Helmut
Haberkamm
Frankn
lichd nedd
am Meer
Mit einem Vorwort zur Jubiläumsausgabe
von Steffen Radlmaier
und dem Nachwort zur Erstausgabe
von Fitzgerald Kusz
ars vivendi
Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Jubiläumsausgabe (6. Auflage Februar 2013)
© 1992 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Cadolzburg
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Umschlaggestaltung: Armin Stingl
Typografie und Ausstattung: ars vivendi verlag
Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag
eISBN 978-3-86913-461-1
Inhalt
Vorwort
I Wos derzu kerd
Frankn lichd nedd am Meer
Idendidäd
Aaschgrinder Glaumsbekenndnis – oder Wos derzukerd, kerd hald amoll derzu
Hölderlin auf Roodduur im Aaschgrund
II Herrschafdszeidn
Sellmoll, Herrschafdszeidn
Naggerd vorm Dürer seine Aang
Nooma, Zohln, dief eigroom am Denkmool
Under uns
Wohrzeing
Wosmer alles find
Aus der Menge der nadierlin Zohln
Is blieherde Leem, a alda gelba Kaddn
III Vo Dooch zer Dooch
Vo Dooch zer Dooch
Under der Deggn
Sunndoochnammidooch
Des glaa Maadla un der ald Dood
Seidn Griech
Di Kinner
Aaner vo denna greislin Rendner
Ihr Leem lang
A Lasd Gränz un Leid
Station
Grooßvadder
Noochlaß
Bauernseifzer
Haushald
Di selln un di seddn
Schood is
Wosmer der ald Griecher nu gsochd hadd
IV Aans wies anner
In der Nachberschafd
Dübbisch
Dreesdli
Vadderdooch
Ergndwos
Oorufe
Neesd
Ehe dassi sterm
Kalda Zeid
Nachds aufsteh missn
Meim Kumbl sei Leichd
Schloofloos gweezld in der Nachd
Aans wies anner
Drieber noochdachd
V Schauner hie
Derwischd un miedgnumma
Vo weeng »Sehnsucht« odder so
Herbsddooch
Is halberde Leem
Im November im Wald
Adfend Adfend
Schauner hie, schau di doode Sau oo
leberdroochung
VI Ach Frankn
A fränkisch Gwidder
Bsuuch
Bloß daßders waßd
Moddsstimmung
Lauder guuda Roodschleech
Leemslauf
Di Kinner kern gscheid erzoong
Na hobbi, na hadder, na hemmsi
Stoodsanwald jeednfalls
Mir misserdns allmidnanner
Ach Frankn
Großraum
Dechdlmechdl
Vll Weid wech
Daals-daals
Neia Reifn drauf
Siecher
Vorgschichd
Mir dergeeng
So woors, so is
Di erschde wichdi Woor
Summerdooch
Weid wech, nohd doo
In der Frieh auf un dervoo
Scho immer, scho wirri ganz glaa woor
Aaschgrund, Aaschgrund
Zuuchveegl
Nachwort
Glossar
Der Autor
Heimat ist das, wovon man ausgeht.
T. S. Eliot
Vorwort
zur Jubiläumsausgabe
von Steffen Radlmaier
Aischgrund revisited
Vor 20 Jahren meldete sich ein junger Dichter zu Wort und stellte scheinbar Selbstverständliches fest: »Frankn lichd nedd am Meer«. Mit diesem Satz – oder genauer gesagt: mit dem gleichnamigen Gedichtband – hat Helmut Haberkamm nicht nur sein poetisches Statement abgegeben, sondern auch fränkische Literaturgeschichte geschrieben. Zudem hat er damit einen neuen Ton in die fränkische Mundartdichtung gebracht und den unscheinbaren Aischgrund als literarische Landschaft entdeckt.
In Haberkamms Dialekt-Gedichten finden sich aber auch literarische Anspielungen und Motive berühmter Vorbilder. Der Titel seines ersten Gedichtbandes bezieht sich auf die paradoxe Standortbestimmung »Böhmen liegt am Meer«, die sich William Shakespeare im Wintermärchen ausdachte (1611) und Ingeborg Bachmann zu ihrem gleichnamigen Poem (1964) inspirierte. Sehr (selbst-)bewusst reiht sich der fränkische Mundartdichter in die weltliterarische Tradition ein und stellt sich ihren Qualitätsstandards.
77 Texte im Aischgründer Dialekt versammelt der Gedichtband, lange Erzählgedichte, poetische Anleihen von Benn bis Brecht, immer auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Die Thematisierung des nur scheinbar idyllischen Landlebens ist ungewohnt in der modernen Dialektdichtung, die überwiegend ein Produkt der Großstadt gewesen ist. Haberkamm nimmt Franken ernst – den Klang der Sprache, die karge Schönheit der Landschaft und die Eigenart der Einheimischen. Das Leben ist nicht anderswo, der Tod gehört auf jeden Fall dazu. Haberkamm ist Literat, kein Kabarettist.
Die Welt, die Haberkamm in seinen Gedichten beschreibt, ist nicht heil. Ebenso wenig sind es die Menschen, die hier leben. Es wäre zu simpel, aus diesem Stoff literarische Lachnummern zu destillieren. Doch dafür liegt Haberkamm sein Thema viel zu sehr am Herzen. Für schnelle Gags ist er sich zu schade. Der Verlust von Heimat und Tradition, der Untergang der bäuerlichen Welt und das Aussterben der Mundart sind die großen Themen des Bauernsohnes, der 1961 in Dachsbach im Aischgrund geboren wurde, später Anglistik, Amerikanistik und Germanistik studierte und heute als Gymnasiallehrer in Spardorf lebt.
Als Dichter versucht er zu retten, was zu retten ist – ein unermüdlicher Jäger des verlorenen Wort-Schatzes, für den (fränkische) Mundart und Eigenart untrennbar miteinander verbunden sind. Seine langen Erzählgedichte bürsten die Sprache gegen den Strich und gehören zum schönsten, was im fränkischen Dialekt geschrieben wurde.
Längst ist der Newcomer von einst eine feste Größe in der Literaturszene, die Liste seiner Veröffentlichungen lang. Die Vorschusslorbeeren von einst hat er inzwischen gegen höchst offizielle Auszeichnungen getauscht. Seinem Lieblings- und Lebensthema Franken ist der Dichter treu geblieben, wenngleich seine literarische Spurensuche immer vielfältiger wird. Nachdichtungen mehr oder weniger bekannter Rocklyrik und Songtexte gehören für den bekennenden Bob Dylan-Fan ebenso dazu wie Theaterstücke im Dialekt.
Im Zeitalter des WorldWideWeb und der Globalisierung zählen so eigensinnige Sprachforscher und hinterlistige Heimatpfleger wie Helmut Haberkamm zu den letzten Aufrechten, die der weltweiten Gleichmacherei poetisch Paroli bieten. Das Schielen nach Gewinnchancen auf dem Weltmarkt hat dazu geführt, dass die unbezahlbaren Vorteile des heimischen Wochenmarktes aus dem Blick geraten. Aber es gibt zum Glück noch Zeitgenossen, die nach der Devise handeln: Global denken, lokal dichten.
Die Chance der Mundart liegt gerade in der Verteidigung der Eigenart. Im Spannungsfeld zwischen Bescheidenheit und Größenwahn, Ein- und Vielfalt, Wochen- und Weltmarkt, Provinznest und Internet muss sie ihren Platz finden. Heimatverbunden, aber weltoffen und auf der Höhe der Zeit. So wie es Helmut Haberkamm vormacht, dem man alles abnimmt – außer der Rolle des »Frankenhassers« (wie eines seiner Stücke heißt). Denn dafür liebt er Franken, »die alte Schachtl«, viel zu sehr.
Heimat ist die Welt im Kleinen und eine Welt für sich. Ein Mikrokosmos, in dem sich das Große und Ganze wiederfindet, die Liebe ebenso wie der Tod. 20 Jahre nach seinem Franken-Debüt hat Haberkamm dem fiktiven Dorf Gidderbarri ein literarisch-musikalisches Denkmal gesetzt. Das gleichnamige Hörbuch mit Dialektgedichten und Songs ist zugleich die (selbst-)ironische Zwischenbilanz eines weltoffenen Heimatdichters. »Mir sinn so fränkisch wie nix« lautet der viel sagende Titel eines Songs, in dem es heißt: »Mir hamm a Griecherdenkmool, a Gläronlooch und an Gsangsverein aa / Unnern Friedhof hamms erweiderd, mid am Bargblatz, uns werd alles zu glaa. / A Bierstraß hammer, an Karpfenweg, a Bocksbeitelrälly, a Ridderdurnier / Die Synagooch is oobrennt, naja, doo hammer etz Bardnerstädd derfier.« Die schöne neue Welt macht auch vor der Provinz nicht halt. Franken ist überall.
I Wos derzu kerd
Frankn lichd nedd am Meer
nooch Ingeborg Bachmann
Sinn in unnera Geengd di Haiser gree, wäggsd der Wei
Di Hauswänd nauf, na gehi nei, liemd gern, laßmi geh.
Sinn di Weech ruhich, gehi nedd leichd wech vo doo.
Bins nedd iech, is hald a annerer.
Erheebli simmer nedd bloß derhamm.
Gehd doo a Booch, a Fuhr, a Bruggn, sollsmer gnuuch sei.
Leeng Wiesn im Grund, stenn Bammer endlang, na langdsmer.
Na brauchi ka Meer, na landi mei Lebdooch im drifdichn Grund.
Bins nedd iech, is a annerer. Bedeidnd simmer allaans midnanner.
Aweng wos muß obber oofalln fier miech. Zugrundgeh, des is nedd mei Fall.
Zugrund – falls des haßd, zum Meer: Dodd lichd ka Frankn nedd.
Himmlweid is dervoo endfernd, un des aus guudm Grund.
Ka Mensch hadd doddn wos verloorn. Gschweings zer suhng.