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Wie viel darf ein Leben kosten?
Von Martina Keller

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Interview: „Weniger operieren, mehr reden“

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Wie viel darf ein Leben kosten?

Die Frage klingt empörend. Aber sie stellt sich schon heute täglich, in Arztpraxen und Kliniken überall in Deutschland. Wir werden Antworten darauf finden müssen – wenn Gesundheit nicht zum Privileg für Reiche werden soll

Von Martina Keller

Manchmal wünscht Mani Coulter, sie würde mit ihrem Brustkrebs anderswo leben. Und nicht in England, wo sie fürchten muss, dass ihr eine lebensverlängernde Therapie vorenthalten wird. Aber Coulter ist in Reading zu Hause, einer kleinen Universitätsstadt zwischen London und Oxford. Und sie hat es mit einem Gesundheitssystem zu tun, das neue Therapien einer strengen Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzieht.

Das Brustkrebsmedikament Kadcyla ist vorerst durchgefallen. Umgerechnet mehr als 120.000 Euro kostet die Therapie pro Patientin. So viel Geld wird der Nationale Gesundheitsdienst für ein paar Monate Lebensverlängerung nicht ausgeben. Die 41-jährige Coulter hadert mit der Entscheidung: „Welchen Preis soll man für ein Leben ansetzen?“

Die intuitive Antwort lautet: jeden. Ein Leben, das noch gelebt werden will, muss erhalten werden, koste es, was es wolle. Doch der Blick auf die realen Kosten der Gesundheit, und sei es nur für die Behandlung einer einzigen Patientin, zeigt: So einfach ist die Antwort nicht.

Vor zwölf Jahren wurde bei Coulter Brustkrebs diagnostiziert. Sie entdeckte den Knoten beim Stillen, ihre Tochter Mya war erst drei Monate alt. Die Ärzte beruhigten sie: Bei einer 29-Jährigen sei Brustkrebs äußerst selten. Doch die fünf Zentimeter große Geschwulst in ihrer Brust war bösartig. Sie bekam Zellgifte, die den Tumor schrumpfen ließen, wurde operiert und bestrahlt. Ein Jahr später war der Krebs zurück.

Seitdem weiß Coulter, dass sie unheilbar an einer besonders aggressiven Krebsform leidet. Aber sie kämpft um jeden Tag. Der Grund ist Mya. „Ich bin ein Kontrollfreak“, sagt sie und lacht dabei, „ich denke, niemand könnte den Job als Mutter für sie so gut machen wie ich.“

15 verschiedene Medikamente hat die 41-Jährige bereits eingenommen. Wenn ein Mittel versagt, setzt sie ihre Hoffnung in das nächste. Schwerste Nebenwirkungen nimmt sie in Kauf, obwohl diese sogar Selbstmordgedanken in ihr auslösen.

Und doch hat Coulter Glück im Unglück. Wie zwölf Prozent der britischen Bevölkerung besitzt sie eine private Krankenversicherung, die der Arbeitgeber für sie zahlt. Diese hat den Behandlungsmarathon bislang klaglos finanziert. Der Nationale Gesundheitsdienst, auf den die meisten Briten angewiesen sind, hätte dies in dem Umfang nicht getan. Einige extrem teure Medikamente, die Coulter bekommen hat, sind nicht erstattungsfähig. Dazu gehört seit der jüngsten Bewertung auch Kadcyla. Coulter nimmt das Mittel seit drei Jahren im Rahmen einer klinischen Studie. Nässende, stark riechende Wunden an ihrem Brustkorb hätten sich infolge der Therapie geschlossen, sagt sie. Nun fürchtet sie, wegen ihrer schlechten Leberwerte von der Studie ausgeschlossen zu werden. Was dann?