cover.jpg

img1.jpg

 

Nr. 979

 

Der Nachfolger

 

Der letzte der Mächtigen – am Ende seiner Suche

 

von PETER TERRID

 

img2.jpg

 

Man schreibt den Oktober des Jahres 3587 terranischer Zeitrechnung. Perry Rhodan hat die Expedition mit der BASIS immer noch nicht abgeschlossen. Dem Terraner kommt es, wie erinnerlich, darauf an, sich Zugang zu einer Materiequelle zu verschaffen, um die Kosmokraten dazu zu bewegen, die Manipulation der Quelle rückgängig zu machen, auf dass die galaktischen Völker keinen Schaden nehmen.

Obwohl Perry Rhodan mit dem komplettierten Auge Laires nun alle Voraussetzungen zum Durchdringen der Materiequelle besitzt, bleibt diese nach wie vor unauffindbar. Dafür entdecken aber die Terraner Kemoauc, den letzten der Mächtigen. Außerdem retten sie ES, die Superintelligenz, die in einer Materiesenke festsitzt, und verhelfen dem Helfer der Menschheit, seiner Bestimmung nachzukommen.

Während Perry Rhodan anschließend eine weitere Suchaktion nach der Materiequelle vorbereitet, kommen die Dinge im Drink-System, dem Standort der BASIS, wie von selbst in Fluss. Laire, der einäugige Roboter, und Kemoauc, der letzte der Mächtigen, erfüllen einen Auftrag der Kosmokraten, der letztlich der galaktischen Menschheit zugute kommen soll.

Anschließend widmen sich die Beauftragten der Kosmokraten dem Problem der Loower – und Kemoauc tritt eine Reise ohne Wiederkehr an. Zu dieser Reise verhilft ihm Samkar, DER NACHFOLGER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Kemoauc – Der letzte der Mächtigen begegnet seinem Nachfolger.

Neerad – Ein hilfreicher Vilthaner.

Ladee und Becca – Neerads Angehörige.

Samkar – Ein Mensch wird umgewandelt.

1.

 

Es war still in der Zentrale der Space-Jet. Das Beiboot war leer, von dem Mann abgesehen, der auf dem Sitz des Piloten zu finden war und sich nicht rührte.

Die Maschinen des Beiboots liefen. Sie versorgten den einsamen Mann in der Zentrale mit Atemluft, sie hielten seine Umgebung angenehm temperiert. Die Reaktoren der Space-Jet erzeugten Energie und hielten sie nutzbereit für den Mann auf dem Sitz des Piloten.

Die Space-Jet war eines der vielen technischen Meisterwerke, die die Technologie der Terraner hervorgebracht hatte. Die Space-Jet konnte Tausende von Lichtjahren durchfliegen, sie war für sehr viele Waffensysteme im Kosmos nahezu unangreifbar. Sie selbst war mit hochmodernen Waffensystemen ausgerüstet, die sie vielen anderen Raumschiffen überlegen machte.

Man konnte sich wohl fühlen an Bord einer terranischen Space-Jet.

Der Mann fröstelte dennoch.

Er war allein an Bord der Space-Jet, das war Grund genug, sich unbehaglich zu fühlen. Früher einmal hatte der Mann Gefährten gehabt, aber das lag weit zurück. Sie waren tot, diese Gefährten, verschwunden, verschollen. Er würde keinen von ihnen jemals wiedersehen.

Er allein war übrig geblieben.

Wozu?

Den Plan zu erfüllen, den andere, Größere, ersonnen? Ein Werk zu vollenden, das nach Jahrhunderttausenden zählte, nicht beendbar erschien, unendlich in seiner Größe, unerschöpflich in den Ausmaßen, unauslotbar in der Wirkung? Er allein?

Er traute es sich zu.

Nichts war ihm unmöglich erschienen, als der RUF an ihn und die anderen ergangen war. Nichts war ihm und den anderen damals unmöglich gewesen. Längst waren es andere, die den RUF hörten, nach ihm handelten. Oder vielleicht ...

War er doch nicht zu spät gekommen? Hatte er noch eine Aussicht, sich zu rehabilitieren, das Werk zu vollenden, zu dessen Erledigung man ihn ausgesandt? Konnte er allein all das vollbringen, was dem Verband der sieben misslungen war? Konnte er Wunder vollbringen?

»Nun, warum nicht?«

Der Mann besaß eine volltönende, wohlklingende Stimme. Sie konnte bezaubern und schmeicheln, sie konnte grollen und drohen, sie konnte verheißen und strafen. Als Werkzeug eines überlegenen Geistes war sie so vollkommen wie der Mann selbst.

Der Mann auf dem Sitz des Piloten betrachtete die Bilder der Ortungsinstrumente, auch sie kleine Meisterwerke an Präzision und Zuverlässigkeit, aber auch sie unvollkommen, wenn es galt, das letzte auszuloten, die Grenzen des Erkennbaren zu übersteigen.

Das Abbild der Instrumente auf den Bildschirmen verriet dem Mann, dass er sich verkalkuliert hatte. Sein Plan war nur zum Teil aufgegangen.

Er hatte das Schiff aus der Ferne beobachtet, darauf gewartet, dass es jenen Weg nahm, der ihm vorläufig verschlossen war. In dieser Beziehung war der Mann enttäuscht worden. Die TARTUS hatte nicht die gesuchte Materiequelle aufgesucht, sie war vielmehr auf einem Planeten gelandet, der knapp sechsundvierzig Lichtjahre vom Drink-System entfernt war.

Der Mann im Sitz des Piloten wartete.

Er brauchte keine Angst zu haben. Er wusste, dass man ihn nicht suchen würde. Die Gedankengänge der Terraner und ihrer Freunde auszuknobeln war keine sehr einfache Aufgabe gewesen, aber dafür ein Problem, dessen Lösung dem Mann fast Vergnügen bereitet hatte. Er hatte es schließlich zu der logisch gesicherten Erkenntnis gebracht, dass man ihm nicht folgen würde.

Genauso war es dann auch geschehen. Niemand machte Anstalten, der Space-Jet mit Namen GRENIT zu folgen.

Der Mann im Sitz des Piloten hatte Zeit und Geduld.

Er wartete lange, ohne sich zu rühren, Stunde um Stunde. Schließlich kam er zu der Erkenntnis, dass weiteres Warten sinnlos sein würde. Die TARTUS machte keinerlei Anstalten, wieder von dem lächerlich unbedeutenden Planeten zu starten und nach der Materiequelle zu suchen.

Der Mann auf dem Sitz des Piloten nahm das ungerührt zur Kenntnis. Er schaltete die Triebwerke der GRENIT ein und beschleunigte die Space-Jet. Sie entfernte sich von dem Planeten, auf dem die TARTUS gelandet war. Das kleine Schiff machte sich auf die Suche nach der Materiequelle.

Es verdross den Piloten ein wenig, dass er immer noch nicht genau wusste, was eine Materiequelle überhaupt war. Zwar gab es kein lebendes Wesen, das jemals einer Materiequelle so nahe gekommen war wie der Pilot der GRENIT, aber auch er hatte das Geheimnis nicht lüften können, sosehr er sich auch bemüht hatte.

Nun, vielleicht gelang es ihm jetzt.

Es war viel geschehen in der langen Zeit, in der der Einsame in einer Materiesenke festgesessen hatte, sich selbst und seinen Gedanken ausgeliefert. Viel Zeit war unterdessen vergangen, manches, was ihn früher beschäftigt hatte, hatte sich erledigt; andere, neue und teilweise schwierigere Probleme waren entstanden, und er wusste nicht, ob er sie würde lösen können – lösen dürfen.

Während er die GRENIT auf Geschwindigkeit brachte, glaubte der Einsame einen Ruf zu hören. Nicht jenen RUF, der sein Leben einstens bestimmt hatte, ein feines, entferntes Wehklagen, einen schwachen Schrei der Einsamkeit.

Der Mann in der GRENIT wusste sofort, was sich in seine Gedanken eingeschlichen hatte. Natürlich hatte er keinen wirklichen Ruf gehört, natürlich war es nicht Ganercs Stimme gewesen, die klagend nach ihm gefragt hatte. Natürlich ... es war nur eine dumme, gefühlsgeschwängerte Erinnerung an frühere Zeiten, da der Mann in der GRENIT noch nicht einsam gewesen war.

Er wandte sich wieder der Bedienung der Space-Jet zu und überdachte, welche Strategie er anwenden sollte. Schon einmal hatte er beim Versuch, die Materiequelle zu finden, einen Fehler gemacht, jenen Fehler, der ihn in die Materiesenke verbannt hatte. Er war entschlossen, diesen Fehler nicht noch einmal zu begehen, denn eines war ihm klar: Er würde kein zweites Mal die günstige Konstellation von Umständen vorfinden, die es ihm ermöglicht hatte, sich aus der Senke zu befreien.

Beim ersten Versuch hatte der Mann nach wissenschaftlichen Kriterien geplant, mit Hilfe von Messinstrumenten, von Rechenprogrammen, von haarscharfer Logik.

Vielleicht, so überlegte der Einsame, war es ratsam, die Strategie grundlegend zu ändern – nicht mehr der kalten Schärfe des Verstandes zu folgen, sondern den glutvollen, lockenden Pfaden der Intuition. Der Rückgriff auf die naturwissenschaftliche Logik, auf mehrdimensionale Mathematik verbot sich gleichsam von selbst, denn eines hatte der Mann aus seinen bitteren Erfahrungen lernen müssen: Mit naturwissenschaftlicher Logik allein ließ sich das Phänomen der Materiequellen nicht ergründen. Eine Materiequelle schien ein Gebilde zu sein, das sich in wesentlichen Teilbereichen dem geistigen Zugriff entzog.

Der Pilot entschloss sich daher, sich seiner Intuition anzuvertrauen und aufs Geratewohl nach dem Zugang zur Materiequelle zu suchen. Es war dies ein kühnes Unterfangen, aber es gab für den Piloten keine Alternative. Er musste die Materiequelle finden.

Nur dort ließ sich die Lösung eines Rätsels finden, an dem der Einsame seit langer Zeit arbeitete. Nur dort konnte er in Erfahrung bringen, wer er eigentlich war, was er eigentlich war.

Seine Erinnerung trug ihn jedes Mal bis zu jenem Augenblick zurück, da der RUF an ihn ergangen war, da er erwacht war und gelebt hatte, in der gleichen geistigen und körperlichen Vollkommenheit, die ihn auch jetzt auszeichnete.

Ein Früher gab es nicht für den Einsamen in der Space-Jet.

Der Mann kannte sich in der Natur aus, so gut wie in moderner Technologie. Folgerichtig musste er sich sagen, dass er entweder Eltern hatte oder aber künstlich hergestellt worden war. In jedem Fall waren seine Erinnerungen höchstwahrscheinlich manipuliert.

Der Mann wusste auch, wer letztlich für die Manipulation verantwortlich gemacht werden musste – die gleiche Macht, die den RUF hatte ergehen lassen, die ihn in ihre Dienste gestellt hatte. Im Auftrag seiner Manipulateure hatte der Mann manipuliert, und er hatte dabei kein schlechtes Gewissen gehabt.

Dennoch empfand der Mann ein tiefes Bedürfnis danach, sich über seine Herkunft klar zu werden. Nur wenn er wusste, woher er kam, konnte er einen sinnvollen Plan fassen, wohin er gehen sollte – sofern ihn seine Auftraggeber gehen ließen. Noch fühlte er sich ihnen verbunden und verpflichtet.

Die Space-Jet jagte mit hoher Geschwindigkeit durch das All, nach Steuerimpulsen, die vom Zufall diktiert worden waren. Eine wilde Zickzackbewegung durch den Raum vollführte die Space-Jet, mal hierhin, mal dorthin, immer auf der Suche nach dem größten Rätsel der bekannten Natur, der Materiequelle, die sich in der Nähe befinden musste.

Das hieß nicht, dass diese Materiequelle leicht zu finden gewesen wäre. Nicht nur, dass es über den Begriff allein schon die merkwürdigsten Theorien gab – der Mann hatte einige davon an Bord der so genannten BASIS hören können –, selbst wenn der Sucher gewusst hätte, wonach er suchte, hätte er dennoch erhebliche Schwierigkeiten gehabt, die Materiequelle zu finden.

»Und selbst wenn ...«, murmelte der Mann.

Mit dem Auffinden einer Materiequelle waren die Probleme des Suchers noch lange nicht beendet. Für ihn stellte sich die Aufgabe, diese Materiequelle zu passieren, auf die andere Seite zu gelangen.

Dort – jenseits der Materiequelle – saßen die Herren des einsamen Mannes, die Kosmokraten. Nur von ihnen konnte der Mann Gewissheit über die Frage gewinnen, die ihn am meisten quälte – die Frage seiner Herkunft.

Immer weiter flog die Space-Jet. Der Pilot vollführte einen Schwenk nach dem anderen, dabei behielt er natürlich die Daten der bereits geflogenen Kurse. Später, wenn er die Materiequelle gefunden hatte, musste es dann möglich sein, den Kurs nachzukontrollieren und die genauen Koordinaten der Materiequelle zu bestimmen.

Stunden vergingen, in denen die Space-Jet ihre absonderlichen Flugmanöver beschrieb. Die GRENIT führte sorgfältig jeden Befehl aus, den der Pilot einprogrammierte.

Dann endlich schlugen die Taster an. Die Massedetektoren hatten einen Körper erfasst.

Sofort verlangsamte der Pilot die Space-Jet. Wenn es hier im freien Raum einen dinglichen Gegenstand gab, dann musste dieser Gegenstand sorgsam untersucht werden. In der Nähe einer Materiequelle war jedes Ding von Bedeutung.

Langsam flog die Space-Jet näher, mit Unterlichtgeschwindigkeit. Die Messungen bewiesen, dass das Gebilde voraus eine recht beachtliche Masse aufwies – allerdings zuwenig für einen Planeten oder Mond. Zudem strahlte der Gegenstand; er emittierte deutlich anmessbare Hyperstrahlungen – ein Zeichen dafür, dass dort drüben Prozesse abliefen, die in der freien Natur nur sehr selten vorkamen.

Immer deutlicher erkennbar wurde das Gebilde auf den Schirmen, als die Space-Jet dem ruhig im Raum hängenden Körper näher kam. Seine Konturen waren zu regelmäßig, zu geformt, um nur ein Spiel der Natur zu sein.

Der Mann ahnte, dass er sich einem wichtigen Punkt in der Nähe der Materiequelle näherte.

Immer deutlicher wurde der Körper, und nach einigen weiteren Minuten erkannte der Mann auf dem Sitz des Piloten, dass er zumindest teilweise sein Ziel erreicht hatte.

Was dort draußen im Raum hing, war ein Gebilde, dessen Ähnlichkeit mit einer kosmischen Burg so groß war, dass man mit Fug und Recht folgern durfte, dass sowohl die kosmischen Burgen als auch das Gebilde im Raum dem gleichen schöpfenden Geist entsprungen waren.

In einem Punkt vor allem wich das Gebilde im Raum, dem sich die Space-Jet näherte, von allen kosmischen Burgen ab. Es war entschieden größer, gigantisch in seinen Abmessungen. Man hätte vermutlich sämtliche Burgen in diese eine bisher unbekannte Burg hineinpacken können.

Der Mann am Steuer der Space-Jet spürte, dass ihn ein Gefühl der Erregung ergriff. Er war – hoffentlich – am Ziel, bekam vielleicht die Antwort auf die Fragen, die ihm auf der Seele brannten.

Wer bin ich?

Kemoauc hatte er bislang geheißen.

Was bin ich?

Er war einer von sieben Mächtigen gewesen.

Sehr viel mehr wusste Kemoauc nicht. Vielleicht bekam er dort drüben die lang gesuchten Antworten. Vielleicht erfuhr er tatsächlich, wer und was er war.

Und plötzlich, scharf und schmerzhaft, überfiel ihn Angst vor der Antwort.

2.

 

Neerad dehnte und reckte sich und strich mit dem Borstenkamm der rechten Hand die nachts ausgefallenen Schuppen vom linken Arm. Das Klima im Weltraum bekam Neerad überhaupt nicht, er verlor immer mehr Schuppen, und das ärgerte ihn sehr. An einigen Stellen seines wohlgebildeten Körpers war gar das nackte blaugrüne Fleisch zu sehen, und Neerad schämte sich oft deswegen, ohne aber etwas unternehmen zu können.

Er gehörte einfach nicht in dieses Milieu, sagte er sich immer wieder. Er war Feuchtigkeit gewohnt, Wärme und den betäubenden Geruch modernden Juller-Laubes. Wonach aber roch es hier – nach Plastik und Metall! Kein Wunder, dass er sich so entsetzlich schuppte.

Neerad strich die Schuppen auf dem Boden zusammen, kehrte sie mit der Hand auf ein Stück Plastik und schüttelte sie dann in den Abfallvernichter. Es kam ihm vor, als beerdige er ein Stück seiner selbst, und in gewisser Weise war dem auch so. Mit jeder nicht ergänzten Schuppe verlor er ein Stück seines guten Aussehens, und es hatte Zeiten gegeben, da er jede Menge Komplimente für sein Aussehen bekommen hatte. Das aber lag lange Jahre zurück, vielleicht auch ein paar Jahrtausende – Neerad war sich da nicht so sicher.

Mit diesen Weltraumfahrten war das so eine Sache. Es gab da ungeahnte Effekte, Zeitverlangsamungen, Zeitbeschleunigungen, Zeitverwerfungen und was dergleichen Dinge mehr waren. Nicht, dass Neerad etwas davon verstanden hätte – schon dreidimensionale Mathematik war zuviel für ihn. Er hatte sich die Sachen von einem der Leiter der Station erklären lassen, einem Glatthäuter, der entsetzlich viel zu wissen schien. So vollgestopft mit Wissen war dieser Glatthäuter gewesen, dass es Neerad angst und bange geworden war.

»Ich möchte meine Morgenmahlzeit einnehmen«, sagte Neerad. Seine Stimme quietschte ein wenig, das tat sie morgens immer. Im Lauf des Tages wurden bei Neerad die Stimmbänder immer länger, und nach Mitternacht lag seine Stimme irgendwo im Infraschallbereich, war damit für die meisten seiner Gefährten unhörbar geworden.

Die Servoautomatik lieferte rasch und prompt die gewünschte Mahlzeit. Die Verpflegung war nicht schlecht, stellte Neerad fest. Sie hätte besser sein können, aber er war nicht anspruchsvoll. Das hatte er sich abgewöhnt, seit man ihn hierhergebracht hatte und man ihn darüber aufgeklärt hatte, was er zu tun hatte.