall erörtert und die Beobachtungen mitgeteilt, die andere auch hätten machen können und die wohl imstande gewesen wären, die Angelegenheit unter eine neue Beleuchtung zu stellen. Aber selbst in dem Kreise eigentlich nur geduldet, glaubte ich nicht, mir das Recht auf Korrektur anmaßen zu dürfen. Und dieser Verzicht löste bei mir sehr schnell die Empfindung aus, daß auch meines Bleibens in der Gesellschaft nicht lange sein würde.

Ich leistete mir, vielleicht aus einem mir nicht ganz deutlichen Mitgefühl heraus, eine Art Eid herauszubekommen, worauf die Besonderheit Golubickis beruhte.

Wo ich auch versuchte, etwas über Herrn von Golubicki zu erfahren, klopfte ich vergebens an. Alle Mitglieder des Honoratiorentisches schienen sich das Wort gegeben zu haben, kaum davon zu reden, was sich auf den vorliegenden Fall bezog.

Ich bekam nur zu wissen, daß Herr von Golubicki ein bißchen zu sehr in Weibergeschichten verwickelt gewesen war, als deren Folge sich übrigens seine verfrühte völlige Zerfahrenheit am besten erklären lasse. Einmal hätte sogar eine Sache materieller Natur zwischen ihm und seinem Vetter, dem Golubicki-Zurawiniec gespielt, in der Herr von Golubice-Golubicki nicht gerade glänzend abgeschnitten haben sollte.

Sollte! ...

Also nichts Greifbares.

 

Die Honoratioren gingen, seitdem Golubicki sich von ihnen getrennt hatte, früher auseinander als vordem. Der Kommissionsrat verließ die Gesellschaft besonders mürrisch. Offenbar fürchtete er, der Urlaub, den ihm seine Gattin bisher so reichlich bemessen hatte, würde ihm endgültig verkürzt werden, wenn er einmal vor der Zeit nach Hause kam.

Ich fragte ihn, ob er vielleicht noch einen kleinen Spaziergang machen würde, und er nahm mit offenbarem Vergnügen an.

Offen gestanden lag mir an der Gesellschaft des Kommissionsrats wenig. Aber er schien mir, außer dem mir noch nicht zugänglichen Gymnasialdirektor, der zuverlässigste Berichterstatter zu sein, und auch den Fall im ganzen am menschlichsten zu betrachten.