Epilog

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Mit einem Ruck fuhr Goren hoch und sah sich erstaunt um. »Ich bin nicht tot?«

»Nein«, sagte eine weibliche Stimme, und Marela die Sanfte kam an sein Bett. Sie reichte ihm eine Schale mit einer milchigen Flüssigkeit, die leicht dampfte.

Goren betrachtete sie misstrauisch, aber dann trank er gehorsam, denn er wusste, dass es besser war, keinen Widerstand zu leisten. Tatsächlich merkte er, wie seine Lebensgeister rasch zurückkehrten. Aber auch die Erinnerungen. Er fuhr sich durch die schwarzen Haare und stützte den Kopf auf. »Habe ich geträumt, oder ist das wirklich alles passiert?«

»Es ist alles wahr, Goren. Und du erinnerst dich an alles.« Sie legte eine Hand auf seinen Arm, als er zu ihr aufsah und sich seine Augen mit Tränen füllten.

»Also ist Großvater wirklich tot ...«, flüsterte er. 

Marela nickte. »Ja, Goren. Es tut mir leid. Wir haben ihn balsamiert und werden ihn ehrenvoll bestatten, wenn wir zur Ruhe gekommen sind. Aber ... wenigstens hat Ruorim ihm einen schnellen Tod gewährt. Er hat wohl nichts mehr gespürt. Und als wir ihn fanden, war sein Blick gebrochen, aber sein Gesicht sah friedlich aus. Er hat gelächelt ...«

Goren schluckte. »Doch mein Vater ... was habe ich da nur getan ...«

Als er sich nicht mehr beherrschen konnte, rückte Marela ganz dicht zu ihm, barg seinen Kopf in ihren Armen und drückte ihn an ihre Brust. Schweigend wiegte sie ihn, bis er sich wieder beruhigte und von ihr löste.

»Ich will das nie wieder zulassen«, stieß er heiser hervor. »Es ist so leicht, von Rache und Töten zu sprechen, aber es dann auch wirklich zu vollenden, ist etwas anderes. Ich habe ihn in kalter Wut getötet, voller Berechnung, nur aus blindem Hass heraus. Aber das war nicht richtig, denn es macht die Toten nicht mehr lebendig und bringt mich nur der Dunkelheit näher. Er war trotz allem mein Vater, und er ... auf seine seltsam verdrehte Weise hat er mich geliebt, glaube ich. Er hätte mich töten können, aber er tat es nicht ...«

»Du hast ihn auch nicht getötet, Goren«, sagte Marela sanft. »Ich habe es mit meiner Hellsicht gesehen. Du hast ihm gegeben, wonach er gestrebt hat. Einen anderen Weg gab es nicht, entweder er oder du. Und denk dran, was er deiner Mutter angetan hat, weil er sie nicht loslassen konnte. Du hast sie erlöst. Und Ruorim hat nun auch seinen Frieden gefunden, denke ich. Ich glaube, nachdem er alles verloren hatte und wusste, er würde seine Ziele nie mehr erreichen, hat er es sich so gewünscht.«

»Jetzt habe ich niemanden mehr ...«

»Red keinen Unsinn, Kind. Gewiss, deine Familie ist dahin. Aber du hast sehr, sehr viele Freunde. Und du hast Drakenhort. Du hast eine große Geschichte geschrieben, und jetzt wirst du eine neue beginnen.«

Goren schüttelte den Kopf. »Ich habe Drakenhort? Was sollte ich damit?«

Die ältere Frau lachte. »Goren, dem kannst du nicht entkommen. Du trittst zugleich das Erbe deines Großvaters, deiner Mutter und deines Vaters an, du bist der reinblütigste Drakhim von allen. Darmos hat zudem Anweisungen hinterlassen, wie zu verfahren ist, also gibt es nicht den geringsten Zweifel, wer die Nachfolge antreten wird. Glaub mir, niemand wird dir dein Anrecht streitig machen. Im Gegenteil, alle erwarten von dir, dass du dich auf den Thron setzt. Du bist nun das Vorbild der Drakhim. Sie setzen große Hoffnungen in dich.«

»Bei allen Trollfürzen, da werden sie aber eine Überraschung erleben.« Goren winkte ab. »Berichte mir lieber, wie steht es denn überhaupt? Ich habe das Ende irgendwie nicht mehr mitbekommen.«

»Drakenhort ist gerettet«, antwortete Marela lächelnd. »Ruorims Tod war bis hierher spürbar und hat die letzten marodierenden Truppen verjagt, die immer noch nicht aufgeben wollten. Nadel hat sein verdientes Ende gefunden, durch Schattenwanderers Hand.«

Goren lauschte in sich hinein. »Ich habe die Magie wirklich verloren«, sagte er staunend. »Ich glaube, ich kann nicht einmal mehr mit dem Wind sprechen ...«

»Oh, ich glaube, dieses Talent wirst du nie gänzlich verlieren«, erwiderte Marela. »Eines Tages wirst du wieder der Windflüsterer sein. Aber bis dahin solltest du es genießen, ein Mensch zu sein, jung und gesund, an Leib und Seele. Und frei bist du gewissermaßen auch, sieht man einmal von der Bürde Drakenhorts ab, die du bald tragen wirst. Aber du brauchst ja die Verantwortung, du großer Held und starker Krieger, sonst hättest du dich von Anfang an darum gedrückt. Genau dafür hat deine Mutter dich erzogen. Und du wirst natürlich auch schnell Gefallen daran finden, andere herumzukommandieren.«

»Fang nicht wieder damit an!«

Goren hatte sich immer gewünscht, die Magie loszuwerden. Nun aber, da es soweit war, fühlte er sich seltsam taub und leer. In seinem Inneren war eine große Lücke, an die er sich erst gewöhnen musste. Er hatte es sich einfacher vorgestellt. Seine gesamte Wahrnehmung war verändert, geradezu verschoben. Als würde er ganz neu lernen zu sehen, zu riechen, zu hören und zu schmecken. Zu fühlen. Wie neugeboren. Es war aufregend und erschreckend zugleich.

»Ich lasse dich jetzt allein«, sagte Marela und stand auf. »Komm, wenn du bereit bist – du wirst sehnsüchtig erwartet.«

»Ja, bald«, murmelte er.



Goren schlummerte noch einmal ein, aber schließlich trieb ihn das schlechte Gewissen doch aus dem Bett. Nun ja, diese eine öffentliche Begegnung würde er schon überstehen. Er konnte so eine Handlung durchaus einmal durchführen, schließlich war er nicht unschuldig an dem ganzen Geschehnis. Und dann würde er jemanden suchen, der alles übernahm, und nichts wie weg. Irgendwohin in die Welt, immer der Nase nach, wie er es sich als Kind erträumt hatte. Frei durch die Lande ziehen und sich um nichts scheren.

Goren schwang die Beine aus dem Bett, war aber ein wenig unsicher, als er aufstand. Doch es ging ihm gut. Die leichten Wunden waren behandelt und heilten bereits, und die verlorene Lebenskraft kehrte schnell zurück. Als sich der junge Mann jedoch im Spiegel betrachtete, erschrak er, weil er sich kaum wiedererkannte. Sein Gesicht war glatt und jung, doch in seinen alt gewordenen Augen lag immer noch die Erinnerung.

Vor allem daran, dass er sich selbst aufgegeben hatte.

Ich hatte keinen Willen mehr, erinnerte er sich erschüttert. Warum bin ich noch am Leben? Ich weiß, ich wollte meiner Mutter folgen und war schon auf halbem Wege.

Er wusch sich und kleidete sich an, die Sachen, die Marela ihm hingelegt hatte. Keine Rüstung, nicht einmal ein Waffengürtel. Der Stoff des Wamses war aus feinstem Samt, Hemd und Hose aus Seidenwolle, alles in Blautönen aufeinander abgestimmt. Neue Stiefel. Und ... ein Wappenhemd, weiß mit goldenem Drachenkopf.

Als er fertig war, betrachtete er noch einmal sein Abbild im Spiegel. Bin ich froh, am Leben zu sein?

Holzkopf, antwortete der Spiegel. Natürlich bist du das. Du bist jung, mit einer jungen Seele, ohne den Schatten einer alten. Du bist erfahren und weise für dein Alter, aber du hast eine Zukunft. Es liegt an dir, das Beste daraus zu machen.

Goren seufzte und verließ das Gemach. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es das Fürstengelass war, in das sie ihn gebracht hatten.

Auf dem Gang stand eine Wache, was Goren gerade recht kam. Der Mann grüßte ihn ehrerbietig, aber er wehrte ungeduldig ab. »Ich hatte da ein paar Sachen«, sagte er. »Eine verbeulte alte Rüstung, einen blutverschmierten Drachenschild und ein protziges Ritualmesser. Such mir das Zeug zusammen und bring es in den Thronsaal, dort legst du es dann in der Nähe des Throns ab, aber so, dass es keiner sieht. Dann nimm wieder deinen Posten ein, oder was du sonst zu tun hast.«

Der Mann salutierte, und Goren ging weiter. Das hat Spaß gemacht, dachte er und grinste fröhlich. So gut hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Ja, es war gut, am Leben zu sein.



Der Thronsaal war voll, und Goren war nun doch erschrocken. So viele große und edle Leute, und alle warteten auf ihn!

»Es ... tut mir leid, dass ihr so lange warten musstet ...«

»Ach, Unsinn, Marela hat uns in Kenntnis gesetzt, dass du erwacht bist, und da sind wir alle hergekommen.« Buldr Rotbarts dröhnender Bass war unverkennbar, und er drängte sich rücksichtslos durch die Menge. »Wie schön, dich so wohlauf zu sehen, Junge! Lass dich umarmen.«

Die edlen Herren und Damen warteten geduldig, als der Zwerg Goren an seiner breiten Brust halb zerquetschte, und dann war Hag der Falke dran, der nicht hintenan stehen wollte, gefolgt von Wolfur Grimbold, der nicht übersehen werden konnte, und dann ...

»Menor!«, rief Goren. »Du lebst?« Unwillkürlich wurden seine Augen feucht, als er den Freund behutsam in die Arme schloss.

»Ja, meine Knochen sind stabiler als gedacht«, sagte der junge Mann, der noch dünner geworden schien; gut bewegen konnte er sich nicht, ein Arm und ein Bein waren geschient, der Kopf bandagiert, und ebenso die Brust. Aber in seinen Augen lag wieder Glanz und Lebensfreude. »Ich bin so glücklich, dass du auch noch lebst, Goren, dann war wenigstens nicht alles umsonst.«

Goren nickte, dann sagte er: »Bitte setzt euch, Freunde, und entschuldigt mich für einen Moment, wir lassen Könige warten ...«

Verlegen näherte er sich den hohen Herrschaften, die in einer Gruppe neben dem Thron standen: Herzog Olerich aus den Mittellanden, Scharfzahn von Dornkralle mit Hauptmann Chakk von den Trollen, König Haldrin aus Arkenstein, Lord Taranwil und Lady Derwyn aus dem Südreich, der Clansführer der Schneeadler, Fürst Hugvin aus den Nordbergen, der eine ältere Ausgabe seines Sohnes Hag war, und zuletzt der Kriegerfürst Schattenwanderer von den Nyxar.

Bevor Goren etwas sagen konnte, ließen sie ihn hochleben und schüttelten ihm nacheinander die Hand; ihre Mienen, selbst die der kühlen distanzierten Elfen, waren gelöst.

»Was unmöglich erschien, habt Ihr fertiggebracht, junger Drakhim«, sprach Herzog Olerich dann für alle. »Alle Völker noch einmal in einem Raum vereint, trotz des Zerfalls des Bundes, und der Krieg ist vorerst abgewendet.«

»Und die Drakhim werden ihre Tore öffnen und behilflich sein, wohin sie gerufen werden«, sagte Goren mit rauer Kehle. »Vielleicht ist dies ein Neubeginn für uns alle, frei von den Göttern, frei von allen Bestimmungen. Es liegt an uns, wie wir unsere Welt von nun an gestalten – Blaeja, das Reich zwischen den Schleiern.« Wenn Derata dies nur erlebt hätte! Er freute sich, dass ihr Traum in Erfüllung gegangen war.

»Ja, dann werden wir aufbrechen, denn es gibt für uns alle viel zu tun. Wir bleiben in freundschaftlicher Verbindung, Goren, Herr von Drakenhort.« Der Herzog schüttelte ihm noch einmal die Hand und machte Platz. 

Als Nächster kam Scharfzahn an die Reihe, und Wolfur Grimbold stellte sich an seine Seite, breit, aber verlegen grinsend.

»Das war ein erstaunliches Abenteuer«, stellte der Orkherrscher fest. »Jederzeit wieder, junger Freund.«

»Wolfur, du gehst nach Dornkralle?«, fragte Goren neugierig.

An seiner Stelle antwortete Scharfzahn: »Ja, er hat gar keine andere Wahl, ich habe ihn verpflichtet. Denn irgendwie ist mir mein bisheriger Schmied abhanden gekommen.«

Wolfur schenkte Goren noch eine letzte gefürchtete Bärenumarmung und lachte, dass der Saal bebte. Vor dem ehemaligen Sklaven, einer einst ausgestoßenen Missgeburt, lag eine aussichtsreiche Zukunft. »Besuch mich mal!«, rief er.

Nacheinander verabschiedeten sich alle, und Goren war wie betäubt. So viel stürmte auf ihn ein, das er erst verdauen musste. Er hatte sich das einfacher vorgestellt, gleich nach dem Zeremoniell zu verschwinden. Wie es aussah, konnte er dem Thron nicht entkommen. 

Nun, für ein oder zwei Jahre konnte er es ja machen. Er war jung, er konnte auch später noch losziehen. Schließlich hatte er die ganze Sache ins Rollen gebracht, da war es vielleicht doch nicht so gut, sich gleich wieder aus dem Staub zu machen.

Der Lord und die Lady der Elfen reichten ihm die Hand. »Wir werden Weylin nach Hause geleiten und ihr dort die Bestattung nach unseren Sitten gewähren«, sagte die Lady. »Sie war unsere Tochter, trotz allem.«

»Darüber bin ich froh«, gestand Goren. »Denn sie war unsere Leidensgefährtin aus dem Tal der Tränen, und eine Freundin, bis sie der Dunkelheit in sich freien Lauf ließ. Ich glaube, dass Menor darüber glücklich sein wird, denn er hat sie aufrichtig geliebt, auch wenn sie es nie erwiderte.«

»Das wissen wir, und vor allem deswegen können wir ihm keinen Vorwurf machen, was er getan hat. Er hat seine Liebe geopfert, im Dienst einer höheren Sache«, sagte der Lord. »Das ist sehr mutig und edel. Wir haben ihn eingeladen, zur Bestattung mit uns zu ziehen, doch er hat abgelehnt.«

Goren war erstaunt, hielt es aber für eine kluge Entscheidung. Er konnte sich Menor im Reich der Elfen nicht vorstellen, und wahrscheinlich waren diese auch nicht unglücklich über seine Absage. Doch es war eine sehr großzügige Geste, ihn einzuladen, und nur darauf kam es an.

Da wurden sie unterbrochen.

Schlagartig trat Stille ein, als noch jemand den Saal betrat, und das bemerkte umgehend jeder und wandte sich dem Eingang zu.

Alle wussten sofort, wer diese hoheitliche Erscheinung in königlichen Gewändern war, eine schmale, hochgewachsene Frau von ätherischem Aussehen, mit hüftlangem glatten, schwarzroten Haar. Ihre langen Ohren mit den elegant geschwungenen Spitzen, ihre glutvollen Augen, die mondbleiche Haut. Es gab nur eine Frau wie sie.

Sie betrat den Saal, und es sah aus, als würde sie nur dahingleiten. Sie neigte kurz den Kopf zu Goren, nickte grüßend in die Runde, und wandte sich dann Schattenwanderer zu, während alle sich spontan und verdattert vor ihr verneigten.

»Ich wusste, Ihr würdet mich als Einzige nicht um Unterstützung bitten, mein Gemahl«, sagte sie ohne Begrüßungsformel zu ihm, der ungewöhnlich schnellen Schrittes auf sie zueilte. »Deshalb bin ich von selbst gekommen.«

»Ich wollte Euch nicht kompromittieren, Hochedle« , antwortete er und verneigte sich vor ihr. »Eure Weitsicht und Euer Mut verdienen höchste Achtung und Ehren, und wir verdanken Euch unseren Sieg.«

»Nun, unser Werk ist getan, dies ist bereits der Abschied, noch bevor wir ein gegenseitiges Willkommen aussprechen konnten.« Fürstin Rotmond neigte erneut leicht den Kopf in die Runde. »Es war mir ein Vergnügen, noch einmal mit den anderen Völkern zusammen gegen den Feind anzutreten. Wir werden uns nun wieder zurückziehen. Aber seid versichert: Der Bund mag beendet sein, doch er ist nicht vergessen.«

Schattenwanderer bot der Herrscherin der Nyxar seinen Arm an und geleitete die hohe Frau nach draußen, während alle Anwesenden, einschließlich der Elfen, immer noch sprachlos gafften.

»Ihr solltet auch bald kommen«, sagte sie zu ihm auf der Schwelle, während sie ihren Arm von ihm löste. »Unsere jüngsten Kinder vermissen Euch. Ich vermisse Euch.«

»So wie ich Euch«, raunte er. »Aber …«

»Es ist vielleicht an der Zeit umzudenken«, unterbrach sie. »Die Erzmagier sind nach all dem demütiger geworden. Bringt ihnen das Grimoire zurück, und sie werden Euch dafür danken.«

»Ich werde darüber nachdenken«, murmelte er.

»Ich möchte, dass Sichelschatten endlich zurückkehrt«, fuhr Rotmond fort und berührte kurz seine Wange. »Ich möchte meinen Thron mit Euch teilen. Die Drachen werden gehen, und damit übernehmen wir Mächtigen eine besondere Verantwortung, was aus Blaeja wird. Das wissen auch die Erzmagier. Lasst es uns wenigstens versuchen und eine gemeinsame Konferenz einberufen, mein Gemahl.«

»Gut. Ich werde kommen«, versprach er. »Wäre es sehr störend, wenn ich einen Gast mitbringen würde?«

Sie musterte ihn und wirkte fast amüsiert. Dann bewegte sie leicht verneinend den Kopf. »Keineswegs. Für Eure Freunde stehen unsere Tore immer offen.«

»Also erwartet meine baldige Rückkehr, meine Fürstin«, schloss er und hob kurz ihre Hand zu seinen Lippen.



Schattenwanderer kam zurück, und Goren wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Der Kriegerfürst half ihm jedoch: »Wir sprechen uns nachher, Goren. Verabschiede zuerst deine Freunde, denn sie werden mit den anderen ziehen ... zumindest fast alle.«

Da musste Goren schlucken. Auf einmal ging alles so schnell. Er ging zu den Freunden, die geduldig bei Schwarzbier und einer Platte Rauchfleisch gewartet hatten. »Ihr bleibt nicht länger?«

Hag sah bekümmert drein. »Mir fällt es sehr schwer, Goren, aber mein Vater drängt darauf, dass ich Linns Ehre wiederherstelle, und deshalb muss ich gleich mit ihm fort.«

»Hm?« Goren machte ein ratloses Gesicht. Buldr allerdings grinste breit über seinen buschigen Bart hinaus.

Hag kratzte sich verlegen den blonden Schopf, aber seine blauen Augen blitzten glücklich. »Linn, na ja, wir hatten uns heimlich verlobt, gegen den Willen meines Vaters, der eine Andere für mich ausgesucht hatte. Um seinem Zorn zu entgehen, bin ich fortgelaufen, in diese Geschichte geraten und jetzt hat er mir gesagt, dass Linn ... na ja ... also, wir haben eine Tochter.« Er wurde rot, irgendwie schien er es noch nicht fassen zu können.

Goren und Menor starrten ihn an, als wäre er ein Geist, dann brachen sie in Gelächter aus, klopften ihm auf die Schulter und beglückwünschten ihn. Buldr, der zuvor schon die richtigen Schlüsse gezogen hatte, schloss sich an.

Hag hob die Schultern. »Eigentlich sollte ich mich jetzt mit euch betrinken, aber dann bringt mich mein Vater doch noch um. Ich weiß nicht, wie Linn es geschafft hat, ihn umzustimmen, aber ich glaube, er … ja, er war unglücklich darüber, wie wir auseinander gegangen sind. Außerdem hat meine Mutter ihm die Hölle heiß gemacht.«

Goren und Menor lachten immer noch. »Ich bin stolz auf dich!«, sagte Menor. »Mögen Söhne folgen, für die Goren und ich dann Pate stehen dürfen, und Buldr ...«

»Genug!« Hag wehrte lachend ab. »Ich will kein Heer, eine kleine Familie tut es auch.«

Das brachte Goren auf den nächsten Abschied. »Was wirst du tun, Menor? Bist du denn überhaupt soweit, zu reisen?«

»Ja, ich denke schon. Marela ist eine großartige Heilerin, und Sternglanz erst recht. Und mein Reisegefährte will bald los, ich habe also gar keine Wahl.«

»Von wem sprichst du?«

»Von mir.«

Goren fuhr herum und starrte Schattenwanderer entgeistert an. »Du und Menor?«

»Schlimmer als eine Klette, dieses dünne Elend«, sagte der Fürst. »Aber ich habe mich an seine schauderhafte Poesie gewöhnt, also werde ich ihn notgedrungen eine Weile mitnehmen, bis ich ihn Kopf voran in den Sumpf stecke und dort verrotten lasse, damit er endlich sein vorlautes Mundwerk hält.«

»Das ist mir einen Krug wert! Hört, hört!«, rief Buldr, hob den Krug an die Lippen und leerte ihn in einem Zug. Menor sah ihm pikiert dabei zu.

Goren wandte sich Menor wieder zu. »Damit ist deine Diebeskarriere wohl endgültig beendet?«

Der Dünne grinste. »Als Poet bin ich sowieso viel begabter. Du wirst bestimmt bald eine Veröffentlichung von mir sehen, Goren.«

»Halte dich nicht allzu lange auf, Goren«, sprach Schattenwanderer dazwischen. »Dreyra erwartet dich, und dann will ich mich verabschieden. Manche Dinge sollten nicht aufgeschoben werden.« Er drehte sich um und ging hinaus auf den großen Balkon.

Doch ein Abschied blieb zuvor noch. »Buldr, wirst du mit König Haldrin nach Arkenstein gehen?« Gorens Stimme klang kummervoll, er konnte sich nicht mehr beherrschen. Über ein Jahr waren sie füreinander da gewesen, und nun war alles vorbei. Die einzigen und besten Freunde, die er je gehabt hatte.

Der Zwerg nickte. »Ja, Goren. Ich muss. Ich habe schließlich jede Menge Trümmer hinterlassen – zweimal. Wenigstens Aldridge lebt noch, aber ihm ist ziemlich übel mitgespielt worden. Er braucht mich jetzt, das bin ich ihm schuldig. Und ich muss einen Weg finden, Frieden mit meiner Familie zu schließen.«

»Ja, natürlich.« Goren sah ein, dass es besser so war. »Und was sollen auch ein paar Tage hin oder her, nur um den Abschied hinauszuzögern. Das macht es nicht leichter. Wir werden uns doch alle wiedersehen, nicht wahr?«

Das bekräftigten die drei lautstark und stießen ein letztes Mal miteinander an, zumindest symbolisch, was Buldr betraf, der deswegen ein wenig unglücklich dreinblickte.

Goren stand auf und winkte ihnen. »Kommt mit, ich habe noch etwas für euch, bevor ihr aufbrecht.« Sie folgten ihm verwundert zum Thron, und dort fand Goren wie befohlen das Gewünschte vor. Das gefällt mir, dachte er. Ich könnte mich schon daran gewöhnen.

Er hob den Drachenschild auf und hielt ihn Hag hin. »Für dich. Möge er dich und deine Familie schützen und eine Erinnerung sein an das, was war.«

Hag nahm den wertvollen Schild verdutzt und öffnete den Mund, aber Goren kam ihm zuvor: »Kein Dank, kein Zögern, kein Ablehnen. Ich will das Zeug loswerden, das ist alles. Ich könnte es auch einfach aus der Festung werfen, aber ich gebe es lieber euch. Ich will es nicht mehr haben, also nehmt es und werft es selbst irgendwo weg, wenn ihr es nicht wollt.«

»Also gut.« Hags tiefblaue Augen leuchteten auf. »Ich werde dieses kostbare Geschenk in Ehren halten und an dich denken, wenn ich meinen Enkeln von diesen ruhmreichen Tagen erzähle.«

Menor wurde Blutfinders Ritualdolch überreicht. »Das Passende für dich, für alle Zwecke zu gebrauchen. Nicht zu groß, damit du dich nicht aus Versehen selbst verletzt. Und es schützt dich vor magischen Einflüssen. Nützlich bei den Abenteuern, in die du dich stürzen willst. Du wirst schon mit der Zeit herausfinden, wozu der Dolch taugt.«

»Uff«, machte Menor. Mehr brachte er vor Erstaunen und Rührung nicht heraus.

Goren lächelte Buldr an. »Du ahnst gewiss, was ich dir geben will.« Er hob den Brustpanzer der Rüstung Silberfeuer hoch. »Dies war nur eine Leihgabe. Es ist ein Teil der Zwerge, Buldr. Du wirst wissen, was damit geschehen soll. Ich kann nur dafür danken, dass ich die Ehre hatte, Silberfeuer eine Weile tragen zu dürfen. Nicht zuletzt hat sie meine Mutter befreit.«

Buldr nickte ungewohnt ernst. »Ich habe dir zu danken, Goren, für deine Großzügigkeit. Das ganze Volk der Zwerge steht in deiner Schuld.«

»Unsinn.« Goren winkte ab. »Hören wir auf damit, sonst werden wir nie fertig.« Traurig fügte er hinzu: »Ich werde euch vermissen.«

»So wie wir dich«, brummte Buldr. »Aber wir bleiben in Verbindung, und wir werden uns wiedersehen. Du hast jetzt genug mit dir selbst zu tun, da würden wir nur stören. Jeder von uns hat einen neuen Lebensabschnitt vor sich, und das ist ein gutes Ende für diese Geschichte.«

Sie umarmten sich ein letztes Mal, dann schieden sie voneinander.



Goren hatte ein seltsames Gefühl, als er die vielen Stufen nach oben stieg, über die Festung hinaus. 

Dreyra erwartete ihn ganz oben, den Kopf gesenkt, die Augen halb geschlossen.

»Bist du müde?«, fragte Goren sanft.

»Nein, Goren – ich warte«, antwortete der Dunkle Drache. »Nun ist es auch Zeit für uns beide, Abschied zu nehmen. Auf immer.«

»Du verlässt uns?«

»Die Welt ist im Wandel. Die Götter werden nie mehr zurückkehren, und auch für uns, ihre Boten, ist die Zeit gekommen. Dies ist nun eure Welt, Goren. Ihr seid frei und tragt damit auch die Verantwortung. Wir haben euch nichts mehr zu lehren, und ihr benötigt unseren Schutz nicht mehr. Ihr seid flügge und bereit, das Nest zu verlassen.«

Goren schwieg und sah über das Land. Die verdorrte Steppe, von der mühsam die Überreste der Schlacht getragen und Scheiterhaufen für die Gefallenen errichtet wurden. Die Heere der verbündeten Völker waren bereits abmarschiert, die meisten Verwundeten konnten auch abreisen. Der Rest würde noch eine Weile Drakenhorts Gastfreundschaft genießen.

Tief im Osten ballten sich schwarze Wolken zusammen. Der erste Herbstregen würde bald eintreffen. Das Land würde in den Wasserfluten ertrinken, und es würde kalt werden, aber dann, im Frühjahr, käme die neue Blüte in strahlender Pracht, und ein grüner Teppich würde sich ausbreiten.

Dies alles war nun sein, das Land von Goren Vaterlos, dem einst verachteten Drakhim. Das lag lange zurück. Und würde nie mehr wiederkehren.

»Was siehst du, Dreyra?«, fragte er und richtete die braungrünen Augen wieder auf den Dunklen Drachen. Eine Brise fächelte seine langen schwarzen Haare, und er glaubte ein zartes Wispern an seinem Ohr zu vernehmen, doch das war bestimmt nur ein Hauch der Erinnerung.

Dreyra hielt die geblähten Nüstern in den Wind. »Sie kommen«, flüsterte sie.

Und da nahten sie auch schon.


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»Seht doch, seht!« Der erste Ruf vervielfältigte sich und schallte durch ganz Drakenhort, bis über die Steppe hinaus. Wer noch dort draußen in Sichtweite war, blieb stehen und wandte sich dem Schauspiel zu.

Da flogen sie, am Himmel entlang von Norden her, von dort, wo der ewige Frost herrschte.

Riesengroß, wenngleich nicht so gewaltig wie Dreyra, und mit glänzenden Schuppen in allen Farben, mit schimmernden Flügeln und mächtigen, stachelgekrönten Häuptern. 

Ein Rauschen und Surren war in der Luft, als sie zur Landung ansetzten, allen voran ein schwarzgoldener Drache, der Dreyra sehr ähnlich sah. Goren war sicher, dass es sich um ihren Bruder Schmied handelte, dessen Rüstung er getragen hatte, und er winkte ihm, wenngleich das mächtige Wesen es auf diese Entfernung wahrscheinlich nicht sehen konnte.

Elegant, ja majestätisch, landeten sie auf dem freien Feld der Steppe, und es herrschte ein Durcheinander an strahlenden, glänzenden, funkelnden Schuppen und Schwingen, langen, sich bewegenden Hälsen und Schwänzen.

Es war ein Aufgebot, wie es gewiss noch niemals jemand erblickt hatte, auch nicht in den alten Tagen.

Goren hatte nicht gewusst, dass es so viele waren – ein gutes Dutzend mochte es schon sein. Aufgeregt sah er zu Dreyra der Blutfarbenen, deren Blick gütig auf ihm ruhte.

»Leb wohl, Goren«, sagte sie sanft. »Mir bleibt nur noch eines zu tun, bevor wir Blaeja verlassen.«

Sie meinte den Seelenkristall, den Letzten, den es noch gab, und der diese Geschichte für immer beenden würde. Allen stand ein Neuanfang bevor.

»Danke für alles, Engel der Götter«, sagte Goren ergriffen. »Und danke, dass ihr euch von uns verabschiedet.«

»Das war das Mindeste.« Dreyra zwinkerte mit einem Auge, dann erhob sie sich in die Lüfte und stieß einen mächtigen Drachenschrei aus.

Daraufhin antworteten ihre Brüder und Schwestern ebenso und schlugen im Takt dazu mit den Schwingen.

Hoch stiegen sie, immer noch höher hinauf, und zogen Richtung Osten davon, zu den Schleiern.


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Der Abschied der Drachen war noch die Krönung dieses Tages gewesen. In ganz Drakenhort, mit Ausnahme – ausgerechnet – des Thronsaales war das Fest im Gange. Überall waren Tische und Bänke aufgebaut, brannten Fackeln, wurde aufgetragen, was noch da war an Vorräten. Es wurde gegessen, getrunken, gelacht und getanzt. Unbeschwert und ohne Last. Morgen begann ein neuer Tag, ohne Not und Zwang. Mittendrin befand sich Lauscher, der stumme Riese, tanzte ungelenk, aber lachend auf einem Tisch, und alle ließen ihn hochleben.

Nachdenklich schritt Goren die Treppe hinab. Er zwang sich, seine Gedanken nach vorn zu richten. Herr von Drakenhort, dachte er. Jetzt ist es also doch soweit. Wer hätte das gedacht, damals in Guldenmarkt, als sie mich alle verspotteten? Darauf bin ich nie vorbereitet worden. Aber ich werde es mal versuchen. Wenn es mir nicht gefällt, kann ich immer noch gehen. Schließlich, wer will mich hindern?

Der Saal war leer, bis auf Schattenwanderer, der sich auf dem Thron niedergelassen hatte, mit einem Pokal Wein in der Hand.

»Steht dir gut«, grinste Goren. »Übst du schon in weiser Voraussicht?«

»Beschrei es nicht. Meine Gemahlin drohte bereits damit.« Täuschte er sich, oder huschte da der Ansatz eines Lächelns über das mondbleiche Gesicht des Kriegerfürsten? »Mal sehen, was sich ergibt. Ich habe ja ein gutes Gastgeschenk, vielleicht schaffen wir es nun, uns zu versöhnen.« Er zog das Grimoire hervor und hielt es hoch.

»Ich hatte gehofft, dass du es Nadel abnehmen konntest. Was wirst du damit anfangen?«

»Ich weiß es noch nicht. Die Erzmagier sind begierig darauf, aber vielleicht vernichte ich es auch. Andererseits … wer weiß, ob nicht eines Tages andere wie die Klirrenden kommen. Und es ist ein wertvolles historisches Zeugnis. Schließlich sind wir nun auf uns allein gestellt. Vielleicht sollte ich eine dritte Kaste erschaffen – die der Hüter.«

Goren nickte. »Ich kann es kaum glauben, dass Menor dich begleiten soll«, sagte er dann schüchtern und fast ein wenig neiderfüllt.

»Ja, ich denke, er kann … den Nyxar einiges beibringen durch seine Leichtfüßigkeit, seinen unerschütterlichen Optimismus, seine Treue und seine Spontanität«, antwortete der Kriegerfürst überraschend. »Ein Versuch ist es wert, und schlägt er fehl, dann werden wir beide weiterziehen und mal nachsehen, was es mit den Schleiern so auf sich hat.«

Zum ersten Mal lächelte Schattenwanderer nun ganz offen. »Ich habe sehr viel von dir gelernt, junger Goren, und es hat mich gefreut, dich getroffen und eine Weile begleitet zu haben.«

»Es klingt seltsam, wenn jemand wie du ein Wort wie Freude ausspricht und sich für Lehren bedankt«, meinte Goren. »Tatsächlich aber ist es so, dass ich tief in deiner Schuld stehe. Nein – das ganze Volk der Drakhim. Ohne dich, und dann auch noch durch den Einsatz der Fürstin Rotmond, wären wir untergegangen. Deshalb sei versichert: Solltest du jemals in Not sein und Hilfe brauchen, wir werden da sein. Du brauchst uns nur zu rufen. Egal wohin, selbst in die Schleier hinein.«

Der Kriegerfürst erhob sich. Er überragte den ebenfalls hochgewachsenen, breitschultrigen Goren um eine dreiviertel Handspanne, und er war noch schwerer. Ein großer, stolzer und unbeugsamer Mann, der niemals aufgab, nach Wahrhaftigkeit zu suchen. Schattenwanderer, der einst Sichelschatten gewesen war und es wieder sein würde.

Goren war stolz darauf, die Freundschaft dieses Mannes gewonnen zu haben. Das bedeutete ihm mehr als alles andere. Er reichte Schattenwanderer die Hand, der sie fest drückte.

»Das Blut der Nyxar und der Drakhim ist nunmehr durch einen Bund vereint«, sagte der Kriegerfürst. »Leb wohl, Fürst Goren, und alles Gute auf deinem weiteren Lebensweg.«

Er hatte schon die halbe Halle durchquert, als Goren es nicht mehr aushielt.

 »Wo ist Sternglanz?«, fragte er.

Schattenwanderer verharrte und drehte sich ihm leicht zu. »Sie muss sich noch erholen«, antwortete er. »Du wirst sie bald sehen, Goren. Gedulde dich ein wenig. Das Mädchen hat viel durchgemacht, um dich zurückzuholen.«

Er schluckte. »Sie hat ...?«

»Nur sie vermochte es, Junge. Muss ich dir erst erklären, warum?«

Goren schüttelte den Kopf. Er strahlte.



Nunmehr allein, trat Goren auf den Balkon hinaus und atmete tief durch. Unter ihm herrschte völliges Chaos, aber es sollte den Drakhim einmal vergönnt sein. Er sah zu, wie die Menschen, die Orks, die Zwerge und die Elfen Drakenhort verließen und rasch über die Ebenen galoppierten, jeder in eine andere Richtung. Zuletzt, als sich die Staubwolke der anderen schon gelegt hatte, sah er zwei Reiter Richtung Osten. Einer von ihnen versuchte ungeschickt das vorstürmende Pferd anzuhalten, fiel dabei fast herunter, hob aber den geschienten Arm und versuchte auf groteske Weise zu winken. Goren winkte zurück. Lächelnd sah er zu, wie Menors Pferd durchging, um Schattenwanderer einzuholen, der nicht verlangsamt hatte. Ein seltsames Gespann, aber in diesen Tagen war nichts mehr ungewöhnlich.

Als er ein Geräusch hinter sich hörte, drehte sich Goren um. Sein Herzschlag stockte, als er Sternglanz erblickte. Für einen Augenblick konnte er sich nicht rühren, auch nicht sprechen. Er sah sie nur an.

»Du musst froh sein, dass du deine Magie verloren hast«, sagte sie.

»Ja«, bestätigte er. »Ich bin froh, dass es endlich vorbei ist und ich nur noch Goren bin, ganz ich selbst, ohne fremde Seelen, ohne Einfluss, ohne benutzt werden zu können. Ich bin frei.«

»Gut.« Sie lächelte schwach.

»Was hast du jetzt vor?«, fragte er scheu. »Du siehst aus, als wärst du für eine Reise gerüstet.«

»Nun, ja ... es gibt für mich hier nichts mehr ...«, antwortete sie ungewohnt unsicher.

Eine Weile standen sie verlegen voreinander. 

Dann entschied Goren, dass es genug war. Er hatte das jetzt lange genug vor sich hergeschoben, und da er schon dabei war, ein neues Leben zu beginnen, sollte er auch gleich diese Sache klären, die wichtiger war als alles andere. Egal, was es ihn kostete – jetzt musste es raus. 

»Sternglanz, obwohl du mich immer ausgiebig wegen meiner Ungeschicklichkeiten belehrst, muss ich dir sagen: Du musst noch eine Menge über die Menschen lernen«, brach es aus ihm hervor. »Denkst du, du kannst dich einfach so davonmachen? Dass ich dich ohne weitere Worte gehen lasse? Zwar bist du noch hier und nicht einfach ohne Abschied verschwunden, das ist schon ein Fortschritt! Aber sag mir: Wie lange soll das noch so weitergehen mit uns?«

»Was meinst du?«, fragte sie verwirrt.

»Du und ich.« Er ging auf sie zu.

»Nein!« Sie wich zurück. »Nein, das ist unmöglich! Du verabscheust die Magie!«, rief sie. »Aber ich bin ein magisches Wesen, daran kann ich nichts ändern, so sehr ich es auch versucht habe! Ich ... ich kann mich nicht aufgeben, nicht einmal für dich!«

Er stutzte. Und zum ersten Mal sah er ... Schmerz in ihren dunkelvioletten Augen. Furcht. Und ... und ...

»Deshalb also? Das ist der Grund?«, fragte er leise. »Wie kannst du nur glauben, dass ich – wegen deiner –« Er schüttelte den Kopf. »Oh, Sternglanz, so viele Missverständnisse, die nicht notwendig gewesen wären, wenn wir nur einmal offen miteinander geredet hätten.«

Er setzte den Weg fort. Auf einmal war alles ganz leicht, und sein Herz sang. Endlich würde er den Mut haben, zu Ende zu bringen, was schon so lange schwelte. Schattenwanderer hatte recht gehabt. Ausgerechnet jener siebenhundert Jahre alte Nyxar, der schon so lange die Lande durchstreifte; auf der Suche nach Liebe, wie er behauptete, und sie doch längst kannte. Wahrscheinlich besser als die meisten Menschen. Und sie nicht minder in sich trug wie Sternglanz.

Die junge Frau wich weiter vor ihm zurück, unwillkürlich griff sie sich an den Hals, zu der tiefen Narbe, die der Sklavenring hinterlassen hatte. »Aber das ist doch nicht alles, Goren ...«

Er ergriff behutsam ihre Hand und zog sie nach unten. »Du bist frei, Sternglanz«, sagte er sanft. »Wann wirst du das endlich begreifen? Wie oft muss ich es dir noch sagen? Keine Ketten mehr, keine Ablehnung, kein Spott. Und jetzt hör mir gut zu: Ich liebe dich. Genau so, wie du bist. Ich will dich und keine Andere. Und ich werde nichts von dir verlangen, was du mir nicht geben willst. Ich möchte nur, dass du bei mir bist. Jeden Tag, jede Nacht, jede Stunde. Unser Leben lang.«

»Ich – weiß nicht, wie ich –« 

»Warum tust du dir das an?«, unterbrach er. »Wenn ich sehe, was für schöne, in der Tiefe eures Herzens leidenschaftliche Geschöpfe ihr seid, erfüllt es mich mit Stolz, gerade dich zu lieben. Ja, eine Nyxar, die aber auch ein Mensch ist. Du hast mich vom Tod zurückgeholt, und nicht das erste Mal. Denkst du, das wäre möglich, wenn du nichts für mich empfinden würdest? Warum willst du uns beiden das Herz brechen? Wovor hast du Angst?«

Sie blickte zu ihm hoch. »Ich habe Angst, dafür bezahlen zu müssen«, gestand sie.

»Bezahlen müssen wir alle, irgendwann.« 

»Aber wohin gehöre ich denn ...«

»Zu mir, mein wundervoller Schweigsamer, wie schon seit Anbeginn unserer gemeinsamen Reise. Wohin denn sonst? Du und ich: Das ist alles, was wir brauchen.« Er zögerte für einen Moment, dann sagte er leise. 

»Ich habe dich gesehen. Wirklich gesehen. Damals nach Rutharts Befreiung, als wir mit der Rüstung durch den Berg in die Wüste geflohen sind. Als uns auf dem letzten Weg nur Finsternis umgab. Da sah ich dich. Du warst wie ein Stern für mich ... fern, und doch in diesem Moment so nah. Und wir ... unsere Lippen haben sich berührt ...«

Ihre dunkelvioletten Augen weiteten sich. Sie erinnerte sich. »Ich habe nicht geträumt ...«, wisperte sie.

Er schüttelte den Kopf. »Ich kann deine Lippen heute noch fühlen. Die Erinnerung daran hat mich stark gemacht und mir geholfen, alles zu überstehen ...« Er hielt ihre Hände fest und drückte sie an seine Brust, wo sein Herz schlug. Zärtlich sah er sie an. »Jemand hat mir gesagt, dass ich jung bin und nach vorn blicken soll, und er hat recht damit. Das gilt ebenso für dich. Wir haben eine bedeutende Schlacht gewonnen, Sternglanz, und Blaeja gerettet, zumindest für eine Weile. Ich finde, wir haben beide dafür ein wenig Glück verdient – gemeinsam.« 

Und Goren Einseele schloss die Arme um Sternglanz, in der festen Absicht, sie nie mehr loszulassen.

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Uschi Zietsch


Drakhim 

Die Drachenkrieger


Trilogie




fabEbooks

Blaeja, das Reich zwischen den Schleiern, ist eine kleine Welt, von undurchdringlichem Dunst umgeben, den zu erforschen niemand je in der Lage war. Als eines Tages die Klirrenden hinter den Schleiern hervorbrechen, Blaeja überfallen und die Götter stürzen, schließen alle Völker den Bund, um gemeinsam gegen die Fremden vorzugehen. Doch nur dem größten Magier jener Zeit gelingt es zusammen mit dem mächtigsten aller Drachen, den unbekannten Feind mit einem Fesselbann zu belegen. 

Aus dem Blutsbund zwischen Drache und Magier entsteht im Verlauf der Jahrhunderte das stolze, einzigartige Volk der Drakhim – die Drachenkrieger. 

Ihre jahrhundertealte Festung Drakenhort liegt einsam gelegen in der Steppe, sie birgt viele Geheimnisse und Artefakte. 

Als eines Tages ein Kind mit zwei Seelen geboren wird, ist ersichtlich, dass der Bann über die Klirrenden zu versiegen droht. Die wahre Gefahr aber erwächst aus den Völkern Blaejas selbst, allen voran den Drakhim …

Über die Autorin


Uschi Zietsch wurde 1961 in München geboren. Sie ist verheiratet und lebt seit Jahren als Schriftstellerin und Verlegerin mit ihrem Mann und vielen Tieren auf einem  kleinen Hof im bayerischen Allgäu.

Ihre erste Veröffentlichung war 1986 der Fantasy-Roman »Sternwolke und Eiszauber« im Heyne-Verlag. Darauf folgten bis heute kontinuierlich über einhundert Veröffentlichungen in den Bereichen der Science Fiction, Fantasy, Kinderbücher, TV-Serien und vielen mehr. Unter dem Künstlernamen »Susan Schwartz« schrieb sie jahrelang als Teamautorin bei »Perry Rhodan«, »Maddrax« und anderen Heftserien mit. Für die exklusiv bei BS-Editionen (Bertelsmann) erschienenen sehr erfolgreichen und beliebten Urban-Fantasy-Serien »Elfenzeit« und »Schattenlord« zeichnete sie für das gesamte Konzept und die Exposés verantwortlich und schrieb die meisten Romane.

Darüber hinaus gibt Uschi Zietsch Schreibseminare und ist Mit-Verlegerin des Fabylon-Verlags.

2008 erhielt sie den Literaturpreis von amnesty international für ihre Kurzgeschichte »Aische« zum Thema Menschenrechte.

Hinweis

Die vorliegende Trilogie ist eine eBook-Sonderausgabe zum Vorzugspreis (900 Seiten). Es handelt sich um die überarbeitete und erweiterte, stark geänderte Neuversion der Buchfassung von 2005.


Als Fantasy-eBooks sind ferner erhältlich:

Die Chroniken von Waldsee (Trilogie)

Nauraka – Volk der Tiefe (Band 4)

Fyrgar – Volk des Feuers (Band 5)

Der Stern der Götter (Prequel)

Eine Kurzgeschichte aus Waldsee: Der wahre Schatz

Sternwolke und Eiszauber

Der Traum der Wintersonne

HADES

Der Alp


Sowie die Kinderbuch-Reihe „Ich erzähl dir was“ – aus dem Leben von Jungtieren


Impressum:

Cover: fotokostic/Istock

© der eBook-Ausgabe 2013 by fabEbooks

ISBN: 978-3-943570-33-5

INHALT


Buch 1: Die Stimme des Windes


Prolog: Der Fluch

1.: Guldenmarkt

2.: Windflüsterer

3.: Deratas letzter Kampf

4.: Flucht

5.: Im Tal der Tränen

6.: Der Schrei des Geknechteten

7.: Ein neuer Bund

8.: Blutfinders Warnung

9.: Der Verrat

10.: Kein Ausweg mehr

11.: Der Schweigsame

12.: Die Entscheidung

13.: Drakenhort

14.: Die Beschwörung

15.: Der Dunkle Drache

Epilog: Der Blick nach Morgen


Buch 2: Die Gefesselten


16.: Der Abtrünnige

17.: Vorberg

18.: Erkenntnisse

19.: Der Schlächter in Vorberg

20.: Die Entscheidung

21.: Sichelschatten

22.: Eine unerwartete Begegnung

23.: Wiedersehen in Vorberg

24.: Arkenstein

25.: Ein Dieb im Kerker

26.: Die alte Zwergenbinge

27.: Freund oder Feind

28.: Die Rüstung

29.: Am Scheideweg

30.: Die Zackenklinge


Buch 3: Kampf um Drakenhort


31.: Die Forderung

32.: Marsch auf Drakenhort

33.: Belagerung

34.: Dornkralle

35.: Blutsbande

36.: Am Rand der Wüste

37.: Scharfzahn

38.: Der Weg nach Drakenhort

39.: Vater und Sohn

40.: Nadel

41.: Lauschers Stunde

42.: Die Klirrenden

43.: Menors Opfer

44.: Drachenflug

45.: Der Unbesiegbare

46.: Seelenkristall

47.: Ruorim

48.: Sternglanz

Epilog

BUCH 1

Die Stimme des Windes

b


Prolog

Der Fluch

E

Silbernes Mondlicht floss schweigend über die ausgedörrte Steppe. Was sich in den Schatten verborgen hatte, zog sich noch tiefer zurück aus Furcht vor den Jägern der Dunkelheit. Die Hitze des Tages war der feuchten Kühle der Nacht gewichen, und eine aufkommende Nordbrise erzählte von den nahenden Tagen der goldenen Dämmerung, wenn die Schatten länger wurden und sich die Blätter bunt verfärbten und schließlich raschelnd zu Boden fielen. 

Derata zog fröstelnd den Umhang über der Brust zusammen. Viel zu schnell waren die hellen Tage vergangen, sie konnten den Mechanischen Winter nicht aufhalten. In der Ferne hörte sie wie zur Antwort auf ihren Gedanken einen klagenden Schrei, der bald darauf von vielfach schaurigem Heulen beantwortet wurde. Ein weiteres Vorzeichen des heranrückenden Herbstes: Die Wölfe kamen von den Bergen herab. Und diejenigen, die sie begleiteten …

»Lykaner«, flüsterte Derata, die das Antwortheulen erkannt hatte, das wolfsähnlich war, aber nicht von diesen Tieren hervorgestoßen. Mitleid erfasste sie mit all jenen Geschöpfen, die schutzlos dort draußen unterwegs waren. Hatten die Grauen Jäger erst einmal vom Wind getragenen Angstschweiß gewittert, waren sie in ihrer Gier kaum mehr zu halten. Mit feinen Nasen nahmen sie die Spur auf, hefteten sich an die Fersen der Beute, sei es Tier, Mensch, Elf oder Zwerg, kreisten sie ein und stellten sie zuletzt. Wer nicht im Umgang mit der Waffe ausgebildet war, konnte nicht entkommen. Wer eine Waffe besaß, hatte zwar genauso wenig eine Chance, aber er nahm wenigstens noch einen oder zwei Lykaner mit in den Tod.

»Viel zu früh«, erklang eine tiefe Stimme hinter Derata, und sie zuckte zusammen. Sie hatte den leisen Schritt ihres Vaters nicht gehört, obwohl sie seine beste Schülerin gewesen war und das oberste Gebot der Wachsamkeit nie missachtete. Nach wie vor konnte sie von ihm lernen, wie sie beeindruckt für sich feststellte. 

»Der Herbst hat noch nicht Einzug gehalten, und trotzdem suchen sie bereits unsere Lande heim«, fuhr Darmos Eisenhand, Herr der Festung, fort. »Es scheint, als treibe sie der Hunger aus den Bergen herab … oder etwas anderes.«

»Die Gefesselten regen sich«, murmelte Derata. »Die Seherin hat es geweissagt. Die Ketten verrotten …«

»Was besorgt dich das?«, fragte ihr Vater. Er war ein stattlicher Mann in den besten Jahren und gefürchteter Schwertkämpfer. Er stellte sich an Deratas Seite und wies um sich. »Drakenhort ist unangreifbar, die Steilwände des Berges können nicht bezwungen werden. Zu uns kann nur gelangen, wer Eintritt durch das große Tor erhält. Unsere Zinnen sind viele Klafter hoch, der Blick reicht an klaren Tagen bis zu den Grenzen der Westlande. Die Drakhim sind die besten Krieger der Welt, jeder fürchtet uns. Wir neigen unser Haupt vor niemandem. Und wir ergeben uns keinem Fluch.«

Derata schwieg. Diese Rede hatte sie oft genug als Kind gehört. Es stimmte, ihre Sippe war stolz und gefürchtet, und ihre Dienste wurden gern angenommen. Doch darüber hinaus wollte niemand etwas mit ihnen zu tun haben, denn es hieß, die Drakhim wären vor langer Zeit einen Bund mit den Drachen eingegangen und wären so erst zu den heute unüberwindlichen Kämpfern geworden. Sie hätten dadurch einen Teil ihrer Menschlichkeit verloren und sich zudem schwarzer Magie hingegeben, munkelte man. Besonders einer von ihnen …

Drakenhort war ihre Heimat, vor Jahrhunderten in mühevoller Arbeit in einen einsamen, steilen Berg  gehauen, eine gewaltige Festung mit mächtigen Mauerwehren und hohen Zinnen. Wer jemals durch die Weite Steppe wanderte, konnte Drakenhort nicht verfehlen, der Berg mit der Festung war die einzige große Erhebung in diesem Gebiet.

Viele Geschichten gab es über Drakenhort und die Menschen, die dort lebten, der Ort galt als sagenumwoben und verflucht zugleich. Händlerkarawanen ließen sich nicht davon abhalten, hierherzumarschieren, denn die Drakhim waren reich und zahlten gut. Das Gold sollte aus einem Drachenschatz stammen … aber wer wusste das schon, es war ein weiteres, beliebtes Gerücht über das kleine Volk.

Normale Reisende verirrten sich selten hierher; die Festung lag auf keiner bedeutenden Route zwischen den Landen. Nur ab und zu kamen Arbeitssuchende oder junge Talente, die sich im Kampf bewähren wollten.

»Warum bist du hier, Tochter, und nicht in der Halle, um unserem Gast aufzuwarten?«, erklang Darmos Eisenhands Stimme erneut in Deratas Gedanken.

»Ruorim ist kein Gast, Vater«, antwortete sie und konnte den Klang von Schärfe in ihrer Stimme nicht verhindern. »Er ist ein Drakhim, genau wie du und ich, und er macht uns seine offizielle Aufwartung, weil du mich mit ihm verheiraten willst.«

»Er ist die beste Wahl, Derata«, sagte ihr Vater ruhig. »Im nächsten Sommer wirst du zwanzig. Es wird Zeit, deine Wahl zu treffen. Und ich hoffe doch, dass du deinen alten Vater glücklich machen wirst, wie es sich für eine gute Tochter gehört.«

Derata konnte nur mit Mühe den Zorn unterdrücken, der sich wie ein wildes Tier in ihr aufbäumte. Sie wollte ihm entgegenschleudern, dass sie sich nicht wie ein edles Ross an den Meistbietenden verschachern lassen wolle. Doch sie sagte stattdessen: »Ich habe noch Zeit, Vater. Und andere Ziele.« Sie deutete auf den fernen Horizont, über dem die riesige Scheibe des Mondes wie ein kaltes, blindes Auge hing. Darunter breitete sich das mattsilbern schimmernde ruhende Land aus. Das vielstimmige Geheul war immer noch nicht verklungen, wenn auch sehr viel leiser geworden. »Der Bund ist dabei zu zerfallen, seit vielen Jahren herrscht immer wieder Krieg. Er ernährt unsere Sippe, gewiss. Aber sag mir, Vater, was wird übrig sein, wenn er eines Tages beendet ist?«

Darmos hatte schweigend zugehört. Der Unwillen in seiner Stimme war nicht zu überhören, als er entgegnete: »Darüber solltest du nicht nachdenken. Wichtig ist die Zukunft unserer Sippe.«

»Eben darum geht es. Ich bin nicht so gierig nach Blut und Macht wie Ruorim da unten in der Halle. Er ist ein Kriegsherr, der sich rücksichtslos nimmt, was er will.« Sie sah ihrem Vater in die Augen. »Hast du gesehen, wie er mich betrachtet hat? Wie ein Stück Ware oder Vieh. Er will nicht den Bund mit mir eingehen, er will mich besitzen. Und das werde ich niemals zulassen.«

Darmos legte seine Eisenhand behutsam auf Deratas Schulter. Als junger Mann hatte er die linke Hand in einem Kampf verloren, doch die magischen Künste eines Schmieds und das Erbe des Drachenbluts in ihm halfen ihm, Ersatz zu schaffen, der beweglich war. Nicht so gut wie eine richtige Hand, aber ausreichend für einen kurzen Kampf mit der Axt und das Halten eines Bechers Schwarzbier. »Ich glaube, du täuschst dich, Derata. Gewiss, Ruorim ist über zehn Jahre älter als du, aber dafür kann er dir auch mehr bieten als ein junger Herumtreiber. Er ist ein großer Mann, und nicht von der hässlichen Sorte, soweit ich das beurteilen kann. Ich glaube wirklich, dass er die beste Wahl ist. Durch diesen Bund können wir vielleicht sogar den Krieg beenden. Unsere Sippe wird dadurch wieder geeint und gewinnt mehr Einfluss.«

»Lass mich darüber nachdenken, Vater«, bat Derata leise.

»Gut, ich lasse dich allein. Aber ich erwarte deine Entscheidung morgen früh.« Darmos beendete das Gespräch streng und bestimmt, denn er nahm keinen Widerspruch hin, auch nicht von seiner Tochter. Und sein Tonfall machte deutlich, welche Entscheidung er erwartete.



Derata atmete tief durch, als sie endlich wieder allein war. Der Mond war inzwischen den Horizont hinaufgeklettert, die Schatten wurden kürzer, aber auch dunkler. Die Luft war frisch und klar, die sanfte Brise brachte den Duft nach wilden Kräutern, rauem Steppengras und Honigorchideen mit sich. Ringsum war alles still, und die junge Frau beneidete jeden friedlichen Schläfer um seinen sorglosen Traum.

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