Table of Contents

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Impressum

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chapter_7

|11|Vorwort zur 2. aktualisierten, erweiterten und verschärften Auflage

|23|Vorwort zur 1. Ausgabe

|25|Einleitung

|35|Der unsichtbare Staatsbankrott oder Es ist zu spät

|61|I. Diagnose: Akute Politikarmut

|63|Krise ohne Alternative

|67|Ist Solidarität die Lösung?

|72|Ist das Individuum schuld?

|74|Kommt der „gute Diktator“?

|82|Politik ohne Wissenschaft

|85|Politik ohne Glauben

|91|Ein Volk von Teufeln

|94|Die Status-Quo-Diktatur

|101|Die Komplizenschaft der Medien

|119|II. Therapie: Eine neue Republik

|122|Trade-Off oder das Prinzip des politischen Verzichtvorteils

|133|Dominotheorie der demokratischen Revolution

|138|Grundgesetz

|141|Beamtentum

|145|Föderalismus

|151|Das Europa-Projekt

|156|Generationenvertrag

|160|Parteiensystem

|167|Wahlrecht

|171|Bundesverfassungsgericht

|174|Rechtssystem

|180|Eine neue Parteiform

|183|Die etablierten Parteien – Abgesang auf ein Suchtopfer

|207|Die demokratische Revolutionspartei

|214|Demokratie ist (auch) Software

|217|Demokratische Revolution in vier Akten

Parteigründung und Programm

Auf dem Weg in den Bundestag

Der Verfassungskonvent

Neue Verfassung, neue Republik

|241|Die acht Todsünden der Bundesrepublik

Politische und philosophische Quellen

|253|Deutschlands zweites Versailles

|259|Der Staatsbankrott in Zahlen

|265|Artikel für Artikel. Warum das Grundgesetz ausgedient hat

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|307|Literatur

|311|Sachregister

|313|Personenregister

|6|Hinweis

Informationen zum Autor

Informationen zum Buch

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Reginald Grünenberg

Das Ende der Bundesrepublik

Warum Deutschland eine neue Verfassung braucht!

Mit Illustrationen von Kriki








Perlen Verlag, Berlin
www.perlenverlag.de

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.


"Das Ende der Bundesrepublik. Warum Deutschland eine neue Verfassung braucht!"

von Reginald Grünenberg

Zweite digitale Auflage

ISBN 978-3-942662-03-1

Perlen Verlag

Copyright©2013

Besuchen Sie uns im Internet: www.perlenverlag.de


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Meinem Freund und Mitstreiter gewidmet

Für Harald Steinhausen

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„Auch der Beitritt aller deutschen Gebiete kann dieses Grundgesetz nicht zu einer gesamtdeutschen Verfassung machen. Die neue, die echte Verfassung unseres Volkes wird also nicht im Wege der Abänderung dieses Grundgesetzes geschaffen werden, sie wird ‚originär‘ entstehen, und nichts in diesem Grundgesetz wird die Freiheit des Gestaltungswillens unseres Volkes beschränken, wenn es sich an diese Verfassung machen wird.“

Stellungnahme von Carlo Schmid,
SPD-Politiker und Staatsrechtler
im Parlamentarischen Rat am 6. Mai 1949

 

„Legen Sie das, Madame, was Sie an meinen Büchern schockierend finden, zu Lasten der Notwendigkeit, die es von uns erfordert, dass wir eine gleichgültige Leserschaft mit allen Mitteln erschüttern müssen.“

Honoré de Balzac an Gräfin Hanska, 1832

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Vorwort zur zweiten digitalen Ausgabe, April 2013

In diesem Buch geht es um die facettenreiche, komplexe und tief verwurzelte Krise der Staatsform „Bundesrepublik“, ihrer wichtigsten Institutionen und des gesamten politischen Systems. Die These, die ich hier vertrete, ist im Grunde ganz einfach: Damit die Krise nicht zur Katastrophe wird, muss Deutschland sich neu gründen und begründen. Deshalb sind die wichtigsten Kapitel auch der einzigen Maßnahme gewidmet, die Aussicht auf Erfolg hat, dieses Ziel auf friedlichem Wege zu erreichen. Es geht um die die Ablösung des Grundgesetzes und die Schaffung einer neuen Verfassung, die durch eine Volksabstimmung legitimiert wird. Das wäre eine demokratische Revolution. Sie würde nicht weniger bedeuten als die Gründung einer neuen Republik, der Dritten Republik in Deutschland. Das ist die optimistische Vision von einem „guten“ Ende der Bundesrepublik. Sie wird immer im Kontrast zum Katastrophenszenario des „schlechten“ Endes entwickelt, dessen Eintreten bislang erheblich wahrscheinlicher ist.

Die INTEGRAL-Version dieses Buches (es gab bis März 2013 eine schlankere KOMPAKT-Version) enthält alle Argumente, die zum Verständnis der Forderung nach einer neuen Verfassung und der damit verbundenen sozialen und politischen Ziele erforderlich sind. Zudem werden darin die entscheidenden organisatorischen Schritte zur Durchführung einer demokratischen Revolution in Deutschland beschrieben. Es gibt weiterführende Anhänge, etwa eine kritische Untersuchung des Grundgesetzes „Artikel für Artikel“, sowie ein vollständiges Personen- und Stichwortregister. Sie finden hier, medizinisch gesprochen, nicht nur die Diagnose und eine entsprechende politische Therapie für die Bundesrepublik, sondern ihre komplette Krankengeschichte. Die Analysen der entscheidenden Fehlentwicklungen vor ihren jeweiligen politischen, sozialen, historischen und finanziellen Hintergründen führen Sie in die entlegensten Ecken des Labyrinths, in das Deutschland sich seit 1948 eingemauert hat. Zu vielen dieser Orte ist noch nie das Licht der kritischen Öffentlichkeit vorgedrungen, und an einigen hausen schon seit längerem ausgewachsene Monsterprobleme, die nur auf ihre Zeit warten. Wenn Sie das Buch in dieser Fassung lesen, dann erfahren Sie mehr über Ihr Land als die meisten Politiker, Politikwissenschaftler oder die Medien Ihnen verraten könnten. Es ist nicht weniger als ein Handbuch zur Neugründung der Republik. Wenn Sie es ausgelesen haben, dann wissen Sie alles, um ein bekennender und kompetenter demokratischer Revolutionär zu werden.

Der Stil des Buches ist, trotz all der in ihm verdichteten Analysen, Informationen und Reflexionen, über weite Strecken frech, zuspitzend und polemisch geschrieben. Ausgeteilt wird in alle Richtungen, und selbst von einer so angesehenen Institution wie dem Bundesverfassungsgericht wird nicht viel mehr übrigbleiben als das Portrait eines kleinen, demokratisch fragwürdigen Pseudo-Diktators.

An dem Thema des Buches arbeite ich seit 2003. Zunächst sollte es 2005 erscheinen, doch dann kam die Große Koalition und alle dachten, jetzt werden endlich die wichtigsten Probleme unseres Landes gelöst. Was geschah? Nichts. Die Regierung hatte alle Hände voll zu tun mit der Finanzkrise. Auf deren Höhepunkt Ende 2008 schloss ich das Manuskript während eines einjährigen Aufenthalts in Japan vorläufig ab. Das Superwahljahr 2009 mit den Feiern zum 60. Jubiläum des Grundgesetzes lieferte dann natürlich reichlich Stoff für die aktualisierte, erweiterte und verschärfte Neuauflage im März 2010. Denn da war bereits klar, dass meine Annahmen von 2008 noch viel zu optimistisch waren und die Zeit für die Bundesrepublik erheblich schneller abläuft, als ich gedacht hatte. Die ganze Publikationsgeschichte, Videos, Rezensionen, Interviews und relevante Artikel zum Thema finden Sie auf dem Blog www.bundesrepublik.wordpress.com. Dort ist auch die Szene aus dem Love-Crime-Romance-Kinofilm Teneriffa EXIT (www.teneriffa-exit.de) von Bernd Heiber zu sehen, in der ich den demokratischen Revolutionär bei einer Redeprobe im Berliner Mauerpark gebe.

Was ist seit dem Erscheinen der 2. Auflage passiert? Lassen Sie mich nur kurz die wichtigsten Ereignisse beleuchten, die unmittelbar mit unserem Thema zu tun haben. Die folgenden Bemerkungen sollen im Übrigen auch klarstellen, dass es sich beim Ende der Bundesrepublik weder um eine neoliberales, konservatives, linkes oder irgendwie anarchistisches Pamphlet handelt, sondern um eine Streitschrift, der die Demokratie in Deutschland als Ganzes am Herzen liegt.

Im April 2010 wollten die prominenten Partei-Renegaten Wolfgang Clement (SPD) und Friedrich Merz (CDU) die deutsche Öffentlichkeit noch einmal mit ihren wichtigsten Erkenntnissen und Ideen beglücken, indem sie sie für uns in dem Buch Was jetzt zu tun ist. Deutschland 2.0 zu einer runden Summe addierten. Doch nach der Lektüre des Buches, einem seitenlangen Interview im Spiegel und einer vollen Stunde zur Primetime im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wurde eine fundamentale Einsicht unausweichlich: Die Summe von Null und Null ist immer gleich Null. Das Repertoire war das Ewigselbe, nämlich Deregulierung, Privatisierungen, Kürzung von Sozialleistungen, Rückzug des Staats und natürlich ungehindertes Wachstum als die Lösung aller Probleme. Es gab nicht eine einzige originelle Idee zu lesen oder zu hören, und den Medien wurde es wohl selbst peinlich, wie viel Aufmerksamkeit sie diesem Machwerk und seinen Autoren spendiert hatten, die letzten Endes doch nur eine wichtige Gemeinsamkeit haben: Sie werden beide maßlos überschätzt. Sogar ARD-Moderator Beckmann, sonst bekannt als nachsichtiger bis wachsweicher Gesprächspartner, verlor die Geduld mit den beiden so überforderten wie holzköpfigen Polit-Senioren, und die Zuschauer haben ihn wohl zum ersten Mal richtig verärgert erlebt.

Viel wichtiger war da Thilo Sarrazins Skandalbuch Deutschland schafft sich ab, erschienen im September 2010. Was kann man dazu noch schreiben? „Das Sarrazinom“ oder „Anderthalb Millionen Fliegen können sich nicht täuschen“? Nein, das haben andere schon getan. Also, keine Gehässigkeiten. Doch das Buch ist schwere Kost und es ist nicht leicht, etwas Gutes darüber zu sagen. In erster Linie werden für den Untergang Deutschlands – in 100 Jahren! – die 6% Bevölkerungsanteil an fortpflanzungsfreudigen und bildungsfernen Moslems verantwortlich gemacht („Eroberung durch Fertilität“), in zweiter Linie die gebärunwilligen deutschen Frauen mit guter Ausbildung („Mehr Kinder von den Klugen, bevor es zu spät ist“). Die deutsche Intelligenz kann sich so nämlich nicht reproduzieren, und deshalb wird unsere verweichlichte Kultur in einer Art arabisch-muslimischer Sintflut untergehen. Das ist keine Übertreibung, das schreibt Sarrazin so. Von dem weiteren Unsinn, den der Autor mit diesem Buch und außerhalb desselben über Humanbiologie und Vererbung verbreitet hat, wollen wir hier gar nicht mehr sprechen. Es ist ein großes Drama, dass in diesem fabelhaft erfolgreichen Politik-Bestseller so wichtige Themen wie Bildung und Einwanderung, die darin über weite Strecken fundiert, kontrovers und spannend erörtert werden – und bei denen in der Tat alle Regierungen seit mindestens dreißig Jahren eklatant versagt haben –, mit der Einfalt und den Ängsten seines technokratischen Autors gekreuzt und auf diese Weise absolut unverdaulich gemacht wurden. Nirgends wird das anschaulicher als auf den letzten Seiten des Buches, im Kapitel „Ein Traum und ein Albtraum. Deutschland in 100 Jahren“. Sarrazin lässt darin die Zügel satirisch schießen und berichtet dabei mehr über seinen psychischen Zustand als über realistische Perspektiven für sein Land. Aus der Sicht des vorliegenden Buches ist Sarrazins Deutschland schafft sich ab völlig nutzlos, denn es bleibt trotz profunder Analysen in allen Lösungsvorschlägen an der Oberfläche der komplexen Problematik. In den Bildungsfragen fabuliert Sarrazin von bundeseinheitlichen Hilfsprogrammen, Prüfungsstandards und Schuluniformen, als ob es den irrsinnigen Bildungsföderalismus nicht gäbe, der tief im Grundgesetz verankert ist. Und nach einem beeindruckenden Maßnahmenbündel für eine bessere Migrations- und Integrationspolitik folgt nur lapidar: „Was vernünftig ist, ist stets auch möglich. Das Grundgesetz ist schon für weitaus unbedeutendere Fragen geändert worden.“ Das war’s mit der Umsetzung. Das zeigt in aller Deutlichkeit die grundsätzliche Politikfremdheit dieses Ex-Spitzenbeamten. Denn was er nicht begreift: Das Grundgesetz wird nur noch für unbedeutende Fragen geändert! Alles, was wichtig für den Erhalt der Parteienherrschaft, der Pfründe etablierter Lobbys und vor allem des öffentlichen Dienstes ist – ganz egal, wie falsch, teuer, dumm und gefährlich es ist –, bleibt unverändert: Das ist das Wesen der Status-quo-Diktatur in Deutschland, der hier ein wichtiges Kapitel gewidmet ist. Den Zusammenhang seines Bildungs- und Migrationsthemas mit dem bundesrepublikanischen Grundgesetzfetischismus, Föderalismus, Beamtentum und Parteiensystem sieht er nicht. Da, wo es interessant wird, also da, wo sich der Punkt abzeichnet, an dem der Hebel angesetzt werden könnte, da ist Sarrazin mit seinem Latein am Ende. Und jetzt mal ehrlich: Wir werden als Deutsche mit unserer Kultur nicht erst in 100 Jahren wegen mangelnder Lernerfolge und zu fortpflanzungsfreudiger Ausländer untergehen, sondern schon in 10, bestenfalls 20 Jahren, weil unsere Staatsfinanzen zusammen mit dem gesamten sozialen und politischen System kollabieren und Deutschland zu einem internationalen Hartz-IV-Fall machen, um den sich dann China und Indien kümmern müssen. Liebe Leser und Verehrer von Thilo Sarrazins Deutschland-Thesen, so sehr dieser streitbare Autor in mancher Hinsicht und sogar in vielen Details Recht haben mag – es hilft alles nichts: Das bringt uns nicht weiter! Kein bisschen.

Dann schwappte etwas von der politischen Romantik aus Frankreich zu uns herüber. Ich bin grundsätzlich ein großer Freund des republikanischen Politikverständnisses der Franzosen, des Hochhaltens der Tradition bürgerlicher Revolutionen und der Empörung als Quelle politischer Inspiration. Auch die Idee einer demokratischen Revolution mit dem Resultat einer neuen Verfassung ist von meinem Politik- und Geschichtsstudium in Paris inspiriert (dieser Einfluss wird hier in dem Kapitel „Politische und philosophische Quellen“ lebensnah beschrieben). Doch der verschwörerische, anonyme Kollektivessay Der kommende Aufstand und Stéphane Hessels Streitschrift Empört euch! sind durchweg enttäuschend. Viele Gemeinplätze, wenig Informationen, keine Analysen, keine neuen Ideen und keine Vorschläge. Der kommende Aufstand ist wenigstens noch so konkret, dass darin eine autarke – und bewaffnete! – Lebensweise empfohlen wird, weil sowieso alles den Bach runtergeht, wie die Autoren meinen. Das halte ich allerdings für naiv und völlig unbrauchbar. Hessels Empört euch! ist dagegen sympathischer und mitmenschlicher, aber es bleibt eine klassische Suada, ein wohltuender Wortschwall, der den Lesern einlullt. Ist der Erfolg dieser besseren Flugblätter damit zu erklären, dass die meisten ihrer Leser eigentlich schon viel klüger als deren Inhalte sind und darin nur finden, was sie immer schon wussten? Eines scheint mir jedenfalls sicher: Beide Texte werden völlig wirkungslos bleiben. Es waren nur zwei leckere französische Büffets aus schönen Worten, die schon abgefressen sind.

Die Krise des Euro und inzwischen auch der Europäischen Union hätte nach deren eigenen Regularien und denen der Europäischen Zentralbank niemals passieren dürfen. Sie beschleunigt das Ende der Bundesrepublik dramatisch. Dass die marode Bundesrepublik (Länder, Kommunen, Schulen, Hochschulen, Straßen, Autobahnen ...) mit bald 2 Billionen Euro Schulden tatsächlich Bürgschaften und Garantien in Höhe von mehreren hundert Milliarden Euro übernimmt, das hätte ich mir nicht einmal im Traum vorstellen können. Es gibt aus der Politik und den Medien bisher auch keine rationale Erklärung dafür. Ich habe dazu nur eine Hypothese, die gut in den Kontext vom Ende der Bundesrepublik passt: Griechenland und die anderen, noch viel größeren Volkswirtschaften der EU, dürfen nicht Bankrott gehen, weil sich sonst die Schulden aller EU-Mitgliedsstaaten, also auch die der Bundesrepublik, erheblich verteuern würden. Bisher ist allerdings der genau entgegengesetzte Effekt eingetreten, denn mit der Krise des Euro und dem Staatsbankrott der USA sind Staatsanleihen des Bundes so gefragt und so niedrig verzinst wie noch nie. Doch das wird auch bald vorbei sein.

Die Energiewende, die von der Bundesregierung im Anschluss an die Katastrophe in Fukushima 2011 angeschoben wurde, ist in diesem Zusammenhang dagegen eher ein erfreuliches Ereignis. Denn sie zeigte ausnahmsweise die Macht der Politik über die Wirtschaft. Es gibt also noch Gestaltungsspielräume, in denen die etablierten Lobbys sich nicht durchsetzen können. Doch so sehr ich die Entscheidung befürworte, von der Kernkraft Abschied zu nehmen – vor allem wegen des enormen Innovationsschubs, zu dem diese Maßnahme uns zwingt –, so bedenklich finde ich die Art und Weise, wie sie umgesetzt wurde. Selbst der geschasste Bundespräsident Christian Wulff rügte diese Hinterzimmerpolitik und die Eile, mit der Bundeskanzlerin Merkel die entsprechenden acht Gesetzesänderungen durch das Parlament gepeitscht hat. Das Ganze erinnerte an die katastrophale Einführung der Hartz-Reformen unter der zweiten rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder, die ebenso wenig erklärt wurden und nicht einmal die volle Unterstützung in den beiden Koalitionsparteien hatte. Ich hoffe trotzdem, dass die Energiewende als eine erfolgreiche Initiative der Regierung Merkel und der schwarz-gelben Koalition in die Geschichte eingehen wird. Wenn auch, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, als die einzige.

Die gravierenden Schuldenkrisen in einer wachsenden Zahl von Staaten waren ebenfalls nicht vorgesehen, jedenfalls nicht so schnell. Wer vor zwei Jahren gesagt hätte, die USA könnten noch vor Griechenland und Irland in den Staatsbankrott schlittern, der wäre für verrückt erklärt worden. In diesem verminten Umfeld sehen die Staatsfinanzen der Bundesrepublik noch solide aus und die ausgegebenen Bundesanleihen rentieren immer noch erstaunlich niedrig. Doch nichts ist, wie es scheint, und das Kapitel „Der unsichtbare Staatsbankrott“ hat kein bisschen an Relevanz verloren. Die Risiken und Hypotheken der Bundesrepublik sind nur besser versteckt als in anderen Ländern. Die oberflächliche Arbeit der inzwischen heftig kritisierten Rating-Agenturen sieht man auch daran, dass in ihren Berichten und Analysen zur Lage der Bundesrepublik nichts über die horrenden impliziten Schulden steht, die wegen der größtenteils noch kameralistisch organisierten Bundes-, Landes- und Kommunalhaushalte nicht in den Büchern stehen.

Abschließend noch ein Hinweis, der auf die klugen Kommentare einiger Leser des Buches zurückgeht. Die Diskussionen um eine neue Wirtschaftsordnung für Deutschland werden in diesem Buch ganz bewusst ausgeklammert. Es gibt zwar eine weit verbreitete und massive Unzufriedenheit angesichts der starken Orientierung von Wirtschaft und Politik an Wachstum, Wettbewerb und Globalisierung, die auch für das Auseinanderdriften von Arm und Reich verantwortlich gemacht wird. Nach einer Emnid-Umfrage vom März 2010 würden 80 Prozent der Befragten in den neuen und 72 Prozent in den alten Bundesländern eine „sozialere“, wenn nicht sogar eine „sozialistische“ Wirtschaftsverfassung bevorzugen. Doch wenn das Grundgesetz von 1948 in einigen Punkten wirklich klug und weise war, dann sind es die so berühmten wie weit auslegbaren Formulierungen, dass „Eigentum verpflichtet“ (Art. 14 GG), die „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ (Art. 72 GG) eine Art Staatsziel ist und dass das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG) gilt. Damit wurden keine Entscheidungen über das zukünftige Wirtschaftssystem der Bundesrepublik vorweggenommen. In diesem breiten Korridor der Möglichkeiten sollte die Politik und die parlamentarische Gesetzgebung die Wirtschaftsverfassung in eigener Regie entwickeln und über die Jahre auch verändern können. Da sie also kein Problem ist, das direkt mit dem Grundgesetz zusammenhängt, wird sie hier nicht erörtert. Es wäre nur zu wünschen, dass die Verfassung der Dritten Republik in Deutschland diese positive Eigenschaft des Grundgesetzes übernimmt. In diesem Punkt könnte man es mit Charles de Gaulle auch ironisch formulieren, der 1958 in Frankreich die V. Republik gründete und dazu feststellte: „Eine gute Verfassung ist kurz und unverständlich.“

So bleibt nur noch, Ihnen bei der Lektüre vom Ende der Bundesrepublik viel politische Kurzweil und Unterhaltung, vielleicht einige aufgehende Lichter und natürlich einen guten Schuss demokratisch-revolutionärer Empörung zu wünschen.

Reginald Grünenberg

Berlin, April 2013

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|11|Vorwort zur 2. aktualisierten, erweiterten und verschärften Auflage

Die Bundestagswahlen im September 2009 waren eine für erwachsene Menschen und mündige Bürger kaum noch erträgliche Demonstration des Niedergangs der politischen Kultur in Deutschland. Dementsprechend sind die Ergebnisse weder überraschend, noch geben sie Anlass zu irgendwelcher Hoffnung. Die verlorenen Jahre unter Angela Merkel werden stoisch weitergezählt, wahrscheinlich bis zum bitteren Ende der Legislaturperiode. Ob es der krankhafte Klientelismus der FDP ist, die Undurchführbarkeit und Unfinanzierbarkeit umfassender Steuerentlastungen, der gemeinsame Niedergang von SPD, CDU und vor allem CSU, der Ausverkauf des Staates, die teuren Wachstumsversprechen zulasten eines zunehmend unkontrollierbaren Staatshaushalts oder die vollkommene Plan-, Ideen- und Machtlosigkeit der Bundeskanzlerin – nichts davon kommt unerwartet. Verblüffend ist nur, wie schnell dies alles passiert ist und wie ansatzlos die neue Regierung den Eintritt der schlimmsten Befürchtungen als die Erfüllung von Wahlversprechen verkauft hat.

Doch wir wollen auch hier wieder, wie schon in der 1. Auflage dieses Buches, Optimismus verbreiten! Denn das Ende der Bundesrepublik muss nicht so schrecklich sein, wie es sich vielleicht anhört. Dass es kommen wird, das ist inzwischen völlig sicher. Die Frage ist nur, ob es ein gutes oder ein böses Ende sein wird – und das vorliegende Buch handelt von nichts anderem als dem einzigen Weg, der zu dem führt, was man ein gutes Ende nennen kann, nämlich eine neue Republik in Deutschland. In diesem Fall befänden wir uns bereits in der vorletzten Legislaturperiode der alten Bundesrepublik. Soviel Zeit wird es noch brauchen, um das Land auf eine neue Grundlage zu stellen, auf die Verfassung einer Dritten Republik, mit der Deutschland gut gerüstet, aufrecht und zuversichtlich in die Zukunft gehen kann, vielleicht bis hinein ins 22. Jahrhundert.

Dazu sollten wir uns an die gute, alte Denkgymnastik der Dialektik erinnern, die immerhin von deutschen Denkern zu voller Blüte gebracht wurde. Auf diese Weise können wir dem neuen Bundestag und seiner Regierung gelassen dabei zusehen, wie beide mit großem Einsatz für unsere Sache arbeiten. Nolens volens erledigen sie die schwere Arbeit der Zuspitzung, wie Hegel es nannte, mit der die Verhältnisse auf einen Punkt hingedrängt werden, an dem eine Entscheidung nicht mehr vermeidbar ist, an dem alles zu kippen beginnt – man weiß nur noch nicht, in welche Richtung. Denn CDU und FDP sind ganz offensichtlich dabei, eine Radikalisierung zu betreiben, indem sie mitten in der steigenden Flut von Krisen, Pleiten, Misserfolgen, Skandalen, Parteien- und Politikerfrust |12|die Status-Quo-Diktatur in der Bundesrepublik noch fester zementieren wollen als bisher. Das kann nicht gut gehen. Und das soll es auch gar nicht. Doch lassen wir sie nur machen, denn sie arbeiten schließlich für uns. SPD, Grüne und Linke werden ihnen auch als sogenannte „Opposition“ dabei helfen, denn sie wollen ebenso wenig wie die Regierungsparteien etwas Entscheidendes im Politik-, Wirtschafts-, Staats- und Sozialgefüge ändern. Das ist die Natur der Status-Quo-Diktatur. Es geht auch ihnen nur um Details, um einige „Stellschrauben“ wie Mindestlöhne, Hartz-IV-Sätze oder Laufzeiten für Kernkraftwerke, vor allem aber um die Fleischtöpfe, die sich alle etablierten Parteien zusammen mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts hart erkämpft haben.

Die Aktualisierungen, welche die vorliegende 2. Auflage erfahren hat, beziehen sich zum größten Teil auf das Zahlenwerk, das hier überall nachjustiert werden musste, denn die meisten Daten und Berechnungen, die zum ersten Redaktionsschluss im November 2008 vorlagen, waren zu vorsichtig kalkuliert und sind bereits von der Wirklichkeit überholt. Das war ehrlich gesagt das Letzte, was ich erwartet hätte, denn ich hatte damals noch Skrupel, solche Schreckensszenarien überhaupt zu veröffentlichen. Doch heute lautet die Botschaft: Alles kommt viel schlimmer und viel schneller!

Die drohenden – und wenn Sie diese Zeilen lesen vielleicht schon eingetretenen – Staatsbankrotte von Griechenland und Portugal haben die Bevölkerung vielleicht sensibler gemacht für die Staatsschuldenproblematik. Jene „Experten“ jedenfalls, die an einer Verschuldung der öffentlichen Haushalte bisher gar nichts Schlimmes fanden, sind aus den Kolumnen der Wirtschaftsteile und den Talkshows verschwunden. Im Online-Forum der WELT gab es im Januar 2010 folgende Umfrage: „An extrem hoher Staatsverschuldung sind schon ganze Staaten untergegangen, zum Beispiel die DDR. Könnte Deutschland ein ähnliches Schicksal erleiden?“ Von den rund 1500 Antwortenden waren 82% überzeugt, dass es genau so passieren wird. In einer weiteren Umfrage wollte man wissen, ob der Staat neue Schulden machen darf, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Hier waren erstmals 89% der Befragten dagegen. Zur selben Zeit ermittelte das Emnid-Institut, dass eine breite Mehrheit der Deutschen dagegen ist, in der Wirtschaftskrise die Steuern zu senken. Es kehrt also allmählich eine gewisse wirtschaftliche und politische Nüchternheit bei den Bürgern ein. Doch das wird nicht reichen und bleibt für sich genommen erst einmal völlig ohne Konsequenzen. Die folgen aus ganz anderen Erkenntnissen, nämlich dass auch die Berechnungen für die Beamtenpensionen in der 1. Auflage zu vorsichtig waren.

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|15|Die neuesten Prognosen von Fachleuten korrigieren die Ergebnisse für 2030 um 15% und für 2050 um 40% – nach oben! Damit steigt schlagartig die Summe der impliziten Staatsschulden an – dieses Thema wird im Kapitel Der unsichtbare Staatsbankrott ausführlich behandelt –, aber auch die expliziten Schulden enttäuschen uns nicht. Der gigantische Bundeshaushalt 2010, den ich in dieser Größe von 327,7 Milliarden Euro erst etwa 2025 erwartet hätte, wurde mit der höchsten Neuverschuldung in der an defizitären Haushalten wirklich nicht armen Geschichte der Bundesrepublik beschlossen: 86,1 Milliarden Euro oder rund 6% des Bruttoinlandsprodukts, doppelt so hoch wie die Defizitgrenze des EU-Stabilitätspaktes. Der Unterschied zwischen der Bundesrepublik und Griechenland kann jetzt beziffert werden: 10, maximal 15 Jahre. Damit ist das böse Ende der Bundesrepublik deutlich nähergerückt. In der 1. Auflage deutete noch alles auf das Jahr 2030 als „Deadline“ für die Bundesrepublik.

Nun zu den Medien. Die haben Das Ende der Bundesrepublik, das nicht nur auf radikale und doch konstruktive Weise, sondern auch als einziges Buch seiner Art die Frage nach dem Fortbestand der Nation stellt, fast vollständig ausgeblendet. Es gab tatsächlich eine ganze Reihe von Leuten, die mir das prophezeit hatten. Doch als ungebrochener Optimist wollte ich das nicht glauben, ja, mehr noch: ich konnte es mir nicht einmal vorstellen. Sie sollten Recht behalten. Selbst in großen Sammelbesprechungen von Büchern, die im Superwahljahr 2009 und zum 60. Jubiläum des Grundgesetzes mit der Bundesrepublik kritisch ins Gericht gingen, wurde Das Ende der Bundesrepublik nicht einmal erwähnt. Stattdessen reservierten die Redaktionen viel Platz und Sendezeit für die Besprechung unkontroverser, thesenloser oder sogar dümmlich beschönigender Bücher, die dem sich ausbreitenden Fäulnisgeruch um das deutsche Gemeinwesen entschlossen mit politischem und moralischem Weihrauch entgegentraten. Über 60 Print- sowie 25 Radio- und Fernsehredaktionen hatten das Buch seit Januar 2009 zur Rezension vorliegen, doch von diesen etablierten Medien kam nur ein einzige Besprechung, nämlich vom Deutschlandradio Kultur, die so schön, kurz und klug ist, dass sie hier vollständig wiedergegeben werden soll.

„Alle reden von der Krise – aber ist das die richtige Bezeichnung für den aktuellen Zustand? Die Krise sei gar keine Krise, meint Reginald Grünenberg, sondern viel mehr: Das Ende des Projekts Bundesrepublik. Jedes neue milliardenschwere Rettungspaket sei ein Denkfehler. Schlimmer noch, es verhindere den nüchternen Blick auf die Wirklichkeit. So wild die These klingen mag – der |16|Autor macht sie plausibel. Schritt für Schritt untersucht er die Ursachen und entwirft eine dramatische Transformation. Dabei kann er sich auf Mängel berufen, wie wir sie alle schon lange und gut kennen: das Parteiensystem, das Wahlrecht, den Generationenvertrag. Er nennt die Todsünden der Bundesrepublik und skizziert die Schritte in eine neue lebensfähige Demokratie. Ein provokatives, manchmal verblüffend vernünftiges Buch.“

Michael Gerwarth

Dem ist nichts hinzuzufügen. Dieser Beitrag wurde am 22. März 2009 gesendet. Es gab also für alle anderen Medien, denen wir diese Besprechung nachgereicht haben, einen verlässlichen Hinweis darauf, dass es sich bei Das Ende der Bundesrepublik möglicherweise um ein ernst zu nehmendes Buch handelt, dessen Besprechung sich lohnen könnte. Doch die Redaktionen reichten es weiter herum wie eine heiße Kartoffel. Selbst ein alter Schulfreund als Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung, der das Buch zuerst interessiert bestellt hatte, half da nicht weiter. Woche um Woche tanzten etwa Frank Plasberg und Anne Will um das Buch und die bereits zusätzlich angefragten Informationen zum Autor herum. Im April 2009 haben wir sogar eine Art Vorfeldorganisation für eine spätere Verfassungspartei gegründet, die Gruppe ’48, und uns in Erinnerung an die ersten deutschen Demokraten, die 1848 in Berlin eine Verfassung forderten, vor dem Brandenburger Tor auf Weinkisten gestellt und Reden für eine neue Republik gehalten (mehr dazu auf www.gruppe48.net und hier im Anhang S. 305 die Deklaration). Davon gab es schöne Fotos und Videos, die wir den Redaktionen zukommen ließen. Doch den politischen Talkshows war das immer noch oder vielleicht dann erst recht zu heiß. Sie luden lieber wieder dieselben politischen Phrasendrescher, Pharisäer und Dilettanten ein, die schon längst niemand mehr sehen wollte. Trotz der störrischen Weigerung der Mainstream-Medien, sich mit dem Buch zu befassen und stattdessen lieber den legendären Schlafwagen-Wahlkampf mitzutragen, wurde die erste Auflage komplett verkauft, denn die Mundpropaganda und die persönlichen Empfehlungsketten haben ihre Wirkung getan.

Dieser Erfahrungen mit den Medien ist die wichtigste Erweiterung der vorliegenden 2. Auflage zu verdanken, nämlich das Kapitel über Die Komplizenschaft der Medien (S. 101-117). Es ist wichtig herauszufinden, woran es liegt, dass die sonst so stolze ‚vierte Macht‘ im Staate sich inständig weigert, ihre Aufgabe als Verstärker der kritischen Stimmen zu erfüllen und stattdessen alles dafür tut, um ihren Lesern, Zuhörern und |17|Zuschauern jegliche Irritation zu ersparen. In einem weiteren neuen Kapitel unter dem Titel Demokratie ist (auch) Software (S. 214-216) wird die Rolle des Internets und der digitalen Medien für eine fundamentale Staatsreform und für die Gestaltung der nächsten, der dritten Republik in Deutschland erörtert.

Schließlich gibt es noch eine wichtige Aktualisierung und Verschärfung, und zwar im Kapitel Die Status-Quo-Diktatur (S. 94-100). Von dieser dachte ich nämlich, dass sie als Folge der Krise ohne Alternative (S. 63-66) erst in absehbarer Zukunft kommen würde. Daher konnte ich sie in der ersten Auflage nur recht vage beschreiben. Doch als die von SPD-Arbeitsminister Olaf Scholz erdachte ‚Rentengarantie‘ 2009 ausgesprochen wurde, da fiel auch bei mir der Groschen: Die Status-Quo-Diktatur hatte längst begonnen! Jetzt kommt endlich einmal eine gute Nachricht aus dem Medienbetrieb, denn DIE WELT hatte den Mut, mir in der Wochenendausgabe vom 19. September 2009, also genau eine Woche vor der Bundestagswahl, eine ganze Seite zu überlassen, wo ich diesen Gedanken entwickeln durfte. Die Reaktionen darauf waren überwältigend. Der Onlineversion des Essays Die deutsche Status-Quo-Diktatur folgten innerhalb weniger Stunden mehr als zweihundert Kommentare, die ausschließlich zustimmend waren. Da meine Thesen von den anderen Medien auch danach immer noch nicht aufgegriffen wurden, möchte ich hier an ihrer Statt einen der Leser dieses Essays zitieren. Die Überraschung unseres sympathischen Kommentators bengel ist ein Hinweis darauf, dass auch andere Redaktionen vielleicht etwas gewinnen könnten, wenn sie nicht nur auf Anzeigenkunden schielen und passiv im trüben Mainstream der Meinungen mitschwimmen würden.

„Puh, da musste ich mich aber auch erst mal kneifen, ob der Artikel wirklich auf www.welt.de gehostet ist, oder ob mich gerade ein digitaler Witzbold auf eine gespiegelte und manipulierte Website gelenkt hat. Ich freue mich, dass Sie [die Redaktion] einem solchen grundsätzlichen Artikel – neben all den tagespolitischen Aufgeregtheiten – Raum geben. Die Analyse ist dem Autor – das zeigen auch die meisten Kommentare hier – sehr gut gelungen. Die friedliche Lösung müssen wir uns noch erarbeiten. Wie sie konkret aussehen wird, weiß ich auch nicht genau. Aber, und da bin ich mir ziemlich sicher, sie wird bottom-up [von unten nach oben] getrieben über das Internet kommen. Einen solch starken und auch in seiner Grundmechanik zutiefst demokratischen Rückkanal gab es in der Geschichte der Menschheit bislang nicht. Allerdings |18|fangen seine Nutzer erst jetzt an, die enormen Möglichkeiten zu entdecken. Es wird (hoffentlich) eine stille und friedliche Revolution werden. Den Deckel kriegen da auch Schäuble & Co. nicht mehr drauf.“

Nun noch zwei kurze Hinweise für die Lektüre, die sich aus den Leserzuschriften und den Kommentaren auf der Website www.ende-der-bundesrepublik.de ergeben haben. Die im ersten Kapitel analysierte Staatsverschuldung ist weder das Hauptthema des Buches, noch die wirkliche Ursache für das absehbare Ende der Bundesrepublik. Sie ist nur das Symptom einer viel komplexeren Fehlentwicklung, die erst im Kapitel Dominotheorie der demokratischen Revolution sozusagen von hinten aufgerollt wird. Die Summe der impliziten und expliziten Schulden der öffentlichen Haushalte in der Bundesrepublik tritt in unseren Jahren in ihre Zinseszinsphase, das heißt, sie vermehrt sich von nun an aus sich selbst heraus. Dadurch wird sie besser berechenbar. Mit anderen Worten, die Staatsverschuldung wird deshalb als Leitfaden für die gesamte Argumentation genommen, weil bereits klar ist, dass die Bundesrepublik mathematisch pleite ist und man sich so auf die Frage nach dem Zeitpunkt konzentrieren kann, der uns seit der Erstveröffentlichung dieses Buches im Januar 2009 um etwa zehn Jahre nähergerückt ist. Der zweite Hinweis ist noch wichtiger. Ich wurde von vielen Leuten gefragt, wie denn nun diese Dritte Republik in Deutschland im Einzelnen aussieht und was in der neuen Verfassung stehen soll. Sie waren irritiert, dass ich so wenige konkrete Vorgaben für die Resultate einer demokratischen Revolution gemacht hatte. Dafür gibt es jedoch zwei gute Gründe. Zum einen geht es in dem ganzen Buch um nichts anderes, als die ursprüngliche politische Gestaltungsfähigkeit, unsere politische Subjektivität, von den gigantischen institutionellen, wirtschaftlichen, juristischen und psychischen Hindernissen zu befreien. Das habe ich natürlich nicht gemacht, um sie sofort wieder in die Zwangsjacke meiner begrenzten persönlichen politischen Ansichten zu sperren. Das muss in einem viel größeren, nationalen Findungsprozess geschehen, der in einem Verfassungskonvent zusammenfließen muss, dem wichtigsten Instrument für eine Erneuerung der Republik. Als einzigem Organ der verfassungsgebenden Gewalt, des pouvoir constituant, wie Abbé Sieyès es zu Beginn der Französischen Revolution 1789 getauft hatte, liegt es in der rechtsphilosophischen Natur eines Verfassungskonvents, dass man ihm keinerlei inhaltliche Vorgaben machen kann. Ein Verfassungskonvent ist wie ein Sonderparlament über und außerhalb des Gesetzes und der noch bestehenden |21| Verfassung, das sich auch nur selbst eine Geschäftsordnung geben kann. Erst sein Resultat, nämlich ein neuer Verfassungsentwurf, kann öffentlich diskutiert und in einer Volksabstimmung insgesamt angenommen oder abgelehnt werden. Auch diesem notwendigen Verfahren wollte ich nicht vorgreifen, indem ich meine individuellen Wünsche und Ordnungsvorstellung zum Maßstab für die erste freiheitliche Verfassung aller Deutschen mache. Deshalb sollten die geschätzten Leser hier keine fertigen Staatskonzepte erwarten, sondern dieses Buch als eine Einladung verstehen, sich in Gedanken von der Diktatur des Status Quo zu befreien, mit Wissen, politischer Urteilskraft und Fantasie ihre eigene, ganz persönliche Republik aufzubauen, darüber möglichst viele Mitbürger in Gespräche zu verwickeln und sich schließlich für eine demokratische Revolution einzusetzen. Das – und nur das – ist politisches Denken und Handeln, eine der voraussetzungsvollsten und verletzlichsten Errungenschaften der abendländisch-demokratischen Kultur.

R. G., Berlin im Februar 2010

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|23|Vorwort zur 1. Ausgabe

Im November 2007 ging ich im Rahmen eines Ausbildungsprogramms der Europäischen Kommission auf eine lange Reise. Zusammen mit einer Gruppe junger Europäer sollte ich zum Japan-Experten ausgebildet werden. Vier Monate lang wurden wir in Paris, Mailand und London an einigen der besten Universitäten Europas auf Japans Geschichte, Kultur, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft vorbereitet. Seit März 2008 sind wir in Tokio und haben an der Waseda Universität tiefe Einblicke in dieses schöne und doch so fremde Land bekommen. Was mir hier allerdings schnell vertraut vorkam, das sind dieselben politischen und bürokratischen Verkrustungen wie in der Bundesrepublik, ein unfassbar großer öffentlicher Schuldenberg, eine atemberaubende Reformunfähigkeit, dieselbe Herrschaft der Parteien, ein unsäglich schwaches politisches Personal, ein vergleichbares Fehldesign wichtiger Institutionen und somit auch eine ganz ähnliche gelagerte Verfassungsproblematik. Dazu kommt noch ein in der Durchführung unterschiedliches, aber im Prinzip vergleichbares Durchwursteln auf höchstem Niveau. Ich glaube dennoch, dass mein Aufenthalt in Japan auf dieses Buch einen ernüchternden Einfluss gehabt hat, denn dieser Blick aus der Fremde zurück in die Heimat hat mich vorsichtig werden lassen bei der Beurteilung deutscher Verhältnisse. Von hier aus konnte ich besser erkennen, in wie vielen Dingen unser Land noch wirklich großartig ist. Da ist das Verhältnis zwischen Mann und Frau, das ich nicht tauschen möchte, das hohe Ideal der Freundschaft, der deutsche Tiefsinn und seine wunderschöne Kompliziertheit, das uns unbewusste, aber beinahe genialische Organisationstalent, die weltweit einmalige Ingenieurskunst und – ja, auch das – die Qualität und Vielfalt des Journalismus [Das würde ich heute, im Februar 2010, nach den Erfahrungen mit den Medien beim 60. Grundgesetzjubiläum und während des ganzen Superwahljahres 2009, sicher anders formulieren]. All das und einiges mehr will ich auch in Zukunft unbeschädigt sehen. So hart und unnachgiebig meine Kritik daher stellenweise auch sein mag, so sehr habe ich dieses Buch doch geschrieben, um daran mitzuwirken, das Beste an Deutschland hinüberzuretten in eine neue, in eine bessere Zeit. Denn ich teile den Patriotismus eines Heinrich Heine, der bei allem Spott über das deutsche Unwesen doch noch zu träumen wagte „ganz Europa, die ganze Welt – die ganze Welt wird deutsch werden!

Ich hoffe, dass das vorliegende Buch in Deutschland Funken schlägt und republikanische Leidenschaften entzündet und dass Japan von uns |24|Deutschen in naher Zukunft lernen kann, wie man eine untergehende Republik durch eine demokratische Revolution wiederauferstehen lassen kann.

R.G., Tokio, Oktober 2008

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|25|Einleitung

„So groß ist die Verführung, die menschlichen Angelegenheiten durch die Einführung einer unpolitischen Ordnung zu stabilisieren, dass der größte Teil der politischen Philosophie seit Plato sich mühelos als eine Geschichte von Versuchen und Vorschlägen darstellen ließe, die praktisch und theoretisch darauf hinauslaufen, Politik überhaupt abzuschaffen.“

Hannah Arendt, Vita activa – oder vom tätigen Leben

Im Herbst 2008 wäre das globale Finanzsystem beinahe kollabiert. Wie ein Virus hat der weltweite Handel mit komplexen Finanzprodukten, in denen riskante und schlecht gesicherte US-Hypothekenkredite versteckt waren, den gesamten Geldkreislauf infiziert. Große Geschäftsbanken und vor allem Investmentbanken waren plötzlich massiv überschuldet und gingen bankrott. Wenn die Notenbanken und die Regierungen der Industrieländer nicht massiv mit über zwei Billionen Euro und der Verstaatlichung von Banken in den Markt eingegriffen hätten, dann wäre die gesamte Wirtschaft zum Erliegen gekommen. In einer dramatischen Rettungsaktion hat die Bundesregierung vom Parlament ein sagenhaftes Paket von 480 Milliarden Euro an Bürgschaften und Bankbeteiligungen verabschieden lassen. Damit wurde größerer Schaden abgewendet. Die Wirtschaftsexperten glaubten damals allerdings noch, der Preis für diese phantastischen Finanzspekulationen wäre eine leichte Rezession in 2009. Doch es wurde der größte Wirtschaftseinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. Ein ausgeglichener Bundeshalt ist damit in weite Ferne gerückt und der Schuldentsunami steigt weiter. Dennoch lautet die Botschaft der Regierung immer wieder, dass sie alles im Griff hat.

Nichts ist von der Wirklichkeit weiter entfernt als der der süße Schlummer der politischen Vernunft, auf den diese Beruhigungspillen uns schicken sollen. Denn das globale Finanzdebakel hat nur für kurze Zeit die Pointe der echten Krise überspielt, in der Deutschland schon längst bis zum Hals steckt: Es ist zu spät. Aus. Vorbei. Der Point of no Return ist überschritten, die Schäden sind irreversibel. Die Finanzmarktkrise ist dafür nicht der Auslöser, sie ist nur das Vorspiel. Die Bundesrepublik steht nicht mehr am Abgrund, sie ist im freien Fall. Das, was sich im Nebel vor uns abzeichnet, ist keine ungewisse Zukunft mehr, sondern der Boden, auf dem wir bald aufschlagen werden. |26| Die Bundesrepublik ist finanziell, politisch und sozial am Ende, und zwar genau in dieser Reihenfolge. Der dreifache Bankrott ist schnell umschrieben. Seine finanzielle Dimension liegt darin, dass die Last der öffentlichen Schulden Kommunen, Länder und Bund in wenigen Jahren komplett handlungsunfähig machen wird. Das wäre auch ohne die Weltfinanzkrise von 2008 passiert, die diese Entwicklung allerdings erheblich beschleunigen könnte. Politisch gesehen gab es im November 2006 eine Premiere der besonderen Art. Der ARD-Deutschlandtrend hatte festgestellt, dass die Zahl jener, die mit der Demokratie unzufrieden sind, erstmals seit Gründung der Bundesrepublik die Mehrheit der Wahlbürger stellt. Kurz darauf hat eine Forsa-Umfrage im Auftrag des stern unter dem Titel „Regierung ohne Volk“ diese Zahlen bestätigt und sogar Verschlimmerungstendenzen festgestellt. Dieser Trend ist bis heute ungebrochen. Und schließlich lässt der Armutsbericht von 2008 keinen Zweifel mehr daran, dass ein Viertel der deutschen Bevölkerung mit Armut zu kämpfen hat, was eine deutliche Verschlechterung gegenüber dem letzten Bericht von 2006 bedeutet. In seinem Buch Die Ausgeschlossenen. Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft hat der Soziologe Heinz Bude dazu beschrieben, wie die betroffenen Milieus verfestigt werden, damit, wer einmal arm ist, auch sicher immer arm bleibt. Die Bundesrepublik gewinnt allmählich einen Zug ins Gespenstische.

Dennoch ist dies ein optimistisches Buch. Zum einen, weil die dunklen und bedrohlichen Ahnungen nun endlich der klaren Einsicht weichen werden. Damit stellt sich, wie schlimm es auch kommen mag, paradoxerweise ein ungemein befreiendes Gefühl ein. Nichts ist schlimmer als die Ungewissheit. Das ist nun vorbei. Zum anderen soll hier versucht werden, der unvermeidbaren Katastrophe zuvorzukommen und das Ende der Bundesrepublik nicht zu Deutschlands Ende werden zu lassen. Wir müssen uns von der Bundesrepublik verabschieden, und das wird für viele Menschen schmerzhaft sein. Doch am Horizont der Möglichkeiten taucht damit ein ganz anderes, ein neues, vitaleres und gesünderes Deutschland auf, die Morgenröte einer neuen Republik. Die Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer 2006 hat gezeigt, dass die Menschen in diesem Land auf nichts anderes warten als auf einen Großen Aufbruch, dass ihre Herzen voll sind mit den besten Gefühlen und dass der Mut und das ganze Pathos, das eine Neugründung der Republik erfordert, schon längst da ist. Und wie versammelte sich in Deutschland die größte Menschenmenge aller Zeiten, um einem einzigen Politiker zu lauschen? Nein, das war nicht Hitler auf dem Reichsparteitag in Nürnberg, sondern der amerikanische Präsidentschaftskandidat |27|Barack Obama 2008 in Berlin mit seiner Botschaft Change.

Deshalb werde ich mich hier nicht auf die Analyse der bundesrepublikanischen Krise mit ihren vielfältigen Ausprägungen beschränken, sondern den Schwerpunkt auf die Maßnahmen legen, die getroffen werden müssen, um diesen Gestaltwandel, diese nationale Häutung erfolgreich einleiten und überstehen zu können.

Dabei wird die aktuelle Reformpolitik – oder was davon übrig geblieben ist seit der Großen Koalition – keine Rolle spielen, denn alles, was die Bundesregierungen unter Schröder und Merkel auf den Weg gebracht haben, betrifft nur die leichteren Symptome des Patienten und kann das Ende der Bundesrepublik nicht mehr aufhalten. Der Krebspatient hat im Moment vielleicht weniger Kopfschmerzen, aber auch das nur für kurze Zeit. Es gibt allerdings Leute, die sehen das anders. Die Beobachtung sinkender Wirtschaftsleistung – wir werden noch sehen, was es mit dem angeblichen Wachstum auf sich hat – bei steigender Armut und sozialer Desintegration sei eine Bewusstseinsverzerrung einer verwöhnten Zivilisation, meinte der angesehene Intellektuelle Peter Sloterdijk in einem Spiegel-Interview. Im unaufhaltsamen Abstieg der Bundesrepublik sieht der Zeitdiagnostiker nur eine „Verwöhnungspause“ und die Deutschen sollten ihren Reichtum doch mit etwas mehr Distanz und Wertschätzung betrachten. Es gibt auch wirtschaftlich zurechnungsfähigere Wunderdoktoren, bis hin zu Matthias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, oder dem ehemaligen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, die in Momenten patriotischer Ergriffenheit der todkranken Bundesrepublik predigen, sie solle endlich aufstehen und loslegen wie nach dem zweiten Weltkrieg, um das nächste Wirtschaftswunder zu vollbringen. Auf diesen Zug ist eine ganze Gruppe aufgesprungen, die man Anti-Reformautoren nennen könnte. In ihren Büchern Die Reformlüge (Albrecht Müller), Kein schöner Land. Die Zerstörung der sozialen Gerechtigkeit (Heribert Prantl) oder Wir sind besser als wir glauben. Wohlstand für alle (Peter Bofinger) wollten sie uns weismachen, dass eine neoliberale Verschwörung unseren wundervollen Staat aushöhlt und die großen Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft abschaffen will. Das ist Unsinn. Das Resultat ist eine moralisierende und weitgehend entpolitisierte Kapitalismusschelte, die sich bei Franz Müntefering, alter und neuer SPD-Vorsitzender, mit der Heuschrecken-Allegorie zu beunruhigenden Symptomen von politischer Demenz verdichtete. Die damalige Regierung wie auch die Große Koalition glauben offensichtlich ernsthaft, dass die Wirtschaft |28|an der Staatsmisere schuld ist und dass sie von der Politik nur repariert oder wenigstens einmal richtig verbal gestriegelt werden muss, damit es mit Deutschland wieder aufwärts geht. Dieses Buch wird zeigen, dass kein Weg mehr zu diesem Ziel führt, zumindest nicht für die Republik des Grundgesetzes. Wir brauchen keine Gesundbeterei, keine Beschwichtigungen und keine Relativierungs- oder Ertüchtigungsrhetorik, in die inzwischen sogar der Berufszyniker Harald Schmidt völlig humorlos einstimmt, sondern eine ehrliche Diagnose verbunden mit der entsprechenden Therapie. Zum Glück sind dafür bereits wichtige Vorarbeiten geleistet worden.

Eine Reihe von Autoren hat nämlich bereits 2005 mit der gründlichen Analyse der finanziellen und der wirtschaftlichen Dimension der Krise sowie verschiedener Reformszenarien begonnen. Ein besonderer Vorteil ist, dass sie sich alle intensiv mit Prognosen beschäftigt haben, die aufgrund umfangreicher Datenerhebungen und leistungsfähiger Modelle heute viel zuverlässiger sind als noch vor wenigen Jahren. Ich werde mich darauf beschränken, die wichtigsten Erkenntnisse und Schlussfolgerungen dieser Reformautoren