Cover

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Tobias Radloff
Philip Strasser in
Amoralisch
Ein Biotech-Roman Noir

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Für Angelika
und ihre Liebe zum Lesen,
der ich meine Liebe
zum Schreiben verdanke.

Sich mit Dealern und Frauenhelden herumzuschlagen macht müde; umso mehr, wenn man erst um vier ins Bett kommt. Trotzdem stellte ich mir den Wecker auf halb zehn und bot bei seinem Klingeln meine komplette Willenskraft auf, um auch wirklich aufzustehen. Eine halbe Stunde später fuhr ich auf den Protagen-Parkplatz, die halb zerbröselte Amor-Pille in der Tasche und einen Thermosbecher mit Kaffee zwischen den Knien.

Ich ging um das Gebäude herum, weg vom Haupteingang. Der Laborflügel war nicht für jedermann zugänglich, und ich war nur ein verzichtbarer Externer. Zum Glück wusste ich, wo die Sicherheit Lücken aufwies.

Das Toilettenfenster war zum Teil von Gebüsch verdeckt. In einem vergitterten Schacht summten Generatoren. Ich drückte mich an die Wand, schob mich zentimeterweise nach oben und spähte auf Zehenspitzen über den Fenstersims. Ich fühlte mich wie ein Spanner. Als ich halbwegs sicher war, dass sich hinter dem Milchglas nichts bewegte, richtete ich mich auf und drückte mit beiden Händen gegen die Scheibe.

Nichts passierte. Wenn der Riegel in der Zwischenzeit repariert worden war, konnte ich meinen schönen Plan gleich wieder begraben.

Ich drückte kräftiger. Mit einem saugenden Geräusch löste sich das Fenster aus der Fassung und schwang nach innen auf. Ich verzichtete darauf, mich nach möglichen Zeugen umzuschauen, und kletterte mit einem Klimmzug und etwas Schnaufen ins Gebäude. Drinnen verriegelte ich die Tür, dann drückte ich das Fenster wieder zu. Der Griff zeigte nach unten und ließ sich nur mit dem Hausmeisterschlüssel bewegen. Es gab einen weiteren Hebel unten am Rahmen, der das Fenster im Notfall entriegelte. Ich sah genauer hin und entdeckte gut versteckt ein paar Streifen Klebeband. Jemand hatte sich an dem Mechanismus zu schaffen gemacht, sodass der Riegel nicht mehr griff. Und ich wusste auch, wer das gewesen war.

Ich vermied den Blick in den Spiegel und öffnete die Tür. Ein weiß bekittelter Mann mit einem großen Ring im Ohrläppchen lief durch den Flur. Als er mich sah, blieb er irritiert stehen. „Ähem." Ich folgte seinem Blick zu dem großen „W" an der Toilettentür. „Ups", sagte ich. „Ich hatte mich schon gewundert, warum sie das Pissoir abmontiert haben." Er lachte nicht, aber wenigstens fragte er mich auch nicht nach meinem Firmenausweis.

Es herrschte nicht viel Betrieb. Ich kam an ein paar unbesetzten Laboren vorbei und sah durch eine Panoramascheibe die Zentrifugen vor sich hin arbeiten. Aus einer angelehnten Tür hörte ich Hundegebell. Mortensen hatte mir einmal erzählt, dass Beagles die besten Versuchstiere abgeben, weil sie so vertrauensvoll sind. Egal, was man ihnen angetan hat, beim nächsten Versuch wedeln sie wieder mit dem Schwanz und sind fest davon überzeugt, dass es dieses Mal bestimmt nicht wehtun wird.

Endlich sah ich in einem Raum eine grau melierte Wissenschaftlerin und beschloss, sie zu fragen. Ich klopfte an die Glastür, und sie winkte mich in ihr Labor, ohne den Blick von dem Molekülmodell auf ihrem Computerbildschirm zu wenden.

„Tag", sagte ich. „Ich suche Tran Phan Hoa."

„Tran? Der arbeitet hier nicht mehr."

„Oh. Aha", machte ich. „Aber hat er nicht neulich erst Freigabe Zwei bekommen?"

Die Wissenschaftlerin sah mich nun doch an. Sie trug ein Hörgerät im rechten Ohr und schien sich nicht daran zu stören, dass ich keinen Kittel anhatte. Sie selbst trug auch keinen, sondern einen karierten Cardigan und Cordhosen. „Wir mussten ihn vor ein paar Wochen gehen lassen. Er hatte Firmeneigentum gestohlen."

Weiß ich, hätte ich entgegnen können. Kleine Mengen Antibiotika, durchs Fenster der Damentoilette nach draußen geschmuggelt. Stattdessen sagte ich: „Sieh mal einer an. Wie ist man ihm denn auf die Schliche gekommen?"

Sie zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Angeblich haben Mortensen und Breiling jemanden auf ihn angesetzt."

Von dem hatten sie allerdings nichts über seine Nebenbeschäftigung erfahren. Das konnte ich garantieren. „Oder Hansen hat in Trans E-Mails herumgeschnüffelt", schlug ich vor. „Wie man hört, hat die Firmensoftware weit mehr Funktionen, als im Nutzerhandbuch verzeichnet sind."

Sie winkte ab. „Das klingt jetzt aber arg nach Verschwörungstheorie." Sie wandte sich wieder ihrem Monitor zu.

Ich stand da und überlegte, wie ich weiter verfahren sollte. Bevor ich eine Entscheidung treffen konnte, sah die schwerhörige Wissenschaftlerin noch einmal auf. „Was wolltest du denn von Tran?"

„Wenn ich ehrlich bin, wollte ich ihn um einen Gefallen bitten." Wenn es dazu gekommen wäre, hätte Tran es wahrscheinlich Erpressung genannt. Aber irgendwas ist ja immer. „Ich hatte gehofft, dass er für mich herausfinden kann, woher das Zeug hier stammt." Ich raschelte mit dem Tütchen mit der Amor-Pille.

Sie sah nur flüchtig hin. „Von uns."

„Du musst die Pille nur angucken und weißt, woher sie stammt?" „Nein, aber ich kann lesen, was auf dem Tütchen steht."

Ich sah genauer hin und bemerkte zum ersten Mal das ProtagenLogo auf dem Plastik. So viel zum Wald vor lauter Bäumen. „Na ja", sagte ich, während ich versuchte, nicht rot zu werden. „Das beweist nur, dass das Tütchen eins von unseren ist. Um was für eine Tablette es sich handelt, ist damit noch nicht geklärt."

„Theoretisch ja. Aber warum sollte jemand eine fremde Tablette in eine Protagen-Verpackung tun?"

„Schon klar. Darum forsche ich ja auch hier nach. An der mutmaß- lichen Quelle."

Sie nahm das Tütchen und hielt es gegen das Licht. „Hm. Und was für Nachforschungen sind das?"

Irrte ich mich oder war da eine Spur Misstrauen in ihrer Stimme? Ich entschied mich für die Flucht nach vorne. „’tschuldigung, ich hätte mich längst vorstellen sollen. Philip Strasser, Privatdetektiv."

Die Frau tippte an ihr Hörgerät. „Habe ich das richtig verstanden? Dann setzen Sissi und Franz also tatsächlich Detektive auf ihre eigenen Leute an. Dir ist schon klar, dass du dir damit keine Freunde machst, oder?"

„Wer eine höhere Freigabe will, kann sich schlecht über eine Überprüfung beschweren", entgegnete ich.

„Wenn es denn eine offene Überprüfung ist. Tran war sich sicher, dass ihn jemand verfolgt, aber die Chefs haben alles abgestritten." „Ich habe Tran nicht hochgehen lassen. Davon, dass er Antibiotika auf die Seite geschafft hat, um es einer Tafel zu spenden, stand kein Wort in meinem Bericht."

Ich sah ihr an, dass sie davon gewusst hatte. Trotzdem sagte sie: „Und warum sollte ich das glauben?"

„Weil er die neue Freigabe sonst nicht bekommen hätte. Kandidaten werden vorher überprüft, nicht hinterher."

Sie legte den Kopf schief. „Das stimmt, aber … Hast du mir auch nachgeschnüffelt?"

„Keine Sorge. Ich weiß nicht mal, wie du heißt."

„Das bedeutet dann wohl, dass du nicht besonders gut in deinem Job bist?" Sie prustete los. Ich tat ihr den Gefallen und lachte mit. „Also, kannst du mir etwas zu der Tablette sagen?", fragte ich, als sie sich wieder beruhigt hatte.

Sie wiegte den Kopf. „Ja und nein."

„Das heißt?"

„Ich weiß nicht, ob ich darüber sprechen darf."

„Mit mir, meinst du", vermutete ich. Ihr Schweigen beantwortete die Frage. „Ich bin hier, oder etwa nicht? Wenn ich nicht für Reik und Verena arbeiten würde, wie wäre ich dann in den Sicherheitsbereich gekommen."

„Trotzdem … Ich möchte die Sache lieber mit dem Forschungsleiter klären." Sie griff zum Telefonhörer.

„Das geht nicht", warf ich ein. „Einbecker … Ich darf das eigentlich nicht sagen, aber …" Ich senkte die Stimme: „Ich bin hier, um herauszufinden, ob er da mit drin steckt."

„Gut, dann rufe ich Verena an, damit sie mir die Sache bestätigt." „Bist du sicher?", sagte ich. Die Forscherin sah konsterniert auf. „Ich meine, du weißt ja, wie gerne sich Verena wegen Nichtigkeiten stören lässt. Und falls du Angst hast, dich zu verplappern", spielte ich meinen letzten Trumpf aus, „dann kann ich dich beruhigen: Über die Amor-Pille weiß ich Bescheid."

Volltreffer. „Warum hast du das nicht gleich gesagt?", sagte sie und zog die Hand vom Telefon zurück. „Okay, was willst du wissen?"

Ich deutete auf die halb zerbröselte Tablette auf dem Labortisch. „Ist das hier eine Amor-Pille?"

„Mal sehen." Sie öffnete das Tütchen, schüttelte ein paar Krümel auf ein Glasplättchen und schob es unter ein Mikroskop. „Wo hast du sie her?"

„Nicht so wichtig."

Die Wissenschaftlerin war anderer Meinung, behielt sie aber für sich. Nach einem langen Blick durchs Okular sagte sie: „Ich denke schon."

„Ganz sicher?"

„Ziemlich. Ich kann ein paar Tests machen …"

„Das wird nicht nötig sein." Lieber nicht noch mehr Wellen schlagen. „Und die Dinger werden also hier bei Protagen hergestellt?" „Was heißt hergestellt? Wir produzieren kleine Mengen, für Tierversuche, humane Testreihen, als Muster."

„Moment. Tests an Menschen? Die Pille wird doch niemals für den Arzneimittelmarkt zugelassen."

„Warum denn nicht? Wenn sie Betroffenen hilft?"

Ich dachte, ich hätte mich verhört. „Betroffene? So kann man sie wohl nennen."

Sie sah mich an, als hätte ich gefragt, wie viele Beine an so einem Hund denn üblicherweise dran sind. „Wie denn sonst? Ich dachte, du weißt über die Pille Bescheid."

„Das dachte ich auch", ruderte ich zurück. „Gut möglich, dass ich ein paar Sachen falsch verstanden habe. Wenn ihr Cracks mit den Erklärungen anfangt, muss ich mich schon anstrengen, dass ich an der richtigen Stelle nicke."

Die Stirn meiner Wissenschaftlerin glättete sich ein wenig. „Dir ist aber wenigstens klar, dass die Pille auf die Ausschüttung bestimmter Hormone im Organismus einwirkt? Oxytocin, Vasopressin, Testosteron, ein paar andere. Wir fassen sie unter dem Begriff Liebeshormone zusammen. Nach außen hin werden wir aber wohl eher auf Familienhormone umschwenken."

„Nach außen hin?"

„In der Werbung. Falls Protagen bei der Ausrichtung einer Kampagne überhaupt mitreden kann, heißt das. Aber über die Lizenzverhandlungen mit den großen Firmen weiß ich leider gar nichts, und wenn, dürfte ich nichts davon ausplaudern."

Was ein Jammer war, wie ich fand. „Keine Sorge. Ich will lediglich wissen, was es hiermit auf sich hat." Ich wedelte mit dem Tütchen. „Der Name Amor-Pille rührt also daher, dass es um Sex geht? Dafür stehen die Liebeshormone doch, oder nicht?"

Die Forscherin lehnte sich zurück. „Ach was. Sex ist bloß ein Mittel zum Zweck. Die Liebe auch, wenn du so willst. Die Amor-Pille wirkt viel grundlegender – sie steuert die Ausschüttung verschiedener Hormone und beeinflusst dadurch indirekt das Verhalten." „Sie steuert das Verhalten?"

„Sie beeinflusst es. Indirekt", wurde ich sofort korrigiert. „Hormone sagen uns nicht, was wir tun sollen, sie schubsen uns lediglich in eine bestimmte Richtung. Das klassische Beispiel ist eine Gefahrensituation. Sobald es brenzlig wird, schütten wir Adrenalin aus. Es macht den Körper fit für Kampf oder Flucht. Aber Hormone haben ganz unterschiedliche Funktionen. Oxytocin, das sogenannte Kuschelhormon, wird nach einem Orgasmus ausgeschüttet, im weiblichen Körper auch bei der Geburt und beim Stillen. Es gilt als erwiesen, dass Oxytocin zwischenmenschliche Bindungen erleichtert und verstärkt."

„Zwischenmenschliche Bindungen?"

„Wir sagen meistens Freundschaft dazu. Oder Liebe."

Ich muss ziemlich dämlich dreingeschaut haben, denn mein Gegenüber schmunzelte breit. „Kurz gesagt kann man Hormone als eine Art Belohnungssystem für erwünschtes Verhalten beschreiben. Erwünscht im Sinne des Überlebens, heißt das, oder der Arterhaltung. Wir Menschen pflanzen uns umso häufiger fort, je mehr Gemeinschaften wir bilden, je mehr Paare sich ineinander verlieben, je mehr Sex sie haben und je fürsorglicher sie sich um ihren Nachwuchs kümmern."

„So habe ich das noch nie betrachtet."

„Das ist ja gerade der Trick. Kein Paar der Welt entscheidet sich für Kinder, um das Aussterben der Menschheit zu verhindern. Wir tun das, weil wir dafür mit Glücksgefühlen belohnt werden. Oxytocin und Co. verwandeln ein abstraktes Ziel in kleine, erstrebenswerte Momente – zum Beispiel in das gute Gefühl, verliebt zu sein."

Mir dröhnte der Kopf. „Darum verlieben wir uns? Weil irgendwelche Hormone uns dazu zwingen?"

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „In gewissen Grenzen sind wir Sklaven unserer Biologie. Aber mit dem Emonarizin", sie deutete auf meine Jackentasche, in der ich die Reste der Pille wieder verstaut hatte, „bekommen unsere Ketten auf einmal Spiel." Ich stutzte. „Emonarizin? So heißt der Wirkstoff der Amor-Pille?" „Die Grundform hieß so. Protagen hat ihn weiterentwickelt, und jetzt nennen wir ihn Amortisol. Warum?"

„Ach, ich war nur irritiert über das Wortspiel. Aber was heißt das, Spiel für die Ketten? Dass die Pille Menschen zu willigen Beischläfern macht, die alles tun, um sich zu paaren?"

„Nein, du überschätzt den Effekt. Hormone bringen uns nicht dazu, Dinge zu tun, die wir sonst nicht tun würden. Sie belohnen lediglich bestimmte Verhaltensweisen mit positiven Empfindungen. Liebe ist eine der stärksten Empfindungen, die wir kennen, aber trotzdem kannst du dich aus freien Stücken von einem geliebten Partner abwenden. Es erfordert nur sehr viel Kraft."

„Dann lässt sich Amortisol nicht als Date-Rape-Droge einsetzen?" „So ein Quatsch", sagte die Wissenschaftlerin. „Wenn du jemanden dazu bringen willst, mit dir Sex zu haben, musst du seine Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigen. Oder die Person betäuben oder sonst wie handlungsunfähig machen."

„Wenn dieser Wirkstoff also nicht zum Sex führt, warum heißt das Zeug dann Amor-Pille?"

„Na, weil er den Körper dazu bringt, die Liebeshormone schneller und in höherer Menge auszuschütten. Er macht es einfacher, durch interhumane Bindungen ausgelöste Glücksmomente zu erleben." Sie sah mich mitleidig an. „Oder, um es ganz simpel auszudrücken: Die Pille sorgt dafür, dass der Anwender sich leichter verliebt."

Ich weiß nicht mehr, was ich erschreckender fand: dass die Wissenschaftlerin die Liebe nicht als Urgewalt, sondern als chemischen Prozess begriff, oder dass das Amortisol in der Lage sein sollte, diese Urgewalt zu zähmen. „Und es stört dich nicht, dass die Amor-Pille das Gefühlsleben von Menschen manipuliert?"

Sie sah mich erstaunt an. „Antidepressiva manipulieren auch das Gefühlsleben. Würdest du die komplett verbieten wollen?"

Ich hatte nicht viel Zeit, mich mit dieser Frage auseinanderzusetzen.

„Da ist der Kerl!"

Die Worte stammten von dem Labormitarbeiter mit dem großen Ohrring. Links von ihm stand Pansen, rechts Einbecker. Letzterer hielt ein schmutziges kleines Kästchen in der Hand. Am Bodenblech seines Wagens musste in diesem Moment ein rechteckiger sauberer Fleck prangen. „Strasser!", knirschte er und sah aus, als würden ihm gleich Rauchkringel aus den Ohren steigen. Wieder einmal ruhten alle Augen auf mir.

Mann, wie ich das hasse.

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Breiling kochte. „Was fällt Ihnen ein, Strasser? Ich hatte Sie klar und deutlich davor gewarnt, sich mit Einbecker anzulegen!"

„Das ist korrekt", sagte ich.

Sie funkelte mich an. „Machen Sie sich jetzt auch noch über mich lustig?"

„Nein. Aber wenn ich Ihnen alles erzählt habe, werden Sie froh sein, dass ich es trotz Ihrer Warnung getan habe."

Wir standen zu viert in ihrem Büro. Breiling stützte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch, vor ihr mein GPS-Sender auf einem Papiertaschentuch. Pansen stand schräg hinter mir, während Einbecker unentwegt auf und ab ging. Bei meinen Worten blieb er stehen und fauchte: „Was soll das heißen? Versuchst du schon wieder, mir was anzuhängen?"

Ich ignorierte ihn. „Frau Breiling, Ihr Forschungsleiter zweigt Teile der Produktion der Amor-Pille ab, um damit seinen Kokainkonsum zu finanzieren. Außerdem hat er die Pillen heimlich seiner Assistentin verabreicht, um sie sich sexuell gefügig zu machen." Einbecker brauchte eine knappe Sekunde, um meine Worte zu verdauen. „Das … das ist infam! Ich verklage dich wegen Verleumdung!"

„Das heißt üble Nachrede", korrigierte ich. „Und die trifft nur dann zu, wenn’s gelogen ist."

„Dann haben Sie Beweise?", wollte Breiling wissen.

Ich reichte ihr das Tütchen mit der Pille. „Die hier hat er seinem Dealer als Bezahlung gegeben. Und was die andere Sache angeht: Ich habe Fotos davon, wie er Nina Berger heimlich eine weiße Tablette ins Glas tut."

„Sie haben mich überwacht, mich heimlich fotografiert? Unerhört!" Einbecker benutzte wieder das förmliche Sie, ohne es zu merken. „Zeigen Sie die Fotos her!"

„Ich kann sie gerne holen. Ich gebe zu, ich hatte nicht damit gerechnet, den Fall gleich heute abzuschließen."

„Das wird nicht nötig sein", sagte Breiling.

„Glauben Sie mir, es ist nötig", sagte ich.

„Genau, damit sie als Fälschung entlarvt werden!", ergänzte Einbecker. Ausnahmsweise waren er und ich einer Meinung.

Breiling schlug mit der freien Hand auf den Tisch. „Ich sagte, das wird nicht nötig sein! Gabor, Boris, gebt Herrn Strasser und mir einen Moment unter vier Augen."

Ich grinste. Das versprach interessant zu werden.

Einbecker und Pansen allerdings hielten die Idee deutlich für schlecht.

„Ich setze keinen Fuß aus diesem Raum!"

„Hältst du das für eine gute Idee, Verena?"

„Hörst du schlecht?", schnappte sie. „Lasst uns allein. Sofort!"

Boris seufzte. „Wenn du meinst … Ich bleibe auf jeden Fall in Hörweite."

„Super", sagte ich, „wenn ich Sie brauche, rufe ich."

„Strasser!" Wieder Breiling. Sie war wirklich geladen.

Während wir warteten, dass sich die Tür hinter den beiden schloss, legte ich mir meine Argumente zurecht. Ich musste die Sache klug anstellen. Was für sie im Vordergrund stand, war nicht –

„Strasser!" Ich sah ihr direkt ins Gesicht. Sie stand so nah vor mir, wie ihr Bauch es erlaubte. „Was ich Ihnen jetzt sage, mag Ihnen nicht gefallen, aber Sie sollten gut zuhören, denn ich sage es nur einmal. Ich will, dass Sie diese Sache ein für allemal auf sich beruhen lassen."

Ich machte einen Schritt zurück. „Das –"

„Ich bin noch nicht fertig" Wieder kam sie einen Schritt näher, die Amor-Pille in der Hand. „Dieses Präparat hier ist ein wichtiger Baustein unserer Firmenstrategie. Wir befinden uns in einer hei- ßen Phase, und schlechte Nachrichten wären da Gift. Was glauben Sie, was los wäre, wenn ans Licht käme, dass unser Forschungsleiter kokst? Wollen Sie Protagen in Schwierigkeiten bringen?"

„Ich –"

Sie legte mir die Hand auf die Schulter. „Und falls Sie Angst haben, dass Einbecker davonkommt … Reik und ich werden ihn uns persönlich zur Brust nehmen. Da kommt eine Menge auf ihn zu. Und wir alle wissen, wem er das zu verdanken hat."

„Und Nina Berger?"

„Das ist tragisch, ich weiß. Doch nichts wird ihren Selbstmord rückgängig machen."

„Sie hat sich nicht einfach umgebracht!", begehrte ich auf. „Ich kann beweisen, dass Einbecker ihr Pillen untergeschoben hat."

„Ihre Fotos, meinen Sie? Geben Sie sie mir. Um alles Weitere kümmere ich mich."

„Aber –"

„Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie Einbeckers Verfehlungen aufgedeckt haben, Strasser. Der Fall ist damit für Sie abgeschlossen."

„Damit Sie die Sache unter den Teppich kehren können", sagte ich.

„Damit ich für alle Beteiligten das Beste herausholen kann", erwiderte Breiling. „Nicht zuletzt für Sie, Strasser. Ich habe Sie nicht gebeten, in der Sache zu ermitteln. Im Gegenteil. Trotzdem bin ich bereit, Ihre Mühe und Ausdauer zu honorieren. Finanziell", fügte sie hinzu, als sie meinen verständnislosen Blick bemerkte.

Ich sah sie entgeistert an. „Sie wollen mich bestechen? Wie kommen Sie darauf, dass ich dabei mitmache?"

Sie lächelte wissend. „Ich bitte Sie."

Mann, wie mir diese alte Geschichte auf den Geist ging.

„Es geht hier um ein Verbrechen. Um Gerechtigkeit. Für wie billig halten Sie mich?"

Breiling hob eine Augenbraue. „Das ist dann also ein Nein?" „Worauf Sie sich verlassen können!"

Wenn Sie etwas anderes erwartet hatte, ließ sie es sich nicht anmerken. „Das war nicht besonders klug von Ihnen, Strasser. Jegliche weitere Zusammenarbeit ist damit leider unmöglich geworden."

Ich spürte zweierlei: den leisen Stich, wenn man begreift, dass man gerade eben einen schweren Fehler begangen hat, und das trotzige Jetzt-erst-Recht, das mit diesem Stich gerne einhergeht.

„Wenn Sie glauben, dass ich die Sache jetzt auf sich beruhen lassen werde, haben Sie sich geschnitten! Ich habe Beweise. Ich habe die Fotos, die Pille …"

„Welche Pille? Diese hier?" Breiling hielt das Tütchen hoch und ging in Richtung Bad.

Natürlich hatte Reitmeier mir beigebracht, meine Beweise niemandem außer dem Klienten oder der Polizei in die Hand zu geben. Natürlich wusste ich, was geschehen würde. Trotzdem rührte ich mich nicht. Was hätte ich auch machen sollen, mich mit einer Schwangeren prügeln? Das fehlte noch in meinem Lebenslauf.

„Und was Ihre Fotos angeht", sagte Breiling, als das Rauschen der Klospülung verklungen war, „falls sie überhaupt existieren, heißt das –"

„Keine Sorge, das tun sie", sagte ich mit einer Kopfbewegung zum Fenster und dem Parkplatz dahinter.

„Wem wollen Sie die zeigen? Der Polizei? Dann überlegen Sie sich lieber schon mal eine Antwort auf die Frage, warum Sie Einbecker überhaupt nachspioniert und sein Auto verwanzt haben. Lange vor Nina Bergers Selbstmord, wohlgemerkt. Das Einzige, was Ihre Bilder dokumentieren werden, ist Ihre bösartige Abneigung gegen einen hochgeschätzten Kollegen und Freund, für den bei Protagen jeder seine Hand ins Feuer legen würde."

Ich zuckte die Achseln. „Das werden wir ja sehen."

Breiling zog die Brauen hoch. „Sie stehen allein da, Strasser! Sie haben einen beschissenen Ruf und nichts in der Hand. Geben Sie’s auf oder ich schwöre bei Gott, ich mache Sie fertig! Wenn Sie dagegen brav sind, kriegen Sie vielleicht doch noch ein paar Cent von dem Geld für Malte Blank zu sehen."

„Das Geld steht mir zu! Ich lasse mich nicht einschüchtern", sagte ich und versuchte zu verbergen, wie eingeschüchtert ich war. „Und wie wollen Sie das dem Richter erklären?", gab sie zurück. Damit hatte ich endlich den Beweis, dass es ein Fehler gewesen war, je für Protagen zu arbeiten. Trotz des Geldes. Vermutlich gerade deswegen.

„Jedenfalls werde ich nicht tatenlos zusehen, wie Sie ein Verbrechen vertuschen", sagte ich. „Ich werde die Wahrheit ans Licht bringen."

„Wir werden sehen, Strasser. Wir werden sehen."

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Breiling verließ wortlos das Büro. Ich dachte darüber nach, wie viel Schaden ich am Mobiliar anrichten könnte, bis sie wiederkam. Dann brachte mich das Flüstern im Vorzimmer zurück auf den Boden der Tatsachen, und ich folgte ihr.

Sie und Pansen hatten die Köpfe zusammengesteckt. Breilings Assistentin saß reglos hinter dem Schreibtisch und sah schnell weg, als sie meinen Blick bemerkte. Einbecker hatte sich aus dem Staub gemacht. Dafür hatte Pansen offenbar zwei seiner Werkschutzleute gerufen. Bei meinem Eintreten richteten sie sich zu voller Größe auf, und Breiling und Hansen hörten auf zu wispern. Ich musterte Pansens Verstärkung. Einer war schmaler als ich, und seine Augen deuteten an, dass er lieber wieder vor seinem Computerbildschirm säße, als hier für Pansen den starken Mann zu markieren. Für den anderen waren Raufereien hingegen nichts Neues, oder zumindest wusste er, wie man diesen Eindruck verströmte. Er war groß und untersetzt, und ich konnte nicht sagen, ob die Rundungen unter seinem weiten T-Shirt Fett oder Muskeln waren.

Kommt nur her!, dachte mein adrenalindurchflutetes Gehirn, während ich gleichzeitig kurz davor war, vor Angst auf den Boden zu reihern.

Pansen tauschte einen letzten Blick mit Breiling, dann sagte er zu mir: „Wir machen jetzt einen Spaziergang, Strasser."

„Ich finde alleine raus."

„Das liegt nicht in deiner Hand." Pansen streckte den Arm nach mir aus.

„Fass mich nicht an", warnte ich.

Wenn ich in einer Sache gut bin, dann sind es Blickduelle. Das wusste ich spätestens seit The Man. Innerlich brannte ich sowieso auf einen Faustkampf mit Pansen. Wofür sonst hatte Reitmeier mir beigebracht, wie man eine richtige Faust macht, wenn nicht für einen Showdown mit diesem Arschloch?

„Die Polizei ist nur einen einzigen Anruf entfernt, Strasser", erinnerte Breiling.

„Notwehr ist nicht strafbar", knurrte ich.

„Das gilt für beide Seiten."

Pansen begriff den Wink und ließ die Hand sinken. Er war gut dressiert.

„Hier entlang", sagte er und ging hinaus in den Flur. Nicht wirklich enttäuscht über die ausbleibenden Gewalttätigkeiten, folgte ich ihm. In der Tür drehte ich mich noch einmal um. Breiling presste die Lippen zusammen und das Handy ans Ohr. Bei diesem Anblick fühlte ich mich etwas besser. Wer sicher weiß, dass er gewonnen hat, guckt nicht so grimmig.

Pansen ging vor mir her, seine Helfershelfer folgten mir mit einer Armeslänge Abstand. Im Erdgeschoss kam uns ein pappbecherbewehrter Angestellter entgegen. Er schaute uns nach, als wäre er Zeuge einer Kreuzigungsprozession.

Ich konnte die Lobby schon sehen, als Pansen in einen Seitengang abbog. „Soll ich vorgehen?", fragte ich. „Ich kenne mich hier aus." „Wir nehmen einen anderen Weg", antwortete Pansen. „Einen diskreteren."

Ich hätte es darauf ankommen lassen sollen, aber Streitlust ist keine unerschöpfliche Ressource, und wenn ich ehrlich bin, war ich froh, so schnell wie möglich hier raus zu sein. Also ließ ich mich von meiner Eskorte vom Ausgang wegführen und begriff erst, was los war, als wir in einen Raum kamen, dessen Einrichtung aus einem einsamen Tisch und einem Stuhl bestand. Es roch immer noch nach Enttäuschung und Kaltherzigkeit, aber diesmal befand ich mich auf der anderen Seite, dort, wo Malte Blank beim letzten Mal gesessen hatte.

Ich drehte mich um. Pansens Helfershelfer standen in der Tür und versperrten den einzigen Ausgang.

„Was wird das?", wollte ich wissen. „Seid ihr jetzt die Mafia? Eine Abreibung für den ehrlichen Ermittler?"

„Ehrlich? Dass ich nicht lache", sagte Pansen.

„Du weißt nicht das Geringste über mich. Oder darüber, was hier –" „Und es interessiert mich auch nicht", schnitt Pansen mir das Wort ab. „Halt’s Maul und die Füße still. Ihr beiden bleibt mit ihm hier, bis ich wiederkomme", instruierte er seine Untergebenen. „Ich muss kurz was erledigen."

„Das ist Freiheitsberaubung. Das könnt ihr nicht machen!"

Pansens Antwort war ein verächtliches Lächeln.

„Und denkt daran, was Verena über Notwehr gesagt hat", ermahnte er noch seine Kerle, dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Ich war allein mit den beiden Typen.

„Okay, Jungs", sagte ich. „Ich zähle bis drei, dann gehe ich durch diese Tür. Wenn ihr versucht, mich aufzuhalten, zeige ich euch an." Der Dicke verschränkte die Arme.

Ich schlug eine andere Taktik ein. „Euch ist hoffentlich klar, dass Breiling und Hansen versuchen, mich zum Schweigen zu bringen. Sie wollen ein Verbrechen mit Todesfolge vertuschen. Die Frage ist, ob ihr euch dafür einspannen lasst. Wenn nicht …" Ich deutete zur Tür.

Der Kleinere sah zu seinem Kompagnon hinüber. Der schüttelte den Kopf. „Wir lassen ihn nicht raus. Nicht bevor Boris zurück ist." „Gut, dann lasst ihr mir keine andere Wahl." Ich zückte mein Telefon.

Jetzt wurden sie doch nervös. „Wen rufst du an?", fragte der Dünne. „Was glaubst du wohl? Die Polizei. Ich habe versucht, es euch zu erklären, aber ihr hört ja nicht auf mich."

„Gib das Ding her." Der Dicke machte einen Schritt auf mich zu.

„Ich denke nicht daran!"

„Ich sagte, gib es her!" Er griff nach meinem Telefon.

Ich wich zurück. „Hast du sie noch alle? Freiheitsberaubung, Nötigung, jetzt auch noch versuchte Körperverletzung und versuchte Sachbeschädigung? Du machst es nur noch –"

Er gab mir einen Stoß vor die Brust. Ich taumelte nach hinten und wäre gefallen, wenn nicht der Tisch im Weg gestanden hätte. So holte ich mir nur einen Bluterguss an der Hüfte.

Mit einem Knurren fuhr ich herum und stürzte mich auf den Kerl. Doch er war näher, als ich gedacht hatte. Ich hatte ihm einen Fausthieb versetzen wollen, stattdessen umklammerte ich plötzlich seinen Oberkörper.

Wir rangelten und schnauften und drehten uns umeinander. Ich versuchte, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, doch er war zu schwer. Irgendwann schaffte er es, seinen Arm unter meinen zu zwängen. Jetzt hatte er einen Hebel gegen meine Klammer, und meine ineinandergehakten Finger lösten sich. Er packte mich und schleuderte mich mit einem Grunzen von sich. Ich landete unsanft auf dem Boden.

Wenn er gleich nachgesetzt hätte, wäre der Kampf sofort zu Ende gewesen. Doch er wechselte einige laute Worte mit seinem Kompagnon, weil er wohl nicht die ganze Arbeit alleine machen wollte.

Ich rappelte mich wieder hoch und hob mein Handy auf. Dann waren sich die beiden auch schon einig und kamen geschlossen auf mich zu.

„Zwei gegen einen?", sagte ich und rieb mir die Seite. „Nicht besonders sportlich."

„Siehst du irgendwo einen Schiri?", fragte der Große.

„Nein, aber wer ist das?" Ich deutete zur Tür.

Um ein Haar hätte es geklappt. Der Kleine sah über die Schulter, und auch der andere war einen Moment abgelenkt. Leider nicht lange genug. Er packte mich am Arm, bevor ich an ihm vorbeischlüpfen konnte. Ich wirbelte herum und schlug nach ihm. Zu meiner und seiner Überraschung traf ich ihn aufs Ohr. Er ließ mich los und ich hechtete zur Tür.

Sie erreichten mich, bevor ich sie geöffnet hatte. Ein Schlag traf mich in den Rücken, dann wurde ich zurückgerissen. Ich klammerte mich an der Türklinke fest und die Tür schwang mit mir zurück. Mit einem dumpfen Geräusch traf sie gegen einen Kopf. Jemand stöhnte auf.

Das Zerren wurde stärker. Die Klinke rutschte mir aus der Hand, und der Ruck warf meinen Gegner und mich zu Boden. Ich landete auf ihm, war als Erster wieder auf den Beinen und musste mich einen Herzschlag später mit einem grotesken Hüpfer in Sicherheit bringen, als der Kleine nach mir trat. Auch er sah jetzt ziemlich wütend aus. Auf seiner Stirn prangte senkrecht der Abdruck einer Türkante.

Der Große stellte sich neben seinen Kumpan und ballte die Fäuste. Ich sah ihm in die Augen und wusste, die Zeit für Geplänkel war vorbei.

Der Kampf war kurz und einseitig. Ich landete ein, zwei Treffer, dann ging ich zu Boden und Fäuste und Füße prasselten auf mich ein. Ich schützte Kopf und Oberkörper, so gut es ging, aber es ging nicht besonders gut. Vermutlich hätten die beiden mich ins Koma geprügelt, wenn sich nicht irgendwann eine weitere laute Stimme dazugesellt hätte. Jemand zerrte erst den einen, dann den anderen Typen von mir weg.

Ich nahm vorsichtig die Arme runter und sah Reik Mortensen über mir.

„Alles in Ordnung?"

Ich tastete vorsichtig über meinen Körper. Es schien nichts gebrochen zu sein, also nickte ich.

Mortensen stand auf und machte sich daran, seine Angestellten zusammenzustauchen.

Eins musste ich ihm lassen: Im Zusammenstauchen war er richtig gut. Nach der gerade eingesteckten Abreibung war es eine Genugtuung, ihm dabei zuzusehen, wie er sich die beiden Werkschützer zur Brust nahm. Mortensen war mit ganzem Herzen bei der Sache, sparte nicht an Kraftausdrücken und schien selbst nicht übel Lust zu haben, ein paar Schläge auszuteilen. Ich hätte mir lediglich gewünscht, dass er weniger auf dem Aspekt des gefährdeten Firmenrufs und mehr auf dem meiner gefährdeten Gesundheit herumgeritten wäre. Aber angesichts meines Zustands wollte ich mich über meinen strahlenden Ritter nicht beklagen.

Als er mit den beiden fertig war, schlichen sie mit gesenkten Köpfen aus der Tür. „Lasst euch das eine Lehre sein!", gab ich ihnen mit auf den Weg.

„Schon wieder Oberwasser, wie?", sagte Mortensen. „Was war überhaupt los?"

Tja. „Das ist eine lange Geschichte."

„Gut, ich brauche sowieso einen Kaffee. Oder was Stärkeres." Mortensen brachte mich in den MR3. Er vertrat die Einstellung, dass ein moderner Unternehmer sich nicht über seine Mitarbeiter stellen sollte, weshalb er auf ein eigenes Büro verzichtet hatte. Stattdessen arbeitete er wie alle anderen an einem freien Platz im Großraum.

Nachdem er mich abgeliefert hatte, ließ er mich gleich wieder allein und verschwand in Richtung Coffee Lounge. Ich hing in meinem Drehsessel und dachte müde darüber nach, ob ich besser die Biege machte, ehe Breiling und Pansen zwei neue Typen auf mich hetzten. Oder Mortensen – er, nicht seine Frau, war die Nummer eins bei Protagen. Wenn etwas in der Firma vertuscht werden sollte, war es nicht völlig abwegig, dass er daran beteiligt war.

Ich eilte zur Tür und öffnete sie. Davor stand Mortensen, zwei dampfende Becher in den Händen. „Du kannst wohl durch Wände sehen", sagte er. Die jungenhafte Freude auf seinem Gesicht machte mich schwach, und auch der Kaffeeduft war nicht ganz unschuldig daran, dass ich zurücktrat und ihn eintreten ließ.

„Okay, dann erzähl mal", sagte er, als ich den ersten Schluck getrunken und mir ein bisschen getrocknetes Blut von der Oberlippe getupft hatte.

„Ich habe Einbecker nachspioniert, obwohl Verena es mir ausdrücklich verboten hatte", begann ich. „Er ist kokainsüchtig und nimmt das Zeug sogar am Arbeitsplatz."

Mortensens Augenbrauen gingen nach oben. „Oha."

„Als ich Verena von der Sache erzählte, wollte sie nichts davon wissen. Ich habe den Eindruck, dass sie versucht, die Sache unter den Teppich zu kehren."

„Wie kommst du denn darauf?"

„Sie hat versucht, mein Schweigen zu erkaufen."

„Und das hat nicht geklappt?"

„Wundert dich das?"

„Nein, tut es nicht. Ich habe dich nie für käuflich gehalten."

Wenn das stimmte, war er der Einzige. Ich nippte schweigend am Long Black.

„Verena hat dir also gesagt, du sollst die Finger von Einbecker lassen?", hakte er nach.

„Ja."

„Und du hast nicht auf sie gehört?"

„Nein."

„Und warum nicht?"

Weil Einbeckers Ruin mein Weg zum Glück ist. „Weil Einbecker Dreck am Stecken hat."

„Jeder hat Dreck am Stecken. Du, ich, wir alle", sagte Mortensen.

„Wenn du die Welt ganz alleine verbessern willst, hast du einiges vor."

Ich zuckte die Achseln. „Was ich getan habe, hat sich als richtig erwiesen."

„Und was war das eben?" Er deutete auf das rot gesprenkelte Taschentuch. „Euer Gebrüll war bis in die Coffee Lounge zu hören."

„Hansen und seine beiden Gorillas sollten mich angeblich nach draußen komplimentieren. Der Rest ist Geschichte."

„Eine sehr bedauerliche Geschichte. Die beiden werden nicht mehr lange hier arbeiten."

„Du solltest dich eher an Boris Hansen halten", merkte ich an. „Und an deine Frau."

Seine Augen verengten sich. „Was soll das heißen?"

„Ich habe gehört, wie Hansen den beiden Kerlen grünes Licht gegeben hat, so mit mir umzuspringen. Und Verena …" Ich zögerte und versuchte, Mortensens Mienenspiel zu lesen, aber es gelang mir nicht. Ich entschied mich für die diplomatische Formulierung.

„Sagen wir, sie war nicht besonders glücklich mit meiner Entscheidung, die Sache weiterzuverfolgen. Um genau zu sein, will sie mein Honorar für den Malte-Blank-Auftrag nicht bezahlen."

Mortensen musste tatsächlich grinsen. „Tja, sie macht keine Gefangenen. Darum bin ich auch so froh, dass sie nicht die Geschäfte der Konkurrenz leitet."

„Ich finde das nicht zum Lachen", beharrte ich. „Sie versucht, ein Verbrechen zu vertuschen."

„Verbrechen? Ich bitte dich. Ich will Kokain nicht verharmlosen, aber –"

„Aber es ist ja niemand zu Schaden gekommen?", fiel ich ihm ins Wort. „Einbecker hat Nina Berger die Amor-Pille untergeschoben, um sie ins Bett zu kriegen. Der Wirkstoff ist schuld, dass sie sich umgebracht hat!"

Zum ersten Mal war Mortensen schockiert. „Was?! Das ist nicht möglich."

„Ich habe Beweise. Fotos und die Aussage von Einbeckers Dealer. Ach, und was ich ganz vergessen habe: Dein sauberer Forschungsleiter bezahlt sein Koks mit geklautem Amortisol."

„Und du bist ganz sicher, dass es sich um Amortisol handelt?", fragte Mortensen. „Woher weißt du überhaupt davon? Das Projekt ist streng geheim!"

„Ich bin Privatdetektiv", sagte ich nicht ohne Stolz. „Und ja, ich bin absolut sicher. Ich würde dir die Pille vorlegen, die ich dem Dealer abgenommen habe, aber Verena hat sie vor ein paar Minuten ins Klo geworfen."

„Uff", sagte er. „Das muss ich erst mal verdauen."

Ich beugte mich vor. Heute roch Mortensen anders als sonst, fruchtiger.

„Was gibt es da zu verdauen? Einbecker hat ein Verbrechen mit Todesfolge begangen. Und Amortisol gehört nicht auf den Markt, sondern auf den Müll, bevor noch mehr Menschen ihr Leben verlieren."

Mittlerweile hatte Mortensen sich wieder gefangen. „Jetzt mal ganz ruhig, Philip. Du weißt nicht das Geringste über den Wirkstoff oder wofür er gut ist."

„Lass mich raten", versetzte ich. „In Wahrheit ist das Zeug ein Segen für die Menschheit."

Er blieb ernst. „Ja, ganz genau."

Ich schnaubte. „Schwachsinn. Das Zeug bringt Menschen um!"

„Ich weiß nicht, was zwischen Einbecker und Berger gewesen ist, aber ich weiß, was Amortisol bewirken kann. Ist dir klar, dass es Menschen gibt, die bestimmte Hormone nicht von alleine ausschütten können? Weil sie an Gendefekten leiden oder in ihrer Kindheit ein Trauma durchlebt haben, eine Vergewaltigung oder etwas Ähnliches? Diesen Menschen verspricht Amortisol bahnbrechende Erfolge. Der Wirkstoff kann gegen Autismus, Soziopathie, Depression und zig andere Krankheiten helfen. Er wird Leid verringern."

„Und Protagen viel Geld einbringen", ergänzte ich.

„Ja, auch das", bekräftigte Mortensen. „Wir arbeiten hier seit langem daran, Amortisol zur Marktreife weiterzuentwickeln. So etwas dauert Jahre und ist ein teurer Spaß. Ich lebe nun mal nicht von Luft und WLAN allein. Genauso wenig wie du."

„Gegen Einbecker habe ich auf eigene Rechnung ermittelt", rief ich ihm in Erinnerung.

„Und vorher hast du nie Geld von Protagen angenommen?"

„Mein Honorar für Malte Blank hat Verena soeben gestrichen." „Und warum stört dich das so?", fragte Mortensen zurück. „Weil Geld wichtig ist. Weil du für deine Arbeit bezahlt werden willst. Also hör auf, mir zu erzählen, dass ich das Amortisol nicht vermarkten darf."

Wenn ich gehofft hatte, dass er mir gegen Verena helfen würde – und natürlich hatte ich das –, dann wurde ich enttäuscht. Aber der Wunsch war total naiv gewesen. Sie war schließlich seine Frau. „Gilt das auch, wenn es Menschenleben gefährdet?", fragte ich bitter. „Und nein, es geht nicht um Nina Berger. Es geht um die Opfer des Emonarizin, aus dem Amortisol hervorgegangen ist."

Es war bloß eine Ahnung, ein Bauchgefühl. Aber dann entgleisten Mortensens Gesichtszüge, und ich wusste, ich hatte ins Schwarze getroffen. Jetzt verstand ich auch, warum Protagen Stu-dyOne gekauft hatte: Nicht weil Einbecker ein so brillanter Wissenschaftler war, sondern weil ihm das Patent auf Emonarizin gehörte. Möglicherweise war Einbecker nur deshalb Forschungsleiter geworden, weil er clever verhandelt hatte.

„Ich weiß, dass Einbecker vor zwei Jahren Patientenstudien mit Emonarizin gefälscht hat", sagte ich müde. „Ich habe damals versucht, es ihm nachzuweisen, aber … Unter den Patienten gab es mehrere Fälle von gravierenden Stimmungsschwankungen und aggressiven Ausbrüchen, sogar einen Suizid. Es war hässlich."

„Unmöglich", sagte Mortensen. „Einbecker hat mir die Originaldaten aller Emonarizin-Studien übergeben. Sie enthalten nichts dergleichen."

„Natürlich nicht. Weil er diese Patienten heimlich in die PlaceboGruppe verschoben hat."

„Und du glaubst, dass das Amortisol die gleichen Nebenwirkungen haben könnte?"

Ich dachte an eine Katze, die an Erbrochenem leckt. „Ja."

Mortensen fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Auch ihm ging es wohl nicht besonders. „Kannst du das denn beurteilen? Woher hast du überhaupt deine Informationen? Kannst du sie mir zugänglich machen?"

„Nein. Ich weiß nicht. Vielleicht." Mortensen hob die Augenbrauen, und ich ergänzte: „Ich werde es versuchen."

„Tu das." Er hielt es nicht mehr auf dem Sitz aus und begann, auf und ab zu laufen. „Ruf mich an, sobald du etwas für mich hast. Ganz egal, wann. Brauchst du noch Kaffee?"

Ich tippte mit dem Fingernagel gegen meine halb volle Tasse. „Danke, nein."

„Ich meinte gemahlenen Kaffee. Für zu Hause."

Ich runzelte die Stirn. „Keine Ahnung. Im Moment habe ich andere Sorgen."

„Wieso? Es ist schließlich meine Firma, mein Wirkstoff."

„Das ist mir klar", sagte ich. „Ich sorge mich wegen Verena." Mortensen blieb stehen. „Keine Angst", sagte er nach einem Moment des Nachdenkens. „Ich sorge schon dafür, dass du dein Geld bekommst."

„Darum geht es nicht. Nichts für ungut, aber deine Frau hat mich verprügeln lassen, als es nur um Einbeckers weißes Pulver ging.

Was wird sie mit mir machen, wenn sie erfährt, dass meine Informationen die gesamte Firma bedrohen könnten?"

„Ich kenne Verena besser als jeder andere, und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie den Auftrag gegeben hat, dich so zu behan–"

„Hat sie aber", unterbrach ich Mortensen. „Es steht eine Menge auf dem Spiel, das hast du selbst gesagt. Und sie hat keinen Hehl daraus gemacht, auf wessen Seite sie ist."

„Gut, dann werde ich sie eben davon überzeugen müssen, dass der Zweck nicht die Mittel heiligt. Ich will den Menschen helfen und sie nicht umbringen."

Ich sah ihn schweigend an.

„Du glaubst mir nicht", sagte er. „Aber weißt du was? Es ist mir scheißegal. Vertrau mir oder vertrau mir nicht, ganz wie du willst. Doch ich unternehme nichts, bevor du mir nicht deine Unterlagen gegeben hast. Ich stampfe unter Garantie keine komplette Wirkstoffreihe ein, nur weil du mich darum bittest."

„Und wie geht es jetzt weiter?"

„Du gehst erst einmal nach Hause und schläfst dich aus. Mit Verlaub, du siehst beschissen aus. Morgen kümmerst du dich dann um die Unterlagen, und Verena übernehme ich. Wir kriegen das schon hin, Philip."

Ich glaubte ihm.

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Mein hoffnungsfrohes Gefühl hielt exakt so lange an, wie ich brauchte, um das Gebäude zu verlassen. Ich hörte meinen Namen, drehte mich kampfbereit um und stellte fest, dass mir nicht Pansen oder seine Handlanger auflauerten, sondern ein hagerer Typ im Rollkragenpulli. Im Schlepptau hatte er eine Frau im Oberstufenalter, deren Begeisterung über ihren Auftritt hier vermutlich ihrer Bezahlung glich, nämlich nicht vorhanden war. Der Rollkragenmann warf seine Kippe weg und stürzte auf mich zu. „Herr Strasser, ein paar Antworten für unsere Leser?"

Ich sah ihn irritiert an. „Leser? Und woher kennen Sie meinen –"

„Morgenpost. Müller, angenehm. Ich will Ihnen die Gelegenheit geben, ein paar Dinge geradezurücken."

Darüber, mit meinen Informationen an die Öffentlichkeit zu treten, hatte ich noch gar nicht nachgedacht. „Ich weiß nicht …"

„Perfekt. Dauert auch nicht lange. Judith, hast du sein Gesicht?"

„Ja, verdammt", murrte die Frau und richtete ihre HD-Kamera von meinem Oberarm auf meinen Kopf aus. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meiner Magengrube aus. Ich im Mittelpunkt und so weiter.

„Ist die Kamera wirklich nötig?"

„Maßgabe von der Redaktion. Mehr Content für unsere Internetpräsenz oder wie die Affen aus dem Marketing unsere Webseite nennen." Ich schmunzelte, und er nutzte die Gelegenheit, um zum Angriff überzugehen. „Also, Herr Strasser, warum verfolgen Sie einen unbescholtenen Wissenschaftler auf Schritt und Tritt?"

Man kann das Video immer noch im Netz anschauen. Ein einziges Mal habe ich es über mich gebracht, auf Play zu klicken und mir anzusehen, wie mir auf seine Frage hin alles aus dem Gesicht fällt. Ich sehe wirklich bescheuert aus. Die geschwollene Lippe mit den Blutresten macht mich kein Stück seriöser.

„Wie … Woher …?", stammelte ich.

„Ist das Teil Ihres Rachefeldzugs gegen Herrn Einbecker?"

„Was? Nein! Ich weiß überhaupt nicht –"

„Dann gibt es ihn also? Ihren Rachefeldzug? Oder wie erklären Sie sonst die Wanzen an seinem Auto?"

„Es waren keine …" Gerade noch rechtzeitig erwachte ich aus meiner Schockstarre und fing an nachzudenken. „Es war kein Zufall, dass Sie auf mich gewartet haben! Wer hat Sie geschickt – Breiling?" Natürlich, wer sonst? Nur eine Handvoll Personen wussten von dem Sender unter Einbeckers Bodenblech, und wie viele von denen hatten gute Kontakte zum Boulevard?

„Selbst wenn es so wäre, würde ich es nicht sagen. Das verstehen Sie sicherlich." Er machte Anstalten, mir auf die Schulter zu klopfen. Ich sah ihn mit all der Verachtung an, die ich für ihn und seinesgleichen empfand, und er zog die Hand wieder zurück.

„Ich will weder mein Bild noch meinen Namen in Ihrem Blatt sehen, klar?", schärfte ich ihm ein. „Das ist mein gutes Recht!"

„Dasselbe Recht, dass Sie bei Einbecker geflissentlich ignoriert haben?"

Wortlos ließ ich ihn stehen.

Er eilte mir nach. „Kommen Sie, Strasser. Ein kurzer O-Ton, mehr will ich gar nicht von Ihnen."

„Kein Interesse."

„Es könnte die einzige Gelegenheit sein, Ihre Version der Geschichte zu erzählen."

„Sie veröffentlichen doch sowieso, was Ihrer Gönnerin gefällt."

„Sie haben mein Wort. Also? Aus Respekt vor einem Kollegen? Wir versuchen doch beide, die Wahrheit ans Licht zu bringen."

Ich blieb abrupt stehen und stieß ihm meinen Zeigefinger vor die Brust. „Wagen Sie es ja nicht, uns beide über einen Kamm zu scheren! Sie ruinieren Menschen. Ich helfe ihnen."

Er lachte und krümmte die Finger spöttisch zu Gänsefüßchen.

„‚Helfen‛? Hat Einbecker sich schon für Ihre ‚Hilfe‛ bedankt?" Er wurde wieder ernst. „Sparen Sie sich das Weltverbesserergehabe, Strasser. Sie helfen als Erstes sich selbst, wie alle anderen auch. Dann kommt lange Zeit gar nichts, und dann vielleicht irgendwann ihre Klienten. Aber Einbecker haben Sie auf eigene Faust nachgeschnüffelt, oder etwa nicht?"

Er war nicht besonders gut darin, Leute auszuhorchen. Trotzdem musste ich höllisch aufpassen. Er hatte mich eben fast überrumpelt und mit seinen Bosheiten brachte er mich immer höher auf die Palme. „Das Gespräch ist beendet", sagte ich. „Wenn mein Name oder mein Foto in Ihrer Zeitung landet, dann knöpfe ich mir Ihren Redakteur vor. Und Sie wissen ja – Scheiße rollt immer nach unten." Wieder kehrte ich ihm und seiner Kameramieze den Rücken zu und ging davon.

Diesmal lief er nicht neben mir her. Stattdessen vertrat er mir mit zwei schnellen Schritten den Weg. „Okay", sagte er gedämpft, „dann eben anders. Wenn Sie mir nichts geben, was ich schreiben kann, zwingen Sie mich, das zu nehmen, was ich habe." Müller hob die Augenbrauen. Es wäre der perfekte Zeitpunkt gewesen, zu schweigen und seine Drohung wirken zu lassen. Er entschied sich fürs Reden. „Und was das ist, können Sie sich vielleicht ausmalen."

„Sie erpressen mich?", fragte ich.

„Wie bitte?" Er hob abwehrend die Hände. „Ich weiß nicht einmal, wie man das schreibt. Ich plaudere bloß beiläufig über die Zwänge, denen ich ausgesetzt bin: zu füllende Spalten, Redaktionsschluss …"

Ich beugte mich vor und knurrte: „Wenn du glaubst, dass mir eine Schmutzkampagne mehr oder weniger etwas ausmacht, dann liegst du falsch. Kein Wort kriegst du von mir. Und was du auch schreibst, am Ende läuft es doch nur auf kostenlose Werbung für mich hinaus." Damit ließ ich ihn zum dritten und endlich letzten Mal stehen.

„Wir werden sehen", rief Müller mir nach.

Im Laufen drehte ich mich noch einmal um.

„Ach, und Müller: Ein unwahres Wort über mich und wir sehen uns vor Gericht."

Er erwiderte etwas, aber ich hörte nicht mehr zu. Es geht doch nichts über das Gefühl, das letzte Wort zu haben.

Mein Wagen stand auf dem Besucherparkplatz. Ich ging daran vorbei und verließ Gelände. Das Letzte, was ich im Moment brauchte, war, dass die beiden Knalltüten ein Bild von meinem grauen Golf in die Zeitung brachten; am besten noch mit absichtlich schlecht verpixeltem Kennzeichen, um mir eins auszuwischen.

Ich lief die Straße entlang, bis ich von der Ausfahrt aus nicht mehr zu sehen war, dann rief ich mir ein Taxi. Während des Wartens vermied ich es, den Leuten in den vorbeifahrenden Autos in die Augen zu sehen. Zum Glück hielt keiner an und fragte nach dem Preis. Endlich stoppte ein beigefarbener Mercedes. Ich stieg ein und bat den Mann am Lenkrad, einmal um das Protagen-Gelände herumzufahren.

Er trat gleich wieder auf die Bremse. „Und dafür bin ich extra hier rausgekommen? Am Telefon hieß es, es geht in die Innenstadt."

Natürlich, sonst hätte er sich schließlich nicht auf den Weg hierher gemacht. Ich hielt ihm einen Zwanziger hin. „Reicht das als Entschädigung?"

Er musterte mich im Rückspiegel und schüttelte den Kopf. „Kann ich nicht machen. Die Zentrale weiß zu jeder Zeit, wo ich bin, und daher …"

Ich reichte noch zwei Scheine nach vorne. Er zögerte kurz, gab dann Gas und ordnete sich auf der Rechtsabbiegerspur ein.

Nachdem wir zweimal um den Block gefahren waren, setzte er mich an der gleichen Stelle ab, wo er mich aufgelesen hatte. Auf dem Weg zu meinem Auto hielt ich die Augen offen, aber weder von den Reportern noch vom Werkschutz war das Geringste zu sehen. Ich nahm es als Zeichen, dass meine Pechsträhne endlich zu Ende war.

Oder auch nicht.