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ORKANFAHRT

25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten

 

 

 

 

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Tag für Tag weht an uns vorbei, bringt das Boot in den Wind.

Und ein Kuss und ein Tag im Mai, sei nicht traurig, mein Kind.

So viele Jahre und so viele Sterne ist es wohl her,

seit wir draußen sind auf dem Meer.

 

Übers Meer · Rio Reiser

Prolog

Aus der Mannschaftsmesse

In einer Interviewpause, als er mit Kaffee aus der Küche zurückkam, erzählte einer der Kapitäne folgende Episode: Damals in der Karibik, wenn es ihm zu viel wurde, oder wenn er merkte, dass es seiner Mannschaft zu viel wurde, schaltete er das Funkgerät aus. Suchte eine Insel mit schönen Stränden und ließ den Anker werfen. Zum Sonnenbaden und Bier trinken, für zwei Tage, manchmal für mehr.

Erst dann fuhr sein Schiff weiter, und wenn sich jemand von der Reederei erkundigte, was denn bitte los war, antwortete er: schwere See, Probleme im Hafen.
Und keine weiteren Fragen, er habe schließlich zu arbeiten.

»Früher war man als Kapitän noch der wahre Chef an Bord«, erzählte er, und es klang wehmütig, »aber heute?«

Um früher soll es gehen, um die Zeit, als noch keine Satelliten und keine Computer die Reisen der Seeleute überwachten. Als es keine Fahrpläne gab, keine minutengenauen Liegezeiten, keine Joysticks auf der Brücke. Als Schiffe noch nicht wie ferngesteuerte Busse mit einer Dauergeschwindigkeit von 25 Knoten über die Ozeane rauschten.

Wir wollen der alten Seefahrt ein Denkmal setzen. Deutsche Kapitäne erzählen, wie sie als Schiffsjungen vor Kap Hoorn in der Takelage froren, wie sie aus Liebe desertierten oder, wenn es nicht anders ging, tausende Tonnen Getreide in einen argentinischen Fluss kippten. Von Stürmen berichten sie, von Monsterwellen, von Stunden zwischen Leben und Tod.
Von gefährlicher Fracht, geheimnisvollen Aufträgen, von Piraten und Schlägereien im Hafen. Von Kerlen wie »Indianer-Fietje« oder »Jimmy Low«, von schweren Fehlern und leichten Mädchen. Sie erzählen von ihrer Liebe zur See und von einer Romantik, die es vielleicht nie mehr geben wird.

Wer alte Kapitäne um ihre beste Geschichte bittet, der muss wissen, worauf er sich einlässt. Man hat mit Männern zu tun, die jahrelang nur die eigene Autorität kannten, oft wortkarge Seeleute, die ein wenig misstrauisch sind und sich selbst nicht so wichtig nehmen. Weshalb es meist ein wenig dauerte, bis sie erzählten. »Wieso wollen Sie das denn so genau wissen?«, diese Frage hörten wir Reporter immer wieder, »ist doch gar nicht so spannend!«

Die Idee zum Projekt kam uns in der Haifischbar, einer Kneipe am Hamburger Hafen, im Herbst 2004. Wer erzählt eigentlich die besten Geschichten? Als wir die Antwort fanden, begann die Suche. Gleich der erste Kapitän, der Hamburger Emil Feith, empfing uns mit rauer Herzlichkeit. Um seine Orkanfahrt präzise zu rekonstruieren, hatte er eigens seinen alten Reeder angerufen, eine Kopie des Logbuchs und den damaligen Wetterbericht besorgt. Bei Kaffee und Gebäck blätterten wir in seinem Fotoalbum, und er berichtete an mehreren Winternachmittagen, wie er trotz des Ausfalls der Ruderanlage mitten im perfekten Sturm auf dem Nordatlantik überlebte.

Für die Porträts reisten wir von Ostfriesland bis Fischland und von Flensburg bis in die Lüneburger Heide. Fast alle Kapitäne leben heute noch in der Nähe des Meeres. Es ist die Liebe ihres Lebens, die sie nie losgelassen hat. Jede Geschichte ist aus ihrer Sicht erzählt; der Kapitän bekam das fertige Manuskript zur Autorisierung vorgelegt. Jedes Wort soll authentisch sein, jedes Wort dem Kapitän gehören.

Unser Dank gilt allen Kapitänen, für ihre Zeit und Gastfreundschaft. Unser Dank gilt außerdem Nikolaus Gelpke, Chefredakteur der Zeitschrift mare, der die Kapitänsgeschichten als Kolumne druckte. Und wir freuen uns über die Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS), deren Vormänner zu den Helden dieses Buchs gehören.

Und nun: Anker auf! anker.jpg

Stefan Krücken
Lüneburg, im September 2007