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© Sabine Pichler

MIEZE MEDUSA

arbeitet im Spannungsfeld von Prosa, Lyrik und Spoken Word. Sie ist Pionierin der österreichischen Poetry-Slam-Szene. Ihr letzter Roman »Mia Messer« (Milena, 2012) war für den Alpha-Literaturpreis nominiert und wurde in Österreich und international präsentiert. Höhepunkte der letzten Jahre umfassen z. B. die Buchmessen in Frankfurt, Leipzig, Prag, Bukarest, Wien und Mexico City, Literaturfestivals wie das Luzern bucht, Sprachsalz, Innsbrucker Prosa Festival, Lesereisen & Workshops in Österreich, Deutschland und nach Slowenien, Kroatien, Bosnien, Rumänien, Bulgarien, Moldau und Usbekistan.

MIEZE MEDUSA

MEINE FUSSPFLEGERIN
STELLT FRAGEN AN DAS
UNIVERSUM

Geschichten

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Inhalt

DER SPARGEL KOMMT SPÄT

GEBRAUCHSSPUREN UND WAS BLAUES

MOTIV DES GEFEGTEN RAUMS

A CRITICAL MASS OF SCHAF

JULIUS TYRANNIUS CAESAR

BÄUME FÄLLEN

EINMAL UNVERÄUSSERLICH MIT ALLES, BITTE!

NIEMAND RICHTET EIN WOHNZIMMER EIN

ERTAPPT!

MEINE FUSSPFLEGERIN STELLT FRAGEN AN DAS UNIVERSUM

NICHTS. NICHTS. NICHTS. EIN STERNCHEN.

Ich erröte wie eine Frau,
die man in Lockenwicklern überrascht.

Colette

DER SPARGEL KOMMT SPÄT

Ich steige in seinen Geruch wie in einen Lift, und der bleibt stecken. Es riecht nach Mittagessen, Körperpflege, nach letzter Nacht und so, als hätte sein Leben Wände, und er schon länger kein Fenster mehr geöffnet. Schlecht riecht er nicht, doch er kommt mir zu nahe, wenn er so neben mir steht, mit verschränkten Armen und urban wie ein Wolkenkratzer. Er heißt Fabian, ist sieben Jahre jünger als ich, braun gebrannt, ein bisschen verkatert und mein Chef. Einer meiner Chefs.

Das Telefon läutet, ich verbinde mit Susanne, Spezialistin für Food Photography. Der Spargel kommt spät. Sie schmeißt das Telefon auf die extra deshalb gepolsterte Tischoberfläche, greift nach den Zigaretten und stürmt in den Innenhof. Heute ist Adrenalintag. Das Fotostudio im Hinterhof ist am Nachmittag extern vermietet, die Deadline für den Spargelshoot mit Optimismus angesetzt.

Bernhard, Grafiker, versteckt sich hinter Kopfhörern, die ein halbes Monatsgehalt kosten. Ich bin hier die Einzige mit einem Monatsgehalt, die anderen verwirklichen ihre Vorstellung von Arbeit auf Projektbasis. Neben Bernhard, Susanne und Fabian arbeiten hier Jonathan, Drupal-Experte und Hip-Hop-Fan; Jelena, freie Journalistin mit Schwerpunkt auf feministische- und Gendertheorien und ein paar Temps, die die Infrastruktur anmieten, wenn der Laden läuft, oder wenn ihnen daheim die Decke so auf den Kopf fällt, dass die diversen Caffè Lattes in diversen Lokalen entlang der Gumpe teurer kommen als eine Woche Büroplatz.

Wenn prekäre Arbeit die neue Kaffeehausliteratur ist, dann ist mein Arbeitsplatz ein Wiener Salon. Es ist immer was los, ein Wimmelbild aus Ideen, neuen Turnschuhmarken und Witzen, die bei Buzzfeed geklaut werden. Alle sind so mit ihrer Identität beschäftigt, dass ich mich wundere, wann sie zum Arbeiten kommen. Ich bin die Odd One Out, mit meiner Fixanstellung, die sich meine Chefs nicht leisten können. Ich weiß das, ich mache die Buchhaltung. Mein Lebensmittelgroßeinkauf am Wochenende und mein vorgekochtes Mittagessen sind ihnen so fremd wie die rituelle Verspeisung der Gegner, die die Azteken praktiziert haben.

»Haben sollen!«, wirft da Jelena ein, »unsere Vorstellungen vom Leben der indigenen Völker sind, wo nicht falsch, total kolonial geprägt. Hat denn hier niemand Achille Mbembe gelesen? Foucault? Derrida? Judith Butler, anyone?«

An guten Tagen fühlt sich die Arbeit hier an wie meine Zweitfamilie. An schlechten Tagen auch.

»Was willst du?«, herrsche ich Fabian an, der immer noch neben mir lehnt wie der Bitexco Financial Tower in Ho-Chi-Minh-Stadt, was eine umständliche Art ist zu sagen, dass er heute ein New Era Cap trägt. Fabians Antwort nimmt sich auf umständliche Art Zeit, Luft zu holen. Schließlich lädt er mich ein, später zum Meeting zu kommen, was ungewöhnlich ist, und bittet mich, nach Susanne zu sehen. Er mache sich Sorgen, was nicht so ungewöhnlich ist. Ich wünschte, er würde sie endlich mal zum Essen einladen und dann nicht nur über die Arbeit reden.

»Wie geht’s Sophie?«, fragt er im Weggehen. Sophie ist meine Tochter, und ich nehme an, es geht ihr gut.

Mit einem Glas Tee in der Hand, eine spezielle Kräutermischung, die Susanne regelmäßig im Waldviertel bestellt und auch im Winter mit Eiswürfeln trinkt, mache ich mich auf die Suche. Im Halbschatten des Hinterhofs, auf halbem Weg zu ihrem Fotostudio, lehnt Susanne und starrt auf das Telefon in ihrer Hand. Die andere Hand macht Wischbewegungen in der Luft, als könnte sie den Spargel herbeizoomen. Ich stelle das Teeglas neben ihr auf dem Fensterbrett ab und sage erst mal nichts.

»Weißt du«, sagt sie schließlich, »gekochter Spargel schmilzt unter den Lampen so schnell. Ich habe Glück, die bestellten Fotos sind vom rohen Spargel, da ist das Zeitfenster für gute Bilder eigentlich groß, aber ich hab’ mir wirklich Gedanken gemacht, ich wollte endlich mal Spargel ohne Tiefenschärfe fotografieren, aber trotzdem plastisch … Wenn jetzt der Spargel nicht kommt, kann ich heute vergessen und morgen, na ja, morgen sind die Props futsch, morgen Mitternacht geht das Magazin in Druck, und die Fotos müssen ja auch noch abgenommen werden.«

»Weißer oder grüner Spargel?«, frage ich, weil mir keine andere Frage einfällt, es aber besser ist, dem Ärger redend Luft zu machen, als mit der Hand durch die Luft zu wischen.

»Komm mit!«

Susannes Studio betrete ich selten. Über der Tür hat sie eine rote On-Air-Lampe befestigt, aber oft vergisst sie, sie einzuschalten, und es ist keine gute Idee, in ihre Konzentration einzubrechen wie chinesische Elektrogeräte in den europäischen Binnenmarkt. Deshalb habe ich mir angewöhnt, das Studio wie Sophies Zimmer zu behandeln: Ich betrete es nur auf Einladung. Der Kühlschrank im Eck ist mir neu, wahrscheinlich wird dort eine ganze Karaffe Tee eisgekühlt, und mein Glas, das Susanne ohnehin am Fensterbrett vergessen hat, war nur als Geste hilfreich. Auf diesen Kühlschrank stürmt sie zu, reißt die Tür auf und macht eine ausladende Handbewegung: »Voilà, das Problem!«

Das Problem ist wunderschön. Aufgereiht steht ein knappes Dutzend fragiler Vasen aus Eis, in die allerhand eingeschlossen ist. Frische Kräuter, Safranfäden, Gewürznelken …

»Ist das Käse?«

»Parmesanschnitzer. Die bunten Vasen sind mit verschiedenen Currypulvern gemacht. Das Problem ist, der Kühlschrank ist nicht kalt genug. Entweder kommt der Spargel bald und dann shoote ich heute, oder er kommt spät, dann sind die Vasen wieder Wasser.« Susannes Hand zittert, als sie die Kühlschranktür zudrückt. Ich nicke ihr zu und gehe zurück zu meinem Schreibtisch, dem Spargel Feuer unter dem Hintern machen, und herausfinden, ob der externe Shoot am Nachmittag verschiebbar ist. Es hat sich eine Band eingebucht, Pressefotos stehen an, aber wenn man ihrem facebook-Account glauben darf, sind die Tracks noch nicht im Kasten und der Frontmann hat gestern Nacht zu einer beeindruckend späten Uhrzeit ein beeindruckend verwackeltes Foto von sich und ein paar Mädchen hochgeladen. Den Termin zu verschieben, gekoppelt mit einem kleinen Preisnachlass, wird keine große Kunst sein. Ich rufe die Managerin an, sie ist, wie ich glaube, die Freundin des Frontmannes und klingt erleichtert, als ich um die Verschiebung bitte. Meine Beruhigungs-SMS erreicht Susanne fünf Minuten bevor der Spargel kommt und das On-Air-Licht über der Studiotür mit einer Nachdrücklichkeit angeht, die ich lange nicht mehr gesehen habe.

Ich nehme mir mein vorgekochtes Mittagessen mit in den Hinterhof und mache mich an meine Lieblingsbeschäftigung: Ich mache mir Sorgen um Sophie.

Sophie wohnt für ein Monat in Barcelona, bei Maria und Familie. Kulturaustausch. Ich kenne Maria, sie war letzten Herbst bei uns zu Gast, vielleicht deshalb die Sorgen. Zum Großwerden gehört eine Portion Glück und zum Elternsein eine Portion Vertrauen, würde Rainer sagen, wenn er da wäre. Rainer ist nicht Sophies Vater, so wie ich nicht Leonies Mutter bin, mit der Rainer gerade Urlaub ohne mich macht. Das ist alles weniger kompliziert, als es klingt. Wir sind eine stinknormale Familie mit zwei Kindern, vier bis sechs Eltern, einer Myriade Großeltern und den üblichen Problemen mit der Urlaubsplanung. Rainer hat sich so wenig gemeldet wie Sophie, Leonie sowieso nicht, ich erinnere mich an die unerschöpflichen Vertrauenskapazitäten, die irgendwo tief in mir schlummern.

Nach der Pause höre ich den Anrufbeantworter ab und verteile Post-its mit »XY bittet um Rückruf!« oder »Dringend!« oder »War nicht erreichbar!«. Dass wir einen Festnetzanschluss haben, war Fabians Idee, der seine Anrufe mit Vorliebe auf die Büronummer umleitet. Wer seine Telefonanrufe nicht mehr selber beantworten muss, der hat es geschafft, findet er. »Vergiss Porsche – Festnetzanschluss mit Sekretärin«, entschuldigender Blick zu mir, Sekretärin werde ich sonst nur hinter meinem Rücken genannt, »das ist der neue Luxus.«

Es fühlt sich komisch an, ein Statussymbol zu sein. Aber der Vergleich macht einen schlanken Fuß, wie die Ledermokassins, die Susanne heute trägt. Wie die meisten Besitzer sich ihren Porsche können sich meine Chefs mich nicht leisten, und wie die meisten Statussymbole wurde ich vererbt: Ein Jahr lang hat mich die Wirtschaftskammer bezahlt, als Unterstützung für Raffaela; die machte in Mode und wurde außerdem Mutter. Ich sollte für die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf sorgen, was insofern funktioniert hat, als ich selber Mutter bin und berufstätig. Zwar bietet Wien im Vergleich zum Rest von Österreich mehr Kinderbetreuungsangebote an, Schweden ist es aber keines. Nach einem Jahr mit hängender Zunge, ständigen Schuldgefühlen, keinen Ideen und einem wachsenden Berg an Rechnungen warf Raffaela das Handtuch. »Geht nicht«, so ihr Kommentar. Das hätte ich ihr auch sagen können.

Nach Raffaela ist Jelena ins Büro eingezogen und wirft seither mit Judith-Butler-Zitaten um sich. Ich bin geblieben, mache mich nützlich, optimiere meine Arbeit und die der anderen so gut es geht, und mache mich so unentbehrlich, wie es ein Porsche nur sein kann. Heute zum Beispiel: Den Rest der Zeit verbringe ich mit dem Organisieren von Jonathans Besuch einer Drupal-Konferenz in Madrid (Anreise, Unterkunft, Weitergabe des Abstracts seiner Keynote-Speech, die ich vorher unauffällig Korrektur gelesen habe), erinnere Jelena an die anstehende Deadline zur Abgabe eines Projektansuchens, telefoniere mit der SVA in Sachen Fabians Selbstbehalt und habe danach noch Zeit, allerhand zu googeln. »Possibility is not a luxury, it is as crucial as bread.« Judith Butler, wie sie von Jelena eher nicht zitiert wird. Brot ist ihr zu profan.

Das Meeting findet auf Jelenas Bitte hin im Hinterhof statt. Ich trinke Susannes Tee, der in der Sonne lauwarm geworden ist. Jonathan beobachtet irgendwelche Pixelbewegungen auf seinem Handy, als wären sie Butter und er das Brot. Bernhard kritzelt in einen Block. Fabian beobachtet das On-Air-Licht über Susannes Tür, als wäre es Bifröst und er berechtigt zum Brückenschlag. Aber das Rot des Lichts ist das Rot des Stoppschildes, nicht das Rot der leidenschaftlichen Einladung auf einen Ritt nach Asgard.

»Soll ich Susanne an das Meeting erinnern?«, frage ich zermürbt nach ein paar Minuten, dehnbar wie die von Microsoft.

»Nein.« Fabian rückt seine New Era Cap zurecht. »Egal, wir können ihr später davon erzählen.«

Es folgt das Typische. Nach ein paar Runden »Büroplatz-Tinder« bleiben die beiden Reservetische genau das: Reserve für temporäre Kolleginnen und Kollegen. Die App zum Spiel hat Jonathan programmiert. Wer sich bei uns für einen Büroplatz vorstellen möchte, lädt sie runter, loggt sich via facebook ein und schon geht’s los. Sobald die Software ein »Match« findet, werden die facebook-Accounts der Anfragenden diskutiert – mit einer Ausführlichkeit, die an anderen Orten zur Erlangung eines Doktortitels reicht. Einen Büroplatz bekommt man so aber nicht. Schließlich sucht man auf »Tinder« nach dem Gefühl, begehrt zu sein, nicht nach einem Partner für länger. Fabian diskutiert die Kandidaten und Kandidatinnen heute untypisch lustlos. Als wollte er den Besprechungspunkt ganz schnell nach links wischen. Danke, kenn ich schon, nächstes Thema. Susannes On-Air-Licht leuchtet noch immer.

Mir ist langweilig. Ich habe eigentlich zu tun, muss mich nützlich machen und außerdem das Internet auslesen. Überstundenschreiben ist absolut tabu und gratis arbeiten eine schlechte Angewohnheit, wie das Rauchen oder das Abkauen der Fingernägel. Heute habe ich es eilig mit dem Nachhausekommen. Zuhause wartet ein Fertiggericht auf mich und eine Youtube-Party mit mir selbst. Solange ich die Links aus meiner Browser-History verschwinden lasse, kann ich mir anschauen, was ich will: ungesund, unmoralisch, unwiderstehlich. Kein einziges Katzenvideo heute Abend, habe ich mir geschworen und muss beim Gedanken an Sophies »Schau, wie süß«-Gequietsche doch grinsen.

»Du findest das also komisch!« Jelenas Stimme ist laut und klingt irritiert. Noch schlimmer: Sie schaut mich an.

»Na ja«, schinde ich Zeit und versuche mir einen Reim auf die fassungslosen Gesichter zu machen. Nur Fabian schaut, sagen wir mal, inspiriert. Was immer ich jetzt sage, ich werde es bereuen, also sage ich erst mal nichts.

»Ich weiß schon«, Jelenas rote Flecken in der Halsgegend kündigen eine Zitatschlacht an, »Judith Butler hat gesagt, dass Gender außerhalb der Moral existiert, aber sie hat da doch sicherlich über Systeme gesprochen, nicht davon, sich auszuziehen

»Um was geht es denn?«

Fabian zuckt bei Susannes Stimme zusammen. Keiner von uns hat sie gehört. Jetzt, wo sie neben mir steht, rieche ich ihre Zigarette. Susanne riecht nach Rauch, Dunkelkammer, Staub, und so, als hätte ihre Arbeit Wände, und sie schon länger kein Fenster mehr geöffnet.

Fabian wird ein bisschen rot, Jonathan hat sein Handy weggelegt, was bemerkenswert ist. Jelena wartet darauf, dass einer der anderen erklärt, was hier diskutiert wird. Nach einer Minute, unendlich wie die von Microsoft, knetet sie ihre Haarspitzen durch: »Fabian will, dass wir versuchsweise nackt ins Büro kommen. Ein Monat lang.«

»The Bold Italic« ist Teil der Hype-Maschine, die andere als San Francisco kennen. Es ist eine Webseite, die offline gegangen ist, eine Woche nachdem sie sich die Mutter aller Aprilscherze erlaubt hatte: Eine Fotostory über ein Monat Nacktarbeit in der Redaktion, eine logische Weiterentwicklung des im Silicon Valley entwickelten Gedankens des Open Office. Daheim würden doch die meisten oben oder unten ohne arbeiten. Sicher, am Anfang sei es peinlich gewesen, so wurde erzählt, aber schon nach ein paar Tagen hätten sie sich darum gestritten, wer die Kleider wieder anziehen müsse, um in der Mittagspause zu Taco Bells zu laufen. Und überhaupt. Die Produktivität sei in die Höhe geschossen wie eine Signalrakete, nachdem sie ein sicheres System ausgearbeitet hatten. Harte Nippel bedeuteten: »Ich habe ein Idee«, weiche Nippel standen für: »Ich habe Zeit, für Zigarette, Kaffee oder ein Gespräch«.

Als Susanne »So ein Quatsch!« sagt, schaut Fabian untröstlich wie ein QR-Code, der mitbekommt, dass kein Mensch die Scansoftware auf das Handy geladen hat. Oder wie ich bei der Vorstellung, wer Sophie auf »Tinder« grad nach links wischen könnte oder – noch schlimmer – nach rechts.

»Du hast schon mitbekommen, dass das ein Aprilscherz war?«, fragt Jonathan, unentschlossen in die Bilder rein- und wieder rauszoomend. »Das sind doch Models!«

»Das ist wohl klar. Aber darum geht es ja gerade. Was können wir besser als Amerika, auch wenn San Francisco da natürlich anders ist?«, sagt Fabian.

»Krankenversicherungen?« – Bernhard.

»Nein!« – Fabian.

»Schifahren?« – Jonathan.

Fabian erspart sich das Nein.

»Schusswaffengesetze?« – »Vollkornbrot.« – »Mülltrennung.« – »Mozartinterpretationen!« – Alle durcheinander.

»Sex, natürlich! Und FKK!« – Fabian. Er schaut erwartungsvoll in die Runde: »Wer hat’s erfunden?«

»Der Kastrationsschreck beim Anblick des weiblichen Genitals bleibt wahrscheinlich keinem männlichen Wesen erspart. Sigmund Freud«, so Jelena. Plötzlich grinst sie und überrascht uns alle: »Klar, können wir machen! Ich hab’ nichts zu verstecken.«

Jonathan murmelt etwas von seiner Drupal-Konferenz und dass Madrid um diese Jahreszeit ja wunderschön sein soll. Warum also nicht ein bisschen länger bleiben … Bernhard reagiert eigentlich gar nicht. Er kommt ohnehin nicht so oft ins Büro. Und dann Susanne: »Okay, von mir aus.«

Fabian wird so rot wie die Golden Gate Bridge. Ich habe Nebel in den Augen. Jetzt muss das doch was werden.

Daheim klicke ich mich durch die mir vorgeschlagenen Youtube-Videos, bis ich Lust auf Fertig-Lasagne habe, warte auf den einsamsten Sound der Welt, auf das Piepen der Mikrowelle in einer leeren Wohnung. Ich mache mir den Weißwein auf, den Rainer und ich gemeinsam gekauft haben, aber wenn er sich nicht meldet, kann ich nicht fragen, ob es ihn stört, wenn ich den Wein jetzt alleine trinke.

Youtubes Algorithmus kennt mich schlechter, als er glaubt, oder lässt sich dafür bezahlen, mir unpassende Videos vorzuschlagen. Ich langweile mich. Obwohl ich es mir verboten habe, klicke ich mich durch Sophies facebook-Account. La Sagrada Familia, Maria, Duckface vor Streetart, ihre Status-Updates schreibt meine Tochter neuerdings auf Spanisch. Alles in Ordnung. Spätestens morgen ruft sie mich an, oder ich sie. Gleichzeitig hege ich die Vermutung, dass ich eine Fassade bestaune, und dass Sophie mehr als einen facebook-Account hat. Den offiziellen für Mama, Papa und die spätere Jobsuche, und einen ehrlicheren unter einem Fake-Namen, von dem ich keine Ahnung habe. Ich sollte froh sein, würde Rainer jetzt sagen, dass Sophie so weit denkt, ihre Pubertät nur verschlüsselt im Internet abzuspeichern, und mich daran erinnern, wie hoch ich es meiner eigenen Mutter immer angerechnet habe, dass sie nie mein Tagebuch las. Mist, an Sophies Tagebuch hätte ich jetzt besser nicht denken sollen.