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Martin Barkawitz

Der Schauermann

Historischer Thriller





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Inhalt

 

Nackte Angst macht sich breit, als im Hamburger Hafen im heißen August des Jahres 1892 eine schöne junge Frau grausam ermordet wird. Beunruhigende Gerüchte machen die Runde – ist wirklich ein Vampir für ihren Tod verantwortlich?

Polizei-Offiziant Lukas Boysen glaubt nicht an einen Blutsauger als Täter. In einer Stadt, die unter einer schlimmen Cholera-Epidemie leidet, gleicht die Kriminalermittlung einem Tanz auf dem Vulkan. Als Boysen eine heiße Spur aufnimmt, wird er schon bald von seinen Vorgesetzten gestoppt. Mächtige Interessengruppen scheinen den Mörder schützen zu wollen. Der Fahnder kommt einem furchtbaren Geheimnis auf die Spur.

 

Boysen ist ganz auf sich allein gestellt. Unterstützung bekommt er nur von der resoluten jungen Schönheit Anna Dierks, die Zeugin eines Mordversuchs geworden ist. Zwischen Hurenhäusern und Opiumhöhlen, Schiffs-Laderäumen und eleganten Bürgersalons kommt es zu einer atemberaubenden Mörderjagd durch das choleraverseuchte Hamburg.

 

 

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Prolog

 

Hamburg, 20. August 1892

 

Das Mondlicht glitzerte auf den trägen Wellen der Elbe.

Marie Stevens war sternhagelvoll und hatte sich im Wald verirrt. Jedenfalls glaubte sie das. Doch in Wirklichkeit ragten keine Baumstämme in den finsteren Himmel, sondern die zahllosen Segelschiffmasten des Hamburger Hafens.

Die zwanzigjährige Prostituierte bekam einen Schluckauf. Sie musste sich am Steintwietenhof gegen eine Mauer lehnen, um nicht zu stürzen. Beiläufig bemerkte sie, dass ihre üppigen Brüste aus der nachlässig geschnürten Korsage quollen. Marie brachte ihr Äußeres wieder halbwegs in Ordnung. Trotz ihrer Trunkenheit war sie jetzt wieder einigermaßen bei Verstand. Sie wollte nicht von den Udels aufgegriffen und als »liederliche Frauensperson« im Polizeigewahrsam ins Stadthaus geschafft werden.

»Ich – hick – sehe den Wald vor lauter Bäumen nicht«, sagte sie laut zu sich selbst und kicherte albern. Wie ein Taucher, der aus der tiefen See Richtung Wasseroberfläche gleitet, kam die blonde junge Frau nun ein wenig zu sich. Marie begriff nun auch, dass sie sich am Hafenrand aufhielt. Doch wo genau sie sich befand, wusste sie nicht. Das Mädchen stammte aus dem Hannoverschen und lebte erst seit einem Jahr in der großen Hafenstadt an der Elbe.

Marie raffte ihre Röcke und stolperte mit unsicheren Schritten über die Niederbaumbrücke bei der Kehrwiederspitze. Dabei wäre sie beinahe gegen einen abgestellten Handkarren gelaufen. Das Freudenmädchen war schon wieder durstig. Sie hoffte, irgendwo in einem der großen dunklen Gebäude vor ihr eine gemütliche Seemannskneipe zu finden.

Marie blieb einen Moment lang stehen, um nach Luft zu schnappen. Sie schaute hinunter auf das mondbeschienene Wasser des Kehrwiederfleets, in dem eine eiserne Tjalk sich in der Dünung wiegte. Der Wind hatte aufgefrischt, und die Prostituierte zog sich ihr gestricktes Umlegetuch enger um die schmalen Schultern. Beim Anblick des schaukelnden Schiffes wurde ihr übel, beinahe hätte sie sich übergeben müssen. Marie setzte ihren Weg fort.

Es klapperte, als ein Bäckerlehrling in seinen Holzpantinen und seiner karierten Hose an ihr vorbeieilte. Schmunzelnd registrierte Marie seinen lüsternen Seitenblick auf ihr Dekolleté, das trotz des züchtigen Umlegetuchs immer noch gut zu erkennen war. Das moderne elektrische Licht machte schon seit zehn Jahren im Hafen die Nacht zum Tag, daher konnte der Junge auch in finsterster Nacht Maries weibliche Reize nicht übersehen.

Das Freudenmädchen lachte und pfiff auf vier Fingern hinter dem Bäckerlehrling her.

»Wenn du deine Pfennige für mich sparst, mache ich dir einen Sonderpreis, Kleiner!«, plärrte Marie ihm hinterher, bevor der Schluckauf ihr einstweilen wieder die Sprache verschlug. Sie brauchte jetzt wirklich dringend einen Rumgrog.

Der Lehrling machte sich aus dem Staub, ohne ihre Bemerkung zu quittieren. Wahrscheinlich wartete sein Meister bereits auf ihn, und er würde eins hinter die Löffel kriegen, wenn er zu spät kam.

Drüben am Sandtorhöft wurde die Ladung eines mächtigen Dampfers gelöscht. Hunderte von Schauermännern waren damit beschäftigt, die Waren aus dem Schiffsbauch zu holen und an Land zu schaffen. Marie stellte sich vor, wie es wäre, wenn jeder dieser Kerle auch nur fünf Reichsmark für ihre Liebesdienste zahlte ... Dann könnte sie wie eine Königin in das ärmliche Dorf zurückkehren, aus dem sie stammte.

Dieser Gedanke entlockte ihr ein schrilles Kichern. Marie schaute an den Fassaden der Warenspeicher hoch, die von Giebeln, Erkern und Zinnen gekrönt wurden. Ihr wurde klar, dass sie sich verlaufen hatte. In diesem Teil des Hafens gab es keine Schänken. Hier befanden sich nur die Warenlager der Pfeffersäcke. Es roch nach Anis und Estragon, nach Tabak und Zimt und nach allerlei Gewürzen, von denen Marie noch niemals gehört hatte.

Plötzlich spürte sie, dass sie nicht mehr allein auf der Straße war.

Marie drehte sich um. Der Mann war scheinbar aus dem Nichts erschienen. Die Prostituierte hatte ihn jedenfalls nicht kommen sehen. Normalerweise fürchtete sie sich nicht vor Kerlen, obwohl sie schon einige schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Doch bei diesem Mann witterte sie instinktiv die Gefahr, die von ihm ausging.

Er stieß ein dumpfes Knurren aus, das besser zu einem Tier als zu einem menschlichen Wesen gepasst hätte.

»Was willst du?« Maries Stimme war lauter und schriller als je zuvor. »Lass mich in Ruhe, du! Ich schreie ...!«

Und dann tat sie es wirklich. Doch der Mann ließ sich davon nicht beeindrucken. Er jagte auf das Freudenmädchen zu. Marie versuchte, davonzulaufen. Doch das bodenlange Kleid und die Unterröcke bremsten ihre Geschwindigkeit, außerdem war sie betrunken.

Eine leichte Beute für die wilde Bestie.

In den letzten Minuten ihres Lebens lernte Marie echte Todesangst kennen. Ihr Schrei verstummte, weil die Furcht ihr die Kehle zuschnürte. Im Hafen gab es viel Gesindel, und Marie hatte schon mit richtigen Dreckskerlen zu tun gehabt. Doch dieser Mann – falls es ein Mann war – übertraf alles. Die Prostituierte begriff, dass sie keine Chance mehr hatte. Es war nicht die Frage, ob sie sterben würde, sondern nur, wie lange es bis zu ihrem sicheren Tod dauerte.

Marie fiel in ein Meer von Schmerzen. Sie sah rot und erkannte, dass es ihr eigenes Blut war. Dieser Teufel in Menschengestalt bearbeitete sie mit Tritten und Schlägen. Schließlich verlor sein Opfer das Bewusstsein.

Marie war schon ohnmächtig, als sie von dem Mörder totgebissen wurde.