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Sophie R. Nikolay

 

SPIELFREI

-

Outing wider Willen

 

Impressum:

© dead soft verlag, Mettingen 2012

http://deadsoft.de

 

© the author

 

Cover: Irene Repp

http://daylinart.webnode.com/

 

Bildrechte: © Daniel_Dash – shutterstock.com

© leiana – fotolia.com

 

2. Auflage 2016

 

ISBN 978-3-943678-21-5 (print)

ISBN 978-3-943678-22-2 (epub)

 

 

Allen, die auf irgendeine Weise ausgegrenzt werden.

Vorwort

 

 

Diese Geschichte ist entstanden, weil das Thema Homosexualität noch immer ein Tabu ist. Die Gesellschaft ist heute so frei und tolerant eingestellt, dass selbst Politiker ihre Homosexualität leben können.

Anders ist es in der Welt des Fußballs. Wo dieser Sport doch sonst so tolerant ist, Menschen verschiedenster Nationalitäten und Religionen vereint auf dem Rasen stehen, ist dieses Tabu unverständlich. So mancher Spieler führt wegen seiner sexuellen Neigung entweder ein Doppelleben oder kann mit der Gratwanderung nicht leben und fühlt sich deshalb gezwungen, den Sport aufzugeben.

 

Die Existenz schwuler Spieler wird totgeschwiegen.

Aus diesem Grund habe ich diese Romanfiguren erschaffen. Bewusst ohne einen speziellen Bezug zu real existierenden Personen, Städten und Vereinen. Denn es geht nicht darum, einen Verein oder eine Stadt im Besonderen hervorzuheben. Es geht einzig darum, die Geschichte zweier Männer zu erzählen, die den Schritt des Outings wagen. Damit stehen die beiden vor einem Berg an Problemen. Denn wer sich nicht in die allgemeine Norm einfügt, muss sich seine Akzeptanz mühevoll verdienen.

 

Es bleibt zu hoffen, dass auch diese Hürde in der Gesellschaft gekippt wird und ein homosexueller Spieler ebenso anerkannt wird, wie jeder andere.

Kapitel 1

 

Benjamin

Es ist ein völlig normaler Samstag, so wie jeder andere. Ich stehe mit meinen Teamkollegen auf dem Platz. Auf dem Rasen, der mein Leben bedeutet. Das heilige Stück Erde vieler Männer und auch einiger Frauen. Ich bin ein Profi. Ein Mann, der in der Öffentlichkeit steht. Fehler kann ich mir nicht leisten. Die Presse hat ihre Ohren und Augen auf Personen wie mich gerichtet und quittiert jeden Fehltritt mit einer Schlagzeile auf Seite eins. Sehr zu meinem Leidwesen, denn ein unbedachter Schritt bedeutet das sofortige Aus meiner Karriere und meines Lebensinhaltes. Wüsste die Presse von dem Geheimnis, das ich tief in mir trage, hätten sie die Meldung, auf die sie wie hungrige Wölfe warten.

Unsere Mannschaft besteht aus einem bunten Haufen Männer unterschiedlicher Nationalitäten. Das ist keine Seltenheit in der Liga. Wenn alles gut läuft, lernt man als Team zusammenzuspielen und legt eine gute Saison hin. Ich hoffe, uns gelingt das in diesem Jahr. Ich selbst bin erst zu Beginn dieser Saison in diese Mannschaft gewechselt.

Wir laufen uns warm, während mir so manches durch den Kopf geht. Im Grunde sollte ich diese Gedanken rasch aus meinem Hirn vertreiben.

Die Zuschauer nehmen währenddessen ihre Plätze ein. Es ist zu erwarten, dass unser Stadion heute abermals voll wird. So soll es sein. Ich liebe es, wenn unsere Fans hinter uns stehen und uns das durch ein ausverkauftes Stadion beweisen. So viele Menschen, die uns anfeuern und zujubeln. Das gibt mir Kraft und den Ansporn, noch besser zu werden. Doch in diesem Jubel steckt auch eine Erwartungshaltung, die mich enorm unter Druck setzt. Ich muss mein Spiel gut machen, als Stürmer auf jeden Fall ein Tor schießen. Ich bin ein Profispieler, das ist mehr als nur ein Job! Ich muss der sein, den ich auf dem Rasen repräsentiere.

Tausende Augenpaare sind auf uns gerichtet, Menschen fiebern und leiden mit uns. Kann es eine bessere Motivation geben, das heutige Ligaspiel zu gewinnen?

Neben mir läuft Jean, mein Partner im Sturm. Ich mag ihn, selbst wenn er nicht viel spricht. Seine Deutschkenntnisse sind noch nicht überragend.

 

Der Neuzugang unserer Mannschaft heißt Stefano, Halbitaliener, und erst seit zwei Wochen im Team. Wie ich ist er heute von Beginn an auf dem Rasen. Er bringt gute Leistungen im Mittelfeld und schießt erstaunlich gute Pässe. Seine Bälle landen einem förmlich auf der Fußspitze.

Das Einzige, was mich an dem Kerl stört, ist sein verdammt gutes Aussehen und sein Charme. Die Frauen fliegen voll auf ihn. Er ist ein richtiger Machotyp, wie man ihn sich vorstellt. Soweit ich das in den letzten zwei Wochen mitbekommen habe, lässt er keine Frau unangetastet stehen, die sich ihm an den Hals wirft. Möglicherweise hat das etwas mit seinen italienischen Wurzeln zu tun, doch macht das die Sache nicht besser.

 

Vermutlich sollte ich noch erklären, wer ich bin. Benjamin ist mein Name. Letzten Monat bin ich zwanzig geworden. Fußball beherrscht mein Leben, seit ich fünf Jahre alt bin. Ich bin der absolute Gegensatz zu unserem Neuzugang, dem Halbitaliener mit dem schwarzen Haar und den dunklen Augen. Mein Haar ist blond, ich habe grüne Augen und bin mit einem Meter achtzig weder zu groß noch zu klein für diesen Sport.

 

 

Der Anpfiff!

Das Spiel läuft so, wie ich es mir vorgestellt habe. Wir sind in bester Form. Stefano bereichert das Spiel mit den genialsten Pässen, die mir je einer vor die Füße gelegt hat. Jean sieht aus, als würde er jeden Moment vor Begeisterung platzen. Dazu hat er auch alles Recht der Welt. Sein Treffer hat uns den entscheidenden Vorsprung verschafft. Das harte Training lohnt sich eben doch. Jetzt ernten wir den Erfolg unserer Arbeit. Es könnte nicht perfekter laufen.

Ab diesem Moment haben wir die Oberhand im Spiel, es läuft wie geschmiert. Louis, Patrick und David sind unsere Verteidiger und sie lassen unseren Gegnern keine Chance. Wenn ein Ball dem Tor zu nahe kommt, wird sofort geblockt. Wir kämpfen verbissen, doch der Ball will einfach nicht noch mal ins Tor.

 

Es ist kurz vor Schluss. Gerade hat Patrick wieder dem Stürmer des Gegners den Ball vor den Füßen weggenommen. Ein Pass auf Frank, der völlig frei steht. Ein Moment reicht aus und er hat die nächste Spielstation im Blick. Stefano hat sich freigelaufen, der Gegenspieler kommt nicht nach. Franks Pass sitzt perfekt. Stefano nimmt den Ball mit dem linken Fuß an und dreht sich. Mit Wucht schießt er den Ball auf mich zu.

Ich spurte los, denke schon, dass ich den Ball nicht erwischen werde. Doch ich lege noch zu und das Leder trifft meine Stirn. Meine ganze Kraft packe ich in den Stoß, der Ball ändert seine Richtung, fliegt genau auf das Tor zu. Ich sehe ihn schon oben drüber fliegen … meine Augen kleben auf dem Ball, der unbeirrt weiter fliegt. Es kommt mir vor wie Zeitlupe.

Endlich – haarscharf an der Latte vorbei schwirrt das Runde ins Eckige! Der Tormann hat keine Chance, obwohl er hochgesprungen ist. Drin! Ja!

 

Jubelnd rase ich über den Platz. Die halbe Mannschaft fällt über mich her. ‚Super!‘ ‚Geil!‘ und ‚Klasse Tor!‘ sind die Kommentare, die mir entgegenfliegen. Hände klopfen auf meine Schultern, wuscheln durch meine Haare und klatschen mich ab. Frank schießt den Vogel ab, denn er verpasst mir auch noch eine Kopfnuss und grinst sich einen. Ich selbst kann mir meine Freude nicht mehr aus dem Gesicht wischen. Ich strahle wie ein Honigkuchenpferd und freue mich tierisch über das lautstarke Jubeln unserer Fans. Das Stadion tobt.

Das Spiel läuft weiter und wir sind einen Moment unkonzentriert durch den Freudentaumel. Der gegnerische Stürmer rast auf Michael zu, unseren Tormann. Louis, Patrick und David hechten hinterher. Ich sehe schon das Gegentor fallen, doch im letzten Moment entreißt David dem Stürmer den Ball. Der Engländer ist genial, er verpasst dem Leder einen harten Tritt. Der Ball fliegt im hohen Bogen quer über den Platz, Jean fängt ihn mit der Brust ab. Anschließend kickt er ihn gemütlich zu mir, ich stehe vollkommen frei. Ich warte auf den Pfiff, während der gegnerische Verteidiger versucht, mich um den Ball zu bringen. Ich laufe. Kaum habe ich mitsamt dem Ball die Mittellinie überquert, ertönt der Schlusspfiff.

Die Fans auf den Rängen toben. Gesänge schallen durch das Stadion. Sie feiern uns – unseren Sieg.

Wir genießen es, fallen uns in die Arme. Die obligatorische Runde durchs Stadion folgt. Wir verbeugen uns vor den Fans, danken auf diese Weise für die lautstarke Unterstützung. Ein paar Fotos, kurze Wortwechsel und gerufene Lobesworte folgen, bevor wir stolz den Platz verlassen.

Wir Spieler versuchen, wieder runterzukommen und machen uns langsam auf den Weg in die Umkleide.

„Hey, Ben! Dein Tor war echt der Hammer!“, ruft Michael, unser Torwart, mir zu.

Ich grinse. „Die Glückwünsche kannst du an Stefano geben, er hat mir den Ball genau auf den Punkt gegeben!“, rufe ich über den Gang zurück.

„Danke für die Blumen!“, erklärt der Erwähnte.

„Ein Hoch auf unseren italienischen Ballkünstler“, albert Jan, der neben ihm im Mittelfeld positioniert war.

„Halbitaliener, bitte. Ich kann mir leider nicht auf die Fahne schreiben, ich wäre ein waschechter Italiener“, stellt Stefano scherzhaft klar.

 

Geschafft, albernd und grölend verschwinden wir in der Umkleide. Wir blödeln herum und genießen das Siegergefühl. Trikots fliegen durch die Gegend, zusammengeballt als Wurfgeschosse. Eines trifft mich, ich weiß nicht welches. Mein Eigenes hat Jan getroffen, der es wiederum auffängt und quer durch den Raum wirft. Ein kurzes Abschlussgespräch mit dem Team, das wegen der aufgekratzten Stimmung auch nicht anders laufen kann. Steve und Achmed sind zufrieden mit uns und unserer Leistung. Mehr brauchen die beiden nicht zu sagen. Mit dem Hinweis, es nicht zu übertreiben, entlassen die zwei uns und wünschen viel Spaß beim Feiern des Sieges.

 

Duschen und ab nach Hause. Das ist es, was für mich nach jedem Spiel zählt. Duschen ist immer ein Problem für mich. Ich komme mir dabei jedes Mal vor, als stünde ich im Rampenlicht und müsste eine Prüfung ablegen.

Weshalb?

Ich führe ein Doppelleben. Ich bestehe aus zwei Hälften, der öffentlichen und der privaten. Meine private Seite drängt nach einem Spiel wie heute nach vorne. Insbesondere, wenn ich ein Tor geschossen habe oder gleich mehrere. Das Problem daran ist, dass niemand diese Seite von mir kennen darf. Meine Teamkollegen würden sich nicht mehr die Dusche mit mir teilen wollen, wenn sie es wüssten. Ich vermute sogar, sie würden nicht einmal mehr mit mir auf dem Platz stehen wollen.

Denn ich stehe auf Männer.

Die Reaktionen meiner Kollegen kann ich mir ausmalen, wenn ich sie vorhersehen sollte. Schwuchtel, Weichei, Schwanzlutscher und was weiß der Himmel, was ihnen sonst einfallen würde.

Ich fühle mich wohl in dieser Mannschaft. Es würde mir das Herz brechen, wenn sich die Jungs angeekelt von mir abwenden würden. Noch schlimmer wäre es, wenn sie sich von meiner Neigung bedroht fühlen würden. Schließlich falle ich nicht wie ein wildes Tier über jeden nackten Mann her! Da ist es bei mir nicht anders als bei den Heteros. Es interessieren mich nur ganz bestimmte Männer. Wobei ich selbst bei denen einen Unterschied mache. Zum einen die, bei denen alles für eine Nacht zu passen scheint. Die Sorte Mann, die genau wie ich noch auf der Suche ist. Ein Abenteuer für eine Nacht.

Daneben gibt es aber noch die Kategorie von Mann, die mich tatsächlich bewegt. Nur weil ich etwas anders ticke als die Norm der Gesellschaft, bedeutet das nicht, dass ich mich nicht nach einem festen Partner sehne. Im Gegensatz zu normalen Männern ist es für mich nicht so leicht, jemanden zu finden, der ebenso denkt und fühlt.

Frauen sind für mich nicht verlockend, doch um meine Fassade aufrecht zu halten, habe ich ab und an eine Affäre. Selbst, wenn mir das schwerfällt. Die einzigen Menschen, die mich wirklich kennen, sind meine Eltern. Zum Glück stehen sie voll und ganz hinter mir. Sogar mein Vater nimmt mich so, wie ich unveränderlich bin.

Doch zurück zum Thema. Das Duschen. Ich halte mich stets im Zaum, um nicht in Verlegenheit zu geraten. Umgeben von nassen und eingeseiften Männerkörpern ist das nicht so leicht. Wenngleich ich bis vor Kurzem keinen meiner Mannschaftskollegen begehrt habe. In der Tat, dramatisch ist es erst, seit Stefano bei uns ist.

Ich muss meine Augen dazu zwingen, von ihm fernzubleiben, denn sonst hätte ich mich gewiss nicht mehr unter Kontrolle. Er ist der heißeste Kerl, dem ich je begegnet bin und seine Frauengeschichten machen mich krank.

Schöner Gegensatz, nicht wahr? Was soll ich sagen? Es gibt ein nettes Sprichwort, welches Frauen gerne benutzen. Die schönsten Männer sind entweder vergeben oder schwul. Nun ja, in meinem Fall leider hetero. Unerreichbar.

 

Ich fahre nach Hause. Doch dort bleibe ich heute nicht. Ich muss raus, raus aus meiner Haut. Das ist nicht mal annähernd leicht. Bevor ich in den Club fahre, der komplett zu meinen Vorlieben passt, muss ich mich verändern. Die Gefahr, erkannt zu werden, ist viel zu groß. Mit der Zeit habe ich gelernt, mich in solchem Ausmaß zu verändern, dass nicht mal meine Eltern mich erkennen würden.

Ich ziehe mir die Lederhose an, mit der ich immer ausgehe. Eng anliegend und schwarz, eine Sünde. Meine trainierten Schenkel kommen darin perfekt zur Geltung. Mehrere Liebhaber haben mir das bestätigt. Obendrein ein weißes Hemd, das bis zum Nabel hin geöffnet ist. Meine Haare, die ja blond sind, verändere ich mit einer einfachen, auswaschbaren Tönung. Die braune Farbe muss ich am Sonntag mühsam auswaschen, doch das sind mir diese Abende wert. Auch meine Augenfarbe ändere ich. Dazu trage ich braune Kontaktlinsen. Um dem Outfit noch die Krone aufzusetzen, benutze ich eine gewisse Anzahl an Ringen und Ketten.

Endlich bin ich fertig und aus dem Spiegel sieht mir nicht mehr Benjamin, der Fußballspieler, entgegen. Ich bin Ben, nur mit dem wahren Ich nach außen gekehrt. Ausgehfertig und auf der Suche nach einem Kerl für diese Nacht.

 

Es ist bereits nach Mitternacht, als ich ins Prestige komme. Auf den ersten Blick ist die Auswahl nicht schlecht. Ein paar hübsche Jungs sind ohne Frage dabei. Da ich mich aus verständlichen Gründen mit dem Alkohol eher zurückhalte, beschränke ich mich auf das Tanzen. Nebenbei taste ich bereits den ein oder anderen Kandidaten ab.

Die Tanzfläche ist riesig, die Wände und der Boden sind schwarz, die einzige Lichtquelle bilden kleine Lämpchen in den Wänden. Das lässt den Raum wirken, als stünde man mitten in einem Sternenhimmel. Der Inhaber des Ladens, ein heißer Spanier, hat einen guten Geschmack bei der Auswahl seines Interieurs gezeigt. Das Mobiliar besteht zum größten Teil aus Chrom, in Verbindung mit rotem Leder. Selbst auf den Toiletten ist schwarz die bestimmende Farbe, doch nicht düster wirkend, sondern edel mit einem besonderen Highlight zusätzlich. Gänzlich abgetrennte Kabinen, die besondere Art an Privatsphäre …

Der Club ist weder auf Gothic spezialisiert, noch auf Sadomaso. Schlicht mit dem Bewusstsein, hauptsächlich homosexuelle Klientel zu haben, extravagant eingerichtet. Normale Diskotheken gibt es wie Sand am Meer, diese Läden, wie das Prestige, sind rar und wollen aus der Masse hervorstechen. Das hat der Chef richtig gut hin bekommen.

 

Die Musik entspricht dem, was auch in den normalen Diskotheken läuft. Alles, was zurzeit so in Mode ist. Im Moment spielt der DJ eine Reihe von Hip-Hop Titeln, die Masse tanzt, zuckt und drängt sich zum Rhythmus. Ich fühle mich frei, jetzt bin ich tatsächlich ich. Ohne Fassade, ohne Versteckspiel.

Neben mir tanzt ein rothaariger Bursche, kaum älter als ich. Schmächtig ist er, gekleidet in hautenges Latex. Immer wieder berührt er mich, nahezu beiläufig. Doch ich kenne die Anspielungen, die Körpersprache und Gesten eines willigen Mannes. Nur ist er nicht das, wonach ich Ausschau halte. Ich brauche Kerle, die ein Abbild sind von dem, was ich eigentlich will. Stefano. Eben dem, den ich nicht haben kann.

Ich lasse meine Augen suchend umherwandern, taste die Menge ab. Dann sehe ich einen schwarzen Schopf, der mich lockt. Tanzend bewege ich mich in die Richtung des Mannes, der mein Spielzeug für die heutige Nacht sein könnte. Ein kribbelndes Gefühl breitet sich in mir aus, der erste Schritt fällt mir immer schwer. Ich hoffe, der Schwarzhaarige lässt sich auf ein Abenteuer mit mir ein.

Er steht an der Bar und schwankt leicht. Plötzlich dreht er sich um. Schlagartig bleibe ich stehen, mein Herz hämmert im Takt mit der Musik. Ich traue meinen Augen nicht, hoffe, sie spielen mir einen Streich. Doch dem ist nicht so. Keine zwanzig Schritte von mir entfernt steht Stefano an der Bar.

Das kann doch wohl nicht wahr sein! Was tut der hier?

Auch wenn ich weiß, dass er mich nicht erkennen kann, lenke ich meinen Weg an die Seitenwand. Weg von ihm. Raus aus der Menge. Mein Verstand brüllt, ich sollte schnellstens verschwinden. Wenn er mich erkennen würde! Nicht auszudenken, welche Folgen das für mich hätte.

Doch ich bleibe, wo ich bin. Mit dem Rücken an der Wand beobachte ich ihn.

Was macht der hier?, frage ich mich immer wieder, der Panik nahe. Ich atme hektisch. Unschlüssig, was ich nun tun soll, stehe ich starr da. Wie ein Spion, oder besser, wie ein Feigling verschanze ich mich hier hinten und sehe Stefano an.

Ich sehe sogar aus der Entfernung, dass er Alkohol trinkt. Seine Beine stecken in Bluejeans, der Oberkörper in einem lässigen T-Shirt. Trotzdem sieht er in meinen Augen hinreißend aus. Doch es ist ein Fehler, so offen und normal hier zu sein. Jeder kann ihn erkennen! Stefano scheint sich allerdings keine Gedanken um seinen Ruf zu machen.

Ich komme mir vor, als würde ich in einer Falle sitzen. Ich bin hergekommen in der Absicht, einen Kerl zu treffen, der Stefano ähnlich ist. Um einen Ausgleich zu suchen, weil ich ihn nicht haben kann. Und dann taucht das Objekt meiner Begierde einfach hier auf? Wut sammelt sich in meinem Bauch. Er sollte nicht herkommen! Es reicht mir, täglich damit konfrontiert zu werden, dass er für mich unerreichbar ist. Hier will ich frei sein von allem, was meinen Alltag beherrscht und bestimmt. Verdammt! Das war es dann wohl für heute mit der Freiheit. Was muss der Vollidiot auch hier ankommen und mir den Abend dermaßen versauen?

 

Es kommt mir so vor, als sei alles wie auf einen Schlag weggewischt. Die Musik, die tanzende Menge, die knutschenden Pärchen in der Ecke. Nur Stefano existiert noch für mich und meine Sinne. Ich betrachte ihn fortwährend, er kippt einen Whisky nach dem anderen. Seine Augen schweifen ruhelos durch den Raum. Es sieht so aus, als habe er wenig Interesse an seiner Umgebung. Mir kommt es beinahe vor, als würde er sich zwar umsehen, aber nicht hinsehen …

Doch schließlich ändert sich sein Gesicht. Für mich sieht es so aus, als wäre erst jetzt bei ihm der Groschen gefallen und er versteht endlich, wo genau er sich hier befindet.

Im Anschluss daran kommt der nächste Schock für mich. Im ersten Moment will ich nicht glauben, was ich zweifelsfrei sehe. Stefano sieht sich nicht nach den Mädchen oder Frauen um, die hier sind. Er schaut eindeutig nur nach Männern. Ich sehe den im Club als Mr. X bekannten Kerl, der ohne Ausnahme eine gewagte silberne Lederhose trägt. Dieses besondere Modell nenne ich gewagt, weil der komplette Arsch frei ist. Und Stefano? Er gafft eben diesen nackten Arsch an. Nicht vor Entsetzen, nein. Er stiert ungeniert auf die nackte Haut und sabbert dabei fast wie eine Deutsche Dogge! Ich glaube es nicht, selbst wenn besagter Hintern ohne Frage ein Hingucker ist.

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Zu meinem Unglauben und der aufkeimenden Wut gesellt sich Hoffnung. Der Wunsch, dass Stefano nicht der Frauenheld ist, für den ich ihn gehalten habe. Mir ist schwindelig, die Folge an Erkenntnissen macht mich ganz wirr.

Ich sehe Stefano, wie er Mr. X gierig an den freiliegenden Arsch packt. Jetzt hält mich nichts mehr in meiner Abseitsposition. Ich stürme regelrecht auf die Bar zu, hatte ich doch gerade den Beweis vor Augen - Stefano ist nicht ganz so, wie er zu sein scheint!

Hat er vergessen, wer er ist?, schießt es mir durch den Kopf.

Der Alkohol hat Stefano zweifellos den Kopf vernebelt. Als Fußballspieler darf er sich doch nicht so in der Öffentlichkeit benehmen. Nicht, wenn er für jeden erkennbar ist!

Kapitel 2

 

Benjamin

Ich dränge mich durch die Menge, schiebe die Leiber der anderen Gäste zum Teil schroff zur Seite. Nur wenige Meter trennen mich jetzt noch von ihm. Sein Blick klebt weiterhin an Mr. X, und mir kommt bald die Galle hoch. Eifersucht schießt durch meine Eingeweide, ohne mich dagegen wehren zu können. Schließlich und endlich erreiche ich Stefano.

„Bist du völlig bescheuert? Was treibst du hier?“, schreie ich ihn an.

„Was?“, erwidert er, sichtlich verdutzt.

„Du bist hier in der Öffentlichkeit. Glaubst du, dein Verhalten ist da passend?“, frage ich ihn, jetzt etwas gedämpfter.

Sein Gesicht, welches eben noch Verwirrung gezeigt hat, verändert sich in dieser Sekunde. Mit einem deutlichen Staunen sieht er mich an. Er, der mich so nicht kennt, starrt mich an, als käme ich auf direktem Weg vom Mond. Was habe ich auch erwartet? Dass er mich freudestrahlend ansieht? Wäre ja zu schön!

Ich seufze und verdrehe die Augen. „Guck nicht so. Hast du gedacht, jeder, der so tickt, demonstriert offensichtlich seine Neigung? So wie du es gerade tust?“

Stefano öffnet den Mund, doch kein Ton kommt über seine Lippen. Schließlich schließt er den Mund wieder und schüttelt den Kopf. Im Anschluss reibt er sich seine Augen und sieht mich erneut an. Mit einer Auf- und Abbewegung seines Zeigefingers deutet er meinen Körper entlang.

„Das bist nicht du, unmöglich“, sagt er matt. Ich kann ihn kaum verstehen.

„Nein. Ich bin ein Geist!“, schnaube ich. Sein Verhalten, seine Reaktion – alles stößt mir sauer auf.

Stefano schließt von Neuem die Augen. „Alkohol bekommt mir nicht …“, murmelt er daraufhin.

Späte Einsicht!, denke ich und verkneife mir, es laut auszusprechen.

„Das habe ich bemerkt. Wir sollten zusehen, dass du schnellstens hier wegkommst. Ehe dich noch jemand erkennt“, merke ich an.

Stefano nickt niedergeschlagen, wirft einen Fünfziger auf den Tresen, und dreht sich von der Bar weg. Unbehelligt gelangen wir nach draußen.

Allzu lange ist er ja noch nicht in der Stadt, doch bei vielen Fans bekannt. Das Risiko, entdeckt zu werden, ist riesig. Hektisch drängend schiebe ich den Angetrunkenen vor mir her und freue mich über den nahezu leeren Gehsteig. Nun, was ist auch zu erwarten? Obwohl das hier eine Großstadt ist, ist diese Art von Club nicht wirklich ein Mega Treffpunkt des ausgehwütigen Volkes in einer Samstagnacht.

 

„Ich habe erst gar nicht kapiert, in was für einen Laden ich da reinspaziert bin“, murmelt Stefano nach einigen Minuten.

„Das war nicht zu übersehen. Aber der Arsch von Mr. X hat es dir angetan, hm? Wenn da nicht der Groschen gefallen wäre …“, erwidere ich leicht gereizt.

„Wenn man so schamlos seinen Knackhintern präsentiert, muss man damit rechnen, dass einer zupackt“, sagt Stefano schmunzelnd. Er schwankt leicht.

Ich verdrehe nur die Augen und entgegne nichts. Er atmet tief durch, die frische Luft genießt er sichtlich.

„Wohin dirigierst du mich eigentlich?“, fragt er ein paar Minuten später.

„Zu mir. Denn ich glaube kaum, dass wir uns an einem öffentlichen Ort unterhalten sollten. Die Wände haben oftmals Ohren, vergiss das nicht.“

„Hm, zu mir einladen kann ich dich ja schlecht. Schließlich wohne ich noch immer im Hotel. Hier eine Wohnung zu finden, ist der Horror.“

„Weshalb?“, frage ich nach.

„Weil die meisten Vermieter, bei denen ich mir eine Wohnung angesehen habe, den Preis auffällig erhöht haben, als sie gemerkt haben, wer ich bin. Also ein Profispieler mit einem anständigen Einkommen.“ Stefano schnaubt verächtlich.

 

Ich blicke ihn von der Seite an, sein Schritt ist jetzt erstaunlich fest, für die Menge an Alkohol, die er vor meinen Augen konsumiert hat. Die frische Luft wird ihm gutgetan haben, zumindest vermute ich das. Anderenfalls kann er sich sehr gut im Zaum halten, damit man nicht merkt, wie viel er getrunken hat. Im Prinzip eine gute Taktik, wenn man bedenkt, dass manche Pressevertreter wie die Geier hinter solchen Ausfallerscheinungen her sind. Der kleinste Fehltritt steht am nächsten Tag in der Zeitung und wer Pech hat, kommt auf die Titelseite. Ein Grund mehr, sich so rasch wie möglich vom Prestige zu entfernen.

„Meine Wohnung ist angenehm groß und nicht zu teuer. Das Beste ist, den Nachbarn ist egal, was ich so mache. Keiner schnüffelt rum oder behandelt mich wie ein rohes Ei“, erkläre ich.

„Ich verstehe diesen Rummel, der um uns Spieler gemacht wird, sowieso nicht. Habe ich noch nie. Ich meine, wir haben das Privileg, mit unserem Hobby Geld zu verdienen.“

„Hobby? Na, das ist aber ein anstrengendes Hobby“, entgegne ich.

„Mag sein, wer allerdings hat sonst die Möglichkeit, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen? Nicht viele Menschen.“

„Oh ja. Da ist was dran. Doch der Nachteil ist, ich muss mich verstecken. So wie du – glaube ich.“ Ich sehe Stefano prüfend von der Seite an, sein Gesicht zeigt mit keiner Regung, ob ich richtig liege oder nicht.

„Das gehört nicht hier auf die Straße“, weicht er aus.

„Schon klar. Aber eins sage ich dir, Alkohol findest du bei mir keinen.“

„Ich kann auch ohne Hochprozentiges mit dir reden. Ich hatte heute Abend einen depressiven Moment, daher die Drinks. Die, wie mir scheint, mehr als ausreichend waren …“

„Aha.“

Mehr fällt mir in diesem Zusammenhang nicht ein. Stefano und depressiv? Der Kerl, der immer lacht, nicht nur im Training, sondern auch im Spiel. Der die anderen mit wenigen Worten motiviert und aufpeitscht, um noch die letzten Kraftreserven hervorzulocken. Mit dem einzigen Ziel, zu siegen. Diese Charaktereigenschaft von ihm hatte sich schon in den ersten paar Tagen gezeigt.

Wiederholt blicke ich Stefano von der Seite an. Er kommt mir gedankenverloren vor. Den Blick geradeaus gerichtet, geht er festen Schrittes neben mir her. Sein dunkles Haar schimmert leicht vom Licht der Straßenlaternen. Das markante Gesicht zeigt keinerlei Regung, es wirkt nahezu wie eine Maske. Unnahbar erscheint er mir. Verschlossen und abgeschottet mit einer Mauer, die unzerstörbar wirkt. Ich hoffe sehr, es bleibt nicht so.

 

Wir sprechen nicht ein weiteres Wort, bis wir vor meiner Haustür angekommen sind. Mir schwirrt der Kopf, die Überraschung über Stefanos Verhalten hallt noch nach. Die Fragen liegen mir bereits den ganzen Weg brennend auf der Zunge, doch ich halte mich zurück. Ich schließe die Tür auf und führe Stefano zu meiner Wohnungstür. Auch die öffne ich, ohne Stefano anzusehen.

„Bitte, komm rein.“

„Ich hatte nicht vor, auf dem Gang stehen zu bleiben“, erwidert er.

Er folgt mir in die Wohnung und sieht sich um, während ich die Tür schließe. Meine Wohnung ist offen gestaltet, sodass man rasch einen Gesamtüberblick bekommt. Von geringem Ausmaß ist sie jedoch nicht, insgesamt umfasst sie knapp einhundert Quadratmeter.

„Nett hier.“

„Danke. Setz dich ruhig“, biete ich ihm an.

Die Fragen liegen mir inzwischen auf der Zungenspitze, doch ich verkneife sie mir. Stefano lässt den Blick noch einmal schweifen, danach bleibt er an mir hängen. Er deutet an mir entlang, mit der Hand von oben nach unten und wieder zurück.

„Gehst du immer so auf Tour?“, fragt er.

„Für gewöhnlich, ja. Wenn ich nicht erkannt werden will. Das ist das Letzte, was ich brauchen kann. Da könnte ich gleich hingehen und den Sport an den Nagel hängen!“

Stefano schnaubt und grinst zugleich. „Was glaubst du, weshalb ich pausenlos diese Weiber abschleppe? Wenn es nach mir ginge, würde ich das ganz fix aufgeben …“

„Du nutzt diese Affären als Fassade? Um nicht aufzufallen? Das ist heftig – bei der Anzahl“, erwidere ich erstaunt.

„Natürlich ist es reine Show. Da bist du cleverer mit deinem gefälschten Aussehen“, erklärt er zwinkernd.

„Was bleibt mir anderes übrig?“

Stefano setzt sich nun doch auf das Sofa, lässig lehnt er sich an, während seine Augen aufs Neue über mich wandern.

„Deine Klamotten sind übrigens sehr gut gewählt. Du warst auf Männerfang, nehme ich an?“

„Zumindest hatte ich das vor, bis du an der Bar aufgetaucht bist. Wenn einer von der Presse da gewesen wäre … ich will mir gar nicht ausmalen, wie die Zeitung morgen früh aussähe.“

Stefano lacht laut auf, als hätte ich einen Witz erzählt.

„Was ist daran so komisch?“, will ich wissen.

„Ben, ich bitte dich, was glaubst du, wozu die Fassade gut ist? Jeder hätte mir abgekauft, dass ich aus Versehen in den Club geraten bin. Was ja im Übrigen auch stimmt.“

„Das vielleicht. Aber ein Foto, auf dem erkennbar ist, wie du einem Kerl an den nackten Arsch packst – so was kann man nicht schönreden“, werfe ich ein.

„Wie lange machst du das schon so, mit dem Doppelleben?“, fragt er mich unvermittelt.

„Mit den Verkleidungen habe ich vor zwei Jahren angefangen. Da war ich längst so im Fußball gefangen … jeder Fehltritt hätte ein vorzeitiges Aus bedeutet.“

„Wissen deine Eltern von deiner Neigung?“

„Ja. Nur das mit dem Verkleiden wissen sie nicht, sie erkennen mich so nicht. Bin ihnen einmal begegnet. Es stört sie nicht, sogar mein Vater sagt immer, jeder ist so, wie er eben sein soll. Alles hätte seine Bestimmung.“

„Hast du ein Glück. Bei mir ist die Lage völlig anders. Nur meine Mutter weiß es und sie hat auch nichts dagegen. Aber sie ist eine Deutsche, hier wird das eher toleriert. Trotzdem, sie ist mir keine Hilfe. Mein Vater ist schließlich Italiener, streng katholisch. Er drängt mich dauernd, endlich eine ansehnliche Schwiegertochter mit nach Hause zu bringen.“

Stefano seufzt und reibt sich über das Gesicht. Er sieht matt und kraftlos aus. Ich kann das nachvollziehen. Der ewige Kampf gegen sich selbst, die Öffentlichkeit und die Mannschaft. Wenn darüber hinaus die eigenen Eltern nicht ein wenig unterstützen können oder voll hinter einem stehen, das ist zermürbend.

„Wie lange lebst du schon so? In dieser Zwickmühle?“, frage ich ihn.

„Seit ich fünfzehn bin, seit sechs Jahren also. Anfangs habe ich noch versucht zu verdrängen, was ich wirklich wollte. Ich dachte, das wäre nur so eine Phase, Pubertät und so. Doch als mir auffiel, dass ich auf der Straße Männern nachgesehen habe, anstatt Frauen – da habe ich mir eingestanden, dass ich anders bin. Mir war von Anfang an klar, dass es niemand wissen darf, sonst ist Fußball für mich gestorben.“

„Tja, die schöne potente Heterowelt. Der Rasen kommt mir gelegentlich vor, als sei ich auf ihm gefesselt. Weil ich nicht wirklich ich sein darf.“

Stefano nickt, seine Zustimmung ist deutlich erkennbar. Er sitzt auf meinem Sofa, versucht lässig zu wirken und betrachtet mich schweigend. Die ihm anhaftende Kraftlosigkeit scheint sich nicht vertreiben zu lassen, selbst wenn er jetzt nicht mehr völlig allein mit seinem Problem da steht. Auf mich wirkt er, als wäre er nicht sicher, was er denn aus der ganzen Sache machen soll.

„Willst du einen Kaffee?“, frage ich ihn.

„Ja, ich glaube, das wäre eine gute Idee. Klares Denken war eben nicht meine Stärke …“

„So ist das, wenn man ständig aufpassen muss“, erwidere ich ihm. Während ich zur Kaffeemaschine gehe, traue ich mich endlich anzusprechen, was mich bewegt.

„Seit du in der Mannschaft bist, bin ich ständig auf der Hut“, beginne ich.

„Weshalb? Ich tu doch keinem was!“

„Das wahrscheinlich nicht. Doch ich muss mich ständig beherrschen, nicht die Kontrolle zu verlieren.“

„Oho! Du hast von Anfang an ein Auge auf mich geworfen?“, fragt er verblüfft.

 

Ich fülle die Maschine und vermeide es, Stefano anzusehen. „Fast von Anfang an, was ich mir zuerst nicht eingestehen wollte. Als du obendrein mit den Frauengeschichten angefangen hast, ist mir das sauer aufgestoßen. Es war klar, du würdest für mich nie zur Debatte stehen. Ich habe versucht, deine Anwesenheit so gut es geht zu ignorieren. Nur während der Spiele logischerweise nicht, da passen wir wirklich gut zusammen.“

„Das stimmt. Meistens jedenfalls. Und dass mein öffentliches Privatleben eine Show ist, weißt du ja inzwischen.“

„Das war ein schöner Schock! Als du Mr. X an den Arsch gefasst hast, dachte ich: Was um Himmels willen tut der da? Hat der sie nicht mehr alle? Ich hab schon das Pressefoto vor Augen gehabt!“

„Hm, deine echt schnelle und heftige Reaktion hat nichts damit zu tun, dass du mich willst?“, fragt er sarkastisch.

„Nein – doch, etwas. Nur es ging ja nicht um mich oder um mein Leben. Es war deine Karriere, die da in Gefahr war.“

„Hmm … danke. Aber damit du es weißt, ich steige jetzt nicht aus purer Dankbarkeit mir dir ins Bett.“

Ich sehe Stefano verdutzt an, sein Blick spricht Bände. „Habe ich gesagt, dass ich das erwarte? Weil ich dich mit hierher genommen habe?“

„Nein, gesagt hast du das nicht. Ich bin davon ausgegangen, du denkst so.“

„Danke. Du Vollidiot! Ich hatte nicht vor, über dich herzufallen!“, wehre ich mich empört.

 

Die Kaffeemaschine macht ihre Arbeit, während sich das Schweigen zwischen uns ausbreitet. Über die Anrichte hinweg sehen wir uns an. Stefano noch immer auf dem Sofa, ich an der marmornen Arbeitsplatte angelehnt. Es kommt mir so vor, als würden wir uns beäugen, wie es zwei Gegner vor einem Kampf tun würden. Was gewissermaßen gar keinen Sinn macht, wir sind schließlich keine Gegner. Ganz im Gegenteil, wir sitzen beide im selben Boot, das auf dem Wasser seine Kreise zieht. Unter uns lauern Hunderte von Haien, die nur darauf warten, dass wir einen Fehler machen. Sie würden uns genüsslich verspeisen! Diese Metapher habe ich immer vor Augen, wenn es darum geht, meine Tarnung aufrecht zu halten. Ich vermute, Stefano hat ein ähnliches, wenn nicht gar schlimmeres Bild im Kopf.

So ist das doch, die Realität kann grausam sein. Zu Hause kannst du sein, wer immer du willst. Sobald du allerdings einen Fuß vor die Tür setzt, hast du so zu sein, wie die Allgemeinheit dich haben will. Schöne Zwickmühle. Was ich auch immer gerade mache, ich muss mich anpassen, in ein Bild einfügen. Alles auf einmal ist nicht möglich – ich werde nie frei sein. Nicht, solange der Fußball mein Lebensmittelpunkt ist.

Kapitel 3

 

Benjamin