PORTERVILLE

- Folge 10 -

„Projekt Zero-Zero“

John Beckmann

- Originalausgabe -

1. Auflage 2013

ISBN 978-3-942261-54-8

Lektorat: Hendrik Buchna

Cover-Gestaltung: Ivar Leon Menger

Fotografie: iStockphoto

Psychothriller GmbH

www.psychothriller.de

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Ein Buch zu schreiben, dauert Monate. Es zu kopieren, nur Sekunden. Bleiben Sie deshalb fair und verteilen Sie Ihre persönliche Ausgabe bitte nicht im Internet. Vielen Dank und natürlich viel Spaß beim Lesen! Ivar Leon Menger

Prolog

„Der alte Mann, der an einem großen Tisch inmitten der Bibliothek sitzt, hört mich kommen. Er grunzt etwas Unverständliches, hebt kurz die Hand zum Gruß und fährt fort, etwas in ein aufgeschlagenes Buch zu kritzeln. Dabei drückt er den Stift so fest auf, dass ich höre, wie das Papier zerreißt.

„Wie geht es Ihnen heute?“, frage ich freundlich und gehe langsam auf ihn zu.

Der Alte reagiert nicht. Als ich über seine Schultern blicke, erkenne ich, dass er wahllos einzelne Wörter in dem Buch – es ist der Roman Haben und Nichthaben von Ernest Hemingway – durchstreicht. Dahinter steckt weder ein Sinn noch irgendein System. Die wochenlangen Verhöre, verbunden mit mehr oder weniger ausgefeilten Folterungen, haben ihn einen Großteil seines Verstandes gekostet. Er trägt eine hellgraue Hose und ein abscheuliches Hemd mit aufgedruckten Papageien. Während ich dem alten Mann bei seiner absurden Betätigung zuschaue, bildet sich in seinem Schritt ein größer werdender Fleck.“

Howard K. Brenner

Porterville, Jahr 0048

- 1 -

April 2029, NSA-Zentrale, Maryland

Sie sind die ersten.

Zwei Prinzen und eine Prinzessin.

Es ist kein Zufall, dass sie zu uns gekommen sind. Und es war auch nicht der Zufall, der sie gerade jetzt zu uns gebracht hat.

Deshalb schwitze ich. Und weil es warm ist in dem kleinen Raum mit der verspiegelten Wand. Ich spüre, wie der Schweiß aus meinen Poren tritt. Wie er sich in meinem Haaransatz sammelt. Bald wird er in eiligen Tropfen hinunterlaufen. Weg von mir.

„Können Termiten träumen?“

Aufgereiht sitzen sie vor mir. Erstarrt. Verloren. In Outdoorkleidung. Wie drei Jugendliche, die sich auf einem Camping-Ausflug befinden. Verlorene Kinder. Einen Moment lang bedauere ich sie. Dann kehrt das Wissen zurück. Der NSA-Bericht. Das Ergebnis wochenlanger Überwachungen und Recherche. Es ist kein Zufall, dass die drei hier sind, kein tragisches Missgeschick. Sie wussten, dass sie sich in Gefahr begeben. Sie wussten, worauf sie sich einlassen. Und sie sind keine Kinder mehr. Vor allem sind sie nicht unschuldig.

Ich wiederhole die Frage.

Meine Zunge ist schwer, doch man hört es nicht. Ich hätte das vierte Glas nicht trinken sollen, wahrscheinlich nicht einmal mehr das dritte, aber das Zittern wollte einfach nicht aufhören. Jetzt sind meine Hände ruhig.

Ich erwische mich dabei, wie ich die drei anstarre, wie mein Blick von einer Einzigartigkeit zur nächsten hetzt, von Bens strahlend blauen Augen über die Haarsträhne, die sich aus Addys Zopf gelöst hat, zu Jerrys bleicher Haut, den roten Flecken auf seinen Wangen. Nichts entgeht meinem ausgehungerten Blick, während in meinem Inneren ein Wirbelsturm aus Adrenalin und Kortisol tobt, der auch durch vier Gläser nur schwer unter Kontrolle zu bringen war, doch äußerlich sieht man mir nichts an. Ich kenne meinen Körper. Wenn die Welt kleiner wird, konzentriert man sich auf das Wesentliche.

„Träumen Termiten?“, frage ich noch einmal.

„Warum fragen Sie das immer wieder?“, blafft Ben plötzlich. „Was wollen Sie von uns?“ Auch er beginnt, sich zu wiederholen. „Was wollen Sie von uns?“

Wahrscheinlich liegt es an den Spiegeln und der Wärme. Ein Schleier legt sich vor meine Augen

„Wie Sie selbst bald feststellen werden, ist dies …“, ich wische über mein Gesicht, „ist dies eine elementare Frage.“

Ich halte mich streng ans Protokoll. Meine Worte verklingen. Stille kehrt zurück in das Gesprächszimmer.

Wir sind auf eine Situation wie diese nicht vorbereitet. Niemand konnte wissen, dass es einmal so weit kommen würde. Dass jemand den Bau ausfindig machen und versuchen würde, in ihn einzudringen. Wir haben nur das Protokoll. Ich darf mir keine Fehler erlauben.

Normalerweise wird das Gesprächszimmer für Mitarbeitergespräche genutzt. Die Spiegelwand ist ein Relikt des vergangenen Jahrtausends, aus einer Zeit, als die Kameratechnik noch in den Kinderschuhen steckte. Trotzdem dient die einseitige Verspiegelung weiterhin dem psychologischen Personal dazu, die Gespräche zu verfolgen. Psychische Gesundheit ist ein zartes Pflänzchen hier unten. Knapp dreihundert Fuß unter der Erde.

Ich blinzele, und der Schleier verschwindet. „Es ist besser, wenn Sie kooperieren. Kooperation ist der einzige Ausweg. Je früher Sie das akzeptieren, desto effektiver können wir alle mit der neuen Situation arbeiten.“

Ein Schnellhefter liegt vor mir auf dem Metalltisch. Ich schlage ihn zu.

Dann schaue ich die drei nacheinander an. Eine Schweißperle läuft meine Schläfe entlang.

„Sie haben kein Recht dazu, uns hier festzuhalten“, meldet sich Addy zu Wort, und aus jeder Silbe ist das Vertrauen in unser Rechtssystem zu hören.