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Als Anna Stuart 1714 kinderlos starb, erbten die Kurfürsten von Hannover die englische Krone. Nach 123 Jahren endete die Personalunion mit der Thronbesteigung der jungen Queen Victoria im Jahr 1837.

Alle englischen Könige aus dem Hause Hannover heirateten deutsche Prinzessinnen, deren Leben durch die Hochzeit völlig auf den Kopf gestellt wurde: Sie mussten aus der beschaulichen Provinz in die englische Hauptstadt ziehen, mit Land und Leuten vertraut werden, eine fremde Sprache lernen, das politische System des britischen Weltreichs begreifen – und möglichst viele Kinder zur Welt bringen. Sie meisterten die Herausforderungen je nach Temperament und Begabung auf höchst unterschiedliche Weise ...

Sorgfältig recherchiert und spannend erzählt zeichnet der vorliegende Band die Lebenswege von Sophie Dorothea von Celle, Caroline von Ansbach, Charlotte von Mecklenburg-Strelitz, Caroline von Braunschweig, Adelheid von Sachsen-Meiningen und Victoria von Kent nach.

 

 

Zur Autorin

 

Karin Feuerstein-Praßer M. A., geb. 1956 in Köln, lebt als freie Historikerin und erfolgreiche Autorin insbesondere von Frauenbiografien in Köln. Bei Pustet veröffentlichte sie u. a. Biografien von Caroline von Braunschweig, Sophie von Hannover und den preußischen Königinnen.

Karin Feuerstein-Praßer

 

 

 

Englands Königinnen aus dem Hause Hannover

 

(1714–1901)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag Friedrich Pustet

Regensburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

 

eISBN 978-3-7917-6018-6 (epub)

© 2014 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Heike Jörss, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2568-0

 

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Von Hannover nach London

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Abb. 1: Als jüngste Tochter einer Stuart-Prinzessin wurde die protestantische Kurfürstin-Witwe Sophie von Hannover (1630–1714) 1701 zur „Erbin Englands“ ernannt. Die alte Dame ahnte wohl, dass sie selbst den Thron nicht mehr besteigen würde. Deshalb plante sie für die Zukunft ihrer Nachkommen und bahnte – mit List und Tricks – auch die Ehe ihres Enkels an, des späteren englischen Königs Georg II.

 

Dass nach den Tudors und den Stuarts von 1714 bis 1837 deutsche Könige auf dem englischen Thron saßen – die Kurfürsten von Hannover –, war keine Laune der Geschichte, sondern lag an den weit verzweigten dynastischen Verbindungen der europäischen Monarchen. So wurde schließlich eine bemerkenswerte alte Dame zur „Urahnin“ der Hannoveraner jenseits des Ärmelkanals, und sie hätte sogar fast selbst den Thron bestiegen: Sophie von Hannover (1630–1714), eine der interessantesten Frauengestalten ihrer Zeit.

Tod im Barockgarten und seine Folgen

Der Tod kam völlig überraschend. Wie jeden Tag hatte Kurfürstin-Witwe Sophie von Hannover auch am 8. Juni 1714 zusammen mit ihren Damen einen Spaziergang durch den Großen Garten von Herrenhausen unternommen, einen von ihr selbst gestalteten Park, den sie so sehr liebte. Doch dann brach sie plötzlich zusammen, verlor das Bewusstsein und starb nur kurze Zeit später in den Armen einer ihrer Hofdamen.[1]

Hätte die 83-jährige Sophie nur wenige Wochen länger gelebt, dann wäre sie am Ende ihres langen, abwechslungsreichen Lebens auch noch Königin von England geworden. So aber bestieg nun ihr ältester Sohn Georg Ludwig (1660–1727) als Georg I. den Thron, der erste englische König aus dem Hause Hannover. Dass ausgerechnet ein vergleichsweise unbedeutender Kurfürst aus der deutschen Provinz eine derart glanzvolle Karriere machen konnte, hatte er nur den englischen Wurzeln seiner Mutter zu verdanken. Sophie war nämlich die Enkelin von König Jakob I. (1566–1625) aus dem Hause Stuart.

Seit dem Tod Elisabeths I. 1603 hatten die Stuarts über das Inselreich geherrscht. Doch dann starb Königin Anna im August 1714, ohne einen leiblichen Thronerben zu hinterlassen. Nun waren die Stuarts zwar eine weit verzweigte Familie, ein Teil davon war aber katholisch und somit von der Thronfolge ausgeschlossen. Auf diese Weise wollte man verhindern, dass es noch einmal, wie im 17. Jahrhundert, zu blutigen Bürgerkriegen kam.

Als Annas einziger noch lebender Sohn 1700 im Kindesalter starb, hatte man sich daher rechtzeitig auf die Suche nach einem protestantischen Thronprätendenten aus dem Hause Stuart gemacht, ganz gleich ob männlichen oder weiblichen Geschlechts. Fündig wurde man ausgerechnet in Hannover.

Hier lebte nämlich die inzwischen 71-jährige Kurfürstin-Witwe Sophie, eine Tochter der englischen Prinzessin Elisabeth Stuart, die seinerzeit mit dem pfälzischen Kurfürsten Friedrich V. verheiratet gewesen war. Friedrich V. hatte sich in der damals religiös höchst aufgeladenen Situation dazu überreden lassen, sich als Führer der protestantischen Union 1619 zum König von Böhmen krönen zu lassen. Er ging damit auf Konfrontationskurs zum Kaiser und verlor schließlich nicht nur die böhmische Krone, sondern auch seine pfälzische Heimat. Als glückloser „Winterkönig“, der nur einen Winter lang auf dem Hratschin in Prag residiert hatte, ging er schließlich in die Geschichte ein. Seiner Niederlage folgte eine erbitterte militärische Auseinandersetzung, die erst 1648 mit dem Westfälischen Frieden ein Ende fand: der Dreißigjährige Krieg.

Die 1630 geborene Sophie kam als „Flüchtlingskind“ in den Niederlanden zur Welt. Doch nun bot sich ihr als alter Dame die Chance, Königin von England zu werden. Ihre Geschwister – allesamt älter als sie – waren inzwischen bereits verstorben oder zum Katholizismus konvertiert, sodass sie als Thronerben nicht mehr in Frage kamen. Daher wurde Sophie 1701 durch den Act of Settlement zur rechtmäßigen „Erbin Englands“ bestimmt.

Sophie, eine geborene Prinzessin von der Pfalz, hatte 1658 Ernst August von Braunschweig-Lüneburg geheiratet, der zunächst keine Aussicht auf eine lukrative Stellung hatte, dann aber doch noch regierender Herzog und 1692 sogar Kurfürst von Hannover geworden war. Sechs Kinder gingen aus der Ehe hervor, darunter die 1668 geborene einzige Tochter Sophie Charlotte, Preußens erste Königin.

Der älteste Sohn Georg Ludwig (1660–1727) erbte nach dem Tod seines Vaters 1698 zunächst den Kurfürstenhut und – nach dem Tod seiner Mutter Sophie 1714 – auch die englische Krone. Von nun an regierten die Kurfürsten aus dem Hause Hannover das Inselreich 123 Jahre lang in Personalunion. Sie endete 1837 mit der Thronbesteigung von Victoria, die als Frau zwar Königin von England werden, nicht aber das Kurfürstentum von Hannover übernehmen konnte, ein Amt, das ausschließlich Männern vorbehalten war. Als Victoria 1839 den deutschen Prinzen Albert heiratete und mit ihm eine Familie gründete, nannte sich das Herrscherhaus nach dem Prinzgemahl Sachsen-Coburg-Gotha – bis dieser Name aufgrund der Feindlichkeiten des Ersten Weltkriegs 1917 in Windsor umbenannt wurde.

Insgesamt brachte das Haus Hannover außer Queen Victoria fünf englische Könige nebst Gemahlinnen hervor, auch wenn die erste von ihnen niemals über den Ärmelkanal gekommen ist …

Die Gefangene von Ahlden

Sophie Dorothea von Celle (1666–1726)

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Abb. 2: Die Idylle ist trügerisch: Als das Porträt entstand, war die Welt in Hannover längst nicht mehr in Ordnung – die Ehe von Kurprinzessin Sophie Dorothea (1666–1726) mit dem nachmaligen englischen König Georg I. steckte bereits in einer tiefen Krise. Die junge Frau suchte Trost in den Armen des Grafen Philipp Christoph von Königsmarck, doch die Affäre wurde entdeckt, die Ehe wegen „böswilligen Verlassens“ geschieden. Als Georg I. 1714 den englischen Thron bestieg, lebte Sophie Dorothea schon seit Jahren unter Hausarrest auf Schloss Ahlden; sie hat nie englischen Boden betreten.

 

Englands erste Königin aus dem Hause Hannover trug diesen Titel nur der Form halber. Während nämlich ihr Gemahl, Georg I., im September 1714 feierlich in London empfangen wurde, stand Sophie Dorothea schon lange auf Schloss Ahlden unter Hausarrest. Ihr Vergehen: eine Affäre mit einem heimlichen Liebhaber – ein „Privileg“, das ihr als Frau natürlich nicht zustand, selbst wenn sich der Ehemann das gleiche Recht herausgenommen hatte.

Väterlicher „Zölibat“

Prinzessin Sophie Dorothea, die am 15. September 1666 auf Schloss Celle das Licht der Welt erblickte, war als einziges Kind das ganze Glück ihrer Eltern. Dabei hatte ihr Vater, Herzog Georg Wilhelm von Celle (1624–1705), noch wenige Jahre zuvor glaubhaft versichert, er werde den Rest seines Lebens ledig bleiben und „im Zölibat“ verbringen. Das war für einen lebensfrohen Mann, der der Welfe nun einmal war, zwar recht ungewöhnlich, hatte aber einen ganz besonderen Hintergrund: Als junger Herzog hatte Georg Wilhelm nämlich keine rechte Lust verspürt, sich um die leidigen Regierungsgeschäfte zu kümmern. Viel lieber reiste er so oft wie möglich ins sonnige Italien, um dort den berühmten Karneval von Venedig und die Gesellschaft schöner Frauen zu genießen. Eine Zeitlang ließen ihn die Landstände[2] auch gewähren, dann aber setzten sie ihrem Herzog gewissermaßen die Pistole auf die Brust: Sollte er nicht unverzüglich mit dem Lotterleben aufhören, heiraten und für standesgemäßen Nachwuchs sorgen, dann würden sie ihm den Geldhahn zudrehen! Diese Drohung verfehlte nicht ihre Wirkung. Ob er nun wollte oder nicht, Georg Wilhelm, inzwischen 33 Jahre alt, musste sich wohl oder übel fügen.

Nur noch ein einziges Mal wollte er nach Italien reisen, dort sozusagen den „Junggesellenabschied“ feiern. Im Herbst 1657 machte er sich auf den Weg nach Süden. Mit von der Partie war sein jüngerer Bruder Ernst August (1629–1698, der spätere Kurfürst von Hannover), der als apanagierter Herzog keine politischen Verpflichtungen hatte und so über unendlich viel Zeit verfügte.

Auf dem Weg in den sonnigen Süden machten die beiden jungen Welfen wie vorgesehen Station in Heidelberg. Schließlich war Georg Wilhelm ja auf Brautschau. Hier, im Schloss hoch über dem Neckar, residierte Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz (1617–1680). Er hatte erst vor kurzem einen Teil des Kurfürstentums zurückerhalten, das sein glückloser Vater, der „Winterkönig“, 1620 während des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) verloren hatte.

Im Heidelberger Schloss lebte auch Karl Ludwigs jüngste Schwester, Sophie von der Pfalz. Sie war bereits 27 Jahre alt und drohte nach den damaligen Maßstäben eine „alte Jungfer“ zu werden. Aber die Mitgift, die ihr Bruder bereitstellen konnte, war so gering, dass bislang noch kein Bewerber ernsthaft um ihre Hand angehalten hatte. Trotzdem war Sophie eine recht „gute Partie“, durch ihre Mutter eine halbe Stuart, zudem klug, umfassend gebildet und obendrein auch noch musikalisch. Es muss Spaß gemacht haben, sich mit der Pfälzerin zu unterhalten, denn sie sagte, was sie meinte, und scherte sich nicht um die Spielregeln der höfischen Etikette. Mit Sophie, das musste Georg Wilhelm zugeben, würde das Leben gewiss nicht langweilig werden. Für den Herzog zählte aber vor allem, dass sie protestantisch und im gebärfähigen Alter war. Darum ging es schließlich, und um nichts anderes. Die Verlobung des Welfenherzogs mit der sechs Jahre jüngeren Pfälzerin war schon bald beschlossene Sache, und so konnten die beiden Brüder endlich ihre Reise nach Italien fortsetzen. Auf dem Rückweg wollten sie wieder in Heidelberg Station machen, doch bis dahin würden noch mehrere Monate vergehen.

Irgendwann aber kamen Georg Wilhelm erste Zweifel, ob Sophie von der Pfalz wirklich die Richtige für ihn war. Offensichtlich hatte er sich etwas vorschnell für sie entschieden, denn inzwischen verspürte er so gar keine rechte Lust mehr, die Braut nach seiner Rückkehr zu ehelichen. Das Problem war nur: Wie konnte er die Verlobung lösen, ohne selbst das Gesicht zu verlieren und obendrein die sitzen gelassene Sophie zu kompromittieren? Doch dann hatte Georg Wilhelm die rettende Idee: Vielleicht könnte ja sein jüngerer Bruder Prinzessin Sophie „übernehmen“? Das wäre doch die Lösung! Zunächst einmal musste er Ernst August allerdings den merkwürdigen „Brauttausch“ irgendwie schmackhaft machen und unterbreitete ihm folgenden Vorschlag: Sollte er Sophie tatsächlich heiraten, dann würde er, Georg Wilhelm, sich vertraglich verpflichten, selbst keine Ehe mehr einzugehen, also den Rest seines Lebens „im Zölibat“ zu verbringen. Und da er deshalb auch keinen Nachwuchs in die Welt setzen würde (zumindest keinen legitimen), würde Ernst August eines Tages sein Herzogtum erben. Das war doch gewiss ein Angebot, das sein Bruder nicht ablehnen konnte.

Tatsächlich hatte der Vorschlag einen gewissen Charme. Ernst August hatte nämlich als Jüngster von vier „welfischen Brüdern“ keine Aussicht darauf, einmal regierender Herzog zu werden. Für ihn war nur das weniger lukrative Amt des Fürstbischofs von Osnabrück vorgesehen, das nach den Bestimmungen des Westfälischen Friedens 1648 abwechselnd von einem Katholiken und einem Protestanten bekleidet wurde. Doch sollte Ernst August später einmal Söhne haben, so würden diese unversorgt bleiben beziehungsweise von einer vergleichsweise schmalen Apanage leben müssen. Insofern wäre ein eigenes Herzogtum eine feine Sache, selbst wenn er erst im hohen Alter in diesen Genuss kommen würde.

So gab es schneller als erwartet eine Einigung zwischen den Brüdern. Als Georg Wilhelm und Ernst August auf ihrer Rückreise wie geplant nach Heidelberg kamen, mussten sie wohl oder übel mit der Wahrheit herausrücken. Wir wissen leider nicht, wie Kurfürst Karl Ludwig und Sophie reagierten, als die Brüder „die Bombe platzen ließen“. Von einem größeren Eklat ist zumindest nichts bekannt. Für Karl Ludwig ging es wohl im Wesentlichen darum, dass seine Schwester endlich „unter die Haube“ kam, ganz gleich, ob sie den einen oder den anderen Welfen heiratete. Aber auch Sophie selbst entschloss sich wohl, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Hatte sie eine andere Wahl? Sie war viel zu stolz, als dass sie sich als sitzen gelassene Braut bemitleiden lassen wollte. Hoch erhobenen Hauptes willigte sie daher in die Verlobung mit Ernst August ein. Wie gekränkt sie tatsächlich war, hat sie niemandem verraten.

Nachdem Georg Wilhelm seinem Bruder noch einmal schriftlich versichert hatte, niemals zu heiraten, traten Sophie und Ernst August am 30. Oktober 1658 vor den Traualtar. Anschließend bezogen sie ihr neues Heim im Alten Leineschloss Hannover, wo auch der regierende Herzog Georg Wilhelm künftig „im Zölibat“ zu leben gedachte.

Gewissensbisse und eine „Gewissensehe“

Erstaunlicherweise wurde die auf solch seltsamen Weg geschlossene Ehe doch recht glücklich. In regelmäßigen Abständen brachte Sophie ein Kind zur Welt, und Ernst August erhielt 1661 wie vorgesehen das Amt des Fürstbischofs von Osnabrück. Man zog nach (Bad) Iburg am Rande des Teutoburger Walds und führte dort ein beschauliches Leben.

Für Georg Wilhelm ergaben sich hingegen einige einschneidende Veränderungen. Zunächst einmal wurde er 1665 nach dem Tod seines ältesten Bruders Christian neuer Herzog von Celle. Zum anderen hatte er kurz zuvor während eines Besuchs beim Landgrafen von Hessen-Kassel eine hübsche junge Frau kennengelernt und sich Hals über Kopf in sie verliebt. Die Angebetete hieß Eleonore d’Olbreuse (1639–1722), war eine Hugenottin aus Frankreich und inzwischen Hofdame in Kassel. Nun war Georg Wilhelm bekanntlich nie ein Kind von Traurigkeit gewesen, doch jetzt, mit knapp 40 Jahren, hatte es ihn zum ersten Mal wirklich „erwischt“. Nur leider ging die schöne Eleonore nicht auf seine Avancen ein. Sie war schließlich kein „Betthäschen“ wie so viele andere Damen im höfischen Umfeld, sondern eine ernsthafte und sittenstrenge junge Frau, die sich strikt weigerte, ohne Trauschein ins herzogliche Schlafgemach einzuziehen. Jetzt befand sich Georg Wilhelm in einer Zwickmühle. Er liebte Eleonore von ganzem Herzen, sie war die Frau seines Lebens, und doch konnte er sie nicht heiraten, ohne das Versprechen, das er seinem Bruder gegeben hatte, zu brechen. Aber erneut fand der pfiffige Herzog eine kreative Lösung: Er bot seiner Eleonore eine „Gewissenehe“ an. Man würde einfach als Mann und Frau zusammenleben und einander die Treue halten, ohne tatsächlich verheiratet zu sein. Anscheinend argumentierte Georg Wilhelm recht überzeugend, auch wenn Eleonore erst nach längerem Zögern in seinen Vorschlag einwilligte.

Als sich die Neuigkeit bis Bad Iburg herumgesprochen hatte, schrillten bei Sophie und Ernst August gleich die Alarmglocken. Trauschein hin oder her – bestimmt würden auch aus dieser „Gewissensehe“ Kinder hervorgehen und später einmal Erbansprüche stellen.

Die Angst der beiden war nicht ganz unberechtigt. Am 15. September 1666 brachte Eleonore eine Tochter zur Welt, die in der Kapelle von Schloss Celle auf den Namen Sophie Dorothea getauft wurde. Um Frau und Kind zu legitimieren, erwirkte Georg Wilhelm beim Kaiser eine Standeserhöhung Eleonores, die nun zur Gräfin von Wilhelmsburg erhoben wurde.

Sophie Dorothea blieb das einzige Kind des Herzogspaares. In den folgenden Jahren erlitt Eleonore mehrere Fehlgeburten, was man in Bad Iburg mit Erleichterung aufgenommen haben dürfte. Als Georg Wilhelm und Eleonore 1676 dann doch noch ganz offiziell heirateten, hatten sich Sophie und Ernst August mit der Situation schon beinahe abgefunden.

Dann aber starb 1679 der zweite der vier „welfischen Brüder“: Johann Friedrich (1625–1679), der seit 1665 regierender Herzog von Hannover gewesen war. Damit rückte Ernst August völlig unerwartet in dieses Amt nach. Nun hätte er ganz entspannt in die Zukunft blicken können, denn seine Söhne waren jetzt schließlich versorgt, auch ohne das Erbe des reicheren Celle. Aber mit der Regierungsverantwortung in Hannover entwickelte der einstmals so leichtlebige Ernst August plötzlich enormen politischen Ehrgeiz. Er wollte nicht nur seine Residenz verschönern und zum kulturellen Zentrum machen, sondern plante langfristig sogar, Kurfürst von Hannover zu werden.

Die deutschen Kurfürsten, denen seit der Goldenen Bulle von 1356 das Recht zustand, den deutschen König und Kaiser zu wählen, waren die mächtigsten und angesehensten Fürsten im ganzen Reich. Doch um in diesen illustren Kreis aufgenommen zu werden, musste man zunächst bestimmte Bedingungen erfüllen. Voraussetzung für die Kurwürde war zum einen die Primogenitur, also das alleinige Erbrecht des Erstgeborenen und damit die Unteilbarkeit des Landes. Beides setzte Ernst August gegen den heftigen Widerstand seiner Familie durch, denn die jüngeren Söhne würden nun trotz allem nach seinem Tod mittellos dastehen und sich mit einer kleinen Apanage zufrieden geben müssen. Noch aber hatte der Kaiser keine Entscheidung getroffen, und Ernst August musste sich noch viele Jahre in Geduld fassen, bevor er endlich den Kurhut in Empfang nehmen durfte.

„Klug und artig“ – Die junge Sophie Dorothea

Jenseits der ehrgeizigen Pläne ihres Onkels wuchs Sophie Dorothea in Celle zu einem hübschen jungen Mädchen heran. Mit ihrem dunklen lockigen Haar und der etwas pummeligen Figur entsprach sie ganz dem Schönheitsideal der Barockzeit. Eine höfische Beobachterin fand für die damals 13-jährige Prinzessin nur lobende Worte: „Ich muss bekennen, dass man ihresgleichen nicht in Deutschland findet, so klug und artig. Sie ist schon so groß wie ich und ein vollkommen rechtes Mensch. Enfin, es ist ein recht bijou …“

Nun, das fanden andere offenbar genauso, vor allem die jungen Männer. Sophie Dorothea scheint schon früh mit dem Flirten angefangen zu haben, und weil die Eltern offenbar befürchteten, aus den Flirts könnte möglicherweise mehr werden, musste sogar einer der Pagen den Celler Hof verlassen.

Um die Weichen für Sophie Dorotheas Zukunft zu sichern, hatten die Eltern schon 1675 die Verlobung der Tochter arrangiert – sehr zum Missfallen von Sophie und Ernst August. Der Bräutigam war nämlich der Welfe August Friedrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, ein entfernter Verwandter, und dessen Vater Anton Ulrich hatte bereits unmissverständlich klargemacht, dass auch er Anspruch auf das Celler Erbe erhob. Doch nur ein Jahr später konnte man in Hannover wieder aufatmen, denn 1676 kam August Friedrich bei der Belagerung von Philippsburg ums Leben.

Allerdings war Ernst August jetzt vorgewarnt. Wenn er nicht aufpasste, dann würde Celle eines Tages doch noch an einen anderen Fürsten gehen, ganz gleich, was sein Bruder ihm versprochen hatte. Juristisch gesehen war der von Georg Wilhelm aufgesetzte Vertrag zum Verzicht nämlich keineswegs hieb- und stichfest, eher so etwas wie ein Gentlemen’s Agreement. Doch Ernst August hatte die Lösung bereits vor Augen. Schließlich war es allmählich an der Zeit, seinen ältesten Sohn, den 1660 geborenen Georg Ludwig, zu verheiraten. Und welche Braut wäre in diesem Fall wohl geeigneter als Sophie Dorothea von Celle?

Die junge Prinzessin ahnte noch nichts von ihrem „Glück“ und lebte arglos in den Tag hinein. Als einziges Kind und Tochter einer Mutter, die aufgrund ihrer nicht standesgemäßen Herkunft[3] keine repräsentativen Pflichten erfüllen durfte (oder besser gesagt: musste), war die heranwachsende Sophie Dorothea mit Liebe und Aufmerksamkeit nur so überschüttet worden. Da ihr der stolze Vater wohl keinen Wunsch abschlagen konnte, gewöhnte sich die kleine Prinzessin rasch daran, immer das zu bekommen, was sie wollte. Und als künftigen Ehemann wünschte sie sich gewiss einen Traumprinzen, der sie liebte, verwöhnte und auf Händen trug.

Doch dann kam es anders. Georg Wilhelm, den noch immer das schlechte Gewissen wegen seiner Hochzeit plagte, hatte dem Wunsch seines Bruders schweren Herzens entsprochen und in die Ehe seiner Tochter mit Georg Ludwig eingewilligt. Damit würde es künftig keinen Zweifel mehr daran geben, dass das reiche Celler Erbe eines Tages an den Herzog von Hannover gehen würde. Dass Braut und Bräutigam überhaupt nicht zueinander passten, war in diesem Fall zweitrangig: auf der einen Seite die verwöhnte, liebesbedürftige und kapriziöse Sophie Dorothea, auf der anderen der sechs Jahre ältere Erbprinz von Hannover, den seine Cousine, die berühmte Liselotte von der Pfalz, einmal als „trocken und kalt wie Eis“ bezeichnet hatte. Natürlich war Georg Ludwig ebenso ein Opfer der politischen Umstände, denn für Sophie Dorothea empfand er keine zärtlichen Gefühle. Immerhin aber hatte er als Mann – auch als Ehemann – die Möglichkeit, wirkliche Liebe und Zuneigung bei einer Mätresse zu finden. Diese Chance blieb Sophie Dorothea verwehrt. Als Frau musste sie unbedingt die eheliche Treue einhalten, denn nur so konnten Familie und Untertanen ganz sicher sein, dass in den Adern der Nachkommen auch das richtige „blaue Blut“ floss.

Der smarte Graf von Königsmarck

Sophie Dorothea wird von der Aussicht, ein Leben an der Seite des „trockenen“ Georg Ludwig führen zu müssen, gewiss nicht begeistert gewesen sein. Und doch blieb ihr keine andere Wahl. Am 2. Dezember 1682 – nur wenige Wochen nach ihrem 16. Geburtstag – trat sie mit ihrem Bräutigam vor den Traualtar.

Die Ehe erfüllte ihren wichtigsten Zweck. Bereits 1683 erblickte Sohn Georg August das Licht der Welt, der erhoffte Erbprinz und nachmalige englische König Georg II. Vier Jahre später wurde noch eine Tochter geboren, die man nach der Mutter Sophie Dorothea nannte, die spätere Gemahlin des preußischen „Soldatenkönigs“ Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) und Mutter Friedrichs des Großen (1712–1786).

Doch die Geburt der beiden Kinder konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ehe immer unglücklicher wurde, und schon bald ging jeder seiner eigenen Wege. Georg Ludwig fand wohl 1690 mit Melusine von der Schulenburg eine verständnisvolle Mätresse, die ihm zur wirklichen Lebenspartnerin wurde. Sophie Dorothea saß derweil in Hannover im Alten Leineschloss und blies Trübsal, denn auch sie sehnte sich nach wahrer Liebe und Zärtlichkeit. Doch wie durch ein Wunder war die Zeit des Wartens plötzlich vorbei.