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© Verlag KOMPLETT-MEDIA GmbH

2015, München/Grünwald

Books on Demand GmbH

978-3-8312-5748-5

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Geschichts-Daten

21. April 753
v. Chr.: Gründung Roms, Romulus & Remus
716 – 671: Numa Pompilius
671 – 640: Tullus Hostilius
640 – 616: Ancus Marcius
616 – 579: Lucius Tarquinius Priscus
579 – 535: Servius Tullius
534 – 508: Lucius Tarquinius Superbus
508: Gründung der Republik
493: Foedus – Friedensvertrag mit lateinischer Liga
461: Gesetze der Zwölf Tafeln
279: Schlacht bei Ascolum („Phyrrhos-Sieg“)
275: Sieg bei Malvento (Phyrrhos),
Unterwerfung Süditaliens
264 – 241: Erster Punischer Krieg
255: Seeschlacht bei Tunis
218 – 201: Zweiter Punischer Krieg
216: Schlacht bei Cannä
202: Schlacht bei Zama
149 – 146: Dritter Punischer Krieg
148: Eroberung Makedoniens &Griechenlands
130 – 30: Römischer Bürgerkrieg
110: Der afrikanische Skandal
107 – 101: Gaius Marius
91 – 89: Bundesgenossenkrieg
88 – 82: Lucius Cornelius Sulla
82 – 79: Lucius Cornelius Cinna
63: Marcus Tullius Cicero
60: Erstes Triumvirat: Pompeius, Cäsar, Crassus
58 – 51: Cäsar unterwirft Gallien
49: Schlacht bei Pharsalus:
Cäsar schlägt Pompeius
15. März 44: Ermordung Cäsars
42: Zweites Triumvirat: Octavian,
Pompeius, Lepidus
31: Schlacht bei Actium, Octavian
schlägt Antonius
27: Octavian wird Kaiser „Augustus“
14 nach Chr.: Tod von Augustus
14 – 37: Tiberius
37 – 41: Caligula
41 – 54: Claudius
54 – 68: Nero
69: Dreikaiser-Jahr
69 – 79: Vespasian
24. August 79: Ausbruch des Vesuv, Untergang von Pompeji
79 – 81: Titus
80: Einweihung des Kolosseums
81 – 96: Domitian
96 – 98: Nerva
98 – 117: Trajan
117 – 138: Hadrian
138 – 161: Antoninus Pius
161 – 180: MarcAurel
180 – 192: Commodus
193 – 211: Septimius Severus
211 – 217: Caracalla
219 – 222: Eleagabal
222 – 235: Severus Alexander
235 – 284: Zeit der Soldatenkaiser
284 – 305: Diocletian
303: Höhepunkt der Christenverfolgung
306 – 337: Constantin der Große
312: Schlacht vor Rom:
„In diesem Zeichen wirst Du siegen!“
330: Einweihung von Konstantinopel
337 – 361: Constantius II.
361-493: Politische Wirren – Kaiser und Gegenkaiser
410: Eroberung Roms durch die Westgoten
455: Wandalen erobern Rom
493: Theoderich entmachtet Odoaker.-
Ende des Römischen Reiches

Inhaltsverzeichnis

Wenn sich junge, trotzige Männer gegen die Autorität der Alten auflehnen, um irgendwo in der Wildnis ihre eigene Gemeinschaft zu gründen, dann hat dieses Unternehmen keine Zukunft, wenn es an Frauen fehlt. Genau dies war die Situation, als um etwa 750 vor Christus eine Schar abenteuerlustiger Burschen aus dem Gebiet der Albaner Berge, wahrscheinlich von der Gegend des heutigen Castel Gandolfo kommend, einige Kilometer entfernt die neue Stadt Rom gründeten. Vielleicht waren es Tunichtgute auf der Flucht vor strengen Richtern, vielleicht auch landhungrige Bauern auf der Suche nach einer neuen Scholle. Vielleicht aber hatte sie auch der Stadtrat von Alba Longa als Kundschafter geschickt, um die Grenzen nach Toskanien zu überwachen. An dessen Küste war um jene Zeit gerade ein neues, rätselhaftes Volk, die Etrusker, gelandet, von denen niemand wusste, woher sie kamen und was sie im Schilde führten. Und vielleicht befanden sich unter diesen jungen Wilden wirklich zwei Brüder, die Romulus und Remus hießen. Wie dem auch sei, sollte diese Siedlung Bestand haben, mussten jedenfalls Kinder geboren werden. Und dazu brauchte es Frauen in der Stadt.

Die Lust lockt

Wir wissen nicht, wie es damals wirklich war.

Aber etwa so könnte es gewesen sein:

Ein Römer namens Claudius freut sich: „Endlich ist Schluss mit dieser ewigen Bevormundung. Hier gibt es keinen Patron, der uns ständig gängelt. Keine Hausherrin, der wir es nie recht machen können. Endlich sind wir unsere eigenen Herren, wir säen und ernten, wir gehen auf die Jagd, wir fischen ganz wie wir wollen. Herrlich ist das!“ Einer seiner Kumpel, er heißt Marcellus, kann ihm da nicht ganz zustimmen: „Na ja, ganz so herrlich ist es doch eigentlich nicht. Wir leben in dieser Wildnis zwar wie Herren und dürfen uns Römer nennen. Und wenn uns danach ist, liegen wir so lange auf unserer Pritsche wie wir mögen. Aber findest Du nicht, Claudius, dass uns etwas Entscheidendes fehlt?“

Claudius stellt sich erst mal dumm: „Du sprichst vom Wein, edler Marcellus? Den liefern uns doch die Etrusker, diese merkwürdigen Fremdlinge. Mit reinem Quellwasser verdünnt, ein herrlicher Trunk. Erfrischt den Körper und beflügelt die Seele. Alles was recht ist, eines muss man diesen Etruskern, deren Hochmut die Götter strafen sollen, lassen: vom Weinkeltern verstehen sie etwas!“

Marcellus, etwas ungehalten, erwidert: „Ach Claudius, wer redet denn vom Wein, dessen flüchtiger Rausch am Tag danach mit der Mattigkeit des Körpers bestraft wird. Ein schneller Genuss, kaum der Rede wert. Ich rede von den Wonnen der fleischlichen Lust, von der Zärtlichkeit einer weiblichen Hand, von einem süßen Lächeln, das mich nach dem Erwachen am frühen Morgen verzaubert. Und ich rede auch von Kindern. Wie soll Rom Bestand haben, wofür sollen wir kämpfen, wenn wir nicht wissen wofür?“ Claudius stimmt ihm zu: „ Bei den Göttern, es ist wahr, was Du sagst, Marcellus. Wofür sollen wir uns auf dem Feld abplagen, warum sollen wir auf dem Schlachtfeld unser Leben riskieren, wenn wir nichts, was wir geschaffen haben, an die nächste Generation weiter geben können. Unser Dasein wäre sinnlos.“

Marcellus: „Klug gesprochen, edler Claudius. Lass uns zu Romulus eilen und unser Anliegen vorbringen!“

Der Raub der Sabinerinnen

Es waren, um den Unmut der Männer in Rom zu zügeln, dringend Frauen nötig. Romulus, wenn er denn der Anführer dieser wilden Auswanderer-Schar war, kam auf die grandiose Idee, ein großes Fest zu veranstalten und dazu das Nachbarvolk der Sabiner mit seinem König Titus Tatius und vor allem aber seine Töchter einzuladen. Die Einladung wurde dankend angenommen. Doch während sich die Gäste den Wettspielen widmeten und sich an ihren Siegen berauschten, raubten die weniger sportlichen Gastgeber die Töchter der Gäste und trieben anschließend die Sabiner zu den Stadttoren hinaus. Welch eine Ungeheuerlichkeit! Aber so ungeschlacht waren die Römer.

In Sachen Menschenraub waren die Menschen schon damals sehr empfindlich. Schließlich hatte vor nicht allzu langer Zeit ein spektakulärer Frauenraub einen zehnjährigen Krieg entfesselt und zur Zerstörung der blühenden Stadt Troja geführt. Die dreisten Römer hingegen, diese plumpen Bauernburschen, hatten nicht nur eine einzelne Dame geraubt, sondern gleich mehrere Dutzend in Beschlag genommen.

Verständlich, dass sich am nächsten Morgen die Väter und Brüder der Damen vor den Toren der Stadt einfanden, um die Schmach zu rächen. Die Römer, die natürlich wussten, dass ihnen die Nachbarn diesen bösen Bubenstreich nicht so einfach durchgehen lassen würden, hatten sich in Erwartung eines Angriffs in ihrer Stadt auf einem Hügel, dem Kapitol, verschanzt. Allerdings hatten sie die Unvorsichtigkeit begangen, einer der frisch eroberten Damen den Schlüssel zur improvisierten Festung anzuvertrauen. Und dummerweise war diese offensichtlich nicht sehr von dem ihr aufgezwungenen Ehemann begeistert. Sogar der Name der Unzufriedenen ist uns überliefert: Tarpeja.

Jedenfalls schloss sie das Tor zur Stadt auf und ließ die Belagerer hinein. Die Väter und Brüder aber benahmen sich sehr eigenwillig. Entweder waren sie über diesen Verrat entrüstet oder sie wollten ihre Schwestern und Töchter gar nicht zurück an den heimischen Herd holen. Auf jeden Fall erstikkten sie Tarpeja unter ihren Schilden und feierten mit den Römern lieber einen üppigen Hochzeitsschmaus, als sich gegenseitig die Schädel einzuschlagen. Zumal die geraubten Sabinerinnen erklärten, sie hätten keine Lust, so rasch Witwen zu werden, sollten ihre Väter und Brüder siegreich aus dem Kampf hervor gehen. Die Römer gaben im Übrigen dem Felsen, von dem Vaterlandsverräter später zu Tode gestürzt wurden, den Namen jener Frau, die sie fast vernichtet hätte: Tarpeja.

Da bereits von Romulus die Rede war, muss auch noch ein Wort über seinen Zwillingsbruder Remus verloren werden. Die Zwillinge sollen der Legende nach vom Kriegsgott Mars gezeugt worden sein, der eines Tages, als er sich zufällig einmal vom Kriege machen ausruhte, die schlafende Priesterin Rhea Silvia begattete. Die soll die Kleinen auf ein winziges Floß ausgesetzt und das Leben ihrer Kinder den Wellen des Tibers anvertraut haben.

Doch statt ins Meer trieb das Floß ans Ufer, und das klägliche Weinen der Zwillinge soll eine Wölfin herbei gelockt haben, die die beiden Kleinen fortan säugte und so am Leben erhielt. Böse Zungen behaupten zwar, dass es sich bei der Wölfin um die Bäuerin Acca Larentia gehandelt habe, die wegen ihres losen Lebenswandels „Die Wölfin“ genannt wurde. Aber die animalische Version wurde Staatslegende, und sie klingt ja auch viel aufregender. Jedenfalls wuchsen die Zwillinge zu kräftigen Burschen heran und wurden Romulus und Remus genannt. Sie waren es, die an der Stelle, an der ihr Floß gelandet war, mit Kumpeln aus Alba Longa die Stadt Rom gründeten.

Romulus und Remus spannten einen weißen Stier und eine weiße Stute vor den Pflug und zogen eine tiefe Furche um ihr Land, richteten eine Mauer auf und schworen, jeden zu töten, der es wagen sollte, sie zu zerstören. Remus, der Pessimist von den beiden, behauptete, die Mauer tauge nichts und stieß mit dem Fuß ein paar Steine heraus. Darauf erschlug ihn Romulus, so wie er es geschworen hatte.

Dies soll am 21. April 753 vor unserer Zeitrechnung geschehen sein. Deshalb wird seitdem am Tag des Brudermordes auch heute noch der Geburtstag der Stadt Rom gefeiert. In wenigen Jahrhunderten wurde das bescheidene Fleckchen Erde, das Romulus und Remus mit dem Stier und der weißen Stute umgepflügt hatten, zum Zentrum von Latium, zum Zentrum von Italien und später sogar zum Zentrum der ganzen damals bekannten Welt.

Die geheimnisvollen Etrusker

Ganz anders als die heutigen Römer, für die das Leben nur ein immerwährendes Spiel zu sein scheint, nahmen die Römer damals das Leben bitter ernst. Sie hatten auch allen Grund dazu. Wenn sie es sich in den Kopf gesetzt hatten, einen Feind zu vernichten, begnügten sie sich nicht damit, ihm den Krieg zu erklären und dann irgendwann einmal eine Schlacht zu schlagen. Sie waren auf totale Zerstörung aus, ließen keinen Stein auf dem anderen, wenn es ihnen einmal gelungen war, in seine Städte einzudringen.

Besonders unversöhnlich zeigten sich die Römer gegen die Etrusker, jenes Volkes, das ganz Umbrien und Toskanien besetzt hatte, technisch sehr viel höher entwickelt war und unaufhaltsam gegen den Süden drängte. Es wurde ein langer, unbarmherziger Krieg, und von den Unterlegenen blieben nur wenige am Leben, um den Untergang ihres Volkes zu beweinen. Selten verschwand eine Nation, vielleicht mit Ausnahme der Karthager, so endgültig von der Weltbühne wie die etruskische, und selten auch haben Sieger die letzten Spuren ihrer Gegner so restlos vertilgt, wie die Römer.

Niemand kann mit Sicherheit sagen, woher die Etrusker stammen. Manches in ihren Gesichtszügen erinnert an Völkerstämme in Kleinasien. Sicher ist, dass sie als erste Bewohner Italiens eine Flotte besaßen. Nicht umsonst ist das Meer an der toskanischen Küste nach ihnen benannt.

Auf jeden Fall war die Kultur der Etrusker der der Römer überlegen. Sie kannten bereits eine frühe Form der Zahnchirurgie, sie verarbeiteten Eisen zu Stahl, sie gebrauchten auch schon Kupfer, Zinn und Bernstein. Ihre Städte Tarquinii, Arretium, Perusia und Veji waren viel moderner und schöner als die primitiven Dörfer der Latiner, Sabiner und anderer Völkerstämme der Halbinsel. Sie besaßen bereits Verteidigungsanlagen, richtige Straßen und – ganz wichtig – Kloaken. Sie waren also hervorragend organisiert, während die anderen Stämme rund herum alles eher dem Zufall überließen.

Vor allem aber zeichnete die Etrusker ein ausgeprägter Handelssinn aus, der sie jedes Opfer bringen und jeder Gefahr trotzen ließ. Zu einer Zeit, als die Römer nicht wussten, was hinter dem nächsten Hügel vor sich ging, waren die Etrusker schon bis nach Piemont und in die Lombardei vorgestoßen, hatten die Alpen überschritten, waren die Rhône und den Rhein aufwärts gewandert, um ihre Waren nach Gallien, der Schweiz und nach Germanien zu bringen. Während in Rom noch Schafe als Zahlungsmittel galten, kannten die Etrusker bereits Münzen.

Sie scheinen ein fröhliches Völkchen gewesen zu sein, die Etrusker. Vielleicht verloren sie deshalb später den Krieg gegen die melancholischen Römer, deren Leben nur aus strenger Pflichterfüllung zu bestehen schien. Auf den Vasen, die die Römer vergaßen zu zerstören, sehen wir gut gekleidete Männer, von jenen Togen umhüllt, die die Römer später zu ihrem Nationalgewand erkoren. Sie trugen langes, gepflegtes Kopfund Barthaar und schönen Schmuck an den Handgelenken, am Hals und an den Fingern. Sie kannten Tanz und trieben Sport. Die Männer spielten Polo und liebten den Stierkampf.

Die Frauen spielten bei den Etruskern gesellschaftlich eine wichtige Rolle. Wir sehen sie mit Gold und Edelsteinen geschmückt und geschminkt auf breiten Ruhebetten neben ihren Gebietern liegen und lächelnd den Spielen zusehen oder selber die Flöte blasen oder tanzen. Die Römer waren zu jener Zeit große Moralisten und gaben allen Frauen mit etwas freierem Lebenswandel den Namen „Toskanerinnen“, also Etruskerinnen.

Die Religion verkörperte sich bei den Etruskern in einem Gott, der den Namen Tinia trug und seine Macht mit Blitz und Donner ausübte. Er regierte die Menschen nicht unmittelbar, sondern vertraute seine Befehle einer Art ausführendem Gremium von zwölf großen Göttern an, die so erhaben waren, dass es Frevel bedeutete, auch nur ihren Namen auszusprechen.

Alle Götter zusammen bildeten das große Gericht des Jenseits, wohin die „Genien“, die Seelen der Verstorbenen wanderten, sobald diese ihre leibliche Hülle verlassen hatten. Dann begann ein richtiger Prozess. Wer nicht beweisen konnte, dass er immer nach dem Willen der Götter gelebt hatte, wurde in die Hölle geschickt. Es sei denn, Verwandten und Freunden gelang es, durch Gebete und Opfer die Götter gnädig zu stimmen. In diesem Falle kam der Verblichene ins Paradies, wo er sich allen weltlichen Freuden, die sich von denen unserer Tage nicht wesentlich unterscheiden, hingeben konnte.

Die Etrusker hatten deshalb auch keinerlei Skrupel, Menschenopfer für die Rettung ihrer Seelen zu bringen. Es bot sich geradezu an, Kriegsgefangene dafür zu benutzen. Einmal wurden 300 in der Schlacht gefangene Römer gesteinigt, um aus ihren noch dampfenden Lebern die Zukunft abzulesen. Stiere und Schafe wurden ebenfalls geopfert, um das Schicksal zu deuten. Auch das ein Brauch, der später von den Römern übernommen wurde.

Es war ein mächtiges und intelligentes Volk also, das den Römern da gegenüber stand. Aber den zerstreuten etruskischen Städten gelang es niemals, sich zu vereinigen, und keine von ihnen war stark genug, die anderen in ihre Gewalt zu bringen. Die zwölf kleinen Staaten ließen sich einzeln schlagen, statt vereint gegen den gemeinsamen römischen Feind zu ziehen.

Der heilige Numa Pompilius

Doch bleiben wir in der Chronologie der Ereignisse. Der Nachfolger von Romulus und zweiter König von Rom wurde Numa Pompilius, den uns die Legende halb als Heiligen, halb als Philosophen überliefert hat. Er vollbrachte eine politische Großtat, als er für die vielen, von den verschiedenen Völkern nach Rom gebrachten Götter eine Rangordnung einführte, die später seinen Nachfolgern Tullus Hostilius und Ancus Marcius erlaubte, ein geeintes Volk gegen die rivalisierenden übrigen Städte zu führen.

Wahrscheinlich war Numa Pompilius eher Hohepriester als König, denn die Macht lag schon damals in der Hand des Volkes. Rom war in drei Stämme aufgeteilt: die der Latiner, der Sabiner und – nach gelungener Unterwerfung – der Etrusker. Jeder Stamm wiederum gliederte sich in zehn Kurien oder Quartiere, und jedes dieser Quartiere in zehn Gentes oder Geschlechter. Die Kurien tagten zweimal im Jahr in den Kuriatkomiteen, und ihrer Volksversammlung oblag es, einen neuen König zu wählen, wenn der alte gestorben war. Jeder hatte gleiches Wahlrecht und die Mehrheit entschied. Der König war lediglich der Ausführende.

Solange Rom ein kleines Dorf war, funktionierte diese Demokratie ohne Klassenunterschiede ideal. Doch die Menschen vermehrten sich, die Bedürfnisse stiegen. Bald hatte der König, dem außer den religiösen Funktionen, den Opfern und Gottesdiensten auch die Rechtssprechung oblag, keine Zeit mehr für alle diese Pflichten und begann, die ersten Beamten zu ernennen. Das war die Geburtsstunde der Bürokratie, eine Disziplin, in der die Römer noch Großes vollbringen sollten. Und als sich weitere Hilfskräfte um die Straßen, die Volkszählung, die Grundsteuern, die Hygiene kümmerten, entstand bald das erste Ministerium: Der Senat, ein Rat der Alten. Er bestand aus ungefähr 100 Bürgern, die zu Anfang nur die Aufgabe hatten, den König zu beraten, in der Folgezeit aber immer einflussreicher wurden.

Irgendwann bildete sich auch ein stehendes Heer, das ebenfalls nach den 30 Kurien eingeteilt wurde, von denen jede eine Centuria oder Hundertschaft und eine Decuria, zehn Reiter mit Pferden, zu stellen hatte. Diese 30 Hundertschaften und 30 Decurien bildeten zusammen eine Legion, das erste und einzige Armeekorps des alten Rom. Der König hatte als oberster Befehlshaber die Macht über Leben und Tod seiner Soldaten, aber auch diese militärische Macht übte er nicht absolut und unkontrolliert aus. Wohl leitete er die Feldzüge, aber nicht ohne vorher den Soldatenrat anzuhören, dem er auch die Liste der zu ernennenden Offiziere, damals Prätoren genannt, vorlegte. Die alten Römer, bauernschlau, hatten alle Vorkehrungen getroffen, damit sich ihr König nicht eines Tages in einen Tyrannen verwandeln konnte. Er war und blieb Delegierter des Volkes.

Auf den weisen Numa folgte Tullus Hostilius, der ein sehr viel lebhafteres Temperament besaß. Ihm lagen die Politik, das Abenteuer und die Begierde im Blut. Nach 40 Friedensjahren gelüstete es ihn nach Sieg und Beute. Unter einem Vorwand überfiel er die Stadt Alba Longa, aus der der Legende nach ihre eigenen Vorfahren stammten, und zerstörte sie.

Dieser erfolgreiche Eroberungsfeldzug muss Lust auf mehr gemacht haben. Zuerst unter Tullus Hostilius und später unter Ancus Marcius fingen die Römer denn auch wirklich mit allen Nachbarn Streit an. Und zu der Zeit, als Tarquinius Priscus als fünfter König den Thron bestieg, war Rom schon zum Feind Nr. 1 des ganzen Gebietes von Mittel-Italien geworden, das sich vom heutigen Civitavecchia im Norden bis Rieti im Osten und Frosinone im Süden ausdehnte.

Die primitive Frühzeit

Bis zum vierten König waren in Rom die Bauern in der Mehrzahl, und die Wirtschaft war überwiegend agrarisch. 3.300 Soldaten zählte damals das stehende Heer. Auf Grund dieser Zahl geht man davon aus, dass die Bevölkerung damals ungefähr 30.000 Menschen umfasste. Die Mehrzahl von ihnen lebte auf dem Land, knapp die Hälfte in der Stadt.

Die Römer hausten damals vornehmlich in Lehmhütten, die willkürlich und zerstreut errichtet waren, nur eine Eingangspforte hatten, aber noch keine Fenster. In dem einzigen großen Raum der Hütte lebten alle Bewohner zusammen, aßen, kochten und schliefen, Seite an Seite mit Hühnern, Eseln, Kühen und Schweinen.

Am Morgen stiegen die Männer dann ins Tal, um die Felder zu bestellen – auch die Senatoren. Hygiene und Pflege der eigenen Person waren, auch bei den Frauen, auf ein Minimum beschränkt. Es gab keine Schönheitsmittel, keine Eitelkeit – und wenig Wasser, das man schließlich erst mühselig vom Tal herauf schleppen musste. Aborte und Kloaken waren unbekannt, Bärte und Haare wuchsen ungepflegt, und was die Kleidung angeht, so darf man sich nicht an die Denkmäler halten, die aus sehr viel späterer Zeit stammen. Die Römer trugen, bevor sie die Toga bei den Etruskern schätzen lernten, eine Art ärmelloses Hemd mit einem Loch, durch das der Kopf gesteckt wurde.

Leibliche Genüsse waren in der römischen Frühzeit so gut wie unbekannt. Die Römer haben damals bewiesen, dass man die ganze Welt erobern kann, auch wenn man sich mit ein paar Löffeln in Wasser gekochten Mehls, ein paar Oliven, etwas Ziegenkäse und an den Feiertagen mit einem Glas Wein begnügt, der ohnehin meistens mit Wasser verdünnt wurde. Auch der König lebte nicht viel anders. Erst zur Zeit der Tarquinier-Dynastie bekam er eine Art besonderer Wohnung, einen Helm und die königlichen Abzeichen. Bis zu Ancus Marcius war er ein Gleicher unter Gleicher gewesen, der wie alle anderen auch sein Feld gepflügt, gesät und geerntet hatte. Er mischte sich ohne Wachen unters Volk, denn sonst wäre er in den Verdacht geraten, seine Untertanen mit Gewalt statt mit ihrer freien Zustimmung zu regieren.