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Heinz Brast

Die Prinzessin und der Froschkönig





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Titel

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DIE PRINZESSIN UND DER FROSCHKÖNIG

HEINZ BRAST

 

PSYCHO THRILLER

 

 

 

 

 

 

Über den Autor

Heinz Brast, geb. 1940 in Deutschland, wanderte 1977 mit Familie nach Kanada aus. Hier war er über 20 Jahre im deutsch-kanadischen Investitionsgeschäft tätig. 1983 schrieb er sein erstes Buch "Kanada, Ihre neue Heimat", welches vom ZDF als dreiteilige Serie "Kanadische Träume" unter der Redaktion von Dr. Claus Beling erfolgreich verfilmt wurde.

Danach folgte das Drehbuch "Die Rückkehr" mit Gerhard Lippert u. Christine Neubauer als Hauptdarsteller, ebenfalls erfolgreich ausgestrahlt vom ZDF.

In den darauffolgenden Jahren betätigte sich Heinz Brast als freiberuflicher Journalist und schrieb über 120 Artikel über Land und Leute in Kanada, vorzugsweise aber über Indianer und Mennoniten, veröffentlicht in den Zeitschriften und Magazinen "Deutsche Presse", "Kanada Journal", "Kanada Kurier" und anderen einschlägigen Publikationen.

An der renommierten "New York Institute of Photography" erwarb der Leica-Fotograf im Jahre 2008 das begehrte Zertifikat als "Professsional Photographer".

 

 

 

 

 

 

 

Dieses Buch ist auch als Kindle eBook

im Amazon Bücher Shop erhältlich.

 

 

1. Auflage

1. Taschenbuchausgabe Oktober 2015

 

Gestaltung & Publishing: Jochen Böning

 

 

Copyright ©2015 Heinz Brast

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 978-1518705472

 

 

 

Kapitel 1: Metropolitan Toronto


Es ist noch recht früh am Morgen. Eine in der Nähe der Gerrard-Street an der Fassade eines Wolkenkratzers angebrachte Riesenuhr kündigt gerade lautstark die Zeit an. Mit melodischen Tönen lässt sie dabei sechsmal ihren Glockenschlag erklingen bis weit hinein in die University Avenue hörbar. Obwohl im Moment das Tageslicht die Dunkelheit der Nacht zu vertreiben sucht, herrscht auf den Straßen der rund zweieinhalb Millionen Einwohner zählenden Metropolitan Toronto bereits reges Leben. Der um diese Zeit auftretende Verkehrsstau während der Woche hat inzwischen eingesetzt, um damit beizusteuern, die meisten der betroffenen Verkehrsteilnehmer schon vor ihrem Arbeitsbeginn in eine gereizte Stimmung zu versetzen.

Doch das alles um sich herum vorgehende Treiben scheint den Mann in den Endfünfziger Jahren, der mit schnellen Schritten auf das Gebäude der Salvation-Army (Heilsarmee) in der McCaul-Street zuschreitet, nicht im Geringsten zu stören. Im Gegensatz zu den meisten gleichgültigen oder missmutigen Gesichtern, die ihm aus ihren Fahrzeugen entgegenstarren, strahlt er ein zufriedenes Lächeln aus. Ja, heute am fünften September, ist sein 6o. Geburtstag. Doch als wäre es nichts Besonderes, ist er wie an jedem anderen Tag auf dem Weg zum „Haus der Freundschaft“ im Gebäude der Heilsarmee. Dort werden sie trotz der frühen Morgenstunde bereits auf ihn warten. Die Bettler, die Obdachlosen, ja eigentlich alle die durch die Ritze der Gesellschaft gefallen sind. Hier im „Haus der Freundschaft“ haben sie wenigstens kurzzeitig ein Dach über dem Kopf. Und hier sind sie unter sich, die Ausgestoßenen und Einsamen, denen die Einordnung in das normale Leben nicht mehr gelungen ist oder ihnen verwehrt wurde.

Der Mann verlangsamt seine Schritte je näher er seinem Ziel kommt. Mit einem ein wenig abgewetzt ausschauenden Jogging Anzug bekleidet, bleibt er vor dem Gebäude der Heilsarmee kurz stehen, streckt und reckt sich noch einmal, bevor er den Frühstücksraum im Erdgeschoß betritt. Die in drei Reihen aufgestellten Tische mit je zwölf Plätzen sind bereits alle besetzt.

Doch für ihn ist immer ein Platz frei. Kaum hat er den Raum betreten, als sich auch schon einer der “Herren der Straße“, ein Name den sie sich selber gegeben haben, auf ihn zueilt. „Guten Morgen Mark, warum bist du schon so früh hier, gibt es was Besonderes?“ Der kleine, aber kräftig ausschauende Mann mit dem Spitznamen ‚Butch‘ schaut mit einem fast ehrfürchtigen Blick zu dem vor ihm stehenden über 1.85 Meter großen attraktiven Mann mit der undefinierbaren Augenfarbe auf. Jeder der Anwesenden hier im Raum kennt ihn. Dennoch weiß keiner wer er ist und was er so eigentlich betreibt. Das einzige was sie mit Sicherheit wissen ist die Tatsache, dass jedes Mal wenn er mit ihnen gefrühstückt hat, ihre Speisen und Getränke auf „das Haus gehen“, wie ihnen der einzige Kellner mit einem Zwinkern in den Augen erklärt. So wird es auch heute sein, obwohl sie alle wissen, dass es ein besonderer Tag sein wird. Sie, die vom Schicksal nicht gerade immer mit sanften Händen angefasst worden sind, wissen nämlich etwas wovon er absolut nichts ahnt. Ihnen allen ist bekannt, dass heute sein sechzigster Geburtstag ist.

Doch ihm gegenüber lassen sie sich nichts anmerken. Der Kellner, der auch gleichzeitig im Rang eines ‚Majors‘ der Heilsarmee steht, hat es ihnen unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit mitgeteilt. Markus gegenüber sind sie gehalten, sich absolut nichts anmerken zu lassen. Kein unbedachtes Wort, keine auch noch so unscheinbare Gebärde oder Bemerkung ist ihnen erlaubt. Sie alle mögen ja arm, ja sogar verlogen und bei weitem nicht immer ehrlich sein. Aber wenn es um das kleine Geheimnis geht, das man ihnen anvertraut hat, halten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Schließlich ist das so etwas, was der normale und gemeine Bürger schlicht und einfach als ‚Ganovenehre‘ bezeichnet.

Auf dem ihm angebotenen Stuhl nimmt Markus seinen Platz ein und mit äußerst gelassener Miene genießt er seine Tasse Kaffee und verzehrt gleichzeitig ein mit Butter und Marmelade bestrichenes Stück Brot. Nach etwa einer dreiviertel Stunde und einigen Gesprächsthemen, denen absolut kein literarischer Wert nachgewiesen werden kann oder soll, erhebt er sich, wünscht den Gesprächspartnern an seinem Tisch noch einen schönen Tag, bevor er sich durch die Reihen der anderen Tische dem Ausgang zu bewegt. Dort bleibt er eine Weile stehen und überschaut noch einmal den Raum und seine Gäste. Viele von ihnen winken ihm mit freundlichen Mienen und Gesten zu, als er bedächtigen Schrittes das Gebäude verlässt.

Auf der Straße als auch auf den Gehsteigen herrscht bereits reges Leben. Die Zeiger der Uhren an oder in den Schaufenstern verschiedener Gebäude haben inzwischen die sieben Uhr Grenze überschritten. Daher ist es kein Wunder, dass sich viele der in entgegengesetzten Richtungen bewegenden Fußgänger beeilen, so schnell wie möglich ihre Büroräume oder anderweitige Arbeitsplätze zu erreichen.

Trotz der nach Hektik ausschauenden Bewegungen auf den Bürgersteigen, ergibt sich für Markus Hofer immer noch die Gelegenheit, seine Gangart in einen auflockernden „Jogginglauf“ umzuwandeln. Rund fünfzehn Minuten nimmt sein „Frühsport“, wie er diesen Lauf zu bezeichnen pflegt, in Anspruch. Vor einem der mächtigen Glaspaläste in der Gerrard-Street bleibt er stehen. Wieder reckt und streckt er sich, bevor er seinen Kopf nach hinten legt, um mit einem befriedigten Blick nach oben die Höhe der architektonisch absolut außergewöhnlichen Glasfassade zu bewundern. Immerhin war er derjenige, der vor sieben Jahren das Gebäude entwarf, erstellen ließ und es zur Hauptverwaltung des ‚Guggenhofer International‘ Konzerns ernannte. Obwohl vom Gebäude von allen Seiten der Name einer der größten kanadischen Banken bis weit in die Umgebung lesbar ist, gehört der mächtige Büroturm einzig und allein der Familie ‚Guggenhofer‘ beziehungsweise deren Erben und Nachfolgern.

Die Außentemperaturen bewegen sich zu dieser frühen Morgenstunde um die 12 Grad Celsius. Dennoch stehen dicke Schweißperlen auf der Stirn des gutaussehenden Mannes mit dem wohlklingenden Namen ‚Markus Hofer‘, als er durch eine der Drehtüren die Lobby des Gebäudes betritt. Sich nach allen Seiten umschauend, bemerkt er den stämmigen mittelgroßen Mann, der mit einem Handtuch über seinem rechten Arm hängend, schnellen Schrittes auf ihn zueilt.

„Good morning Boss, es sieht fast so aus als hättest du deinen Frühsport mal wieder ein wenig übertrieben.“

Als er unmittelbar vor Markus zum Stoppen kommt, kann dieser ein breites Grinsen kaum verbergen. Daran können auch die von seinem Gesicht heruntertropfenden Schweißperlen nichts ändern. Der gerade 70 Jahre alte Moritz Drommer, mittelgroß und fast genau so breit wie hoch, legt ohne Zögern seinem Boss, wie er ihn liebevoll nennt, das Handtuch auf die Schulter. Selbst jeder Laie sieht auf den ersten Blick, dass hier keines der üblichen Vorgesetzten-Angestellten Verhältnisse herrscht, sondern mehr eine herzliche Männerfreundschaft den Vorrang hat. Immerhin waren Moritz und seine inzwischen verstorbene Frau Anna-Maria schon vor vierzig Jahren von den Hofers, also den direkten Nachfolgern des Firmengründers Alfons Guggenhofer, in ihre Dienste berufen worden. Als nach dem Ableben der Eltern Markus Hofer das Ruder des Firmenkonzerns übernahm, stand ein Ausscheiden des Ehepaares aus ihren Diensten überhaupt nicht zur Debatte. Immerhin gehörten Moritz und Anna-Maria fast wie Blutsverwandte inzwischen längst zur Familie.

Als stände ein Glücksstern über ihm, gelang es Markus Hofer als Kopf des Unternehmens dieses in den nächsten drei Jahrzehnten um das rund zehnfache zu vergrößern. Aus den damals rund eintausend Mitarbeitern ist der Konzern inzwischen weltweit auf über zehntausend Beschäftigte angewachsen. Durch eine fast geniale aber dennoch rationelle Denkweise und die dadurch notwendige Überarbeitung der Geschäftspraktiken, konnte dank seiner Führungsqualität auch der erwirtschaftete Gewinn fast verdreifacht werden.

Obwohl er wie jeder andere in der Firma beschäftigte Mitarbeiter genau seine Arbeitszeiten einzuhalten pflegt, hat er für heute besondere Pläne auf seiner Liste. Alle vorgesehenen Termine hat er auf Anraten seiner Tochter Helen bereits seit Tagen abgesagt oder den Möglichkeiten entsprechend auf spätere Zeitpunkte verlegt. Schließlich ist ihm nicht entgangen, dass sein Sohn Patrick sowie auch seine Tochter Helen ihm seit Tagen so viel wie möglich aus dem Wege gehen, um wie es scheint, ein direktes Gespräch mit ihm zu vermeiden.

Gleichwohl der clevere Geschäftsmann mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, den gegen ihn geschmiedeten Komplott herauszufinden, bleibt er vorerst ratlos. Seine Kinder sind schließlich sein Produkt. Beide sind glücklicherweise mit seiner Intelligenz, seinem Scharfsinn und seinen Führungsqualitäten ausgestattet. Deshalb hat er ja Beide innerhalb der letzten zwei Jahre zu je fünfzigprozentigen Geschäftsführern des Konzerns ernannt und damit sein eigenes Arbeitsvolumen und Leben enorm erleichtert.

Inzwischen hat Moritz, sein treuer Vertrauter mit einer Menge von Jahren der Zusammenarbeit auf dem Buckel und dem besten Chauffeur, den man sich wünschen kann, ihn verlassen, um in die Büroräume im zwölften Stock zu gelangen. Markus hat sich daher in eine ruhige Ecke in der Lobby zurückgezogen. Zuerst reibt er sich so gut wie möglich die Haare trocken und wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht. Danach wählt er eine an der Gebäudeaußenwand angebrachte Stellage als Sitzgelegenheit, stützt seinen Kopf in beide Hände, um die in seinem Gehirn schwirrenden Gedanken zu ordnen und der Wichtigkeit nach zu sortieren.


Kapitel 2: Die „Neue“ ist da.


Mit monotoner Stimme kündigt eine Lautsprecheransage im Bus die nächste Station, die Ecke Gerrard Street und University Avenue an. Sich aufgeregt zur Tür drängelnd, möchte Krista Rosner auf keinen Fall ihr Aussteigen versäumen. Schließlich versuchen etliche Personen gleichzeitig auf dem Bürgersteig an der Haltestelle ihr Glück. Es sieht einfach so aus, als wolle jeder der Erste sein. Ihr einen giftigen Blick zuwerfend, drängelt sich ein älterer Mann vor sie. Fast wäre sie tatsächlich zum Weiterfahren zur nächsten Station gezwungen worden, hätte sie nicht plötzliche Hilfe bekommen. Ein junger freundlich dreinblickender Mann, steht wie aus dem Nichts gekommen, zwischen ihr und dem älteren Herrn.

„Obwohl sie alt genug aussehen, scheinen sie noch nie was von ‚Ladies first‘ gehört zu haben. Also machen sie bitte den Weg frei, damit die junge Frau ungehindert aussteigen kann.“

Dabei schiebt er den älteren Mann wie einen Spielball zur Seite, streckt seinen Arm aus und zwinkert Krista mit einem freundlichen Lächeln zu:

„Sehen sie, so geht’s auch. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag.“

Verschreckt und fast schüchtern, nickt sie dem jungen Mann dankbar zu, bevor sie fluchtartig den Bus verlässt. Das ist also Toronto und von heute an ihr neuer Arbeitsplatz. Falls sich das jeden Tag so abspielen wird, na dann ‚Gute Nacht‘.

Unschlüssig steht sie an der Ecke University Avenue und Gerrard Street. Momentan scheint sie ihr Orientierungssinn total verlassen zu haben. Hilflos schaut sie sich um. Doch es dauert nur einen Augenblick, bevor die Gedächtnislücke sich geschlossen hat. Ja, nur etwa hundert Meter in die Gerrard Street und sie steht vor dem mächtigen Glaspalast, in dem sie zukünftig ein Drittel ihrer Tage verbringen wird. Jedenfalls ist das nicht gerade ihre wünschenswerteste Vorstellung einer glücklichen Zukunft.

Krista Rosner, 1.72 Meter groß mit einer auffallend attraktiven Figur, kastanienbraunen Haaren und einem äußerst aparten Gesicht, welches durch ihre großen bernsteinfarbenen Augen die Schönheit ihrer Gesichtszüge noch mehr zum Ausdruck bringt, ist sichtlich nervös. Mit einer fahrigen Bewegung zieht sie die Revers ihrer beigen Kostümjacke gleichmäßig an, um dann mit hastigen Schritten durch die laufende Drehtür in die Lobby zu gelangen.

Auf den Aufzug zuschreitend, wirft sie noch einen schnellen Blick in den seitlich der Aufzugstüre hängenden Spiegel. ‚Mein Gott, mein Haar ist ja total zerzaust. So kann ich wirklich nicht vor meine neuen Chefs treten!‘ Hastig dreht sie sich um und schreitet so schnell sie kann in eine versteckt aussehende Ecke, wo sie, wie sie glaubt, sich unbeobachtet ihre Frisur einigermaßen wieder herrichten kann.

Doch dort sitzt bereits ein ihrer Meinung nach ‚Obdachloser‘, seinen Kopf in die Hände gestützt als hätte er alle Last der Welt auf sich genommen. Als sie fast vor ihm steht, hebt er seinen Kopf und schaut ihr geradewegs in die Augen. ‚Mein Gott, warum sitzt der Mann hier. Er ist zwar ärmlich gekleidet aber irgendwie strahlt sein Gesicht etwas aus, was ihn trotz der kärglichen und dem Verschleiß nahen Kleidung nicht wie einen Bettler aussehen lässt. Und ganz bestimmt hat er Hunger.‘ Ohne auch nur einen Moment des Zögerns öffnet sie ihre Handtasche, nimmt ihr mitgenommenes Frühstücksbrot heraus und drückt es ihm in beide Hände. Wieder hebt er seinen Kopf, schaut sie fassungslos an und nickt ihr zu, ohne auch nur ein Wort von sich zu geben.

Bevor sie sich umdreht um davon zu eilen, schaut sie ihm in die mit einer undefinierbaren Farbe ausgestatteten Augen, in denen sie einen Schimmer von Feuchtigkeit zu entdecken glaubt.

‚Egal, wenn auch heute alles schief gehen sollte, jedenfalls habe ich wenigstens eine klitzekleine gute Tat vollbracht‘!

Erst als sie im zwölften Stock vor der mächtigen Doppeltüre des Hauptsitzes der ‚Guggenhofer International‘ Geschäftsleitung steht, bemerkt sie, dass sie total vergessen hat, ihre zerzauste Frisur wieder in Ordnung zu bringen. Zu spät, aber irgendwie scheint es sie nicht Mal mehr zu stören.

Sich eines forschen Auftritts zu bemühen, tritt sie ein. Die geschmackvolle, aber dennoch gediegen ausgestattete Lobby, die sie nun betritt, dämpft durch den dicken Teppichboden nicht nur ihre Schritte sondern auch ihre sich selbst eingetrichterte Courage und Forsche. Das auf den ersten Blick auf sie Einströmende übertrifft bei weitem ihre Vorstellungen. Gediegenheit, gepaart mit einer vornehmen Eleganz lässt sie eigentlich nur ahnen, was sich hinter den rechts- und linksseitigen Türen an der hinteren Wand verbirgt.

Die elegant gekleidete Dame, Krista schätzt sie auf rund fünfzig Jahre, schaut der gerade Eingetretenen mit einer Mischung aus Neugierde und Höflichkeit entgegen. Noch bevor es Krista gelingt, sich mit ihrem Namen vorzustellen, hat sich Theresa Lindegaard bereits erhoben, um mit wenigen Schritten ihren Rezeptionstisch zu umrunden und steht fast unmittelbar vor ihr.

„Sagen sie bitte nichts, sie sind Krista Rosner, die neue Chefsekretärin unseres Seniorchefs, Herrn Markus Hofer. Liege ich mit meiner Vermutung da richtig?“

„Ja, mein Name ist Krista und nachdem wir bereits einige Male zusammen telefoniert haben, freut es mich besonders, sie persönlich kennenzulernen. Um ganz ehrlich zu sein, hatte ich sie mir genauso vorgestellt wie sie jetzt vor mir stehen.“

„Ja, Frau Rosner und bitten schauen sie mich jetzt nicht so erstaunt an, denn ich kann das, was sie soeben gesagt haben, ihrerseits auch von meiner Seite nur bestätigen. Jedenfalls möchte ich sie jetzt schon Mal herzlich willkommen heißen. Eigentlich ist das nicht meine Sache, aber unsere beiden Junior-Chefs, Patrick und Helen, werden heute etwas später hier sein als normal, da die Beiden wegen einer wichtigen privaten Angelegenheit aufgehalten wurden. Doch jetzt nehmen sie bitte, “dabei zeigt sie auf einen Sessel neben einem kleinen runden Tisch, „erstmal Platz. Ich bestelle uns einen frischen Kaffee. Dabei können wir beide uns unterhalten und auch etwas näher kennenlernen. Irgendwann innerhalb der nächsten Stunde werden die Herrschaften sicherlich eintrudeln.“

Doch als erster erreicht Markus Hofer das zwölfte Stockwerk. Durch eine versteckte, der Außenwand angepasste Tür ist es ihm möglich, seinen kleinen privaten Bürotrakt unbemerkt zu erreichen. Der Raum, den er gerade betreten hat, dient als sein eigentlicher Arbeitsplatz. Der extra für ihn erstellte kleine mit den neuesten Sicherheitsmethoden ausgestattete Bürostrakt ist durch ein zwölfsitziges Konferenzzimmer mit den vorne zur Empfangshalle liegenden Büroräumen seiner beiden Kinder, Patrick und Helen, durch schalldichte Türen verbunden. Linkerhand neben dem Konferenzraum, aber nur von seinem Büro aus erreichbar, ist ein großzügig angelegter Well- und Fitnessraum, der mit einem kleinen Gegenstrom-Wellenbad sowie Dusche und verschiedenen anderen Annehmlichkeiten ausgestattet ist, während sich rechtseitig von seinem Büro das Arbeitszimmer seiner Sekretärin befindet.

Nachdem er sich durch einige Auflockerungsübungen in dem auf 26 Grad Celsius erwärmten Schwimmbad mit einer anschließenden Dusche erfrischt hat, bittet er Theresa Lindegaard in sein Büro. Ob man es als Zufall bezeichnen kann oder nicht, sei dahingestellt. Gerade in dem Moment als er sich in sein Konferenzzimmer begibt, um aus einem der dort stehenden Bücherschränke eine Akte zu entnehmen, wirft er einen Blick durch die beiden vor ihm liegenden und offenstehenden Durchgangstüren. Draußen an dem runden Tisch in der Empfangshalle sitzt niemand anderes als die attraktive Dame, die ihm ihr Frühstücksbrot in die Hände gelegt hat. Hastig und leicht erschreckt zieht er seinen Kopf zurück ohne von ihr bemerkt zu werden.

Auf dem Weg zurück zu seinem Schreibtisch, versucht er sich fast gleichzeitig mit der Empfangsdame durch den engen Türrahmen zu drängeln. Sich bei Theresa entschuldigend, bemerkt sogar diese seine momentane auch für sie unerklärliche Verunsicherung. Aber sie schweigt.

„Theresa, bitte setzen sie sich. Und nun heraus mit der Sprache. Wo bleiben Helen und Patrick. Was spielt ihr mir vor? Und bitte keine fadenscheinigen Ausreden!“

Irgendwie von der plötzlichen Frage ein wenig überrumpelt und ihre Verlegenheit deutlich durch die fahrigen Bewegungen ihrer Hände sichtbar, sucht die sonst nie um Worte verlegene Empfangsdame krampfhaft nach einer glaubwürdigen Ausrede. Sie bemüht sich alles Mögliche zu auszudenken, aber nichts Brauchbares kommt ihr dabei in den Sinn. Also heraus mit der Wahrheit.

„Chef, heute ist ihr sechzigster Geburtstag. Sicherlich ist ihnen aufgefallen, dass nicht mal ich ihnen gratuliert habe. Doch auch das hat seinen Grund. Als das ‚Sunny Shore-Resort‘ in der Georgian Bay noch zu unserem Investitions-Portfolie gehörte, was es ihr ganzer Stolz. Dennoch haben auch sie dem Verkauf zugestimmt, da es einfach nicht in das Portfolie unseres Konzerns passte. Aber da nun heute ein ganz besonderer Tag ist, haben Patrick und Helen das gesamte Resort angemietet. Ihre Gäste werden sie dort um Mittag erwarten, um mit ihnen ihren Ehrentag zu feiern. Schließlich darf ich sie noch daran erinnern, dass ihnen auch noch heute ein besonderes Firmenjubiläum bevorsteht. Egal, ob sie mich nun rausschmeißen oder nicht, mehr darf ich ihnen beim besten Willen nicht verraten.“

„Theresa, ist schon in Ordnung. Nur noch eine Frage liegt mir auf der Zunge. Wer ist die attraktive Dame im Vorzimmer mit der sie, wie ich annehme, zumindest geplaudert oder inzwischen eine Tasse Kaffee zusammen getrunken haben?“

„Chef, es tut mir außerordentlich leid. Aber auch darauf kann und darf ich ihnen keine Antwort geben. Doch auch die Lösung dieser Frage ist nur noch Stunden von ihrer Auflösung entfernt.“

„Herrje, fast komme ich mir vor wie in einem Kindergarten. Meine Kinder scheinen tatsächlich zu versuchen, mir etwas Opa-ähnliches anzuhängen. Wenn sie sich dabei nicht verschätzen. Schließlich werde ich heute gerade mal Sechzig und bin noch weit von meinem Altersruhesitz entfernt.“

Nicht gerade mit dem freundlichsten Tonfall in seiner Stimme entweichen die Worte seinem Munde. Hastig verlässt die Empfangsdame das Büro ihres Seniorchefs. Schließlich möchte sie weitere unangenehme Fragen, die Markus Hofer noch einfallen könnten, wenn irgendwie möglich vermeiden.

Krista Rosner sitzt immer noch Gelassenheit vortäuschend, an dem kleinen runden Tisch, als sich unverhofft die Eingangstüre öffnet und ein Mann etwa zwischen 35 und 40 Jahre alt, die Lobby betritt.

Mit einem Kopfnicken und dabei sein grinsendes Gesicht nicht verbergend, steckt er ihr die rechte Hand entgegen.

„Sie müssen Krista Rosner, die neue Sekretärin meines Vaters sein, stimmt‘s? Ich bin Patrick Hofer. Leider bin ich heute Morgen etwas spät dran, aber wie ich sehe hat man sich schon um sie gekümmert. Macht es ihnen was aus, wenn ich sie noch einige Minuten warten lasse. Meine Schwester Helen ist bereits im Gebäude und dürfte jede Minute hier auftauchen. Sobald sie da ist, möchten wir sie in mein Büro bitten, um uns gemeinsam ein wenig, über ihren neuen Arbeitsplatz zu unterhalten.“

Ohne ein weiteres Wort von sich zu geben, begibt sich Patrick Hofer in sein Büro, die gepolsterte Tür hinter sich mit einem satten ‚Plopp‘ zuziehend.

Inzwischen ist auch Helen Hofer, mittelgroß und mit einem hochgesteckten Schopf mittelblonder Haare und auffallend blauen Augen, mit forschen Schritten in der Lobby erschienen. Doch nicht mehr allein sitzend wie vorhin beim Erscheinen Patricks, hat die freundliche Empfangsdame Theresa wieder den Sessel neben Krista belegt. Augenblicklich als Helen die Rezeption betritt, erhebt sie sich. Doch Helen ist schneller. Bevor es Krista gelingt sich vorzustellen, hat die freundliche Tochter des Konzerninhabers bereits ihre beiden Hände ergriffen.

„Aha, Frau Rosner, da sind sie ja. Ich hoffe sie können sich noch an unser erstes gemeinsames Gespräch erinnern?“

„Ja sicher, aber eigentlich hatte ich nicht mehr damit gerechnet, die Stelle zu bekommen. Deshalb freue ich mich umso mehr, jetzt hier zu sitzen. Schließlich brennt es mir schon unter den Fingernägeln, nach wochenlanger Untätigkeit zu Hause endlich mal wieder gefordert zu werden.“

Helen hört ihr aufmerksam zu. Verständnisvoll nickt sie dabei mit dem Kopf.

„Bei ihrer Qualifikation kann ich mir das recht lebhaft vorstellen. Doch bevor wir den nächsten Schritt machen, bin ich ihnen eine Erklärung schuldig. Schließlich haben mein Bruder und ich ihnen etwas verschwiegen, was sie aber unbedingt wissen sollten, bevor wir sie ihrem neuen Chef, nämlich unserem Vater, vorstellen.“

Ihren Kopf in Richtung der Vorzimmerdame wendend, deutet sie mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand auf eine der beiden nach hinten führenden Türen:

„Wissen sie, ob mein Vater schon da ist?“

„Ja, er ist bereits seit einer Viertelstunde in seinem Büro.“

„Theresa, wenn er raus kommt, sagen sie ihm bitte nichts. Ich nehme Frau Rosner zuerst einmal mit in Patricks Büro und werde ihr dort mit meinem Bruder gemeinsam versuchen zu erklären, warum ihre Einstellung in unsere Firma halt ein wenig außergewöhnlich ist.“ Krista wie eine langjährige Freundin bei der Hand nehmend, klopft sie kurz aber heftig an die Bürotüre ihres Bruders. Ohne das übliche ‚Herein‘ abzuwarten, tritt sie ein, wobei sie Krista immer noch an der Hand hält.

„Kommt bitte herein und sucht euch ein Plätzchen. Mein Vater war kurz hier, hat mich begrüßt und als ich ihm so quasi zu verstehen gegeben habe, dass ich auf ein wichtiges Telefonat warte, hat er mich nur angegrinst:

“Na, dann mach mal schön.“

„Ohne weitere Worte und seinen normalerweise üblichen spitzfindigen Kommentar hat er den Raum verlassen. Ich glaube, dass wir wenigstens für die nächste halbe Stunde vor ihm sicher sind. Ich kann mich nämlich des Gefühls nicht verwehren, dass er Lunte gerochen hat, dass hier etwas Außergewöhnliches abgeht, aber nicht die geringste Idee hat, was wir mit ihm vorhaben.“

Mit wenigen Schritten kommt Patrick auf Krista zu, um dann abrupt vor ihr stehen zu bleiben:

„Frau Rosner, wie ich vorhin schon bei meiner Ankunft erwähnt habe, ich bin Patrick Hofer, der ältere und auch einzige Bruder der Dame, die immer noch versucht sie mit einer Hand festzuhalten. Eigentlich machen sie mir nicht den Eindruck, als ob es ihre Absicht wäre, wegzulaufen. Also Helen, wenn es dir nichts ausmacht, kannst du ruhig die Hand der Dame loslassen. Dann dürft ihr beide euch setzen und wir können schließlich loswerden, was wir zu sagen haben. Bei unserem Vater weiß man nämlich nie genau, was er ihm Schilde führt und er urplötzlich hier vor uns steht. Doch bevor wir weiterreden, möchte ich euch bitten, euch erst einmal hinzusetzen.“

Dabei deutet er mit beiden Händen auf die zwei Sessel vor seinem Schreibtisch, während er sich in dem wuchtigen Ledersessel hinter seinem Schreibtisch niederlässt.

„Helen, möchtest du bitte beginnen und Frau Rosner mit Vorsicht die Besonderheiten erklären, die sie mit der Annahme dieses Jobs erwarten.

Bevor Helen mit der von ihrem Bruder gewünschten Erklärung beginnt, schiebt sie ihren Sessel in eine Position, von der aus sie geradewegs Krista Rosner in die Augen schauen kann. Mit fast flüsternder Stimme beginnt sie das sicherlich nicht leichte Gespräch, denn immerhin haben sie und ihr Bruder hinter dem Rücken ihres Vaters etwas in die Wege geleitet, was bestimmt nicht auf das Wohlwollen des Firmenpatriarchen stoßen wird. Nicht nur, dass sie und ihr Bruder in die Privatsphäre ihres Vater eingedrungen sind, sondern sie haben sich die Freiheit genommen, für ihn ohne sein Wissen oder gar seine Zustimmung so mir nichts dir nichts eine neue Sekretärin einzustellen. Sicherlich war die Notwendigkeit hierfür nicht von der Hand zu weisen. Immerhin hatte Markus Hofer es nach der Pensionierung seiner bisherigen Privatsekretärin fertig gebracht, in den Büros seiner Kinder eine Art ‚Chaos‘ zu verursachen.

„Liebe Frau Rosner oder machen wir es uns doch etwas einfacher, ihr Einverständnis vorausgesetzt, ich bin die Helen und das ist mein Bruder Patrick. Schließlich, dessen bin ich mir sicher, werden Stunden und Tage auf uns zukommen, wo uns nichts übrig bleiben wird, wie eine verschworene Gemeinschaft zusammenzuhalten. Patrick, wie beurteilst du die Sachlage?“

Patrick Hofer, der den Ausführungen seiner jüngeren Schwester aufmerksam zugehört hat, beugt sich nach vorne. Mit beiden Händen die Frauen zu sich herwinkend, bis sie fast Kopf an Kopf zusammen sind, kann er sein schelmisches Grinsen nur schlecht verbergen:

„Also, zuerst einmal finde ich es außergewöhnlich nett, dass wir uns so schnell zusammengefunden zu haben. Krista, außerdem haben sie einen so schönen Vornamen, den man gar nicht oft genug benutzen kann. Bezüglich des Verschweigens der Einstellung als seine Sekretärin ist heute die beste Gelegenheit, es unserem Vater schonend beizubringen. Schließlich sind heute nicht nur sein Geburtstag und unser 45jähriges Firmenjubiläum, sondern heute bekommt er ein Geburtstagsgeschenk, welches er in seinem Leben so leicht nicht vergessen wird. Ich werde das gute Gefühl nicht los, dass er uns nicht zu hart tadeln wird. Also Krista, wenn er bald hier auftauchen wird, was immer er sagt, bitte nehmen sie seine Worte nicht zu bitterernst. Trotz allem was er in seinem manchmal recht harten Leben geschaffen hat, sein Herz ist aus purem Gold. Krista, noch ist es Zeit genug, den ihnen angebotenen Job abzulehnen und wir würden es ihnen nicht mal verübeln.“

„Oh nein, so leicht lasse ich mich nicht in die Flucht schlagen. Ich muss zugeben, dass ich heute Morgen mit einem recht mulmigen Gefühl aufgewacht bin. Schließlich ist dies erst die dritte Stelle in meinem Leben. Nach meinem Handelsschulabschluss wollte ich unbedingt für ein Jahr nach Kanada, dem Land von dem ich so viel gehört hatte. Doch als ich hier ankam, fand ich nach drei Wochen eine Bürostelle in einer Investitionsfirma in Kitchener, in der ich bis zur Schließung vor rund sechs Wochen meine Stellung gehalten habe. Ohne Zweifel war ich total überrascht, als ich dieses Büro heute Morgen betrat und ich verspreche ihnen, ich werde alles geben, um sie mit meiner Arbeitsleistung zufrieden zu stellen.“

Patrick, der ihr aufmerksam zugehört hat, zeigt zum zweiten Mal für heute Morgen sein schelmisches Grinsen:

„Krista, uns, also mir und meiner kleinen Schwester hier brauchen sie nichts mehr vorzumachen. Wenn wir nicht von ihren Qualitäten so überzeugt wären, säßen sie bestimmt jetzt nicht hier. Psst, ich glaube ich höre was, das wird er bestimmt sein.“

Doch falsch geraten. Bei dem stämmigen Mann, der gerade nach einem kurzen Anklopfen in Patricks Büro eingetreten ist, handelt es sich um Moritz Drommer, Markus Hofers Freund und Vertrauter, der nach einem freundlichen ‚Guten Morgen‘ auf Patrick zuschreitet, ihm etwas ins Ohr flüstert, um dann genau so schnell wieder zu verschwinden, wie er eingetreten ist. Krista ist sofort nach seinem unverhofften Eintritt aufgesprungen. Doch als Helen ihr mit einer kurzen Handbewegung andeutet, dass es sich um einen falschen Alarm gehandelt hat, nimmt sie sichtlich erleichtert ihren Platz wieder ein.

Nichtmals zwei Minuten später nachdem Moritz Drommer dem Juniorchef ins Ohr geflüstert hat, dass zwei mit Markus Hofers Freunden beladene Busse zur Abfahrt zum ‚Sunny Shore Resort‘ an der ‚Georgian Bay‘ zur Abfahrt in einer Seitenstraße bereitstehen, öffnet sich fast ruckartig die Verbindungstür aus dem Konferenzzimmer in Patrick Hofers Büro. Nach einem kurzen Anklopfen, jedoch ohne eine ‚Herein‘ Antwort abzuwarten, tritt ein elegant gekleideter, stattlicher Mann in den Raum. Noch während des unverhofften Eintritts schaut er sich um, bevor er vor Krista stehenbleibt. Dabei gibt er ihr nicht mal die Gelegenheit, sich zu erheben.

„Mein Gott, sie müssen Krista Rosner sein, meine neue Sekretärin. Darf ich mich vorstellen, ich bin Markus Hofer, der Vater dieser zwei missratenen Geschöpfe, die sich als meine Kinder ausgeben. Ja, da kann ich gleichzeitig auch die Gelegenheit benutzen, um mich bei Ihnen zu bedanken. Um ganz ehrlich zu sein, war es das gefühlsvollste Erlebnis in vielen Jahren, als sie mir ohne Zögern ihr Frühstücksbrot in die Hand drückten. Und ich schäme mich auch nicht zuzugeben, dass sie mir mit ihrem großmütigen Verhalten fast die Tränen in die Augen getrieben haben. Obwohl ich ihre Bewerbungsunterlagen schon seit zwei Wochen kenne, habe ich sie heute Morgen nicht wiedererkannt, denn das beigefügte Foto tut ihrer natürlichen Schönheit nicht im Geringsten Genüge. Ja und leider kann man auch Herzenswärme nicht im Bild festhalten. Und davon scheinen sie ja genügend mitbekommen zu haben, wie sie heute Morgen bewiesen haben.

Als wäre sie auf der Sitzfläche ihres Sessels angewachsen, rührt sich Krista Rosner nicht vom Fleck:

„Als ich sie heute Morgen in der halbdunklen Ecke des Glaspalastes sitzen sah, machte sich nur ein einziger Gedanke in meinem Kopf breit:

‚Wie dicht liegen doch arm und reich beieinander. Hier vor dir sitzt ein Bettler, der sicherlich nicht weiß, wie er seinen Hunger überkommen kann und den Tag überleben wird. Sie haben mir so leidgetan, als ich ihnen das Butterbrot in ihre Hände drückte. Sie saßen da mit halboffenem Mund, nicht mächtig ‚Danke‘ zu sagen, doch ihre Augen sprachen Bände. Nun hat sich das Bild hundertprozentig gedreht und mir persönlich kommt es vor, als ob sich meine gesamte kleine Welt einmal um die eigene Achse gedreht hat.“

In Patricks Büro ist Totenstille eingetreten. Sichtlich erregt schauen die beiden Hofer-Nachkömmlinge zu ihrem betreten dreinschauenden Vater.

Langsam, als hätten sie unendlich viel Zeit, rinnen einige Tränen über Kristas aparte Wangen, als Markus Hofer sichtlich bewegt, ihr sein Taschentuch reicht.

Schließlich ist er auch der erste, der seine Fassung wiederfindet:

„Und nun zu euch Beiden“, dabei wirft er einen scharfen Blick auf die mit schuldbewussten Mienen vor ihm stehenden Nachkommen, seinen Sohn Patrick und seine Tochter Helen:

„Anscheinend ist euch immer noch kein Licht aufgegangen, dass es nicht so einfach ist, euren Vater hereinzulegen. Ja, Patrick, besonders dir möchte ich ans Herz legen, wichtige Papiere nicht so mir nichts dir nichts auf deinem Schreibtisch für jeden zur Einsicht liegen zu lassen, wenn du nicht im Büro bist. Als ich die Bewerbungsunterlagen einer Krista Rosner auf deinem Tisch liegen sah, erwachte in mir natürlich eine gewisse Neugierde. In den letzten zwei Wochen hat es mir viel Spaß bereitet, das Fortschreiten dieses Vorganges zu beobachten. Na, nun wisst ihr alle, wie es endet. Ich glaube ich hätte mich schon irgendwie gewehrt, hätte das Gesamtbild ihrer Einstellung nicht meinen Vorstellungen entsprochen. Aber das hat’s ja und ich begrüße sie, Frau Rosner recht herzlich in unserer Firma und freue mich auf meine neue Mitarbeiterin und unsere gemeinsame zukünftige Zusammenarbeit.“

Inzwischen ist Moritz Drommer einige Male im Raum erschienen. Nach wiederholten Versuchen, die Aufmerksamkeit seines Junior-Chefs Patrick auf sich zu lenken, startet er seinen letzten Versuch, diesmal Helen etwas zuzuflüstern. Nachdem ihm dies gelungen ist, verlässt er schnellen Schrittes das Büro seines Junior-Chefs, während Helen sich zwischenzeitlich an der Seite ihres Vaters stehend, Krista zuwendet:

„Liebe Krista, der Chauffeur meines Vaters hat mir soeben mitgeteilt, dass nur ein paar Häuser weiter zwei vollbeladene Busse mit Gästen, fertig zur Abfahrt zum ‚Sunny-Shore Resort‘ auf uns warten. Ich glaube, ihnen auch im Namen meines Vaters und Bruders sagen zu dürfen, dass wir sie als die neue Mitarbeiterin herzlich willkommen heißen. Da wir ja wie ich annehme, alles Wesentliche besprochen haben und meine Familie in weniger als zwei Stunden im ‚Sunny Shore Resort‘ zu einem besonderen Treffen erwartet wird, ist auch der erste Arbeitstag für sie beendet. Sicherlich können sie auch, wenn sie möchten, den Rest des Tages hier mit Frau Lindegaard verbringen. Allerdings können sie sich auch jederzeit nach Hause begeben. Immerhin waren die ersten Stunden in unserem Unternehmen bestimmt für sie recht aufregend und anstrengend und die Heimfahrt nach Kitchener kann bei dem heutigen Verkehrsaufkommen auch noch mit einigen, hoffentlich jedoch nur kleinen Schwierigkeiten verbunden sein. Aber nach einigem Hin- und Herpendeln werden sie sich schnell daran gewöhnt haben. Jedenfalls nochmals herzlichen Dank, eine gute Heimfahrt und wir freuen uns, sie Morgen wieder hier zu sehen.“

Mit einer undefinierbaren Miene in seinem Gesichtsausdruck, hat Markus Hofer den Worten seiner Tochter gelauscht. Doch jetzt geht er einen Schritt auf Helen zu:

„Liebes Töchterlein, unter keinen Umständen möchte ich deine Autorität untergraben aber eigentlich habe ich vor, Krista Rosner noch mit ihrem neuen Arbeitsplatz vertraut zu machen und sie außerdem, ihre Zustimmung vorausgesetzt, zu meinem Wiegenfest mit einzuladen. Und noch etwas zum Abschluss. Ich bitte dich wie auch deinen Bruder euch in Zukunft nicht in meine Privatangelegenheiten einzumischen. Ich hoffe, ich habe mich klar genug ausgedrückt. So, nun macht dass ihr fortkommt. Wir sehen uns dann im Resort-Hotel.“

Markus Hofer ist als harter aber dennoch fairer Geschäftsmann bekannt und respektiert, doch wenn jemand es wagt, in seine Privatsphäre einzudringen, selbst wenn es seine eigenen Kinder sind, versteht er keinen Spaß. Patrick und Helen können dies ohne weiteres bezeugen.

Zuzüglich ist ihnen momentan klar geworden, dass sie einer deftigen Zurechtweisung nur dadurch entgangen sind, weil eine Person mit ihnen im Raum war, die mit ihrem ganz individuellen Charme ihren Vater bezirzt hat.