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Zum Buch

Am größten Shopping-Gelände vor der Stadt öffnet ein ganz neuer Markt seine Tore. Neu ist, dass seine Waren atmen, sprechen und im Schaufenster posieren: »HÜMANIA« ist ein Abholmarkt für Menschen. Arbeiter, Haushaltshilfen, Lover, Lebensmenschen oder den heiß ersehnten Nachwuchs – jeder kann hier kaufen, was ihm oder ihr zum Glück fehlt. Die Werbetexterin Caro ist nach Beziehungsende und Kündigung verzweifelt genug für eine »spannende, neue Herausforderung«. Sie heuert bei dem medial massiv gehypten Megamarkt an und wird Produkttexterin. Schnell kapiert sie, dass es ihr für dieses Business an Skrupellosigkeit fehlt. Sie beginnt nach den Schicksalen hinter der »Menschenware« zu fragen und legt sich mit den Profiteuren des neuen Sklavenhandels an.

30 Millionen Menschen leben heute in Unfreiheit – mehr als zu jedem anderen Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte. In »Kauft Leute« wird die Entwicklung weitergedacht: bis zur perfekten Vermarktung des Produktes Mensch.

Ein spannender und aktueller Roman zum Zynismus der Konsumwelt und des heutigen Arbeitsmarktes.

Jan Kossdorff

Geboren 1974 in Wien. Drehbuchautor, Journalist, Werbetexter. 2009 lieferte er mit Sunnyboys sein Romandebüt. 2010 folgte SPAM!, der E-Mail-Roman zur Dotcom-Blase. Kossdorff lebt und arbeitet in Wien und Altmünster. Für das Manuskript von Kauft Leute erhielt er das Rom-Stipendium der Republik Österreich und das Aufenthaltsstipendium im Thomas-Bernhard-Archiv in Gmunden.

www.jankossdorff.net

KAUFT LEUTE

Roman

JAN KOSSDORFF

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DIE LEUTE

CAROLIN: Werbetexterin, 28.

Wagt nach Krise den Neuanfang bei HÜMANIA.

CHRISTIAN: Globetrotter und Jungunternehmer, 33.

Reingelegt und als Geschenk verkauft.

QUINTUS DANESITA: Marketingstratege, 43.

Caros Boss, Leiter des jüngsten Standortes.

STEFAN HELBY: Geschäftsmann, 50.

Treibt die Unternehmensexpansion voran.

LARS: Guide, 30.

Bringt Besuchern das neue Einkaufserlebnis nahe.

DER KOMMODORE: Geschichtsprofessor, 64.

Aufsässiger Anti-Held, schwer verkäuflich.

DR. MOFFAT: Arzt, 47.

Entscheidet, wer in welches HAUS muss.

CORINNA, SANDRA UND MICHI: Christians Besitzerinnen und sein Mitbewohner.

X: Alter, Name und Wohnsitz unbekannt.

Gefährlich, unerwünscht bei HÜMANIA.

ORT: Europa

ZEIT: unsere

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

vor einigen Jahren

1

ZWISCHEN DEM WEITLÄUFIGEN GELÄNDE eines Golfplatzes und der Ausstellungs-Welt eines Fertighaus-Erzeugers im Süden von Wien befand sich ein etwa zwei Hektar großer, von hohen Holzverschlägen umzäunter Grund, auf dem seit einem Jahr unermüdlich gebaut wurde. Lange wussten nur die direkt in den Planungs- und Bauprozess eingebundenen Personen, was hier entstehen sollte, und verschiedene Theorien machten unter den Uneingeweihten die Runde. So tippten viele auf ein exklusives Designermarken-Outlet. Andere glaubten zu wissen, dass ein Baumarkt aufmachen würde, möglicherweise der größte des Landes. Als hartnäckig erwies sich auch der Irrglaube, auf dem Gelände solle ein Vergnügungspark entstehen. Die Kinder konnten schon die Schreie von der Achterbahn hören und die Eltern die Steaks im mexikanischen Erlebnisrestaurant schmecken. All diese Hypothesen stellten sich als falsch heraus, wenn auch jede zumindest ein bisschen Wahrheit enthielt. Als schließlich das sechs mal drei Meter große Schild mit der Aufschrift »HIER ERÖFFNET IN KÜRZE DER GRÖSSTE HÜMANIAMARKT EUROPAS!« neben dem Haupttor des Baugeländes aufgestellt wurde, herrschte sogleich allergrößte Aufregung. All die Polemik, die Diskussionen, die Ablehnung und die enorme Spannung, die schon mit der Eröffnung der anderen großen Filialen in Mitteleuropa einhergegangen waren, traten auch hier auf – und stärker noch. Aber: Selbst jene Wiener, die mit dem enormen Erfolg von HÜMANIA nicht einverstanden waren, die ideologische Vorbehalte hatten, mussten anerkennen, dass die Entscheidung, nach Filialen in Dresden, München, Amsterdam und Turin das Flaggschiff von HÜMANIA an der Donau entstehen zu lassen, ein fantastisches Kompliment für den Standort Wien war. Es würde die regionale Wirtschaft stärken, mediales Echo generieren, Touristen anziehen. Und dies waren Argumente, die schwerer wogen als jeder moralische Einwand.

Zur gleichen Zeit, als alle Welt erfuhr, welche Art von Attraktion die Stadt und ihre Bewohner erwartete, wurden in den größten Tageszeitungen des Landes Job-Inserate geschaltet, in denen vom Kundenberater über Verkaufsraumgestalter bis zum Buchhalter eine komplette Firmenbelegschaft gesucht wurde. Eines der Inserate war die Ausschreibung der Stelle »Texter und Produktgestalter«, und genau dieses fiel Carolin Novara ins Auge, als sie die Online-Jobbörse einer Wiener Tageszeitung durchforstete. Sie hatte vor fast einem Jahr einen bestens bezahlten Job bei einer großen Werbeagentur in Wien hingeschmissen, hatte dann für einige Monate den Großteil ihrer Wachzeit in einem Multiplayer-Online-Game verbracht, bis zur völligen Isolierung und finanziellen Erschöpfung, um sich dann in einem Moment der Selbsterkenntnis in ein Entzugsprogramm zu stecken, bei dem sie drei Monate lang ohne Zugang zu Handy, Fernsehen oder Internet einen Bauernhof mitbewirtschaftet, Kühe gemolken, Kartoffeln gezogen und Marmelade eingekocht hatte. Tagsüber hatte sie Schweinemist geschaufelt und Erde aus den Reifen eines Traktors gekratzt, in ihren Träumen aber war sie immer noch die zähe Raumtransporterpilotin mit dem langen roten Zopf gewesen, die auf dem Dschungelplaneten Khawyndia Handel mit Iridium betrieb. Man bekam diesen Irrsinn einfach nicht mehr aus dem Kopf.

Caro schickte ihren Lebenslauf, ein paar Arbeitsproben und ein kreatives Bewerbungsschreiben, an dem sie feilte, als wäre es die Magna Charta, an die Human-Resources-Stelle von HÜMANIA und wartete ab. Es war die zehnte Bewerbung, die sie in den letzten Wochen verschickt hatte, und niemand hatte sich bei ihr gemeldet. Diesmal war es anders: Eineinhalb Wochen später erhielt sie eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Am selben Tag ging auch die Online-Auktion zu Ende, bei der Caro die Zugangsdaten zu ihrem Profil bei dem Webgame, und damit auch ihren Avatar, ihre unfassbar hohen Kommunikationspunkte und ihr virtuelles Vermögen von 6 Millionen Dollar in Form von reinstem Iridium versteigerte. Die Auktion erzielte über 400 Euro. Die ganze Angelegenheit schien nun ausgestanden, und Caro konnte sich daranmachen, das real life zurückzuerobern. Innerlich aufgewühlt von diesen Entwicklungen, hatte sie das Bedürfnis, jemandem davon zu erzählen. Da sie ihre früheren Freunde in Zeiten erhöhten Handelsaufkommens auf Khawyndia ziemlich schmählich ignoriert hatte und später auf der Farm sowieso völlig aus der Welt gewesen war, traute sie sich nicht, jemanden anzurufen, der ihr wirklich nahestand. Stattdessen meldete sie sich bei ihrem Reha-Genossen Max, der das halbe Vermögen seiner Eltern beim Online-Pokern durchgebracht und mit dem sie es hin und wieder auf der Rückbank eines Scheunen-Oldtimers getrieben hatte. Max freute sich von ihr zu hören, seine Stimmung änderte sich aber schlagartig, als sie erzählte, wo sie sich beworben hatte. Er führte die üblichen Argumente ins Treffen, die man hörte, wenn HÜMANIA-Gegner zu Wort kamen, und warf ihr vor, sich zu prostituieren. Caro erwiderte, dass Max sie eben nur in Regenstiefeln und abgeschnittenen Jeans kannte, sie davor aber ein seelenloses Werbeflittchen gewesen war und nun am besten Weg sei, wieder eines zu werden, kurz: alles nach Plan lief. Tatsächlich aber machte es sie ein klein wenig bestürzt, dass Max so heftig auf ihre Neuigkeit reagierte, sie war eigentlich der Meinung gewesen, dass HÜMANIA einen, nun ja, humanen Grundansatz vertrat. Der Text über die Unternehmensausrichtung auf der Homepage hatte sie jedenfalls überzeugt, auch wenn sie natürlich wusste, dass ein Texter wie sie hier einfach gute Arbeit geleistet hatte. Sie nahm sich vor, beim Bewerbungsgespräch selbst ein paar Fragen zu stellen, um mehr über das Unternehmen zu erfahren. Gleichzeitig wollte sie den Job aber unbedingt haben. Sie wusste, dass sie einen geregelten Arbeitsalltag brauchte, um wieder Halt zu finden, sonst war das nächste Abtauchen in virtuelle Sphären vorgezeichnet. Und vielleicht würde sie dann für immer in der Anziehungskraft eines von russischen Studenten programmierten Planeten gefangen bleiben … Wobei die Programmierer ja genauso wenig Schuld traf wie sie selbst. Der Grund dafür, dass sie vor einem Jahr ihren Job gekündigt und ihren Lebensmittelpunkt vorübergehend in eine andere Galaxie verlegt hatte, war natürlich Roman. Der Mann, von dem sie sich so oft getrennt hatte und den sie so oft wieder in ihr Leben gelassen hatte, dass sie irgendwann dachte, es wäre einfach unmöglich für sie, ihn endgültig zu verlassen, so wie man sich selbst ja auch nie wirklich loswird. Und an diesem Punkt machte er Schluss, einfach so. – Natürlich war da eine andere. Und natürlich war es irgendwie gut, dass es endlich vorbei war. Aber für Caro war es leider zu viel – sie funktionierte nicht mehr. Wer in der Kreation einer großen Werbeagentur sitzt, macht sich mit Heulkrämpfen und Schreibhemmung bei Kollegen und Vorgesetzten auf längere Sicht keine Freunde. Sie nahm sich Urlaub – aus dem sie nicht mehr zurückkehrte. Doch jetzt waren die Ferien zu Ende.

An einem schwülen Dienstagmorgen Mitte August stand Carolin Novara, Anwärterin für die Position der Texterin und Produktgestalterin bei HÜMANIA, vor einem Bürogebäude in der Wiener Innenstadt. Sie war mit dem Fahrrad gekommen, was sie jetzt bereute, denn sie schwitzte unter den Armen und am Rücken. Auch im Nacken spürte sie die Feuchtigkeit unter ihrer dunklen Naturwelle und sie wünschte sich sehnlich, sie könnte noch mal duschen. Trotz der harten körperlichen Arbeit am Hof hatte Caro in den letzten Monaten an Gewicht zugenommen: Während die fetten Computerfreaks auf einem anderen Hof strenge Diät halten mussten, bekam Caro Eier, Speck, Milchbrot und Kakao zum Frühstück, zu Mittag wurde ein monströser Auflauf serviert und abends gab es Variationen von Leberstreichwurst und Schweineschmalz auf dreifingerdickem Brot. Nach einer kurzen Umgewöhnungsphase von drei, vier Tagen, in denen sie sich unter röchelnden Todeslauten auf den Acker übergab, begann sie den neuen Speiseplan zu lieben! Als sie sich nach vier Wochen in dem fleckigen Spiegel im Badezimmer nackt betrachtete, im Licht einer Glühbirne, die von einer Schnake umkreist wurde, kam sie allerdings zu dem Schluss, dass ihr auch diese Liebe wieder mal nur Unglück brachte, und sie verbannte jede köstliche Variation von Schmalz, die sie in den letzten Wochen kennengelernt hatte, von ihrem Teller. Die Transformation ließ sich aber nicht mehr aufhalten: Als sie wieder nachhause kam, war aus dem schlanken, grünäugigen Mädchen in lässigen Londoner Gammel-Chic-Klamotten, mit dem jeder Artdirektor und Kontakter ins Bett wollte, eine dralle, gebräunte, sommersprossige Naturparkführerin geworden. Auf der Straße drehte sich nun ein ganz anderer Typ Mann nach ihr um, Studenten vom Land, Öko-Typen, und Caro fühlte sich, als müsste sie ein Faschingskostüm einen ganzen Sommer lang tragen. Sie hatte jetzt muskulöse Oberarme statt der zarten Gliedmaßen, die früher nur dazu dienten, eine Zigarette zu halten und in die Tastatur ihres Macs zu klopfen. Ihre Waden waren stark und sehnig, und ihre Körperhaltung aufrecht. Es kam ihr sogar vor, als hätte ihre Sehkraft zugenommen, im Supermarkt fand sie Produkte nun doppelt so schnell.

Caro hatte noch eine Viertelstunde Zeit, also ging sie in den nächsten Klamottenladen und kaufte sich ein frisches Oberteil. In der Toilette eines Schnellrestaurants wusch sie sich den Schweiß vom Körper und wechselte das Leibchen. Sie trug neues Deo auf und zog den Kajal nach, der sie mondäner und unerschrockener aussehen ließ, wie Caro hoffte. Um Punkt 10 stand sie vor dem gemieteten Büro, in dem das Management der HÜMANIA-Filiale Wien untergebracht war, solange der Markt im Süden der Stadt noch nicht fertiggestellt war. Sie öffnete die Glastür und sah sich einer Sekretärin hinter einem schmalen Rezeptionstisch gegenüber. Caro baute sich artig vor ihr auf, stellte sich vor und erklärte, dass sie der 10-Uhr-Termin war. Die hübsche Empfangsdame, die etwas älter als Caro und atemberaubend perfekt gestylt war, nickte freundlich.

»Ich werde Quintus Danesita gleich Bescheid geben!«

Quintus Danesita. Caro hörte den Namen zum ersten Mal, und er trug dazu bei, dass sie sofort um ein ganzes Stück nervöser wurde. Der Name klang nach einem Südamerikaner. O Gott, vielleicht musste sie das Vorstellungsgespräch auf Englisch führen? Oder auf Spanisch! Caro begann wieder zu schwitzen. Sie sprach gut englisch, hatte Präsentationen auf Englisch gehalten und amerikanische Kunden durch Wien geführt, aber ein Vorstellungsgespräch war etwas anderes …

Die Sekretärin hatte Danesita inzwischen an der Leitung.

»Carolin Novara ist hier. Ja, Texterin … Äh, einen Moment … Bei BSC Donau, der Werbeagentur … Genau. Genau. Ob sie …? Also … ja, ich denke, das wird sie!«

Die Sekretärin kämpfte mit dem Lachen und drehte sich ein Stück von Caro fort.

»Nein, das müssen Sie sie selbst fragen! … Ja, ist gut. Nein, ich habe mir etwas mitgebracht, aber vielleicht morgen Mittag … Genau. Soll ich Frau Novara jetzt reinschicken? In Ordnung. Kaffee? Ok … Etwas dazu? Nein, der ist aus. Der ist aus, und ich glaube, es ist besser, wir kaufen ihn nicht nach. Ok. Ja, vielleicht morgen. Ich schicke sie jetzt rein. In Ordnung.«

Die Empfangsdame legte auf. Sie hatte plötzlich Farbe auf den Wangen und wirkte vergnügt, aber auch verlegen.

Caro fragte zaghaft und betete, die Antwort lautete Ja: »Ist es vielleicht ungünstig heute?«

Die Sekretärin fasste sich wieder und antwortete: »Nein, nein, Sie können schon rein zu ihm! Hier durch und die erste Tür rechts!«

»Ok, dann mache ich mich mal auf den Weg …«

Die Sekretärin nickte und zeigte auf die Tür.

Es waren harte zehn Meter für Caro bis zur Tür von Quintus Danesitas Büro.

Sie sagte zu sich selbst: »Ich kann das. Ich hab mir das verdient. Ich ziehe das durch.«

Sie klopfte an und öffnete die Tür. Es war ein kleines Büro. An der hinteren schmalen Wand befand sich ein großes Fenster, links ein einfacher Schreibtisch. An der rechten Seite des Raums standen Umzugskartons und Ordner. Über dem Schreibtisch hing ein Poster. Es zeigte einen attraktiven Mann in Gärtnerkleidung, der den Rasen mähte und dabei einen kleinen Jungen auf der Schulter trug. Im Hintergrund stand Arm in Arm ein Paar, das die beiden lächelnd beobachtete. Die Überschrift lautete:

»NICHT NUR EIN JOBEINE ZUKUNFT«.

Rechts unten prangte das HÜMANIA-Logo.

Quintus Danesita saß am Schreibtisch und studierte eine Excel-Tabelle auf seinem Monitor. Erst als Caro die Tür hinter sich schloss, registrierte er sie. Sofort sprang er auf und eilte ihr die kurze Strecke entgegen. Er schüttelte ihre Hand und lächelte sie an. Caros erster Gedanke, als sie ihn sah, war: Nicht Südamerikaner.

»Setzen Sie sich hierher, bitte! Tolle Farbe haben Sie, schauen Sie mich an dagegen, schauderhaft.« Danesita nahm Caros Unterlagen zur Hand und blätterte sie durch. »So … Novara – darf ich fragen, woher der Name kommt?«

»Es ist eigentlich ein italienischer Name. Aber meine Familie stammt aus einem Wiener Arbeiterbezirk. Das geht einige Generationen zurück.«

»Die Novara war auch ein Schiff, nicht wahr?«

»Ja, es war das Schiff, mit dem die erste österreichische Weltumseglung stattfand.«

»Interessant …«

Danesita lächelte vor sich hin, während er weiter ihre Unterlagen studierte. »Ihre Textproben sind ja alle sehr gut, und Ihre Bewerbung ist lustig, bloß muss ich Ihnen ehrlich sagen, die Aufgaben, die wir hier an Sie stellen, sind anders geartet als … was Sie bisher so getan haben. Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir ein kleines Spiel machen?«

Caro hatte eine Frage wie diese kommen sehen und wand sich innerlich vor Widerwillen. »Aber nein, gerne!«

»Gut. Seien Sie so freundlich und beschreiben Sie mich! Und bitte seien Sie so ehrlich wie möglich!«

Caro wusste nicht, worauf das hinauslief, hoffte aber, er erwartete nicht, dass sie ihm schmeichelte. »Okay … Sie sind ein Mann – würden Sie bitte aufstehen – von etwa 1,80 Meter Größe. Sie sind schlank, aber ich glaube, Sie haben vorne ein bisschen … Bauch. Das sieht man auch, weil sie ein etwas zu enges T-Shirt tragen. Es ist ein Fan-Shirt der Gruppe Rammstein. Darüber tragen Sie ein schwarzes Sakko, das teuer war, inzwischen aber etwas abgetragen aussieht. Sie haben die Ärmel drei- oder viermal hochgeschlagen, was heute eigentlich kaum noch wer macht. Sie tragen silberne Turnschuhe mit Klettverschluss, die um die 150 Euro kosten, und schwarze Jeans. Und Sie haben heute Morgen vergessen, diese Rad-Klammern abzunehmen, damit die Hose nicht in die Speichen gerät, oder Sie mögen es eben so. Sie haben ein schmales Gesicht mit heller Haut und wenig Bartwuchs. Ich schätze Sie auf Mitte vierzig. Ihre Haare sind blond und schütter und könnten mehr Pflege vertragen. Ihre Augen sind sehr, sehr blau. Sie haben leichte Akne-Narben, aber sie … stehen Ihnen gewissermaßen, geben Ihnen Profil. Ihre Hände und Handgelenke sind schmal, beinahe zierlich, Ihre Fingernägel kurz und gepflegt, vielleicht spielen Sie ein Instrument? Sie haben keinen österreichischen Akzent, aber auch keinen eindeutig deutschen, entweder Sie haben ihn schon oft gewechselt oder Sie stellen sich auf Ihren Gesprächspartner ein, jedenfalls fällt es mir schwer zu sagen, woher Sie ursprünglich kommen. Sie tragen einen Ehering. Sie geben sich mir gegenüber freundlich, aber flirten nicht mit mir; wenn ich an das Gespräch mit Ihrer Sekretärin denke, vermute ich jedoch, das wird sich noch einstellen. Sie legen nicht viel Wert auf Statussymbole, den Flur hinunter ist fast jedes Büro größer als Ihres. Sie glauben an Ihre Firma, sonst hätten Sie das Poster nicht aufgehängt. Ich glaube, das war’s.«

Danesita wog respektvoll den Kopf. »Das war richtig gut. Wirklich, nicht schlecht. Abgesehen davon, dass das kein Ehering, sondern ein Clubring ist, ich nicht mit meiner Sekretärin flirte, sondern bloß herumalbere, ich nur in diesem Zimmer sitze, solange mein richtiges, großes Zimmer verkabelt wird, die Schuhe nur 45 Euro gekostet haben und ich keine Akne-Narben, sondern einfach nur eine etwas gröbere Hautstruktur an den Wangen habe. Und ich habe keine Ahnung, wer das Poster aufgehängt hat, es ist nicht so besonders.«

»Oh.«

»Aber sonst … Wollen wir noch weitermachen?«

»Wenn Sie meinen, das bringt etwas …«

»Überlegen Sie sich Folgendes – was würden Sie an mir ändern, um meine Attraktivität zu erhöhen?«

»Was ich ändern würde?«

»Genau. Sie können mich natürlich nicht größer machen als ich bin, aber sonst ist alles erlaubt. Outfit, Styling …«

Caro überlegte. »Ich glaube, ich würde nur eine einzige Sache ändern.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des kleinen Bürozimmers und ein Mann trat ein. Er unterhält sich mit sich selbst auf Englisch, war Caros erster kindischer Gedanke, aber natürlich sprach er in ein winziges Headset in seinem linken Ohr. Er war ein Hüne, zwei Meter groß, vielleicht sogar ein paar Fingerbreit darüber. Caro schätzte ihn auf Ende vierzig. Er trug einen schwarzen Anzug und zog einen kleinen silbernen Business-Trolley hinter sich her. Wenn sie auch ihn beschreiben müsste, täte sie sich schwerer als bei Danesita, denn dieser Mann war flawless, jedenfalls war dies das Wort, das ihr zuerst in den Sinn kam. Vielleicht nicht im Sinne von makellos, sondern eher in der Bedeutung von aus einem Guss. Er war der klassische Business-Mann, von den schimmernden Schuhen bis zum schwarzen Scheitel, hundert Prozent Ökonomie, Industrie, Synergie.

Erst als der Mann seinen Rollkoffer an der Wand abgestellt hatte, bemerkte er, dass Danesita in einer Besprechung war. Er beendete das Telefonat und nahm Caro in Augenschein. Es war ein kurzes konzentriertes sexuelles Taxieren, nichts anderes, und sobald es vorbei war, beugte sich der Mann zu Caro herunter und reichte ihr seine riesenhafte Hand.

»Ich bin Stefan Helby, und Sie müssen für die Position der Presseleitung hier sein?«

Danesita warf ein: »Nein, nein, Stefan, Carolin Novara spricht für die Position der Texterin vor.«

»Na, wofür wollen Sie denn jetzt vorsprechen?«, fragte Helby süffisant, als hätte sich Caro schon in Widersprüche verstrickt.

»Texterin«, sagte Caro, »ich texte.«

»Und das ist wichtig«, sagte Helby, nun wieder völlig ernsthaft. »Die Worte entscheiden darüber, was wir sind. Das erfahre ich jeden Tag, wenn ich da draußen unterwegs bin und unser Anliegen verbreite. Habe ich euch bei etwas gestört?«

»Carolin wollte eben ausführen, was ich an mir ändern sollte«, sagte Danesita.

»Oh, das höre ich mir an«, gab Helby lächelnd zurück und lehnte sich mit verschränkten Armen an den Türrahmen.

»Ihre Sprache«, sagte Caro. Sie hatte in etwa eine Ahnung davon, was sie sagen wollte, aber die Gegenwart Helbys machte sie unruhig. Danesita schien die Gegenwart des anderen allerdings fast noch mehr zu irritieren.

»Sie meinen den Akzent.«

»Ja. Wissen Sie, der Rest, das wäre sinnlos. Wenn ich Sie in einen Designeranzug stecke, krempeln Sie die Ärmel rauf oder vergessen die Radklammern an den Stulpen. Ihr Outfit erzählt etwas über Sie: Sie sind schlank und radeln gerne, aber Sie haben einen kleinen Rettungsring, das heißt, Sie sind kein Fanatiker. Ihre Frisur ist nicht so optimal, aber das lässt immerhin den Schluss zu, dass Ihnen andere Dinge mehr bedeuten, Musik zum Beispiel. Rammstein bringt Sie in eine seltsame Ecke, aber es weckt Interesse, viel mehr als ein Beatles-Shirt oder so. Die Schuhe, was auch immer sie kosten, sind peinlich, zeigen aber, dass Sie eben tragen, was Ihnen gefällt. Ihre Akne-Narben, also diese Poren, erinnern daran, dass Sie mal ein Junge waren, jetzt aber erwachsen sind. Und das Allerwichtigste: Ihr Name ist klasse. Aber – und jetzt komme ich zu meiner Änderung – Ihre Sprache, da müsste man was machen. Es ist ein wenig unheimlich, wenn jemand mit verschiedenen Zungen spricht. Ich würde mich auf ein dezentes Business-Bairisch einpendeln.«

»Business-Bairisch?«, fragte Danesita nach.

Helby lachte auf. Dann sagte er in seiner tiefen, schnarrenden Stimme: »Das würde ich versuchen, Quintus!«

»Ich glaube, ich gehe jetzt besser, ich bin nicht so gut in solchen Spielen …«

»Das war nicht übel«, sagte Helby und legte Caro eine seiner Pranken auf die Schulter. »Wir melden uns, in Ordnung?«

»In Ordnung«, sagte Caro, »bye bye!«

Caro verließ Danesitas Büro, ohne sich noch mal umzudrehen. Sie rauschte an der Sekretärin vorbei, lief die Treppen hinunter, aus dem Gebäude hinaus und die Straße entlang Richtung Donaukanal. Sie zündete sich eine Zigarette an und begann unverzüglich, sich selbst ein paar unbequeme Wahrheiten an den Kopf zu werfen: Nie wieder würde sie in einem kreativen Beruf arbeiten können, sie war hirnlahm und verstockt, und das war wohl auch der wahre Grund, weswegen Roman sie verlassen hatte. Die einzige Leistung in ihrem Leben bestand darin, dass sie so viele Menschen so lange darüber hinwegtäuschen konnte, wie dämlich sie war, und sie würde als Klofrau an einer Autobahntankstelle enden. Als sie am Ufer des Kanals angekommen war, setzte sie sich in eine Bar am Wasser und bestellte sich Wein. Als sie den dritten intus hatte und schon so weit war, dass ihr Tränen in die Augen stiegen, wenn eine Ente vorbeischwomm, läutete ihr Handy. Die Sekretärin von Quintus Danesita teilte ihr mit, dass sie nächsten Monat in ihrem neuen Job beginnen könne. Caro bedankte sich heiser und legte auf. Nach einigen Momenten völliger emotionaler Leere schoss ihr die reinste Euphorie in die Venen. Dann aber wurde ihr schlagartig etwas bewusst und ihre Stimmung sank wieder: Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was sie in ihrem neuen Job würde tun müssen.

2

DIE FEIERLICHE ERÖFFNUNG VON HÜMANIA Wien fand am ersten Samstag im September statt. Es herrschte strahlender Sonnenschein und keine Wolke erlaubte es sich, den Himmel zu beflecken. In einem landesweit zu empfangenden Radiosender wurde von 6 bis 9 Uhr morgens über die Eröffnung berichtet. Kunden der deutschen Filialen erzählten dem Moderator von ihrem HÜMANIA-Erlebnis, und wie sich ihr Leben nach dem Kauf verändert hatte. Es fielen auch kritische Worte, aber insgesamt verbreitete die Sendung Vorfreude und Spannung, wie man sie auch an vielen Orten in der Stadt spüren konnte. In der Shopping City, die in unmittelbarer Nähe des neuen Markts lag, wurden Getränke-Gutscheine, Baseball-Caps und Luftballons verteilt, durch die Wiener Einkaufsstraßen war eine Flotte von Geländewagen im HÜMANIA-Design unterwegs, und auf einer großen Wiener Ausfahrtsstraße waren ausnahmslos alle Plakatstellen von HÜMANIA gebucht worden und zeigten das spezielle Angebot, das kein anderer hatte, samt seinen vielen verschiedenen Gesichtern … In den Biergärten, Pubs und Wirtshäusern hatte man Bildschirme aufgestellt, um die Bilder der Eröffnung zu zeigen, von einer privaten Fernsehstation übertragen. Als Höhepunkt würde ein Live-Konzert stattfinden, bei dem namhafte nationale Künstler auftreten sollten. Alle Einnahmen aus den Fernsehrechten gingen an eine Organisation, die Spenden für Hochwasser-Opfer in Asien sammelte. Noch bevor der Markt in Wien eröffnete, zeigte HÜMANIA so, welch hohen Stellenwert soziale Verantwortung und karitatives Engagement für das Unternehmen hatten.

Familie Leitner saß um 8 Uhr in ihrem Haus beim Frühstück. Die Eltern Bernd und Angela aßen schweigend ihr Müsli und lauschten dem Interview mit einem Verbraucherschützer im Radio, der erklärte, wie die Transaktionen bei HÜMANIA abliefen und worauf man als Konsument zu achten hatte. Ihr Sohn Patrick schnitt währenddessen mit der Schere den Treuepunkt aus einer Schachtel Cornflakes und steckte ihn in ein Kuvert. Bernd wollte kein Wort des Gesprächs verpassen, trug er sich doch selbst mit dem Gedanken, heute oder irgendwann in den nächsten Tagen, wenn weniger los war, in dem neuen Markt einen Kauf zu tätigen. Bernd und Angela waren seit 15 Jahren verheiratet. Patrick war gerade 9 geworden. Nach seiner Geburt wollten Bernd und Angela eigentlich kein Kind mehr bekommen, aber vor zwei Jahren hatten sie doch wieder angefangen, es mit dem Verhüten nicht mehr so genau zu nehmen, und so rutschte die kleine Evi irgendwie durch und kam im Juli des Vorjahres zur Welt. Jetzt warteten sie darauf, dass sie ihre ersten Schritte machte, und auch Angela wollte wieder mobil werden. Ihr alter Job würde nicht ewig warten. Eine Nanny wäre die Lösung … Der Hauptgrund, warum sie heute zur Eröffnung des neuen Markts fahren wollten, war aber die Neugier wegen dem riesigen Trara, mit dem das alles angekündigt worden war.

Um halb 9 läutete Angelas Mutter an, um die Kleine für den Tag zu sich zu holen. Bernd, Angela und Patrick starteten los und schon zwanzig Minuten später standen sie im Stau. Alle Zufahrtsstraßen rund um die Shopping City waren verstopft; Straßen, die auf den Ansturm Kaufwütiger an den Wochenenden vor Weihnachten ausgerichtet waren, kollabierten. Patrick legte sich auf die Rückbank und starrte an die Decke. Er wusste nicht, was so toll an diesem neuen Geschäft sein sollte. Offenbar gab es nämlich überhaupt keine Sachen dort! In der Schule hatten sie über den neuen Markt gesprochen, und seine Lehrerin hatte so gewirkt, als dürfte sie nicht sagen, was sie wirklich davon hielt. Sie schaute immer wieder aus dem Fenster und seufzte und sagte, der Geschichtsunterricht wisse die Antwort. Patrick kannte die Werbung aus dem Fernsehen, da sah man Menschen, die sich in ihrem Haus mit anderen Menschen unterhielten, die gar nicht da waren, und dann kam der Mann aus dieser Millionenquizsendung im Fernsehen und sagte, jetzt könne man die Lücke in seinem Leben schließen, oder irgendsowas. Auch nicht gerade aufregend. Patricks Freund Lukas sagte, sein Vater finde, dieser neue Markt sei eine einzige »Tittenparade« und »Fleischbeschau«. Patrick wollte wissen, was er damit meinte, aber weil keiner nachfragte, nickte er auch nur und spuckte auf den Schulhof. Wenigstens gab es ein Kinderkino dort, auch wenn Patrick die Erfahrung gemacht hatte, dass die Sachen, bei denen »Kinder« am Anfang stand, meistens nur ganz »nett« waren.

Es dauerte volle 40 Minuten, bis sich die Leitners bis zur Einfahrt des HÜMANIA-Markts gestaut hatten. Das Erste, was Bernd sagte, als sie vor dem Gelände standen, war: »Brutaler Zaun!« Und tatsächlich war die Umzäumung, die das Grundstück umgab, von beeindruckender Höhe, und die eisernen Streben endeten in lanzenartigen Spitzen. Angela dachte sofort an den Sohn von Romy Schneider, der von einem Zaun aufgespießt worden war, sie dachte immer an ihn, wenn sie einen gefährlich aussehenden Zaun sah. Der Albtraum einer Mutter, gut, einer von Hunderten Albträumen, die eine Mutter mitunter heimsuchen, aber der Schneider-Junge war so besonders hübsch gewesen, ein Sensibelchen wie die Mutter, und dann so ein Tod … Angela war nicht ängstlich, aber je älter man wurde, desto mehr Dinge gab es, die einen an schlimme Ereignisse oder den Tod erinnerten. Wenn ein Hund in ihrer Nähe bellte, dachte sie an die Mutter ihres Mannes, der ein Bernhardiner ins Gesicht gebissen hatte, wenn gegrillt wurde, fiel ihr ein, wie die Tochter ihrer Schwester brennenden Spiritus abbekommen und schlimme Verbrennungen erlitten hatte, wenn sie einen Swimmingpool mit Kindern sah, erinnerte sie sich an den Sohn von Ursula Karven, der unbeaufsichtigt gewesen und ertrunken war. Nein wirklich, sie brauchten eine gute Nanny!

Der Security-Mann am Tor winkte sie herein und wies ihnen, sich Richtung Parkplatz 1 zu halten, der den rechten äußeren Bereich des Geländes einnahm. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits fast völlig zugeparkt und Bernd folgt den Anweisungen von etwa acht verschiedenen Parkwächtern, die ihn zu einem der letzten freien Plätze lotsten. Schon auf diesen hundert Metern konnten die Leitners einen Großteil des Geländes einsehen: Direkt gegenüber der Einfahrt war eine Bühne aufgebaut worden, die ab Mittag bespielt werden würde. Sie war etwa 15 Meter breit und auf der Rückfläche mit den Logos des Veranstalters, der Fernsehstation und von Gastronomie-Partnern versehen. Vor der Bühne war ein Platz von etwa 50 mal 30 Meter, auf dem sich später das Publikum mit Bier, Merchandising-Artikeln und Papiertüten mit Katalogen und Stickern in der Hand in Aufstellung bringen würde. Aber hinter der Bühne, da begann das eigentliche Wunderland. Ein sternförmiger Gebäudekomplex, dessen Glasfronten in der Sonne glänzten und der in seiner noch unberührten Funktionalität das Verlangen weckte, ihn zu betreten und zu erforschen und zu benutzen.

Das Zentrum der Anlage war ein zweistöckiger Turm. Rolltreppen führten von vier Seiten des Geländes zu seiner oberen Ebene. Sechs gläserne Korridore verbanden ihn mit sechs Gebäuden, die gleichmäßig um den Turm herum angeordnet waren. Es waren schlichte würfelförmige Häuser, die mehr nach Bürogebäuden als nach Verkaufsflächen aussahen, aber der Eindruck verschwand, wenn man sie von innen sah. Auf der hinteren Seite des Sterns befand sich ein längliches Gebäude, das, von oben betrachtet, wie die Spiegelung der Bühne auf der Vorderseite des Geländes aussehen musste. Hinter diesem Trakt mochten sich noch weitere Gebäude befinden, aber vom Parkplatz aus konnte man nicht weiter sehen.

Die Leitners parkten ihren Wagen und stiegen aus. Bernd konnte sofort die Aufregung spüren, die über dem Platz lag. Während er noch überlegte, wo diese Spannung eigentlich herrührte, bemerkte er, dass sie tatsächlich in der Luft lag: Lautsprecher auf den Parkplätzen übertrugen Musik, die an ein Computerspiel oder einen Actionfilm erinnerte. Er und alle anderen am Gelände begriffen intuitiv, dass der spannendste Teil der Geschichte kurz bevor stand. Von allen Seiten des Geländes strebten Menschen auf den zentralen Turm zu und begannen, vor den Rolltreppen Reihen zu bilden. Angela musste an einen Film denken, den sie neulich spätabends gesehen hatte. Es war eine Dokumentation über die Eröffnung eines neuen Riesendiscounters gewesen, den es jedoch gar nicht gab. Es gab nur eine Werbekampagne, und als die Menschen kamen, um den fantastischen neuen Markt zu besuchen, war da nichts als eine Fassade auf einem Acker. Manche Leute lachten, andere wurden fuchsteufelswild, wieder andere waren einfach nur enttäuscht. Angela hoffte, dass es hier anders sein würde. Werbung und Berichterstattung hatten ihr suggeriert, dass HÜMANIA etwas Einmaliges war, und sie war bereit, eine völlig neue Erfahrung zu machen, an einer innovativen Idee teilzuhaben. Bernd dagegen suchte schon nach Schwachstellen. Ihm war sofort aufgefallen, dass die Lenkung der Massen zu den vier Rolltreppen zu Wartezeiten führen musste, im schlimmsten Fall vielleicht sogar zu Rempeleien oder Stürzen. Er sagte, an niemand bestimmten gerichtet: »Man müsste das Stiegenhaus öffnen!«, und schüttelte den Kopf. Dennoch stellten sich die Leitners in der Schlange vor einer Rolltreppe an. Noch war sie durch eine Kette versperrt, und auch am oberen Ende der Treppe waren die Türen geschlossen. Bernd entdeckte eine der in den HÜMANIA-Farben türkis-gelb gekleideten Hostessen, die zu Dutzenden herumliefen, um Fragen der Kunden zu beantworten und sie auf die richtigen Wege zu lenken. Bernd fragte die junge Frau, wann es denn losgehen werde. Sie wirkte selbst nervös und erklärte ihm, dass es höchstens noch zehn Minuten dauern dürfte und er nur darauf achten müsse, wann die Musik aufhört. Dann fragte sie Bernd und Angela, ob sie den Markt selbst erkunden oder sich einer Gruppenführung anschließen wollten. Die zwei tauschten Blicke, dann entschieden sie sich für die Führung. Die Hostess gab ihnen drei rosa Armbänder, auf denen der Name »Lars« stand, und sagte: »Er ist der Beste, mit Abstand!«

Einige Meter weiter hinten in der Reihe hatten die Wartenden soeben Besuch von einem Kamerateam des Fernsehsenders bekommen. Ein Moderator, den Angela nur allzu gut vom Frühstücksfernsehen kannte, interviewte eine junge Familie. In manchen Momenten hatte sie gewisse Fantasien von sich und dem Mann mit der angenehmen Stimme gehabt, und sie wusste, sie würde vor Verlegenheit sterben, wenn er jetzt zu ihnen käme und sie mit seinem Mikrofon konfrontierte. Angela hatte aber Glück, denn in diesem Moment wurde es still auf dem Parkplatz. Die Musik hatte aufgehört zu spielen. Ein Raunen ging durch die Menge, dann begannen Leute zu pfeifen und zu johlen, einige klatschten. Die Familien und Pärchen berührten einander unwillkürlich und flüsterten sich zu, dass es jetzt losginge. Patrick wurde unruhig und trat Angela auf die Füße, als er sich zwischen seine Eltern quetschte, um zu sehen, ob die Leute vor ihm endlich in Bewegung kämen. Eine weitere Minute verging, in der nichts geschah. Dann setzten sich die vier Rolltreppen ruckartig in Bewegung. Von allen Seiten des Geländes stieg Applaus auf und wurde von den Menschen in Richtung Mitte getragen, zum Turm, der sich endlich öffnen sollte. In der oberen Ebene gingen die Schiebetüren auf; Hostessen traten heraus, genauso aufgeregt wie die Leute unten, und winkten herunter. Zuletzt traten vier männliche HÜMANIA-Angestellte an die Absperrung der Rolltreppen und lösten sie auf ein Kommando hin. Der Weg ins Allerheiligste war frei. Die Menschen in vorderster Reihe nahmen die Stufen in großen Schritten, denn jeder wollte als Erster das Gebäude betreten.

Als es losging, sorgte Bernd dafür, dass seine Frau und sein Sohn vor ihm waren, damit er die Leute, die von hinten drängten, mit dem Rücken aufhalten und so seine Familie schützen konnte. Dennoch wurden sie alle mit großer Wucht nach vorne geschoben und konnten auch auf der Rolltreppe nicht stehen bleiben. Sie mussten die Stiegen hochrennen, um nicht von den hinten Nachdrückenden überrannt zu werden. Bernd fluchte und drohte zwei hinter ihm laufenden Männern an, ihnen die Nasen zu brechen, wenn sie nicht Abstand hielten, aber natürlich wurden auch sie von hinten gestoßen. Als sie das Ende der Rolltreppe erreicht hatten und die Schiebetüren passierten, öffnete sich vor ihnen der »Gastro-Ring« von Turmebene 1, der großzügig dimensioniert war und genug Raum bot, sodass der Druck der Hereinstürmenden sofort nachließ, und die Leitners schon nach wenigen Schritten weg vom Eingang Platz fanden, um durchzuatmen. Der Gastro-Ring zog sich in einer Breite von fast zehn Metern um die gesamte obere Ebene des Turms herum. Die Leitners standen zwischen einem Restaurant namens »Schnitzelpalast« und einer vor Sauberkeit blitzenden »Planet Coffee«-Filiale. Heute, an diesem strahlenden Septembertag, erschien es den Leitners, als wäre dies die schönste Fressmeile, die sie je besucht hatten. Der gesamte Gastro-Ring war nach außen und oben hin verglast, sodass eine helle und luftige Atmosphäre herrschte, die Materialien der Böden, Wandpaneele und Armaturen wirkten wertig und solide, und die Geräuschkulisse war trotz der Hektik der neu Ankommenden angenehm. Bernd wollte eben vorschlagen, mal eine Runde zu drehen, als ein HÜMANIA-Guide an ihnen vorbeiging, der ein Schild mit der Aufschrift »Lars« trug. Er war Mitte zwanzig und an beiden Armen und am Hals tätowiert. Die Leitners zeigten ihm ihre Armbänder, und Lars deutete ihnen, sich der Gruppe anzuschließen, die ihm folgte. Nach einer Viertelrunde um den Ring blieben sie an einer relativ ruhigen Ecke stehen und Lars begann vor den etwa 20 Leute seiner Gruppe mit der Einführung: »Herzlich willkommen in der größten und schönsten HÜMANIA-Filiale Europas! Mein Name ist Lars und ich komme aus Berlin in Deutschland. Wenn Sie sich jetzt fragen, Gott, wo ist der nicht tätowiert, dann sollten Sie mal meinen Vater sehen! Übrigens, er arbeitet im Kinderkino an der Popcornmaschine, grüßen Sie ihn von mir!«

Patrick musste lachen, weil er sich einen alten Mann vorstellte, der mit bunt gescheckten Händen und Armen in einer Popcornwanne umrührte.

»Dies hier ist die fünfte HÜMANIA-Filiale, und da dieses Unternehmen vor fünf Jahren gegründet wurde, können Sie sich bestimmt ausrechnen, dass wir tatsächlich jedes Jahr einen neuen Stützpunkt eröffnet haben. Die Chancen stehen also ganz gut, dass in ein paar Jahren auch in Berlin ein Markt aufmacht, dann können Paps und ich nachhause zurück, und Mutti wird uns ordentlich den Kopf waschen.«

Jetzt lachte auch Bernd. Angela schüttelte den Kopf über Lars’ Bemerkung, aber sie amüsierte sich genauso.

»Ich frage jetzt mal so in die Runde, wer schon einen HÜMANIA-Markt besucht hat.«

Drei Leute in der Gruppe zeigten auf.

»Wo waren Sie? München? Ah ja. Da werden Sie mir sicher recht geben, dass dieses Raumschiff hier München ein bisschen alt aussehen lässt, oder?«

Die Leute stimmten Lars zu.

Patrick betrachtete Lars’ Hals. Ein Tier mit Flügeln schien aus seinem Hemdkragen hervorzukriechen. Der Junge glaubte, es war eine Libelle. Er hätte es toll gefunden, mit Lars befreundet zu sein, nicht nur weil sein Vater die Popcornmaschine bediente.

»Bevor wir eine Runde am Gastro-Boulevard drehen und ich Ihnen verrate, wo Sie den besten Kaffee bekommen und auf welchen Klos am wenigsten los ist, erzähle ich Ihnen, was es mit all dem hier auf sich hat. Ich fange mal mit der schlechten Nachricht an: Sie werden hier eine ganze Menge Geld loswerden. Mal ehrlich, billig ist anders. Dafür gehen Sie hier mit etwas nachhause, das Ihr Leben verändert. Und das ist mein Ernst. Ich weiß, wenn ich vor Ihrer Tür stehe, um Ihre Tochter zum Kino abzuholen, würden Sie ihr so ein kleines fieses Gewürzspray ins Handtäschchen packen … Aber in dieser Angelegenheit dürfen Sie mir vertrauen: Wir. Verändern. Ihr. Leben. Wie machen wir das? Indem wir Ihnen etwas anbieten, das Sie nirgendwo sonst finden werden: Sofort verfügbare und verlässliche Arbeitskraft, die Ihnen und nur Ihnen zur Verfügung steht – für einen unbegrenzten Zeitraum! Klingt langweilig? Dann warten Sie mal … Ich werde Ihnen heute einige der strammsten Kerle zeigen, die Sie außerhalb eines Jungbauern-Kalenders je gesehen haben – und Sie können sie sofort nachhause oder zu Ihrem Projekt mitnehmen! Und wenn Sie jemanden mit besonderen Fähigkeiten suchen – mein Wort darauf, wir haben ihn oder sie hier. Aber das ist noch nicht mal das Beste … Wissen Sie, die Werbung sagt uns ja andauernd, was uns alles fehlt, vom Gürtel, der unseren Hintern trainiert, während wir vorm Fernseher sitzen und Chips essen, bis zum Raumspray, das automatisch zischt, wenn wir einen … na Sie wissen schon. Meine bescheidene Lebenserfahrung sagt mir aber, wirklich fehlen können einem nur drei Dinge:

Geld. Gesundheit. Und Gesellschaft. Also, Geld können wir Ihnen keines anbieten, wie ich schon angedeutet habe, werden Sie eher welches bei uns lassen. Gesundheit haben wir leider auch nicht im Sortiment, aber beim letzten Punkt, da sind wir die Richtigen. Wenn Sie Gesellschaft suchen, einen Freund, einen Partner, einen Haushaltsmanager, jemanden, mit dem Sie den Alltag gemeinsam bewältigen, der Sie unterstützt, dessen Anwesenheit Sie beruhigt oder beflügelt, dann bin ich sicher, dass Sie so jemanden hier finden werden. Das werden Ihnen über fünfzehntausend Kunden, die wir bisher zufriedenstellen konnten, gerne bestätigen!«

Die Gruppe applaudierte. Sie mochten Lars.

Und er setzte nach: »Danke schön. Im Übrigen ist das hier natürlich keine Verkaufsshow, sondern eine rein informative Führung. Sie müssen heute nichts kaufen und ich würde Ihnen sogar beinahe davon abraten. Lernen Sie erst mal alles kennen, nehmen Sie Ihre Eindrücke mit ins Bettchen, kommen Sie wieder, grooven Sie sich auf uns ein. Sollten Sie aber heute etwas sehen, was Sie unbedingt und sofort mit nachhause nehmen wollen, dann wenden Sie sich bitte gleich an mich, und ich werde wie ein Löwe dafür kämpfen, dass Ihr Wunsch in Erfüllung geht.«

Erneut belohnten die Kunden Lars mit Applaus.

»Jetzt kommt ein wichtiger Teil: die Orientierung im Haus. Wir befinden uns hier am sogenannten Gastro-Ring. Wenn Sie der kleine oder große Hunger zwickt, können Sie zwischen sechs verschiedenen Restaurants und mehreren Imbiss-Ständen auswählen. Heute ist das Frittierfett noch frisch, also schlagen Sie zu. O Gott, ich mache mir Probleme … Vom Gastro-Ring führen vier Rolltreppen hinunter zum Parkplatz und sechs Korridore zu den Ausstellungshäusern. Welche das sind, erzähle ich Ihnen gleich. Wie Sie aber sehen, führen auch Türen vom Gastro-Ring ins Innere dieser Ebene. Dort befindet sich die Informations- und Bestellzone. Sie können nämlich auf zweierlei Arten bei uns shoppen: Entweder Sie streifen durch unsere Ausstellungsräume, so wie wir es gleich machen werden, und schauen, ob etwas da ist, das Ihnen gefällt, oder Sie peilen gleich die Bestellzone an und beschreiben einem unserer freundlichen Servicemitarbeiter, was Sie suchen. Kurz vor sechs am Abend wird sich das mit der Freundlichkeit wahrscheinlich erledigt haben, also kommen Sie früh und blicken Sie in sonnige Gesichter. Schauen Sie, da kommt Cindy mit ihrer Gruppe vorbei, sagen Sie mal ›Hallo Cindy!‹«

Die Leitners und alle anderen riefen: »Hallo Cindy!«

Cindy, die locker 95 Kilo auf die Waage brachte und ihre Uniform faltenfrei ausfüllte, blieb kurz stehen und lobte Lars dafür, wie toll er seine Leute erzogen hatte. Lars erwiderte, das sei ganz einfach gewesen, in Wien kapierten sie alles doppelt so schnell wie in München. Die Vorstellung gefiel allen, und Cindy und ihre Gruppe zogen weiter.

»Also gut«, sagte Lars, »sprechen wir von den sechs Ausstellungshäusern. Da wäre mal der Bereich …«

Eine Stimme vom hinteren Ende der Gruppe unterbrach Lars: »Tschuldigung, aber ich hab das noch nicht so richtig begriffen …« Es war ein etwa neunzehnjähriger Junge in engen Jeans und einem zerschlissenen Cord-Sakko. Riesenhafte Kopfhörer hingen um seinen Hals, und seine schwarzen Haare glänzten fettig im Licht dieses großen Freudentages.

»Was denn?«, fragte Lars ruhig.

»Was kaufe ich denn hier eigentlich? Menschen?« Er sah in die Runde, ob sich nicht noch jemand diese Frage gestellt hatte, aber seine Gruppenkollegen fanden den Einwurf bloß störend. Darüber hatte man doch schon so viel lesen können, und der Konsumentenschützer hatte doch gerade erst am Vormittag im Radio davon gesprochen.

Lars sagte ohne Aufregung: »Wenn Sie einen Job bekommen und angestellt werden, kauft Ihr Arbeitgeber Sie dann? Nein, das tut er nicht. Genauso wenig kaufen Sie hier jemanden. Was Sie hier erwerben ist Zeit, Fähigkeit und Persönlichkeit. Das ist es, was Sie bekommen, und wenn Sie darüber nachdenken, werden Sie sehen, dass man nichts Wertvolleres für sein Geld kriegen kann.«

Den anderen Gruppenmitgliedern erschien das plausibel und sie hofften, damit hätte der junge Mann genug. Patrick aber fand, dass man dem Kerl mit den Kopfhörern gar keine wirkliche Antwort gegeben hatte, so wenig wie seine Lehrerin wirklich gesagt hatte, was sie über diese Sache hier dachte. Er selbst hatte sich noch keine Meinung bilden können, hoffte aber, dass er bald wissen würde, was eine Fleischbeschau und Tittenparade war. Vor allem aber wollte er den tätowierten Popcornverkäufer im Kinderkino sehen.

Lars änderte seinen Plan: »Wissen Sie was, sehen wir uns einfach mal das erste Ausstellungshaus an, dann wird alles viel klarer! Fangen wir gleich bei Nummer 1 an, das ist der Bereich ›Work‹, oder, wie ich es nenne, das ›Schweiß- und Schwielenland‹ …«

Lars spazierte in Richtung Korridor 1. Er wusste, dass in jeder Gruppe mindestens ein Störenfried war, aber er hatte gehofft, dass es bei seiner ersten Führung in Wien nicht so sein müsse … Lars hatte das System nicht erfunden, er war auch keiner von den Rechtsanwälten, die festgelegt hatten, in welcher Form man von der »Ware« sprechen durfte, und er gehörte auch nicht zur Kommunikationsabteilung, die die Medien und die Öffentlichkeit mit Informationen versorgte, damit sie das begriffen, was eigentlich unbegreiflich war. Er musste nur für gute Laune sorgen und die Scheu der Leute verschwinden lassen, wenn sie sich einem Kauferlebnis gegenübersahen, wie sie es noch nicht gekannt hatten. Und Lars wusste, dass der entscheidende Augenblick erst kam. Wenn man von HÜMANIA las, einen Bericht im Fernsehen sah, oder das erste Mal den Gastro-Ring hinunterschlenderte, hatte man in Wirklichkeit noch nicht den geringsten Eindruck bekommen, worum es dabei ging. Es war blanke Theorie. Sah man sich aber das erste Mal dem gegenüber, was HÜMANIA verkaufte, löste das eine dermaßen starke Emotion aus, dass alles, was man vorher gehört und gelesen hatte, bedeutungslos wurde. Im Angesicht der »Ware« entschied das Herz allein, ob es dieses System akzeptierte oder nicht. HÜMANIA hatte viel versucht, um diesen Moment abzuschwächen, die Emotionen abzufedern und jenen Leuten, die schockiert reagierten, einen Strohhalm zu reichen, an dem sie sich festhalten konnten, bevor sie in Abscheu versanken. Doch das war ein heikles Unterfangen: Denn genau jener Moment der ersten Begegnung war es, der so vielen den großen Kick bedeutete, an dem der Erfolg des ganzen Unternehmens hing. Gewiss konnte man auch alle Kunden nur im Beratungszentrum betreuen und ganz ohne die Kosten und den Aufwand der Ausstellungsräume auskommen. Doch das hieße, auf die stärksten Emotionen, die je ein Einkaufserlebnis auf der Welt bereitgehalten hatte, zu verzichten. Und wer wäre so dumm, das zu tun?

3

LARS FÜHRTE DIE GRUPPE DURCH DEN gläsernen Korridor zu HAUS 1, denn dies war die ideale Station, um die Anfänger einzuweisen. Schön langsam würde er sie dann bis zu HAUS 5 hinführen. HAUS 6 betrat er nicht, zumindest nicht mit Gruppe. Es erklärte sich auch wirklich von alleine … Lars wusste, was er sagen musste, um die Leute auf das Erlebnis vorzubereiten: »Diejenigen von Ihnen, die das erste Mal einen unserer Ausstellungsräume betreten, werden vielleicht etwas überrascht seien. Die Damen kennen das ja sicher, wenn Sie ein Produkt im Schaufenster anlächelt. Hier wird Ihnen das aber tatsächlich passieren! Lassen Sie sich vom Eindruck der Boxen nicht täuschen: Alle unsere ›Helden‹ – so nennen wir sie übrigens – sind vollkommen freiwillig dabei, sehen ihren Aufenthalt bei uns als große Chance und sind außerhalb der Geschäftszeiten natürlich anderswo untergebracht. Es wird auch jede Stunde getauscht, es ist also niemand länger als 60 Minuten im Window.«