Albtraumnächte in Asmoda

 

 

 

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Band 23

 

Albtraumnächte in Asmoda

 

von Catalina Corvo und Logan Dee

nach einer Story von Uwe Voehl

 

 

© Zaubermond Verlag 2013

© "Das Haus Zamis – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Lektorat: Dario Vandis

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: Die eBook-Manufaktur

 

http://www.zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

Was bisher geschah:

 

Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.

Auch von anderer Seite droht Asmodi Ungemach. Unzufrieden mit seiner Herrschaft, hat sich ein Geheimbund oppositioneller Dämonen gebildet, dessen Mitglieder maskiert in der Öffentlichkeit auftreten und Asmodi zum Rückzug auffordern. Da der Fürst dies strikt ablehnt, scheint ein offener Krieg unter den Dämonen unausweichlich.

In dieser Situation tötet Cocos Mutter Thekla Zamis unter dem Einfluss Asmodis die Dämonin Traudel Medusa – die nicht nur Michael Zamis' Geliebte war, sondern auch ein hohes Mitglied der Oppositionsdämonen. Die Oppositionellen rufen zum Rachefeldzug … aber mit Cocos Hilfe gelingt es Michael Zamis, seine Unschuld zu beweisen. Dennoch sind die Oppositionellen nicht länger an seiner Unterstützung interessiert. Stattdessen ist es plötzlich Coco, die von ihnen hofiert wird. Als sie dem maskierten Anführer der Oppositionsdämonen bei einem Treffen in Rumänien klarmacht, dass sie kein Interesse an den politischen Intrigen der Dämonen hat, verpasst er ihr ungefragt ein »Permit« – ein magisches Tattoo in Form eines zweiköpfigen Adlers. Einst, wenn die Oppositionellen die Macht in der Schwarzen Familie übernommen hätten, werde ihr dieses Permit Schutz gewähren …

Michael Zamis versucht weiterhin, das Vertrauen der Oppositionsdämonen zurückzugewinnen. Diese legen ihrerseits jedoch auf eine Zusammenarbeit mit ihm keinen besonderen Wert mehr. Um ihn zudem unter Kontrolle zu halten, haben sie Traudel Medusa aus dem Totenreich reaktiviert. Sie setzen eher auf Coco.

Asmodis Trumpf im Ärmel ist Thekla Zamis, die Lebensgefährtin Michaels – doch diese verfällt mehr und mehr der Schwarzen Eminenz, bei dem es sich offensichtlich um den Anführer der Oppositionsdämonen handelt.

Michael Zamis steht also zwischen allen Fronten und wirkt zunehmend unzufriedener. Diese Konstellation führt aber auch innerhalb der Familie Zamis zu Spannungen. Spannungen, die fast zum Bruch führen.

Schließlich lockt die Schwarze Eminenz den Fürsten der Finsternis und seine Getreuen zu Vertragsverhandlungen nach Asmoda, einem heruntergekommenen Dorf an der österreichisch-slowenischen Grenze. Im Schloss der Gräfin Anastasia von Lethian kommt es zur entscheidenden Auseinandersetzung …

 

 

 

 

Erstes Buch: Albtraumnächte in Asmoda

 

 

Albtraumnächte in Asmoda

 

von Logan Dee

nach einer Story von Uwe Voehl

 

Ich, Coco Zamis, Hexe von schwarzem Geblüt, bin eine Verräterin.

Ich habe diejenigen verraten, die mir am nächsten stehen: meinen Bruder Georg, meine Mutter, meinen Vater …

Ich habe meine Familie verraten.

Zugegeben, ich habe keine Schuld daran. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass sie durch mich in Gefahr gerieten.

Meine einzige Hoffnung ist, dass sie mir verzeihen. Verzeihen und vergeben.

Denn ich, Coco Zamis, bin eine Verräterin …

 

 

1.

 

Manchmal sehne ich mich nach einem ganz normalen Menschenleben.

Dann wiederum gibt es Momente, da glaube ich, dass das Leben der Dämonen sich gar nicht zu sehr von dem der Menschen unterscheidet.

Vor allem in Momenten wie diesem: Das Badezimmer war besetzt!

Mal wieder besetzt!

Vor einer halben Stunde hatte meine Mutter es belegt gehabt, davor Georg, mein Bruder. Dazwischen hatte sich irgendwann mein Vater darin aufgehalten.

Vater und Mutter waren inzwischen unten in der Küche. Ich hörte ihr Gezänk bis hier oben. Ich vernahm noch eine dritte Stimme. Sie gehörte zu Georg, meinem Bruder. Offensichtlich versuchte er zu schlichten, aber ich wusste, dass dies vergebliche Mühe war.

Manchmal war aufzuwachen etwas Wunderbares.

In diesen Tagen war es etwas Schreckliches.

Ich war, nachdem ich das dritte Mal vergeblich versucht hatte, ins Badezimmer zu gelangen, sanft entschlummert und hatte einen wunderbaren Traum gehabt.

An seinen Inhalt konnte ich mich nicht mehr erinnern, aber noch immer schien ich ein wenig zu schweben und noch nicht ganz in der Wirklichkeit gelandet zu sein.

Vor allen Dingen aber hatte mich der Traum tatsächlich für einige wenige Augenblicke vollkommen vergessen lassen, dass wir einen Gast in der Villa Zamis beherbergten.

Einen Gast, der zumindest Georg und mir gehörig auf die Nerven ging.

Und der so sehr an den Grundfesten unserer kleinen Familie rüttelte, dass ich im Moment keinen Pfifferling mehr in ihre Zukunft gesetzt hätte.

Ich seufzte und wollte mich soeben umdrehen, um abermals mein Zimmer aufzusuchen, als die Badezimmertür geöffnet wurde und der Grund unserer familiären Zerrüttung aufreizend freundlich heraustrat.

»Ah, guten Morgen, Coco«, begrüßte mich Traudel. Ihr Äußeres glich einer Frau um die fünfzig. Wie alt die Dämonin wirklich war, wusste niemand. Die pechschwarzen glänzenden Haare trug sie nachlässig hochgesteckt. Es verlieh ihr etwas Verrufenes. Ihr zugegeben noch attraktiver Körper wurde allein von einem transparenten Nachthemd bedeckt, unter dem sich insbesondere die übergroßen Brüste abzeichneten. Wollte sie in diesem Aufzug etwa nach unten gehen und meine Mutter ein weiteres Mal brüskieren?

»Was ist? Bist du mit dem linken Fuß aufgestanden oder warum schaust du so sauertöpfisch drein?« Sie bleckte ihre viel zu großen Zähne, die genauso unecht wirkten wie ihr Lächeln.

»Ich finde, es ist einer zu viel in diesem Haus. Mir fehlt die Luft zum Atmen«, gab ich zickig zurück.

»Dann sind wir uns ja ausnahmsweise mal einig, mein liebes Kind«, strahlte sie aufreizend freundlich. »Ich hoffe, deine Mutter wird von selbst darauf kommen und ihre Konsequenzen ziehen.

»Niemals wird eine Zamis seinen Platz für Sie räumen!«, gab ich zurück. Ich spürte, wie die Wut in mir hochloderte, und zwang mich augenblicklich wieder zur Ruhe. Wahrscheinlich hatte sie nur erreichen wollen, dass ich aus der Haut fuhr, denn ihr Lächeln wurde noch breiter. Doch unversehens gefror es zur Maske und sie zischte:

»Du solltest dir rechtzeitig überlegen, welche Seite die sicherere für dich ist. Sonst könnte es eines nicht allzu fernen Tages auch für dich hier zu eng werden!«

Bevor ich eine entsprechende Erwiderung parat hatte, rauschte sie hoch erhobenen Kopfes an mir vorbei und verströmte eine derart süßliche Parfümwolke, dass mir fast der Atem stockte.

Ich hatte den Eindruck, dass sie von Tag zu Tag mehr davon auflegte. Und den wahren Grund dafür glaubte ich auch zu wissen. Es ging nicht darum, damit meinen Vater zu bezirzen, der war ihr eh verfallen, sondern einen anderen Geruch zu überdecken. Seitdem wir wieder zu Hause waren, glaubte ich an ihr einen immer penetranter werdenden Leichengestank wahrzunehmen. Immerhin war Traudel von den Toten auferstanden. Bislang hatte sie uns nicht erzählt, auf welche Weise sie dem Schnitter ein Schnippchen geschlagen hatte.

Und auch jetzt stieg mir wieder der faulige Geruch des Todes in die Nase, den sie hinter sich herzog wie eine immer länger werdende Schleppe.

Ich beeilte mich, ins Badezimmer zu kommen und die Tür hinter mir abzuschließen.

Auf diesen Moment hatte ich den ganzen Morgen gewartet!

Das Badezimmer war auch unter Dämonen ein tabuisierter Ort. Wahrscheinlich war es der einzige Raum in der ganzen Villa, der nicht von irgendwelchen magischen Wanzen verseucht war.

Es roch noch immer nach Medusas schwerem Parfüm und dem darunter liegenden Leichenodem. Hier empfand ich ihn sogar als noch penetranter. Ich wirkte einen einfachen Gegenzauber, sodass nach und nach frischer Rosenduft mich umgab.

So ließ sich der Tag schon besser beginnen!

Ich zog mir das Nachthemd aus und betrachtete mich kurz im Spiegel. Auf mein Aussehen gab ich nicht viel, es war mir in die Wiege gelegt worden. Dass die meisten Männer – Menschen wie Dämonen – darauf abfuhren, war eine Begleiterscheinung, die mir das Leben manchmal erleichterte, mich andererseits aber schon oft in Schwierigkeiten gebracht hatte. Jedenfalls schwor ich mir, während ich meine fast zu üppigen Brüste betrachtete, niemals dermaßen ordinär herumzulaufen wie Traudel Medusa.

Ich begab mich unter die Dusche und drehte den Hahn auf. Nicht ein Tropfen Wasser kam heraus. Fluchend drehte ich an der Armatur herum, aber es war zwecklos. Da halfen auch keine Zaubertricks, wenn mal wieder die Leitungen verstopft waren.

Die Villa Zamis war uralt und bedurfte längst mal einer Generalüberholung. Ich schwor mir, mich noch heute Morgen um einen Klempner zu kümmern.

Blieb noch die Badewanne. Ich glaubte zwar nicht, dass mir damit mehr Glück beschieden war, aber ein Versuch konnte nicht schaden.

Gleich der erste Versuch klappte. Aus dem Hahn sprudelte ein wohl temperierter Wasserschwall. Ich ließ Badeschaum in die Wanne tröpfeln und kletterte hinein.

Das Bad war herrlich. Ich ließ das Wasser so lange laufen, bis ich bis zum Kinn darin liegen konnte. Das Wasser umperlte sanft meine Haut. Ich genoss den Augenblick, schob all die Streitereien an die Seite und tagträumte vor mich hin.

Eigentlich hatte ich trotz des schwelenden Ärgers ganz gut geschlafen. Und dennoch spürte ich, wie ich allmählich müder wurde und mir die Augen zufielen.

Ich raffte mich auf, wollte mich erheben, da merkte ich, dass ich nach unten wegsackte. Der Wannenboden gab unter mir nach. Ein Strudel riss mich hinab. Ich kämpfte dagegen an, doch es fiel mir unendlich schwer, mich zurück an die Oberfläche zu befördern. Irgendwie gelang es mir. Ich holte tief Luft, als ich endlich wieder atmen konnte. Dabei strampelte ich verzweifelt mit Füßen und Händen, um nicht abermals in die bodenlose Tiefe gerissen zu werden.

Ich versuchte, den Wannenrand zu fassen zu kriegen, aber die glitschigen Wände waren plötzlich viel höher als zuvor. Noch während ich verzweifelt herumstrampelte, wuchsen sie höher und höher, während gleichzeitig der Sog, der mich nach unten zu reißen drohte, mächtiger wurde. Ich hatte das Gefühl, in den Niagara-Fällen gelandet zu sein.

Ich spuckte Wasser und schrie. Dann schlug das Wasser erneut über meinem Kopf zusammen. Ich hatte das Gefühl, dass etwas sich an meine Beine krallte und mich noch weiter nach unten zog. Ich strampelte wie wild, aber es ließ sich nicht abschütteln.

Ich öffnete die Augen. Unter mir glomm ein grünlicher Schimmer. Er war in fortwährender Bewegung und erinnerte mich an einen riesigen Kraken. Noch während ich panisch weiter Wasser schlug, glitt einer der tentakelartigen Lichtfortsätze mit unglaublicher Geschwindigkeit auf mich zu. Als es mich berührte, durchzuckte es mich wie ein elektrischer Schlag. Wie paralysiert musste ich hilflos zulassen, dass etwas an mir hochkroch, über meinen Oberschenkel strich und sich brutal zwischen meine Beine zwängte. Verzweifelt presste ich sie zusammen.

Dies alles geschah derart schnell, dass ich bislang noch nicht eine Idee daran verschwendet hatte, einen Gegenzauber zu entwickeln. Instinktiv versuchte ich, mich zumindest in den schnelleren Zeitablauf zu versetzen. Es misslang. Ich besaß keine Kraft mehr. Mein Kopf drohte zu platzen.

Verzweifelt suchte ich nach einer anderen Möglichkeit – und ohne meinen bewussten Befehl setzte mein Geist sie um.

Die Manipulation der Zeit ist eine Spezialität, die uns Zamis die Stellung eingebracht hat, die wir seit Jahrzehnten innehaben. Nicht nur in Wien war unser Name ein Begriff. Ich verdankte dieser ganz besonderen Gabe mehrmals schon mein Leben. Sämtliche meiner Geschwister beherrschten diese Manipulation der Zeit. Bei den meisten war dieses Talent jedoch nicht sehr stark ausgeprägt. Meine Schwester Lydia benutzte es kaum – angeblich, weil sie es für unfair gegenüber ihren Gegnern hielt. Ich vermutete dagegen, dass sie diesen Zauber einfach nicht gut beherrschte. Es gab nur einen in der Familie, der den Faktor Zeit wahrscheinlich noch besser für sich nutzen konnte als ich: meinen Bruder Georg. Doch da wir nie ein Kräftemessen veranstaltet hatten, war auch dies nur Spekulation.

Das Entscheidende war, dass wir Zamis uns nicht nur schneller bewegen konnten, sodass unsere Umgebung für uns wie erstarrt schien. Wir konnten umgekehrt unseren eigenen Ablauf derart verlangsamen, dass wir für unsere Umgebung wie versteinert wirkten.

Diesen Zauber hatte ich bisher so gut wie nie praktiziert. Wozu auch? Er machte mich viel zu angreifbar. Doch in diesem Fall rettete er mir das Leben.

Ich spürte, wie das Wasser um mich herum sich rasend schnell bewegte, während mein Körper sich versteifte. Das Blut stockte, der Atem gefror.

Allerdings wirbelte mich die fremde Macht noch immer weiter hinab in eine unauslotbare Tiefe. Wie ein Stein sank ich tiefer und tiefer.

Ich konnte nicht sagen, wie lange ich in diesem Zustand verweilte, doch plötzlich wurde ich von zwei riesigen Pranken erfasst. Sie zogen mich nach oben. Als ich mit dem Kopf die Wasseroberfläche durchstieß, versetzte ich mich instinktiv wieder in den normalen Zeitablauf zurück – allein schon, um mich meinem Gegner zum Kampf zu stellen. Aber auch, um endlich nach Luft zu schnappen.

Meine Brust brannte. Das Herz drohte mir zu zerspringen. Wieder tanzten bunte Kreise vor meinen Augen einen psychedelischen Reigen.

Eine meterhohe Gestalt baute sich vor mir auf. Noch immer hielt sie mich in ihren mächtigen Pranken. Ich versuchte mich zu befreien und wand mich wie ein Fisch.

»Coco!« Die Nennung meines Namens ließ mich in meinen Strampeleien innehalten. Die Stimme kam mir bekannt vor, wenngleich sie so dröhnend war, dass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte.

Ich schaute mir die riesenhafte Fratze, die drohend über mir schwebte, genauer an.

Nein, das war unmöglich!

»Coco! Komm endlich zu dir!«

Es war eindeutig Georg, der mit mir sprach, und nun erkannte ich auch sein Gesicht. Allerdings war es so aufgeblasen, dass ich jede einzelne Pore darin erkennen konnte.

»Georg!«, erwiderte ich erstaunt. Meine Stimme klang schwach und piepsig.

»Erschreck nicht, Coco«, fuhr Georg fort. »Mit dir ist etwas Merkwürdiges passiert.«

»Bitte schrei nicht so!«, bat ich ihn mit einem gequälten Gesichtsausdruck. »Und warum bist du überhaupt derart riesig geworden?«

»Ich bin nicht riesig, du bist so winzig, Coco!«

Sacht setzten mich die überdimensionalen Fäuste auf ein Sims ab. Ich blickte in eine schwarz-weiß gekachelte Tiefe und erkannte, dass ich auf dem Waschbecken stand.

»Das ist unmöglich!«, entfuhr es mir. »Georg, sag mir, dass das nur ein fauler Zauber ist!«

»Ich fürchte nicht«, erwiderte mein Bruder, wobei er sich diesmal merklich Mühe gab, die Stimme zu dämpfen. »Du bist offensichtlich geschrumpft. Immerhin scheint der Schrumpfungsprozess am Ende angelangt zu sein.« Sein Gesicht beugte sich zu mir herunter. Er beäugte mich wie ein besonders exotisches Insekt. »Du bist höchstens zehn Zentimeter groß, Schwesterchen – wenn es hochkommt.«

»Wie wär's, wenn du mich aufspießt? Dann kannst du mich exakter vermessen!«, brauste ich auf.

»Reg dich ab, erzähle mir lieber, was passiert ist.«

In knappen Sätzen berichtete ich, was mir widerfahren war. Es kam mir wie ein besonders bizarrer Traum vor. Und vielleicht träumte ich ja noch immer.

»Du warst nicht in deinem Zimmer, also habe ich es im Bad versucht. Ich habe an die Tür geklopft, aber du hast nicht geantwortet. Nur das Wasser hörte ich rauschen. Nach zehn Minuten habe ich es noch einmal versucht. Du hast noch immer keinen Mucks von dir gegeben. Da schwante mir, dass irgendetwas nicht stimmen konnte …«

»Es schwante dir richtig«, entgegnete ich, da mir seine weitschweifige Art auf die Nerven ging. Allmählich dämmerte mir, was wirklich passiert war. Ich war kleiner und kleiner geworden, während mir die Badewanne immer riesiger vorgekommen war. Nicht sie hatte sich verändert, sondern ich mich. Ich war ins scheinbar Bodenlose versunken.

»Bist du dir sicher, dass mit der Badewanne alles in Ordnung ist?«, fragte ich skeptisch.

Anstatt zu antworten, trat Georg zu ihr hin und zog den Stöpsel raus. Das Wasser strömte gurgelnd in den Abfluss. »Der Zauber scheint vorbei«, sagte er. »Jedenfalls kann ich nicht erkennen, dass sie derart tief ist, wie du behauptet hast.«

»Und der grüne Lichtschein?«

Georg zuckte mit den Schultern.

»Jedenfalls weiß ich, wer dahinter steckt«, erklärte ich grimmig.

»Du meinst, Traudel Medusa?«

»Wer sonst? Sie war vor mir im Bad. Sie hat die Dusche manipuliert, damit ich die Wanne benutze.«

Georg runzelte die Stirn. Seine bedächtige Art trieb mich noch in den Wahnsinn!

»Das wird schwierig zu beweisen sein. Warum sollte sie dich auch umbringen wollen?«

Während er sprach, begab er sich zur Dusche und betätigte die Armatur. Aus dem Duschkopf strömte Wasser. So, als wäre sie nie defekt gewesen.

»Um einen von uns loszuwerden, was denn sonst!«, schnappte ich zurück. »Umso leichter glaubt sie, an unseren Vater heranzukommen.«

Georg winkte ab. »Den hat sie längst schon eingewickelt. Wir müssen sehen, dass wir dich wieder auf Normalgröße bekommen. So kannst du nicht unter die Leute gehen.«

»Wegen meiner Größe?«

»Nein, weil du völlig nackt bist, Schwesterherz. Es dürfte schwierig werden, eine passende Jeans für dich zu finden. Selbst Barbie-Puppen sind größer als du.«

»Wenn das alles ist, was dir Sorgen bereitet!« Georg schien das alles eher als Scherz zu betrachten. Resigniert setzte ich mich auf meinen Po, zog die Beine an und schwieg.

»Lass den Kopf nicht hängen, ich kenne natürlich einen Gegenzauber«, ließ er schließlich die Katze aus dem Sack. »Ich habe erst letztens eine theoretische Abhandlung des Philippus Theophrastus Aureolus Bombast von Hohenheim gelesen …«

»Du brauchst dich nicht derart aufzublasen. Sag einfach Paracelsus.«

»Jedenfalls habe ich sein Opus Paramirum erst kürzlich von einem Dämon, der mir noch einen kleinen Gefallen schuldig war, sehr günstig erwerben können.«

Ich hatte noch nie von diesem Werk gehört, obwohl ich in meiner Schulzeit viele Zauberbücher auswendig hatte lernen müssen. »Hoffentlich ist es nicht nur blanke Theorie«, seufzte ich. Gerade Paracelsus war in meinen Augen ein Blender gewesen. Vor allen Dingen in puncto Alchemie hatte er oft den Holzweg eingeschlagen. Allerdings war er, obwohl er meines Wissens nie ein Mitglied der Schwarzen Familie gewesen war, einigen grundsätzlichen Geheimnissen in der Zauberei recht nahe gekommen.

»Es existiert übrigens nur ein einziges Exemplar des Opus Paramirum«, gab Georg an. »Und dieses Exemplar besitze ich!«

Mir war plötzlich ein unangenehmer Gedanke gekommen. »Bist du dir da so sicher?«, fragte ich.

Er starrte mich verständnislos an.

»Ich meine«, fuhr ich fort«, »ist es nicht ein merkwürdiger Zufall, dass Traudel ausgerechnet an mir diesen Zauber ausprobiert, nachdem du das Buch vor kurzer Zeit in deinen Besitz gebracht hast?«

»Du glaubst, sie hat einen Blick hineingeworfen und ist auf dumme Gedanken gekommen?«

»Ich bin sogar sicher! Wo hast du das Buch versteckt?«

»Ich habe es nicht versteckt, sondern für jeden sichtbar in die Bibliothek gestellt, zu den anderen Büchern von Paracelsus, gleich neben dem Liber de nymphis, sylphis, pygmaeis et salamandris et de caeteris spiritibus …«

»Die Basler Ausgabe von 1590, ich weiß. Bitte verschone mich mit den Details. Lass uns auf schnellstem Wege nachgucken, ob sich das Buch noch in der Bibliothek befindet!«

»Ich habe verstanden, Schwesterchen«, erklärte er, schnappte mich erneut und beförderte mich in die Brusttasche seines Hemdes. Auf schnellstem Wege ging er hinunter in die Bibliothek. Auf mich nahm er nur wenig Rücksicht. Mit Müh und Not hielt ich mich an der Stoffkante fest und beschränkte meine Bemühungen darauf, nicht herunterzufallen.

Schließlich standen wir vor den schier endlos wirkenden Reihen alter Zauberbücher. Zielstrebig steuerte Georg das Regal mit den Paracelsus-Schinken an. Ich entdeckte das Malheur als Erste: Zwischen zweien der Bücher klaffte ein riesiger Spalt. Zumindest mir schien es so – für Georg war es wahrscheinlich nur eine schmale Lücke.

»Es ist verschwunden!«, stellte er verblüfft fest.

»Nicht verschwunden, sie hat es gestohlen!«, präzisierte ich. Meine Hoffnungen, so schnell wie möglich meine normale Größe wiederzuerlangen, sanken auf den Nullpunkt.

»Sollte wirklich Traudel dahinterstecken, dann verstehe ich keinen Spaß mehr«, grollte er.

Seine Bücher schienen ihm wichtiger als mein Schicksal, aber gut, damit musste ich leben.

»Wir werden ihr auf den Zahn fühlen«, entschied er. »Fürs Erste bleibst du am besten unsichtbar. Wir lassen Traudel im Ungewissen, ob ihr Plan gelungen ist. Nach dem Frühstück wird sie sicherlich im Bad nachschauen wollen, ob ihr Plan aufgegangen ist. Ich werde allerdings dafür sorgen, dass die Tür magisch versiegelt ist. Ebenso wie dein Zimmer. Entweder wird sie dann wieder nach unten gehen, was ich nicht glaube, sondern zunächst ihr Zimmer aufsuchen. Du wirst die Gelegenheit nutzen und ebenfalls hineinschlüpfen.«

»Wie stellst du dir das vor?«, fragte ich wütend. »Warum knöpfen wir sie uns nicht gleich vor?«

»Sie würde alles abstreiten. Nein, wir machen es so, wie ich gesagt habe. Du bist so winzig, dass sie dich kaum bemerken wird, wenn du gleichzeitig mit ihr in ihr Zimmer schlüpfst.«

 

Ich hatte keine andere Wahl, als mich zu fügen. Wieder mal. Georg setzte mich im Korridor ab. Er selbst begab sich nach unten. Ich hörte, wie sich Traudel scheinheilig danach erkundigte, ob ich denn keinen Hunger hätte. Georg murmelte irgendeine ausweichende Antwort.

Ich hörte nicht weiter zu, sondern suchte mir in der Nähe von Traudels Gästezimmer ein geeignetes Versteck. Ich fand es hinter einer riesigen chinesischen Vase, die mit lebenden Alraunen bestückt war. Die magischen Wurzeln drehten sich zwar neugierig in meine Richtung, würden aber nichts ausplaudern können. Dazu waren sie auch nicht in der Lage. Es handelte sich um gebannte Seelen ehemaliger Mörder und zum Tode Verurteilter. Wenn man genau lauschte, vermochte man ihr Wehklagen und Stöhnen zu vernehmen, sprechen konnten sie jedoch nicht.

Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Medusa ließ sich einfach nicht blicken. Wenn ich Pech hatte, verabredete sie sich noch mit meinem Vater auf eine Shopping-Tour in die City oder sonst wohin.

Leider war es mir nicht vergönnt, so ohne Weiteres ihr Zimmer zu betreten. Sie hatte es mit einem starken Bann gesichert. Wahrscheinlich wussten nur sie und unser Vater den magischen Gegencode.

Endlich vernahm ich Schritte auf der Treppe. Ich duckte mich noch tiefer in meinem Versteck. Es war tatsächlich Traudel. Typisch, sie trug die Nase derart hoch, dass sie mich nicht beachtete. Ich sah, wie sie kurz an der Badezimmertür hantierte und leise meinen Namen rief. Wahrscheinlich wollte sie überprüfen, ob ihr diabolischer Plan aufgegangen war. Als sie erneut in den Korridor trat, kam sie mir gar nicht mehr so siegesgewiss vor. Stirnrunzelnd ging sie an mir vorbei. Sie murmelte einen Zauberspruch, und die Tür sprang auf.

Dies war der schwierigste Moment. Bevor sich die Tür von selbst wieder hinter ihr schloss, sprang ich ebenfalls rasch hindurch in ihr Zimmer.

Sie hatte nichts gemerkt!

Meine Blicke huschten umher, auf der Suche nach einem neuen Versteck. Es war nicht sehr schwierig, eines zu finden, denn Medusa war eine regelrechte Chaotin. Die Unordnung im Zimmer entsprach so gar nicht unserer Mentalität. Überall lag ihre Kleidung herum, sogar verschmutzte Unterwäsche. Dazwischen verstreut befanden sich alle möglichen Dinge. Einmal mehr fragte ich mich, wie unser Vater auf dieses Scheusal hereinfallen konnte.

Ich schlüpfte in einen der herumliegenden Schuhe. Sie hatte ein Faible für besonders extravagante Outfits. Auch dieser Schuh trug Zeugnis davon. Er trug hohe Absätze und war mit Nieten und Schnallen dekoriert. Ich machte mich so klein wie möglich darin und konnte nur hoffen, dass sie nicht ausgerechnet ihn wählte, um sich stadtfertig zu machen. Im Moment trug sie flache Pantöffelchen, die zu ihrem eher massigen Oberkörper wie eine Parodie wirkten. Wahrscheinlich würde sie sich auch heute nicht lange in der Villa aufhalten. Shoppen war im Moment ihre Lieblingsbeschäftigung.

Doch im Moment hatte sie etwas anderes auf dem Herzen.

Heimlich sah ich zu, wie sie offensichtlich etwas suchte. Sie wühlte überall herum, sogar in den Stapeln schmutziger Wäsche. Schließlich schien sie gefunden zu haben, was sie gesucht hatte. Ihr Gesicht verzog sich zu einer triumphierenden Fratze. In der nächsten Sekunde zog sie ein Buch hervor. Es war uralt und zerfleddert, und den Geruch nach Moder und Fäulnis konnte ich sogar bis in mein Versteck riechen. Ich ging wohl nicht fehl in der Annahme, dass es sich um das Opus Paramirum handelte.

Ich fragte mich, was sie damit vorhatte. Solange sie sich damit beschäftigte, würde ich keine Gelegenheit bekommen, hineinzublicken. Ich registrierte, wie sie es zum Fenster trug, die Fensterflügel öffnete und einen magischen Spruch wirkte.

Zu meinem Entsetzen musste ich mit ansehen, wie sich das Buch wie von selbst auseinanderfaltete und sich die Seiten wie die Flügel eines Vogels auf und ab bewegten.

Und dann erhob es sich tatsächlich.

»Bye-bye, mein Kleines«, hörte ich Medusa murmeln.

Ich sah alle Hoffnung schwinden. Wenn das Opus Paramirum tatsächlich auf Nimmerwiedersehen davonsegelte, wäre ich in meiner Gestalt gefangen! Spätestens jetzt hielt mich nichts mehr in meinem Versteck!

Ich sprang aus dem Schuh heraus und schrie: »Sie haben sich verrechnet! Ich lebe noch!«

Das heißt, ich wollte schreien, aber mehr denn je klang meine Stimme piepsig und schrill.

Dennoch wandte sich Medusa erschrocken um. Als sie mich erblickte, verzogen sich ihre Lippen zu einem amüsierten Lächeln.

»Ah, schau an, mein Coco-Mäuschen. Ich hatte schon befürchtet, dass du in den Abfluss gerutscht sein könntest.«

Sie hatte sogar die Frechheit, ihre Tat zuzugeben! Vor Wut ballte ich die Fäuste, wobei mir einmal mehr bewusst wurde, wie schwach ich in meiner Zwergengestalt war.

»Sie haben sich umsonst Sorgen um mich gemacht«, ging ich süffisant auf ihren Ton ein. »Allerdings sollten Sie sich Sorgen machen, was passiert, wenn mein Vater erfährt, was Sie vorhatten.«

Sie lachte spöttisch auf. »Den Michi hab ich um den Finger gewickelt. Den wirst du mir nicht mehr nehmen können.«

»Warten Sie's ab!«, zischte ich. Ihre Selbstherrlichkeit ließ meinen Wutpegel abermals steigen. Allein dass sie meinen Vater Michael ständig mit diesem lächerlichen Kosenamen bedachte! »Sie sollten sich da nicht allzu sicher sein. Noch gelten wir Zamis in diesem Hause mehr als alle anderen. Vater wird Sie hochkant hinausjagen. Es sei denn, Sie geben mir jetzt das Opus Paramirum freiwillig zurück!«

Sie lachte höhnisch. »Hol es dir doch selbst!«

Ich sah an ihr vorbei und registrierte entsetzt, dass das Buch in Flammen aufging. Es blieb nur eine Möglichkeit. Ich versetzte mich in den schnelleren Zeitablauf. Befriedigt registrierte ich, dass mir diese Fähigkeit im Gegensatz zu meiner Körpergröße nicht abhandengekommen war. Meine Umgebung schien in der Bewegung zu gefrieren. Medusa erstarrte ebenso wie das Buch. Selbst die Flammen standen reglos in der Luft.

Ich lief zur Fensterbank und hangelte mich am Vorhangstoff hinauf. Es war ein echter Kraftakt. Aber endlich lag das Buch vor mir. Während ich noch überlegte, wie ich den Wälzer in meiner jetzigen Zwergengestalt überhaupt entwenden sollte, wurde die Tür zum Zimmer aufgerissen.

Ich wirbelte herum und erblickte meinen Bruder Georg.

»Du?«, entfuhr es mir überrascht. Offensichtlich hatte er sich ebenfalls in den schnelleren Zeitablauf versetzt.

»Ich habe Traudel natürlich nicht aus den Augen gelassen«, erklärte er. »Dadurch, dass du ihr gefolgt bist, ist der magische Bann zusammengebrochen. Die Tür lässt sich, wie du siehst, kinderleicht öffnen.«

Mit wenigen Schritten war er bei mir, schnappte sich das Buch und löschte die Flammen, indem er es einfach zuschlug. Mit der anderen Hand ergriff er mich. Dann sah er zu, dass wir so schnell wie möglich das Weite suchten.

»Sie wird rasen vor Wut, wenn sie merkt, dass wir sie reingelegt haben«, sagte ich.

»Sie soll froh sein, dass wir sie nicht bestraft haben. Immerhin hat sie mir das Buch gestohlen.«

Und mich hatte sie zur Zwergin verdammt, was ich als ein viel schlimmeres Verbrechen empfand.

Erst als wir Georgs Zimmer erreicht hatten, hoben wir den schnelleren Zeitablauf wieder auf.

Georg schloss zunächst ab und versiegelte die Tür auf magische Weise. Niemand würde hier herein gelangen. Selbst eine wütende Medusa nicht. Danach setzte er mich behutsam auf dem Bett ab und wandte sich dem Buch zu.

Er fluchte. »Diese verdammt Hexe! Schau dir das an: Sie hat genau die Seite, die den Gegenzauber beschreibt, in Flammen gesetzt! Die entsprechenden Stellen sind völlig unlesbar. Alle restlichen Seiten sind unversehrt.«

Ich rollte mit den Augen. »Das heißt, ich werde mein restliches Leben als Zwergin verbringen müssen? Georg, das ist nicht dein Ernst!«

»Reg dich nicht so auf, lass mich überlegen«, sinnierte er. Seine Ruhe brachte mich nur noch weiter auf die Palme. »Um dein Leben geht es ja nicht. Aber dich mache ich dafür verantwortlich. Du warst so blöd und hast dir das Buch stehlen lassen!«

»Reiß dich endlich zusammen!«, fuhr er mich an. »Wir werden schon eine Lösung finden …«

Das hörte sich schon besser an.

Als er mir allerdings erzählte, was er vorhatte, schwanden meine Hoffnungen endgültig.

 

 

2.

 

»Haben Sie meine Tochter gesehen?«, erkundigte sich Thekla Zamis.

»Schauen Sie doch mal im Zimmer Ihres Sohnes nach. Die beiden Turteltauben haben sich verbarrikadiert. Na ja, es wundert mich nicht, dass Inzest bei den Zamis eine bedeutende Rolle zur Nachwuchsförderung spielt. Das wird sich ändern, wenn Michi und ich dich los sind!« Traudel Medusa bleckte die großen Zähne und lächelte gehässig.

Sie wollte provozieren, aber Thekla Zamis ließ sich nicht auf diese Ebene hinunterziehen.

Die beiden Frauen standen sich im Korridor gegenüber. Thekla wollte sich schon abwenden, aber Traudel Medusa stichelte weiter. Sie war aufs Äußerste erregt, dass es ihr nicht gelungen war, das Opus Paramirum vor der Zamis-Brut vollständig in Flammen aufgehen zu lassen. Im Gegenteil, sie hatten das Buch wieder an sich genommen. Sie rechnete mit dem Schlimmsten und fühlte sich äußerst unwohl in ihrer Haut. Da kam ihr Thekla Zamis gerade recht, um ihre Wut abzuladen.