Reden, fühlen, zittern mit Hildegard Knef

„Ich bin kein Mannequin

für Krebs”

Erinnerungen & Gespräche aus den schwierigsten Jahren

einer großen Künstlerin im aufreibenden Kampf

mit Medien und Alltag

 

Von Imre Kusztrich


IMPRESSUM

 

IGK-Verlag, 7100 Neusiedl/Österreich

Reden, fühlen, zittern mit Hildegard Knef

„Ich bin kein Mannequin für Krebs”

Erinnerungen & Gespräche aus den schwierigsten Jahren einer großen Künstlerin

im aufreibenden Kampf mit Medien und Alltag

Imre Kusztrich

Copyright: ©2011 Imre Kusztrich

Fotos: © privat, Engel-fotolia.com

ISBN 978-3-9503361-4-6


 

VORWORT

 

Von Mark Twain stammt die Empfehlung: „Wenn du nichts zu sagen hast, sage nichts.“ Es scheint, als hätte ich mich daran orientiert. Durch all die Jahre blieb ein Umzugskarton, prall gefüllt mit Unterlagen aus einer der spannendsten Phasen meines Berufslebens, unangetastet. Nun versetzt sein Inhalt, ausgebreitet auf einem großen Arbeitstisch, selbst mich in Erstaunen. Eng beschriebene, dicke Spiralblöcke mit meinen Notizen über Gespräche mit Hildegard Knef. Sie wünschte den Verzicht auf Aufnahmegeräte, wann immer es möglich war.

Hunderte auf IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine getippte Seiten, korrekte Abschriften unserer Interviews für die Zeitschrift BUNTE. Der ursprüngliche Umfang solcher Materialien füllte nicht selten dreißig und mehr Seiten. Dazu stapelweise lose Blätter mit meinen handschriftlichen Vermerken, Hinweise hinter ihrem Rücken aus ihrem Haushalt oder von ihr selbst bei unseren häufigen Begegnungen. Beispiele: „Perücke, europ. Haar. 2.750 Mark“, „ziemlich entsetzt, nicht geschminkt“, „diese arme Frau hat seit sieben Jahren Schmerzen“ (eine der seltenen Informationen von Ehemann Paul von Schell zu mir im Frühjahr 1980), „... habe ich sie deswegen auf teure Schulen geschickt?“ (diese Bemerkung von Hildegard Knef bezog sich auf Christinas Beziehung zu ihrem späteren Ehemann), „American Express nichts mehr abgebucht“, „böser Unterton“, „Riesenoberlippe“, „ruderte mit dem rechten Arm – vom US-Fernsehen abgeguckt“, „fünf Heiratsanträge“ (von einem sehr bekannten Berliner, der für die Knef seine Position und seine Familie riskierte), „geweint, was aus Hilde geworden ist, die sich zu einem Clown entwickelt hat“ oder „die Knef nach Facelifting wie Klaus Kinski“ (Konkurrentinnen wie Evelyn Künneke konnten schon giftig sein).

Ich sammelte diese Details in all den Jahren, um diese Frau besser und besser zu verstehen. Unbestritten war sie eine der größten Künstlerpersönlichkeiten ihrer Zeit. Glücksverwöhnt, schicksalsgeprüft, was am ehesten in den eigenen Worten ihres optimistisch-ironischen Erkenntnislieds „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ zum Ausdruck kommt (noch mehr als 40 Jahre später, 2009, wird der Literaturkritiker Professor Dr. Hellmuth Karasek bekennen, dass er weinen muss, wenn er die Knef von ihren roten Rosen singen hört). Allmählich erkannte ich die vermutlich allergrößte Leistung dieser von vielen unverstandenen Frau: die immense Anstrengung, die Familie zu ernähren und für ihre Tochter Christina noch lange ansehnlich zu bleiben – während Krebserkrankung, Scheidungskrieg und Facelifting die Schlagzeilen der Boulevardpresse dominierten..

Eine besondere Rolle spielte ein kleines Notizblatt mit dem Aufdruck HYATT HOTELS – dazu später mehr.

Ich muss gestehen: Bei den meist griechisch-lateinischen Bezeichnungen für superstarke Schmerzsubstanzen, Aufputschdrogen, Psychopharmaka und Schlafmittel schlich sich nach der Erwähnung am Telefon in meinen Notierungen der eine oder andere Fehler ein. Heute weiß ich: „Lexatonil“, ein Beruhigungsmittel, habe ich damals richtig geschrieben; während das von mir aufgeschriebene „Texamyl“ Dextroamphetamine sowie Amylbarbiotone enthielt und folgerichtig in Wahrheit mit einem D beginnen sollte – eine Abmagerungs-Antidepressions-Pille mit Suchtpotenzial.

Vor mir liegen aber auch Briefe Hildegard Knefs an mich, Tonbandkassetten, Fernschreiben – die für vertragliche Vereinbarungen unerlässlichen E-Mails der Siebziger und Achtziger Jahre.

Rückblickend betrachtet, war ich Verhandlungspartner, Interviewer, Road Manager, Händchen-Halter und Knef-Flüsterer (dieser Begriff existierte vor 1995 natürlich nicht). Ohne Einschränkung betrachtete ich mich als ihren Dienstleister. Ich tat es begeistert. Ich arbeitete für die Zeitschrift BUNTE. Ich organisierte für die Autorin Knef Interviews und Reisen zu den Berühmtheiten dieser Welt. Ich unterbreitete ihr die Wünsche, Ideen und Aufträge der Redaktion. Ich kämpfte um die Termine. Ich handelte das Honorar mit ihr aus. (Ihr Vertrauen war grenzenlos. Ihre Naivität berührend: „Imre, sage dem Chefredakteur, ich fordere eine Million Mark. Und du darfst mich dann herunterhandeln auf 750.000.“ Kein für sie so typisches dröhnendes Lachen hinterher.)

Viele, viele Stunden lang war ich aber hauptsächlich ihr Zuhörer. Wiederholt gewährte sie mir Einblicke in ihr Leben, die sie jedem anderen Journalisten verwehrte. Von einigen mit mir dramaturgisch genau abgesprochenen Veröffentlichungen aus meiner positiven Sichtweise versprach sie sich eine längst überfällige Korrektur der vorherrschenden öffentlichen Meinung über sie. Weil sie mir vertraute, blieb kaum eines der Themen, mit denen sie von anderen gequält wurde, tabu. Das Facelifting. Ihre Medikamente. Die Ehe mit Paul von Schell. Die Finanzen. Die Ängste. Die alles überstrahlende Wichtigkeit der Tochter Christina.

Ein einziges Mal – wir sprachen über ihren Kollegen Harald Juhnke – bat sie mit den Worten „Ich erzähl’ dir das jetzt wirklich als Freund“ wohl um Diskretion. Ansonsten redete sie frei von der Leber weg. So ergab es sich, dass ich es war, der aus ihrem Munde Aussagen hören durfte wie:

„Ich bin kein Mannequin für Krebs“

„Facelifting ist besser als Valium“

Und ich war es auch, der sie an einem Dezembertag des Jahres 1979 vom 5-Sterne-Hotel „Palace“ in Lausanne in die Praxis des Schönheitschirurgen Dr. Rodolphe Mayer fahren durfte. Sie saß neben mir auf dem Beifahrersitz. Auf meinen Vorschlag hin hatte sie mit dem Burda-Verlag einen Vertrag geschlossen. Wir bezahlten die Operation. DM 18.000. Sie versteckte ihr neues Gesicht, bis wir es fotografieren konnten. Und sie erläuterte mit meiner Hilfe ihren irritierten Verehrerinnen und Verehrern ihre wahren Motive.

Ich bekenne gerne: Ich habe sie dazu überredet. BILD hatte ihren Plan verraten. Selten erlebte ich sie derart geschockt. In einem Telefonat mit mir verteidigte sie sich. So überzeugend, dass ich sie bat, ihre Argumente für die Öffentlichkeit zu wiederholen.

Unser Vertrag enthielt die Klausel: „Das Gespräch führt Herr Kusztrich.“

Ich habe bis heute geschwiegen. Meine Einblicke in ihr Leben für mich behalten. In fünf Jahren sammelte sich einiges an. Es fing harmlos an. „Hallo, ich würde gerne mit Frau Knef sprechen“ „Oh, jetzt ist es ganz schlecht, weil ...“

Vieles erfuhr ich von Hildegard Knef selbst.

Irgendwann begannen auch Menschen um sie herum, ihr Herz auszuschütten. Manche wollten, manche konnten nicht länger schweigen. Einige überschätzten wohl meinen Einfluss auf diese Frau. Ich traute meinen Ohren nicht. Sie gibt 40 Mark aus für das Aufkleben der für sie typischen Wimpern aus. Sie wird zur Furie, wenn man Christina zurechtweist. Sie lässt zweimal am Tag die Bettwäsche wechseln. Sie spritzt sich Fortal in den Oberschenkel. Das Bett ist voller Jod und Blut.

In meinem Arbeitszimmer hängt ein Farbdruck, gerahmt und unter Glas. 60 mal 85 Zentimeter. Die Wiedergabe eines faszinierenden Gemäldes. Auf dem Rücktitel dieses Buches halte ich es in Händen: Über den Rücken eines Mädchens hinweg blickt der Betrachter in einen Sommergarten. Zwei Farben dominieren. Ein Pastellgrün, wie es die Wiesen am österreichischen Traunsee an einem Augustnachmittag ausstrahlen. Das Knallrot eines Kinderpullovers. Hinreißend! Dass es Christina ist, verrät nur die zarte Kontur des Näschens. Sie war damals fünf Jahre alt. Niemals mehr malte Hildegard Knef ihre Tochter so lebensfroh. Seit der Rückkehr von der Krebsoperation im Landeskrankenhaus Salzburg waren erst wenige Tage vergangen.

Ein hoffnungsvoller Blick nach vorn.

Selbstmitleid und Verbitterung waren ihr zuwider.

Gründe für Enttäuschung oder Hass hätte es genug gegeben. Nicht immer war sie sich derer bewusst. So vertraute hinter ihrem Rücken einer der Ärzte dem deutschen Verleger Dr. Franz Burda an: Die Geschwulst war nicht bösartig. Die Knef hatte einfach panische Angst (ihre Mutter starb an Krebs). Deshalb bestand sie auf der Amputation der Brust.

Nie hätte der Verleger der Zeitschrift BUNTE diesen Geheimnisverrat veröffentlicht. Nie hätte er es für richtig gefunden, damit Geld verdienen zu wollen. Er war einer der Anständigen im Leben der Knef. Andere waren es nicht. Häme, Wichtigtuerei, Geschwätz, Ausbeutung, Intrigen, Schadenfreude - kein großer Künstler ist davor sicher.

Ein Vorwort bietet auch die Gelegenheit zu erklären, was dieses Buch nicht ist: eine Biografie, eine Würdigung. Die einfühlsame Darstellung durch Heike Makatsch zeigte uns vor einigen Jahren die zwanzig Kriegs-Lebensjahre, die ersten beiden Ehen und die Knef der Wirtschaftswunder-Epoche bis 1966. Die Produzentin des Films „Hilde“ meint selbst, später sei die Knef eigentlich ein anderer Mensch gewesen. Ich glaube, sie hat Recht.

Mein Buch ist ein unbedeutender, bescheidener Beitrag, die Erinnerungen und die Art und Weise, wie ich sie erleben durfte, mit anderen zu teilen.

Ihre Handschrift habe ich stets vor Augen. Auf das faszinierende Gemälde der Sommerwiese mit Christina schrieb sie rechts unten mit Kugelschreiber sieben Worte. Nur sechs sind lesbar: „Für Imre – in Freundschaft (dann etwas Unentzifferbares) Hilde 1980.“

Die rätselhaften Buchstaben lauten vermutlich „deine“. Ich lese sie als „immer“.


EINFÜHRUNG

 

Gegen Ende eines unserer Gespräche wollte ich sie aufmuntern. Ich gab ihr ein Versprechen. Ich sagte: „Aber jetzt hören wir nicht mit etwas Tragischem auf. Hilde, wenn du Virginia Woolf spielst, dann komme ich zur Premiere. Ich verspreche es dir.“

Hildegard Knef hatte eine andere Idee: „Komm’ in der dritten Vorstellung! Ich bin in der Premiere immer schlecht. Mein ganzes Leben war ich in der Premiere nie wie in der dritten Vorstellung. Bei meiner Premiere war ich immer so nervös, dass bestimmt etwas herunterfiel. Ich habe immer auch gesagt: Wenn ich doch die Premiere ohne Publikum machen könnte!“

So gesehen, hat sie auf Anhieb ihr Leben doch ganz gut hingekriegt.


DANKSAGUNG

 

Mein besonderer Dank gilt dem genialen Journalisten und Freund Will Tremper. Seine Idee war es, die Arbeit an der Serie „Jenseits von Morgen“ durch mich weiterführen zu lassen. Er führte mich bei Hildegard Knef ein. Durch diese Empfehlung eines der wenigen Knef-Sympathisanten bis zu ihrem Ende hatte unsere Arbeitsbeziehung den besten Start. In einem Buch finde ich die Widmung „Für meinen Imre von seinem Will“. Ich weiß: Dieser große Journalisten gehörte vielen. Dennoch erlaube ich mir die Worte: Für meinen Will von seinem Imre.

Aus dem Netzwerk, das die Künstlerin um sich spann und in dem sie sich letztlich verfing, flossen mir zahllose Hinweise, Hilferufe zu. Ebenso nicht wenige Geschmacklosigkeiten, Enthüllungen, Nadelstiche. Aber auch Hoffnungen, Erwartungen. Viele überschätzten meinen Einfluss und wünschten doch nur sehnlichst, dass sich durch einen noch so bescheidenen Impuls von mir für Hilde manches zum Besseren wendete.

Ich hoffe, dass möglichst viele Leserinnen und Leser mein mildes Urteil über die Quellen aller Indiskretionen teilen können.

Für den Dank, den ich Hildegard Knef gegenüber abzutragen habe, fehlen mir die Worte.

 


DIE VEREINBARUNG

 

Der Besitzer der Bären-Apotheke in der Offenburger Hauptstraße 52 schüttelte den Kopf. Ich konnte ihn verstehen. Ich wollte von ihm fünf verschiedene Präparate. Verschreibungspflichtig. Hoch dosiert. Tabletten. Kapseln. Aber ich hatte kein Rezept.

Ich bin ein diskreter Mensch. Nur so war zu erklären, dass eine von den Medien gnadenlos gejagte und von so vielen Zeitgenossen abgrundtief gehasste Frau wie Hildegard Knef es für eine gute Idee hielt, ausgerechnet einen Journalisten um diesen eigenartigen Liebesdienst zu bitten.

Juli 1982. Ich war damals Geschäftsführender Redakteur der Zeitschrift BUNTE. In drei Tagen hatte ich meine nächste Verabredung mit dieser Frau. In West Hollywood. Ich brachte ihr aus dem Archiv des Burda-Verlags einen Koffer voll von Zeitungsausschnitten über Romy Schneider. Hildegard Knef sollte in einer zehnteiligen Artikelserie den Leserinnen und Lesern das Mysterium und den rätselhaften Tod der Schauspielerin etwas verständlicher machen. Darüber sollte ich mit ihr verhandeln. Und einen Vertrag schließen.

Die Aufgabe war nicht ganz einfach. Ich war dafür. Der Chefredakteur war dagegen. Er wollte, wenn schon nicht Alain Delon, dann wenigstens Michel Piccoli als Autor der Romy-Biografie.

Hildegard Knef hat nie erfahren, dass ich für sie kämpfen musste.

Am Ende setzte ich mich durch. Übrigens auch in der Bären-Apotheke. Ich vertraute mich dem Magister an: für Hildegard Knef. Sie werden ihr regelmäßig verschrieben. Ich nehme die Medikamente am Donnerstag nach Los Angeles mit. Das erfährt keiner, versprach ich. Schon gar nicht die Kollegen im Verlag.

Die Stars in der Redaktion, die Schreiber mit den großen Namen würden mich mobben. Erpressen. Hör mal, würden sie sagen, setz’ sie bei den Honorarverhandlungen ein bisschen unter Druck. Du hast sie doch in der Hand ...

Der Apotheker war ungefähr in ihrem Alter. Sie war damals 56. „Gut“, sagte er, „kommen Sie am Nachmittag.“

Und das war noch nicht einmal meine Reifeprüfung in der Beziehung zu Hildegard Knef. Da denke ich vor allem an den Nachmittag des 4. Oktober 1979. Ein Donnerstag. Ich wählte die Telefonnummer der Villa Bettinastraße 12 in Berlin-Grunewald. 82 57 101. Sie war auf den Teilnehmer Hildegard Knef eingetragen und stand nicht im Telefonbuch. Das Leben der Künstlerin spielte sich damals fast ausschließlich hinter diesen Mauern einer vom Senat gemieteten Prachtvilla aus der Gründerzeit ab. Das Telefon war ihre wichtigste Verbindung zur Außenwelt. Eigenartigerweise gab es nur diese eine Leitung. Hildes Masseur, Christinas Therapeutin, die Essensbesprechung mit dem Chefkoch, der mittags vorbei kam und Steaks brutzelte, der Kontakt zu den Ärzten, zur Reinigungsfirma, zur Kosmetikerin, zum Friseur, zum Masseur – alles lief über diese Leitung. Dazu die vielen Gespräche, die mit ihren Berufen zusammenhingen. Fernsehschaffende, literarische Agenten, Musikmanager, Buchverleger, Konzertveranstalter. Die persönlichen Freunde. Vor allem aber Reporter, Redakteure, Chefredakteure. Geheim war die Geheimnummer nicht.

Die Stimme am anderen Ende der Leitung riet mir ab, mit der Knef zu sprechen: „Sie ist beschäftigt mit einem Artikel, der morgen in der BILD-Zeitung erscheinen wird. Die Meldung wurde ihr heute per Telefon aus Hamburg mitgeteilt. Das hat sie erst einmal so geschockt, dass sie gar nicht richtig wieder beisammen ist.“

Der Anruf war am späten Vormittag aus der Chefredaktion gekommen. Der für das Ressort Unterhaltung Verantwortliche ließ sich mit Frau Knef verbinden. Sie wurde an den Apparat geholt. Den Anrufer kannte sie sehr gut. Mit den Medien war das ein Geben und Nehmen. Gefühle spielten keine Rolle. Am Telefon wurde ihr die Schlagzeile des nächsten Tages vorgelesen. KNEF KAUFT SICH EIN NEUES GESICHT. Sechs Zentimeter hohe Buchstaben. Vier Millionen mal gedruckt. Darüber stand noch: 18.000 Mark.

Hildegard Knef war Schlagzeilen gewohnt. Enthüllungen ihrer intimsten Gedanken und geheimsten Wünsche haben das Leben dieser Frau auf eine Weise belastet, die ein davon Verschonter sich nicht vorstellen kann. Die schutzlos dem Urteil der Öffentlichkeit Ausgesetzte litt oft wie ein gequältes Tier. Aber keine Nachricht hat sie so tief getroffen wie die Preisgabe ihrer Absicht, sich heimlich einem Facelifting zu unterziehen. Keine hat ihr so geschadet.

Leugnen war zwecklos. BILD wusste – von dem angegebenen Alter, 54 Jahre, abgesehen, denn sie war erst 53 und neun Monate - alles. Der Bericht nannte den Schönheitschirurgen: Dr. Rodolphe Mayer. Die Stadt: Lausanne. Die Clinique Cecil. Den Termin: 10. Dezember. Die Kosten. 18.000 DM. Sogar die Uhrzeit stimmte: 14 Uhr.

Das Einzige, was fehlte, war die Information, wer Frau Knef diesen plastischen Chirurgen empfohlen hatte und sich dort zwischen dem 4. Oktober und 10. Dezember selbst noch schnell die Gesichtshaut straffen ließ: ihre Freundin, die Komponistenwitwe Vera Kalman.

Noch während des Anrufs aus der BILD-Redaktion erfüllten sie düsterste Ahnungen. Wie oft hatte sie bereits die Zuneigung ihrer Verehrerinnen und Verehrer auf eine harte Probe gestellt! Der kurze Nacktauftritt in dem Willy-Forst-Film „Die Sünderin“ bescherte ihr 1951 den Durchbruch als Schauspielerin, aber auch in einer Umfrage der Uni Münster („Welche Darsteller wollen Sie nicht mehr sehen?“) einen Spitzenplatz. Ihre Affären mit Schauspielern, Journalisten, Autoren lösten Schlagzeilen („Die Sünderin jetzt auch Ehebrecherin“, BILD) aus. Der verheiratete Filmpartner David Tonio Cameron Palastanga ließ sich ihretwegen scheiden und wurde ihr zweiter Ehemann. In ihrem Buch über die Amputation ihrer linken Brust klagte sie die Gefühllosigkeit der Ärzteschaft an. Dann die Ehe mit einem auf den Tag genau um 14 Jahre und elf Monate Jüngeren, Paul von Schell. In den Augen vieler Frauen setzte sie sich damit dem Vorwurf der Lächerlichkeit aus. Immer wieder Hinweise auf Missbrauch von Alkohol, Schmerztabletten und Suchtmitteln. Nun wurde in die Welt hinausgetrommelt: Auch die Gesetze des Alterns sollten für sie nicht gelten.

Sie hatte fest gewollt und gehofft, dass diese Operation ihr Geheimnis bleiben würde. Einmal, weil sie, angstgepeinigt wie sie war, dem Ergebnis von vorneherein misstraute. Vor allem jedoch, weil sie die Reaktion der Öffentlichkeit fürchtete.

Nun zog der Anrufer aus der BILD-Chefredaktion die Daumenschrauben auch noch fester an mit seiner Frage: „Frau Knef, was sagen Sie dazu?“ Derartige Attacken aus heiterem Himmel von Menschen, die ihre Geheimnummer kennen, hat sie mir gegenüber einmal mit Methoden der Gestapo verglichen, die ihre Opfer um Mitternacht aus dem Schlaf rissen. Die ihr abgerungenen Antworten lassen erkennen, mit welchem – wenn auch hier nur vorgetäuschtem – Witz, mit welcher Geistesgegenwart und mit welcher Nervenstärke diese Frau gesegnet war.

Am nächsten Tag las sich das so:

„Hilde Knef (54) lacht: ‚Wissen Sie, als Schriftstellerin ist es ja wurscht, wie man aussieht. Aber als Sängerin auf der Bühne nicht.“

Weiter hieß es: „Hilde Knef will sich unter anderem die dicken Tränensäcke wegmachen lassen. Was sonst noch gemacht wird, sagt sie nicht: ‚Ich muss doch meinem Mann auch noch etwas zum Überraschen lassen.’“

Ich rief sie an und sprach ganz offen meine Meinung aus.

Ich durfte das. Mit Frau Knef arbeitete ich zu diesem Zeitpunkt bereits gute zweieinhalb Jahre zusammen. Sie war unsere wichtigste Autorin, ich ihr Betreuer. Irgendwann hatte sie vorgeschlagen, dass wir uns duzen. Und es wurde zur Selbstverständlichkeit, dass wir regelmäßig miteinander telefonierten. Es gehörte zu meinen Aufgaben, eine Beziehung aufrechtzuerhalten, die es mir erlauben würde, wann immer meine Zeitschrift es benötigte, sie anzurufen und zu sagen: „Hilde, könntest du dir vorstellen, für uns ...?“

In diese Telefonate war längst eine tiefe Vertrautheit eingedrungen. Vor allem, weil ich mich dank spezieller Informationen aus ihrem Umfeld oder Netzwerk ziemlich gut in sie hineindenken konnte. Irgendwann war sie es gewohnt, aus meinem Munde privatestes Wissen („Deine Freundin Vera Kalman sagt“) zu hören, ohne sich über meine Detailkenntnisse wirklich zu wundern. Außerdem war sie absolut pragmatisch. Nie hätte sie um irgendwelche Dinge, zu denen sich zu äußern sie bereit war, überflüssig herumgeredet.

Ein einziges Mal in all den Jahren fragte sie mich erstaunt: „Woher weißt du das?“ Sie hatte in Berlin einen Fernsehfilm gedreht, für mehrere Tausend Mark Gage, vier Tage lang – aber das Essen in der Kantine musste sie selbst bezahlen. Mir war das mit dem Nebensatz berichtet worden: Na, irgendwann wird sie ja wohl selbst merken, dass sie nicht mehr der große Star ist. Ich war dann sehr froh, dass sie die genauen Umstände schilderte:

„Ich habe ein Käsebrot gegessen und einen Tee getrunken. Und jeder zahlte da für sich. Und ich wühlte in meiner Tasche herum wie ein Irrer, um Geld zu finden, und habe die 1,75 Mark eben selbst bezahlt.“

Ich rief sie also nach Lektüre ihrer Aussagen in der BILD-Zeitung an und gratulierte ihr zu ihrer Schlagfertigkeit. „Dass du auf dein Aussehen achten musst, leuchtet doch ein,“ sagte ich.

Ihre Stimme war kaum vernehmlich: „Glaubst du? Ach, du bist ein Schatz.“ Und: „Ich habe solche Angst, dass jetzt wieder eine Flut von Beschimpfungen einsetzt, dass man mir wieder kübelweise Jauche über den Schädel gießt ...“

Sie tat mir Leid. Sie verteidigte ihren Entschluss, als wollte sie meine Reaktion messen. Sie hatte überzeugende Gründe. Sie konnte sie nicht mehr länger ignorieren. Der Maskenbilder, die Friseurin bedrängten sie: „Frau Knef, eigentlich sollten Sie ein bisschen was machen lassen – wir brauchen immer länger“. Noch ehe sie antworten konnte, ging es weiter. „Die anderen haben ja auch schon alle.“ - „Aber nicht meine Freundin Lilli, das hat sie mir gesagt.“ - „Ach was, die Palmer war doch eine der Ersten.“

In den eigenen vier Wänden das gleiche Thema. Sie kam spät nachts von einem Fernsehgespräch mit dem Intellektuellen Friedrich Luft nach Hause. Ausgezeichneter Dialog. Noch auf dem Flur redeten sie auf sie ein: „Du, der Beleuchter war ganz schlecht. Diese Schatten in deinem Gesicht ... “ Die Knef konnte es nicht mehr hören. Sie brüllte: „Hat einer von euch eigentlich zugehört, was ich gesagt habe?“ – „Ja, natürlich, du warst großartig. Aber diese Schatten ...“

Es fiel ihr nicht leicht, über all das zu sprechen.

„Imre“, sagte sie, „ich muss Geld verdienen. Ich will Tinta noch eine ansehnliche Mutter sein, wenn sie dreißig ist.“

Ihre Schilderung, ihre Erklärung war überzeugend und interessant. Nur, sie hatte nichts davon, wenn ich sie verstehen konnte, aber Millionen andere nicht. Ich sagte: „Hilde, es ist wirklich schade, dass deine Fans dich nicht so reden hören. Du überlässt sie ihrer eigenen Meinung. Die können wirklich nur glauben: ‚Das macht doch diese Geisteskranke nur für ihren jüngeren Mann! Kann diese Frau nicht ganz normal alt werden?‘“ Ich sagte das wirklich. Geisteskranke.