Illustration

Landecker Handbüchlein

Lebensklugheit in der Sorge

Ermahnungen an mich selbst

Patrick Schuchter

unter Mitarbeit von
Klaus Wegleitner und Sonja Prieth

StudienVerlag

Innsbruck
Wien
Bozen

 

 

© 2016 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

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ISBN 978-3-7065-5811-2

Buchgestaltung nach Entwürfen von Karin Berner

Satz und Umschlag: Studienverlag/Karin Berner

Umschlagbild: s11 / photocase.de

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Inhalt

Einleitung

Ermahnungen an mich selbst

Von der Klugheit in der Sorge für andere

Von der Klugheit in der Sorge für sich selbst

Einladung zum Schreiben von Selbst-Ermahnungen

Meine Ermahnungen

Zur Entstehung der „Ermahnungen“

Die AutorInnen

Einleitung

In der Antike, insbesondere bei den griechischen und römischen Philosophen und Philosophinnen (etwa den Stoikern oder den Epikureerinnen), war es nicht unüblich, ein „Handbüchlein der Lebensklugheit“ bei sich zu führen. Darin wurden wesentliche Erfahrungen und Grundsätze niedergeschrieben, die Einsichten enthielten, die aus dem Leben entstanden sind, nicht dem Vergessen überlassen werden sollten und für eine gute Lebensführung als bedeutsam empfunden wurden. Im Notfall oder einfach als Wiederholung für das Gedächtnis waren dann diese Leitsätze immer „bei der Hand“ und konnten so zum festen Bestand der eigenen „Lebenskunst“ und Lebenshaltung werden. Insbesondere angesichts der Schläge des Schicksals und der Erfahrungen, die aus der Endlichkeit des menschlichen Lebens resultieren, wie etwa Krankheit, Schwäche, Angewiesenheit, Schmerz und Leid, sollten diese Erinnerungen und „Ermahnungen“ an sich selbst dazu dienen, diesen Lebenslagen gewachsen zu sein oder zumindest damit zurechtzukommen – oder sich vielleicht sogar mit irgendeinem Winkel der Seele oder zumindest hie und da sich über das Leiden zu „erheben“.

Als philosophische, gar weise Menschen galten deshalb in der Antike nicht Autoren zwar großartiger, aber für die meisten unlesbarer Bücher, nicht der „Professor“ an der Universität oder der große Kommentator im Fernsehen, wie das heute der Fall ist, sondern vielmehr Menschen mit einer, wie Sokrates (5. Jh. v. Chr.) das nannte, „geprüften“ Lebenserfahrung, Menschen, die etwas durchlebt und durchlitten hatten (insbesondere in Grenzerfahrungen), aber nicht einfach nur gelebt und erlitten, sondern das auch durchdacht, innerlich durchgearbeitet hatten, Erkenntnisse und Einsichten zur Sprache bringen und diese für andere hilfreich kommunizieren konnten. Philosophinnen und Philosophen waren gewissermaßen „Kundschafter“, so der Stoiker Epiktet (1. Jh. n. Chr.), in den wesentlichen Erfahrungen und Fragen des Lebens. Sie verfügten über „praktische Weisheit“ oder „Lebensklugheit“.

Im Projekt „Sorgende Gemeinde im Leben und Sterben Landeck“ (siehe dazu die Beschreibung am Schluss des „Handbüchleins“) haben wir mit Menschen gesprochen, die über Erfahrung mit der Sorge in schwerer Krankheit, im hohen Alter, im Sterben und in der Trauer verfügen: vor allem pflegende Angehörige, ehrenamtliche Hospizmitarbeiterinnen, die teilweise selbst von Krankheit betroffen waren oder ihre Eltern oder Ehegatten lange gepflegt haben, und andere. In erster Linie jedenfalls Frauen. Die Sorge-Welt ist (immer noch) eine Frauen-Welt. Wir – das Forschungs- und Projektteam – trafen dabei, so eine unserer Erkenntnisse, auf eine Lebensklugheit, die in diesem antiken philosophischen Sinn verstanden und aufbereitet und somit in einer etwas experimentellen Art und Weise weiter geteilt werden könnte. Mit dem „Handbüchlein“ glauben wir auch, mit einem anderen Umgang von Wissenschaft in der Gesellschaft zu experimentieren. Normalerweise ist es so gedacht: Die einen forschen – in „professioneller Distanz“, alles Persönliche soll methodisch ausgeklammert werden –, die anderen werden beforscht. Diese herrschende Logik der Forschung ist aus unserer Sicht aber erstens falsch und zweitens unethisch – vor allem deswegen, weil Menschen keine Forschungs-"Objekte“ sein können, gerade wenn es um ihre Einstellungen, Lebenshaltungen und Erfahrungen geht. Und die Forscher wären weniger sterblich, endlich, sorgend, nur weil sie methodisch Distanz wahren? Unsinn. Es gibt keine Experten vor dem Tod und den entscheidenden Fragen des Lebens. Nicht die Wissenschaft allein erzeugt Wissen, sondern wir hatten das Glück, das Lebenswissen der GesprächspartnerInnen zur Sprache bringen zu dürfen. Wir haben nicht nur be-fragt, sondern wurden auch in unseren Lebenseinstellungen hinter-fragt, haben diskutiert und die „Ergebnisse“ für unser eigenes Leben übersetzt.

Mit den antiken „Handbüchlein der Lebensklugheit“ hat es nun aber eine besondere Bewandtnis, die unbedingt berücksichtigt werden muss. Denn die Einsichten und Appelle, die darin formuliert werden, richten sich niemals an andere, sondern immer nur und konsequent an einen oder eine selbst, also gewissermaßen von mir an mich. So hat etwa der Kaiserphilosoph Mark Aurel (2. Jh. n. Chr.) „Ermahnungen an sich selbst“ geschrieben – und nicht an andere. Denn weder kann ich anderen für ihre Lebensführung etwas vorschreiben noch ihnen das eigene Nachdenken und Erringen von Einsichten abnehmen. „Selbstdenken“ lautet das oberste Gebot der Philosophie – und nicht etwa „Fremddenken“. Die (mehr oder weniger kluge) „Klugheit“ ist radikal persönliches Wissen. Aber: Ich kann es teilen – in der Hoffnung und der wohlwollenden Absicht, dass für andere eine Anregung möglich wird, eigene Leitsätze und Ermahnungen an sich selbst zu entwickeln. Der Philosoph Arthur Schopenhauer (1788–1860) hat dazu gesagt, dass es eine merkwürdige Sache in der Philosophie sei, dass anderen letztlich nur das zugutekommen kann, was jemand für sich selbst durchgedacht hat. Denn sich selbst würde man schon keine „hohlen Nüsse“ reichen. Gleichzeitig braucht es aber natürlich auch für das eigene Durchdenken den Impuls und die Anregung von anderen.