Monster

 

 

 

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Band 8

 

Monster

 

von Uwe Voehl

 

 

© Zaubermond Verlag 2013

© "Der Henker"

by Uwe Voehl

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: story2go | Die eBook-Manufaktur

 

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1. Kapitel

 

Häuser sind Gebäude, tote Materie. Sie können sich nicht von selbst bewegen.

Aber meine Freundin Rita starrte das verfallene Haus an der Themse fassungslos an. »Es hat sich bewegt, Udo«, stammelte sie. »Das Haus hat sich bewegt, als atme es …«

»Das ist der Nebel«, sagte ich. »Er hat dich genarrt.«

Ich hatte nichts gesehen, weil ich zur Themse geblickt hatte. Der Fluss lag unter der milchigen, wabernden Decke des Nebels verborgen. Das Tuckern eines Motorbootes wehte vorbei. Wahrscheinlich gehörte es zur Flusspolizei.

»Es hat sich bewegt!«, wiederholte Rita. Sie drängte sich schutzsuchend an mich, machte aber nicht etwa den Vorschlag umzukehren.

Das Haus wirkte verlassen. Es schien schon jahrelang unbewohnt zu sein. Die wenigen Fensterscheiben, die noch heil waren, bedeckte eine undurchdringliche Schmutzschicht. Fensterläden hingen nur noch halb in den Angeln. Eine einsame Gardine flatterte träge im Nebel und wirkte wie der Körper eines Gespenstes.

»Ich fürchte, man hat uns reingelegt«, sagte ich. »Hier ist weit und breit keine Bar in Sicht.«

Ich irrte mich.

Rita sah das Schild über dem Eingang zuerst. »Udo, dort!«

Eine Steintreppe führte gut drei Meter in die Tiefe und endete vor einer geschlossenen Tür in dem Gebäude. Darüber befand sich eine halb zerschlagene Neonlichtreklame, aus der nur mit Mühe der Name der Bar zu entziffern war: TIEFSEE-BAR.

Ich war zwar nicht gekommen, um mir einen Drink zu genehmigen, aber ich hatte doch damit gerechnet, auf ein geöffnetes Etablissement zu treffen. Diese Bar hatte sicherlich seit Jahren keinen Besucher mehr gesehen.

Dennoch erklang plötzlich ein Geräusch aus dem Inneren. Es hörte sich an wie ein um ein Vielfaches verstärkter Seufzer.

Gleich darauf setzte eine Melodie ein. Ich glaubte, Frank Sinatras »Fly me to the Moon« herauszuhören. War die Bar etwa doch geöffnet?

Die Tür jedenfalls war nicht abgeschlossen. Ich stieß sie auf. In dem Raum dahinter war es dunkel. Die Musik war nun deutlicher zu vernehmen.

»Vielleicht ist das hier gar nicht der richtige Eingang«, sagte ich.

»Aber wir sind doch um das ganze Gebäude herumgegangen«, sagte Rita. »Da gab es nirgendwo einen anderen Eingang.«

Zögernd trat ich ein. Der Nebel schien mir in das Dunkel folgen zu wollen. Ich tastete an der Wand nach einem Lichtschalter, fand aber keinen.

Ich holte mein Feuerzeug hervor und knipste es an. Der schwache Lichtschein erreichte noch nicht einmal die Wände. Irgendwie hatte ich das Gefühl, einen riesigen, gefräßigen Schlund betreten zu haben.

Ein knarrendes Geräusch war zu hören, und die Tür, durch die wir eingetreten waren, fiel ins Schloss. Rita und ich sahen uns bedeutungsvoll an.

»Eigentlich müssten wir jetzt Angst haben, nicht wahr?«, lächelte Rita. Dennoch wirkte sie leichenblass. Sie drückte die Türklinke herunter. »Zu!«, stellte sie fest.

»Wir sind also eingesperrt«, sagte ich. »Zumindest können wir diesen Weg nicht mehr als Ausgang benutzen. Aber sehen wir doch mal, wo es hier weitergeht.«

Es befand sich noch eine zweite Tür in dem Raum. Je näher wir ihr kamen, desto deutlicher vernahmen wir die Musik. Es war tatsächlich Frank Sinatra. Ich hoffte immer noch, dass wir doch auf eine ganz normale Bar stoßen würden, wenn nur die Tür nicht zugefallen wäre. Es war eine Sache, die mich beunruhigte.

»Ich habe das Gefühl, dass wir die falsche Garderobe anhaben«, sagte Rita. Sie trug ein enganliegendes Abendkleid, in dem sie sich kaum bewegen konnte. Sollten wir auf Geister stoßen, würde Rita diese wohl kaum mit ihren Reizen beeindrucken können.

Und ich war jemand, der an Geister glaubte. Nicht an harmlose Gespenster, an Poltergeister, sondern an Wesen, die einen töten konnten, wenn man sich nicht in acht nahm.

Dazu kam, dass wir nicht von uns aus die Tiefsee-Bar aufgesucht hatten. Vielmehr war dies einer ominösen Nachricht zuzuschreiben, die ich vierundzwanzig Stunden vorher erhalten hatte.

»Wenn wir flüchten müssen, musst du dich eben ausziehen«, ging ich auf Ritas letzte Bemerkung ein.

»Ich kann mir vorstellen, dass dir das gefallen würde«, gab sie zurück.

Ich hatte die zweite Tür erreicht. Sie ließ sich mühelos öffnen. Plötzlich ging das Licht an.

»Interessant«, sagte ich. Unser Raum entpuppte sich als Garderobe. Hinter einem Tisch hingen ordentlich auf Bügeln Mäntel und Jacken.

Und die Tür, die ich, als das Licht angegangen war, geöffnet hatte, führte in die eigentliche Bar. Aus versteckten Lautsprechern klang Sinatras Stimme, als singe er live. Lichtorgeln versprühten dazu gelbe und blaue Blitze, die sich in den Spiegeln brachen. Auf den Tischen und dem Tresen befanden sich die verschiedensten Drinks. Es war alles, wie es in einer Bar zu sein hat.

Nur die Menschen fehlten.

Ich begab mich an die Bar.

Rita folgte mir zögernd. »Das ist unheimlicher als diese Dunkelheit«, sagte sie. »Alles wirkt, als hätten hier eben noch Menschen gesessen.«

Sogar Zigarettenrauch hing noch in der Luft, und in einigen Aschenbechern lagen glühende, nur halb gerauchte Zigaretten. Die Musik klang plötzlich verzerrt, und ich spürte, wie der Boden unter mir vibrierte, als habe jemand unsere Anwesenheit registriert. Als habe das Haus sie registriert!

Das Licht flackerte und erlosch schließlich ganz. Aber im letzten Augenblick vor dem Dunkelwerden hatte ich noch etwas gesehen: eine große, dunkle Gestalt, die der Spiegel über der Bar reflektiert hatte.

Dann war es so finster, wie zuvor in der Garderobe. Nur die Musik spielte noch, jedoch war sie so verzerrt, dass sie nicht mehr an Sinatra erinnerte. Ich ergriff Ritas Arm und zog sie mit mir, dem Garderobenraum zu. Irgendwo lachte jemand, als beobachte man jeden unserer Schritte. Der vibrierende Boden schien sich unter unseren Schritten immer heftiger zu bewegen. Ich stieß gegen einen Stuhl und stolperte. Rita klammerte sich an mich. Ihre Finger krallten sich schmerzhaft in meinen Arm. Ich konnte nur noch ahnen, wo sich die Tür zum Ausgang befand. Von irgendwoher erreichte uns ein heftiger Luftzug, der den Geruch fauligen Fisches mit sich brachte.

Kam er von der Themse her, und zeigte er den Weg, der in die Freiheit führte?

Ich änderte die Richtung und ging dem Luftzug entgegen. Trotz der plötzlichen Kühle fühlte ich an einer Stelle meines Körpers eine pochende Hitze. Ich spürte sie direkt über dem Herzen, dort, wo sich in der Innentasche meines Jacketts die Henkersmaske befand.

Mit ihr hatte es eine besondere Bewandtnis, wie ich es seit den Geschehnissen in dem Heidedorf Bensdorf wusste. Der Geist eines verstorbenen Henkers steckte in ihr, und wann immer ich die Maske überstülpte, verbündete sich dieses Wesen mit meinem Geist.

Jetzt meldete es sich wieder, erinnerte an sich.

Und obwohl ich ahnte, mich in dieser Finsternis einer Gefahr auszusetzen, zögerte ich instinktiv, die Kräfte der Maske zu beschwören. Es war etwas Ambivalentes darum, so, wie auch jede Todesstrafe immer etwas Doppeldeutiges hat: Man richtet, indem man sich selbst auf die Stufe des Tötens begibt.

Also ignorierte ich die Maske, obwohl es mir nicht leichtfiel.

Irgendetwas lauerte in dieser Finsternis, irgendein Grauen lag in dem Geruch, den der Luftzug mitführte. Ich ging weiter und hatte plötzlich das unbestimmte Gefühl, mich gar nicht mehr in dem Barraum zu befinden. Die Atmosphäre war kühl und feucht.

»Udo, die Wand!«, sagte Rita.

Ich tastete seitwärts, und meine Finger glitten über raue, feuchte Steinwände. Offensichtlich hatten wir ohne unser Wissen in der Dunkelheit einen Durchgang benutzt, den wir zuvor nicht bemerkt hatten.

Oder, dachte ich, der sich erst mit dem Einsetzen der Finsternis geöffnet hatte!

Jedenfalls hatten wir uns höchstens ein Dutzend Schritte vorwärts bewegt. Wenn wir also umkehrten, mussten wir wieder in den Barraum gelangen.

Aber ich dachte nicht daran. Ich ging den einmal eingeschlagenen Weg weiter, folgte dem Luftzug.

Etwas streifte meine Beine, etwas Borstiges, Nachgiebiges.

Auch Rita schrie leise auf. »Was war das?«, flüsterte sie. »Hast du es auch gespürt?«

»Fühlte sich an wie eine zu groß geratene Spinne«, versuchte ich zu scherzen. Gleichzeitig griffen klebrige Fäden nach meinem Gesicht.

Wie Spinngewebe!

Aber so große Spinnen gab es doch nicht, dass mein Scherz sich als Wahrheit erweisen sollte! Oder etwa doch?

Ich wischte die Fäden beiseite und tastete mich weiter vorwärts. Es ging etwas bergab. Ich vermutete, dass dieser Gang vielleicht direkt an der Themse endete. Vielleicht war das auch eine Erklärung für den Fischgeruch.

Das Beben des Bodens verebbte nach und nach. Es war nur noch ein leichtes Zittern zu spüren. Dafür wurde der Wind, der uns entgegenblies, allmählich stärker. Und der Fischgeruch immer unerträglicher.

Die Maske des Henkers pochte in meiner Tasche. Ich hörte förmlich die Schreie der Kreatur, die danach lechzte, aus ihrem Gefängnis der Untätigkeit befreit zu werden. Und nur ich konnte sie daraus befreien. Aber ich dachte nicht daran.

Noch nicht.

Ich stolperte fast eine Treppe hinunter, konnte mich aber im letzten Augenblick noch fangen. Die steinernen Stufen waren feucht und rutschig.

Von irgendwoher erklang ein Pochen.

»Hörst du es auch?«, fragte ich.

»Es hört sich an, als ob jemand hereingelassen werden will«, sagte Rita.

Ein Bersten ertönte, gleich darauf ein unflätiges Fluchen. Dann rief jemand.

Rief jemand meinen Namen. Und Ritas. »Herr Münch! Fräulein von Borstel!«

Ich fühlte, wie sich eine Hand auf meine Schulter legte und mich jemand gnadenlos durchschüttelte. Ich wehrte mich, so gut es ging, aber mein Gegner schien Bärenkräfte zu haben und schlang seine Arme um meinen Leib.

Rita schrie. Auch sie kämpfte mit einem Angreifer.

»Nehmen Sie Vernunft an!«, hörte ich die Stimme, die zuvor unsere Namen gerufen hatte, sagen. »Wir wollen nichts Böses! Kommen Sie zu sich!«

Kommen Sie zu sich? Ich gab meine Gegenwehr auf und bemühte mich, etwas zu erkennen. Schemenhaft nahm ich Rita wahr. Und auch die Person, die sie festhielt. Und die Person, die mich festhielt. Und dann registrierte ich, dass es gar nicht mehr dunkel war. Deutlich sah ich Lichter an der Decke, aber ich sah sie verschwommen und dunkel.

Ich kniff die Augen zusammen, und als ich sie wieder öffnete, konnte ich wieder normal sehen.

Es war unglaublich, aber ich befand mich nach wie vor in dem Barraum. Wo war die steinerne Treppe geblieben? Und hatte ich mir die feuchten, rauen Wände nur eingebildet?

»Sind Sie wieder okay?«, fragte der Mann, der mich durchgeschüttelt hatte. Ich schätzte ihn auf vierzig Jahre. Er trug einen roten Bürstenhaarschnitt und sprach Deutsch.

Ich nickte. »Wer sind Sie?«, fragte ich.

»Mich werden Sie vielleicht nicht kennen«, sagte er, »aber sicherlich ist Ihnen mein Begleiter nicht unbekannt.« Er deutete auf den Mann, der noch immer Rita festhielt. Der Mann war groß und glatzköpfig. Ein schwarzer Schnurrbart verlieh ihm ein mongolenhaftes Aussehen. Ich kannte den Mann tatsächlich, wenngleich nur flüchtig. Obwohl gerade er mir sicherlich viele Fragen beantworten konnte.

»Sie sind doch derjenige, dem ich es zu verdanken habe, dass ich die Henkersmaske überreicht bekam!«, sagte ich zu dem Glatzköpfigen. Das war nicht nur freundschaftlich gemeint. Früher war mein Leben gefällig und normal verlaufen. Als Journalist hatte ich gerade die nötige Aufregung, die das Leben nicht in Langeweile ausarten ließ. Aber seit ich auf abenteuerliche Weise in den Besitz der Maske geraten war, war einiges in meiner Welt aus den Fugen geraten. Die Aufnahme in den Club der schwarzen Henker, einer losen, geheimen Vereinigung von Leuten, die es sich zur Aufgabe gesetzt hatten, das Okkulte in all seinen Erscheinungsformen zu bekämpfen, hatte mir wenigstens die Befriedigung gegeben, nicht allein dazustehen.

»Sie haben ein gutes Gedächtnis«, sagte der Glatzköpfige. »Ja, ich bin Fred Bester.«

»Dann stammt die Nachricht von Ihnen?«, forschte ich.

Bester schüttelte den Kopf und ließ nun auch Rita los, die ebenfalls langsam begriff, dass von den beiden Männern keine unmittelbare Gefahr drohte.

»Die Nachricht stammt von mir«, sagte der Rothaarige. »Ich heiße übrigens Wolf Körner. Ich bin Psychiater.«

»Angenehm«, sagte ich. »Dann werden Sie mir jetzt sicherlich erklären können, dass alles, was ich gerade erlebt zu haben glaubte, nur in meiner Einbildung existierte.«

Körner schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, diese Erklärung wäre zu einfach. Aber ich werde Ihnen einige andere Dinge erklären, wenn wir erst einmal hier raus sind. Kommen Sie!«

Er fasste meinen Arm und wollte mich mit sich ziehen.

»Einen Moment noch!«, sagte ich. »Ist das hier nun eine Bar oder nicht? Ich meine, waren hier vor kurzem noch Gäste?«, Ich deutete auf die noch immer qualmenden Zigarettenreste. »Wenn ja: Wo befinden sie sich jetzt?«

»Ich verstehe«, sagte Körner. »Sie glauben, hier schwebe noch jemand in Gefahr, aber ich versichere Ihnen, dass alles nur eine Illusion ist. Und nun kommen Sie!«

Ich ließ mich fortziehen, drehte mich aber noch einmal um. Wo war die hochgewachsene Gestalt geblieben, die ich im Spiegel erblickt hatte, kurz bevor es dunkel geworden war?

»Haben Sie sonst niemanden gesehen?«, fragte ich.

Körner sah mich an. »Sie etwa?«

Ich nickte. »Aber das erzähle ich Ihnen draußen.«

Wir verließen die TIEFSEE-BAR unbehelligt. Nirgendwo fielen mehr Türen zu, und es wurde auch nicht mehr dunkel. Aus den Lautsprechern klang wieder ein Lied von Frank Sinatra.

 

 

2. Kapitel

 

Die Eingangstür hing nur noch lose in den Angeln. Die Männer hatten sie aufgebrochen, um in die Bar zu gelangen. Ich schaute auf den Glatzköpfigen, für den das sicherlich kein Problem gewesen war.

Draußen war es noch nebliger als zuvor. Weit entfernt hörte man Big Ben einmal schlagen. Wir gingen zielstrebig zur Themse hinunter, wo wir auf ein Boot stießen. Es gehörte den beiden Männern.

Bester sprang zuerst hinein und half Rita. Körner und ich folgten.

»Und nun nichts wie weg hier!«, sagte Körner. »Wir können von Glück reden, dass wir so glimpflich davongekommen sind.«

Ich sah ihn scharf an. »Nun leugnen Sie nicht, dass Sie das alles provoziert haben! Immerhin habe ich eine Nachricht von Ihnen erhalten!«

Bester warf den Motor an und fuhr langsam flussabwärts.

»Erinnern Sie sich genau!«, sagte der Rothaarige. »Ich schrieb Ihnen, wir sollten uns vor der TIEFSEE-BAR treffen. Unter normalen Umständen wäre ich längst vor Ihnen dagewesen, um Ihnen alles zu erklären. Aber wir wurden aufgehalten. Das heißt, wir haben uns in dem Nebel verfahren. Ich möchte nicht behaupten, dass das nicht mit rechten Dingen zugegangen sei, aber merkwürdig ist es allemal.«

Die TIEFSEE-BAR verschwand im Nebel. Auch ich hatte für einen kurzen Moment den Eindruck, als ob sich das dunkle Gebäude bewege.

»Wohin fahren wir?«, fragte Rita.

»Zu unserem Hotel, wo wir auch für Sie bereits ein Zimmer reserviert haben.«

»Aber wir haben uns schon woanders einquartiert.«

»Es ist besser, wenn wir in der nächsten Zeit zusammenbleiben«, sagte Körner.

Rita wollte protestieren. Ich drückte beschwichtigend ihren Arm. Es hieß, erst einmal abzuwarten, was diese beiden Männer uns zu erklären hatten. Vor allen Dingen von Bester erwartete ich mir einige Auskünfte. Er war ein guter Bekannter des Vorbesitzers der Henkersmaske gewesen. Als dieser starb, hatte Bester mich ausfindig gemacht und mich mit dem Club der schwarzen Henker zusammengeführt. Seitdem hatte ich ihn nicht mehr gesehen, aber wer war dieser Körner? Und was hatte es mit der TIEFSEE-BAR auf sich?

»Was passierte mit uns in der Bar?«, fragte ich.

»Was, glaubten Sie, passierte mit Ihnen?«, fragte Körner zurück.

»Es wurde schlagartig dunkel«, erinnerte ich mich. »Aber kurz bevor es dunkel wurde, sah ich noch eine Gestalt im Spiegel. Dann versuchten Rita und ich, wieder die Garderobe zu erreichen, aber plötzlich waren die Wände feucht und rau wie in einem Keller. Wir gingen Stufen hinab, einem Luftzug entgegen, der fauligen Fischgeruch mit sich führte. Und Sie behaupten also, das alles hätten wir uns eingebildet?«

Körner nickte. »Als wir Sie fanden, standen Sie mit offenen Augen in der Bar. Sie sahen und hörten uns nicht, bis wir Sie etwas rauer anfassten. Aber nein, ich möchte nicht sagen, dass Sie es sich eingebildet haben. Es ist Ihnen eingebildet worden.«

Ich dachte einige Sekunden über seinen letzten Satz nach. »Es ist Ihnen eingebildet worden …«

»Und was wäre mit uns geschehen, wenn Sie uns nicht zu Hilfe gekommen wären?«, fragte Rita.

»Das kann ich nur vermuten«, sagte Körner. »Sie wären diesen Gang weitergegangen, und an seinem Ende hätte Sie vielleicht etwas erwartet, was Sie nicht lebendig überstanden hätten. Egal, ob es nur in Ihrer Gedankenwelt oder sonstwie passiert wäre.«

»Woher sind Sie so gut informiert, Herr Körner?«, fragte ich.

»Das ist eine lange Geschichte«, sagte er. »Eine Geschichte, die vor einigen Monaten begann. Aber ich glaube, Sie werden sie verstehen, denn ich weiß, dass Sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben.«

»Drücken Sie sich klarer aus!«, bat ich.

Ein Schnellboot der Flusspolizei kam uns entgegen. Es streifte uns kurz mit seinen Scheinwerfern, nahm aber weiter keine Notiz von unserem kleinen Motorboot.

»Sie wissen, was es mit dem Teufelstarot auf sich hat, nicht wahr?«, fragte Körner.

»Sie sind tatsächlich sehr gut informiert«, musste ich zugeben.

»Ich weiß über Ihre Erlebnisse in Bensdorf Bescheid«, sagte Körner.

Das bedeutete, dass er ein Mitglied der schwarzen Henker sein musste. Denn nur diesem Club hatte ich Mitteilung von den Bensdorfer Geschehnissen gemacht.

Das war vor fast fünf Monaten gewesen. Und das Teufelstarot hatte eine fatale Rolle dabei gespielt.

Ich dachte ungern daran zurück, aber es ließ sich nun nicht ändern.

»Ich gehöre nicht dem Club der schwarzen Henker an«, sagte Körner, der meinen fragenden Blick bemerkte. »Ich bin einer der wenigen ›normalen‹ Menschen, die von dieser Organisation wissen.«

»Sie wissen es von Bester!«, sagte ich.

»Nennen Sie mich lieber Fred«, sagte dieser, »sonst kann ich ungemütlich werden.«

»Also gut«, ging ich darauf ein. »Meinen Vornamen wissen Sie ja wohl.«

»Ja, Fred hat mir nach einem Erlebnis auf der Insel Nordholm einiges erzählt …«

»Nordholm?«, überlegte ich laut. »Ich habe darüber einiges in den Zeitungen gelesen. Es soll dort etliche mysteriöse Morde gegeben haben.«