Bernemann
Dabeisein ist alle
Es ist ja so, dass man sich selbst nicht für verrückt hält,
solange es noch einen gibt, der offensichtlich noch verrückter ist als man selbst.
Der Fahrtwind der U-Bahn brennt dir den Dreck ins Gesicht
und du weißt ja auch was es heißt, outgesourced zu sein,
so wie diese Frau,
in deren Gesicht zu lesen ist, dass es eine Menge unerzählbarer Geschichten über sie gibt,
die aber seit mindestens zehn Jahren nicht mehr von Lustgewinn, Theaterbesuchen oder
Spieleabenden erzählen, sondern eher von dem Bestreben, aus dem, was übrig bleibt, eine Existenz aufrechtzuerhalten.
U9 kommt in 7 Minuten
Sie zieht sich neben dem Mülleimer ihre graue Jogginghose bis zu den Fußgelenken runter.
U9 kommt in 5 Minuten
Sie presst sich unter erheblicher Anstrengung eine halbfeste Wurst aus dem Anus,
die schon bald aufrecht stehend auf dem Boden Platz genommen hat, kinderunterarmdick,
und gleichzeitig immer noch tief in ihr zu stecken scheint.
U9 kommt in 4 Minuten und der Bahnsteig ist übrigens voll
und sie zieht sich ihre Jogginghose wieder hoch,
nimmt die unlängst abgestoßene Wurst beidhändig vom Boden auf
und legt sie – fast in eben jener feindseligen Zärtlichkeit, die man einer Mutter,
die ihr Kind in die Babyklappe legt,
zugesteht –
tief auf den Grund des Mülleimers.
U9 kommt in 2 Minuten
Die Frau lächelt dich an, die Zahl ihrer Zähne ist definitiv unter sieben,
du lächelst zurück, die Zahl deiner Zähne ist scheißegal.
Einfahrt U9
Sie steigt vor dir ein, fasst ein paar Haltestangen an, hinterlässt Schmierfilme,
begreift dies und jenes, Halteschlaufen, Sitze, ihre eigene Verlorenheit,
konkret