Petra Fuhrmann

Petra Fuhrmann (*1970) ist ein niedersächsisches Nordlicht. Sie lebt mit ihrem Mann, ihren Hunden und Pferden in dem idyllischen Landstrich zwischen Kloster Loccum und dem Steinhuder Meer. Hier findet sie die besten Anregungen für ihre Geschichten. Gemeinsam mit einer Kollegin ist sie das Autorenduo „La Piuma“ (www.lapiuma.de). Zu ihrem Schreibrepertoire gehören u.a. Kurzgeschichten, Kinderbücher als individuelle Auftragsarbeiten, die sie selbst illustriert, und biografische Texte.

Die Sache mit dem Kind, dem Engel und einem schwarzen Kater

Petra Fuhrmann

24m22

Gestatten: mein Name ist Teufel. Ja, Sie lesen richtig! Ich bin der von der heißen Front. Dort, wo die Luft so unverwechselbar das `Eau de Schwefel´ trägt und der Großteil der menschlichen Seelen auf unbestimmte Zeit Asyl und eine Aufenthaltsgeneh-migung beantragt. Aber ich will nicht zu sehr ins Detail meines beruflichen und freizeittechnischen Lebens gehen.

Im Großen und Ganzen bin ich auch ganz zufrieden ... Wenn da nicht dieser eine, unschöne Vorfall gewesen wäre, wegen dem ich seit über zweitausend Jahren regelmäßig viele Stunden auf der Couch meines Psychotherapeuten verbringe. Nun, das war damals aber auch ein einschneidendes Erlebnis. Ich will nicht behaupten, dass es mich grundlegend veränderte, aber seit dem überdenke ich immer wieder die Möglichkeit, einen schönheitschirurgischen Eingriff in Anspruch zu nehmen.

Sie wollen wissen, um was es sich bei dieser, nun sagen wir, etwas delikaten Sache handelte? Kein Problem! Ich erzähle es Ihnen gerne. Mein Psychotherapeut wird Ihnen dankbar sein, wenn er sich die Story einmal nicht anhören muss!

Es begab sich also zu der Zeit, als Präsident August – von Berufs wegen Diktator einer großen, mehr oder weniger freiwillig vereinten Nation – erfahren wollte, wie viele Menschen denn nun eigentlich in seinem Reich lebten. Offiziell verkaufte er diesen Wunsch seinen Untertanen mit reiner Neugierde und Wohlwollen, aber unter uns gesagt: Das waren doch knallharte Steuergründe. Und so nebenbei war er auf der Suche nach fähigen Männern, die den personellen Bestand seiner Armee aufpeppen sollten. Aber ich schweife ab!

So veranlasste August also eine Volkszählung. Aber nicht so eine simple, bei der nur jeder zehnte Haushalt befragt wurde, sondern eine richtige Volkszählung, die Mann und Maus, Frau und Kind umfassen sollte. Und so machten sich Augusts´ Untertanen auf und ein jeglicher ging in seine Stadt. Also in die, in der er geboren wurde.

Da machte sich auch ein junges Ehepaar auf den Weg, um fröhlicher Bestandteil der geplanten Statistik zu werden. Und genau dieses Ehepaar lag mir schon seit einiger Zeit im Magen. Justus und seine schwangere Frau Magarete, kurz Margie. So fromm! So brav! Nie ein falsches Wort oder eine anrüchige Tat! Pfui Teufel aber auch! Und zudem waren sie fanatische Anhänger meines stärksten Kontrahenten. Dem, der da oben über den Wolken die grenzenlose Freiheit und permanent die Vorzüge einer Aircondition genießen darf.

Nun denn. Justus und Margie packten den übersichtlichen Bestand ihrer Habseligkeiten zusammen, verschnürten alles auf dem Rücken eines altersschwachen und halbblinden Esels und marschierten los. Raus aus der Stadt Nazareth – irgend so einer mittelprächtige Kleinstadt im staubigen Galiläa –, und ab ging´s in Richtung Justus´ Heimat.

Ich beobachtete sie von Weitem. Stand auf den felsigen Hügeln oder hinter einem Dornenbusch und vermied es tunlichst, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Ich kann noch nicht einmal sagen, worauf ich wartete. Wo die doch so etwas wie ein hoffnungsloser Fall für mich waren. Ich meine, ich hatte doch schon ganz andere Frömmigkeitskaliber rumgekriegt. Aber die beiden hatten irgendetwas. Eine Aura umgab sie, die mich unangenehm an den Typen über den Wolken erinnerte. Ja, genau! Das war´s! Frische, klare Luft! Rein und unverdorben. Einfach fürchterlich!

Erstaunlicherweise kamen die beiden fast an ihr Ziel. Genauer gesagt, bis an den Ortsrand von Bethlehem. Es war kalt, es war Nacht. Ein oller Stern blinkte etwas zu hell am schwarzen Himmel auf, da gaben mir die beiden den lang ersehnten Grund für eine Intervention meinerseits.

„Oh, Justus!“, rief Margie aus und schaukelte auf dem Esel unkontrolliert hin und her. „Das Kind kommt!“

„Gott verdammt noch mal, Margie! Muss das echt jetzt sein?“, brüllte Justus, schlug sich umgehend die Hand vor den Mund und schickte ein kurzes Entschuldigungsgebet zum Himmel.

„Was für eine saublöde Frage! Als ob Frau das exakt timen könnte“, dachte ich bei mir und gleichzeitig: „Bingo! Das ist meine Chance!“

Klar, der Alte da oben würde Justus diese unflätige Bemerkung schon verzeihen – machte er ja meistens. Aber ich? Ne ne, Bürschchen! Dich und deine Liebste würde ich jetzt in mein Humankapital mit aufnehmen. Und euer Kind gleich dazu! Gesagt, getan!

Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde verwandelte ich mich von dem gutaussehenden, charmanten, dunkelhaarigen Kerl Anfang Vierzig mit silbrigen Schläfen in einen schwarzen Kater mit etwas struppigen Fell. Ein bisschen Spaß muss ja bekanntlich sein!

Mittlerweilen schleppte Justus seine Margie tatsächlich in eine heruntergekommene Herberge am Straßenrand. Was die Dramatik ganz in meinem Sinne steigerte. Dank Augusts´ Volkszählung waren so viele Menschen auf den Beinen, dass die Herberge noch nicht einmal eine platte Maus hätte aufnehmen können. So landeten die beiden in einem weit entfernten Stall – nicht ohne, dass ihnen der Herbergsvater vorher den vollen Zimmerpreis abgeknöpft hätte. Dieser Typ würde sich garantiert eines Tages um eine Stelle in meinem kleinen höllischen Unternehmen bewerben. Da war ich mir sicher!

„Oh Justus“, dachte ich und huschte noch schnell durch den Türspalt, bevor sich die Stalltür mit einem leisen Knarren hinter mir schloss. „Voll das heruntergekommene Domizil für eine Geburt. Da musst du aber noch sehr viel lernen, was Frauen so von ihren Männern erwarten. Die haben Ansprüche, Mann!“

Während Margie es sich auf dem Stroh bequem machte und in eine Art hechelnder Schnappatmung verfiel, schlenderte ich ein wenig ziellos im Stall umher und scheuchte im Schein der aufflackernden Öllampe eine Mäusefamilie auf. Ein Stall wie jeder andere. Das Stroh duftete unangenehm gut – mir fehlte tatsächlich der betörende Duft meines schwefligen Zuhauses –, da riss mich plötzlich eine mir wohl bekannte Stimme aus meinen Gedanken.

„Hey, Luzi! Gibt´s dich auch noch?“

Mit aufgestelltem Fell fuhr ich herum und erblickt auf einem zerbrochenen Wagenrad eine winzige Gestalt mit Stoppelfrisur, Drei-Tage-Bart und einem leuchtend weißen Gewand.

„Oh Mann! Garby! Bist du´s wirklich?“

Mit einem Miauen sprang ich zu meinem alten Kollegen auf das Wagenrad und setzte mich neben ihn. „Schön dich zu sehen, Kumpel!“

„Finde ich auch. Na, wie geht´s dir so da unten? Der Raus-schmiss aus dem alten Job war wohl nicht so angenehm, hm? Warst aber auch wirklich ein wenig aufsässig!“

„Ging so! War auf jeden Fall mal ´ne Erfahrung“, brummelte ich etwas undeutlich und begann spontan, meine Pfoten zu lecken. An den Teil meiner Biografie wurde ich nun wirklich nicht gern erinnert.

„Du fehlst uns schon da oben“, hüstelte Garby etwas verlegen. „Oft. Manchmal, jedenfalls. Eigentlich ...“

„Eher selten“, ergänzte ich und schleckte meine Pfoten eine Runde schneller.

„Öh“, machte Garby und grinste mich an.

Ein heller Schrei, dem nahtlos das unüberhörbare und äußerst einprägsame Geräusch eines sich erbrechenden Ehemanns folgte, ließ uns beide aufblicken.

Yepp! Die Geburt war im vollen Gang.

„Komm zur Sache, Mann! Was treibt dich an diesen unwirtlichen Ort? Dich schickt doch wohl nicht der Alte, oder?“, maunzte ich und legte eine deutliche Spur Ungeduld in meine Worte.

„Och. So dies und das. Wollte dich schon immer mal wiedersehen!“

„Gabriel! Du warst schon immer ein mieser Lügner!“

„Stimmt“, grinste Garby erneut, „deshalb mag mich der Boss ja auch so. Er hat mich übrigens befördert.“

„Glückwunsch!“

„Ich bin jetzt Babysitter!“

Margies Schreien ging in ein Kreischen über, das von Schimpfworten untermalt wurde, die ich nicht besser hätte erfinden können. Ja, ich verspürte tatsächlich so etwas wie Stolz auf sie.

„Baby... was?“ Ich schüttelte mich vor Lachen.

„Ach, er hat mich gebeten, auf das junge Paar hier ein Auge zu haben. Und auf ihren Sohn, der jetzt gleich ... yepp! Da isser ja!“ Margies Gekreische erstarb abrupt, und Garbys Grinsen verwandelte sich in ein Strahlen.

Eine Zeit lang sahen wir zu, wie die frischgebackenen Eltern ihren Sohnemann säuberten, ihn in ein altes, löcheriges Tuch wickelten, das als Windel herhalten musste, und ihn in eine wackelige Krippe legten.

„Und, Luzi! Was machst du so hier?“, fragte mich Garby nach einer Weile.

„Meinen Job!“, antwortete ich, sprang leichtfüßig vom Wagenrad und schlich mit aufgestelltem Schwanz auf die glückliche Familie zu.

„Den mache ich auch!“, murmelte Garby leise hinter mir her. Ich verfluche mich bis auf den heutigen Tag, dass mir in diesem Moment die Bedeutung seiner Worte entging.

Zu meiner Entschuldigung muss ich gestehen, dass ich ein klitzekleines bisschen abgelenkt war. Und zwar von diesem goldenen Schein, der von der Krippe ausging. Neugierig schlich ich näher.

„Schau, Liebes“, säuselte Justus und strich seiner Margie die klatschnassen Haare aus dem Gesicht. „Sogar der Kater will unseren Sohn begrüßen.“

„Der Streuner hat bestimmt Flöhe. Werf ihn raus!“

„Aber Liebste, auch ein streunender Kater ist Gottes Geschöpf und so...“

Blabla! Denkste! Die beiden waren so mit sich selbst beschäftigt, dass sie nicht bemerkten, wie ich meinen schwarzen Katerpelz verschwinden ließ. Ein wenig Rauch hier, ein paar Schwefelschwaden da und fertig war mein Auftritt. Erst das Kind – das war am einfachsten – und dann würde ich den glücklichen Eltern einen Freifahrtschein nach unten spendieren.

Ich beugte mich über die Krippe – und erstarrte. Zwei blaue Augen blickten mir in meine nicht vorhandene Seele. Sanftmütig. Barmherzig. Fast liebevoll. Ich wurde von spontaner Übelkeit heimgesucht und versuchte krampfhaft, mein Mittagessen – gegrillte Haxe – nicht von mir zu geben. Ungeschickt stolperte ich ein paar Schritte rückwärts und verschmolz mit den Schatten, die in der Ecke des Stalls auf mich warteten. Da klopfte es.

Justus tätschelte kurz Margies Arm, erhob sich ächzend – hey, wer hatte gerade noch mal den Kleinen geboren, du Weichei? – und öffnete die Stalltür. Durch den Türspalt konnte ich sehen, dass dieser olle Stern immer noch wie ein Diamant am Nacht-himmel glitzerte.

Hereinspaziert kamen ein paar zerlumpte Gestalten. Sie brachten die frische Nachtluft mit herein und ein paar zottlige Viecher, die lautstark und fordernd Mäh Mäh von sich gaben. Was war denn hier plötzlich los?

„Die habe ich draußen auf´m Feld aufgegabelt. Hatten erst mächtig Respekt vor mir und meinen Mitarbeitern, aber ich habe sie ein bisschen belabert und da sind sie mir einfach nachgelaufen“, feixte Garby und kletterte auf die oberste Sprosse einer Holzleiter. „Drei Typen aus dem Morgenland sollten eigentlich auch noch auftauchen und ein paar Souvenirs mitbringen. Sieht aber so aus, als ob die sich mal wieder verspäten! Ist halt so heutzutage ... bei den ganzen Streiks.“

Alle brabbelten munter durcheinander. Worte wie „Ehre Gottes in der Höhe“ und „Frohe Kunde unter die Menschen bringen“ drangen an mein Ohr. Was denn, was denn? Was für frohe Kunde?! Liebe Leute, nun mal ruhig mit dem wilden Pony!

Mit einem Zischen schlüpfte ich wieder in meine Katergestalt. Welch unangenehme Störung! So etwas schätze ich nicht im Geringsten. Ich erledige meinen Job lieber ungestört und reibungslos. Langsam schlich ich wieder auf die Krippe zu.

„Na na na!“ bemerkte Garby süffisant und ließ die Beine von der Sprosse baumeln.

„Was?“, giftete ich.

„Ich würde die Pfoten von dem kleinen Kerlchen lassen.“

„Ich will ja nicht neugierig sein, aber in Anbetracht unserer jahrelangen Zusammenarbeit – warum, zum Teufel noch einmal?“

„Weil das Gottes Sohn ist! Und weil er eine beachtliche Karriere vor sich hat. Okay, mit einem etwas unrühmlichen Ende. Aber immerhin eine steile Karriere.“

„WAS! Das ist der Sprössling vom Alten? Zieht der jetzt echt diese Nummer durch?“ Jetzt schüttelte ich mich nicht mehr vor Lachen – ich kugelte mich. Der Sohnemann vom Alten! Gab´s das wirklich? Sollte er mir tatsächlich so einfach in die Hand spielen? Ich hatte ihn für schlauer gehalten. Aber na ja, auch er kam in die Jahre. Da konnte es mit der Kreativität schon mal hapern.

Kling!

Ein heller feiner Ton waberte durch den miefigen Stall. Mein Ex-Kollege hielt ein kleines silbernes Glöckchen in der Hand. Sachte schwang es hin und her und verstummte schließlich. Eltern und Hirten waren so in das Bestaunen des Babys vertieft, dass sie das Geräusch gar nicht wahrnahmen. Nur das kleine Kerlchen fing an zu brüllen, sodass man es garantiert noch in Augusts Hauptstadt hören würde.

„Was hast du getan, Garby?“ Nun wurde ich doch misstrauisch.

„Och! Nur was Babysitter so tun“, Garby zuckte betont gelassen mit den Schultern.

„Und was ist das genau?“, setzte ich nach und bemerkte zu meinem Leidwesen, dass die Übelkeit wieder kam.

„Dafür sorgen, dass alles seinen rechten Gang geht.“

Ich kniff meine grünen Kateraugen zusammen. Jetzt reichte es! Der und der Alte da oben würden mir diesen Deal nicht madig machen. Also pumpte ich mich auf. Ließ das höllische Feuer durch meine Adern rauschen. Holte tief Luft ... und wollte als übermächtiger Satan vor dem Engelszwerg auftauchen und ihm mal gehörig meine Meinung geigen.

Doch nichts geschah!

Ich versuchte es erneut. Rief mir meinen geliebten Schwefeldunst ins Gedächtnis und das lodernde Feuer in meinem Büro vor Augen. Nichts! An mir klebte immer noch das verfilzte Katerfell und die Flöhe begannen ernsthaft zu nerven.

Das durfte doch nicht wahr sein!

„Ach, komm schon, Alter“, feixte Garby und rutschte vor Lachen fast von der Leiter. „Verstehst du keinen Spaß?“

„Kommt darauf an, was es ist“, antwortete ich und knabberte an meiner linken Seite, um einen der tausend Flöhe zu erwischen.

„Solange wir in diesem Stall sind, bleibt alles so wie es ist“, löste Garby das Rätsel auf, „ich ein kleines, unschuldiges Engelchen – du ein räudiger, schwarzer Kater! Fair, oder?“

„Ach Garby. Das hat doch damals bei der Arche schon nicht geklappt. Die Viecher haben sich vermehrt wie die Karnickel und am Ende ist der Kahn fast abgesoffen, weil er so überfüllt war.“

Garby brummelte irgendetwas von „Weiterentwicklung“ und „Optimierung“ in seinen Dreitage-Bart.

Ich schüttelte meinen Kopf und knackte einen Floh. Ich würde mir das brüllende Kerlchen jetzt schnappen, aus dem Stall rennen und mit ihm zur Hölle fahren. Und dann würden wir ja mal sehen, was der Alte da oben zu Kidnapping sagen würde.

„Ich zeige dir jetzt, wie das so geht!“ Mit diesen Worten streckte ich mich und sprang auf den Rand der Krippe. Das Kerlchen verstummte und sah mich erneut mit seinen sanften Augen an. Bäh! Ich würgte ein Fellknäuel hoch und spuckte es aus.

Auf der anderen Seite der Krippe gesellte sich ein weiteres Augenpaar zu dem Blickduell hinzu. Rund. Schwarz. Und eindeutig erbost. Herr Schaf, genauer gesagt der Widder dieser blökenden Schafherde. Er sah mich an, grinste, sodass seine braunen, abgekauten Zähne zu sehen waren, und nahm Anlauf. Zielrichtung mein Kopf. Der Aufprall war bemerkenswert. Ich sah Sterne – so helle, leuchtende wie der verfluchte Stern da oben am Nachthimmel – und flog im hohen Bogen von der Krippe. Der Widder mähte aus vollem Hals, das Kerlchen in der Krippe fing erneut an zu schreien. Oh je! Davon bekam doch jeder vernünftige Teufel einen Tinnitus!

Voller Zorn fauchte ich auf. Mein Schädel brummte und ich spürte, wie sich auf meiner Stirn, genau bei meinen empfindlichen Katerohren, zwei Beulen bildeten.

Ich hatte Glück im Unglück. Der unsanfte Schubs hatte mich zwar durch den halben Stall befördert, allerdings war ich sicher und weich auf dem Rücken des halbblinden Esels gelandet. Aber da hörte mein Glück auch schon auf. Mit einem erschrockenen Iiiiiaaaaa riss das Tier den Kopf hoch und buckelte einmal. Ich fuhr zwar noch meine Krallen aus, konnte aber nicht verhindern, dass ich an einer Seite des Esels runterrutschte, im Stroh landete und das trottelige Viech mir auf eine Hinterpfote trat. Es ia-te etwas, das wohl eine Entschuldigung sein sollte, aber ich war mir sicher, dass das pure Absicht gewesen war. Von wegen halbblind!

Garbys schallende Lachsalven bestätigten meinen Verdacht. Mein Ex-Kollege saß mittlerweile auf einem Strohballen und fühlte sich anscheinend sehr wohl bei dieser Galavorstellung.

Giftige Galle stieg in mir hoch, und trotz dröhnendem Kopfes und pochender Pfote machte ich mich zum Sprung bereit. Jetzt würde Garby dran glauben müssen, dann der kleine Kerl. Und dann die ganze restliche Bagage! Wenn schon, denn schon!

Ich spannte mich an. Ich flog hoch auf den Strohballen. Für einen Moment genoss ich das Flackern in Garbys Augen. Dann brach es über mich herein. Hunderte von Augenpaaren starrten von den aufgestapelten Strohballen auf mich herab. Ratten! Unglaublich viele pelzige Ratten! Jetzt sagen Sie, lieber Leser, gewiss: Das ist doch für einen Kater meines Schlags gar kein Problem! Stimmt – eigentlich! Doch die waren eindeutig in der Überzahl. Und riesig. Und sie waren gar nicht gut auf mich zu sprechen. Wie eine dunkle Lawine stob die Rattenschar über die Strohballen, direkt auf mich zu. Ihre gelben rasiermesserscharfen Zähne blitzten in auf.

Ich tat das, was ein jeder vernünftiger Kater in so einer Angelegenheit tun würde. Ich trat die Flucht an! Unverzüglich! Und wieder hatte ich Glück in Unglück!

In diesem Moment drückte nämlich der Nachtwind die Stalltür auf und ich huschte aus dem Stall.

“Justus! Mach die Tür zu. Es zieht!“, rief Margie.

Justus leistete seiner Liebsten Gehorsam und schmiss die Tür mit Karacho zu. Leider fehlte ein Millimeterchen, um mein Glück perfekt zu machen. Es erwischte meine Schwanzspitze. Ich heulte auf. Hölle sei Dank waren die Ratten noch im Stall. So hatte ich wenigstens nicht obendrein noch Hunderte von pelzigen Zeugen meiner schmählichen Situation.

Eine Sekunde später jaulte auch Margie auf.

„Igitt – Ratten. Schick die bloß zum Teufel! Los jetzt! Beweg dich, Mann!“ Und das Ganze in einer Tonlage, die das hohe C bei weitem überschritt.

Ja, ja! Was Hormone so anrichten können ...

„Sie klemmt, Schatz!“, drang es aus dem Stall.

Kein Wunder, Alter! Meine Schwanzspitze! Aua!

„Mach was dagegen. Jetzt!“

Mit vollem Körpereinsatz schaffte es Justus, die Stalltür zu öffnen, und ich setzte mit deformierter Schwanzspitze meine Flucht fort.

Meine Katerpfoten trugen mich auf den nächstbesten Hügel. Hier hielt ich an, atmete tief durch und ließ das Höllenfeuer in meinen Adern erwachen. Sofort umgab mich das vertraute „Eau de Schwefel“. Dunstschwaden waberten um mich herum. Jetzt war ich in meinem Element. Mit einem Zischen, als würde Öl in ein brodelndes Feuer gegossen, verwandelte ich mich in mein altes Ich. Fast jedenfalls. Die Beulen an meiner Stirn glichen zwei unschönen Hörnern, mein Fuß war aufs Schlimmste geschwollen und – oh nein! – an meiner Rückseite baumelte immer noch ein Schwanz. Und zwar mit platter, zackiger Spitze. Da war wohl etwas gründlich schiefgelaufen. Selbst die Flöhe krabbelten noch an mir herum.

Ich glaubte, in der Ferne Garbys Gelächter zu vernehmen. Selbst die Ratten, die mir aus dem Stall gefolgt waren, hielten sich ihre Bäuche vor Lachen.

Voller Zorn stampfte ich mit dem gesunden Fuß auf.

„Klappe allesamt! Ihr werdet schon sehen, was ihr von eurer Respektlosigkeit habt! Ich schicke euch die Pest auf den Hals!“

Der Erdboden erbebte unter meiner Stimme. Risse durchzogen den staubtrockenen Boden. Voller Genugtuung sah ich, wie die ersten Ratten hinein purzelten und meine Flöhe auf die restlichen Viecher hinabsprangen.

„Und euch dort in dem Stall – euch verfluche ich für alle Ewigkeit. Brennen sollt ihr!“ Mit diesen Worten riss ich meine Arme hoch und schickte den höllischsten Fluch in Richtung des Stalls, den ich jemals ausgesandt hatte. Wie eine brennende Wolke schoss er über die Ebene.

Da erklang ein feines, helles Kling!

Garby, dieser Mistkerl! Was hatte er denn nun schon wieder ausgeheckt?

Einen Moment später wurde es mir klar. Garby war aber auch eine Spaßbremse!

Die Wolke prallte am Stall ab, wurde zu mir zurückgeschleudert und versengte mir so ziemlich alles, was mir an meinem athletischen, gut trainierten Körper lieb und teuer war. Meine eh schon helle, empfindliche Haut nahm die Farbe überreifer Tomaten an, Brandblasen inklusive. Der Dornenbusch neben mir explodierte. Als sich die Wolke verflüchtigt hatte, stand ich immer noch brodelnd auf der Anhöhe, und der blöde Stern über mir funkelte wie ein Feuerwerk. Ich sah, wie die Tür des Stalls aufging. Die Hirten kamen heraus und marschierten so energisch in alle Richtungen, als hätten sie irgendeine wichtige Botschaft zu verkünden. Aber was sollte das schon sein? Von mir und dieser kleinen, peinlichen Sache hatte von denen ja keiner etwas mitbekommen. Oder?

Sie sehen, lieber Leser, dieser Vorfall hat tatsächlich nicht die Runde gemacht. Oder wissen Sie etwas über die wahren Geschehnisse – damals in diesem heruntergekommenen Stall in Bethlehem? Hauptsache, Garby hält weiterhin seinen Rand und tratscht nicht herum. Ich mag es nicht, wenn schlecht über mich gesprochen wird. Immerhin habe ich einen gewissen Ruf zu verlieren! Übrigens: mein Psychotherapeut schickt Ihnen seinen herzlichsten Dank für Ihre Geduld!

ENDE

cover

Tierische Teufel

Teuflische Tiere

Anthologie

Sarah König / Helen B. Kraft

(Hrsg.)

m10


Machandel Verlag Charlotte Erpenbeck

Cover: Igor Stevanovic /www .shutterstock .com

Illustration im Buch: Virinaflora/www .shutterstock .com

Haselünne

2015

ISBN 978-3-95959-005-1

Vorwort

 

Ich hätte da ‚'ne Idee.“

Ich auch, aber du zuerst.“

Ich möchte eine Anthologie rausbringen!“

Echt? ... Ich hatte dieselbe Idee!“

 

So und noch um einiges Wortreicher verlief die erste Unter-haltung zwischen Helen und Sarah, als das Thema aufkam, nicht nur Autorin sein zu wollen. Die andere Seite des Tisches zu erforschen, einmal selbst tolle Geschichten lesen und auswählen dürfen, nicht selbst ausgewählt werden.

Dann ging alles ganz schnell - der Titel, der die Anthologie schmücken sollte, fand sich binnen weniger Tage. Das erste Gespräch mit dem Machandel Verlag folgte kurz darauf und dann stand eigentlich schon alles fest.

 

Und jetzt sind wir hier.

 

Ständig hörten wir Geschichten, die von Haustieren handeln, und schon so manches Mal haben wir geschmunzelt und uns bei den randalierenden, tollpatschigen und urkomischen Erzählungen gedacht, ob das wirklich nur harmlose Tierchen oder in Wahrheit echte Teufel sind.

Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen, wie die nachfolgenden Geschichten beweisen.

 

Aber am Besten findet ihr das selbst heraus.

 

Viel Vergnügen beim Schmökern!

 

 

 

 

Helen und Sarah

 

 

 

 


Mirjam H. Hüberli

Vor vielen Jahren erblickte Mirjam H. Hüberli, dicht gefolgt von ihrer Zwillingsschwester, in der schönen Schweiz das Licht der Welt. Erst während des Studiums zur Online-Redakteurin wurde ihr bewusst, was sie wirklich will. So beschloss sie, den Schritt aus dem stillen Schreibkämmerchen in die aktive Szene zu wagen, um das zu leben, was das Herz ihr zuflüstert: Eigene Geschichten schreiben.

Ewige Blutjugend

Mirjam H. Hüberli

01m1

Don. Auf diesen Namen höre ich. Wer ich bin? Hm, ich gehöre einer Rasse blutsaugender Bestien an. So zumindest nennen uns die Menschen des Öfteren.

Blutrünstig und verabscheuenswert sind wir in ihren Augen, und es gibt nur eine winzige Kleinigkeit, die sie halbwegs mit unserer Existenz versöhnt: unser Leben ist, nach ihren Maßstäben, extrem kurz. Es verläuft geradezu im Zeitraffer. Kaum dass ich das Licht der Welt erblickte, schon war ich halbwegs erwachsen. Einmal blinzeln, und ich bin um Stunden gealtert. Es ist verrückt, ich weiß, aber so ist es nun mal. Und ich kann euch sagen, ich hab mich echt schwer getan, diesen Umstand zu akzeptieren. Komischerweise scheinen meine Artgenossen damit keinerlei Probleme zu haben. Aber ich will mehr. Mehr vom Leben, mehr vom Sein und Existieren. Einfach mehr von allem.

Als ich dann in meinen ersten Lebensminuten aufgeschnappt habe, dass es diese Legende gibt, die erzählt, dass es etwas gibt, einen Pakt, der selbst ein Zeitrafferleben ins Unendliche verlängert, musste ich einfach herausfinden, ob da was Wahres dran ist. Böse Zungen behaupten, dieser Pakt funktioniere nur, wenn man bereit sei, seine Seele an den Teufel zu verkaufen.

Von was ich hier eigentlich rede?

Die Legende des Jungbrunnens. In unseren Kreisen Ewige Blutjugend genannt. Blut, das ewig jung hält und dessen Träger entweder dem Himmel oder dem Teufel entspringt.

Ihr könnt euch denken, dass ich diese Sache nicht einfach so beiseitelegen und unbeachtet lassen konnte. Und verdammt, was bin ich umhergeirrt. Hab überall zugebissen und Blut gesaugt. Meine Prämisse, dass sich vor allem Kinder dazu eignen, der Träger des Jungbrunnens zu sein, weil deren Blut schließlich noch so jung, frisch und unberührt ist, war leider ein absoluter Fehlschluss. Ich kann längst nicht mehr zählen, bei wie vielen Kindern ich zugebissen habe. Es müssen Tausende, wenn nicht gar Abertausende gewesen sein. Irgendwann verfiel ich in einen regelrechten Blutrausch.

Als ich wieder zu mir kam, wurde mir klar, dass es so nicht weiter geht. Was hat es mir gebracht? Nichts. Es war total sinnlos.

Deshalb muss ich hier und jetzt meine Strategie ändern. Und ich hab da so eine Idee. Ich brauche nicht blutjunge Kinder, sondern Menschen, die außergewöhnlich sind. Leute, die durch ihre Leistungen auffallen, vielleicht auch durch irgendein Talent oder schlichtweg durch ihr umwerfend jugendliches Aussehen. Am besten, am allerbesten wäre vermutlich, ich könnte das alles vereint in einer Person finden.

Puh! Ein Ding der Unmöglichkeit.

Aber es nicht zu versuchen, einfach aufzugeben, das würde ich mir in meinem ohnehin schon viel zu kurzen Leben niemals verzeihen.

So beginnt heute mein ultimatives Abenteuer: Die Suche nach dem besonderen Menschen und dessen Blut. Ob man sie wohl riecht, diese kostbare Macht? Bestimmt ist es ein betörender Duft, der mich umschließt und magisch in seinen Bann zieht.

Oh, wie ich mich darauf freue! Und ich habe auch schon einen Plan. Seit einiger Zeit schnappe ich immer wieder einen Namen bei den Menschen auf. Kein besonders hübscher Name, und deshalb vergesse ich ihn auch immer sofort wieder (irgendwas wie Rüdiger, Thomas oder Manfred), aber der Mann ist offenbar sowas wie ein Superstar. Und genau das suche ich, nein brauche ich jetzt ganz dringend.

Während ich nun tief und friedlich über den Häusern schwebe, sticht mir ein Plakat ins Auge, das groß und protzig an einem Hochhaus prangt. Wenn man vom Teufel spricht ... Da ist er schon wieder, dieser Kerl. Der Ansatz seiner Föhnfrisur und der blondierten Haaren unterstreicht sein breites und künstliches Lächeln, so als würde er für eine Zahnpasta Werbung machen. Unglaublich, er ist echt überall präsent, ob in den Medien, im Fernsehen, in der Werbung oder Zeitschriften. Was er anfasst, wird zu Gold. Ich meine, da muss doch einfach Magie im Spiel sein, oder? So etwas geht nie mit rechten Dingen zu. Vielleicht gibt es tatsächlich einen Pakt mit dem Teufel?

Und genau deshalb suche ich nun diesen Rüdiger-Thomas-Manfred-Kerl, um mir ein winziges Stückchen von dem Zauberkuchen zu stibitzen. Hoffentlich ist er genauso leicht zu finden, wie er überall präsent ist.

Gerade sause ich an einem Turm mit gläsernem, kugelartigem Aufbau, in dem sich die untergehende Sonne spiegelt, vorbei. Echt, ich weiß nicht, woran es liegt, aber sobald ich diesem Leuchten mit dem Strahlen und dieser Wärme begegne, ist es um mich geschehen. Diese Kombination hat eine unglaublich starke Wirkung auf mich und versetzt mich wie in Trance. Ich kann gar nicht anders, als auf den Turm zuzufliegen. Für ein paar Augenblicke lasse ich mich auf einer Glasscheibe nieder, recke mein Gesicht der Sonne entgegen, schließe die Augen und genieße die Hitze, die durch meinen Körper strömt.

„Psst“, macht es plötzlich hinter mir und ich fahre erschrocken herum, weil sich mein Körper noch voll im Sonnen-Ruhe-Auftank-Modus befindet. „Na, auf der Durchreise?“, fragt mich das schwarze Vieh mit Riesenaugen. Dem Ton nach handelt es sich um ein weibliches Exemplar und den Augen nach um eine Fliege.

„Das könnte man so sagen, ja“, antworte ich höflich und verziehe meine Mundwinkel zu einem Lächeln.

„Oder hast du dich verirrt?“, schmunzelt sie mich an. In ihren riesigen Augäpfeln sehe ich hundert Mal mein eigenes Spiegelbild. (Verdammt, sehe ich gut aus! Ein Bild von einem Mann!)

„Ich, mich verirrt? Niemals“, fiepe ich, während ich ein paar Millimeter näher zu ihr flattere und meinen Haarflaum am Kopf glatt streiche. „Ich bin gerade auf der Suche nach jemandem ganz bestimmten.“

„Tatsächlich?“ Sie lächelt immer noch so zuckersüß. „Nach wem denn, vielleicht nach einer hübschen Dame?“

„Nein, viel eher einem Kerl“, sage ich.

„Aha, so ist das ... das erklärt auch dein gepflegtes Erscheinungsbild.“ Ihr Grinsen vertieft sich. Als ich sehe, wie ihre winzige Augenbraue in die Höhe wandert, kapiere ich erst, dass sie meine Aussage völlig missverstanden hat.

„Nein, nicht so, wie du denkst. Ich suche nach einem ganz bestimmten Menschen. Dummerweise vergesse ich immer seinen Namen. Irgendwas wie Rüdiger oder Thomas. Vielleicht kennst du ihn ja, es ist der Kerl auf dem Plakat da drüben.“ Ich deute auf das Hochhaus hinter meinem Rücken.

„Ach, dieses TV-Sternchen?“

Ich nicke. „Ja, ich denke schon.“

„Da hast du Glück, der hängt Freitags immer in der Bar an der Straße unter uns herum, direkt an der nächsten Ecke. Queen heißt das Lokal.“

„Echt jetzt, gleich hier in der Nähe?“ Plötzlich ist die magische Wirkung des Lichtes gebrochen, ein unbändiges Kribbeln erfasst meinen Körper und rauscht mit Hypergeschwindigkeit durch meine Adern. „Mann, hab ich ein Schwein!“

Mit freudiger Erregung hebe ich in die Lüfte ab und schwebe einen winzigen Augenblick über der Fliegendame, um mich zu bedanken, doch sie kommt mir zuvor.

„Du suchst nach der Legende, nicht wahr?“

„Nach der Legende?“, hüstle ich verlegen und schwebe wieder etwas tiefer. „W-wie kommst du denn darauf?“

„Hey, nur weil ich eine Fliege bin, bedeutet das noch lange nicht, dass ich ein Erbsenhirn habe“, schüttelt sie den Kopf. „Denkst du etwa, ich bekomme nicht mit, was hier gespielt wird?“ Sie winkt mich ein Stück näher heran. „Es stimmt, der Blutträger lebt in dieser Stadt. Aber ganz so einfach, wie du denkst, ist es nicht, denn das Blut wirkt nicht, wenn du einfach zubeißt.“

Jetzt bin ich mehr als überrascht. Nimmt sie mich auf den Arm oder hat sie wirklich geheime Informationen zur ewigen Blutjugend? „Woher willst ausgerechnet du das wissen?“ Es klingt viel herablassender, als ich es wollte.

„Tz, solch ein Benehmen muss ich mir nicht gefallen lassen! Da will man nett und hilfsbereit sein und dann so was!“, schimpft die Fliegendame und erhebt sich ebenfalls in die Luft.

„Neinneinnein, so war das nicht gemeint“, sage ich hastig, denn leider schwirrt sie bereits auf und davon. Doch so schnell gebe ich nicht auf, also rufe ich ihr mit flehentlichem Tonfall hinterher: „Was steckt dahinter? Was weißt du darüber, verrat es mir? BIIITTEEE!“

„Überschätz niemals das Äußerliche eines Wesens. Auch der Teufel kann liebevoll lächeln“, sagt sie noch herablassender als ich zuvor. „Aber wem sage ich das, du verstehst vermutlich nicht mal, was ich damit andeuten möchte.“ Dann verschwindet sie hinter dem Nachbarhaus und lässt mich rätselnd in der Luft hängen.

Kurz schwebe ich an Ort und Stelle, dann weiß ich, was ich tun werde.

Queen. Ich suche dieses Lokal.

Kopfschüttelnd mache ich rechtsum kehrt und verringere meine Flughöhe. In der Dämmerung verschmelze ich mit der blassgrauen Schleierfarbe. Da bemerkt mich ohnehin kaum jemand, also kann ich gefahrlos auf Menschenhöhe weiterfliegen. Ich schwirre vorbei an einem Kleiderladen, dann an einem Schuhgeschäft, und lasse eben ein Uhren- und Schmuckschaufenster hinter mir, als ich den grell leuchtenden neonpinken Schriftzug auf der anderen Straßenseite entdecke.

Queen.

„Da ist es! Ich hab es gefunden“, jubele ich und reibe entzückt und begeistert zugleich meine Hände. „Na dann, nichts wie hinein in die gute Stube!“

Beim nächsten eintretenden Gast husche ich in dessen Windschatten und lasse mich ins Innere des Lokals wirbeln. Lautes Klirren, Schwatzen und Gegröle empfangen mich. Die Luft ist rauchgetränkt und die unverkennbare Duftnote von Alkohol kitzelt in meiner Nase.

Und da sehe ich ihn.

Rüdiger-Thomas-Manfred. Inmitten der Menschenmasse thront er auf seinem königlichen Barhocker. Wie er da sitzt, so protzig und breit lächelnd, als gäbe es kein Morgen mehr, umgarnt von tausend schmachtenden Blicken – er muss einfach der Träger sein.

Schnell schwirre ich zwischen den Bier saufenden und grölenden Gästen hindurch und bemerke, dass er soeben damit beschäftigt ist, eine junge hübsche Frau abzuwimmeln, die ihn höflich um ein Autogramm bittet. Er beschenkt sie lieb lächelnd mit dem äußerst charmanten Kommentar. „Komm wieder, wenn du besser aussiehst.“

Alle ringsum prusten los, doch mir zieht sich das Herz zusammen. Das arme Geschöpf. Traurig und eingeschüchtert zugleich zieht sie ihren hübschen Kopf zwischen die Schultern, und ihre Wangen glühen beinahe so rot wie ihr roter Lockenkopf.

Ich mag ja eine blutrünstige Bestie sein, aber dieser Kerl ist viel abscheulicher und gemeiner, als ich es je sein könnte. Wer ist hier nun wirklich die Bestie? Ich vergesse, weswegen ich hier bin, vergesse, dass ich eigentlich genau wegen dieses Kotzbrockens angereist bin, ja, ich vergesse sogar die ewige Blutjugend. Ohne zu zögern, setze ich zum Sturzflug an. Einfach nur, um ihm eine Lektion zu erteilen. Der soll meinen Zorn spüren. All meine Muskeln sind zum Zerreißen angespannt, genau wie meine Nerven. Schon spreize ich meine Flügel, visiere das Ziel an und schieße direkt auf seine Nase zu, als plötzlich – BAM! Mit voller Wucht hat er mich mit seiner Pranke von seinem Gesicht weggeschlagen. Ich lande mit einem lauten Platschen in seinem Drink. Igitt! Jetzt sind meine Flügel total klebrig. Umständlich krabble ich an der Innenwand des Glases hoch, habe endlich den Rand erreicht, als Rüdiger-Thomas-Manfreds Finger genau nach jenem Trinkgefäß greifen, es starr umklammern und zum Mund führen.

„Neeeeeein“, kreische ich. Ich möchte nicht im Schlund dieses Mannes enden! Im Geiste sehe ich, wie er mich samt Drink die Kehle runterschüttet, seine Magensäure meinen Körper verätzt und nur noch mein winziges Skelett ausgeschieden wird. Der Ohnmacht nahe, kralle ich mich an das kalte Glas. Zum Glück schenkt mir diese Horrorfantasie einen gewaltigen Schub zusätzlicher Energie. Ich hieve mich über den Rand, lasse los und fliege rücklings in ein Bett aus salzigen Erdnüssen. Der klebrige Drink wirkt auf den feinen Salzstaub der Nüsse wie ein Magnet. In dieser Sekunde fühle ich mich wie geteert und gefedert. Aber da ist noch etwas schlimmeres, ich habe es gerochen. Sein Blut. Sein verbrauchtes, fauliges Blut, das ich um nichts in der Welt kosten wollen würde.

So riecht also Erfolg. So riecht es, wenn man von jedermann auf der Welt begehrt wird. Und so stelle ich mir den Gestank eines grässlichen Teufels vor. Niemals möchte ich so riechen, geschweige denn so sein.

Ich werfe einen abschätzigen letzten Blick auf den Mann, den ich unbedingt finden wollte, dann krabble ich aus der Schüssel und rubble meine Flügel an einer zerknüllten Serviette sauber. Und noch während ich vor mich hin fluche und ihm alles Erdenkliche an den Hals wünsche – von Frostbeulen über Eiterpickeln bis hin zu einer Gehirnamputation – höre ich das leise Schwirren hinter meinem Rücken.

Es wirkt nicht nur unglaublich leicht, darin liegt mehr. Es bezirzt mich, so sehr, dass ich nicht anders kann, als mich langsam umzudrehen, doch im selben Moment mischt sich ein niederträchtiges Hohngelächter dazu.

Ich erkenne sie sofort - die Fliegendame.

Galant setzt sie sich zwischen zwei Whiskyflaschen und wirbelt dabei mit ihren Flügeln eine kleine Staubwolke auf. Nun stützt sie sich lässig mit einem Arm an der Flasche ab, ohne auch nur einen Hauch ihres fiesen Grinsens einzubüßen. Wie sie sich in den Flaschen ringsum spiegelt, leicht verzerrt und merkwürdig in die Länge gezogen, sieht sie richtig hässlich aus.

„Haha!“, lacht sie schallend. „Wie du ausschaust! Dreckig von Kopf bis Fuß. Geschieht dir ganz recht, du eingebildeter Lackaffe!“ Ihr hämisches Grinsen vertieft sich, während Rüdiger-Thomas-Manfred neben mir voller Lautstärke verkündet, dass er seit langer Zeit dem besonders wichtigen Gastauftritt bei der Bla-Bla-Bla-Gala entgegenfiebert und es heute endlich soweit sei. „Ich bräuchte es gar nicht zu erwähnen, doch ohne mich würde die Gala gar nicht erst stattfinden. Diese Flaschen sind doch zu nichts zu gebrauchen. Und bevor sie die ganze Gala versauen, nehme ich das Zepter lieber selbst in die Hand“, posaunt er angeberisch in den höchsten Tönen.

Boah! Der Kerl soll an seinem eigenen Drink ersticken!, flehe ich innerlich und mustere gleichzeitig die Fliegendame, die amüsiert das Geschehen betrachtet. Nein, das trifft nicht ganz zu. Sie betrachtet nicht das Geschehen, sie betrachtet mich!

„Man sieht sich immer zweimal im Leben, ist das nicht praktisch?“

„Öhm, mag sein“, antworte ich ausweichend, weil ich echt nicht kapiere, worauf sie hinaus will. Entschlossen stemme ich mich auf die Beine und versuche, mir halbwegs den restlichen Salzstaub von meinem Körper zu rubbeln, doch der blöde Dreck will einfach nicht weggehen.

„Du weißt, warum ich hier bin, nicht wahr, Don?“, sagt sie wieder so zuckersüß.

„Um dich in meinem Leid zu suhlen?“, gebe ich schnippisch zurück, als mir plötzlich etwas auffällt. „Hey, Moment mal, woher kennst du meinen Namen?“

Mit einem Hüpfer setzt sie sich in Bewegung. Nur einen flüchtigen Wimpernschlag später steht sie bereits an meiner Seite und legt mir ihren Arm auf die Schulter.

War sie immer schon so groß? Oder ist sie womöglich seit unserer letzten Begegnung gewachsen?

„Mein Geist erfasst vieles, auch das, was nicht ausgesprochen wird.“

„Tatsächlich?“, krächze ich. Hey, wieso schwankt meine Stimme so eigenartig?

„Tatsächlich“, sagt sie ruhig und ihr Kopf nickt nur wenige Millimeter vor meinen Augen. „Wenn du wirklich willst, dass der Kerl an seinem Drink erstickt, brauchst du es nur zu sagen.“

„Ha! Soll das ein Witz sein?“

Sie schüttelt ihren Kopf und lächelt mich dabei unbeirrt an. Ich ignoriere die Gänsehaut, die über meinen Rücken krabbelt - ob vor freudiger Erregung oder aus Angst, sei dahingestellt.

„Ich verspreche dir, du kannst mit dem Kerl alles anstellen, was du willst. Ihn wie einen Affen herumbrüllen oder ihn in einem Blümchenkleid in der Gala auftauchen lassen, schlichtweg alles. Deiner Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.“

„Klar, und wo ist der Haken?“, frage ich und kann nicht verhindern, dass sich ein skeptischer Unterton in meine Stimme schleicht.

„Kein Haken“, verspricht sie.

„Kein Haken?“, frage ich noch einmal nach, denn das wäre zu schön, um wahr zu sein.

„Ganz im Gegenteil, diese Sache beinhaltet sogar noch ein Geschenk für dich, oder nennen wir es: Eine ziemlich große und nicht zu verachtende positive Nebenwirkung.“

„Wie jetzt? Von was redest du? Du willst mich doch über den Tisch ziehen?“,

„Ehrlich nicht, ich will dir helfen. Unter einer Bedingung. Du musst mir dafür ...“, redet sie weiter, doch dann lässt sie den Satz unbeendet in der rauchigen Luft hängen.