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Michael Knox

Berlin - Istanbul

Ein Thriller von Michael Knox


Dank an Steffi und Matthias.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

At first…

 

 

 

Berlin – Istanbul

 

 

Ein Thriller von Michael Knox

 

 

Copyright (Text, Cover) by Michael Knox, Berlin 2015

 

 

 

Dank an Matthias und Steffi.

 

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Führt den bewaffneten Kampf gegen diejenigen, die nicht an Allah und an den Jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Allah und sein Gesandter verboten haben, und die nicht dem wahren Glauben folgen, bis sie aus freien Stücken den Tribut entrichten und ihre Unterwerfung anerkennen. (Koran, Sure 9, 29)

***

Für die Ungläubigen haben wir im Jenseits Ketten und Fesseln und den Höllenbrand bereit. (Sure 76,4)

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„Glaubst Du an Gott?“

„Allah ist mein Herr.“

„Was ist die Welt für Dich?“

„Nur Leere…“

„Und die Menschen?“

„Traumwandler, die in der Leere verloren sind.“

„Hast Du ihnen Verpflichtungen gegenüber?“

„Nein, denn ich stehe Gott näher als ihnen.“

„Wie findest Du zu Gott?“

„In dem ich mich ihm unterwerfe und seinem Wort folge.“

„In dem Du Suren aus dem Koran auswendig lernst?“

„In dem ich sie lebe.“

„Welche Aufgabe hat Dir Allah zugewiesen?“

„Ich bin sein Zorn, seine Rache, sein schwarzer Engel.“

„Warum lebst Du nicht nach den Worten des Korans und strebst ein frommes Leben als Moslem an?“

„Weil Allah mir den Krieg zur Aufgabe gemacht hat. Und der Krieg erfordert Strategie, Taktik, List und Überraschung.“

„Wirst Du nach Deinem Leben einen Platz im Paradies finden?“

„Das ist anderen vorbehalten. Mein Leben dient dem Zorn Allahs. Ich erwarte keine Gegenleistung.“

„Fürchtest Du Dich?“

„Die anderen fürchten mich. Ich diene Gott.“

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Berlin, Mittwoch - 18. September

I

Der Regen wurde stärker. Die Temperatur war auf unter zehn Grad Celsius gefallen. Der Sommer war vorbei. Der halbjährige Berliner Winter kündigte sich an. Ben musste die letzten 50 Meter alleine laufen. Yusuf hatte sich an der Straßenecke verabschiedet und ihm Glück gewünscht. Yusuf würde hier stehen bleiben und auf ihn warten.

Über seinem T-Shirt trug Ben nur eine leichte Stoffjacke, die bereits durchnässt war. Ihm war kalt. Und Ben hatte Angst. Ben lief mit festem Schritt die Straße hinunter. Seine Hände umklammerten die Riemen seines Rucksacks. Er dachte an Sidon, seine Heimatstadt. An das Meer und die Sonne. Die Hitze im Sommer. Berlin war kalt. Er mochte die Stadt nicht. Hier gab es kein Meer, keinen Strand. Die nasse Berliner Kälte kroch durch seinen Körper. Er zitterte, die Angst nahm zu.

Ben verlangsamte den Schritt und blieb schließlich stehen. Zehn Meter vor ihm lag sein Ziel. Das „Saigon“, ein vietnamesisches Restaurant in Neukölln. Ben wusste nicht, wo Vietnam lag und wer oder was Saigon war. Er starrte auf das rote Schild, was auf den Gehweg hinaushing und einen goldenen Drachen zeigte. Die Schrift darüber konnte er nicht lesen. In der Schule in Sidon hatte er Arabisch gelernt. Lateinische Schriftzeichen und die deutsche Sprache waren ihm fremd. Auch in Berlin sprachen alle in der Familie arabisch. Aber das war nicht seine richtige Familie.

Er vermisste seine Mutter, die in Sidon geblieben war. Er hatte sie zum letzten Mal im Frühling gesehen, als Onkel Kahlid ihn mitgenommen hatte in das Flugzeug. Ben fand den goldenen Drachen schön. Sein Vater war tot. Als Held in irgendeinem Krieg gestorben als er noch sehr klein war. Jetzt war er neun Jahre alt. Ein großer Junge, wie Onkel Kahlid meinte. Und weil er ein großer Junge sei, sollte er mit nach Berlin kommen. Dort werde er es besser haben, weil Berlin und seine anderen Onkel reich seien, aber seine Mutter arm.

Ben starrte auf den goldenen Drachen. Die Angst in ihm wuchs und wurde größer. Und er war traurig, weil er seine Mutter vermisste. Aber er sollte ihr nicht weiter zur Last fallen, meinte Onkel Kahlid. Tränen stiegen in ihm auf. Das Zittern des Jungen nahm zu. Kälte, Angst, Trauer… Der goldene Drache verschwamm hinter dem Salzwasser seiner Augen.

Ben weinte, er wollte weglaufen, aber er durfte nicht. Yusuf würde ihn schlagen. Ibrahim, Yusufs Vater, würde ihn auch schlagen. Und er würde dann wieder viele Tage in seinem Zimmer bleiben müssen. Das war jedes Mal so, wenn er nicht gehorchte. Außerdem hatte ihm Yusuf ein großes Eis versprochen. Ja, er wollte ein Eis. Schoko, Pistazie und dann noch eine Kugel von diesem blauen Eis, mit viel Streusel drüber. Ben wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Er dachte an sein Eis. Er dachte an sein Training mit Yusuf und Onkel Ibrahim. Die Trauer verschwand. Die Angst erstarrte. Die Kälte blieb.

Ben nahm seinen Rucksack ab, öffnete den Reißverschluss und ging zur Eingangstür des „Saigon“. Er zog die Tür auf und ging hinein. Es war kurz vor elf Uhr. Noch keine Gäste. An einem Tisch rechts vom Tresen saßen vier Männer über Papierstapel und einem Laptop gebeugt. Ben erkannte an den Gesichtern und mandelförmigen Augen, dass es Vietnamesen sein mussten. Die Männer sahen auf. Ben holte die Uzi aus seinem Rucksack, drückte die Sicherungstaste und feuerte die 32 Schuss des Magazins auf die Männer am Tisch. Der Rückstoß der Uzi war kaum zu spüren.

Ben hörte den Lärm nicht. Wie im Training konzentrierte er sich nur auf sein Ziel. Als das Magazin leer war, lagen die Männer am Boden. Auch der Laptop. Papier war überall verstreut. Blut färbte es rot. Blut war auf den Hemden der Männer, in ihren Gesichtern. In ihren Augen waren noch die Überraschung und das Entsetzen über die plötzlichen Schüsse eingraviert. Der Wunsch, ewig zu leben, hatte sich für sie nicht einmal ansatzweise erfüllt. Ben sah es nicht. Wollte es nicht sehen. Er steckte die MP wieder in seinen Rucksack, schulterte ihn und ging hinaus auf die Straße. Da vorne sah er Yusuf.

Er freute sich auf sein großes Eis mit Streusel oben drauf. Sein Herz raste, es regnete und es war kalt, aber das war ihm egal. Yusuf nahm ihn an der Hand und sie gingen zum Eisladen.