Erste Abteilung.

Inhalt

I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.

I.

Zurück

Ich bin der Meinung, daß man erst nach langer Beobachtung der Menschen imstande ist, Charaktere zu schaffen, gleichwie man erst durch anhaltendes Studium befähigt wird, eine Sprache zu sprechen.

Ich habe noch nicht das Alter erreicht, wo man erfindet, und begnüge mich daher mit dem Erzählen von Tatsachen.

Die folgende Geschichte ist durchaus wahr, ich habe nur die Namen der daran teilnehmenden Personen verändert, denn alle, mit Ausnahme der Heldin dieser Erzählung, leben noch.

Überdies gibt es zu Paris Personen, welche Zeugen der hier gesammelten Tatsachen waren und dieselben bestätigen könnten, wenn mein Zeugnis nicht genügte; ich allein aber wurde durch besondere Verhältnisse in den Stand gesetzt, diese Geschichte zu schreiben, denn ich allein wurde mit allen Einzelheiten so vertraut, um eine genaue, verständliche und vollständige Erzählung geben zu können.

Diese Einzelheiten kamen auf folgende Art zu meiner Kenntnis. Am 12. März 1843 las ich in der Rue Lafitte einen großen gelben Anschlagzettel, welcher die Anzeige eines Verkaufes von Möbeln und Luxusartikeln enthielt. Dieser Verkauf sollte »infolge eines Todesfalls« stattfinden. Die verstorbene Person wurde nicht genannt, aber die Versteigerung des Nachlasses sollte am 16. in der Rue d’Antin von zwölf bis fünf Uhr nachmittags stattfinden.

Am 13. und 14., hieß es auf dem Anschlagzettel, könne man die Wohnung besuchen, in der sich die Möbel, Gemälde und alle zu versteigernden Gegenstände befanden.

Ich war stets ein Liebhaber von merkwürdigen Stücken, ich nahm mir also vor, diese Gelegenheit zu benützen, um dieselben zu sehen und vielleicht etwas davon zu kaufen.

Am folgenden Tage begab ich mich in das bezeichnete Haus der Rue d’Antin. Am Haustor sah ich zwei noch größere Anschlagzettel, welche über die bevorstehende Versteigerung noch genauere Auskunft gaben, als jener, den ich in der Rue Lafitte gesehen hatte. Der Hausmeister sagte mir auf meine Anfrage, daß die zu verkaufenden Gegenstände im ersten Stock zu sehen wären und daß die Wohnung offen sei.

Es war noch früh, und dennoch waren schon Besucher und sogar Besucherinnen da, welche, obgleich in Samt gekleidet und in Kaschemirs gehüllt, den vor ihren Augen ausgebreiteten Luxus dennoch mit Bewunderung betrachteten.

In der Folge begriff ich diese Verwunderung und dieses Erstaunen, denn bei genauer Beobachtung dieses Luxus, der nicht immer von völlig tadellosem Geschmack war, erriet ich bald, wer diese Gemächer bewohnt haben müsse. Überdies erkannte ich in den drei oder vier Besucherinnen, deren elegante Coupés vor dem Hause hielten, galante Damen, die in der großen Welt ziemliches Aufsehen machten; ich wußte mir daher ihr Erstaunen und Lächeln zu erklären, so oft ihnen ein Gegenstand von großem Werte vorkam.

Kurz, es unterlag keinem Zweifel, daß ich in der Wohnung einer durch ihren Luxus bekannten femme entretenue war. Wenn es etwas gibt, was galante Frauen zu sehen wünschen, so sind es die Wohnungen jener Rivalinnen, deren Equipagen täglich an ihren eigenen vorüberrollen, die, gleich ihnen, Logen in der Oper und im italienischen Theater haben, und ihre Schönheit, ihre Brillanten und Skandale ohne Erröten zur Schau tragen Die Bewohnerin der Prunkgemächer, in denen ich mich befand, war tot; es konnten daher die tugendhaftesten Frauen bis in ihr Zimmer dringen. Der Tod hatte diese glänzende Kloake gereinigt, und überdies konnten sich diese Damen – wenn sie wirklich einer Entschuldigung bedürften – damit entschuldigen, daß sie zu einer öffentlichen Versteigerung kamen, ohne zu wissen, wem die Sachen gehört hatten. Sie hatten die Anschlagzettel gelesen, sie wollten sehen, was in dem Verzeichnisse aufgeführt war; dabei aber konnten sie mitten unter allen diesen Wunderdingen ungehindert die Spuren jenes koketten Lebens aufsuchen, von dem sie ohne Zweifel gar seltsame Dinge gehört hatten.

Unglücklicherweise waren diese Geheimnisse mit der Göttin zu Grabe gegangen und viele Damen vermochten mit dem besten Willen nur zu erforschen, was nach dem Ableben der schönen Sünderin zu verkaufen war, aber nichts von dem, was bei Lebzeiten der letzteren feil gewesen war.

Es gab übrigens gar viel zu kaufen. Der mit Korduanleder tapezierte Speisesaal hatte zwei prächtige Schränke aus der Zeit Heinrich des Vierten, in denen silbernes und vergoldetes Tafelzeug glänzte. Große, gestickte Vorhänge verschleierten die Fenster und Sessel von dem gleichen Stoff umgaben einen kunstvoll geschnitzten Tisch von Eichenholz.

In dem mit großgeblümtem Stoff ausgeschlagenen Schlafzimmer stand auf einer Erhöhung ein prachtvolles Bett, auf Karyatiden ruhend, die Faune und Bacchantinnen darstellten. Auf den Platten Säulen dieses Bettes waren Wasserkannen angebracht mit Weinranken verschlungen, aus denen Liebesgötter hervorlugten. Die Bettvorhänge waren aus demselben Stoff wie die Tapeten und die Fußdecke bestand aus der schönsten Spitzenstickerei.

Nach diesem Heiligtum zu urteilen, mußte die Göttin schön gewesen sein; gewiß war, daß die Priester den Altar geschmückt hatten.

Zwischen den beiden Fenstern stand ein großer Glasschrank mit chinesischem Porzellan und einer Menge allerliebster Spielereien; darüber hing eine Originalzeichnung von Vidal.

In ähnlicher Weise war die ganze Wohnung ausgestattet. Der Salon war weiß, kirschrot und Gold; die Möbel waren von Rosenholz, der Kronleuchter würde einem Fürstensaale zur Zierde gereicht haben und auf dem Kamingesims stand eine Pendule so groß wie ein Kind.

Das Boudoir war in gelbem Seidenstoff tapeziert, Divans, Armleuchter, chinesisches Porzellan und Spitzen, nichts fehlte. Ein Fauteuil, dessen Stoff durch häufigen Gebrauch abgenützt war, schien zu beweisen, daß seine Besitzerin einen großen Teil ihrer Zeit auf dem weichen, schwellenden Sitz zugebracht hatte. Ein Piano von Rosenholz deutete auf ihren Kunstsinn.

Ich machte die Runde durch die Zimmer und folgte den Damen, die vor mir eingetreten waren. Sie gingen in ein mit persischem Stoff ausgeschlagenes Zimmer und ich wollte ebenfalls eintreten, als sie lächelnd wieder herauskamen; es schien beinahe, als ob sie sich dieser neuen Merkwürdigkeiten geschämt hätten. Meine Neugierde wurde nur noch größer. Es war das Toilettezimmer und enthielt noch alle jene Luxusgegenstände, in denen sich die Verschwendung der Verstorbenen am höchsten entwickelt zu haben schien.

Auf einem an der Wand stehenden großen Tische, der wohl sechs Fuß lang und drei Fuß breit sein mochte, glänzten alle Schätze, die in dem Laden Aucocs und Odiots zu haben sind. Nichts fehlte an der Vollständigkeit dieser Sammlung, und alle die tausend Toilettegegenstände waren von Gold oder Silber. Diese Sammlung hatte indessen nur nach und nach angelegt werden können und sie war offenbar von mehr als einer milden Hand gespendet worden.

Der Anblick des Toilettezimmers einer femme entretenue machte mich nicht so scheu wie die vor mir eingetretenen Damen und ich nahm die Gegenstände genau in Augenschein. Nach einigen Augenblicken bemerkte ich, daß alle diese prächtig ziselierten Gegenstände verschiedene Anfangsbuchstaben und Adelskronen führten. Ich zog daraus den Schluß, daß jeder sein Schmuckkästchen mitgebracht und nicht wieder mitgenommen hatte, und da die Sammlung so reichhaltig war, konnte die Anzahl der Geber wohl nicht ganz klein gewesen sein.

Ich betrachtete alle diese Sachen, deren jede eine Entehrung des armen Mädchens darstellte, und ich dachte, Gott sei doch recht gütig gegen sie gewesen, daß er ihr dle gewöhnliche Strafe, welche die Gefallenen früher oder später trifft, erspart und sie mitten in ihrem Luxus, in ihrer Schönheit und Jugend aus diesem Leben abberufen hatte. Mancher konnte vielleicht noch lange an sie denken, da sie nicht alt geworden war, und das Alter ist ja der erste Tod der Buhlerinnen.

Ich kenne keinen traurigeren Anblick als das Alter des Lasters, zumal bei dem anderen Geschlecht. Es enthält keine Poesie und flößt keine Teilnahme ein. Es erregt ein peinliches Gefühl, diese Trümmer vergangenen Glanzes in der Nähe zu sehen. Diese nimmer endende Reue, nicht über die begangenen Fehltritte, sondern über schlechte Berechnungen und das schlecht verwendete Geld, ist eines der traurigsten Dinge, die man hören kann. Ich habe eine Buhlerin gekannt, der aus ihrer Vergangenheit nichts geblieben war als eine Tochter, die fast ebenso schön war, wie sie nach der Versicherung ihrer Zeitgenossen einst selbst gewesen war. Dieses arme Mädchen war von ihrer Mutter nie anders als aus schnöder Gewinnsucht Tochter genannt worden. Ich erinnere mich, daß sie Louise hieß und eine zarte blasse Schönheit war. Die gewissenlose Mutter forderte von ihr, sie in ihrem Alter auf dieselbe Weise zu ernähren, wie sie das Kind einst ernährt hatte, und Louise – gehorchte ohne eigenes Wollen, ohne Leidenschaft, wie sie einem anderen Befehl gehorcht haben würde. Man hätte sie mit einem Automat vergleichen können. In ihrem Herzen hatte nichts Gutes gekeimt, weil nichts Gutes hineingesäet worden war. Das frühere Lasterleben hatte die bessere Einsicht, die Gott ihr vielleicht gegeben, getötet.

Louise ging fast täglich zu derselben Stunde über die Boulevards. Ihre Mutter begleitete sie beständig und mit derselben sorgsamen Wachsamkeit, wie eine wahre Mutter ihre Tochter begleitet haben würde. Ich war damals noch sehr jung und keineswegs abgeneigt, die leichtfertige Moral unseres Jahrhunderts für mich anzunehmen. Ich erinnere mich jedoch, daß mich der Anblick dieser schändlichen Beaufsichtigung mit Unwillen und Abscheu erfüllte.

Man denke sich dazu das unschuldigste Madonnengesicht, mit dem Ausdruck tiefer Schwermut und geduldiger Ergebung.

Louise wurde bald das Opfer eines schändlichen Verbrechens, das der Anstand näher zu bezeichnen verbietet. Die Mutter lebt noch, der Himmel weiß wie.

Die Geschichte Louisens war mir eingefallen, während ich die silbernen Becher und Schmuckkästchen betrachtete, und es mochte wohl einige Zeit darüber vergangen sein, denn die schönen Besucherinnen waren verschwunden und ich war mit dem Aufseher allein in der Wohnung. Dieser stand an der Tür und beobachtete jede meiner Bewegungen mit großer Aufmerksamkeit.

Seine argwöhnischen Blicke entgingen mir keineswegs und ich trat auf ihn zu.

»Monsieur«, sagte ich zu ihm mit der Höflichkeit, die man solchen Leuten gegenüber beobachten muß, »können Sie mir den Namen der Person sagen, die hier gewohnt hat?«

»Mademoiselle Margarete Gautier«, antwortete der Aufseher.

Ich erinnerte mich, daß ich wirklich eine in ganz Paris berühmte Schönheit dieses Namens oft gesehen hatte. Es war eine jener Schönen, die durch ihren Aufwand großes Aufsehen machen.

»Wie!« sagte ich zu dem Aufseher, »Margarete Gautier ist tot?«

»Ja, mein Herr.«

»Seit wann?«

»Ich glaube seit drei Wochen.«

»Und warum gestattet man dem Publikum Zutritt in diese Wohnung?«

»Die Gläubiger meinten, der Ertrag der Versteigerung werde dann größer werden. Die Kauflustigen können im voraus sehen, welchen Effekt die Stoffe und Möbel machen. Sie begreifen wohl, daß die Kauflust dann größer wird.«

»Sie hatte also Schulden?«

»Ja, ja, sehr viele.«

»Aber der Ertrag der Auktion wird die Schulden doch decken.«

»Es wird gewiß noch mehr eingehen.«

»Wer erhält dann den Überschuß?«

»Die Verwandten der Verstorbenen.«

»Sie hatte also Verwandte?«

»Es scheint so.«

»Ich danke Ihnen,« sagte ich zu dem Manne, der mir diese Auskunft gegeben hatte.

Der Aufseher, der nun wohl sah, daß ich nichts hatte stehlen wollen, grüßte mich höflich und ich verließ die verödeten Prunkgemächer.

»Armes Mädchen,« sagte ich zu mir selbst, als ich in meine Wohnung zurückkehrte; »sie hat gewiß ein recht trauriges Ende gehabt, denn in ihrer Sphäre hat man nur Freunde, wenn man sich wohl befindet.«

Ich fühlte unwillkürlich eine Regung des Mitleids bei dem Gedanken an Margaretens Schicksal.

Dies wird manchem vielleicht lächerlich scheinen, aber ich habe eine unerschöpfliche Nachsicht gegen Sünderinnen und ich gebe mir nicht einmal die Mühe, diese Nachsicht näher zu erörtern.

Als ich eines Tages auf der Präfektur einen Reisepaß nahm, sah ich in einer der angrenzenden Gassen ein Mädchen, das von zwei Gendarmen weggeführt wurde. Ich weiß nicht, was sie getan hatte, ich kann nur sagen, daß sie bitterlich weinte, indem sie ein kleines Kind, von welchem man sie trennen wollte, zärtlich umarmte. So lange aber ein weibliches Gemüt noch Tränen hat, ist es noch nicht verstockt; wer noch weinen kann, ist noch nicht ganz verworfen. Tränen sind die zweite Taufe des Gewissens, sie waschen immer etwas ab. Es ist jedoch nicht bloß unsere Absicht, ein philosophisches Buch über die Buhlerinnen zu schreiben. Wir beklagen von ganzem Herzen jene schwachen Geschöpfe, die täglich sündigen, ohne meistens zu wissen, was sie tun, und wir halten uns nicht für berechtigt, strenger gegen sie zu sein, als Christus war. Wir beschränken uns auf die Erzählung der versprochenen einfachen Geschichte, deren Wahrheit wir aufs neue verbürgen, und wir bitten den Leser, aus dieser Erzählung die sich naturgemäß ergebenden Schlüsse zu ziehen, deren Andeutung wir nicht für notwendig halten.

X.

Zurück

Das Zimmer, in welches sich Margarete geflüchtet hatte, war nur mit einer Wachskerze beleuchtet.

Sie saß in halbliegender Stellung auf einem Sofa; die eine Hand hielt sie fest auf die Brust gedrückt, die andere ließ sie hinunter hängen.

Auf dem Tische stand ein halb mit Wasser gefülltes silbernes Waschbecken; in dem Wasser bemerkte ich dünne Blutstreifen.

Margarete war sehr blaß, ihr Mund war halb geöffnet und sie suchte wieder Atem zu schöpfen. Von Zeit zu Zeit stieß sie einen tiefen Seufzer aus und nach jedem derselben schien sie sich einige Sekunden erleichtert zu fühlen.

Ich trat auf sie zu, sie machte keine Bewegung; ich setzte mich zu ihr und faßte ihre auf dem Sofa ruhende Hand.

»Ach! Sie sind’s,« sagte sie, sich aufrichtend.

Ich mochte wohl verstört aussehen, denn sie setzte mit gezwungenem Lächeln hinzu: »Sind Sie auch krank?«

»Nein,« erwiderte ich; »aber Sie sind noch krank, nicht wahr?«

»Sehr wenig,« sagte sie, indem sie sich mit dem Schnupftuch die von dem Husten erpreßten Tränen abwischte, »ich bin schon daran gewöhnt.«

»Sie richten sich zugrunde,« sagte ich teilnehmend: »ich möchte Ihr Freund, Ihr Verwandter sein, um das Recht zu haben, für Ihr Wohl zu sorgen.«

»Ach! es ist wirklich nicht der Mühe wert, daß Sie so besorgt sind,« erwiderte sie mit einiger Bitterkeit. »Die anderen kümmern sich nicht um mich; sie wissen wohl, daß nichts dagegen zu tun ist.«

Sie stand auf, nahm das Licht vom Tische, stellte es auf den Kamin und betrachtete sich im Spiegel.

»Wie blaß ich bin!« sagte sie, indem sie sich die Haare glatt strich. »Kommen Sie, wir wollen uns wieder an den Tisch setzen.«

Aber ich stand nicht auf, ich war in Betrachtung versunken. Sie schien einzusehen, welchen Eindruck die Szene auf mich gemacht hatte, denn sie trat auf mich zu; reichte mir lächelnd die Hand und sagte: »Kommen Sie.«

Ich faßte ihre Hand, drückte sie an meine Lippen und benetzte sie unwillkürlich mit zwei lange zurückgehaltenen Tränen.

»Wie kindisch sind Sie,« sagte sie, sich wieder zu mir setzend. »Sie weinen ja! Was fehlt Ihnen denn?«

»Ich muß in Ihren Augen wohl recht einfältig erscheinen,« erwiderte ich, »aber was ich gesehen habe, tut mir sehr weh.«

»Sie sind sehr gütig, daß Sie sich darum kümmern. Wie kann ich’s aber ändern? Ich kann nicht schlafen und muß mich doch etwas zerstreuen. Und was liegt daran, ob ein Mädchen, wie ich, mehr oder weniger in der Welt ist? Die Ärzte sagen, das Blut, das ich auswerfe, komme aus den Luftröhrenästen; ich gebe mir das Ansehen, als ob ich es glaube, mehr kann ich nicht tun.«

»Hören Sie, Margarete,« sagte ich mit einer Aufwallung des Gefühls, die ich nicht mehr zurückzuhalten vermochte, »ich weiß nicht, welchen Einfluß Sie auf mein Leben haben werden; aber ich nehme an niemandem, selbst nicht an meiner Schwester, einen so regen Anteil, als an Ihnen. Diese Teilnahme entstand in dem Augenblicke, wo ich Sie zum ersten Male sah. Um des Himmels willen, schonen Sie sich, leben Sie nicht mehr wie bisher.«

»Wenn ich mich schonte, würde ich sterben. Nur die fieberhafte Aufregung hält mich aufrecht. Wenn ich mich schonte, würde ich nach und nach verlöschen wie ein Licht; wenn ich so fortlebe wie bisher, so wird’s auf einmal aus sein mit mir. Frauen, die von einer Familie und Freunden umgeben sind, haben wohl Ursache, sich zu schonen; aber wir werden von unseren Verehrern verlassen, sobald wir ihrer Eitelkeit oder ihrem Vergnügen nicht mehr dienen können, und den langen Tagen folgen die langen Abende. Ich weiß es wohl, ich habe zwei Monate im Bett zugebracht; als drei Wochen verflossen waren, kam niemand mehr zu mir.«

»Es ist wahr, daß ich für Sie nichts bin,« erwiderte ich; »aber wenn Sie wollen, so würde ich für Sie Sorge tragen wie ein Bruder, ich würde Sie nicht verlassen; und Sie würden gewiß bald genesen. Dann könnten Sie immerhin Ihre jetzige Lebensweise wieder anfangen, wenn Sie es für gut hielten; aber ich bin überzeugt, daß Sie ein ruhigeres Leben, in welchem Sie mehr Glück finden und Ihre Schönheit bewahren könnten, vorziehen würden,«

»Sie denken diesen Abend so, weil Sie durch den Wein trüber gestimmt werden, als die übrigen Tischgäste, aber die Geduld, deren Sie sich rühmen, werden Sie gewiß nicht haben.«

»Erlauben Sie mir, Margarete, zu erwidern, daß Sie zwei Monate krank waren und daß ich mich täglich nach Ihrem Befinden erkundigte.«

»Warum kamen Sie nicht herauf?«

»Weil ich Sie damals nicht kannte.«

»Geniert man sich denn mit einem Mädchen, wie ich bin?«

»Man geniert sich mit jeder Frau, das ist wenigstens meine Meinung.«

»Sie, würden also für meine Gesundheit Sorge tragen?« fragte Margarete lächelnd.

»Ja.«

»Und Sie würden alle Tage bei mir bleiben?«

»Ja.«

»Und auch alle Nächte?«

»So lange, als ich Ihnen nicht lästig sein würde.«

»Aber wie nennen Sie das?«

»Ich nenne es Ergebenheit.«

»Und woher kommt diese Ergebenheit?«

»Von einer unwiderstehlichen Zuneigung, die ich für Sie habe.«

»Sie lieben mich also? Sagen Sie es nur sogleich, das ist weit einfacher.«

»Es ist möglich, vielleicht werde ich es Ihnen zu einer anderen Zeit sagen, nur heute nicht.«

»Es ist besser, daß Sie es mir nie sagen.«

»Warum?«

»Weil nur zweierlei daraus entstehen kann: entweder nehme ich Sie nicht an und dann werden Sie mir zürnen; oder ich nehme Sie an und dann bekommen Sie eine traurige Geliebte – die reizbar, kränkelnd, traurig oder ausgelassen lustig ist, die Blut hustet und hunderttausend Franks jährlich braucht. So etwas ist gut für einen reichen alten Kauz wie der Herzog, aber es ist sehr langweilig für einen jungen Mann wie Sie, daher haben mich auch alle jungen Verehrer sehr schnell verlassen.«

Ich antwortete nichts, ich hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Diese Aufrichtigkeit, die beinahe ein Bekenntnis war, dieses mit Schmerz erfüllte Leben, das ich unter dem vergoldeten Schleier bemerkte und dem das arme Mädchen in rauschenden Genüssen und Zerstreuungen zu entfliehen suchte – dies alles machte einen so tiefen Eindruck auf mich, daß ich keine Worte fand, um meine Empfindungen auszudrücken.

»Doch lassen wir diese Kindereien,« fuhr Margarete fort. »Geben Sie mir die Hand und kommen Sie in den Speisesaal. Man darf nicht wissen, was es bedeutet.«

»Gehen Sie, wenn es Ihnen so gefällt, aber mir erlauben Sie hier zu bleiben.«

»Warum?«

»Weil mir Ihre Lustigkeit zu peinlich ist.«

»Nun, so will ich traurig sein.«

»Hören Sie, Margarete,« sagte ich, ihre beiden Hände fassend, »ich will Ihnen etwas sagen, das Sie gewiß schon oft gehört haben und deshalb wohl nicht mehr glauben; aber ich schwöre Ihnen, daß es wahr ist und ich will es Ihnen setzt sagen, weil ich vielleicht nie wieder Gelegenheit dazu finden werde.«

»Nun, lassen Sie hören …,« sagte sie mit der lächelnden Miene einer jungen Mutter, die einen närrischen Einfall ihres Kindes anzuhören bereit ist.

»Seit ich Sie zum ersten Male sah, haben Sie, ich weiß nicht wie und warum, einen Platz in meinem Leben eingenommen, ich mochte Ihr Bild aus meiner Seele verbannen wie ich wollte, es ist immer wieder zurückgekehrt; heute, nachdem ich Sie zwei Jahre lang nicht gesehen, haben Sie eine noch größere Gewalt über mich erlangt und nun, da ich Sie kenne, da ich Sie in der Nähe beobachtet habe, sind Sie mir unentbehrlich geworden und ich werde den Verstand verlieren, wenn Sie mich nicht lieben, ja selbst, wenn ich Sie nicht lieben darf.«

»Ich kann Sie nur beklagen«, erwiderte sie, »Wissen Sie denn nicht, daß ich monatlich sechs-bis siebentausend Franks brauche und daß mir diese Ausgabe zum Bedürfnis geworden ist? Wissen Sie denn nicht, daß ich Sie in unglaublich kurzer Zeit ruinieren würde und daß Ihre Verwandten Sie kreditlos machen würden, um Sie zu verhindern, Ihrem Verderben entgegenzugehen? Lieben Sie mich daher als Freund, aber nicht anders. Besuchen Sie mich, wir werden miteinander plaudern und scherzen, aber überschätzen Sie mich nicht, denn ich bin nicht so viel wert, als Sie vielleicht glauben. Sie haben ein gutes Herz, Sie sehnen sich nach Liebe, Sie sind zu jung und gefühlvoll, um in unseren Kreisen zu leben. Sie sehen, daß ich aufrichtig und wohlmeinend mit Ihnen rede.«

»Aber was ist denn das?« rief Prudence, die wir nicht kommen gehört hatten und die mit halb aufgelöstem Haar in der Tür erschien. Ich erkannte die Hand Eugens in dieser Unordnung.

»Wir sprechen von ernsten Dingen,« sagte Margarete, »Lassen Sie uns noch einen Augenblick allein, wir werden sogleich kommen.«

»Gut, gut, plaudert nur, Kinder,« sagte Prudence, indem sie fortging und die Tür schloß, als ob sie dem Ton ihrer letzten Worte noch mehr Nachdruck hatte geben wollen.

»Es bleibt also dabei,« fuhr Margarete fort, als wir allein waren, »Sie werden mich nicht mehr lieben.«

»Ich werde mich entfernen.«

»So weit wollen Sie es treiben?«

Ich war schon zu weit vorgeschritten, um zurückweichen zu können und überdies hatte sie mich ganz aus der Fassung gebracht. Diese Mischung von Heiterkeit und Trauer, von Reinheit und sittlicher Gesunkenheit, selbst diese Krankheit, welche die Reizbarkeit ihres ganzen Wesens erhöhen mußte – dies alles erregte in mir eine heftige Begierde, sie zu besitzen. Ich sah wohl ein, daß ich verloren sein würde, wenn ich über dieses leichtfertige, wetterwendische Gemüt nicht sogleich eine entschiedene Obergewalt erlangte und ich fühlte mich wirklich fähig, ihr alles, selbst das Leben, zu opfern.

»Sie reden also im Ernst?« sagte sie.

»In vollem Ernst.«

»Aber warum haben Sie mir das nicht schon früher gesagt?«

»Wann hätte ich es Ihnen sagen sollen?«

»Am Tage nach unserem Zusammentreffen in der komischen Oper.«

»Ich glaube, Sie würden mich sehr schlecht aufgenommen haben, wenn ich Sie besucht hätte.«

»Warum?«

»Weil ich Ihnen sehr einfältig erschienen war.«

»Das ist wahr. Aber Sie liebten mich doch damals schon?«

»Ja.«

»Und haben nach dem Theater dennoch ganz ruhig geschlafen …«

»Wissen Sie, was ich an jenem Abend tat? Ich erwartete Sie vor dem Café Anglais, ich folgte Ihrem Wagen, als Sie mit Ihren drei Freunden davonfuhren; und als ich Sie allein aussteigen und allein in das Haus gehen sah, war ich sehr glücklich.«

Margarete fing an zu lachen.

»Worüber lachen Sie?« fragte ich.

»Über nichts.«

»Sagen Sie mir es, ich bitte Sie, oder ich muß glauben, daß Sie mich verspotten.«

»Wollen Sie auch nicht böse werden?«

»Mit welchem Rechte sollte ich es werden?«

»Nun, so muß ich Ihnen sagen, daß ich einen triftigen Grund hatte, allein nach Hause zu gehen; es wartete hier jemand auf mich.«

Ein Dolchstich würde mir nicht weher getan haben, als dieses Geständnis. Ich stand auf, reichte ihr die Hand und sagte ihr Lebewohl, »Ich wußte ja, daß Sie böse werden wurden,« sagte sie. »Die Männer wollen immer gern hören, was ihnen Verdruß machen muß.«

»Aber ich versichere Ihnen,« erwiderte ich gelassen, als ob ich ihr hatte beweisen wollen, daß ich auf immer von meiner Leidenschaft geheilt sei –- »ich versichere Ihnen, daß ich nicht böse bin. Es war ja ganz natürlich, daß Sie hier erwartet wurden, so wie es natürlich ist, daß ich mich um zwei Uhr nach Mitternacht entferne.«

»Werden Sie etwa zu Hause auch von jemandem erwartet?«

»Nein, aber ich muß gehen.«

»Also – Adieu.«

»Sie schicken mich fort?«

»Gott bewahre!«

»Warum tun Sie mir denn weh?«

»Womit habe ich Ihnen denn weh getan?«

»Dadurch, daß Sie mir sagten, Sie wären von jemandem erwartet worden.«

»Ich konnte mich des Lachens nicht erwehren bei dem Gedanken, daß Sie so glücklich waren, mich allein nach Hause gehen zu sehen, da doch triftiger Grund dafür vorhanden war.«

»Man macht sich oft kindische Freude und es ist boshaft, diese Freude zu zerstören, wenn man den, der sie empfindet, noch glücklicher machen kann, wenn man sie ihm läßt.«

»Aber mit wem glauben Sie es denn zu tun zu haben? Ich bin weder eine Jungfrau, noch eine vermählte Dame. Ich kenne Sie erst seit heute und ich bin Ihnen über mein Tun und Lassen keine Rechenschaft schuldig. Angenommen, ich würde einst Ihre Geliebte, so müssen Sie wissen, daß Sie nicht mein erster Geliebter sein würden. Wenn Sie schon vorher den Eifersüchtigen spielen, was wird es denn nachher sein; vorausgesetzt, dieses Nachher wird kommen? Ein Mann wie Sie ist mir noch nicht vorgekommen.«

»Weil noch kein Mann Sie so geliebt hat, wie ich Sie liebe.«

»Also aufrichtig gesagt, Sie lieben mich?«

»Ich liebe Sie mit aller Kraft meiner Seele …«

»Und seit wann?«

»Seit ich Sie eines Tages vor Susses Modemagazin aussteigen sah – seit drei Jahren.«

»Das ist in der Tat sehr schön … Was muß ich tun, um diese Liebe zu erkennen?«

»Mir ein wenig gut sein,« erwiderte ich mit hochklopfendem Herzen, denn ungeachtet des etwas spöttischen Lächelns, mit dem Margarete ihre Worte begleitete, schien es mir, als ob sie meine Gefühle teilte und daß die so lange ersehnte Stunde für mich nahe sei.

»Aber der Herzog!« entgegnete sie.

»Welcher Herzog?«

»Mein alter eifersüchtiger Verehrer.«

»Er wird nichts davon erfahren,«

»Und wenn er es erfährt?«

»So wird er Ihnen verzeihen.«

»Mit nichten. Er wird mich verlassen und was wird dann aus mir werden?«

»Es kann Ihnen unmöglich viel an ihm liegen, denn sonst würden Sie ihm zu einer solchen Stunde Ihre Tür nicht verboten haben.«

»Sie sollten mir dies nicht vorwerfen; ich tat es ja, um Sie und Ihren Freund zu empfangen.«

Nach und nach hatte ich mich Margarete genähert, ich hatte den Arm um ihren schlanken Leib geschlungen und fühlte diesen leicht auf meinen gefalteten Händen ruhen.

»Wenn Sie wüßten, wie ich Sie liebe!« flüsterte ich ihr zu.

»Wahrhaftig?«

»Ich schwöre es Ihnen.«

»Nun, wenn Sie mir es versprechen, ohne ein Wort zu sagen, ohne eine Einwendung zu machen, ohne mich mit Fragen zu bestürmen, alles zu tun, was ich verlange, so werde ich Sie vielleicht lieben.«

»Alles, was Sie verlangen.«

»Aber ich sage Ihnen im voraus, ich will die Freiheit haben, alles zu tun, was mir gefällt, ohne Ihnen die mindeste Auskunft über mein Leben zu geben. Schon lange suche ich einen jungen Verehrer, der auf seinen Willen gänzlich verzichtet, der mich ohne Mißtrauen liebt und von mir geliebt wird, ohne dies mit Recht fordern zu können. Einen solchen konnte ich noch nicht finden. Statt sich glücklich zu schätzen, daß man ihnen oft bewilligt, was sie kaum einmal zu erlangen gehofft hatten, verlangen die Männer von einer Geliebten Rechenschaft über die Gegenwart, die Vergangenheit und selbst über die Zukunft, Je mehr sie sich an sie gewöhnen, desto eifriger sind sie darauf bedacht, sie zu beherrschen und ihre Ansprüche steigen mit unserer Bereitwilligkeit, ihnen alles zu gewähren, was sie wünschen. Wenn ich mich entschließe, jetzt einen neuen Geliebten anzunehmen, so verlange ich von ihm drei sehr seltene Eigenschaften: er muß Vertrauen, Unterwürfigkeit und Delikatesse besitzen.«

»Und Liebe verlangen Sie nicht von ihm?«

»Die Liebe ist keine Bedingung, sie ist eine Notwendigkeit.«

»Gut, ich will alles sein, was Sie wünschen.«

»Wir werden sehen.«

»Wann werden wir sehen?«

»Später.«

»Warum später?«

»Das will ich Ihnen sagen,« erwiderte Margarete, indem sie sich meinen Armen entwand und aus einem großen Strauß eine Kamelie nahm, die sie mir ins Knopfloch steckte; »weil man die Verträge nicht immer an dem Tage vollzieht, wo sie unterzeichnet werden.«

Den Blick und das Lächeln, womit sie diese Worte begleitete, kann ich nicht beschreiben.

»Und wann werde ich Sie wiedersehen?« sagte ich, sie in meine Arme schließend.

»Wenn diese Kamelie verwelkt ist.«

»Und wann wird sie verwelkt sein?«

»Morgen Abend um elf Uhr … Sind Sie zufrieden?«

»Ich muß ja zufrieden sein.«

»Kein Wort davon, weder zu Ihrem Freunde, noch zu Prudence«, noch zu sonst jemand.«

»Ich verspreche es Ihnen.«

»Jetzt einen Kuß … und führen Sie mich in den Speisesaal zurück.«

Sie bot mir ihren Mund, strich sich noch einmal die Haare glatt und wir verließen das Boudoir, sie hüpfend und singend, ich halb wahnsinnig vor Entzücken.

Im Salon blieb sie stehen und sagte leise zu mir:

»Es muß Ihnen auffallend erscheinen, daß ich so schnell bereit bin, Sie zu erhören. Wissen Sie, woher das kommt? … Das kommt daher,« fuhr sie fort, indem sie meine Hand faßte und gegen ihr ungestüm klopfendes Herz drückte – »das kommt daher, weil ich nicht so lange zu leben habe als andere und nur daher vorgenommen habe, schneller zu leben.«

»Oh! Reden Sie nicht mehr so,« sagte ich, ihre Hände küssend.

»Oh! Trösten Sie sich,« fuhr sie lachend fort. »Wie kurz auch meine Lebenszeit sein mag, so werde ich doch länger leben, als Sie mich lieben werden.«

Sie trat singend in den Speisesaal.

»Wo ist Nanine?« sagte sie, als sie Eugen und Prudence allein sah.

»Sie schläft in ihrem Zimmer, sie vermochte ihre Müdigkeit nicht zu überwinden,« antwortete Prudence.

»Armes Mädchen!« sagte Margarete. »Entfernen Sie sich, meine Herren, es ist Zeit.«

Zehn Minuten nachher ging ich mit Eugen fort, Margarete drückte mir beim Abschiede die Hand und blieb bei Prudence, welche ihr, wie oben erwähnt, über einen Auftrag Bericht abzustatten hatte, »Nun,« sagte Eugen zu mir, als wir draußen waren – »was sagen Sie zu Margarete?«

»Daß sie ein Engel ist,« erwiderte ich, »und daß ich sie zum Rasendwerden liebe.«

»Ich dachte es wohl … Haben Sie es ihr gesagt?«

»Ja.«

»Und hat sie versprochen Ihnen zu glauben?«

»Nein.«

»Prudence macht es anders.«

»Sie hat es Ihnen versprochen?«

»Sie hat es sogar schon gehalten, lieber Armand! Es ist kaum zu glauben, aber sie ist noch sehr schön, die Duvernoy.«