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ANDRI PERL

DIE LUKE

ROMAN

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Inhalt

Der zwanzigste September

Der einundzwanzigste September

Der zweiundzwanzigste September

Der dreiundzwanzigste September

Der vierundzwanzigste September

Der fünfundzwanzigste September

Der sechsundzwanzigste September

Der siebenundzwanzigste September

Der achtundzwanzigste September

Der neunundzwanzigste September

Der dreißigste September

Der erste Oktober

Der zweite Oktober

Der dritte Oktober

Der vierte Oktober

Der fünfte Oktober

Der sechste Oktober

Der siebte Oktober

Der achte Oktober

Der neunte Oktober

Der zehnte Oktober

Der zwanzigste September

In diesen lichten Tagen nach einem lichten Sommer ist er in die Vergessenheit der Stadt geraten, schläft er tief unten auf dem Grund des Sees. Schon morgen aber kann er erwachen: der Nebel. Wie eine trittunsichere Amphibie nach der Verwandlung wird er seinen nassen Schlupfwinkel zunächst kaum verlassen und sich nur in der Dämmerung zeigen. Einzelne Schwaden in der Frühe, am Abend, entlang der Gewässer. Nicht der Rede wert. Bald allerdings gleichen sich Tag und Nacht, und je länger die Nächte dauern, desto schwächer wärmt die Sonne die Landschaft zwischen den Hügelketten, desto eher sättigt Feuchtigkeit die Atmosphäre. Nun braucht bloß noch lauere Meeresluft aus dem Süden auf die kühlen, bodennahen Luftschichten zu sinken, damit der Himmel für Wochen verschwindet. Dass das schöne Wetter anhält, kann natürlich auch sein; sogar bis in den Oktober hinein könnte es sich vor der kommenden Kaltfront retten, vermuten die Meteorologen vom staatlichen Fernsehen. Und sind die Blätter der Bäume nicht noch ziemlich grün? Die Wespen nicht immer noch ärgerlich flügge? Dringt die Helligkeit nicht immer noch früh durchs Wohnzimmerfenster, so wie jetzt? – Doch, aber man darf ihm einfach nicht trauen, dem Nebel, erst recht nicht während seiner Absenz.

Ottavio Solari zieht also die Reservierungsbestätigung für die ersten beiden Übernachtungen aus dem Gerät und legt sie auf den Ausdruck des Flugtickets. Eine Liste mit den wichtigsten Nummern, die er führt, seit ihm einmal das Telefon gestohlen wurden, druckt er ebenfalls. Dann fährt er den Computer herunter. Er schiebt ihn ins Schutzetui, rollt das Kabel gleichmäßig auf und verstaut alles in der Schreibtischschublade. Die Dokumente hat er beisammen. Als er durch den neuen Pass blättert, um die Fotografie mit dem Geburtsdatum zu vergleichen, lächelt er über seine eigene Eitelkeit.

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Es ist kurz nach acht. Die Tür zur Wäscherei in der Höfestraße steht offen, weshalb die Klingel stumm bleibt. Ottavio Solari weicht einem hölzernen Waschzuber aus, der gut zwei Jahrhunderte alt sein muss, und sieht sich um. Auf dem Tresen stapeln sich Prospekte eines Goldakquisiteurs und Werbung für das Konzert einer Folkloreband. An einem Korkbrett hängen Zeichnungen von Ümits Zwillingstöchtern. Solari möchte seinen Leinenanzug und das anthrazitgraue Jackett abholen, es bedient gerade niemand die Kasse. Eine Weile betrachtet er die aneinandergereihten Stoffe in ihren Klarsichthüllen, wobei er überlegt, ob er nicht noch ein paar leichte Hemden kaufen sollte beim Herrenausstatter gegenüber dem Kino Astra. Wobei er zudem überlegt, wie der Herrenausstatter gegenüber dem Kino Astra neuerdings heißt.

»Hallo? Ümit?«

Eine junge Frau, die er hier bisher nie gesehen hat, schiebt den Kunstperlenvorhang zur Seite, raunzt etwas nach hinten, indem sie kurz den Kopf wendet, und kommt mit einem Waschbrett unter dem Arm aus dem Nebenraum. Nach einem Morgengruß schlendert sie hinter der Theke hervor, um das Waschbrett in den Zuber zu stellen.

»Ist für das Schaufenster«, erklärt sie.

»Das habe ich mir gedacht. Schöne Stücke. Wo haben Sie die denn gefunden?«

»Weiß gar nicht genau. Mein Onkel hat sie aufgetrieben.«

»Ach so. Ist er auch hier?«

»Nein, er arbeitet heute nicht. Wie kann ich helfen?«

Sie nimmt den Abholschein, den ihr Solari hinstreckt, und verschwindet zwischen den Kleiderbahnen. Die setzen sich in automatische Bewegung. Währenddessen begutachtet Solari den ausgelaugten Holzrat genauer. Die Fassreifen des Bottichs sind etwas rostig, versteht sich, aber sonst … Ümit hatte zwar stets ein gutes Auge auf den Flohmärkten, hier jedoch richtiges Glück: Solche Gegenstände findet man vor allem bei den Auktionshäusern im Netz, aufgrund der Abbildungen könnte man sich auch täuschen. Besser, der Besitzer der Wäscherei hätte ihn, seinen Nachbarn von der Antiquitätenhandlung, zusätzlich um Rat gefragt.

»Der Anzug und dieses Jackett?«

»Genau. Vielen Dank.«

»Dann ist das okay. Danke auch und einen schönen Tag.«

Seit Ümit vermehrt Scherereien mit Geschäftsleuten zu beklagen hat, die ihre Hemden nicht mehr abholen, wenn sie beinahe von einem Tag auf den anderen ins Ausland versetzt werden, gilt in der Wäscherei Vorausbezahlung. Auch für Solari, der sich gegen eine Ausnahme davon gewehrt hat.

»Ihnen auch einen schönen Tag. – Sagen Sie, Sie arbeiten noch nicht lange hier, oder?«

»Nein, das ist erst meine zweite Woche«, antwortet die junge Frau, bange, ob sie nicht irgendeinen dummen Fehler begangen hat.

»Ich führe den Laden gleich nebenan und habe Sie noch nie gesehen, deshalb die Neugier. Richten Sie Ihrem Onkel einen Gruß von mir aus. Von Ottavio. Und sagen Sie ihm, dass ich doch eine Woche länger gebucht habe, so wie er es mir geraten hat. Nicht dass er sich Sorgen macht um mich.«

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Den Anzug und das Jackett über der Schulter fühlt Ottavio in der Hosentasche nach dem Schlüsselbund. Obschon er gestern Abend aufgeräumt, abgestaubt und die Bodenplatten gewischt hat und obschon an der Glastür neben der Wäscherei bereits das Schild hängt, das auf die Betriebsferien hinweist, betritt er nochmals das Ladenlokal der Antiquitäten- und Devotionalienhandlung Solari. Gründlich streift er seine Schuhe am borstigen Teppich ab, wozu kaum Notwendigkeit besteht, denn zwischen dem Mietshausausgang und den Geschäftseingängen misst der Weg nicht weit: nur die Breite der Einfahrt in den Innenhof plus diejenige der Fensterfront seines Ladens. Dennoch begutachtet er seine Sohlen, bevor er zum halbmannshohen Tresor geht, einem teakhölzernen Repräsentationsmöbel mit mehreren Stahlfächern, das mehr Wert hat als das meiste, was der Antiquitätenhändler je in ihm aufbewahrte. Bargeld bringt er nämlich ohne Verzug zur Kantonalbankfiliale um die Straßenecke. Nun steckt er einen Stift, klein und doppelbärtig, in die dafür gefertigte Öffnung, mit einem Dreh die Mechanik des Zahlenschlosses zu entriegeln.

Ihre Jahrgänge reihen sich zur Kombination, doch beim Drehen des Rädchens denkt er nur mehr selten an die einstigen Liebschaften jenseits der Alpen. Er denkt nur mehr selten an die Briefnachrichten, selten an die Küsse, an den Reiz, selten an den Platz beim Fluss, seltener noch an all die verschuldeten Tränen. Sein Verhältnis zur Nostalgie ist gespalten: Einerseits verdankt er ihr aufseiten von Teilen der Kundschaft Teile seines Verdiensts, andererseits würde er letztlich gar nichts verdienen, verginge die Zeit nicht nach und nach. Ihr hinterherzutrauern, liegt ihm fern. Höchstens das Kurzzeitgedächtnis von vor manchen Jahren hätte er gerne zurück. Im Tresor lagern neben etwas Silberschmuck wichtige Geschäftsunterlagen wie die Inventarlisten. Ottavio Solari zweifelt, ob er die gestrige Lieferung eingetragen hat: ein gut erhaltenes Röhrenradio Marke Telefunken. Hat er? Er hat.

Zeige- und Mittelfinger der linken Hand halten noch immer den Kleiderhaken, während er den Safe wieder schließt. Früher war das Nachführen der Inventarliste eine Selbstverständlichkeit, seit einigen Monaten, da er bloß noch vereinzelt Ankäufe tätigt, muss er sich wieder bewusst daran erinnern. Nicht mehr lange. Den Lagerraum im Untergeschoss, nur über eine steile Treppe zu erreichen, hat er nach der Hüftoperation frühzeitig an einen befreundeten Berufskollegen weitervermietet. Nächsten Sommer hört Solari ganz auf. Dann wird er fünfundsiebzig.

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Zwei Aufzüge fahren im Mietshaus. Ihre Kabinen bedrücken einen mit Enge, mit Schäbigkeit geradeso. Es riecht nach altem, kaltem Zigarettenrauch. Zuneigungsbekundungen ritzen und zeichnen die rostroten Wände. Jolanda, du geile Sau. Zuneigungsbekundungen, Flüche, die Kürzel der Quartierjugend und der rivalisierenden Fußballklubs, diverse Hakenkreuze, die wiederum wütend übermalt wurden. Solari hat die Knöpfe beider Aufzüge gedrückt. Insgeheim hofft er auf den linken, weil beim rechten der Boden leicht nachgibt, sobald man hineinschreitet. Das verunsichert ihn stärker, als er sich eingestehen will. Langsam schmerzen die Finger vom Draht des Kleiderhakens.

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Gemächlich brodelt der Kaffee durch das Steigrohr der Mokkakanne. Die Rosinen, die sich der Antiquitäten- und Devotionalienhändler in den Mund steckt, waren bis eben das Überbleibsel eines Geschenkkorbs, den er von einer Kundin erhalten hatte. Sie war überzeugt davon, ein galicisches Steinkreuz habe ihre Gicht gelindert. Solari hebt die Augenbrauen, wenn er daran denkt. Dass er Andachtsgegenstände verkauft, begründet sich nicht in seinem Wunderglauben, und dass das Steinkreuz aus der Nähe von Santiago stammt, war eine dürftig begründete Mutmaßung. Er hatte es auf dem Flohmarkt beim Schulhaus Buchenhof erworben.

Der Duft. Unzweifelhaft brüht Solari den besten Espresso in seinem Bekanntenkreis, wovon er sich an diesem Morgen die zweite Tasse eingießt. Sie steht ohne Untersatz auf der Küchenablage. Über die Küchenablage hinweg schaut er aus dem frisch geputzten Fenster. Er mag die Aussicht vom dritten Stock auf die verkehrsberuhigte Mettlerstraße, besonders um diese Zeit, die den Gehsteig sachte belebt. Eine Parkbuße wird ausgesprochen, ein Kinderwagen gebremst, da Schuhe geschnürt werden müssen, der Platz unter dem Vordach des Bordells wird gefegt. Eine Häuserzeile weiter arbeiten die beiden Architektinnen und ihre Gehilfen bereits emsig; damit das auch alle bemerken, fehlen im Büro die Vorhänge. Eine Parkbuße mehr, zugleich rieselt Zucker in die Tasse, Zucker in die Tasse, Zucker in die Tasse.

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Viel zu viel Gerümpel, der Preis für die Ordnung in der Zweizimmerwohnung und nicht etwa Ausschussware des Geschäfts, füllt Ottavios Kellerabteil. Im schummrigen Verschlag stemmt dieser einen Liegestuhl gegen die eingerollte Gästematratze und angelt hinter den Blumenkisten nach seinem Koffer. Unter ziemlicher Anstrengung, aber behutsam zieht er ihn hervor, danach lässt er den Liegestuhl zurücksinken. Irgendwo rutschen einige Kartons noch tiefer in die Dunkelheit. Einerlei. Zufrieden rollt er den robusten Schalenkoffer auf den Korridor, wirft nochmals einen Blick auf das Durcheinander und verriegelt das Abteil.

Im kargen Vorraum zu den Kellergängen, der im Atomkrieg vielleicht als Bunkerschleuse dienen würde, klebt ein grell orangefarbenes Band, das vor einer Videoüberwachung warnt, die es offensichtlich nicht gibt, also auch niemanden darin hemmt, seinen Sperrmüll hier zu deponieren. Kommt er daran vorbei, belustigt Solari dieses Band jedes Mal, und jedes Mal nimmt er sich vor, Hans, der den Hauswartsposten hält, darauf anzusprechen. Nachdenklich, weshalb er es nie getan hat, setzt er den Fuß auf die erste Stufe. Leider ist das Treppensteigen unvermeidbar, der Lift fährt nur bis ins erste Untergeschoss, der Keller liegt noch tiefer. Aber Solari hat ja keine Eile. Er greift nach dem Handlauf, wie es die Unfallversicherung auf sämtlichen Plakatwänden der Stadt empfiehlt.

Nachdem er den Absatz vor dem nächsten Treppenlauf erreicht hat, hält er kurz inne neben einer Metallklappe im Beton, die sich kraft zweier grober Hebel öffnen lässt. Es ist die Einstiegsluke in einen schmalen Fluchttunnel aus den Rettungsräumen. Die zuständige Einheit der Zivilschutzorganisation hat den Durchgang seit Ewigkeiten nicht mehr kontrolliert, geschweige denn vom Unrat gesäubert, weil die ganze Anlage längst keine Rolle mehr spielt in den Szenarien der Katastrophendienste. Und Hans Segmüller, den Ottavio vor dem Abflug heute Nachmittag wohl gar nicht mehr sieht und wegen der Videoüberwachung ärgern kann, Hans Segmüller also halst sich ohnehin zu viel Arbeit auf, als dass er sich auch noch um die Luke kümmern wollte. Ein sicheres Versteck. Für drei Wochen sicher. Der Antiquitätenhändler widersteht seinem Kontrolltrieb und trägt den Koffer hoch zur Kellertür.

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Um einem Zweig etwas Wohlgeruch abzugewinnen, reibt er ihn zwischen den Fingerbeeren. Topferde und ätherische Öle. Den Salbei und den Thymian hat er vorhin auf die Küchenablage ans Licht gestellt; den Rosmarinstrauch, er leidet besonders unter etwaiger Nässe, holt Solari soeben vom bescheidenen Balkon ins Wohnzimmer. Nicht dass er für seinen pollo arrosto, den er in der Nebelzeit häufiger als sonst zuzubereiten pflegt, auf Beutelgewürze zurückgreifen muss. Hans hat ihm ungeachtet der vielen Arbeit versprochen, die Zimmerpflanzen zu wässern und die Kräuter im Auge zu behalten. Mit ihm verbindet ihn nicht allein die Tatsache, dass er auf derselben Etage wohnt, sondern eine Freundschaft, die sich im Laufe der Jahre abgekühlt hat, doch immer noch für gute Worte und Dienste bürgt.

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Lediglich drei Querstraßen vom Hotel entfernt leuchteten damals Neonschleifen den verheißungsvollen Namen einer Bar in den Abend. Weil Hans die süßen Mischgetränke und den Zuckerrohrschnaps in der Urlaubswoche zuvor nur anstandshalber gekostet hatte, bestellten sie amerikanisches Bier. Endlich konnte auch er sich entspannen, man sah es ihm an. In Rio fürchtete er andauernd, überfallen oder wenigstens überlistet zu werden, dieses Städtchen im Hinterland hingegen behagte ihm, und wiewohl er – eine Frage des Berufsethos – noch weit mehr auf Reinlichkeit hielt als Ottavio, behagten ihm auch die abgewetzten, fleckigen Sessel. Die beiden versuchten, sich die Orte in Erinnerung zu rufen, die sie an jenem Tag mit dem Mietwagen durchquert hatten. Die Aussprache des brasilianischen Portugiesisch bereitete Hans dabei insofern keine Mühe, als er sich keine Mühe gab, es fehlerfrei auszusprechen.

Ottavio Solari hatte seinen zurückhaltenden Nachbarn, der auf die vierzig zuging, gedrängt, sich endlich wieder einmal ausgiebig zu erholen und mit ihm nach Brasilien zu reisen. Das würde ihm guttun, Kultur und Sonne. Leute kennenzulernen, Feste zu feiern. Nach der Lektüre eines dicken Katalogs erklärte sich Hans einverstanden. Allerdings löste sich seine Klammheit nicht einfach mit Ferienbeginn und Ottavio begann ernsthaft, die meisten von Hans' Eigenarten als unweigerliche Folge seines Aussehens zu deuten. Er macht es bis heute. Denn auch wenn es ihm leid tut: Hans ist nun mal hässlich geblieben. Nicht nur wegen der Lippenspaltennarbe oder dem Schnauzbart, der sie zu kaschieren versucht.

Wie er nach der dritten Flasche Bier vom Pissoir in die Bar zurückkehrte, wunderte sich Solari umso mehr. Hans unterhielt sich angeregt mit der Bardame über Volleyball. Sein Englisch klang täuschend ähnlich wie seine paar Brocken Portugiesisch oder sein Schweizerdeutsch, aber er kannte einige Spieler und wusste, dass die Nationalmannschaft Brasiliens seit siebenundsechzig ausnahmslos alle Südamerikameisterschaften gewonnen hatte, zumindest bei den Herren. Lívia offerierte eine Runde.

Den Sommer darauf flog Ottavio wieder alleine in den Urlaub. Hans umsorgte zu Hause seine Frau und seinen neugeborenen Sohn Gilberto, dessen Namen er perfekt aussprechen konnte.

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Auch dieses Jahr wird Ottavio alleine reisen. Er bestimmt aus dem Bücherregal die Zerstreuung für den Flug und engt sie in den kleinen Rucksack, den er nun der Auslegeordnung auf dem Bett beifügt, über den Toilettenartikeln und der Wäsche. Damit sie möglichst wenig Platz einnehmen, hat er die Stöße der gebügelten Unterhosen und -hemden abermals gebügelt. Auf dem Kopfkissen schichten sich die Oberhemden. Den Plan, neue zu kaufen, hat er verworfen, dafür ist ihm der Name des Herrenausstatters inzwischen eingefallen: Mercier. Die einzige Jeans, die er besitzt, liegt bereits im Koffer, die luftige Baumwollhose ebenfalls. Der Anzug und das Jackett verhängen im Türflügel des Schranks den Spiegel. Ehe Solari sie nach der Weise, wie er es im Militärdienst erlernte, zusammenschlägt, sollte er noch eine Krawatte auswählen. Besser zwei. Sorgfältig kämmt er seine Sammlung durch, wägt die Anlässe ab, die eine Krawatte erfordern, diejenigen, die eine Krawatte erlauben. Am besten also drei oder vier. Das Ultramarin der seidenen, die er sich zum Siebzigsten leistete, könnte zum Leinenanzug passen, Seide und Leinen, Leinen und Seide, puh …

Da fällt dem Antiquitätenhändler ein, dass ihn auch Anlässe erwarten, die eine Badehose erfordern. Das Landhaus außerhalb von Belo Horizonte verfügt schließlich über ein Schwimmbecken. Er ärgert sich. Neue Hemden nicht zwingend, fraglos jedoch hätte er eine neue Badehose auftreiben sollen. Jetzt bleibt nicht mehr genug Zeit dafür. Er kennt seine Schwankheit, sieht voraus, dass die Entscheidung für ein passendes Modell erst nach wiederholtem Meinungswechsel fiele. Die Zugfahrt zum Flughafen aber will er auf keinen Fall zu spät antreten, weshalb die sonnenbleiche Speedo noch einmal zu Ehren kommt. Aus der Küche schleppt er einen Schemel herbei, um an das oberste Brett des Wandschranks zu gelangen, wo die Badeutensilien weggepackt sind. Eigentlich mutet er seinen nackten Bauch der Öffentlichkeit nur noch ungern zu; dem heißen Sommer zum Trotz schwamm er nicht ein einziges Mal im See. Doch das abgeschiedene Landhaus bewirkt eine andere Sachlage. Eine gänzlich andere Sachlage. Ob das Strandtuch überhaupt in den Koffer passt? Braucht er überhaupt eines? Wer einen Pool hat, hat doch auch Tücher.

Indes er sich das durch den Kopf gehen lässt und sich auf dem Schemel nach der Sporttasche reckt, fängt sein Mobiltelefon an, Lucio Battisti zu spielen. »La canzone del sole« aus der Lendengegend. Ottavio Solari versucht, die Badetasche aus dem Schrank zu zerren und zugleich den Anruf entgegenzunehmen. Eine schlechte Idee, insbesondere für jemanden, dessen Balance ohnedies an den Nachwehen eines Hüfteingriffs krankt.

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Der einundzwanzigste September

Über dem Zugang zur Küche prangt eine Anerkennungsplakette, verliehen durch den Verein zur Förderung des Ansehens von Blut- und Leberwürsten; an den Wänden verteilen sich Ansichten des Quartiers zwischen einer Bierdeckelsammlung und der aktuellen Jagddekoration. Wenn sie richtigen Hunger hegt, isst Ruth Frigger zu Mittag gerne in der Firstschenke. Maja, die Wirtin, kreidet jeweils schnörkellos auf eine Klapptafel, was sie der zahlreichen Stammkundschaft persönlich als Tagesmenu serviert: zu jeder Jahreszeit warme Suppe und grünen Salat vor einem Hauptgang, der auch Handwerker sättigt. Ruth ist spät dran heute, na ja, fast immer mittwochs. Draußen sonnen sich zwar einige Gäste beim Kaffee, doch drinnen sind nur noch wenige Tische belegt. Eine Lehrerin, dem Anschein nach eine Deutschlehrerin, korrigiert zurückgezogen auf der Eckbank Diktate, wobei sie sich nicht stören lässt von der lauten Männerrunde, die eben den Kartenteppich über den Tisch am Fenster breitet.

Gelassen löffelt Ruth die letzten Schlucke der Kartoffelsuppe, als ihr Maja bereits den dampfenden Teller Teigwaren hinstellt. Die Wirtin mit der bunten Schürze wünscht einen guten Appetit, ohne an das Alltagsgespräch des vorherigen Gangs anzuknüpfen. Stattdessen kramt sie hinter der Bar nach Gläsern und fasst in der Vitrine eine Schnapsflasche für die Buben, wie sie die Kartenspieler nennt. Ein jeder galanter als sein Nachbar begrüßen diese sie als Zuschauerin in ihrer Runde, Maja schenkt Kirsch ein. Auch sich selbst. Bevor sie mit den Kavalieren im Rentenalter auf die Firstschenke anstoßen kann, die noch kein Sushischuppen oder Filialimbiss geworden ist, fällt ihr ein, dass sie vergessen hat, Ruth den Käse zu reichen. Die bedeutet ihr, sitzen zu bleiben.

»Du bist genug herumgerannt. Ich weiß ja, wo er steht.«

Sie holt sich das Parmesangeschirr mitsamt der Pfeffermühle von der Anrichte. Zurück am Platz würzt sie herzhaft ihre Steinpilznudeln und beschließt, Maja beim nächsten Besuch wieder einmal Konfekt mitzubringen.

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Ärger aus einem Gesicht verfliegen zu sehen, beschwingt Ruth nach wie vor. Solche Momente, die leise den Stolz auf ihre Arbeit wecken, kostet sie aus, Schritt für Schritt handelt sie darauf hin. Runzelt der Ernsthaftigkeit wegen fürs Erste die Stirn. Neuerlich dreht sie an den Schaltern, aber die hinteren beiden Herdplatten glühen nicht. Dementsprechend blättert sie ein Formular weiter, vermerkt den Defekt, zudem zeichnet sie die Platten auf einer Planskizze ein, was Fatmire aufmerksam verfolgt. Meist hat Ruth, die bei derselben Immobiliengesellschaft wie Hans Segmüller als Hauswartin angestellt ist, mit der ältesten Tochter zu tun, falls Familie Shala etwas an der Wohnung beanstandet. Der Schaden ist pflichtgemäß aufgenommen. Ruths Blick hellt auf, sie gönnt sich eine Spannungspause.

»Der Herd ist ziemlich in die Jahre gekommen, Frau Shala. Eine Reparatur lohnt sich wohl nicht. Wir hätten Ihnen das Gerät so oder so bald ersetzen müssen, dann machen wir das doch gleich in den nächsten Tagen, einverstanden?«

»Ja, umsonst?«

»Ja, umsonst.«

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Um Majas Menu und das Tortenstück aufzuwiegen, hat Ruth entschieden, den Rest des Tages auf den Fahrstuhl zu verzichten. Von der Wohnung der Shalas ist die Hauswartin also zum Werkraum ins Erdgeschoss der Firstfelderstraße 48 heruntergestiegen, wo sie nun zusammen mit Jadranka, die hier und in zwei anderen Mietshäusern putzt, an der Kehrmaschine hantiert. Der Elektromotor lahmt, wahrscheinlich liegt es am Akkukabel. Ruth prüft das mitgebrachte Kabel eines Vorgängermodells und stutzt, soweit sie es verantworten kann, den Isolationsgummi zurecht. Mit Gewalt und ausgewählten Schmähungen passen die Frauen die Kupplung in die Buchse des Geräts ein, bis das die Kupplung in die Buchse des Geräts ein, bis das Blinklicht den Kontakt und damit den Triumph des Taschenmessers über die Maschinenbaubranche bestätigt.

Da der Ladevorgang zwei Stunden dauert und Jadranka, die nichts derart aus der Ruhe bringt wie Untätigkeit, die verlorene Zeit in einem anderen Haus nachzuholen plant, entfällt die gemeinsame Pause. Ruth versucht gar nicht, ihre Kollegin umzustimmen, denn sie möchte vor dem nächsten Termin noch in der alten Bürobedarfshandlung vorbeischauen. Freundschaftlich umarmt sie die drahtige Kroatin, wirft beim Verlassen des Gebäudes einen Blick in den leeren Verwaltungsbriefkasten, bevor sie die Firstfelderstraße überquert. Eine Straße, die wie einige hundert Meter weiter die Mettlerstraße und wie fast alle Straßen dazwischen ein verkehrsberuhigtes Tummelfeld der Hilfspolizei ist. Eine Parkbuße wird ausgesprochen.

Die Papeterie Leutwiler liegt eine Zigarette entfernt. Sie gehört zwar nicht mehr der Familie Leutwiler, doch die neue Besitzerin veränderte nichts an der Einrichtung, sodass sie mit der Kurbelkasse immer noch Ruths Erinnerungen an die Kindheit im Quartier anklingen lassen kann. Schon in den späten Sechzigern, als man noch ohne Einschränkung von einem Arbeiterquartier sprach, besorgte sie dort Grußkarten für Mutter oder Karteibogen und Bleistifte für Vater. Wie der Laden mit seinem winzigen Sortiment die digitale Revolution überlebte, reiht sich ein in die vielen Geheimnisse des Stadtteils zwischen der Bahntrasse, der Rotlichtmeile und der eng eingedämmten First, deren Pegel nach diesem Sommer etliche fehlende Regentage zu tief steht. Während sie eine kümmerliche Hecke entlangstreift und ebenmäßig Rauch durch den Mundwinkel stößt, sinnt Ruth Frigger bereits über die Worte, die sie schreiben wird. Mit roter Ziertusche. Auf handgeschöpftes Papier.

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Bleibt nichts Ersprießliches zu sagen über einen Menschen, schweigt Ruth lieber. Frau Gschwend sieht das anders und schwärzt der Schwere der vermeintlichen Hausordnungsverstöße nach ihre Nachbarn an. Kisten lägen auf dem Flur, Fahrräder versperrten den Zutritt zum Hintereingang, die Musik lärme ganztags, oben würden sie einen Hund halten, da sei sie sich einigermaßen sicher. Und dass niemand die Vorschrift befolge, nach den Waschgängen die Trommel mit einem Lappen sauber zu machen, ekle sie. Ruth ekelt sich nicht vor dem Spülicht in ihrem Eimer, empfiehlt Frau Gschwend aber, ein Haarsieb fürs Waschbecken zu kaufen. Mit einem letzten kräftigen Zug an der Wasserpumpenzange verschraubt sie den Siphon und sichert der leicht pikierten Gschwend zu, die Reklamationen an die Verwaltung weiterzuleiten, die allenfalls eine Mahnung am Anschlagbrett anbringen werde.

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Weiterhin schläft der Nebel auf dem Grund des Sees. Kaum Wind. Die Wellen, die gegen die Kaimauern planschen, rühren von den Kursschiffen. Vorsichtig nur fächelt der Abend ein Rascheln in die Alleebäume. Auf den Kiesplätzen aller Viertel spielen die Leute Pétanque und beweisen sich in kurzen Unterhaltungen gegenseitig ihre Weltgewandtheit und ihren unerschütterlichen Gleichmut.

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Ein Umschlag, röter noch als das Rot der Tusche, verhüllt den Brief. Mit welchen Kosungen Ruth ihren Freund Mike, den sie im Januar auf einem Geburtstagsfest kennenlernte, zum bestandenen Kurs in Betriebswirtschaft beglückwünscht? Jedenfalls hat sie die teuerste Bluse angezogen. Sie hat das braune Haar nebst ein paar grauen Strähnen zu einem Zopf geflochten und Lippenstift, röter noch als das Rot des Umschlags, aufgetragen. So sitzt sie am Tresen von Mikes Weinbar, seiner Bar, die in einer lauschigen Altstadtgasse Künstlerinnen und Studenten Obdach bietet, anspruchsvollen Alkoholikern gleichwie neugierigen Reisenden.

»Für mich?«

»Sicher für dich! Du hast es verdient.«

»Hehe, das finde ich eigentlich auch. Moment, ich brauche etwas, um den Brief zu öffnen. Wäre jammerschade, ihn einfach aufzureißen.«

Die Klinge am Griff des Korkenziehers fährt langsam durch den Falz. Dann setzt Mike die Lesebrille auf, die er stets in der Westentasche mitführt, damit er auch klein gedruckte Etikettbeschriftungen zu entziffern imstande ist. Er befreit den Brief und schmunzelt schon bei der Anrede. Indem Ruth seine Mimik beobachtet, seine lebhaften Wangen, seine Lippen, die tonlos Satz für Satz artikulieren – bald gelangen sie beim eigentlichen Geschenk an, beim Versprechen zweier Nächte in einem edlen Landgasthof –, indem sie seine linke Hand beobachtet, die die Verlegenheit aus dem Boxerbart krault, indem sich Ruth über Mikes aufrichtige Freude freut, weiß sie: Es war überaus richtig, sich in ihn zu verlieben.

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Der zweiundzwanzigste September

Ein Irrgarten aus Fugen, ein langes Dazwischen aus Mörtel masert die von hohen Fenstern durchbrochenen Mauern. Haustein für Haustein erhebt sich auf einem Hügel jenseits der First das Gymnasium Weite. Es bezeugt wie die nahen Villen den Historismus der Belle Époque, nur nicht so ausschweifend. Solide wirkt es. Der Glockenturm – Grünspan überzieht ihn – ist vielleicht zu verspielt geraten für das mächtige Dach, die Fassade jedoch, zu der man einst von der Gießerei, von der Möbelfabrik, von der Tuchfärberei und den anderen Betrieben am Flüsschen hochblickte, kommt mit wenig Zierde aus. Dies und die strenge Symmetrie, die an eine Kaserne denken lässt, täuschen darüber hinweg, dass das Gymnasium in seiner Geschichte viele Freigeister hervorbrachte. Die Skulptur auf dem Pausenplatz beispielsweise wurde kürzlich von einer Absolventin gestiftet, deren Werke in bedeutsame Sammlungen eingingen und -gehen. Schon seit geraumer Zeit erlernt man hier schwerpunktmäßig Sprachen und musische Fertigkeiten. Hinter dem Altbau gliedert sich ein farbloser Trakt aus den Siebzigerjahren an, mit Chemielaboratorien und mit anderen auf die Naturwissenschaft ausgerichteten Räumen. Sowohl die Mensa als auch eine Dreifachturnhalle sind darin untergebracht, in gegenüberliegenden Flügeln, die eine Wiese und einige Sportanlagen einfassen.

Turnlehrerin Tanja Wyss rügt die Jungs der 4Gb und der 4Gd. Hartnäckig verweigern diese dem Speerwurf ihre Begeisterung und regen sich darüber auf, dass sie bei Sonnenwetter nicht Fußball spielen dürfen. Bis zu den Herbstferien verbleiben danach nur noch zwei Doppellektionen, die sich für anständige Matches besser eignen als die Einzellektion am Montag. Wer kann vorhersagen, ob die Vorhersagen vorhersehen oder ob es in den nächsten Wochen nicht doch in Strömen regnet? Und nach den Ferien wiederum müssen die Schüler in den Schwimmunterricht, der sich mit den normalen Sportstunden abwechselt.

»Es ist mir wirklich scheißegal. Speerwurf steht auf dem Lehrplan, basta. Wer etwas dagegen hat, soll von mir aus bei der Erziehungskommission Beschwerde einreichen. Nochmals: Wir üben das in der ersten Lektion und führen in der zweiten einen Leistungstest durch, der benotet wird. Wer bockt, fällt durch. Da bin ich knallhart.«

»Und wenn schon: Sport ist kein Promotionsfach. Kommen Sie, seien Sie nicht so grausam. Wir sind alles Pazifisten, die den Umgang mit Waffen scheuen.«

»Aber euch beim Fußball anschreit, als ginge es um euer Leben. Nein, keine Widerrede. Es wird geworfen. Eine Doppellektion Leichtathletik ist nicht zu viel verlangt.«

»Können wir nicht einen Kompromiss eingehen: Heute spielen wir Fußball und das Speerwerfen verteilen wir auf die beiden Einzellektionen, die noch kommen. Wir hören auf rumzumaulen und geben auch vollen Einsatz, versprochen. Oder?«

Gilbertos Mitschüler geloben es eifrig, aber Frau Wyss, die im Juli als Stabhochspringerin an den Schweizer Meisterschaften teilnahm, bleibt unerbittlich.

»Und wenn es dann regnet und der Rasen gesperrt ist? Keine Chance. So, und jetzt Ende der Diskussion.«

»Wie Sie wollen. Dann streiken wir eben.«

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Die Schlange kriecht langsam zur Kasse. Oft nehmen die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten ihre Salate oder Brote von zu Hause mit, um das Lunchgeld zu sparen, doch der »gesunde Donnerstag« der Mensa erfreut sich großer Beliebtheit. Frittüregeruch mengt sich unter den Duft frisch gewaschener Haare. Gilberto, der es bereits in der Grundschule aufgab, auf der korrekten Aussprache seines Namens zu bestehen, trägt sein Kraushaar kurz, auf der Seite sowie im Nacken kurz genug, dass seine hellbraune Kopfhaut durchschimmert. Er, den ohnehin die meisten Gil rufen, allerdings so, dass es bei vielen eher nach deutschem Schill denn nach französischem Gilles klingt, Gil also wird sich einen Burger bestellen. Mit Pommes. Mit Extraketchup. Mit einer Cola. Er ist sich darüber im Klaren, welche Art der Tierhaltung die Nahrungsmittelindustrie verantwortet, auch darüber, wie Konsumentscheide die Nahrungsmittelindustrie beeinflussen. Ja, er achtet sonst gewissenhaft auf die Herkunftsdeklaration von Fleischprodukten, wenn er für sich und seinen Vater kocht, und versucht, seinen Fleischverzehr insgesamt einzuschränken, seitdem er diese Artikel über die Umweltbilanz verschiedener Lebensmittel gelesen hat, aber jetzt wird er sich einen Burger bestellen und ihn mit Genuss essen.

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»Fuck.«

Nicht nur in der Firstschenke spielt man über Mittag Karten. Missmutig schiebt Rahel – fünfundzwanzig Punkte reichen nicht – eine Münze über das Kunstharz. Sie liegt weiterhin gut im Rennen, entscheidet das Spiel wahrscheinlich sogar bald zu ihren Gunsten. Dennoch dreht sie nervös an der Armbanduhr. Alex dagegen streicht sich den Scheitel aus der Stirn, lässig, betont lässig, und mischt die Karten neu, erheischt wie jedes Mal ein bisschen Bewunderung, wenn er zwei Stapel mit Daumenspitzengefühl ineinanderfließen lässt, als hätte er diese Nummer nie zu üben gebraucht. Rahel drängt ihn zur Eile; Anu bittet ihn, den Trick zu wiederholen. Sie, die selten mitspielt, rechnet sich ebenfalls noch geringe Chancen auf den Jackpot von drei Franken sechzig aus. Die anderen, die um den Tisch sitzen, sind bereits ausgeschieden. Gil gleich zu Beginn.

Er stützt seine Schläfe auf die Faust, lehnt mit dem Ellbogen tischmittwärts und starrt vor sich hin. Wie er sich bei Frau Wyss entschuldigen könnte, überlegt er. Dass er es tun muss, steht fest. Einen Sitzstreik für eine Fußballpartie anzuzetteln, erscheint ihm im Nachhinein albern, Wyss in Anbetracht ihrer hilflosen Reaktion auszulachen, boshaft. Sie lief davon, weil sie sich für ihre Zornestränen schämte, und ist nicht wiedergekommen, blieb verschwunden, während Gilbertos 4Gb der 4Gd ein mühseliges Unentschieden abrang. Die Mathelektion wird erst in einer halben Stunde eingeläutet. Am besten erleichtert er sein Gewissen möglichst rasch.

»Ringdingdingding: Hosen runter! Here we go. Zehn. – Dame. – Ass.«