Das Gesetz der Vampire

Schmutztitel

Mara Laue

© 2013 by Verlag Torsten Low,
Rössle-Ring 22, 86405 Meitingen/Erlingen
Alle Rechte vorbehalten.

Covergestaltung:
Michael Sagenhorn

Lektorat und Korrektorat:
M. Low, F. Low, T. Low

eBook-Produktion:
Cumedio Publishing Services - www.cumedio.de

ISBN (Buch) 978-3-940036-07-0
ISBN (mobi) 978-3-940036-99-5
ISBN (ePub) 978-3-940036-84-1

Inhalt

Besonderer Dank gilt der Band »Tempest«, deren wundervoller Song »Dark Lover« mich zu Teilen dieses Romans inspiriert hat.

Mara Laue

1

ashton Ryder beobachtete besorgt, wie seine Frau Mary lustlos in ihrem Abendessen herumstocherte. Sie starrte apathisch vor sich hin und wirkte dennoch auf eine bedrückende Weise wunderschön. Ihr schwarzes Haar fiel ihr offen über die Schultern und bildete einen auffallenden Kontrast zu ihrer marmorweißen Haut und den korallenrot geschminkten Lippen. Ashton fühlte sich bei ihrem Anblick wieder einmal an Schneewittchen erinnert: weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz wie Ebenholz.

Er hätte sie am liebsten in die Arme genommen, aber Mary schenkte ihm wie jeden Abend in der letzten Zeit keine Beachtung. Sie hatte sich vollkommen von ihm zurückgezogen und rückte einfach nicht mit der Sprache heraus, was der Grund dafür war.

»Es ist nichts«, wiegelte sie seine diesbezüglichen Fragen ab und verschloss sich danach nur noch mehr vor ihm.

Diese Sprachlosigkeit zwischen ihnen machte ihn langsam wahnsinnig, und er bekam zunehmend das Gefühl, dass seine Ehe gerade in einer furchtbaren Krise steckte. Wenn es ihm nicht bald gelang, mit Mary zu klären, was immer es zu klären gab, konnte das sehr schnell ins Aus führen. Falls das nicht schon längst geschehen war.

Ashton war Polizist aus dem tiefen Bedürfnis heraus, den Menschen Schutz und Sicherheit zu geben in einer Welt, in der die Verbrechen immer mehr zunahmen. Allerdings war seine Arbeit einem normalen Familienleben überaus abträglich. Überstunden, Schichtarbeit, Nachteinsätze und Notfälle, für die er zu allen möglichen Zeiten aus der wohlverdienten Freizeit, dem Urlaub oder sogar aus dem Bett geholt wurde, forderten ihren Tribut.

Mary liebte ihn zwar und hatte diese Beeinträchtigungen bisher klaglos mitgetragen. Seit einigen Monaten deutete sie jedoch immer häufiger an, dass sie sich allein gelassen fühlte. Noch hatte sie ihm nicht die Pistole auf die Brust gesetzt und ihn gezwungen, sich zwischen ihr und seinem Beruf zu entscheiden. Trotzdem war Ashton überzeugt, dass dieses Ultimatum nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.

Vielleicht hatte er Mary sogar schon an einen anderen Mann verloren. Dafür sprach jedenfalls, dass sie ihm gegenüber so gleichgültig geworden war, als würde ihr Ehemann sie nicht mehr interessieren. Ashton konnte sich das nur damit erklären, dass ein Nebenbuhler im Spiel war, obwohl es dafür bis jetzt keinen Beweis gab.

»Mary, ich habe nachgedacht«, brach er schließlich das unerträgliche Schweigen zwischen ihnen. »Über uns. Über meinen Beruf. Er beeinträchtigt unsere Beziehung, und ich will nicht, dass das so weitergeht.«

Er wartete auf eine Reaktion, doch Mary schob nur mit einem abwesenden Gesichtsausdruck ihr Essen auf dem Teller hin und her, als hätte sie ihn gar nicht gehört.

»Hey«, sagte er sanft und nahm ihre Hand. Sie war erschreckend kalt. Er rieb sie, um sie zu wärmen. »Hast du gehört, was ich gesagt habe, Liebes?«

Sie sah ihn teilnahmslos an. »Ja«, antwortete sie endlich. »Du hast über deinen Beruf nachgedacht. Und?«

Die Gleichgültigkeit, die aus ihrer Stimme und ihrer ganzen Körperhaltung sprach, passte nicht zu der fröhlichen, engagierten und leidenschaftlichen Frau, die sie noch bis vor vierzehn Tagen gewesen war. Die Mary, deren eiskalte Hand er erfolglos zu wärmen versuchte, schien eine vollkommen Fremde zu sein. Irgendetwas musste vor zwei Wochen passiert sein, das sie so verändert hatte. Wenn kein heimlicher Geliebter der Grund dafür war, so gab es nach Ashtons Einschätzung nur noch eine mögliche Erklärung: Mary war vergewaltigt worden. Allein der Gedanke schnitt Ashton schmerzhaft ins Herz und machte ihn wütend. Mindestens ebenso sehr wie die Tatsache, dass Mary ihm offenbar nicht genug vertraute, um mit ihm darüber zu reden.

»Ich denke«, fuhr er fort, nachdem er nun ihre Aufmerksamkeit hatte, »dass ich kündigen und mir einen anderen Job suchen werde. Einen, der mir mehr Zeit lässt für das Wichtigste in meinem Leben: dich.« Er lächelte. Doch Mary reagierte immer noch nicht. »Also, auf ein bisschen mehr Begeisterung habe ich schon gehofft«, sagte er und bemühte sich um einen leichten Tonfall. »Du hast dich doch so oft beschwert, dass ich kaum Zeit für dich habe.«

»Das ist wahr.« Marys Stimme war nur ein Hauch. »Aber die Polizeiarbeit ist doch dein Leben. Etwas anderes macht dich nun mal nicht glücklich.« Sie lächelte gequält. »Nicht einmal ich.«

Ashton sah seine Befürchtungen hinsichtlich eines anderen Mannes bei diesen Worten fast schon bestätigt. »Natürlich bist du mir wichtiger als mein Beruf. Darum werde ich ihn aufgeben. Ich habe schließlich genug Möglichkeiten, einen ähnlichen Job in einem anderen Bereich zu finden, der nicht so höllische Arbeitszeiten hat. Ich dachte daran, mich als Privatdetektiv oder Sicherheitsberater selbstständig zu machen.«

»Wie du meinst«, lautete Marys desinteressierte Antwort.

Er streichelte ihre Hand und versuchte geduldig zu sein, sie nicht anzuschnauzen und unerbittlich Rechenschaft zu fordern, was mit ihr los sei. Doch es fiel ihm schwer.

»Hey, Liebes, was ist mit dir? Ich dachte, du freust dich, wenn ich den mörderischen Stressjob aufgebe und mehr Zeit für dich habe.« Er sah sie aufmerksam an. »Was ist passiert, Mary? Ich merke doch, dass dich irgendwas zutiefst bedrückt. Hat dir jemand etwas angetan? Sag es mir, und ich sorge dafür, dass der Kerl zur Verantwortung gezogen wird.«

Sie schüttelte nur stumm den Kopf.

»Oder hast du dich«, er zögerte und suchte nach einer vorsichtigen Formulierung, »inzwischen schon anderweitig orientiert?«

»Wie kommst du denn darauf?«, fragte sie in demselben unbeteiligten Tonfall wie bisher. Sie stritt es nicht ab, und Ashton wertete das als weiteres Indiz für seine Vermutung.

»Weil du dich in den letzten zwei Wochen derart von mir zurückgezogen hast und dich jetzt so desinteressiert zeigst, dass ich befürchten muss, dass ein anderer Mann im Spiel ist«, sprach er seinen Verdacht offen aus.

»Ach, Ash.« Mehr sagte sie dazu nicht, und seine Vermutung wurde damit für ihn zur Gewissheit.

»Ist es wahr, Mary?«

Sie sah ihn mit einem gequälten Ausdruck an und entzog ihm ihre Hand. »Ich fühle mich nicht wohl. Ich gehe wohl besser schlafen.« Ohne ein weiteres Wort stand sie auf und verschwand im Schlafzimmer.

Ashton blieb am Tisch sitzen, schloss die Augen, zählte langsam bis zehn und musste sich beherrschen, ihr nicht zu folgen, sie zu packen und zu schütteln, bis sie die Wahrheit sagte. Vor allem aus ihr herauszubringen, wer sein Nebenbuhler war, damit er ihn zur Rede stellen und ihm klar machen konnte, dass er seine Finger von Mary zu lassen hatte. Natürlich war das keine Lösung und würde ihm Mary nur noch mehr entfremden. Falls sie sich noch uneins war, für wen sie sich entscheiden sollte, so würde eine solche Aktion sie endgültig in die Arme des anderen Mannes treiben.

Er schüttelte den Kopf, stützte die Stirn müde in beide Hände und fuhr sich anschließend durch die dunklen, streichholzkurzen Haare. Er legte großen Wert auf seine Selbstbeherrschung und ließ sich nicht von Emotionen leiten. Sein Ruf als die personifizierte Gelassenheit war im 62. Revier der New Yorker Polizei legendär. Fast jeder seiner Kollegen hatte schon einmal die Beherrschung verloren und in der einen oder anderen Situation überreagiert; Ashton noch nie. Mit den Scherben seiner Ehe und einem unbekannten Nebenbuhler konfrontiert, fiel es ihm jetzt sehr schwer, die Beherrschung aufrecht zu erhalten und nicht wie der zutiefst verletzte, betrogene Ehemann zu reagieren, als der er sich fühlte.

Immerhin hatte er noch keinen konkreten Beweis für Marys Untreue, nur einen Verdacht, versuchte er sich selbst einzureden. Sein Polizistenverstand zählte allerdings erbarmungslos die Fakten auf, die eine nahezu lückenlose Indizienkette ergaben. Marys Gleichgültigkeit ihm gegenüber, dass sie ihn seit Tagen im Bett zurückwies und seine Frage nach einem anderen Mann nicht einmal ansatzweise leugnete, sprachen Bände dafür, dass sie sich emotional bereits von Ashton gelöst hatte.

»Oh Gott!«, murmelte er verzweifelt.

Er hatte geglaubt, dass die Liebe, die er und Mary für einander fühlten, jeder Belastung standhielt. Offenbar hatte er sich geirrt. Jetzt blieb ihm nur noch der Versuch zu retten, was vielleicht schon nicht mehr zu retten war. Er würde seine Kündigung schnellstmöglich einreichen und sich eine Lizenz als Privatdetektiv besorgen. Er würde nicht so einfach aufgeben, sondern um Mary kämpfen und hoffen, dass er noch eine Chance hatte.

Als er eine gute Stunde später ebenfalls zu Bett ging, nachdem er sich wieder beruhigt hatte und sich sicher war, seiner Frau mit Verständnis und Rücksicht begegnen zu können statt mit Wut und Vorwürfen, stand Mary nur mit einem dünnen Nachthemd bekleidet auf dem Balkon, starrte in die Nacht und flüsterte leise einen Namen: »Vic!«

Es klang so voller Sehnsucht, dass Ashton von heftiger Eifersucht gepackt wurde. Mit wenigen Schritten war er bei ihr, fasste sie hart am Arm und riss sie zu sich herum.

»Mary, was zum Teufel ...«

Was immer er hatte sagen wollen, blieb ihm im Hals stecken. Mary war bleich wie der Tod, und ihre Augen glänzten fiebrig. An ihrem Hals entdeckte er zwei kleine Wunden, aus denen in schmalen Rinnsalen Blut ihren Hals hinunter lief und den Kragen ihres Nachthemdes tränkte. Im nächsten Moment sank sie ohnmächtig in seine Arme.

Alle Eifersucht war schlagartig vergessen. Ashton trug Mary zum Bett und rief einen Krankenwagen.

***

»Mr. Ryder? Ich bin Dr. Hugh Rutland und behandle Ihre Frau.«

Ashton sprang von der Bank auf, auf der er seit Stunden wartete und drückte dem noch recht jungen Arzt reflexartig die dargebotene Hand. »Wie geht es meiner Frau, Doktor? Wird sie wieder gesund? Was fehlt ihr denn?«

Dr. Rutland unterdrückte ein Lächeln. Offenbar war er an aufgeregte Familienangehörige gewöhnt, die ihn mit Fragen bombardierten. »Ich beantworte Ihre letzte Frage zuerst. Ihre Frau leidet unter einer seltenen Form von Anämie. Wir haben ihr eine Bluttransfusion gegeben und sie stabilisiert und werden morgen mit einer Therapie beginnen. Wenn keine Komplikationen auftreten, wird sie wieder gesund. Im Moment schläft sie.«

»Gott sei Dank!«, entfuhr es Ashton erleichtert.

»Seit wann hat sie diese Schwächeanfälle?«, wollte Rutland wissen.

Ashton schüttelte den Kopf. »Ich habe heute zum ersten Mal so etwas an ihr bemerkt. Sie ist vorher noch nie ohnmächtig geworden. Allerdings ist sie seit ungefähr zwei Wochen geistesabwesend, zunehmend müde und an allem desinteressiert.«

Rutland nickte. »Das passt zu dem Krankheitsbild. Nach ein paar weiteren Bluttransfusionen wird es ihr schnell wieder besser gehen.«

»Was ist mit diesen Wunden an ihrem Hals?«

»Das wollte ich Sie fragen, Mr. Ryder. Die Verletzungen sehen aus wie Bisswunden. Halten Sie eine Schlange? Oder haben Sie ein Problem mit Ratten?«

»Weder, noch«, antwortete Ashton.

»Seltsam«, meinte Rutland. »Es sind eindeutig Tierbisse, und eine Schlange oder große Ratte ist das einzige Tier, auf das dieses Bissmuster passt.« Er schüttelte den Kopf. »Aber darum kümmern wir uns später. Ihre Frau bleibt erst mal ein paar Tage hier, bis wir wissen, wie sie auf die Medikation anspricht. Wenn alles gut geht, ist sie nächste Woche wieder zu Hause.«

»Darf ich jetzt zu ihr?«

»Natürlich. Sie liegt auf Zimmer 372.«

»Danke, Doktor!«

Ashton war unglaublich erleichtert. Mary würde wieder gesund werden, und sie beide würden einen neuen Anfang machen. Alles würde wieder gut werden. Er ging zu Zimmer 372 und trat leise ein. Das einzige Bett in dem typischen Krankenzimmer, in dem eine kleine Nachttischlampe gedimmt brannte, war leer, wenn auch sichtbar benutzt.

»Mary?«, rief er leise, erhielt aber keine Antwort. Er öffnete die Tür, die zum angrenzenden Waschraum führte. Auch der war leer. Ashton verließ das Zimmer und schaute auf die Nummer neben der Tür: 372 – zweifellos das Zimmer, das Dr. Rutland ihm genannt hatte. Wahrscheinlich hatte der Arzt sich in der Nummer geirrt.

»Schwester!«, rief er einer vorbeieilenden Krankenschwester zu. »Ich suche meine Frau, Mary Ryder.«

»Zimmer 372, Sir«, antwortete die Frau freundlich.

Ashton deutete auf die Tür hinter sich. »Sie ist nicht da.«

Die Schwester schüttelte den Kopf, ging an ihm vorbei in das Zimmer hinein und vergewisserte sich, dass Ashtons Behauptung zutraf. »Dr. Rutland!« Der junge Arzt war gerade im Begriff, ein anderes Zimmer auf dem Gang zu betreten. »Mrs. Ryder ist verschwunden.«

Der Arzt zog vorwurfsvoll die Augenbrauen hoch. »Schwester Grace, in diesem Krankenhaus kann niemand einfach so verschwinden.«

»Aber meine Frau ist verschwunden, Doktor«, sagte Ashton nachdrücklich. Er fühlte sich versucht, den Cop herauszukehren, unterließ es aber, als er den besorgten Gesichtsausdruck des Arztes bemerkte.

»Suchen Sie sie unverzüglich«, forderte er Schwester Grace auf. »Und nehmen Sie sich jeden zu Hilfe, der nicht gerade beschäftigt ist. Mrs. Ryder ist nicht in der Verfassung, allein im Haus herumzuspazieren.«

»Ja, Doktor.«

»Ich komme mit!«, entschied Ashton.

»Lassen Sie Mrs. Ryder sicherheitshalber auch ausrufen«, fügte Rutland hinzu. »Keine Sorge, Mr. Ryder, sie taucht bestimmt gleich wieder auf. Wahrscheinlich ist sie hinunter zur Cafeteria, um sich etwas zu trinken zu holen.«

Doch in diesem Punkt irrte der Arzt. Nachdem Ashton zusammen mit Schwester Grace und einigen anderen alarmierten Pflegern das Haus fast vollständig auf den Kopf gestellt hatte, stand fest, dass Mary sich nicht mehr dort aufhielt. Ashton kehrte jetzt doch seine Autorität als Polizist heraus und ließ sich die Überwachungsvideos zeigen. Darauf sah er, wie Mary unmittelbar, nachdem man sie in ihrem Zimmer allein gelassen hatte, barfuß und im Nachthemd wie eine Schlafwandlerin das Gebäude verließ und in ein Taxi stieg.

»Verdammt, was hat sie vor?«, entfuhr es Ashton.

»Wohin könnte sie gefahren sein?«, fragte Schwester Grace, die immer noch an seiner Seite war.

»Nach Hause, vermute ich. Wohin sollte sie sonst?«

Zu ihrem Liebhaber!, antwortete eine hässliche Stimme in seinem Kopf. Das ist doch die perfekte Gelegenheit für sie, von dir wegzukommen und unterzutauchen, ohne sich mit dir auseinandersetzen zu müssen. Er unterdrückte diesen Gedanken gewaltsam.

»Ich bringe sie wieder her.«

Ashton fuhr aufgewühlt und so schnell er konnte zurück nach Hause. Sorgen um seine Frau wechselten sich ab mit einer tiefen Verletztheit und Wut darüber, wie hinterhältig sie ihn auszutricksen versuchte. Allerdings kamen ihm jetzt doch Zweifel an seiner Theorie über ihre möglichen Fluchtpläne. Sie war ernsthaft krank, und es erschien ihm nüchtern betrachtet eher unwahrscheinlich, dass sie in diesem Zustand daran dachte, sich zu ihrem Lover abzusetzen. Doch einen anderen, vernünftigeren Grund für ihr heimliches Verschwinden aus dem Krankenhaus konnte er sich einfach nicht denken.

Als er vor dem Haus ankam, verspürte er eine gewisse Erleichterung, denn drinnen brannte Licht. Da er es ausgeschaltet hatte, bevor er ins Krankenhaus gefahren war, musste Mary tatsächlich hier sein. Er rannte förmlich hinein.

»Mary!«

Er erhielt keine Antwort. Im ganzen Haus war es vollkommen still. Totenstill. Ashtons in den langen Jahren seiner Polizeiarbeit geschärfter Instinkt sagte ihm, dass hier etwas nicht stimmte. Einer Eingebung folgend lief er hinauf ins Schlafzimmer und stolperte direkt in seinen schlimmsten Albtraum. Mary lag schlaff und leblos auf dem Bett, beinahe weißer als das Laken und starrte ihn aus gebrochenen Augen an. Sie hatte das Pflaster am Hals abgenommen, wodurch die Wunden wieder aufgebrochen waren und rote Flecken auf dem Kissen hinterlassen hatten. Ihr schwarzes Haar lag wie ein Schleier ausgebreitet um ihren Kopf. Weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz wie Ebenholz.

Doch das war noch nicht das Schlimmste. Ein fremder Mann stand über sie gebeugt und hatte eine Hand zärtlich an ihre Wange gelegt. Das konnte nur ihr Liebhaber sein. Er war nicht sehr groß und trug sein dunkles Haar schulterlang. Seine Haut war fast ebenso bleich wie Marys, und in der Hand hielt er ein Holzmesser. Vor dem Bett lag ein Haufen feiner, grauer Sand oder Ähnliches inmitten von abgelegter Männerkleidung.

Ashton überwand sein Entsetzen und stürzte sich mit einem Wutschrei auf den Mann, der offenbar gerade seine Frau ermordet hatte. Er kam nicht weit. Der Fremde machte kaum eine Bewegung, zumindest keine, die Ashton wahrnehmen konnte. Im nächsten Moment hatte er ihn mit einem Klammergriff an der Kehle gepackt und hielt ihn mit einer solchen übermenschlichen Kraft auf Abstand, dass Ashton nur hilflos in diesem Griff zappeln konnte wie ein Fisch an der Angel. Er schlug um sich, er schrie, er setzte seine gesamte Nahkampfkunst mit aller Kraft ein. Doch die Schläge und Tritte, die schon manchen Verbrecher zu Boden geschickt hatten, zeigten bei dem Mann nicht die geringste Wirkung.

»Es tut mir leid«, sagte der Fremde schließlich leise, als Ashtons Kraft vollkommen erlahmt war und er nur noch schwache Bewegungen zustande brachte. Der Blick der schwarzen Augen des Mannes bohrte sich mit zwingender Macht in Ashtons blaue. »Vergiss, dass du mich gesehen hast«, befahl er.

Ashton sah den toten Körper seiner Frau auf dem Bett liegen und hatte ihren Mörder direkt vor sich. Er bäumte sich in dessen Griff auf. »Niemals!«

Der Mann stieß ein überraschtes Zischen aus, ließ ihn urplötzlich los und war im nächsten Moment verschwunden, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Oder als hätte es ihn nie gegeben. Ashton sackte zusammen und weinte. Kraftlos robbte er sich zum Bett, ergriff Marys eiskalte Hand und konnte das Entsetzliche nicht fassen. Seine geliebte Frau war tot, ermordet von einem Liebhaber, mit dem sie sich nur eingelassen hatte, weil Ashton mehr mit seinem Beruf verheiratet war als mit ihr. Somit war er indirekt für ihren Tod verantwortlich.

Das Schuldgefühl grub sich in seine Eingeweide wie ein körperlicher Schmerz, der seinen Magen verkrampfte, sein Herz zusammenzudrücken schien und in seinem Kopf dröhnte. Er konnte kaum noch atmen. Immer wieder küsste er weinend Marys Hand und ihr Gesicht und bat sie um Verzeihung. Erst über eine Stunde später brachte er schließlich genug Kraft auf, um seine Kollegen zu rufen.

***

Ashtons Leben war zu einem endlosen Albtraum mutiert. Nachdem seine Kollegen am Tatort eintrafen und die Sache in die Hand nahmen, begannen die misstrauischen Blicke, die man ihm zuwarf. Natürlich war der Ehemann immer der Hauptverdächtige, besonders wenn er unmittelbar nach der Tat direkt neben der Leiche angetroffen wurde. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass Ashton selbst Polizist war.

Es folgten eingehende Verhöre und quälende Fragen. Warum hatte er nicht sofort die Polizei gerufen, sondern erst über eine Stunde später? Ashton schützte Bewusstlosigkeit vor, in die der unbekannte Angreifer ihn geprügelt hatte. Immerhin wurde diese Behauptung durch deutliche Würgemale an seinem Hals, Hämatome an seinem Körper und Kampfspuren im Schlafzimmer untermauert.

Hatte er seine Frau nicht doch ein bisschen … nun, grob angefasst, als er nach Hause kam und feststellte, dass sie ihn wohl schon seit einiger Zeit betrog? Immerhin war seine DNA in Form von Tränen und Speichel auf ihrem Körper gefunden worden. Und gewiss hatte er schon seit längerem gewusst, dass Mary einen Liebhaber hatte. Er war schließlich ein Cop, dem so etwas selbstverständlich nicht entging.

Es gab noch mehr misstrauische Blicke, gefolgt von Getuschel hinter seinem Rücken. Natürlich war er unschuldig, und es gab zum Glück genügend Beweise dafür. Schwester Grace, Dr. Rutland und drei Pfleger konnten bestätigen – untermauert von den Überwachungsvideos des Krankenhauses –, dass Ashton über eine Stunde nach Marys Verschwinden ununterbrochen mit ihnen zusammen nach seiner Frau gesucht hatte. Außerdem war Mary gemäß dem Bericht des Pathologen bereits geraume Zeit tot gewesen, bevor Ashton nach Hause kam.

An diesem Punkt begann die Sache mehr als seltsam zu werden. Marys Körpertemperatur beim Eintreffen des Gerichtsmediziners deutete darauf hin, dass sie seit mindestens vierundzwanzig Stunden tot gewesen sein musste, was im krassen Widerspruch zu dem Bericht Dr. Rutlands und den Aussagen aller anderen Zeugen stand. Auch die unerklärliche Unterkühlung, unter der sie laut Krankenakte bei ihrer Einlieferung ins Hospital gelitten hatte, hätte den Todeszeitpunkt nicht so weit verschieben können. Ebenso merkwürdig, um nicht zu sagen rätselhaft, war die Todesursache: akute Blutarmut, die zum kompletten Kreislaufversagen geführt hatte. Nur eine Stunde, nachdem man ihr im Krankenhaus mehrere Blutkonserven verabreicht hatte, war ihr Körper fast völlig blutleer gewesen.

Die unerklärlichen Punktierungen an ihrem Hals gaben dem Pathologen ein weiteres Rätsel auf. Seiner Einschätzung nach handelte es sich eindeutig um Bissverletzungen eines Tieres, besonders da in den Wunden auch Speichel gefunden wurde. Doch der ließ sich keinem Tier zuordnen. Er war vermischt mit menschenähnlicher DNA, die noch in keinem Lehrbuch dokumentiert oder auch nur erwähnt war. Da das natürlich nicht sein konnte, ging man am Ende davon aus, dass die Wunde aus unbekannten Gründen derart verunreinigt worden war, dass die DNA nicht mehr identifiziert werden konnte.

Ein noch größeres Rätsel stellte der Staub dar, der vor dem Bett in Ashtons Schlafzimmer gefunden worden war. Es handelte sich um eine Substanz, die entstand, wenn ein Körper vollständig austrocknete und anschließend zu Staub zerfiel. Auf den ersten Blick sah es so aus, als habe jemand sie aus irgendeinem Grab geholt und dort verstreut. Die Analyse zeigte außerdem, dass er dieselben unbekannten DNA-Merkmale enthielt wie die Speichelproben aus Marys Wunden. Die Männerkleidung, die Ashton ebenfalls gesehen hatte, war spurlos verschwunden, und man deklarierte seine diesbezügliche Aussage als Halluzination infolge des Sauerstoffmangels, der zu seiner angeblichen Bewusstlosigkeit geführt hatte.

Die Ermittler kamen zu dem Schluss, dass Mary Ryders Tod das Werk eines perversen Ritualmörders gewesen sein musste. Die niedrige Körpertemperatur, die ihren Tod auf einen Zeitpunkt festlegte, an dem sie nachweislich noch gelebt hatte, wurde einem Messfehler zugeschrieben. Die Blutleere ihres Körpers und die Tatsache, dass im Schlafzimmer nur wenig von ihrem Blut gefunden worden war, erklärte man damit, dass der Mörder es ihr wohl über die direkt in der Halsschlagader befindlichen Stiche – wahrscheinlich doch Einstichspuren von dicken Kanülen – abgepumpt und für irgendein widerliches Ritual mitgenommen hatte. Und den Leichenstaub oder was immer die Substanz sein mochte, hielt man ebenfalls für einen Bestandteil des Rituals.

Bei einer Überprüfung der Datenbanken nach ähnlichen Fällen kam schließlich heraus, dass es in den vergangenen vierzig Jahren insgesamt 887 Fälle allein in den USA gegeben hatte, die alle dasselbe Muster zeigten: ausgeblutete Leichen, aber kaum Blut am Tatort und in einigen Fällen in unmittelbarer Nähe seltsamen Staub. Falls es sich dabei tatsächlich um das Werk eines Serienkillers handelte, musste der seit vierzig Jahren sein Unwesen treiben und mindestens sechzig Jahre alt sein. Viel wahrscheinlicher war allerdings, dass es sich um eine ganze Sekte von Satanisten oder ähnlichen Leuten handelte, die schon entsprechend lange aktiv war. Dafür sprach zumindest, dass der Mann, den Ashton bei Marys Leiche gesehen hatte, höchstens Mitte dreißig gewesen war.

Ashton hatte zusammen mit seinem dafür zuständigen Kollegen ein detailliertes Phantombild angefertigt; schließlich hatte er dem Kerl mehrere Minuten lang direkt ins Gesicht gesehen. Jedes Haar, jede Hautpore, jede Falte seiner Züge hatte sich unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt. Zu seiner und des ganzen Departments großer Enttäuschung war aber darauf kein einziger Hinweis aus der Bevölkerung eingegangen, und die Ermittlungen verliefen im Sande.

Ashton blieb nichts anderes übrig, als zu versuchen, den Verlust seiner geliebten Frau zu verkraften und zu akzeptieren, dass es keine heiße Spur zu ihrem Mörder gab. Er musste sich jetzt darauf konzentrieren, den Rest seines Lebens in den Griff zu bekommen, der nach dem brutalen Mord an Mary noch übrig geblieben war. Doch dieses Leben erschien ihm düster, leer und alles andere als lebenswert.

***

Als Ashton Mary eine Woche später beerdigte, trug er damit die einzige Familie zu Grabe, die er je gehabt hatte. Seine Eltern waren gestorben, als er noch zu jung war, um sich überhaupt an sie zu erinnern. Sie waren für ihn nur zwei Fremde auf einem verblichenen Foto, das er schon vor langer Zeit in einem Schuhkarton auf dem Dachboden abgelegt hatte. Er war bei seiner Tante und deren Mann aufgewachsen, was ihm in keiner guten Erinnerung blieb. Tante Sally und Onkel Ed hatten selbst drei Kinder und legten großen Wert darauf, Ashton klar zu machen, dass sie ihn nur aus Pflichtgefühl bei sich aufgenommen hatten. Dass sie dafür täglich ein für seine Begriffe übergroßes Maß an Dankbarkeit verlangten, hatte sein Verhältnis zu ihnen nicht gerade verbessert.

Mit achtzehn hatte er das Weite gesucht und war zum Militär gegangen, wo er eine steile Karriere bei den Navy SEALs gemacht hatte, ehe er sich fünf Jahre später entschloss, in den Polizeidienst zu treten und mit seiner Arbeit die Straßen und damit das Leben der Menschen etwas sicherer zu machen. Drei Jahre später hatte er Mary kennen und lieben gelernt und sie noch im selben Jahr geheiratet.

Und nun, nach nur vier Jahren Ehe, stand er vor den Trümmern seines Lebens und wurde von Schuldgefühlen zerfressen, die mit Alkohol zu betäuben er immer stärker versucht war. Ashton ließ die Beerdigung mit betont ausdruckslosem Gesicht über sich ergehen. Außer Marys Eltern und ihrer jüngeren Schwester, die er kaum kannte, waren ein paar ihrer Freundinnen gekommen, um ihr einen tränenreichen Abschied zu geben. Ashton wusste von den meisten nicht einmal die Namen. Von seiner Seite aus gaben ihr nur sein Partner und sein Vorgesetzter die letzte Ehre.

Ashton war froh, als es endlich vorbei war und die ganze Bande sich zum »Leichenschmaus« in ein Restaurant verzogen hatte. Natürlich hatten sie erwartet, dass er sich ihnen anschloss, aber er war nur stur und stumm am offenen Grab stehen geblieben und hatte auf keine Anrede reagiert, bis sie ihn in Ruhe gelassen hatten. Er wollte allein sein. Sein Vorgesetzter hatte ihm eine Woche Urlaub aufgezwungen, was ihm in seiner derzeitigen Stimmung besonders entgegen kam.

Er fühlte sich so verloren wie selten zuvor und war voller widersprüchlicher Gefühle. Die Trauer um Mary haderte mit der Wut darüber, dass es von ihrem Mörder keine Spur gab. Die wurde abgelöst von der tiefen Verletztheit darüber, dass sie ihn wahrscheinlich schon seit einiger Zeit betrogen hatte, was in Schuldgefühlen mündete, weil er Mary zu viel allein gelassen hatte.

Er starrte immer noch blicklos auf den Sarg, als die Friedhofsbediensteten kamen und begannen, das Grab zuzuschütten.

»Tut uns leid, Sir«, sagte einer von ihnen mitfühlend, »aber wir müssen jetzt hier unsere Arbeit machen.«

Ashton sah den Mann an, als nähme er ihn gar nicht richtig wahr. Schließlich nickte er und ging zu dem Schubkarren, auf dem die Totengräber ihre Gerätschaften transportierten. Er zog sein schwarzes Jackett aus, griff sich eine Schaufel und begann, zusammen mit ihnen Erde in Marys Grab zu schaufeln. Ein einziger Blick in sein Gesicht überzeugte die Männer davon, dass es sehr viel besser für sie wäre, mit keinem Wort dagegen zu protestieren, und so ließen sie ihn gewähren.

Als das Grab zugeschüttet war, fühlte Ashton sich ausgelaugt, erschöpft und war am ganzen Körper in Schweiß gebadet. Wenigstens war er jetzt in der Lage, nach Hause zu fahren und sich nicht in der nächsten Bar bis zur Besinnungslosigkeit zu besaufen. Nach einem letzten Blick auf das frische Grab und einem letzten stummen Gruß an Mary wandte er sich ab und strebte dem Ausgang des Friedhofs zu. Er wollte jetzt nur noch unter die Dusche, in aller Stille weinen und danach schlafen – idealerweise ein ganzes Jahr lang. Mindestens.

»Mr. Ryder?«

Ashton zuckte zusammen, als er so unvermittelt angesprochen wurde. Sofort übernahmen seine Instinkte das Regiment, und er erfasste den Mann, der an ihn herangetreten war, innerhalb weniger Sekunden. Strohblondes kurzes Haar, Vollbart, graue Augen, einsachtzig groß, Mitte dreißig, durchtrainiert, seriös gekleidet, eine Pistole im rechten Schulterhalfter unter dem Jackett verborgen und eine kleinere Waffe, vermutlich ein Revolver, im Beinholster unter dem linken Hosenbein, Linkshänder. Ashton erinnerte sich, dass der Mann schon die ganze Zeit in seiner Nähe gewesen war, seit er den Friedhof betreten hatte.

»Mein aufrichtiges Mitgefühl für Ihren Verlust, Sir«, sagte der Blonde jetzt. »Ich will Sie nicht lange belästigen, aber ich glaube, dass ich Ihnen helfen kann.« Er holte eine Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie Ashton.

Harold Quinn, PROTECTOR Inc., Privatermittlungen. Auf der Rückseite standen die üblichen Angaben zu Firmensitz, Telefon-, Fax- und Mobilnummern sowie zwei E-Mail-Adressen.

»Wir haben Ihren Fall verfolgt«, erklärte Quinn, bevor Ashton irgendetwas sagen konnte. »Ich denke, wir kennen den Mörder Ihrer Frau. Rufen Sie mich jederzeit an, wenn Sie wollen.«

Er wandte sich zum Gehen, doch Ashton packte ihn am Arm. »Reden wir doch gleich hier«, forderte er scharf. »Was wissen Sie? Und wieso haben Sie es nicht der Polizei gesagt? Sie wissen, dass Sie sich strafbar machen, wenn Sie solche Informationen für sich behalten.«

Quinn befreite seinen Arm aus Ashtons Griff. »Natürlich«, antwortete er ruhig. »Aber unsere Erfahrungen mit der Polizei haben uns gezeigt, dass die Behörden uns nicht ernst nehmen. Also ermitteln wir selbst. Wie Sie wissen, haben Privatermittler mehr Spielraum bei ihren Nachforschungen als die Polizei, die sich streng an die Gesetze halten muss. Davon abgesehen liegt dieser Fall außerhalb der irdischen Gerichtsbarkeit.«

»Was soll das heißen? Reden Sie, Mann!«

Quinn nickte zustimmend. »Nicht hier in aller Öffentlichkeit. Außerdem sollten Sie sich erst ein bisschen beruhigen.«

Ashton packte ihn erneut. »Ich bin ruhig genug, Mr. Quinn«, sagte er kalt, »und ich will es jetzt wissen! Auf der Stelle! Oder ich verhafte Sie!«

Quinn sah ihn ernst, aber völlig unbeeindruckt von Ashtons Drohung an. »Mr. Ryder, was ich Ihnen zu sagen habe, wird Ihr gesamtes Weltbild erschüttern, und Sie sind im Moment schon erschüttert genug. Ich gebe Ihnen allerdings mein Wort darauf, dass es absolut keinen Unterschied für die Ergreifung des Mörders macht, ob wir uns jetzt oder erst nächste Woche darüber unterhalten.«

»Hören Sie, Quinn, meine Welt liegt seit einer Woche komplett in Trümmern, und nichts, was Sie mir vielleicht sagen, könnte das noch schlimmer machen.«

»Das wage ich zu bezweifeln«, stellte Quinn nüchtern fest.

Ashton ignorierte den Einwand. »Wenn es wirklich keinen Unterschied macht, ob wir jetzt oder nächste Woche reden, dann ziehe ich jetzt vor. Also reden Sie, oder verschwinden Sie.«

Harold Quinn seufzte. »Wie Sie wünschen. Aber sagen Sie hinterher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt. Kommen Sie mit.«

»Wohin?«, fragte Ashton misstrauisch.

»In die Firma. Dort habe ich alle relevanten Unterlagen.«

Ashton folgte dem Mann und stellte fest, dass eine andere Empfindung seine Trauer zu verdrängen begann: Jagdfieber. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als Marys Mörder zur Strecke zu bringen. Falls Quinn die Wahrheit sagte, so gab es endlich eine Spur.

Quinn fuhr mit ihm in eins der nobelsten Geschäftsviertel der New Yorker Innenstadt. Ashton hatte nur eine vage Ahnung von der Höhe der hiesigen Mieten für ein Büro. Dass PROTECTOR Inc. sich die leisten konnte und, wie er gleich darauf feststellte, nicht nur in einem einzelnen Büro, sondern im gesamten Erdgeschoss eines Hochhauses residierte, sprach für den Erfolg der Firma.

»Wir haben eine illustre Kundschaft«, erklärte Quinn, als er Ashtons beeindruckten Blick bemerkte. »Wir sind international tätig und haben für alle anfallenden Aufträge unsere Spezialisten. Aber unsere eigentliche Arbeit findet verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit statt.«

Er führte Ashton durch eine Tür mit der Aufschrift »Lagerraum«, hinter der sich tatsächlich ein Lager befand, in dem sich Kisten mit Kopierpapier und Druckertoner stapelten. Eine weitere Tür neben einem Regal führte in den Keller.

»Geheimdienst? NSA?«, fragte Ashton. »Oder warum verstecken Sie sich?«

»Das werden Sie gleich sehen.«

Quinn öffnete eine weitere Tür und ließ Ashton eintreten. Er fand sich in einer Einsatzzentrale wieder, die sich in fast nichts von der bei der Polizei unterschied. Hier wie dort gingen etliche Mitarbeiter ihrer Arbeit nach und schenkten Quinn und seinem Begleiter nur flüchtige Aufmerksamkeit.

An einer Wand klebten vom Fußboden bis fast zur Decke eine Unmenge von Fahndungsfotos und Phantomzeichnungen. Einige davon waren rot durchgestrichen. Ashton trat wie magisch angezogen an diese Wand heran. In einer der mittleren Reihen befand sich ein vergilbtes Porträtfoto, das von Anfang des letzten Jahrhunderts zu stammen schien. Aber das Gesicht darauf erkannte er sofort wieder.

»Das ist er! Das ist der Mörder meiner Frau!«

Quinn nickte. »Das bestätigt unsere Vermutung. Sein Name ist Vincent Cronos. Zumindest nennt er sich heute so. Den Namen Cronos behält er meistens bei, die Vornamen wechseln. Wir sind schon seit Jahrzehnten hinter ihm her. Er ist einer von den ganz Alten.«

»Was heißt das?«, fragte Ashton ungeduldig. »Ist er ein Serienkiller, wie wir vermuten?«

»Oh ja«, bestätigte Quinn. »Das sind sie alle. Aber sehen Sie sich das Foto genau an.«

Ashton tat ihm den Gefallen, konnte aber nichts Besonderes daran entdecken, außer dass es wirklich sehr alt war. Quinn nahm das Bild von der Wand, drehte es um und reichte es ihm. Auf der Rückseite war ein ebenso verblichener Aufdruck des Namens und der Adresse des Fotografen sowie das Datum der Aufnahme. Das Bild stammte aus dem Jahr 1893.

»Was soll das?«, fuhr Ashton Quinn an. »Ich habe vorhin meine Frau beerdigt und bin verdammt nicht zum Scherzen aufgelegt!«

»Das ist kein Scherz, Mr. Ryder. Aber Sie setzen sich besser, bevor ich es Ihnen erkläre.« Quinn deutete auf einen Stuhl vor einem Schreibtisch neben der Fotogalerie.

Ashton gehorchte widerstrebend, obwohl er sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass Quinn ihn für dumm verkaufen wollte. Falls dem tatsächlich so war, dann würde Ashton dafür sorgen, dass diese ganze seltsame Firma für alle Zeiten dicht gemacht und jeder einzelne Mitarbeiter eingebuchtet würde.

Quinn umfasste mit einer ausholenden Handbewegung die Bilderwand. »Alle hier abgebildeten Personen sind keine Menschen, Mr. Ryder. Sie sind Vampire. Und einige leben wie Cronos schon seit Jahrhunderten unter uns.«

Ashton starrte ihn für einen Moment verblüfft an, ehe die Wut in ihm explodierte. Er sprang auf, packte Quinn am Kragen, schleuderte ihn gegen die Wand und nagelte ihn dort fest. »Sie verdammter Mistkerl! Ich habe meine Frau verloren, und Sie wagen es ...«

Blind vor Zorn holte er aus und schlug mit aller Kraft zu. Jemand fing seinen Schlag ab, und er wurde von mindestens drei Personen unerbittlich von seinem Opfer weggezerrt und eisern festgehalten. Quinn selbst blieb vollkommen ruhig.

»Mr. Ryder«, sagte er ungeheuer selbstsicher, »ich kann es Ihnen beweisen. Sollte mir das nicht zu Ihrer Zufriedenheit gelingen, dürfen Sie mich verprügeln, und ich werde mich nicht dagegen wehren. Mein Wort darauf.« Er nickte den Leuten zu, die Ashton festhielten, und sie ließen ihn vorsichtig los.

»Okay«, sagte Ashton flach mit kaum unterdrückter Wut und nahm zögernd wieder Platz. »Ich werde mir Ihre Beweise ansehen. Aber gnade Ihnen Gott, wenn die nicht stichhaltig sind.«

»Einverstanden. Fangen wir mit Cronos an, da Sie einen persönlichen Bezug zu ihm haben.«

Quinn holte einen dicken Aktenordner und legte ihn vor Ashton auf den Tisch. »Bevor Sie verbal oder wieder physisch über mich herfallen, Mr. Ryder, lassen Sie uns mal für eine halbe Stunde als Tatsache annehmen, dass es Vampire wirklich gibt. Ich meine jene Wesen, die aussehen wie Menschen, nicht die südamerikanischen Fledermäuse. Und nebenbei: Werwölfe, Dämonen, Geister und andere übernatürliche Wesen sind ebenfalls real.«

Ashton maß ihn mit einem Blick, der Quinn deutlicher als alle Worte zu verstehen gab, dass er ihn für komplett verrückt hielt und er immer noch in der Gefahr schwebte verprügelt zu werden. Immerhin musste Ashton zugeben, dass die Erklärungen, die Quinn ihm in der nächsten halben Stunde lieferte, zumindest logisch klangen, angefangen bei den verschiedenen Fotos von Vincent Cronos aus unterschiedlichen Zeiten und Jahrhunderten. Das älteste stammte aus dem Jahr 1851, das jüngste war erst wenige Monate alt. Trotz seines nagenden Zweifels konnte Ashton nicht leugnen, dass die Gesichtszüge auf diesen Bildern tatsächlich identisch waren und nicht nur eine zufällige Familienähnlichkeit über mehrere Generationen hinweg. Das belegten auch die in der Akte abgehefteten Vergleiche mit modernster Scannertechnik und Gesichtserkennungssoftware.

»Kommen wir zu den Bisswunden am Hals Ihrer Frau«, fuhr Quinn fort, nachdem Ashton bereit war, ihm wenigstens zuzuhören und nicht von vornherein alles als Schwindel und Fantastereien abzutun. »Die Wunden können wie auch die Speichelreste darin keinem Tier zugeordnet werden. Da man diese nicht zuordnen kann, erklärt man die Proben für verunreinigt. Die andere Theorie lautet in der Regel, dass ein perverser Ritualmörder dem Opfer zwei Kanülen in den Hals gestochen und darüber das Blut abgepumpt hat, das man nirgends finden konnte. Das eine ist so falsch wie das andere.«

Er legte etliche DNA-Analysen vor Ashton auf den Tisch. »Wie Sie sehen können, stimmen diese Analysen in allen Fällen insofern überein, als dass man mit Sicherheit sagen kann, dass sie von derselben Spezies stammen, wenn auch nicht immer von denselben Vertretern dieser Art.«

Ashton prüfte die Analysen aufmerksam. Er hatte oft genug beruflich damit zu tun, um erkennen zu können, dass Quinn die Wahrheit sagte. »Woher haben Sie die?«

Der blonde Mann lächelte. »Das sage ich Ihnen besser nicht. Wir wollen schließlich nicht, dass unsere Quelle Ärger bekommt und versiegt. Wie Sie sich wahrscheinlich denken können, haben wir Freunde im Polizeidienst, die uns in diesen Dingen behilflich sind.«

Ashton nickte langsam. »Was meinen Sie mit derselben Spezies?«

»Die Vampire sind, wie ich schon sagte, keine Menschen, auch wenn sie äußerlich so aussehen. Aber Tiere sind sie auch nicht. Sie sind, zumindest nach den DNA-Analysen, eine eigene Rasse mit einem Genom, das nur in 0,94 % von dem der Menschen abweicht. Aber diese 0,94 % machen die Mistkerle uns gewöhnlichen Sterblichen bedauerlicherweise haushoch überlegen. Da diese Art von Vampiren aber offiziell nicht existiert – wer glaubt schon an Geschöpfe aus Mythen und Legenden –, kann man die merkwürdigen DNA-Werte auch keiner Spezies zuordnen und geht deshalb in der Regel davon aus, dass die Proben verunreinigt wurden. Aus diesem Grund wurden sie bis heute auch nie katalogisiert.«

Das ergab einen durchaus logischen Sinn. Nach dem Wenigen, das Ashton über Genetik wusste, war es gar nicht mal so abwegig anzunehmen, dass eine Reihe von Menschen existierte, die diese genetische Mutation aufwies, auch wenn er immer noch nicht bereit war zu glauben, dass es sich dabei um Wesen handelte, die blutsaugend die Menschen terrorisierten.

»Was ist mit dem Leichenstaub, den man bei meiner Frau gefunden hat?«

»Stammt von einem vernichteten Vampir. Das ist der Rückstand, den einer von ihnen zurücklässt, wenn er getötet wird. Wir denken, dass Vincent Cronos und ein zweiter Vampir sich Ihre Frau, eh«, Quinn suchte nach Worten, »nun, geteilt haben. Dann sind sie über ihre – Pardon – Beute in Streit geraten, und Cronos hat den Nebenbuhler getötet. Futterneid kommt unter ihnen gar nicht so selten vor, wie wir wissen. Ist wohl ein angeborener Instinkt.«

Ashton starrte ihn mit einem mörderischen Blick an, und Quinn fuhr hastig fort. »Ein Vampir saugt sein Opfer in den seltensten Fällen gleich beim ersten Mal vollständig aus. Dieser Prozess zieht sich oft über Tage und manchmal Wochen hin. Hatten Sie in letzter Zeit den Eindruck, dass Ihre Frau, hm, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, Mr. Ryder, aber, eh, dass sie Ihnen vielleicht untreu sein könnte?« Quinn hob abwehrend die Hände, als Ashton mit geballten Fäusten aufsprang. »Sie war es nicht, das versichere ich Ihnen! Lassen Sie mich das erklären.«

Ashton nahm wieder Platz.

»Wir wissen nicht, wie es funktioniert, aber mehrere Opfer, die Vampirangriffe überlebten, haben uns übereinstimmend berichtet, dass sie unmittelbar nach dem Biss ein unbeschreibliches Gefühl sexueller Wonne und Ekstase erlebt haben, sodass sie widerstandslos alles mit sich machen ließen. Es handelt sich dabei offenbar um eine Droge oder einen Virus, der durch den Speichel in die Wunde injiziert wird, mit dem die Vampire ihre Opfer nicht nur willenlos, sondern sogar überaus willig machen. Jedenfalls werden die Opfer bereits nach dem ersten Mal regelrecht süchtig danach. Aber echter Sex ist dabei nie im Spiel. Falls Sie also glaubten, dass Ihre Frau Sie betrogen hätte, tun Sie ihr Unrecht. Sie war nur mit diesem Virus infiziert, dieser Droge, Hypnose oder was immer es ist.«

Ashton starrte Quinn an und hatte große Mühe, nicht vor dem Mann in Tränen auszubrechen. Es passte alles zusammen. Mary, wie sie auf dem Balkon stand und nach diesem Vincent Cronos rief. Er hörte noch genau ihren sehnsüchtig geflüsterten Ruf nach »Vince«. Die Analyse der Bisswunden. Die Todesursache. Kein Mensch konnte sich das alles ausdenken. Aber dass Quinn Mary gerade von dem Verdacht der Untreue rehabilitiert hatte, machte Ashton schwach vor Erleichterung und ließ ihn den Verlust seiner geliebten Frau nur noch stärker spüren.

Er stand auf, trat dicht an die Bildergalerie heran, wandte Quinn und allen anderen im Raum den Rücken zu und starrte mit brennenden Augen ins Leere. Es bedurfte seiner gesamten Selbstbeherrschung, um jetzt nicht zusammenzubrechen. In diesem Moment war ihm nur eines wichtig: Mary hatte ihn nicht betrogen, und er trug keine Schuld an ihrem Tod. Umso größer wurde sein Hass auf ihren Mörder, Vincent Cronos.

Nach einigen Minuten wandte er sich schließlich langsam wieder um. »Ich glaube Ihnen, Mr. Quinn. Aber wieso hat dieser Vampir mich nicht auch getötet?«

»Keine Ahnung. Vielleicht – Entschuldigung – war er schon satt. Auch Vampire können immer nur eine begrenzte Menge Blut auf einmal zu sich nehmen.«

Der Gedanke, dass dieses widerliche Ungeheuer sich von Mary ernährt hatte, so wie er einen Hamburger aß, verursachte Ashton Übelkeit. Er musste ein paar Mal schlucken, um seinen Brechreiz niederzukämpfen. »Sie sagten, Sie können mir helfen. Wie?«

»Nun, die Firma ist nur die Tarnung für unsere eigentliche Arbeit. Alle, die hier auf der ›unteren Ebene‹ arbeiten, sind Jäger und haben sich darauf spezialisiert, diese Kreaturen zu jagen. Nicht nur Vampire. Unsere hiesige Zweigstelle beschäftigt sich allerdings ausschließlich mit denen. Eine andere jagt Hexen, eine weitere die Werwölfe und so weiter. Wir können immer Verstärkung gebrauchen, denn obwohl die Ausbildung unserer Agenten umfassend ist, sind unsere Gegner uns doch in vielen Dingen überlegen. Sie sind sehr viel stärker als wir, sehen im Dunkeln, hören besser und bewegen sich so schnell, dass unsere Augen ihren Bewegungen nicht folgen können. Mit anderen Worten, wir haben jedes Jahr mehrere Todesfälle zu beklagen.«

»Sie wollen mich also für Ihren Verein rekrutieren«, brachte Ashton die Sache auf den Punkt.

Quinn nickte. »Und Ihnen damit gleichzeitig die Möglichkeit in die Hand geben, den Tod Ihrer Frau zu rächen. Obwohl das schwierig sein wird. Cronos ist einer von den Alten. Nach allem, was wir wissen, ist er mindestens 800 Jahre alt, wahrscheinlich sogar älter und entsprechend gerissen. Wir sind schon hinter ihm her, seit PROTECTOR Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gegründet wurde. Aber eines Tages kriegen wir auch ihn. Irgendwann erwischen wir sie alle.

Natürlich haben Sie das größte Interesse daran, ihn persönlich zur Strecke zu bringen. Als Polizist dürfte Ihnen das jedoch unmöglich sein. Sie haben neben Ihrem Job einfach nicht die Zeit dafür, und Ihre Leute haben bisher ja noch nicht einmal einen einzigen Hinweis auf Cronos. Es wäre reichlich schwierig, denen zu erklären, woher Sie plötzlich von ihm wissen, ohne unser Geheimnis zu verraten.«

Ashton zuckte mit den Schultern. »Sie haben keine Garantie dafür, dass ich das nicht sowieso tue.«

Quinn schüttelte den Kopf. »Dafür gibt es keinen logischen Grund. Außerdem muss ich Ihnen ja wohl nicht vor Augen führen, wie Ihre Vorgesetzten reagieren, wenn Sie denen erzählten, dass die respektable Detektei PROTECTOR Inc., die sogar beim Polizeichef den allerbesten Ruf genießt, sich mit der Jagd auf Vampire beschäftigt. Raten Sie, wie lange es danach dauert, bis man Sie in die Psychiatrie eingewiesen hätte. Bis vor wenigen Minuten haben Sie ja noch nicht einmal selbst daran geglaubt.»

»Genau genommen tue ich das auch jetzt noch nicht«, gestand Ashton. »Ihre Beweise zeigen lediglich, dass es Menschen gibt, deren Genom um 0,94 % vom herkömmlichen menschlichen Genom abweicht und die aufgrund dieser Mutation die von Ihnen beschriebenen körperlichen Fähigkeiten haben, in der Dunkelheit leben und sich von Menschenblut ernähren. Deshalb sind die in meinen Augen noch lange keine mystischen Vampire.«

»Was glauben Sie denn, wie und wodurch die Legenden von den mystischen Vampiren entstanden sind, Mr. Ryder? Es gibt sie in nahezu allen Kulturen, wenn auch in unterschiedlichen Varianten. Sie alle beschreiben unabhängig voneinander dieselbe Art von Spezies mit denselben Eigenschaften. Blut trinkende, überaus starke Nachtgeschöpfe, die im Sonnenlicht verbrennen. Sie werden in den präkolumbianischen Kulturen ebenso erwähnt wie in denen des alten Ägyptens, man findet sie in indianischen Legenden genauso wie in europäischen Frühkulturen und denen Asiens.« Quinn zuckte mit den Schultern. »Diese Wesen waren schon lange real, bevor sie zu den Legenden wurden, an die heute kaum noch einer glauben will. Aber ob Sie daran glauben oder nicht, ändert nichts an den Tatsachen.«

Ashton musste zugeben, dass Quinn recht hatte. Letztendlich war es egal, ob diese Wesen »Vampire« oder nur Mutationen oder vielleicht beides waren. Einer von ihnen hatte Mary ermordet, und Ashton wollte den Kerl tot sehen.

Quinn sah ihn eindringlich an. »Sie haben offenbar noch einen gewaltigen Vorteil, Mr. Ryder. Nach allem, was wir aus dem Polizeibericht über Ihren Fall wissen, hat Cronos versucht, Sie zu hypnotisieren. Sie haben zu Protokoll gegeben« – er blätterte in dem Aktenordner und las vor – »dass der Angreifer Ihnen in die Augen gestarrt und befohlen hätte, Zitat: ›Vergiss, dass du mich gesehen hast!‹ Aber Sie haben es nicht vergessen. Das heißt, Sie sind gegen deren Hypnose immun. Damit wären Sie unschätzbar wertvoll für unsere Arbeit.«

Ashton schwieg. Wenn er sich PROTECTOR anschloss, konnte er seine ganze Kraft darauf verwenden, Marys Mörder zur Strecke zu bringen und nicht nur ihn. Die Bildergalerie an der Wand bewies, dass es eine ganze Menge von diesen Mutanten gab, die gefährliche, brutale Mörder waren, die man nicht frei herumlaufen lassen durfte. Allerdings stand keine der hier abgebildeten Personen auf einer Fahndungsliste der Polizei. Zumindest konnte Ashton niemanden entdecken, dessen Gesicht er von einem Steckbrief kannte. Wenn er künftig für PROTECTOR arbeitete, würde er diese Killer jagen, die durch die Maschen des Gesetzes schlüpften, und das war bei näherer Betrachtung eine mehr als lohnende Aufgabe.