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Herbert Dutzler

Pisser

Eine Kriminalgeschichte

Pisser

Das Klebeband schnürt mir die Handgelenke ab, meine Hände sind taub, ich kann die Finger nur mühsam bewegen. Sie scheinen angeschwollen, aber ich spüre sie nicht mehr richtig. Wenn ich mich nicht an den Strohballen lehnen könnte, wäre ich schon umgefallen. Draußen höre ich sie noch, sie spielen Fußball. Immer Fußball. Was anderes als Fußball existiert in ihren Hirnen nicht. Wenn man stattdessen gut klettern oder Rad fahren kann, dann zählt das nicht, zumindest nicht bei ihnen.

Es war natürlich nur Spaß, dass sie mich gefesselt und eingeschlossen haben. Es ist immer nur Spaß. Das in der Schule, gestern, das war natürlich auch nur ein Spaß, als mich Manuel in die Klasse gestoßen hat. Mein Jausenbrot ist mir aus der Hand gerutscht, und ich bin der Länge nach auf den Boden geklatscht. Dann hat er mich in die Seite getreten, und ein anderer hat mir den Brotaufstrich im Gesicht verschmiert. Aber da hat mir wenigstens der Herr Professor Faber geholfen, den man sonst meist grauhaarig und müde und mit gesenktem Kopf durch die Gänge schleichen sieht. Er hat den Manuel am Kragen gepackt und ihn von mir weggerissen, dann habe ich nur mehr den Manuel wimmern und den Professor brüllen gehört.

Minuten später ist Manuel grinsend wieder zurück in die Klasse gekommen. Wie üblich hat er mir gedroht. Ich wisse schon, was passieren würde, wenn ich jemandem etwas sage. Es ist ja immer das Gleiche, und die Erwachsenen glauben es auch noch. Natürlich werde ich nie jemandem darüber erzählen, wie Manuel mich quält. Die Rache wäre fürchterlich. Und er würde es auch nicht begreifen: Würde er bestraft, wäre natürlich ich, das Opfer, daran schuld. Nicht er, der Täter.