Michael Kotsch

Atheismus

Der neue Streit um Gott

Bestell-Nr. 394.963

ISBN 978-3-7751-5096-5 (E-Book)

ISBN 978-3-7751-4963-1 (lieferbare Buchausgabe)

© Copyright der deutschen Ausgabe 2008 by
SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-haenssler.de

E-Mail: info@scm-haenssler.de

Umschlaggestaltung: Jens Vogelsang, Aachen

Titelbild: »The Yorck Project«, Gesellschaft für Bildarchivierung mbH, Buonarroti Michelangelo, »Der Schöpfergott erschafft Adam«

Bilder im Innenteil:

S. 23 © Public domain due to age of photography. Scan processed by Anton (2005)

S. 11: © Hauptmann und Kompanie

S. 35: © Ullstein Verlag, Berlin

S. 80: Edmund Engelman, Sigmund Freud: Berggasse 19, Vienna. Universe Publishing (November 15, 1998). © The Library of Congress Prints & Photographs Online Catalog; www.loc.gov/rr/print/catalog.html

S. 87: © Public domain due to age of photography. Scan processed by Anton (2005)

Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Die Bibelverse sind folgender Ausgabe entnommen:

Neues Leben. Die Bibel, © Copyright der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 by SCM Hänssler, D-71087 Holzgerlingen.

Kurz und bündig

Geht es Ihnen nicht auch so? Über manch einen Themenbereich würde man gerne als Normalbürger Bescheid wissen (oder muss es vielleicht sogar). Doch was die Fachleute schreiben, ist im Normalfall zu kompliziert und zu umfangreich. Wer hat schon Zeit, sich in jedes Thema wochenlang einzuarbeiten!?

Hier wollen wir Hilfestellung leisten. In Hänssler kurz und bündig geben Fachleute, die sich mit einem Thema schon seit Jahren intensiv beschäftigen, kurz und verständlich einen Überblick über das, was man wissen muss, wenn man Bescheid wissen will und mitreden können möchte.

Dabei enthält jeder Band der Reihe Hänssler kurz und bündig die folgenden Elemente:

All das ist so angelegt, dass der Leser sich in zwei bis drei Stunden (also etwa statt des Abendkrimis oder auf einer Zugfahrt) ein Thema in seinen Grundlagen aneignen kann. Die Anwendung im Leben oder das anschließende Gespräch mit anderen wird dann aber sicher etwas länger dauern …

Ich würde mir wünschen, dass dieser kleine Band Ihren Horizont erweitern kann und die Informationen liefert, die Sie suchen.

Thomas Schirrmacher

Vorwort des Herausgebers

Die 3,3 Millionen Bürger im Gebiet der ehemaligen DDR, die sich bei Umfragen noch als ›echte‹ Atheisten bezeichnen, machen etwa 2,5 % der ›echten‹ Atheisten international aus, deren Gesamtzahl weltweit nur noch auf rückläufige 147 Millionen geschätzt wird, also etwas mehr als 1,5 % der Weltbevölkerung.

Diese Zahl macht schlaglichtartig deutlich, wie sehr sich unsere Welt in den letzten 15 Jahren verändert hat. Als ich in die Schule ging, schien die Welt von Tag zu Tag säkularer und atheistischer zu werden. Neben dem großen kommunistischen Block einschließlich Ländern wie China und der Sowjetunion und der säkularisierten westlichen Welt mussten sich viele Länder der Dritten Welt zwischen den beiden nichtreligiösen Blöcken entscheiden oder suchten als blockfreie Länder eine politisch säkulare Zukunft. Für viele hatte Religion mit dem realen Leben nichts mehr zu tun, für die einen war es eine Art Folklore wie das Oktoberfest, für die anderen eine geistige Verwirrung.

Wie anders heute: Die atheistisch-kommunistische Welt ist auf kleine Länder wie Nordkorea geschrumpft. In China wachsen die Religionen enorm. Die USA erlebt eine Wiederbelebung von Christentum und Islam wie nie zuvor. Die gesamte islamische Welt ist religiös am Erwachen. Die Türkei wird wieder von islamischen Parteien regiert und Länder wie Indien und Indonesien versuchen verzweifelt, ihren religionsneutralen Status gegen politische Nationalisten aus Hinduismus und Islam zu verteidigen.

Angesichts der wachsenden Übermacht der Religionen melden sich viele intellektuelle Vertreter des Atheismus lautstark zu Wort. Die Antworten lassen nicht lange auf sich warten. Auf beiden Seiten sind die gebildetsten Köpfe dieser Welt beteiligt. Grund genug, kurz und bündig einen Einblick in die Diskussion und ihre Argumente zu suchen. Und letztlich kann die Wahrheit von Atheismus oder Gottesglaube ja auch nicht an Zahlen, Erfolgen und Entwicklungen festgemacht werden, sondern nur an der ihr zugrunde liegenden Diskussion, wo unsere Welt herkommt und wer wir Menschen eigentlich sind.

Thomas Schirrmacher

I. Der »neue Atheismus«

»Gott ist tot«, schrieb Friedrich Nietzsche. Heute ist das der Schlachtruf im Kreuzzug der neuen Atheisten. Mit harten Bandagen kämpfen sie für eine gottlose Welt. Das Neue an den neuen Atheisten ist ihr missionarischer Eifer. Die Menschen sollen »zum Atheismus bekehrt werden« (Richard Dawkins). Die Wurzel allen Übels ist für sie der Glaube an Gott.

Das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« widmete ihnen eine Titelstory: »Gott ist an allem schuld! Der Kreuzzug der neuen Atheisten« (Nr. 22/26. 5. 07).

Als »Papst« der neuen Atheisten wird gelegentlich der Evolutionsbiologe Richard Dawkins bezeichnet. Sein Buch »Der Gotteswahn« stand mehr als 30 Wochen auf den Bestsellerlisten in den USA und Großbritannien und war auch in Deutschland längere Zeit dort vertreten. Zum Glauben der US-Amerikaner merkt Dawkins an: »Es ist wahr, dass es bis vor kurzem ein religiöses Revival gab. Aber das wird enden. Und wir helfen dabei.«1 Unterstützt wird diese Absicht von Webseiten wie www.infidels.org oder www.religionisbullshit.net. Auf die Frage, wie er mit Menschen umzugehen gedenkt, die durch den Glauben Frieden und Sinn in ihrem Leben gewonnen hätten, antwortet Dawkins: »Ich würde auch einem Kind nicht seinen Schnuller wegnehmen. Aber es bleibt ein infantiles Verhalten.«2

In »Der Herr ist kein Hirte« (Blessing 2007) verkündet Christopher Hitchens das Evangelium des Atheismus. Hitchens lässt keine Zweifel daran, dass Religion in jeder Form ganz generell »die Welt vergiftet«. Sie sei eine Quelle von Intoleranz, Sexismus, Siechtum, Gewalt und körperlichem wie seelischem Missbrauch. Wir wären besser dran, wenn wir sie deshalb endlich überwänden.

Der US-Amerikaner Sam Harris fasst seinen Ärger über den Schöpfungsglauben und die Religiosität seiner Landsleute in die Bücher »Das Ende des Glaubens. Religion, Terror und das Licht der Vernunft« (Edition Spuren 2007) und »Brief an ein christliches Land. Eine Abrechnung mit dem religiösen Fundamentalismus« (C. Bertelsmann 2008). Darin analysiert Harris die Dogmen des Judentums, Christentums sowie des Islam und betont deren Unvereinbarkeit mit den Werten der Aufklärung, den Errungenschaften der Moderne und nicht zuletzt mit dem gesunden Menschenverstand. Die größte Gefahr für Frieden und Sicherheit auf der Welt sieht Harris jedoch ganz eindeutig im Islam. Allerdings fordert er zum Schutz der säkularen Freiheit auch die Möglichkeit der Folter von islamischen Terroristen (»Das Ende des Glaubens«, S. 197).

Abbildung

Abb. 1: Christopher Hitchens, Der Herr ist kein Hirte, Blessing Verlag.

Michel Onfray engagiert sich in Frankreich für den neuen Atheismus: »Wir brauchen keinen Gott. Warum man jetzt Atheist sein muss« (Piper 20073). Ausführlich referiert Onfray die altbekannten Ergebnisse der Bibelkritik und beklagt dann, dass der Glaube immer noch viel zu viel den Alltag, die Justiz, die Lebensplanung und die Politik prägt. Bibel, Koran oder Talmud werden abwechselnd als »Märchen«, »Wahnsinn« oder »Mythos« bezeichnet. Sie seien der Nährboden für Unmenschlichkeit, Unterdrückung und Faschismus. Religion wirke im Privaten ähnlich beruhigend wie Drogen oder Alkohol, so Onfray. Weit besser aber sei es, sich bei Philosophen wie Epikur, Montaigne oder Voltaire zu orientieren. Zwar könne er auch andere Überzeugungen tolerieren, Meinungsfreiheit gelte »aber nicht, um Lügen und Irrtümer zu verbreiten«. Alle Religionen funktionieren für ihn nach demselben Muster: »Sie laden ein, uns mit dieser Welt zu überwerfen, um nur die andere [jenseitige] Welt zu feiern.« Stattdessen sollten die Menschen ihre eigenen ethischen und kulturellen Spielregeln ausdiskutieren, akzeptieren, dass sie Produkte des Zufalls seien, und das Leben genießen, bevor es im Nichts verschwindet.3

In Deutschland organisieren die »Giordano Bruno Stiftung«, der »Humanistische Verband Deutschland« und der »Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten« die Propaganda gegen Gott. Internetseiten informieren über die »Verbrechen« der Religionen. Seminare sollen fit machen für den Kampf gegen den Aberglauben, und gemeinsame Demonstrationen nutzen die Aufmerksamkeit christlicher Großveranstaltungen. Mit dem »Deschner-Preis« wird geehrt, wer sich in der Öffentlichkeit um die Verbreitung des Atheismus verdient gemacht hat (Preisträger 2007: Richard Dawkins).

Da Religion im Alltag der meisten Deutschen keine große Rolle mehr spielt und die Kirchen nicht gewalttätig agieren, fehlt den »Anti-Christen« aber gewissermaßen ein handfester Gegner. Abgesehen von wenig gelesenen Abhandlungen zum Atheismus bleiben den »Gottlosen« in einem säkularisierten Land wohl nur noch Kirchenspott und Tabuverletzung, um gegen den Glauben vorzugehen.

Der Journalist Alexander Smoltczyk formuliert die »Zehn Gebote« der neuen Atheisten:4

  1. Du sollst nicht glauben.

    Atheismus ist ein Zeichen geistiger Gesundheit. Unerklärliche Phänomene werden von der zukünftigen Forschung befriedigend erklärt.

  2. Du sollst dir kein Selbstbildnis machen und es Gott nennen.

    Religiöse Erfahrungen sind lediglich Störungen der Hirnlappen.

  3. Du sollst keine Götter neben dir dulden.

    Atheisten können keine Religion neben sich dulden, da Gläubige immer eine Gefahr für den Weltfrieden sind.

  4. Du sollst keinen Schöpfer haben.

    Mit der Evolution ist die Entstehung der Welt befriedigend erklärt; man braucht keinen Schöpfer mehr.

  5. Du sollst deine Kinder ehren und sie deshalb mit Gott in Frieden lassen.

    Religiöse Erziehung schadet Kindern, weshalb sie stattdessen einen wissenschaftlich fundierten Aufklärungsunterricht erhalten sollen.

  6. Sei gut auch ohne Gott.

    Hat der Mensch erst die Kürze und Armseligkeit seines Lebens verstanden, wird er sich selbst humane ethische Normen schaffen.

  7. Du sollst keine anderen Götter neben der Wissenschaft haben.

    Wissenschaft und Glaube schließen einander aus. Gläubige Forscher unterliegen einer Sinnestäuschung.

  8. Liebe deinen Nächsten – ohne schlechtes Gewissen.

    Wer feiert und freien Sex hat, wird kein religiöser Extremist.

  9. Du sollst den Sabbat nicht ehren.

    Religionen dürfen keine Sonderrechte genießen. Sie müssen sich den Regeln des Verstandes, d. h. des Atheismus unterwerfen.

  10. Du sollst nicht knien als Schöpfer.

    Der Mensch ist Schöpfer des Schönen und Guten.

Nicht alle freuen sich über die kämpferischen Töne des neuen Atheismus. Selbst Sympathisanten kritisieren die oberflächlichen und polemischen Abrechnungen mit den Religionen. Zumeist werden weder die Primärquellen der Religionen herangezogen noch wird der Versuch unternommen, ihren Glauben sachgerecht darzustellen. Stattdessen genügt eine Karikatur etwa des Christentums, die dann bequem abgeschossen werden kann. Andere befürchten einen atheistischen Fundamentalismus und eine Diskriminierung des Glaubens im Namen des Materialismus. Der religionskritische Philosoph Jürgen Habermas steht einer atheistischen Ethik abwartend gegenüber: »Auch der aufgeklärte Verfassungsstaat stützt sich auf den real existierenden Gottesglauben seiner Bürger, um seine Normen durchzusetzen … Bislang konnte kein Verfassungspatriotismus, keine ›Wir sind Deutschland‹-Kampagne, kein Kult der Rationalität als Ersatz für religiöse Gefühle taugen.«5

Der »Spiegel« sieht in den Aktionen der neuen Atheisten »das Coming-out all jener, die lange glaubten, die Gottesfrage würde sich von selbst erledigen. Und die jetzt merken, wie ihre Gesellschaften den Glauben an die Gottlosigkeit zu verlieren beginnen … Vielleicht ist es auch die nackte Panik, dass Gott im Kampf mit der Aufklärung Sieger bleiben könnte.«6

II. Atheismus gestern und heute

Irgendwie gab es den Atheismus schon immer, zumindest solange aussagekräftige literarische Quellen zurückreichen. Allerdings hat sich das, was man unter Atheismus verstand, im Laufe der Zeit verändert. So klagte man beispielsweise die ersten Christen an, Atheisten zu sein, nicht etwa, weil diese die Existenz Gottes infrage stellten, sondern weil der Gott, den sie verehrten, nicht sichtbar und greifbar war. Erst seit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert bezeichnete man den als Atheisten, der die Meinung vertrat, es existiere kein Gott. Dabei war es unerheblich, ob es sich um ein abstraktes Absolutes, eine göttliche Kraft, einen vermenschlichten oder einen persönlichen Gott handelte – wobei sich die meisten Denker natürlich gegen die christliche Gottesvorstellung wandten, einfach deshalb, weil das auf der Bibel basierende Gottesbild damals in Europa das dominierende gewesen war. Im weiteren Sinn wurde von der christlichen Religionswissenschaft auch der Buddhismus und der Taoismus als atheistisch bezeichnet, weil diese den Gedanken eines personalen Gottes ablehnen.

In der griechischen und römischen Antike galten diejenigen als atheoi, die die offiziellen Götter nicht anerkannten und an deren Kult nicht teilnahmen (vgl. Platon, Nomoi 904a ff.). So wurde auch Sokrates Atheismus vorgeworfen, weil er zu behaupten wagte, dass der wahre Gott nicht in den Statuen und Kulten der offiziellen Götterwelt zu finden sei, sondern in der Natur und im Gewissen. Im römischen Kaiserreich zählten auch die Christen zu den Atheisten, weil sie die Existenz der öffentlichen Götter leugneten und weil man ihren Gott nicht sehen konnte.

Im europäischen Mittelalter bezeichnete man summarisch alle Heiden als atheistae, auch Muslime, weil sie nicht an den christlichen Gott glaubten. In den Göttern der Heiden sah man, ausgehend vom Alten Testament (5. Mose 4,28; Psalm 96,5; Jesaja 44,9 ff.), bloße Statuen, denen menschliche Vorstellungen Leben zuschrieben.

Erst in der neuzeitlichen Geistesgeschichte erhielt der Begriff »Atheismus« seine heute gebräuchliche Bedeutung. Ein Atheist ist heute der, der die Existenz eines transzendenten, d. h. eines unserer materiellen, irdischen Welt nicht unmittelbar zugänglichen Wesens ablehnt, unabhängig davon, ob es als Person aufgefasst wird oder nicht.

2.1 Atheismus in Asien

Auch wenn der Begriff »Atheismus« seine Bedeutung im Laufe der Geschichte mehrfach veränderte: Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen die Existenz eines Gottes ablehnten, gab es schon immer, nur wurde diese Überzeugung anders benannt.

In der hinduistisch geprägten Samkhya-Philosophie (ab 400 v. Chr.) wird gegen die Existenz eines höchsten Wesens argumentiert. Spuren davon finden sich im indischen Mahabharata-Epos.

Der frühe Buddhismus kritisiert scharf die vielfältigen Göttervorstellungen und -darstellungen Indiens. Dadurch bekommt er einen atheistischen Zug, ohne allerdings ein jenseitiges Leben generell zu verneinen. Im späteren Mahayana- und Vajrayana-Buddhismus aber werden wieder Götter aus der buddhistischen Umwelt integriert und auch bereits verstorbene Buddhas vergöttlicht und angebetet. Gelegentlich wird Buddha sogar als eine Art Übergott verstanden.

Der Konfuzianismus entwirft eine detaillierte Ethik für das irdische Zusammenleben. Das Jenseits ist eigentlich nur in der richtigen Verehrung der Ahnen relevant. Man könnte den Konfuzianismus deshalb auch als atheistische Religion bezeichnen.

2.2 Atheismus in der Antike

Im Alten Testament werden Menschen erwähnt, die äußern, dass es keinen Gott gibt (Psalm 10,4; 14,1; 53,2), wobei es sich hier vermutlich nicht um dogmatische Atheisten handelte, sondern um Menschen, denen es angenehmer schien, Gottes Regeln und Vorschriften außer Acht zu lassen, um ihr Leben nach eigenen Wünschen gestalten zu können.

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