Georg Ebers

Ein Wort (Historischer Roman)



e-artnow, 2015
Kontakt: info@e-artnow.org
ISBN 978-80-268-4537-9

Inhaltsverzeichnis

Herrn Dr. Karl von Burckhardt
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Achtundzwanzigstes Kapitel
Neunundzwanzigstes Kapitel
Dreißigstes Kapitel
Einunddreißigstes Kapitel

Herrn Dr. Karl von Burckhardt

Inhaltsverzeichnis

Mein lieber alter Freund!

Sie wissen, eine wie schwere Sorge uns heuer verhindert hat, Wildbad zu besuchen. Lassen Sie sich's denn gefallen, daß die Arbeit dieses Sommers an meiner Stelle bei Ihnen anklopft. Sie soll Ihnen sagen, daß die dreiundzwanzigjährige Freundschaft, welche mich und die Meinen mit Ihnen und Ihrem Hause verbindet, so frisch und unveränderlich grünt wie die Edeltannen im herrlichen Schwarzwald, und daß ich den Dank nimmer vergesse, den ich der freundlichen Quelle schulde, deren Gaben Sie mit weiser Hand zu verteilen und für Ihre Schutzbefohlenen nutzbar zu machen verstehen.

Wie gern denke ich an Ihr liebliches Waldtal, diese Heimat der schattigen Kühlung, diese Wiege des Wohlseins, dies Füllhorn, welches so vielen Erquickung und Stärkung spendet!

Sie kennen das stille Plätzchen unter den Tannen an der rauschenden Enz, auf dem ein großer Teil meiner Dichtungen entstanden ist; Sie sind der Herr des Hauses, in dem wir so oft im Verkehr mit hervorragenden Männern und edlen Frauen Anregung, Genuß und heitere Erholung fanden. In Zukunft denk' ich unter eigenen Bäumen an einem blauen See die Sommerrast zu suchen; aber auch in Tutzing soll das traute Enztal nicht vergessen werden, und als Pfand der unwandelbaren Treue bringe ich Ihnen, Ihrem Hause und dem ganzen lieben Wildbad diese neue, bescheidene Schöpfung dar.


   Leipzig
, den 10. November 1882

Georg Ebers

Erstes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

»Ein Wort, nur ein Wort!« rief eine frische Knabenstimme, und dann klatschten zwei Hände kräftig zusammen, und ein helles Lachen scholl durch den Wald. Es war bisher still gewesen in den Zweigen der Tannen und den Kronen der Buchen. Jetzt fiel eine Kohltaube in das Lachen des Knaben ein, und ein Häher, den das Händeklatschen erschreckt hatte, entfaltete die braunen Flügel mit dem zierlichen blauen Putz und schwang sich von einem Tannenwipfel auf den anderen.

Der Lenz hatte erst vor wenigen Wochen Einzug in den Schwarzwald gehalten, der Mai erst vor kurzem sein Ende erreicht, und doch war es schwül wie mitten im Sommer, und Wolken zogen sich dicht und dichter zusammen. Die Sonne stand nicht mehr hoch, aber das Tal war so eng, daß sie schon verschwunden war, bevor sie den prächtigen Einzug in die Pforten der Nacht gehalten.

Wenn sie bei klarem Himmel zur Rüste ging, vergoldete sie nur den Saum der Tannen auf dem Kamm der hohen, westlichen Bergwand. Heute war das Tagesgestirn gar nicht zu sehen, und der sparsame, schnell abgebrochene Gesang der Vögel paßte besser als das Lachen des Knaben zu dem drohenden Gewölk und der Schwüle des Tages.

Alle Kreatur schien beängstigt zu atmen, Ulrich aber lachte noch einmal hell auf und rief dann, während er das nackte Knie auf ein Bündel Reisig stemmte:

»Gib mir den Ast dort, Ruth, damit ich es schnüre. Wie dürr das Zeug ist, und wie es kracht! Ein Wort! Um ein dummes Wort tagelang hinter den Büchern zu sitzen; – das ist ja Unsinn!«

»Aber jedes Wort ist nicht wie das andere,« entgegnete das Mädchen.

»Piff ist paff und paff ist puff!« lachte Ulrich. »Das Reisig, hörst du's, das sagt auch immer, wenn ich's zerbreche, »knack«, und noch einmal »knack«; und »knack« ist doch auch ein Wort. Gaukelkaspars Elster kann ihrer zwanzig.«

»Aber der Vater hat es gesagt,« erwiderte Ruth und legte dabei dürre Zweige zusammen. »Um die rechten Worte zu finden, arbeitet er sich müde, und nicht um Geld und Gut. Du willst ja immer wissen, was er in den dicken Büchern sucht. Da hab' ich mir ein Herz gefaßt und ihn gefragt, und nun weiß ich's! Er merkte wohl, daß mich's wundernahm, und da lächelte er denn in das Buch hinein, wie bei der Lektion, wenn du etwas Dummes gefragt hast, und dabei sprach er, ein Wort sei nichts Kleines, und man dürfe es ja nicht verachten, und Gott habe die Welt aus einem einzigen Wort gemacht.«

Ulrich schüttelte den Kopf und fragte nach einigem Besinnen:

»Das glaubst du?«

Die Kleine entgegnete nichts als: »Der Vater hat's ja gesagt.«

Aus ihren Worten klang die feste, unumstößliche Zuversicht kindlichen Vertrauens, und die gleiche Empfindung leuchtete ihr aus den Augen.

Sie mochte neun Jahre zählen und war in jeder Hinsicht das Widerspiel ihres um einige Sommer älteren Genossen; denn er war kräftig gebaut, und aus seinem blonden, schönen Lockenkopf schauten ein Paar große blaue Augen trotzig in die Welt; sie dagegen war ein zartes Geschöpf mit schmächtigen Gliedern, bleichen Wangen und kohlschwarzem Haar.

Sie trug ein ärmliches, aber städtisch geschnittenes Kleidchen und auch Strümpfe und Schuhe, er ging barfuß, und sein graues Wams sah nicht weniger verbraucht aus als die kurzen ledernen Hosen, die kaum seine Knie erreichten; aber doch mußte er etwas auf sein Äußeres halten, denn an seiner Schulter war eine rote Schleife von wirklicher Seide befestigt. Er konnte auch kaum das Kind eines Bauern oder Waldarbeiters sein; dazu war die Stirn zu hoch gewölbt, die Nase und der kirschrote Mund zu fein geschnitten, die Haltung zu stolz und frei.

Die letzten Worte Ruths hatten ihm zu denken gegeben, aber er ließ sie unerwidert, bis das letzte Reisigbündel zusammengeschnürt war. Dann sagte er zögernd:

»Mein Müetterl – du weißt ja ... vor dem Vater darf ich nicht von ihr reden, sonst faßt ihn der Ingrimm; mein Müetterl soll ja so schlecht sein; – aber zu mir war sie's nimmer, und ich habe Heimweh nach ihr alle Tage, sehr, sehr, wie nach nichts anderem. Als ich so groß war, da hat mir mein Müetterl viel Dinge erzählt, so seltsame Dinge! Auch von einem Manne, der Schätze begehrte, und vor dem sich Berge öffneten auf ein Wort, das er kannte. Gewiß, solch ein Wort sucht dein Vater.«

»Ich weiß nicht,« entgegnete die Kleine. »Aber es muß ein großes Wort gewesen sein, aus dem Gott die ganze Erde und den Himmel und alle Sterne gemacht hat.«

Ulrich nickte. Dann schlug er die Augen keck auf und rief:

»Ja, wenn er es fände und würd' es nicht bei sich behalten, und du wolltest mir's sagen! Ich wüßte schon, was ich begehrte.«

Ruth schaute ihn fragend an; er aber rief lachend: »Ich sag's nicht. Aber du, was würdest du fordern?«

»Ich? Ich möchte, daß meine Mutter wieder sprechen könnt' wie andere Menschen. Aber du, du wünschst dir ...«

»Was ich mir wünsch', das kannst du nicht wissen.«

»Doch, doch! Du schafftest dir dein Müetterl wieder ins Haus.«

»Nein, das hab' ich mir nicht gedacht,« entgegnete Ulrich und schaute errötend zu Boden.

»Was denn? Sag's nur; ich schwatz' es nicht aus.«

»Ich möchte ein Knapp beim Grafen sein und immer mit ihm ausreiten dürfen, wenn er auf die Pirsch zieht.«

»O du!« rief das Mädchen. »Wenn ich ein freier Bursch wäre wie du, das wär' mir das Rechte! Ein Knapp! Wenn das Wort alles vermag, macht es dich auch zum Herrn auf der Burg und zu einem mächtigen Grafen, und du bekommst Kleider von lauter Samt mit bunten Schlitzen und ein seidenes Bett.«

»Und ich reite den schwarzen Hengst, und mir gehört der Wald mit den Hirschen und Rehen; und den Bürgern drunten im Ort, denen werd' ich es zeigen.«

Der Knabe erhob bei diesen Worten drohend die Faust und die Augen und bemerkte nun erst, daß schwere Regentropfen zu fallen begannen und ein Gewitter heraufzog.

Rasch und geschickt belud er sich mit mehreren Reisigbündeln, legte eins auf die Schulter der Kleinen und schritt mit ihr talabwärts. Er achtete nicht des heftiger strömenden Regens, des Blitzes und Donners; sie aber bebte an allen Gliedern.

Am Saume des Hohlweges, der zur Stadt führte, blieb sie stehen. Das Naß des Himmels sickerte an seinen beiden schrägen Wänden nieder und sammelte sich auf seinem steinigen Boden zu einem rötlichen Gießbach.

»Komm nur!« rief er und setzte den Fuß auf die Wandung der Schlucht, von der nun Steine und das von dem feuchten Element gebundene sandige Erdreich prasselnd niederwärts rutschten.

»Ich fürchte mich,« entgegnete sie bebend. »Da blitzt es wieder! O Gott, Gott – wie das flammt! ... – oh, dieser Schlag!«

Sie bückte sich, als habe der Strahl sie getroffen, schlug die Händchen vor das Gesicht und sank auf die Knie; dabei fiel das Reisigbündel zu Boden. Sie war ganz Furcht, und als wenn sie dem mächtigen Wort schon gebieten könne, dachte sie: »Ach Wort, ach du Wort, schaff mich nach Hause.«

Er stampfte ungeduldig mit dem Fuß, warf ihr einen Blick zu, in dem sich Verdruß und Verachtung paarten, und murmelte scheltende Worte vor sich hin, während er ihr Bündel, dem er bald die seinen folgen ließ, in den Hohlweg schleuderte. Dann faßte er unsanft ihre Hand und zog sie an den Rand des Abhanges.

Halb gehend, halb gleitend, mit manchem unfreundlichen Ruf, aber doch immer bedacht, sie zu stützen, klomm er die steile Wand mit ihr hinab, und als sie endlich zwischen den ausgefahrenen Geleisen im Wasser standen, nahm er die triefenden Reisigwellen auf und ging mit allen, auch mit den ihrigen, stillschweigend weiter.

Nach einer kurzen Wanderung durch eilendes Naß und langsam zu Tale rutschendes Geröll schauten ihnen einige Schindeldächer entgegen. Nun atmete die Kleine wieder auf, denn zu der Reihe von einzeln stehenden armseligen Häusern, die sich zwischen dem Wald und dem hier schon ganz flachen Saume des Sohlweges erhob, gehörte auch ihr eigenes Heim und die väterliche Schmiede ihres Gefährten.

Es regnete noch immer, aber das schnell heraufgekommene Gewitter hatte sich rasch verzogen, und Dämmerung breitete sich schon über die von feuchtem Dunst umwallten Dächer und spitzen Türme des Städtchens, von dem die Gasse am Hohlweg ausging.

Nur noch einzelne abgerissene Glockentöne unterbrachen die Stille des Abends, schwache Nachzügler des kräftigen Geläutes, mit dem der Türmer vorhin das Unwetter zu zerstreuen versucht hatte.

Es war wohl gesorgt für die Sicherheit des Ortes im engen Waldtale drunten, denn eine Mauer und ein Graben zogen sich rings um ihn her; nur die Häuser am Rande der Schlucht waren unbeschützt. Zwar wurde die Mündung des Hohlweges von den Feldstücken der Stadtmauer und dem starken Turm neben der Ausfallspforte beherrscht, aber es lag den Bürgern nicht ob, für die Sicherheit der Häuserreihe dort oben zu sorgen. Man nannte sie den Richtberg, und es wohnte darin nur Gesindel, der Scharfrichter und armes Volk, dem man das Bürgerrecht nicht gewährte. Der Schmied Adam hatte das seine auch verwirkt, und Ruths Vater, der Doktor Costa, war ein Jude, der froh sein mußte, daß man ihn hier in der alten Försterei duldete.

In der Gasse war es still. Nur einige Kinder sprangen in den Pfützen umher, und eine alte Wäscherin stellte ein hölzernes Gefäß unter die Dachrinne, um Regenwasser zu sammeln.

Zwischen den Hütten und unter Menschen atmete Ruth wieder auf, und bald hing sie an der Hand des Vaters, der ihr entgegengekommen war, und betrat dann mit ihm und Ulrich ihr elterliches Haus.

Zweites Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Während der Knabe die feuchten Reisigwellen neben den Herd in der Küche des Doktors zu Boden warf, zog ein Klosterknecht drei Rosse unter den roh zusammengezimmerten Schuppen vor der Werkstätte des Schmieds Adam. Der stattliche, längst ergraute Mönch, der den schweren Falben geritten hatte, stand schon neben dem erstorbenen Feuer und drückte die Hände auf die durchwärmte Esse.

Die Schmiede hatte offen gestanden, aber trotz allen Pochens und Rufens war weder der Meister noch eine andere Menschenseele erschienen. Adam war ausgegangen, aber weit entfernt konnte er nicht sein, denn auch die aus der Werkstätte in die Wohnstube führende Tür war unverschlossen.

Dem Pater Benedikt wurde die Zeit lang, und er versuchte zu seiner Zerstreuung den gewaltigen Hammer zu heben. Das fiel ihm, der doch auch kein Schwächling war, sauer, und dem Arme Adams war es nicht schwer, diese Last zu schwingen und sicher zu lenken. Hätte der Meister nur sein Leben ebensogut zu regieren verstanden wie sein wuchtiges Werkzeug!

Er gehörte nicht auf den Richtberg.

Was würde sein Vater gesagt haben, wenn er es erlebt hätte, seinen Sohn hier wohnen zu sehen!

Der alte Schmied war dem Pater wohl bekannt gewesen, und er wußte auch mancherlei von dem Sohne und dessen Schicksalen, aber freilich nicht mehr, als das Hörensagen den einen mit dem Leben des anderen vertraut macht. Auch das schon genügte, um ihm zu erklären, warum Adam ein so in sich gekehrter, weltfremder, einsilbiger Mann geworden.

Was man einen munteren Burschen nennt, das war er freilich auch in jüngeren Jahren nicht gewesen.

Die Schmiede, in der er groß geworden, stand noch am Markte drunten im Städtchen; sie hatte schon seinem Groß- und Urgroßvater gehört. An Zuspruch war dort niemals Mangel gewesen, zum Verdruß der wohlweisen Ratsherren, deren Hinundhergerede von dem Gehämmer gestört ward, das über den schlecht gepflasterten Platz an die Fenster des Sitzungssaales drang; der Scharwache unter den Lauben im Erdgeschoß des Rathauses versüßte dagegen der Verkehr vor der Schmiede das Nichtstun.

Wie Adam vom Marktplatz auf den Richtberg gekommen, ist schnell erzählt.

Er war das einzige Kind seiner wackeren Eltern und erlernte früh bei dem Vater das Handwerk. Als die Mutter gestorben war, gab der Alte dem Sohn und Gesellen den Segen sowie einige Gulden Zehrgeld und sandte ihn in die Fremde. Er wanderte geradeswegs nach Nürnberg, das der Alte als hohe Schule der Schmiedekunst rühmte. Hier blieb Adam zwölf Jahre, und als ihn dann die Nachricht ereilte, sein Vater sei gestorben und er habe die Schmiede am Markte geerbt, da wunderte er sich, daß er dreißig Jahre alt und nicht weiter als bis nach Nürnberg gekommen. Freilich hatte es dort alles zu lernen gegeben, was die gesamte übrige Welt in der Schmiedekunst nur immer vermochte.

Er war groß und schwer und hatte sich von Kind an langsam und ungern von der Stelle gerückt, an der er einmal stand.

Wenn die Arbeit fleckte, so war er auch nach Feierabend nicht vom Amboß fortzubringen; war es schön hinter dem Bierkrug, hielt er länger aus als der letzte. Beim Schaffen war er stumm, wie abgestorben, für alles, was um ihn her vorging, in der Schenke sprach er nur selten wenige Worte, und doch sahen die jungen Maler, Bildschneider, Goldarbeiter und Studenten am Stammtisch den gewaltigen Zecher und guten Hörer gern, und seine Zunftgenossen wunderten sich nur, wie der verständige Schwab, der bei keinem lockeren Streich mithielt und es bitter ernst mit der Arbeit nahm, dazu kam, sich von ihnen abzusondern, zu dem leichten Völkchen zu halten und papistisch zu bleiben.

Nach des Vaters Tode hätte er sogleich in die Schmiede am Markt einziehen können, doch es ging nicht so schnell mit dem Aufbruch, und es dauerte volle acht Monate, bis er sich von Nürnberg losgelöst hatte.

Auf der Landstraße vor Schwabach holte den Wanderer ein Stellwagen ein, in dem fahrende Leute saßen. Sie gehörten zu der feineren Art, wie sie sich auch vor Fürsten und Grafen hören lassen durften, und es waren ihrer sieben. Der Vater und die vier Söhne spielten Geige, Viola und Rebebe, und die beiden Töchter sangen zur Laute und Harfe. Der Alte lud Adam ein, den achten Platz in dem Fuhrwerk einzunehmen, und so zahlte er denn seine Pfennige, und man machte ihm Platz gegenüber der Flora, die die Ihren Florette nannten. Die Spielleute wollten nach Nördlingen zur Messe, und dem Schmied behagte es unter ihnen so gut, daß er auch noch am Ziel der Reise tagelang mit ihnen zusammenblieb. Als er endlich fortging, weinte Florette, er aber wanderte bis gegen Mittag, ohne sich umzusehen, fürbaß. Dann legte er sich unter einem blühenden Apfelbaum nieder, um Rast zu halten und einen Imbiß zu nehmen, aber es wollte ihm nicht schmecken, und als er die Augen schloß, konnte er nicht schlafen, denn er mußte fort und fort an Florette denken. Gewiß! Er hatte sich viel zu früh von ihr getrennt, und ihn überfiel heftige Sehnsucht nach dem Mädchen, ihren roten Lippen und ihrem vollen Haar. Das war ganz goldblond; er kannte es gut, denn sie hatte es oft im Wirtshauszimmer neben der Streu, auf der sie alle geschlafen, gestrählt und geflochten.

Auch nach ihrem Lachen war ihm bang, und er hätte sie gern noch einmal weinen sehen.

Dann kam ihm auch die verödete Schmiede auf dem engen Markt und das traurige Nest in den Sinn, und daß er dreißig Jahre alt geworden sei und doch eine Meisterin brauche.

Ein eigenes Weibchen! Eins wie Florette! Siebzehn Jahre, Milch und Blut, lauter Lust und fröhliches Leben! Er war gewiß kein leichtherziger Bursch, aber unter dem Apfelbaum im Monat Mai sah er sich in eitel Glück und Freude in der Schmiede am Markt mit dem Blondkopfe hausen, der ja schon Tränen um ihn vergossen. Endlich sprang er auf, und weil er sich einmal vorgenommen, an diesem Tage noch weiter zu wandern, so tat er es auch, und zwar aus keinem anderen Grunde, als um dem Entschluß von gestern gerecht zu werden. Am nächsten Morgen zog er vor Sonnenaufgang wieder auf der Landstraße hin, diesmal aber nicht vorwärts und auf den Schwarzwald los, sondern nach Nördlingen zurück.

Noch am selbigen Abend war Florette seine Braut, und am folgenden Dienstag sein eheliches Weib.

Mitten im Lärm der Messe ward die Hochzeit gefeiert. Fahrende Leute, Gaukler und Possenreißer waren die Zeugen; an Musik und Geleier und bunten Flittern fehlte es nicht.

Dem Bürgerssohne und verständigen Gesellen wäre ein ernsteres Fest lieber gewesen, aber dies Fegefeuer mußte passiert werden, um ins Paradies zu gelangen.

Am Mittwoch fuhr er auf einem Meßfuhrwerk mit seinem jungen Weibchen von dannen, und zu Stuttgart kaufte er, weit weniger um den Klatschbasen, nach denen er nichts fragte, die Mäuler zu stopfen, als um seine Frau vor den eigenen Augen zu ehren, für einen Teil seines Ersparten mancherlei Gerät. Das ließ er als Florettens Heiratsgut hochaufgepackt in einem eigenen Wagen in seinen Heimatsort führen, denn ihre ganze Morgengabe hatte aus einem rosenroten und einem grasgrünen Kleidchen, einer Laute und einem weißen Hündchen bestanden.

In der Schmiede begann nun für Adam ein herrliches Leben. Die Gevatterinnen mieden seine Frau, aber in der Kirche sahen sie doch nach ihr hin, und sie kam ihm, und zwar nicht mit Unrecht, zwischen ihnen vor wie die Rose unter dem Gemüse. Den ehrsamen Bürgern war der Bund, den er geschlossen, ein Greuel, aber er brauchte sie nicht, und Flora schien sich auch so zufrieden bei ihm zu fühlen. Als sie ihm vor Ablauf des ersten Jahres seiner Ehe Ulrich geschenkt hatte, da erreichte das Glück seinen Gipfel und erhielt sich ein volles Jahr auf der gleichen Höhe.

Wenn er damals in der Vesperzeit mit dem Buben auf der Schulter und sein Weibchen im Arm hinter den frischen Balsaminen, Aurikeln und Gelbveigelein im Erker stand und der brenzlige Geruch des geglühten Hufhorns ihm in die Nase drang und er sah, wie unten der Gesell und der Lehrbursch einem Roß das Eisen auflegten, da dachte er: in Nürnberg und bei der Kunst war es gut, möchte wohl wieder einmal eine Blume schmieden, aber das Handwerk darf man auch nicht verachten, und so mit Weib und Kind ist es gewißlich am besten.

Am Abend trank er seinen Schoppen im »Lämmle«, und als dort der Wundarzt Siedler das Leben ein elendes Jammertal nannte, lachte er ihm ins Gesicht: »Wer's nur recht zu nehmen weiß, für den ist's auch wohl ein wonniges Gärtlein!«

Florette war ihrem Manne gut, und solang ihr das Kind an der Brust lag, widmete sie sich ihm mit hingebender Liebe. Adam sprach oft von dem Töchterlein, das geradeso aussehen müsse wie die Mutter; aber das wollte nicht kommen.

Als der kleine Ulrich endlich auf der Straße zu laufen anfing, regte sich auch in der Mutter das Wanderblut, und sie begann dem Manne in den Ohren zu liegen, daß er dies elende Nest verlassen und nach Augsburg oder Köln, wo es schön sei, hinziehen möge; er aber saß, wo er saß, und wenn ihre Macht über ihn auch groß war, so vermochte sie doch nichts über die seßhafte Art seines Wesens.

Manchmal nahmen ihre Bitten und Vorstellungen kein Ende, und wenn sie sich gar beklagte, daß sie hier vor Einsamkeit und Langeweile vergehe, brach sein Zornmut hervor, und dann fürchtete sie sich und stob in ihre Kammer und weinte. Wenn sie einen mutigen Tag hatte, drohte sie ihm auch wohl, auf und davon zu gehen und die Ihren zu suchen.

Das gefiel ihm schlecht, und er ließ es sie schwer und bitter fühlen, denn er hielt an allem fest, auch an dem Ärger, den er empfand, und wenn er grollte, so geschah es nicht auf Stunden, sondern auf Monde, und in solcher Zeit ließ er sich weder durch süße Schmeichelei noch durch Tränen versöhnen.

Nach und nach lernte sie seiner Unzufriedenheit mit Achselzucken begegnen und sich das Leben in ihrer Weise zurechtzulegen. Ulrich war ihr Trost, ihr Stolz, ihr Spielzeug, aber das Getändel mit ihm genügte ihr nicht.

Wenn Adam hinter dem Amboß stand, saß sie hinter den Blumen im Erker, und die Leute von der Scharwache schauten nun höher hinauf als nach der Schmiede, und die ehrsamen Ratsherren fanden für das Haus des Meisters auch andere als unfreundliche Blicke, denn Florette erblühte in der Ruhe, die sie genoß, immer schöner, und unter den Rittern in der Nachbarschaft ließ mancher die Rosse bei Adam beschlagen, nur um seinem schönen Weib ins Auge zu sehen.

Am häufigsten kam der Graf von Frohlingen, und Florette lernte bald den Hufschlag seines Hengstes von dem der anderen Rosse unterscheiden, und machte sich, wenn er in die Werkstatt trat, dort gern dies oder das zu schaffen. Nachmittags ging sie oft mit dem Kind vors Tor, und dann wählte sie stets die nach der Burg des Grafen führende Straße. Es fehlte denn auch nicht an besorgten Freunden, die Adam warnten, aber der fuhr sie übel an, und so lernten sie schweigen.

Gerade jetzt war sie wieder munter geworden und sang bisweilen wie ein lustiger Vogel.

Sieben Jahre gingen so hin, und im Sommer des achten kam ein versprengtes Fähnlein Landsknechte vor die Stadt und erhielt Einlaß. Unter den Lauben im Rathaus war ihr Quartier, aber sie lagen auch viel in der Schmiede, denn es gab genug an ihren Sturmhauben und Halsbergen und sonstigem Rüstzeug zu bessern. Der Fähnrich, ein schmucker, stolzer Gesell mit zierlichem Schnauzbart, war der fleißigste Kunde des Adam und spielte recht liebevoll mit Ulrich, wenn Florette sich mit ihm zeigte. Endlich zog das Fähnlein ab, und am selben Tage wurde der Schmied in das Kloster gerufen, um etwas an dem Gitter vor dem Schatze zu bessern. Als er heimkehrte, war Florette verschwunden; »dem Fähnrich nachgelaufen,« sagten die Leute, und sie hatten das Rechte getroffen.

Adam versuchte es nicht, sie dem Verführer abzujagen; aber eine große Liebe läßt sich nicht aus der Brust reißen wie ein Stab, den man in die Erde gesteckt hat; sie ist mit tausend Fasern und Zasern festgewachsen, und sie ganz vernichten heißt das Herz, in dem sie wurzelt, und mit ihm das Leben zerstören.

Wenn er sie im stillen verwünschte und sie eine Natter nannte, so kam ihm wohl in den Sinn, wie holdselig, lieb und frohgemut sie doch gewesen sei, und dann schlugen die Wurzeln der zerstörten Neigung neue Triebe, und er sah vor seinem inneren Auge bestrickende Bilder, deren er sich schämte, sobald sie wieder entschwunden waren.

In das »wonnige Gärtlein« des Lebens hatte auch bei dem Adam Blitz und Hagel geschlagen, und aus dem kleinen Kreis der Glücklichen war er in die große Heerschar der Elenden gestoßen worden.

Unverschuldetem Leid wohnen läuternde Kräfte inne, aber durch unverschuldete Schande wird niemand besser, am wenigsten ein Mann wie Adam.

Ohne nach rechts und links zu schauen, hatte er getan, was ihm recht schien, jetzt aber fühlte der makellose Mann sich entehrt und bezog alles, was er sah und hörte, mit krankhafter Empfindlichkeit auf sich und seine Schmach; und die Kleinstädter ließen es ihn fühlen, daß er übel beraten gewesen sei, als er es gewagt hatte, eine Spielmannstochter zur Bürgerin zu machen.

Wenn er ausging, wollte es ihm – und gewöhnlich mit Unrecht – scheinen, als stieße einer den andern an, aus jedem Auge schienen ihm Hände zu wachsen, die mit ausgestrecktem Finger auf ihn wiesen. Daheim fand er nichts als Öde, Leere, Gram und ein Kind, das ohne Unterlaß an den Wunden riß, die in seinem Herzen brannten und nagten. Ulrich sollte »die Natter« vergessen, und er verbot ihm streng, von dem »Müetterl« zu reden, aber es verging kein Tag, an dem er dies nicht selbst getan hätte.

Der Schmied hielt es in dem Hause am Markt nicht lange aus. Er wollte nach Freiburg oder Alm, nur an keinen Ort, an dem er mit ihr zusammen gewesen. Ein Käufer für das Haus mit dem nahrhaften Gewerbe war bald gefunden, die Sachen wurden gepackt, und am Mittwoch sollte der neue Besitzer einziehen, da kam am Montag der Roßkamm Bolz vom Richtberge zu Adam in die Werkstatt. Der Mann war jahrelang sein guter Kunde gewesen und hatte ihm Hunderte von Eisen abgekauft, die er an der eigenen Esse den Pferden auflegte, denn er verstand sich aufs Schmieden. Er kam, um Abschied zu nehmen, denn er hatte sein Schäflein im trocknen, und im Unterland ließ sich ein besseres Geschäft machen als hier oben im Walde. Zuletzt bot er Adam sein Anwesen um ein billiges zum Kauf.

Der Meister hatte den Vorschlag des Roßkamms belächelt, aber am folgenden Tage ging er doch auf den Richtberg, um sich das Ding zu betrachten. Da lag die Scharfrichterei, nach der wohl die ganze Straße genannt ward. Eine elende Spelunke erhob sich hier neben der andern. Dort vor der Tür lachte der Trottel Wilhelm, mit dem die Stadtbuben ihre Kurzweil trieben, noch ebenso dumm vor sich hin wie vor zwanzig Jahren, hier hauste die Besenkathrin mit dem großen Kropf, die die Gossen fegte; in den drei grauen Kutten, an denen viel zerlumpte Wäsche hing, wohnten zwei Köhlerfamilien und der Gaukelkaspar, ein wunderlicher Mann, den er als Knabe am Pranger gesehen, mit seinen garstigen Töchtern, die im Winter Spitzen wuschen und im Sommer mit dem Alten auf die Jahrmärkte zogen.

In den Hütten, vor denen die vielen Kinder spielten, wohnten ehrliche, aber blutarme Waldarbeiter. Not und Elend waren hier heimisch. Nur das Haus des Roßkammes und ein zweites hätte sich auch in der Stadt sehen lassen können. Das letztere war von dem Juden Costa bewohnt. Der war vor zehn Jahren mit seinem alten Vater und einem stummen Weibe aus einem fernen Lande in die Stadt gekommen und dort geblieben, denn die Frau war eines Mägdleins genesen und der Alte später tödlich erkrankt. Aber die Bürger wollten keinen Juden unter sich dulden, und so war der Fremde auf den Richtberg in das frühere Forsthaus gezogen. Das hatte leer gestanden, weil ein besseres tiefer im Walde gebaut worden war. Den Zins und Judenzoll, der dem Fremden abverlangt wurde, konnte der Stadtsäckel brauchen. Der Jude willigte in die Forderung des Rates, aber weil man bald wußte, daß er den ganzen Tag hinter großen Büchern sitze und keinen Handel treibe, und zudem alles mit gutem Gelde bezahle, hielt man ihn für einen Goldmacher und Zauberkünstler.

Elend oder verachtet war alles, was hier hauste, und als Adam den Richtberg hinter sich hatte, sagte er sich, daß er nicht mehr unter die Stolzen und Makelfreien gehöre, und weil er sich nun einmal geschändet fühlte und er es mit allen Dingen und so auch mit der Schande bitter ernst nahm, fand er, daß die Richtberger die rechten Nachbarsleute für ihn seien. Von denen wußte jeder, was es heißt, elend sein, und unter ihnen hatte mancher größere Schmach als er zu tragen. Und dann! Wenn die Not sein unseliges Weib zu ihm zurücktrieb, hier war der rechte Platz für sie und ihresgleichen.

So kaufte er denn das Haus des Roßkamms und seine gut ausgestattete Schmiede. Was er da in aller Stille schaffte, dafür fanden sich Abnehmer genug.

Er hatte den Kauf nicht zu bereuen.

Die alte Wärterin war bei ihm geblieben und sorgte für den Buben, der wohl gedieh. Ihm selbst wurde es beim Zeichnen, bei mancher künstlichen Arbeit leichter ums Herz. Zuweilen ging er in die Stadt, um Eisen oder Kohlen zu kaufen, sonst aber vermied er den Verkehr mit den Bürgern, welche die Achseln über ihn zuckten und sich auf die Stirn wiesen, wenn sie von ihm sprachen.

Etwa ein Jahr nach der Übersiedlung hatte er mit dem Feilenhauer zu reden und suchte ihn im »Lämmle« auf. Dort saßen die Mannen des Frohlinger Grafen. Er beachtete sie nicht, sie aber begannen sich an ihm zu reiben und ihn zu hänseln. Eine Weile gelang es ihm, sich zu bezähmen, doch als es der rote Valentin zu bunt trieb, übermannte ihn der Jähzorn und er schlug ihn zu Boden. Die anderen fielen nun über ihn her und schleppten ihn auf die Burg ihres Herrn. Ein halbes Jahr lang wurde er gefangen gehalten, dann führte man ihn eines Tages vor den Grafen, und der gab ihm die Freiheit zurück wegen der »schönen Augen der Frau Florette«.

Seitdem waren Jahre vergangen, und Adam hatte mit dem Sohne still und arbeitsam auf dem Richtberge hingelebt. Er verkehrte mit niemand, doch in dem Doktor Costa fand er den ersten und einzigen wahren Freund, den die Schickung ihm gönnte.

Drittes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Pater Benedikt hatte den Schmied bald nach seiner Heimkehr aus der Haft zum letztenmal gesehen, und zwar vor dem Beichtstuhl im Kloster. Da der Mönch in der Jugend in einem kaiserlichen Reiterfähnlein gedient hatte, stand er nun trotz seiner geistlichen Würde der Stallung des reichen Klosters vor und war früher mit manchem Pferde vor die Schmiede am Markt gekommen, aber seitdem das Kloster mit der Stadt in Streit geraten, ließ Benedikt die Rosse anderwärts beschlagen.

Ein schwieriger Fall hatte ihn an den halb verschollenen, geschickten Meister erinnert, und als dieser mit einem Sack Kohlen aus dem Speicher zurückkam, begrüßte ihn Benedikt mit aufrichtiger Wärme. Auch der Schmied zeigte sich erfreut über den unerwarteten Besuch und stellte dem Kloster seine Kunst zur Verfügung.

»Es ist spät geworden, Adam,« sagte der Pater und lockerte den feuchten Gürtel, den er beim Reiten zu tragen pflegte. »Das Gewitter hat uns unterwegs überfallen. Bei dem Rollen und Flackern da oben hat der Goldfuchs dem Götz die Hand schier aus dem Gelenk gerissen. Drei Schritt beiseite und einen vorwärts – dabei ist's spät geworden, und im Dunkeln werdet auch Ihr mit dem Racker nicht fertig.«

»Ihr meinet den Goldfuchs?« fragte der Schmied mit tiefer, volltönender Stimme und steckte einen brennenden Kienspan in den Eisenring an der Esse.

»Ja, Meister. Er duldet nicht das Beschlagen und ist doch eine kostbare Kreatur; wir haben noch keine gleiche gezogen. Bei uns zwingt ihn niemand, aber Ihr, Ihr habt in früheren Tagen ... daß dich das Mäuschen ... Seid in den paar Jahren auch nicht jünger geworden, Adam! Setzt das Käpple nur auf, habt Haare gelassen! Die Stirn reicht Euch schon bis in den Nacken, aber der Arm, der Arm ist geblieben! Wißt Ihr noch, wie Ihr zu Rodebach den Amboß mitten entzwei hiebt?«

»Laßt das!« entgegnete der Schmied – nicht unfreundlich, aber bestimmt. »Ich beschlage das Roß morgen in aller Frühe, für heute ist es zu spät.«

»Hab' mir's gedacht!« rief der andere und schlug erregt in die Hände. »Ihr wisset, wie wir wegen des Brückenzolls mit den Städtern stehen. Lieber in die Nesseln als in das nichtsnutzige Nest! Der Stall da hinten ist groß genug! Habt Ihr keine Schütte Stroh für einen armen Bruder in Christo? Weiter brauch' ich nichts; den Imbiß führe ich bei mir.«

Der Schmied sah verlegen zu Boden. Er war nicht gastlich. Unter seinem Dache hatte noch kein Fremder geruht, und alles, was seine Abgeschiedenheit störte, war ihm zuwider. Aber er konnte nicht nein sagen, und so entgegnete er kühl: »Ich hause hier allein mit meinem Buben; – aber wenn Ihr vorliebnehmen wollt, Platz wird sich finden.«

Der Pater schlug so freudig ein, als sei er herzlich geladen worden, und nachdem die Pferde und der Knecht untergebracht waren, folgte er seinem Wirte in den neben der Werkstätte gelegenen Wohnraum und stellte die Satteltasche auf den Tisch.

»Alles gut, Meister,« sagte er lachend und holte ein gebratenes Huhn und ein Weißbrot hervor. »Aber wie wird's mit dem Wein? Ich brauche nach dem nassen Ritt etwas Warmes hier drinnen. Habt Ihr ein Tröpflein im Keller?«

»Nein, Herr!« entgegnete der Schmied. Aber gleich darauf besann er sich eines andern und sagte: »Doch; ich warte Euch auf.«

Dabei öffnete er den Wandschrank, und als der Pater ein wenig später den ersten Becher leerte, folgte seine Hand mit einem langgezogenen »Ah!« dem feurigen Trunke und blieb befriedigt in der Gegend des Magens ruhen. Seine Lippen spielten noch ein wenig im Nachgenusse, dann sah er den Schmied mit den sonderbar runden Augen wohlwollend an und sagte listig: »Wenn solche Trauben an Eurem Nadelholz wachsen, dann wollte ich, der gütige Herrgott hätte dem Vater Noah statt einer Rebe ein Tannenbäumlein geschenkt. Bei meinen Heiligen; der Erzbischof führt keinen besseren Tropfen im Keller! Gönnt mir noch ein Schlücklein und sagt mir, durch wen Ihr die herrliche Gabe bezieht?«

»Costa gab mir den Wein.«

»Der Hexenmeister, der Jude?« fragte der Pater und schob den Becher von sich. »Ja freilich,« fuhr er dann halb ernst, halb schelmisch fort, »wenn man es recht bedenkt, hat der Wein beim ersten heiligen Nachtmahl und bei der Hochzeit von Kana und der Rebensaft, an dem König David sich letzte, auch einmal in jüdischen Kellern gelegen.«

Benedikt hatte wohl erwartet, daß sein Wirt ein Lächeln oder ein Wort des Beifalls für ihn finden würde, aber des Schmiedes bärtiges Gesicht blieb regungslos und wie erstorben.

Der Pater schaute weniger munter drein, als er von neuem anhob:

»Ihr solltet Euch auch einen Becher gönnen, Meister; der Wein in Maßen genossen macht froh, und Ihr seht nicht aus wie ein zufriedener Mann, 's ist Euch nicht alles nach Wunsch im Leben gegangen; aber es hat jeder sein Kreuzlein zu tragen, und Ihr, Ihr heißt Adam, und so kommt das Eure auch von der Eva.«

Der Schmied hatte bei dieser Rede die Hand von dem Barte entfernt und rückte das runde Lederkäppchen auf dem kahlen Scheitel hin und her. Eine rauhe Entgegnung lag ihm schon auf den Lippen, als er Ulrich bemerkte, der verblüfft auf der Schwelle stehengeblieben war. Der Knabe hatte außer dem Doktor noch keinen Gast am Tisch des Vaters gesehen, aber er sammelte sich schnell und küßte dem Pater die Hand. Der Mönch faßte das Kinn des schönen Buben, bog ihm das Haupt munter zurück, blickte auch Adam ins Antlitz und rief dann: »Mund, Nase und Auge hat er wohl von Eurem Weibe, aber Stirn und Schädel sind aus der gleichen Form wie die Euren gegossen.«

In die Wangen des Schmiedes stieg eine leise Röte, und als hab' er genug gehört, wandte er sich rasch dem Buben zu und rief: »Kommst spät. Wo warst du so lange?«

»Im Wald mit der Ruth; Reisig binden für Costas.«

»Bis jetzt?«

»Rahel hatte Nudeln gebacken. Da hieß der Doktor mich bleiben.«

»Geh denn zur Ruh'. Aber erst reichst du dem Knecht im Stall einen Imbiß und legst frisches Linnen auf mein Lager. Morgen ganz früh bist du in der Werkstatt, es gibt ein Roß zu beschlagen.«

Der Knabe schaute bedenklich auf und sagte: »Ja, aber der Doktor hat die Stunden verlegt; morgen beginnt die Lektion nach Sonnenaufgang, Herr Vater.«

»Recht; wir werden auch ohne dich fertig. Gute Nacht denn.«

Der Mönch war diesem Gespräch mit Spannung und wachsender Mißbilligung gefolgt, und sein Gesicht hatte ein ganz neues Aussehen gewonnen, denn die ohnehin eingefallenen Muskeln zwischen Nase und Mund hatten sich weiter zurückgezogen und bildeten mit der Unterlippe einen nach innen gekehrten Winkel. So schaute er eine Zeitlang stumm und strafend auf den Schmied. Dann schob er den Becher weit von sich und rief mit aufrichtigem Unwillen:

»Was sind das für Dinge, Freund Adam? Den Judenwein lass' ich gelten, meinethalben auch die gebackenen Nudeln, obgleich es ein Christenkind nicht eben gottgefälliger macht, mit denen, über die das unschuldige Blut des Heilands gekommen, aus einer Schüssel zu essen; aber daß Ihr, daß ein gläubiger Christ es einem verfluchten Juden gestattet, einen unverständigen Buben ...«

»Laßt das,« unterbrach der Schmied abweisend den erregten Mönch; doch dieser ließ sich nicht meistern, sondern fuhr nur lauter und entschiedener fort: »Mitnichten werd' ich es lassen. Ist das erhört? Ein getaufter Christ, der seinen leiblichen Sohn zu dem ungläubigen Seelenverderber in die Kinderlehre schickt!«

»Höret mich, Pater!«

»Nichts da. An Euch ist das Hören; an Euch! Was hab' ich gesagt? An Euch, der für sein armes Kind einen ungläubigen Seelenverderber zum Lehrer aussucht. Wißt Ihr, was das ist? Das ist die Sünde gegen den Geist – von allen Sünden die schlimmste. Solcher Greuel! Mit dieser Schuld werdet Ihr's im Beichtstuhl schwer haben, Meister!«

»Nichts Schuld – nichts Greuel!« entgegnete der Schmied trotzig.

Da schoß dem Pater das Blut in die Wangen, und drohend rief er: »Oho, mein Herr Meister! Das Kapitel wird Euch zu Eurem Schaden eines Besseren belehren! Haltet den Buben fern von dem Juden, denn sonst ...«

»Sonst?« wiederholte der Schmied und schaute Benedikt fest ins Antlitz.

Dieser zog die Lippen wiederum tiefer ein und entgegnete nach einer kurzen Pause: »Sonst kommt Bann und gerechte Strafe über Euch und den hergelaufenen Doktor. – Lektion gegen Lektion. Wir sind weichmütig geworden und haben lange nicht zum Exempel für viele einen Juden gebrannt.«

Diese Worte verfehlten nicht ihre Wirkung, denn wohl war der Schmied ein mutiger Mann, aber der Pater drohte mit Dingen, gegen die er sich so machtlos fühlte wie gegen die Gewalt des Sturmes und den aus den Wolken zuckenden Blitz. Tiefe Seelenpein sprach nun aus seinen Zügen, und indem er die Hände abwehrend gegen seinen Gast ausstreckte, rief er angstvoll: »Nicht, nicht! An mir ist nichts mehr gelegen. Kein Bann, keine Strafe kann schwerer machen, was ich ohnehin trage, aber wenn Ihr dem Doktor wehe tut, so will ich die Stunde verwünschen, in der ich Euch einlud, über diese Schwelle zu treten.«

Der Pater sah den anderen verwundert an und entgegnete in milderem Tone: »Ihr seid von jeher Eure eigenen Wege gewandelt, Adam; aber wohin geratet Ihr nun? Hat Euch der Jude verhext, oder was knüpft Euch sonst an ihn, daß Ihr um seinetwillen dreinschaut wie vom Donner gerührt? Niemand soll es verwünschen, den Benediktus zu Gaste geladen zu haben. Findet Euch wieder zurecht, und wenn Ihr Vernunft annehmt – gütiger Himmel – so hat auch unsereins zwei Augen, um eines zuzudrücken, wo es am Platze ist. – Habt Ihr dem Costa etwas Besonderes zu danken?«

»Viel, Pater, viel!« rief der Schmied, und aus seiner Stimme klang noch immer die nur zu wohl begründete schwere Angst um den Freund. »Hört mich, und wenn Ihr wißt, was er für mich getan hat, und Ihr habt den guten Willen, milde zu richten, so traget Ihr das, was Euch hier zu Ohren kommt, nicht vor das Kapitel – nicht, Herr, ich beschwöre Euch – nicht! Denn sehet, wenn ich es sein sollte, durch den der Doktor ins Verderben geriete, ich, gerade ich ...«

Die Stimme versagte dem Schmied, und sein Atem wogte so heftig, daß sein starker Lederschurz sich bald in die Höhe schob, bald hinabsank.

»Ruhe, Meister, Ruhe,« sagte nun der Pater, indem er besänftigend an die unterbrochene Rede des anderen anknüpfte. »Es macht sich noch alles, es macht sich. Setzet Euch, Mann, und vertraut mir! Was habt Ihr dem Doktor so grausam Großes zu danken?«

Der Schmied blieb trotz der Aufforderung des anderen stehen und begann mit niedergeschlagenen Augen:

»Ich bin kein Erzähler. Kurz! Wie sie mich ins Verlies geschleppt haben, wegen des Valentin, das wißt Ihr ja alles, aber wie mir dabei zumute war, das kann kein anderer ermessen. Fort ging es zwischen zwei Gäulen, immer fort, und hier unter dem elenden Gesindel blieb der Ulrich allein – und niemand war da, um für ihn zu sorgen, denn unsere alte Magd war an siebzig, und meine Habe hatte ich an einer sicheren Stelle vergraben, und im Hause nichts als ein Brot und kleine Münze auf kaum drei Tage. Das Kind, nur das Kind hatt' ich stets vor Augen, und ich sah es hier betteln, verlumpen, kläglich verkommen. Aber am meisten hat die Angst mich gemartert, nachdem sie mich freigelassen und ich von der Burg wieder nach Hause zog. Zwei Stunden Weges mögen es sein, aber sie sind mir länger geworden als ebenso viele Johannistage. Fand ich den Ulrich, fand ich ihn nicht? Und was war aus ihm geworden? Es war schon dunkel, als ich endlich hier vor dem Hause stand. Ausgestorben alles, und die Tür verschlossen. Hinein mußt' ich doch, und so pocht' ich denn mit dem Finger, schlug mit der Faust an das Tor und die Läden, aber vergebens. Da trat aus dem roten Hause hierneben das Spittellorle. Und nun bekam ich's zu hören. Die Alte war närrisch geworden und saß im Stock. Ulrich lag auf den Tod. Doktor Costa hatte ihn zu sich genommen. Als ich das vernahm, Herr, da war mir nicht besser zumute als Euch vorhin, und mich packte der Ingrimm und ich schämte mich, als stund' ich am Pranger. Mein Kind bei dem Juden! Es gab da nicht viel zu besinnen, und mit langen Schritten stieg ich auf das Haus des Doktors los. Durch das Fenster schien Licht. Es liegt hoch über der Straße, aber weil es weit offen stand und ich groß bin, konnte ich gut hineinsehen und das erleuchtete Zimmer ganz überblicken. Rechts an der Wand stand ein Bett, und darin lag in weißen Kissen mein Bube. Der Doktor saß ihm zur Seite und hielt die Hand des Kindes in seiner. Die kleine Ruth schmiegte sich an ihn und fragte: »Nun, Vater?« Da lächelte der Mann. – Kennt Ihr ihn, Pater? – Er ist noch ein Dreißiger und hat ein stilles, bleiches Gesicht. Da lächelte er und sagte so dankbar, so ... so froh, als wär' der Ulrich sein eigen: »Gottlob, er bleibt uns erhalten!« Und die Kleine sprang zu der stummen Mutter, die am Ofen saß und Garn wickelte, und rief: »Mutter, er wird wieder gesund. Ich hab' auch alle Tage für ihn gebetet.« Da neigte sich der Jude über mein Kind und küßte ihm mit den feinen Lippen die Stirn – und ich, ich – ich habe die Faust nicht länger geballt, und es faßte mich so, daß ich weinen mußte, als wär' ich selbst noch ein Kind, und seitdem, Pater Benediktus, seitdem ...«

Der Schmied sprach nicht weiter; der Mönch aber erhob sich, legte die Hand auf die Schulter Adams und sagte:

»Es ist spät geworden, Meister. Weist mir mein Lager. Morgen früh ist auch noch ein Tag, und wichtige Dinge soll der Mensch überschlafen. Aber dabei bleibt es und muß es bleiben – auf alle Fälle: der Bube geht nicht mehr zu dem Juden in die Lektion! Er ist Euch morgen beim Beschlagen zur Hand. Ihr werdet verständig sein, Meister!«

Der Schmied entgegnete nichts und leuchtete dem Pater in das Zimmer voran, wo er sonst mit seinem Sohn zu schlafen pflegte. Sein eigenes Lager war für den Gast mit frischem Linnen bedeckt; – Ulrich lag schon auf dem seinen und schien zu schlummern.

»Wir haben keine Kammer für Euch allein,« sagte Adam und wies auf den Knaben; der Mönch aber war mit dem Schlafgenossen zufrieden, und nachdem sein Wirt ihn verlassen, schaute er Ulrich in das frische, schöne Antlitz.

Die Erzählung des Meisters hatte ihn ergriffen, und er legte sich nicht allsogleich zur Ruhe, sondern ging nachdenklich und leise, um das Kind nicht im Schlummer zu stören, auf und nieder.

Adam hatte Grund, dem Manne dankbar zu sein, und warum sollte es keinen guten Juden geben?

Er dachte an die Erzväter und Moses und Salomo und die Propheten, und war denn nicht der Heiland selbst und Johannes und Paulus, den er vor allen Aposteln liebte, das Kind einer jüdischen Mutter gewesen und unter Juden erwachsen? Und Adam, dem armen Schelm, war es über Gebühr traurig ergangen, und wer sich von Gott verlassen meint, der wendet sich leicht an den Teufel. Er war nun gewarnt, und dem Unfug mit dem Sohne mußte ein für allemal ein Ende gemacht werden. Was konnte das Kind von dem Juden nicht alles hören, in dieser Zeit, wo die Ketzerei wie ein brüllender Löwe umherlief und an allen Wegen saß wie eine Sirene! Nur durch ein Wunder war dies abgelegene Tal von den Irrlehren verschont geblieben, aber die Bauern hatten schon gezeigt, daß sie den Rittern die Macht, den Städten den reichen Erwerb, und der Geistlichkeit die ihnen von Gott verliehene Gewalt und den irdischen Besitz nicht gönnten. Er war geneigt, Milde walten zu lassen und den Juden diesmal zu schonen – aber nur unter einer Bedingung.

Als er die Kutte ablegte, suchte er nach einem Haken, um sie aufzuhängen, und dabei bemerkte er auf dem Simse eine Reihe von Brettern. Er nahm eines von ihnen herab und fand darauf den Entwurf zu einem kunstvollen Brunnengitter von der Hand des Schmiedes, und dann gerade seinem Bette gegenüber eine Tafel von Lindenholz, auf der mit Kohle ein Bildnis gezeichnet war. Dies reizte seine Neugier, und als er es mit dem Kienspan beleuchtete, fuhr er zurück, denn es stellte in unbeholfener Ausführung, aber erstaunlich ähnlich, den Kopf des Juden Costa dar. Er erinnerte sich seiner wohl, denn er war ihm mehr als einmal begegnet.

Verdrießlich schüttelte er das Haupt, aber er hob das Bild dennoch vom Simse und betrachtete näher die fein geschnittene Nase und die edle Wölbung der Stirn des Doktors. Dabei murmelte er unverständliche Worte vor sich hin, und als er endlich das bescheidene Kunstwerk wenig behutsam an den alten Platz zurückstellte, erwachte sein junger Schlafgenosse und rief nicht ohne Stolz:

»Herr Pater, das habe ich selbst gezeichnet.«

»Sieh da,« entgegnete der Mönch, »ich wüßte bessere Vorbilder für einen frommen Schmiedeburschen. Jetzt sollst du schlafen, und morgen bist du zeitig auf und hilfst dem Vater. Verstanden?« Dabei drehte er mit einer unsanften Handbewegung das Haupt des Buben nach der Wand hin, und die Milde, die des Meisters Erzählung in ihm geweckt hatte, war in alle Winde verflogen.

Adam ließ seinen Sohn Abgötterei mit dem Juden treiben und Bildnisse von ihm machen. Das war zuviel! Unwillig warf er sich auf das Lager und begann zu erwägen, was in diesem schwierigen Falle zu tun sei, aber der Schlaf machte bald seinem Sinnen ein Ende.

In aller Frühe erhob sich Ulrich, und als Benedikt ihn im Licht des jungen Tages wiedersah und das Bild des Juden, das der schöne Bub gezeichnet, ihn nun abermals anschaute, kam ihm, als sei es eine Eingebung seines Heiligen selbst, der Gedanke, den Schmied zu bestimmen, seinen Sohn in das Kloster zu geben.

Viertes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Pater Benediktus war heute morgen ein ganz anderer als gestern abend beim Weine und ging kühl und gemessen den Fragen des Schmiedes aus dem Wege, bis dieser den Sohn fortgeschickt hatte.

Ulrich war, ohne auf Widerspruch zu stoßen, dem Vater beim Beschlagen des Goldfuchses behilflich gewesen und hatte den widerspenstigen Hengst mit einigen Strichen über Augen und Nase, kleinen Liebkosungen und freundlichen Worten in wenigen Minuten gefügig gemacht wie ein Lamm. Dem Buben, sagte der Schmied, habe von klein auf kein Roß widerstanden; woran das liege, wisse er selbst nicht. Dem Pater gefielen diese Worte, denn er kannte noch zwei wahre Teufel von widerborstigen Fohlen nur zu genau, und was der Blondkopf in der Schule empfing, dafür konnte er sich im Stalle dankbar erweisen.