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PETRA LAHNSTEIN

SCHEISS
AUF
INTELLIGENZ

Einer von uns

Miriam drehte sich unruhig im Schlaf hin und her. Es war einer dieser Momente, in denen man noch träumte, aber irgendwie auch wusste, dass man schon ein wenig wach war. Einer jener schönen Träume im Halbschlaf, bei denen man auf keinen Fall zurück in die Realität wollte.

Etwa einhundert weiße und rote Herzluftballons flogen zum Himmel. Miriam schaute sich zufrieden um, als sie vorsichtig aus der Hochzeitskutsche ausstieg. Alle waren gekommen: Ihr Bruder Alex, ihre beste Freundin Carla und sogar die Kollegen. Die Sonne schien und zwei kleine Mädchen streuten rote Rosenblüten bis zur Tür des Standesamtes.

»Jetzt, wo wir drei Jahre zusammen sind, wird es Zeit, dich für die nächsten dreißig Jahre an mich zu binden. Liebe Miriam, ich will jeden Tag meines Lebens mit dir zusammen sein und dich glücklich machen. Ich will dir dein Traumhaus bauen und mit dir die schönsten und liebevollsten Kinder dieser Welt zeugen.

Miriam, ich liebe dich.«

Miriam strahlte ihren geliebten Torsten an und schaute sich noch einmal um.

Die anderen Manager aus dem Büro standen Spalier und sie hörte, wie ihr Kollege Adrian sagte: »Wir alle wollten sie, aber er hat sie uns weggeschnappt.«

»Ja, ich will.«

›Für dich soll‘s rote Rosen regnen.‹ Miriams Wecker war laut und unerbittlich. Er riss sie aus ihrem romantisch-kitschigen Hochzeitstraum.

Immer noch etwas betrübt, dass die schöne Hochzeitsszene nur ein Traum war, stand Miriam auf und ging ins Bad. Sie nahm einen Lippenstift aus ihrer Schublade, wischte mit den Fingern die vier auf dem Spiegel weg und malte eine fünf in das große rote Herz.

Kuschel-T-Shirt aus und rein in die Businessklamotten. Miriam brauchte nicht mehr als eine halbe Stunde, um aus der verschlafenen Romantikerin die taffe Geschäftsfrau hervorzuholen.

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»Carla anrufen.«

Miriam sprach laut und deutlich, damit das Handy über die Freisprechanlage alles richtig verstand. Nur wenige Sekunden später ging ihre beste Freundin dran.

»Hey Süße.«

»Weißt du, was heute für ein Tag ist«, fragte Miriam.

»Dienstag?«

»Okay, ich frage anders: Weißt du, was für ein toller Tag heute in meinem Leben ist?«

»Du wirst für das erfolgreiche Projekt ELO-MAN geehrt?«

»Ja, das auch. Aber darum geht‘s nicht.«

»Du bekommst die verdiente Gehaltserhöhung und damit nur noch 20 Prozent weniger als deine Kollegen?«

»Das wäre toll. Aber ich meine was viel Größeres und Wichtigeres.«

Miriam konnte es kaum noch aushalten und bevor Carla weitere Vorschläge machen konnte, platzte es aus ihr heraus. »Torsten und ich sind heute genau fünf Monate zusammen!«

»Fünf Monate. Muss ich mir wirklich schon fünf Monate lang anhören, dass Torsten der tollste Mann der Welt ist?« Carla musste lachen. »Und du hast nach der letzten Pleite mit diesem Matthias geglaubt, dass du nie wieder einen Mann finden würdest, der ...«

»Der es länger als ein paar Wochen mit mir aushält, ich weiß!«

Miriams Stimme wurde etwas leiser. Sie rückte den Telefonhörer näher an ihren Mund. »Ehrlich gesagt, glaube ich erst, dass unsere Beziehung die Fünf-Monats-Grenze überlebt, wenn ich Torsten heute Abend sehe.

Was, wenn das schwache Herz seiner Mutter gestern Abend nur vorgeschoben war, weil er nicht mit mir rein feiern wollte? Was, wenn Torsten auch den Spaß an mir verliert und mich verlässt? So wie es alle Männer in den letzten acht Jahren getan haben?«

In Miriams Augen sammelte sich Tränenflüssigkeit. Mit dem rechten Zeigefinger tupfte sie sie vorsichtig weg.

»Ich will nicht schon wieder alleine sein.« Miriams Stimme war jetzt noch leiser und schwächer.

»Du siehst Gespenster, Süße. Torsten mag dich sehr. Das habe ich neulich ganz deutlich gespürt, als ihr bei uns zum Essen wart. Das war total vertraut, wie er mit dir umgegangen ist und wie er ›Hase‹ zu dir gesagt hat.«

»Also, wenn ich wirklich alles an ihm liebe. Aber, Hase? Er kann doch nicht zu einer Projektmanagerin mit Mitte dreißig Hase sagen. Das muss ich ihm unbedingt noch abgewöhnen!«

»Nur weil du tagsüber die taffe Projektmanagerin spielst, musst du das doch nicht auch zuhause sein«, sagte Carla.

»Ich spiele nicht! Ich bin halt gut in meinem Job.«

»So war das doch nicht gemeint. Manchmal habe ich einfach das Gefühl, dass es nicht gut für dich ist, den ganzen Tag mit karrieregeilen Managern und Ingenieuren zu verbringen.«

»Heute mache ich definitiv früh Feierabend. Und dann fahre ich zu Torsten in die Wohnung und überrasche ihn mit einem Drei-Gänge-Menü, jeder Menge Sekt und meiner neuen heißen Unterwäsche!«

Miriam lachte. Vielleicht sah sie wirklich nur Gespenster. Aber nach all den Jahren mit den viel zu vielen zu kurzen und verkorksten Beziehungen und dem unfreiwilligen Singledasein, wollte sie endlich glücklich sein. Vielleicht sogar eine Familie gründen.

Du willst ›ankommen‹, hatte Carla es genannt. Aber sie hasste diesen Ausdruck. Ankommen war was für schwache Frauen, die nach einem Mann suchten, der ihnen ein sorgenfreies Leben bot. Aber Miriam war stark und konnte ganz gut für sich selbst sorgen.

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Im Büro angekommen, kramte Miriam ihren Concealer aus der Handtasche und schaute in den kleinen Spiegel ihres Make-ups. Drei Tupfer unters rechte Auge, drei Tupfer unters linke Auge. Mit dem Zeigefinger verwischte sie die Flüssigkeit und klopfte noch einmal vorsichtig am hinteren Ende des Auges, um ganz sicher zu gehen, dass keiner mehr sehen konnte, dass sie geweint hatte.

Lang kurz kurz kurz kurz – Pause – lang. Es klopfte an ihre Tür. Das musste Adrian sein, der charmanteste Ingenieur der Abteilung. Er ließ sich immer wieder einen neuen Klopfrhythmus einfallen.

Da stand er: Der 1,90 Meter große, gut gewachsene Männerkörper in dem dunkelblauen Designeranzug. Wie immer perfekt in Szene gesetzt. Adrian setzte sich mit einer Pobacke auf Miriams Schreibtisch und schaute ihr etwas zu lange in die Augen.

»Toll siehst du aus«, sagte er.

Miriam war froh, dass sie ein gut deckendes Make-up aufgetragen hatte. Vermutlich hatten sich ihre Wangen gerade rosarot verfärbt – wie immer, wenn ein Mann ihr ein Kompliment machte.

Wenn es Torsten nicht gäbe, würde sie mit Adrian zusammen sein wollen. Gleich am ersten Tag war sie dem dunkelhaarigen Adrian mit den wunderschönen braunen Augen in die Arme gelaufen und hatte sich sofort in ihn verguckt. Seitdem hatten sie fast jede Mittagspause miteinander verbracht und sich vor allem zu beruflichen Dingen ausgetauscht, aber auch das ein oder andere Mal über das Leben philosophiert.

Adrian war einer, der einen schnellen Geist besaß. Einer, der mithalten konnte, wenn es darum ging, eine Idee schnell und effektiv weiter zu entwickeln.

Adrian war definitiv ein Mann zum Verlieben, wenn er nicht diesen riesigen Drang zu unterbelichteten Frauen und seiner persönlichen Freiheit gehabt hätte.

Zum Glück hatte Miriam ihn schon nach wenigen Tagen als erbarmungslosen Flirter mit Bindungsangst identifiziert und einige Monate später Torsten kennengelernt.

Adrian war einer, auf den sie noch vor wenigen Jahren reingefallen wäre. Einer, bei dem man zwar von Anfang an wusste, dass er einem nicht gut tun würde, aber man trotzdem nicht die Finger von ihm lassen konnte.

Heute war das anders. Von bindungsunfähigen Männern hatte sie endgültig die Nase voll.

Sie wollte einen, der es ernst mit ihr meinte. Sie suchte einen zum Heiraten. So einen wie Torsten!

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»Du musst mir helfen«, sagte Adrian mit flehendem Blick, »bis morgen früh muss die Präsentation für die Engländer fertig sein, aber ich schaffe es heute nicht. Nicht nur, dass heute Nachmittag die Abschlussfeier des ELO-MAN ansteht. Ich muss bis übermorgen auch noch das Konzept für die neuen Scheinwerfer fertig haben.«

»Hmm.« Miriam zögerte. »Ich habe selbst total viel zu tun und will heute früher weg.«

»Ach, komm schon. Du bist eh viel fitter auf dem Gebiet als ich. So eine Intelligenzbestie wie du hat die Präsi locker in ein bis zwei Stunden überarbeitet!«

»Nenn mich nicht intelligent, okay?«

»Aber das bist du doch!«

»Nicht intelligent genug, um dir eine Absage zu erteilen.«

»Ich kann mich zwei Stunden dran setzen. Aber wenn ich es nicht schaffe, musst du den Rest machen.«

Miriam hasste sich dafür, dass sie es wieder nicht geschafft hatte, Nein zu sagen. Viel zu oft schon hatte sie Adrians Arbeit übernommen.

Adrian berührte wie zufällig Miriams Schulter und beugte sich zu ihr herüber.

»Du bist die Beste«, flüsterte er ihr ins Ohr und ging.

Miriam blieb gedankenversunken zurück.

Total in die Präsentation vertieft, hätte Miriam beinahe die Projektabschlussfeier verpasst. Zum Glück hatte Outlook sie daran erinnert.

Miriam stand auf, zog ihr Businessjackett über und eilte Richtung Konferenzsaal. Sie atmete noch einmal tief ein und aus, nahm die Schultern zurück und ging mit hoch erhobenem Kopf an ihren vorwiegend männlichen Kollegen vorbei.

Einige nickten ihr anerkennend zu. Der Geschäftsführer stand am Mikrofon und hielt eine Rede über den erfolgreichen Projektabschluss.

»Herausragende Fachkompetenz... strukturiertes Denken und Arbeiten... in wenigen Monaten in die technische Entwicklungsabteilung integriert und Großes geleistet... Blablabla.«

Miriam nahm die Lobeshymne kaum wahr. Immer wieder musste sie an Torsten denken und grübelte darüber nach, ob wirklich alles in Ordnung mit ihnen war. Miriam hatte schon immer ein gutes Bauchgefühl gehabt und schon viel zu oft nicht darauf gehört.

Aber dieses Mal wollte sie auch nicht darauf hören. Sie wollte, dass einfach mal alles gut war. So wie in anderen Beziehungen auch. Heute Abend würde sie ihren Torsten in heißen Dessous verführen und ihn davon überzeugen, dass er mit ihr auch die nächsten fünf Monate, nein, fünf Jahre oder besser noch: die nächsten fünf Jahrzehnte zusammen bleiben wollte. Miriam lächelte.

»Das wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, sich die Blumen abzuholen.«

Adrian hatte sie mit dem Ellenbogen angestupst und aus ihren Träumereien herausgerissen.

Ihre Kollegen schauten sie wohlwollend an. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass der Geschäftsführer die ganze Zeit von ihr gesprochen hatte.

Ja, sie hatte sich recht schnell in ein komplexes Aufgabengebiet einarbeiten müssen. Ja, das Projekt konnte sogar früher abgeschlossen werden als gedacht und dabei waren die ersten Tests und das Feedback viel besser, als sie anfangs zu hoffen gewagt hatte.

Aber das war doch kein Grund, ihr Blumen zu schenken. Das war doch ihr Job. Das war das, was sie gut konnte.

Blumen wollte sie lieber von einem Mann bekommen, der sie liebte und der ihr den Weg zu ihrem gemeinsamen Bett mit jeder einzelnen Blüte aufzeigte.

Miriam hasste sich für diese albernen romantischen Gedanken. Aber so war sie nun einmal. Vielleicht war das auch normal, wenn man seit Jahren auf der Suche nach der großen Liebe war.

Miriam setzte ihr Businesslächeln auf und ging die wenigen Schritte zum Rednerpult. Ihre Absätze machten bei jedem Schritt ein lautes deutliches Klack, obwohl sie sich am Morgen für die schwarzen Stiefel mit niedrigem Absatz entschieden hatte.

Während viele ihrer Studienkolleginnen es vorzogen, im harten Business unter Männern im Hosenanzug auf die Arbeit zu gehen, hatte Miriam sich, wie so oft, für einen Rock und eine Bluse entschieden. Sie war eine Frau – das durfte man ruhig sehen, das musste und wollte sie nicht verleugnen.

Miriam war es gewohnt, sich klar und deutlich auszudrücken. Das lernte man, wenn man in einer von Männern dominierten Arbeitsumgebung gehört werden wollte. Mittlerweile machte es ihr sogar richtig Spaß, wenn die Kollegen ihr zuhörten, bei dem, was sie zu sagen hatte.

Immer öfter überraschte sie ihre Kollegen daher ganz gezielt mit Aussagen, die sie nicht erwartet hätten. So auch jetzt.

»Mädchen spielen mit Puppen und Jungs mit Autos. Das war vor hunderten von Jahren so. Das ist es auch heute noch.

Aber was, wenn aus den kleinen Jungs erwachsene Männer geworden sind und es einfach peinlich wäre, mit einem Spielzeugauto unter dem Tisch herum zu krabbeln?

Dann braucht es echte Autos! Autos, die man nicht gleich als Spielzeug erkennt, aber in Wirklichkeit nichts anderes sind.

Und wie muss so ein Auto aussehen? Richtig: Groß, schwarz und mit möglichst viel Technik ausgestattet. Sprich: Das neue Auto sollte so sexy sein, wie der Mann darin, der es einmal fahren wird.«

Einige Kollegen lachten.

»Die Herausforderung des Projekts »ELO-MAN« lag darin, ein neues Elektroauto zu kreieren, das all diese Wünsche erfüllte. Unsere Zielsetzung war klar: Wir wollten ein Spielzeug entwickeln, das ›Mann‹ unbedingt haben will. Gleichzeitig wollten wir ein Auto kreieren, das beim Quartettspiel in jeder Kategorie den Stich machen würde.

Ein Elektroauto, das sexy ist? Das hielten zu Beginn des Projekts auch ein Großteil meiner Kollegen für undenkbar. Und doch – wir haben es geschafft!«

Der neue ELO-MAN ist mehr als nur ein Auto, das groß, schwarz und sexy ist. Es ist umweltverträglich, hat eine lange Reichweite und zählt zu den sichersten Autos, die weltweit auf dem Markt sind.

Es war mir eine Ehre, bei diesem spannenden Projekt dabei sein zu dürfen und ich persönlich freue mich schon darauf, diese tollen Spielzeuge bald auf der Straße zu sehen.«

Schon während ihrer Rede hatte Miriam einige Lacher bemerkt. Als jetzt ein lauter Applaus einsetzte, wusste sie, dass sie es wieder einmal geschafft hatte.

Miriams Chef überreichte ihr einen Blumenstrauß. Als er ihr zu ihrem Erfolg gratulierte, drückte er ihre Hand so fest, dass es weh tat. Er zog das Mikrofon zu sich herüber und ergriff noch einmal das Wort: »Ich muss zugeben, dass ich zunächst skeptisch war, eine Frau in unserer Automotive-Entwicklungsabteilung einzustellen, aber Sie haben mich von Anfang an positiv überrascht! Miriam – Sie sind einer von uns!«

Alle klatschten.

»Du warst wie immer fantastisch!«

Adrian kam freudestrahlend auf Miriam zu. Er nahm sie an der Hand und zog sie Richtung Abteilungsküche.

»Und wie geschickt du wieder unser aller Aufmerksamkeit auf dich gezogen hast. Diese Nummer mit dem Spielzeug. Im ersten Moment dachte ich, du willst kündigen und lieber zu einem Puppenhersteller wechseln.«

Aber Miriam konnte und wollte sich nicht so richtig freuen. »Er hat EINER gesagt und denkt ernsthaft, dass es ein Kompliment ist? Fällt hier denn niemandem auf, dass ich eine Frau bin?«

Miriam war fassungslos über den Spruch des Geschäftsführers.

»Natürlich bist du eine Frau. Intelligent und wunderschön«, sagte Adrian.

»Glaubt der alte Meinert wirklich, dass es ein Kompliment für eine Frau ist, wenn sie als Mann bezeichnet wird?«

»Vielleicht bist du einfach zu schön und zu intelligent für uns Männer – da machen wir dich lieber zu einem von uns!«

»Du meinst: Zu intelligent für eine Frau?«

»Weißt du, es ist toll, mit dir über all diese technischen Details reden zu können. Und ich mag es, mit dir über neue zukunftsweisende Motoren und Technologien zu philosophieren.«

»Aber?«

»Es macht uns Jungs in der Entwicklungsabteilung wahnsinnig, wenn ausgerechnet die einzige Frau in der Abteilung alle Prozesse und Abläufe bis ins Detail kennt. Erst recht, wenn wieder mal ausgerechnet du diejenige bist, die den entscheidenden Fehler findet, nach dem ein ganzes Team von Ingenieuren und Projektleitern seit Tagen gesucht hat. In solchen Momenten wissen wir nicht, ob wir uns freuen sollen oder nicht.«

»Das heißt, euch wäre eine Frau in der Abteilung lieber, die nicht auf Augenhöhe mit Euch ist?«

»Nein, im Job ist das zwar gewöhnungsbedürftig, aber okay. Nach Feierabend ist das schon was anderes.«

»Du meinst, im Privaten ist es noch hinderlicher, wenn man als Frau intelligent ist?«

»Ehrlich gesagt, schon.«

»Das erklärt natürlich, warum du dich immer von diesen offensichtlich unterbelichteten Mädels abholen lässt!«

Adrian lächelte breit.

»Vielleicht.«

»Und du schämst dich nicht einmal dafür!«

Miriam konnte es nicht fassen.

Adrian blickte zur Tür und zwinkerte mit dem rechten Auge.

Miriam folgte seinem Blick und sah sie: 1,80 Meter groß, schlank, wahnsinnig hübsch. Blonde lange Haare bis zum Po. Beine bis zum Himmel. Körbchengröße C, mindestens. Was für eine optische Erscheinung! Aber vermutlich, wie alle abendlichen Begleiterinnen von Adrian, ohne Gehirn ausgestattet.

»Ich muss los«, sagte Adrian.

»Das ist nicht dein ernst«, flüsterte Miriam ihm ins Ohr, bevor er die Küche mit der Frau in den superknappen Hotpants verließ.

»Ich dachte, du hast noch so viel zu tun?«

»Schick mir die Präsi per Mail, dann kann ich ja zur Not zu Hause noch dran arbeiten.«

Miriam wollte noch widersprechen, aber Adrians Augen und Gedanken waren schon ganz bei der Blondine, die er gerade küsste.

Vorfreude und Ablenkungen

›Sie sind einer von uns...›, ›Vielleicht bist du einfach zu intelligent für uns Männer...‹, ›Nach Feierabend ist das was anderes…‹

In Miriams Kopf schwirrten die Gedanken nur so umher. Sie hatte ziemlich Mühe, sich auf den dichten Feierabendverkehr zu konzentrieren.

Miriam konnte schon immer schlecht abschalten. Das war bereits zu Schul- und Studienzeiten so und hatte sich bis heute nicht geändert. Oft verfolgten die Gedanken aus dem Büro sie bis nach Hause. Manche zündende Idee war ihr mitten in der Nacht gekommen, wenn sie wieder einmal nicht durchschlafen konnte. Schon lange hatte sie direkt am Nachttisch einen kleinen Block und einen Stift liegen, damit sie die Gedanken aufschreiben und dann beruhigt weiterschlafen konnte.

Egal. Den heutigen Abend ließ sie sich durch nichts und niemanden verderben. Heute Abend wollte sie einfach nur glücklich sein. Mit einem köstlichen Essen würde sie ihren geliebten Torsten verführen. So, wie sie es in den ersten vier Wochen fast jeden Tag getan hatte.

Schade, dass das Projekt sie nach dieser Anfangszeit so sehr in Besitz genommen hatte, dass nicht nur der Sex, sondern auch die Häufigkeit ihrer Treffen in den letzten Wochen deutlich abgenommen hatte.

Miriam hatte Torsten auf einer After Work Party kennen gelernt, zu der sie erst gar nicht hatte gehen wollen. Adrian war derjenige, der sie noch im Büro dazu überredet hatte, mal vor acht Uhr Feierabend zu machen und sich ein bisschen zu amüsieren.

Adrian zog sie magisch an und so willigte sie ein und freute sich auf einen Abend im privaten Rahmen mit ihm. Doch kaum waren sie in der Bar angekommen, wurde Adrian von mehreren Frauen umschwärmt, die sich in vielerlei Hinsicht glichen: Nicht nur, dass sie vermutlich mindestens zehn Jahre jünger waren als Adrian. Sie alle waren bildschön, hatten lange Haare und meist ziemlich knappe Kleidung an.

Miriam hatte das Gefühl, als könne sie durch sie hindurch schauen, so wenig Gehirn ließ sich bei den Damen erahnen. Adrian schien das nicht zu stören – er gefiel sich offensichtlich in seiner Rolle des reiferen Mannes im schicken Anzug mit gewissem Status, zu dem die Mädchen ehrfurchtsvoll aufschauten. Als Miriam ihn fragend und etwas ungläubig anschaute, meinte er nur: »Ich will mich amüsieren. Würde dir auch gut tun!«

Das war der Tag, an dem sie ihn abgeschrieben hatte.

Miriam hasste es, alleine in einer Bar oder Kneipe herum zu sitzen. Sie wusste nicht so recht, wo sie hinschauen sollte, ohne dabei zu aufdringlich zu wirken. Einerseits wollte sie sich umschauen, ob noch andere attraktive Männer da waren. Andererseits wollte sie nicht zu suchend wirken. Gleichzeitig fragte sie sich, ob vielleicht andere Personen sie beobachteten und über die einsame Frau an der Bar tuschelten, die offensichtlich keine Freunde hatte, die mit ihr weggingen.

Dabei hatte Miriam Freunde. Eine beste Freundin, um genau zu sein. Sie kannte Carla schon seit dem Kindergarten. Und obwohl sie beruflich und privat völlig unterschiedliche Wege eingeschlagen hatten, waren sie bis heute miteinander verbunden. Einmal in der Woche hatten sie einen festen Freundinnen-Tag. Carla hatte sich über diesen festen Termin anfangs amüsiert, aber Miriam fand es in ihrem stressigen Arbeitsalltag einfach praktischer, ihre Freizeit direkt fest mit einzuplanen.

Carla war Lehrerin und hatte noch während des Studiums geheiratet. Heute konnte sie auf sage und schreibe 15 Jahre Ehe zurück schauen und hatte zwei Kinder, die mit großen Schritten Richtung Pubertät marschierten. Auf der einen Seite hatte Miriam sich von Anfang an für das Glück ihrer besten Freundin gefreut. Andererseits hatte sie in den letzten fünfzehn Jahren lernen müssen, dass die Prioritäten einer verheirateten Frau und Mutter ganz andere waren als die einer ewigen Single-Frau.

Miriam kramte ihr Smartphone aus der Handtasche und checkte noch einmal ihre E-Mails. So spät am Abend hatten auch die meisten Kollegen und Kunden bereits Feierabend gemacht. Auf eine einzige E-Mail antwortete sie kurz, als Torsten plötzlich neben ihr stand.

»Sagen Sie bloß, Ihr Boss verlangt, dass Sie auch nach Feierabend weiterarbeiten?«

Mit einem einzigen Satz hatte Torsten es damals geschafft, Miriams Aufmerksamkeit an sich zu ziehen. Und gerade als sie sich verteidigen wollte, dass sie einen wichtigen Job habe, aber durchaus selbst entscheiden könne, wann und wie viel sie arbeitete, da hatte Torsten ihr schon eine neue Frage gestellt. Und dieser folgten bis in die frühen Morgenstunden noch viele weitere.

Torsten war ein Typ nach Miriams Geschmack. Witzig, selbstbewusst und gut gekleidet. Nicht zu groß, nicht zu klein, nicht zu schmal und nicht zu kräftig. Er trug ein Jackett, aber statt eines Businesshemds hatte er ein türkisfarbenes, recht enges T-Shirt darunter.

Wie Miriam in den nächsten Wochen herausfand, war Torsten sein Job als Controller sehr wichtig. Dafür war er bereit, alles zu geben und auch die eine oder andere Überstunde zu schieben. Gleichzeitig gelang es ihm, sofort nach Feierabend den Hebel umzulegen und in den, wie er selber gerne scherzhaft sagte, ›Feierabend-Vergnügungs-Sex-und-TV-Modus‹ umzuschalten.

Miriam liebte es, wenn es Torsten gelang, dass auch sie ihre Gedanken aus dem Büro vergessen und sich ganz auf ihn konzentrieren konnte. Die ersten vier Wochen hatten sie beide fast pausenlos zusammen im Bett verbracht. Miriam erinnerte sich gerne an diese Zeit und sofort machte sich ein Lächeln auf ihren Lippen breit.

Doch leider hatte sie das Projekt ELO-MAN in den folgenden Wochen so sehr in Anspruch genommen, dass sie oft erst nach 21 Uhr nach Hause gekommen war. Torsten hatte ihr dafür nie Vorwürfe gemacht. Dennoch machte Miriam sich Gedanken darüber. Wenn ihr diese wilden Zeiten im Bett fehlten, würde es Torsten sicher ähnlich gehen.

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Miriam war so in ihre Gedanken vertieft, dass es einige Minuten dauerte, bis sie das leise Schnarchgeräusch auf der Rückbank ihres Autos wahrnahm. Angespannt schaute sie in den Rückspiegel und entdeckte ihren Bruder Alex. Miriam fuhr rechts ran und zupfte Alex an der Jacke. Doch es dauerte einen Moment bis ihr kleiner Bruder ansprechbar war.

»Hast du sie nicht alle, mich so zu erschrecken?«

»Du hast mir doch selbst den Ersatzschlüssel gegeben, um dein Auto in die Werkstatt zu fahren.«

»Das war vor drei Wochen.«

»Na und? Dann hättest du ihn halt wieder zurück fordern müssen.«

Miriam konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ihr Bruder Alex hatte sich schon immer mit kleinen Tricks durchs Leben geschlagen.

»Ich hab‘s echt eilig, Bruderherz. Also sag schon, warum du mit einer Fahne wie ein stinkender Iltis auf meiner Rückbank schläfst? Haben sie dich an der Uni rausgeschmissen?«

Eigentlich sollte es ein Scherz sein. Doch als Alex viel zu lange keine Antwort von sich gab, wusste Miriam, dass sie recht hatte.

»Die Statistikprüfung?«

»Yes. Aus, vorbei. Das war‘s. Wie konnte ich auch glauben, schlau genug zu sein, um Bauingenieur zu werden?«

»Boah, du stinkst dermaßen, Bruderherz.«

»Ich kann mein Studium an den Nagel hängen und du machst dir Sorgen um dein scheiß Auto? Das ist ja wieder mal typisch. Dir ist ja schon immer alles zugeflogen. Klassenbeste in der Grundschule. Einser Abi aufm Gymi, BWL-Studium ohne ein einziges Wartesemester und dann mit Summa cum Dingsbums abgeschlossen.«

»Summa cum laude.«

»Ach, mir doch egal.«

»Mensch, Alex, du bist doch nicht dumm, nur weil du durch diese eine Klausur gefallen bist.«

»Ich bin dreimal durch diese Klausur gefallen. Dreimal!

Und noch durch viele andere. Das Studium ist zu Ende. Ich habe versagt.«

Alex machte eine kurze Pause.

»Manchmal frage ich mich, ob ich einen anderen Vater habe als du. Wie kann es sein, dass du so intelligent bist und ich so hohl?«

»Bist du doch gar nicht.«

Miriam wusste nicht so recht, wie sie Alex beruhigen sollte.

»Ich fahr dich jetzt erst mal zu mir nach Hause. Du schläfst dich aus und morgen machen wir einen Plan B.«

»Mein Plan B sieht so aus, dass ich Hartz IV beantragen kann. Wer will denn einen Mann mit fast 30, der wegen eines miserablen Abis acht Wartesemester auf dem Buckel hat und jetzt nach vierzehn Semestern doch das Studium wegen mangelnder Intelligenz abbrechen muss? Niemand wird mir einen Job geben. Das war‘s für mich. Scheiß Leben.«

Miriam wollte ihrem Bruder gerade anhand einiger Beispiele aufzeigen, dass man auch ohne abgeschlossenes Studium einen guten Job finden konnte, da schwenkte ihr Bruder schon auf sein Lieblingsthema um.

»Und wie attraktiv bin ich wohl noch bei Frauen, wenn ich nicht mehr der coole Student, sondern der arbeitslose Hartz IV Empfänger bin?«

»Die Frauen werden dich immer lieben, Bruderherz. Mit oder ohne Bachelor. Aber vielleicht wäre es ja mal an der Zeit, sich auf eine festzulegen!«

Miriam machte sich Sorgen um ihren kleinen Bruder. Bisher hatte sie ihn immer als Lebenskünstler gesehen, den so leicht nichts erschüttern konnte. Das endgültige Aus des Studiums schien ihn jedoch ziemlich aus der Bahn zu werfen.

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»Schlaf gut, Großer.« Mit einem Küsschen auf die Stirn verabschiedete sich Miriam kurze Zeit später von ihrem schlafenden Bruder. Eine Träne rann ihr über das Gesicht.

Alex öffnete die Augen.

»Hey, Schwesterherz. Weinst du etwa wegen mir?«

»Nur weil mein kleiner Bruder mir mein Traumhaus nicht bauen kann? Da kennst du mich aber schlecht.«

»Ich kenne dich besser, als es dir lieb ist.«

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Mit ihrer neuen Unterwäsche und dem schicken Abendkleid fühlte Miriam sich wirklich gut. Wie sollte Torsten ihr da widerstehen können?

Eigentlich hatte sie direkt nach der Arbeit einkaufen wollen, um nicht mit hohen Absatzschuhen durch den Supermarkt laufen zu müssen. Alex hatte die ganze Planung durcheinander gebracht. Egal. Irgendwie würde es auch so gehen.

Doch ihr Bruder sollte nicht der Letzte bleiben, der Miriams Pläne durcheinander brachte.

Kaum war Miriam im Treppenhaus angekommen, hörte sie auch schon die Stimme ihrer Nachbarin. Frau Meyer war Mitte siebzig und die Tante des Hauseigentümers. Sie wohnte ein Stockwerk tiefer und bekam alles mit, was sich im Haus abspielte. Offensichtlich stritt Frau Meyer sich gerne oder sie hatte einfach zu viel Zeit, denn ständig war sie im Clinch mit anderen. Nur Miriam blieb davon bisher verschont.

»Schätzchen, schön, dass ich Sie hier zufällig treffe.«

Von zufällig konnte keine Rede sein, das wusste Miriam. Sicher hatte Frau Meyer schon mit offener Tür darauf gewartet, dass Miriam das Haus verließ.

»Hallo, Frau Meyer, leider habe ich es ziemlich eilig heute.«

»Jaja, die jungen Leute. Immer im Stress. Da haben Sie sicher keine Zeit, einer dummen alten Dame von nebenan zu helfen.«

Frau Meyer faltete die Zettel, die sie in der Hand hielt, zusammen.

»Aber Frau Meyer, Sie sind weder dumm noch alt«, sagte Miriam und blieb auf den Treppenstufen stehen.

»Na, geben Sie das Schreiben schon her.«

Miriam konnte schon ahnen, was Frau Meyer von ihr wollte. Eigentlich gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder hatte sie jemanden angeschwärzt und bekam jetzt ein Schreiben von der Gegenseite. Oder ihr eigener Anwalt hatte auf eine der vielen laufenden Auseinandersetzungen reagiert und Frau Meyer brauchte eine Übersetzung dessen, was ihr Anwalt formuliert hatte.

»Das Deutsch dieser Anwälte und Beamten versteht ja kein Mensch, das sollte verboten werden«, sagte Frau Meyer.

Miriam nickte. Auf dieses Gespräch hatte sie überhaupt keine Lust. Sie sollte Nein sagen und so schnell wie möglich zu Torsten fahren.

»Geben Sie es mir mit, ich bringe es in ein verständliches Deutsch und formuliere bis morgen Abend eine treffsichere Antwort.«

Miriam packte den Umschlag in ihre Tasche.

Keine Ahnung, wann sie das noch erledigen sollte.

Scheiß auf Intelligenz

Als Miriam ihr Auto parkte, entdeckte sie kein Licht im Haus. Dabei war sie so spät dran, dass Torsten sicher schon Feierabend gemacht hatte. Vermutlich war er unter der Dusche und hatte, sparsam wie er war, im Erdgeschoss das Licht ausgemacht.

Miriam musste lächeln. Nie hätte sie gedacht, dass sie sich einmal in einen penetranten Stromsparer verlieben würde.

Heute würde sie nicht klingeln, sondern den Ersatzschlüssel aus dem Versteck nehmen. Wenn Torsten aus der Dusche kam, würde sie schon am Herd stehen und das leckere Essen zaubern. Ja, der Plan gefiel ihr.

Miriam öffnete leise die Tür, hängte ihre Jacke an die Garderobe und zog den Reißverschluss ihres neuen Kleides etwas tiefer. So, dass man den schwarzen Spitzen-BH ein wenig sehen konnte. Miriam betrachtete sich im Garderobenspiegel. Vorsichtig zog sie sich noch einmal die Lippen nach und sprühte noch etwas Parfüm auf ihren Nacken.

Schwer bepackt mit den Tüten voller Lebensmitteln, schlich sie, wenige Sekunden später, auf Zehenspitzen Richtung Küche.

Noch bevor Miriam das Licht einschaltete, wusste sie, dass etwas nicht stimmte. Aber dieses Bild hatte sie nicht erwartet: Da stand ihr Freund Torsten vor dem Herd und unmittelbar vor ihm Irina, die Putzfrau. Sie hatte sich nach vorne gebeugt und stützte sich mit ihren Händen am Herd ab, während Torsten von hinten in sie eindrang.

Miriam war sprachlos, konnte gleichzeitig aber nicht ihren Blick von den beiden abwenden.

Sie drückte auf den Lichtschalter. Irgendwie mussten die beiden sie doch bemerken.

Es dauerte einen Moment, bis sich Torsten und Irina ungelenk voneinander lösten.

»Miriam, hör mir zu: Es ist nicht…«.

Torsten wollte sich noch erklären, aber Miriam unterbrach ihn laut und abrupt.

»Jetzt sag bloß nicht: Es ist nicht so wie es aussieht.«

Miriam beobachtete, wie Irina ihre Sachen in der Wohnung zusammen suchte.

»Ich sage dir, wie es aussieht. Es sieht so aus, als würde mein Freund Torsten die Putzfrau vögeln, die ich ihm vor wenigen Wochen empfohlen habe. In der Küche. An dem Herd, an dem ich dir gerade ein Drei-Gänge-Menü zu unserem fünfmonatigen Jubiläum zaubern wollte! So sieht es aus.«

»Bitte, Miriam, hör mir zu.«

Aber Miriam schaute ihm nicht mehr in die Augen, stattdessen schritt sie durch alle Räume und sammelte ein Schlafshirt, ihr Lieblingsparfüm, ihre Haarbürste, ihr mitgebrachtes Kopfkissen und einen Ring ein. Zum Glück hatte sie in den letzten Wochen noch nicht so viele Sachen bei Torsten deponiert.

»Lass uns doch wie Erwachsene darüber reden«, versuchte Torsten es jetzt mit einer etwas sanfteren Stimme. Aber Miriam ignorierte ihn. An der Garderobe hatte sie noch eine Lederjacke und einen Schal von sich gefunden.

Torsten machte Miriams Ignoranz und Geschäftigkeit wütend.

»Ja, dann geh doch. Sei stark und taff wie immer. Du hast doch nur Gefühle für deine Arbeit! Glaubst du, ich habe nicht gemerkt, dass du gedanklich immer noch bei deinem Projekt warst, wenn du mit mir geschlafen hast?«

Torsten lachte verächtlich.

»Sex? Was rede ich da. Wann hatten wir denn das letzte Mal Sex? Kannst du dich noch daran erinnern?«

»Das ist nicht fair«, sagte Miriam, »du weißt genau, dass der ELO-MAN in den letzten Wochen vorging.«

»Was hast du erwartet? Dass ein Mann wie ich wochenlang um Sex bettelt und sogar ganz darauf verzichtet, nur weil du lieber arbeitest?«

Miriam musterte Torsten von oben bis unten. Lächerlich sah er aus. Wie er, nur mit schwarzen Socken bekleidet, dastand und seine Jeanshose vor sein bestes Stück hielt.

Dieses Bild wollte Miriam sich unbedingt einprägen. Sicher konnte sie so schneller über ihn hinwegkommen.

Miriam schwieg. Diese Diskussion konnte und wollte sie nicht führen. Wortlos verließ sie das Haus. Erst im Auto ließ sie ihren Tränen freien Lauf.

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In Carlas Einfamilienhaus angekommen, brauchte Miriam nicht viel zu sagen. Ihre beste Freundin hatte schon an ihrem Gesichtsausdruck gesehen, was los war und ihre Kinder auf die Zimmer geschickt. Viel zu oft hatte sie Miriam in den letzten Jahren nach einer Trennung trösten müssen. Auch ihr Mann hatte schon die eine oder andere Trennung miterlebt.

Er verzog sich wortlos in sein Arbeitszimmer.

»Sag, dass das nicht wahr ist.«

»Wenn ich es dir doch sage. Mitten in der Küche haben die beiden gestanden und sie hat ihre Hände auf den Herdplatten abgestützt und er, er hatte nichts an außer seinen Socken.« Miriam unterbrach ihre Worte immer wieder durch lautes Schluchzen.

»Hör auf, so genau will ich es gar nicht wissen«, sagte Carla.

»Ich dachte, Torsten ist der Richtige. Ich dachte, die Sucherei hat endlich ein Ende. Ich dachte, für mich gibt es auch ein bisschen Glück.«

Das hatte Miriam auch bei Mark, Matthias, Ingo und den anderen Männern geglaubt, die ihr in den letzten acht Jahren begegnet waren. Aber Carla hütete sich, diesen Gedanken auszusprechen.

»Und dann auch noch ausgerechnet die Putzfrau! Was hat die, was ich nicht habe? Sag’s mir? Ist mein Hintern zu fett? Sind meine Haare zu kurz?«

»Süße, jetzt quäl dich doch nicht. Torsten ist ein Arsch. Dir das anzutun! Du bist doch nicht schuld daran.«

»Sie hat mehr Zeit als ich. Das wird‘s gewesen sein. Während ich bis abends spät im Büro sitze, weiß ich von Irina, dass sie nur an drei Tagen die Woche ein paar Stunden putzen geht. Wie soll man da mit einem Vollzeitjob als Projektleiterin mithalten? Noch dazu in diesem Männerzirkus, wo ich jeden Tag aufs Neue beweisen muss, dass ich einen guten Job mache.«

»Mag ja sein, dass du in den letzen Wochen wirklich ein bisschen viel gearbeitet hast. Aber hast du nicht gesagt, dass Torsten auch oft Stress hat? Muss der denn keine Überstunden machen?«

»Eigentlich schon. Aber ich habe davon nicht viel mitbekommen.«

»Vielleicht hat er einfach nicht zu dir gepasst.«

Carla wusste nicht wirklich, was sie sagen sollte. Wie sollte man eine Frau trösten, die sich seit Jahren nichts mehr wünschte, als den Mann fürs Leben zu finden? Die aber nach wenigen Wochen in der Regel wieder alleine dastand, selbst wenn es anfangs noch so gut aussah?

Miriam zog ein neues Taschentuch aus der Packung und putzte sich die Nase. Noch immer konnte sie ihre Tränen nicht zurück halten.

»Wie konnte das passieren, dass aus mir die beste Freundin der glücklichen Braut geworden ist?«

»Die beste Freundin der Braut?«

»Na die, die in Liebesfilmen zwar immer total witzig ist und oft auch attraktiv. Sie geht viel aus, hat viele Männergeschichten zu erzählen und irgendwie mag man sie auch. Aber sie ist und bleibt nur die beste Freundin der Person, die im Film am Ende den Richtigen bekommt. Warum gibt es keine Filme, in denen die beste Freundin endlich mal zum Zuge kommt und den Mann fürs Leben findet?«

»Du findest noch den Richtigen. Da bin ich mir ganz sicher!«

»Wie kannst du dir da sicher sein? Du hast die Dramen der letzten Jahre doch alle miterlebt!«

»Weil du eine hübsche, attraktive und intelligente Frau bist, die das Herz am rechten Fleck hat. Du hast studiert, bist toll in deinem Beruf und stehst mit beiden Beinen mitten im Leben. Dir stehen alle Wege offen!«

»Beruflich vielleicht – aber privat?«

Immer und immer wieder hatte sie sich nach einer gescheiterten Beziehung aufgerappelt und versucht, optimistisch in die Zukunft zu schauen. Meist hatte das auch nach ein paar Wochen funktioniert. Aber dieses Mal konnte Miriam nicht mehr an ein Happy End glauben.