Haupttitel

Plutarch

Von Liebe, Freundschaft und Feindschaft

Übersetzt von
Johann Christian Felix Bähr

Neu herausgegeben von
Lenelotte Möller

marixverlag
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.
 
Alle Rechte vorbehalten
 
Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2011
Der Text wurde behutsam revidiert und neu bearbeitet nach der Übersetzung von Johann Christian Felix Bähr, 1827 ff
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
Bildnachweis: Illustration nach der Fotografie „Hafentempel“ von Dieter Schütz, Oberhausen
Lektorat: Dietmar Urmes, Bottrop
eBook-Bearbeitung: Medienservice Feiß, Burgwitz
Gesetzt in der Palatino Ind Uni und Linux Biolinum (griechisch) – untersteht der GPL v2
 
ISBN: 978-3-8438-0063-1
 
www.marixverlag.de

Inhalt

Über den Autor

Zum Buch

Einleitung

Herkunft und Geburt

Jugend und Ausbildung

Leben

Werke

Moralia

Wirkung

Übersetzung

Auswahl

Wie man den Schmeichler vom Freund unterscheiden kann

Wie man von seinen Feinden Nutzen ziehen kann

Von der Menge der Freunde

Von der Bruderliebe

Über die Liebe zu den Kindern

Von Neid und Hass

Trostschreiben an seine Gattin

Gespräch über die Liebe

Liebesgeschichten

Literatur

Textausgaben

Übersetzungen und Teilübersetzungen

Sekundärliteratur

Fußnoten

Kontakt zum Verlag

Einleitung

Herkunft und Geburt

Plutarch wurde um 45 n. Chr. in Chaironeia in Boiotien geboren und stammte aus einer Familie der alteingesessenen örtlichen Oberschicht. Sein Großvater, den Plutarch sehr liebte, hieß Lamprias. Ein eher distanziertes Verhältnis hatte Plutarch zu seinem Vater, der vor allem den philosophischen Neigungen eher zurückhaltend gegenüberstand. Seine Mutter erwähnt Plutarch in keiner seiner Schriften. Vielleicht ist sie früh gestorben, vielleicht hängt es mit dem durchaus zeittypischen Frauenbild zusammen, das ihm zu eigen war. Zur Familie gehörten noch zwei Brüder, Lamprias und Timon.

Zu Plutarchs Lebzeiten erreichte das Imperium Romanum, zu dem auch seine griechische Heimat gehörte, die in Provinzen eingeteilt war, seine größte Ausdehnung.

Jugend und Ausbildung

Auf Bildung legte Plutarchs Familie großen Wert. Der Sohn studierte Rhetorik an der Akademie in Athen und Philosophie bei Ammonios, einem platonischen Philosophen, ebenfalls in Athen. Außer Plato interessierte ihn dabei am meisten die Stoa, aber auch für Elemente der Lehre des Pythagoras konnte sich Plutarch begeistern.

Leben

Nach dem Studium kehrte Plutarch in seine Heimat zurück und lebte auf dem Gut seiner Familie, das er auch erbte. Mit seiner Frau Timoxena führte er eine glückliche Ehe, aus der vier Kinder, drei Söhne und als jüngstes eine Tochter hervorgingen. Letztere hatte sich die Mutter besonders gewünscht, weswegen sie auch nach ihr benannt wurde. Das Mädchen starb allerdings schon im Alter von zwei Jahren. Der älteste Sohn Soklaros starb wohl kurz nach dem zwölften Lebensjahr, denn er wird in Plutarchs Schriften später nicht mehr erwähnt. Überlebt haben wahrscheinlich die beiden Söhne Autobulos, benannt nach dem Großvater, und Plutarchos.

Plutarch hatte zahlreiche politische Ämter, vornehmlich in seiner Heimatstadt Chaironeia und zeitweise auch in der Provinz Achaia inne. Dazu gehörten die Leitung der Baupolizei und des öffentlichen Bauwesens in Chaironeia. Bedeutend waren auch seine zahlreichen priesterlichen Ämter; vor allem war er seit um 95 Priester am Apollotempel in Delphi und dabei vielfach bemüht, Stadt und Orakel zu fördern. Mit dieser Funktion hängt auch sein ausgeprägtes religionsphilosophisches Interesse zusammen.

Im Lauf seines Lebens reiste Plutarch in andere Teile Griechenlands, nach Kleinasien und Alexandria. Die auf den Reisen gewonnenen Erkenntnisse schlagen sich in seinen Schriften nieder, wobei Alexandria besonders nachhaltig auf ihn wirkte. Mehrfach reiste Plutarch nach Rom. Dort hielt er auch philosophische Vorträge, in der Regel in Griechisch, denn erst in späteren Jahren lernte er die lateinische Sprache gründlicher. Mit mehreren Römern war er befreundet, so etwa mit M. Mestrius Florus, einem Vertrauten Vespasians, von dem er seinen römischen Namen Mestrius Plutarchos annahm, anlässlich der Verleihung des Bürgerrechts, und mit Q. Sosius Senecio, einem dreimaligen Konsul und Freund Traians, dem er seine Biographien widmete. Weiteren Römern widmete er Schriften.

In Chaironeia gründete er eine eigene Philosophenschule, der er mehr als ein Gastgeber denn als Leiter vorstand. Diese Schule wurde zuerst von Angehörigen seiner Familie sowie Freunden und deren Verwandten besucht, später auch von Personen von außerhalb. Den Unterricht hielt er in Form von Vorträgen und Dialogen nach seinem Vorbild Plato. Wie in seinen Schriften dürften auch hier nahezu alle Themen behandelt worden sein: Ethik als zentrales Thema, außerdem Politik, Mathematik, Musik und Astronomie.

Plutarch starb zwischen 120 und 125 n. Chr. Nach seinem Tod wurde eine Büste mit seinem Porträt von den Einwohnern Delphis und Chaironeias errichtet.

Werke

Als Grundlage für eine Übersicht über das umfangreiche Werk Plutarchs dient der sogenannte Lampriaskatalog aus dem 3./4. Jh. n. Chr., der 227 Schriften in 278 Büchern nennt. Erhalten sind davon zwar nur 83 (in 87) Büchern und einige Fragmente weiterer Werke, dafür aber auch 18 im Katalog nicht genannte Schriften, weitere 15 sind dem Titel nach bekannt. Während damit nur ca. ein Drittel des Gesamtwerkes erhalten ist, gehört Plutarch dennoch zu denjenigen antiken griechischen Schriftstellern, von denen sehr viele Werke auf uns gekommen sind.

Sein gesamtes Opus wird üblicherweise in zwei Teile geordnet: die Biographien und die sonstigen Schriften, für die sich allgemein der Name Moralia durchgesetzt hat.

Fragmentarisch erhalten sind von ihm verfasste Kaiserbiographien, in größerem Umfang die Vitae parallelae, in welchen er stets einen bedeutenden Römer einem bedeutenden Griechen gegenüberstellt. Dabei hat er weniger den Anspruch, Geschichte zu schreiben, als den, die Charaktere gegenüberzustellen und Tugenden und Laster, also das moralische Handeln zu beleuchten, wie auch sonst in seinem Werk die historischen Beispiele und die literarischen Motive im Dienst der Philosophie stehen. Die Parallelbiographien sind Sosius Senecio gewidmet und wurden nicht vor 96 begonnen, 22 Paare liegen uns noch vor. Hier wie in den Moralia zitiert Plutarch meist aus dem Gedächtnis, d. h. nicht immer wörtlich, dennoch stellen die zahllosen Literaturzitate, die sein Gesamtwerk durchziehen, eine unschätzbare Quelle über verlorene Schriften der Antike dar, aus der ja nur etwa drei Prozent des einstigen Gesamtbestandes auf uns gekommen sind.

Moralia

Dieser Teil des Werkes umfasst in seiner heutigen Form, wie sie um 1300 von Maximos Planudes zu einem Corpus zusammengestellt wurde, 78 Schriften (darunter auch einige unechte) in Essay-Form, die sich auf nahezu alle Bereiche antiker Kultur, Geschichte, Politik, Literatur, Religion und Pädagogik erstrecken, von denen sich weit mehr als die Hälfte auf philosophische Themen bezieht. In diesen wendet er sich nicht selten gegen die Epikureer.

Wirkung

Plutarch zeichnete sich durch große literarische und philosophische Bildung und umfassende Gelehrsamkeit aus, in seinem Denken war er ein echter Kosmopolit. Wegen seines hohen Ansehens wurden auch viele Schriften unter seinem Namen gefälscht. Da er sich in manchen Gedanken, besonders durch seine Humanität, auch christlichen Ideen annähert, schätzten ihn die Kirchenväter sehr, besonders Isidor von Pelusion und Theodoret von Cyrus, aber auch schon Clemens Alexandrinus, unter den Lateinern Arnobius und Hieronymus. Die Byzantiner dagegen lobten vor allem seine Bildung und seine gepflegte Sprache.

Die erste lateinische Übersetzung erschien 1471, später natürlich auch zahlreiche in andere Sprachen.

Übersetzung

Der vorliegende Text ist die behutsam modernisierte Fassung der Übersetzung von Johann Christian Felix Bähr (1798–1872), ordentlicher Professor für Klassische Philologie und Oberbibliothekar an der Universität Heidelberg, aus den Jahren 1827 ff.

Auswahl

Die Auswahl umfasst Texte zu Liebe, Freundschaft und Feindschaft, die ebenso theologische Erörterungen wie praktische Ratschläge für das Leben enthalten. Bemerkenswert sind vor allem die psychologischen Erkenntnisse über den Menschen sowie die Ideen zum Umgang mit Feinden, die der Autor darlegt.

Wie man von seinen Feinden Nutzen ziehen kann

(1) Ich sehe, Cornelius Pulcher, dass du dich für eine sehr milde Staatsverwaltung entschieden hast, bei der du dem Staat sehr nützlich sein und dich allen, welche sich an dich wenden, freundlich erweisen kannst. Man findet nun zwar ein Land, das von wilden Tieren frei ist, aber eine Staatsverwaltung, die weder Neid noch Eifersucht noch Streit veranlasst hat, welche Eigenschaften doch wohl am ehesten Feindschaft erregen können, ist bis jetzt noch nicht gefunden worden, sondern man wird, wenn auch durch nichts anderes als durch die Freundschaft selbst veranlasst, in Feindschaft verwickelt. In diesem Sinn richtete der Weise Chilon165 an einen, der keinen Feind zu haben versicherte, die Frage, ob er auch keinen Freund habe; darum sollte nach meinen Ermessen ein Staatsmann den Gesichtspunkt der Feindschaft wohl in Betracht ziehen, besonders aber auf Xenophons Wort166 aufmerksam sein, dass ein verständiger Mann auch aus seinen Feinden Nutzen zu ziehen wisse. Was ich nun über diesen Gegenstand neulich vorgetragen habe, sende ich Dir schriftlich fast in denselben Formulierungen zu, und soweit es möglich war, unter Auslassung all dessen, was in den Vorschriften für den Staatsmann bemerkt wurde, weil ich sehe, dass du jene Schrift öfters in die Hand nimmst.

(2) In der Vorzeit war man zufrieden, von den Geschöpfen, die nicht unsere Gattung sind, den wilden Tieren, keinen Schaden zu erleiden, und dies bezweckten die Kämpfe mit diesen Tieren. Später lernte man dann dieselben zu gebrauchen und Nutzen aus ihnen zu ziehen, indem man sich von ihrem Fleisch nährt, mit ihren Haaren bekleidet, mit Galle und Molken heilt, und mit ihren Fellen bewaffnet, sodass man sogar zu befürchten hat, dass, wenn es dem Menschen einst an Tieren fehle, sein eigenes Leben tierisch, bedürftig und verwildert werden könnte. Weil nun die meisten Menschen zufrieden sind, wenn sie von ihren Feinden keinen Schaden erleiden, die Verständigen aber, wie Xenophon sagt, von ihren Feinden sogar Nutzen zu ziehen wissen, darf man dies nicht verwerfen, sondern muss Mittel und Wege suchen, durch die das Gute gewonnen wird, da es unmöglich ist, ohne Feinde zu leben. Nicht jeden Baum kann der Landmann zahm machen, ebenso wie auch der Jäger nicht jedes Wild bezähmen kann. Sie versuchen daher zu anderer Verwendung, der eine aus unfruchtbaren Bäumen, der andere aus wilden Tieren Nutzen zu gewinnen. Das Meerwasser ist schlecht und nicht zum Trinken. Aber es nährt Fische und geleitet Reisende, wie auf einem Wagen, überall hin. Als der Satyr beim Anblick des Feuers dasselbe küssen und umarmen wollte, sprach Prometheus:

Aber es gewährt Licht und Wärme und ist für die, welche es zu gebrauchen wissen, das Werkzeug zu jeglicher Kunst. Man muss daher achtgeben, ob man dem Feind, wenn er auch schädlich ist und sich schwer umgehen lässt, auf irgendeine Weise beikommen und ihn zum eigenen Vorteil gebrauchen kann. Es gibt viele Dinge, welche dem, den sie angehen, unangenehm, ärgerlich und zuwider sind. Indessen sieht man auch, wie manche Menschen Krankheiten ihres Körpers benutzt haben, um sich von den Geschäften zurückzuziehen, viele aber auch durch die ihnen zugefallenen Arbeiten gestärkt und geübt wurden, manche sogar den Verlust des Vaterlandes oder die Einflüsse ihres Vermögens als ein Mittel zu philosophischen Studien ansahen, wie Diogenes und Krates. Als Zeno erfuhr, dass sein Handelsschiff gescheitert war, rief er aus: »Du tust wohl daran, o Schicksal, dass du mich zum Philosophenmantel treibst.« Wie solche Tiere, die einen starken Magen haben und völlig gesund sind, Schlangen und Skorpione verzehren und verdauen, andere sich sogar von Steinen und Schalen ernähren, die sich unter der Stärke und Wärme ihres Atems zu Essbarem verwandeln, sieche und kranke Menschen hingegen, selbst wenn sie Brot und Wein nehmen, Ekel empfinden, so zerstören törichte Menschen selbst die Freundschaft, während die Verständigen sogar die Feindschaft gut zu nutzen wissen.

(3) Zuvörderst glaube ich, dass das, was bei der Feindschaft am schädlichsten ist, für den Aufmerksamen höchst nützlich werden kann. Worin besteht dies nun? Der stets wachsame Feind umlauert alle deine Handlungen, er sucht überall eine Gelegenheit, umlauert deinen Lebenswandel. Er sieht nicht nur wie ein Lynkeus durch die Eiche oder durch Steine und Scherben,168 sondern auch durch einen Freund, durch einen Diener und durch jeden Bekannten. Er späht, soweit es möglich ist, alles aus, was wir unternehmen. Er durchgräbt und durchforscht unsere Vorhaben. Wir erfahren oft aus Zaudern und Nachlässigkeit nicht, wenn unser Freund krank oder gestorben ist, während wir uns bei unseren Feinden uns beinahe um ihre Träume kümmern. Und die Freunde selbst wissen oft weniger von unserer Krankheit, unseren Schulden, unserer Uneinigkeit mit der Frau, als der Feind. Dieser hält sich hauptsächlich an unsere Fehler und spürt ihnen nach, und wie die Geier dem Geruch des Aases nachgehen, aber für reine und gesunde Körper kein Empfinden haben, so zieht auch das, was an unserem Leben krankhaft, schlecht und leidend ist, den Feind an. Er eilt voll Hass demselben zu, packt es an und zerfleischt es. Ist dies nun nützlich? Allerdings. Dazu nämlich, dass wir vorsichtig in unserem Leben sind, dass wir auf uns achten, nicht unüberlegt und unbesonnen in Handlungen wie in Worten sind, sondern unseren Lebenswandel wie bei einer strengen Diät stets untadelhaft erhalten. Denn eine solche Vorsicht, welche die Leidenschaften im Zaum hält und die Vernunft ihre Pflicht beachten lässt, erweckt ein eifriges Bestreben und einen festen Vorsatz, ein anständiges, tadelloses Leben zu führen. Wie diejenigen Städte, welche durch Kriege mit Nachbarn und durch anhaltende Feldzüge zur Besonnenheit gekommen sind, eine gute Gesetzgebung und eine vernünftige Staatsverwaltung lieben, so werden auch die, welche durch mancherlei Feindschaft genötigt worden sind, ein nüchternes Leben zu führen, sich vor Leichtsinn und Übermut zu hüten und in ihren Handlungen Nützlichkeit zu sehen, unvermerkt durch die Gewohnheit von Fehlern frei und kommen zu einem gesitteten Lebenswandel, wenn dies der Unterricht nur einigermaßen unterstützt. Denn Homers Wort:

kann den, der sich stets daran erinnert, aufmerksam machen und von dem abhalten, worüber ein Feind sich freuen und ihn verlachen würde. Wir sehen auch die Schauspieler für sich alleine auf dem Theater oft nachlässig, ohne Eifer und Anstrengung spielen. Wenn sie sich aber mit anderen im Wettstreit befinden, geben sie sich samt ihren Instrumenten mehr Mühe, stimmen die Saiten und spielen mit größter Sorgfalt und Ordnung. Wer nun weiß, dass er in seinem Feind einen Gegner seines Lebens und Ruhmes hat, achtet mehr auf sich, überlegt seine Handlungen und ordnet sein Leben. Denn auch dies ist ein eigenes Zeichen des Lasters, dass man sich vor seinen Feinden mehr als vor seinen Freunden seiner Vergehen schämt. Daher erwiderte Scipio Nasica einigen, welche durch die Zerstörung Karthagos und die Unterwerfung der Achaier den römischen Staat für gesichert hielten: »Gerade jetzt sind wir in einer gefährlichen Lage, da wir uns niemanden übrig gelassen, vor dem wir uns zu fürchten oder gar zu schämen haben.«

(4) Damit ist noch des Diogenes Ausspruch zu verbinden, der sehr philosophisch und politisch ist: »Wie soll ich mich am Feinde rächen? Dadurch, dass ich selbst ein guter und rechtschaffener Mann werde.«170 Man ärgert sich, wenn man jemanden die Pferde eines Feindes rühmen oder dessen Hunde loben hört. Man seufzt sogar, wenn man dessen Feld gut bestellt oder dessen Garten blühen sieht. Und was wird dann erst geschehen, wenn du dich als gerechter Mann erweist, als ein offener, rechtschaffener, der in seinen Reden wohlberüchtigt und in seinen Handlungen rein ist, unsträflich in seinem Lebenswandel,

Die Besiegten, sagt Pindar, sind in Sprachlosigkeit gefesselt, doch nicht immer und auch nicht alle, sondern nur die, welche sich von ihren Feinden an Sorgsamkeit, Rechtschaffenheit, edler Gesinnung, Menschenliebe und Wohltätigkeit besiegt sehen. Dies lähmt, wie Demosthenes sagt, die Zunge, verstopft den Mund, bringt zum Ersticken und zum Schweigen.

Wenn du aber deinen Feind ärgern willst, so schimpfe ihn nicht einen Wollüstling, einen Weichling oder einen ausschweifenden, schmutzigen oder gemeinen Menschen, sondern sei selbst ein Mann, handle besonnen, rede die Wahrheit und behandle die, welche mit dir umgehen, liebevoll und gerecht. Wirst du aber zum Schimpfen verleitet, so halte dich so fern wie möglich von dem, was du anderen vorwirfst, gehe in dich selbst und blicke auf deine Fehler, damit nicht irgendein Laster auch dir das Wort des tragischen Dichters zurufe:

Nennt dich jemand ungebildet, so zeige umso mehr Lernbegierde und Fleiß; nennt man dich feige, so wecke in dir umso mehr männlichen Mut; oder geil und ausschweifend, so tilge aus deiner Seele jede Spur von Wollust, die darin etwa noch verborgen ist. Denn nichts ist schimpflicher, nichts kränkender als eine Schmach, die auf den Schmähenden zurückfällt. So wie der Widerschein des Lichts schwache Augen mehr angreift als das Licht selbst, so verhält es sich auch mit dem Tadel, der von der Wahrheit auf den Tadelnden selbst zurückfällt. Denn wie der Nordostwind die Wolken, so zieht auch ein schlechtes Leben die Schmähungen nach sich.

(5) Sooft Plato mit Leuten, die sich unanständig betrugen, beisammen war, pflegte er beim Weggehen zu sich zu sagen: »Bin ich nicht etwa auch so einer?« Wer, indem er eines andern Lebenswandel tadelt, sogleich seinen eigenen betrachtet und bessert, dadurch dass er ihn auf die andere Seite wendet und kehrt, der wird aus dem Tadel, der sonst unnütz und eitel zu sein scheint und es auch ist, Nutzen gewinnen. Die meisten lachen, wenn einer, der kahlköpfig oder ausgewachsen ist, die anderen darum schimpft und schmäht. Indessen ist es überhaupt lächerlich zu schimpfen und zu spotten, wenn man auf Gegenvorwürfe gefasst sein muss. So sagte Leo von Byzanz, als ihn ein Verwachsener wegen der Schwäche seiner Augen verspottete: »Du hältst mir ein menschliches Leid vor, während du auf dem Rücken die Nemesis trägst.« Schimpfe deshalb niemanden einen Ehebrecher, wenn du selbst ein Knabenschänder bist, nenne keinen ausschweifend, wenn du selbst ein gemeiner Mensch bist. Alkmaion warf dem Adrast vor:

Was aber gab ihm dieser zur Antwort? Nicht die Schandtat eines anderen, sondern die eigene warf er ihm vor:

Domitius sagte zu Crassus: »Hast du nicht über den Tod der Muräne, die du im Fischbehälter nährtest, geweint?« – »Du aber«, entgegnete dieser, »hast nicht geweint, als du deine drei Frauen begrubst?« Wer zurechtweisen will, bedarf dazu keiner besonderen Anlagen oder einer hellen Stimme oder etwas Dreistigkeit. Hingegen muss er unbescholten und tadellos sein. Denn keinem schärft die Gottheit so wie dem, der seinen Nächsten tadeln will, den Spruch ein: Erkenne dich selbst.175 Damit man nicht, während man sagt, was man will, hören muss, was man nicht will. Von einem solchen sagt Sophokles:

(6) Insofern ist es nun nützlich und ersprießlich, den Feind zu schmähen. Nicht wenig nützt es aber, wenn man selbst von seinen Feinden Schimpf und Hohn erdulden muss. Richtig bemerkt daher Antisthenes: »Wer dem Verderben entgehen will, muss entweder echte Freunde oder heftige Feinde besitzen. Die einen halten durch Ermahnungen, die anderen durch Schmähungen von Verfehlungen ab.«177 Weil aber in der gegenwärtigen Zeit die Freundschaft zum freimütigen Tadel nur eine leise Stimme hat, hingegen für die Schmeichelei geschwätzig und für eine Zurechtweisung stumm ist, so muss man die Wahrheit von den Feinden hören. Wie Telephos, als er den eigenen Arzt nicht fand, durch feindlichen Speer seine Wunde heilen ließ,178 so müssen auch die, welche der Zurechtweisung des Freundes entbehren, die Rede eines Feindes, der sie hasst, ertragen, wenn er ihre Lasterhaftigkeit tadelt und straft, und auf die Sache sehen, nicht aber auf die Absicht des Lästerers. Denn wie der, welcher den Thessalier Prometheus töten wollte, mit dem Schwert ein Geschwür traf und es so abhieb, dass der Mann gerettet und von dem so aufgebrochenen Geschwür befreit wurde, so hat schon oft eine im Zorn oder in der Leidenschaft ausgestoßene Beleidigung oder Schmähung ein bisher unbekanntes oder vernachlässigtes Übel der Seele geheilt. Indessen die meisten, wenn sie geschmäht werden, nicht darauf sehen, ob sie das, was ihnen vorgeworfen wird, wirklich an sich haben, sondern nur darauf, ob sie etwas Ähnliches am Ankläger finden, und nicht die Lästerungen abwischen, wie die Athleten den Staub, sondern einander in diesem Handgemenge bewerfen, beflecken und verunreinigen. Wer von seinem Feind geschmäht wird, soll den Fehler, der an ihm ist, weit eher wegschaffen als den Flecken an seinem Kleid, der ihm gezeigt worden ist. Ist der Tadel unbegründet, so soll man dessen ungeachtet nach der Ursache forschen, von welcher die Lästerung ausgegangen ist, man soll sich hüten und in Acht nehmen, ohne eigenes Wissen etwas zu tun, was dem Vorwurf nahe kommt oder gleich ist. So brachten den argivischen König Lakydes die Beschaffenheit seines Haares und sein Gang in den Ruf einer üppigen Weichlichkeit, ebenso den Pompeius, der von allem femininen und ausschweifenden Wesen weit entfernt war, der Umstand, dass er sich mit einem Finger am Kopf kratzte. Crassus kam in den Verdacht eines unerlaubten Umgangs mit einer der heiligen Jungfrauen (Vestalinnen), weil er von ihr ein schönes Stück Land kaufen wollte und deshalb oft allein mit ihr freundlich redete. Dagegen kam Postumia durch ihr freieres Lachen und ihre frecheren Gespräche mit Männern in einen üblen Ruf, sodass sie der Unzucht wegen angeklagt wurde. Sie wurde nun zwar von dieser Schuld rein befunden, aber der Oberpriester fügte die Ermahnung bei, dass sie sich in ihrem Reden künftig nicht unanständiger betragen solle als in ihrem Wandel. So zog Pausanias den Themistokles, der nichts Unrechtes begangen hatte, mit in den Verdacht des Verrats, weil er sein Freund war und beständig Briefe und Boten an ihn schickte.

(7) Ist also ein ungerechtfertigter Vorwurf gemacht, so darf man ihn nicht verachten oder vernachlässigen, weil er falsch ist, sondern man muss untersuchen, was in unseren Reden und Handlungen oder in unseren Beschäftigungen und in unserem Umgang zu der betreffenden Verleumdung Anlass gegeben hat. Davor muss man sich dann hüten und es meiden. Wenn manche durch das Unglück, in welches sie geraten sind, über den Nutzen belehrt werden, so wie Merope es ausdrückt:

Warum wollen wir nicht den Feind zum Lehrer nehmen, von dem wir unentgeltlich Nutzen ziehen und etwas lernen können, was uns unbekannt ist? Der Feind bemerkt vieles besser als der Freund. Denn die Liebe ist nach Platos Ausspruch blind für den geliebten Gegenstand;180 im Hass aber liegt Neugier zugleich und Geschwätzigkeit. Hiero181 wurde von einem seiner Feinde wegen des üblen Geruchs aus seinem Mund getadelt. Als er nach Hause kam zu seiner Frau, sprach er: »Wie hast nicht einmal du mir dies gesagt?« Diese aber, eine tugendhafte Frau ohne Falschheit, antwortete: »Ich glaubte, dass alle Männer so riechen.« Auf diese Weise kann man sinnliche und körperliche Dinge und solche, die jedermann in die Augen fallen, eher von seinen Feinden als von seinen Freunden und Bekannten erfahren.

(8) Außerdem ist es nicht möglich, die Beherrschung der Zunge, die doch kein geringer Teil der Tugend ist, stets der Vernunft untertan und folgsam zu halten, wenn man nicht durch Üben, Nachdenken und Anstrengung die schlimmsten Leidenschaften, darunter den Zorn, überwältigt hat. Denn dass ein Laut gegen den eigenen Willen entschlüpft oder

oder auch einige Worte wie von selbst uns entgegen, dies findet sich meistens bei ungeübten Charakteren, die vor Schwäche ihres Charakters und aus Mangel an innerer Kraft bei einer freien Lebensweise wanken und unstet sind. Der Rede, der leichtesten Sache, folgt, nach dem göttlichen Plato, die härteste Strafe bei den Göttern und bei den Menschen. Das Schweigen aber bleibt in allen Fällen ungestraft und ist nicht nur, wie Hippokrates sagt, gegen den Durst gut, sondern es zeugt bei Schmähungen der Feinde von Würde und beweist einen sokratischen oder vielmehr einen herkulischen Charakter. Denn von Herkules heißt es:

Ebenso anständig und rühmlich ist es, bei den Schmähungen eines Feindes ruhig zu bleiben und an den rauschenden Klippen der Schmähung gleichsam vorbeizuschwimmen. Doch ist die Übung darin noch wesentlicher. Hat man sich nämlich daran gewöhnt, bei den Schmähworten eines Feindes gelassen zu bleiben, so wird man sehr leicht den Angriff einer lästernden Frau ertragen und die etwas herbe Stimme eines Bruders ohne Unruhe aushalten. Man wird beim Schlagen oder Werfen des Vaters wie der Mutter keinen Groll zeigen. Sokrates suchte sich mit Xanthippe, einer leidenschaftlichen und bösen Frau, zu vertragen, weil er dann mit anderen leicht leben zu können glaubte, wenn er sich daran gewöhnt hätte, es mit ihr auszuhalten. Jedoch ist es weit besser, sich am Spott, an der Schmähung, am Zorn und der Unverschämtheit der Feinde und fremder Leute zu üben und sich dahin zu gewöhnen, dass man bei solchen Schmähungen ruhig und gelassen bleiben kann.

(9) Auf diese Weise nun kann man bei der Feindschaft Milde und Sanftmut zeigen, ja selbst Offenheit, Edelmut und Rechtschaffenheit noch mehr als bei der Freundschaft. Denn dem Freund Gutes zu tun, ist nicht so rühmlich, wie es schimpflich ist, dies im Notfall bei demselben zu unterlassen. Sich aber an seinem Feind nicht zu rächen, wenn er Gelegenheit dazu gibt, zeigt eine edle Seele. Wer aber einen Menschen, welcher mit seinem Feind im Unglück Mitleid hat, ihn in der Not unterstützt, sich seiner Kinder, seines Vermögens, wenn es gefährdet ist, eifrig und bereitwillig annimmt, nicht seiner Herzensgüte wegen liebt und seine Gerechtigkeit lobt,

Als Caesar befohlen hatte, die umgeworfenen Bildsäulen des Pompeius wieder aufzurichten, sprach Cicero zu ihm: »Du hast die Bildsäulen des Pompeius wieder aufgerichtet und dadurch die deinen gefestigt.« Daher darf man bei einem Feind weder mit Lob noch mit Ehre sparen, der es mit Recht verdient. Denn dies bringt dem Lobenden ein noch größeres Lob und bewirkt, dass man ihm, wenn er ein andermal tadelt, glaubt, in der Überzeugung, dass er nicht den Mann hasse, sondern die Handlung missbillige. Das Beste und Nützlichste aber ist dabei, dass der, welcher sich daran gewöhnt hat, die Feinde zu loben, sich nicht über ihr Glück zu ärgern und sie nicht zu beneiden, dadurch auch von allem Neid über das Glück seiner Freunde und über das Wohlergehen seiner Angehörigen frei bleibt. Und in der Tat, welche andere Übung kann der Seele einen größeren Nutzen bringen oder sie mehr zum Guten bestimmen, als die, welche Eifersucht und Neid entfernt? Wie im Krieg manches zwar Notwendige, sonst aber Schlechte zur Gewohnheit wird und das Ansehen eines Gesetzes gewinnt und darum nicht leicht von denen, die dadurch leiden, abgeschafft werden kann, so bringt die Feindschaft mit dem Hass zugleich Neid, Eifersucht und Schadenfreude und lässt die Erinnerung daran im Gemüt zurück. Kommen dazu noch Schlauheit, Betrug und List, die gegenüber einem Feind weder für etwas Schlechtes noch Ungerechtes gehalten werden, so bleiben sie und sind nicht leicht zu entfernen. Aus Gewohnheit gebrauchen wir dasselbe auch gegen Freunde, wenn wir nicht bei den Feinden gelernt haben, uns davor zu hüten. Wenn daher Pythagoras darin Recht hatte, dass er uns bei den unvernünftigen Tieren an die Enthaltsamkeit von Grausamkeit und Habsucht gewöhnen wollte, wenn er die Vogelsteller um ihren Fang bat oder einen Wurf Fische kaufte und sie dann freiließ, auch die Tötung jedes zahmen Tieres verbot, so ist es doch gewiss viel rühmlicher, beim Streit und Zank mit Menschen als ein edelmütiger, rechtlicher und wahrheitsliebender Feind schädliche, unedle und boshafte Leidenschaften zu unterdrücken, damit man im Umgang mit den Freunden durchaus gelassen bleibe und sich des Bösen enthalte. Scaurus war des Domitius’ Feind und Ankläger.185 Vor dem Gerichtstag kam ein Sklave des Domitius zu ihm, um ihm ein Geheimnis zu entdecken. Aber Scaurus ließ ihn nicht reden, sondern den Menschen ergreifen und zu seinem Herrn zurückbringen. Als Cato gegen Murena eine Anklage wegen Volksbestechung erhob186 und die Beweise dazu sammelte, folgten ihm der Sitte nach Leute, die auf alles, was vorfiel, achthatten. Diese fragten ihn oftmals, ob er heute Beweise sammeln oder etwas hinsichtlich der Anklage vornehmen wolle. Verneinte er dies, so glaubten sie ihm und gingen nach Hause. Dies gibt freilich den besten Beweis der guten Meinung, die sie von Cato hatten. Aber noch besser und am rühmlichsten ist es, wenn wir, gewöhnt auch unsere Feinde gerecht zu behandeln, dann nie gegen unsere Freunde und Bekannten ungerecht oder arglistig handeln.

(10) Weil nun jede Schopflerche nach Simonides einen Schopf haben muss, und weil überhaupt die Natur des Menschen Streit, Eifersucht und Neid, nach Pindars Ausspruch die Gefährten eitler Menschen, erregt, so wird es von keinem geringen Nutzen sein, wenn man versucht, sich bei dem Feind von diesen Leidenschaften zu reinigen und sie wie Kanäle soweit wie möglich von seinen Gefährten und Angehörigen wegleitet. Das sah auch, wie es scheint, der Staatsmann Onomadesimos wohl ein. Er gehörte zu Chios bei einem Aufruhr zur siegreichen Partei und gab seinen Gefährten den Rat, nicht alle Gegner zu vertreiben, sondern einige übrig zu lassen, damit, wie er sich ausdrückte, wir nicht anfangen, mit unseren Freunden uneins zu werden, wenn wir von allen Feinden ganz und gar befreit sind. Daher werden wir auch bei solchen Leidenschaften, wenn sie gleichsam vorher bei den Feinden ausgetobt sind, unseren Freunden weniger lästig fallen. Denn es soll nach Hesiod187 weder der Töpfer auf den Töpfer, noch der Sänger auf den Sänger neidisch sein. Man soll weder auf den Nachbarn eifersüchtig sein, noch auf den Vetter oder Bruder, wenn er nach Reichtum strebt und in seinen Unternehmungen erfolgreich ist. Wenn es aber kein anderes Mittel gibt, sich von Streit, Neid und Zank frei zu machen, so gewöhne man sich daran, über des Feindes Glück unwillig zu werden, man sporne und reize die eigene Streitsucht und schärfe sie an jenem. Wenn ein geschickter Gärtner Rosen und Veilchen wohlriechender zu machen glaubt, wenn er Knoblauch und Zwiebeln daneben pflanzt, indem sich dann auf diese alle herben und übel riechenden Nahrungssäfte ziehen, so wird auch der Feind, der unseren Neid und unsere Bosheit aufnimmt und pflegt, uns gegen Freunde, die im Glück sind, wohlwollender und liebreicher machen. Deshalb muss man auch mit jenen im Ruhm, im Ansehen und im gerechten Erwerb wetteifern. Man soll nicht bloß unwillig werden, wenn sie uns etwas darin voraus haben, und sich Mühe geben, sie darin mit Sorgfalt, Anstrengung, Besonnenheit und Aufmerksamkeit auf sich selbst zu übertreffen, gleichwie Themistokles sagte, der Sieg des Miltiades zu Marathon lasse ihn nicht schlafen. Denn derjenige, der seinen Feind in Ämtern, in Prozessangelegenheiten, bei der Staatsverwaltung oder unter Freunden und Vornehmen für glücklicher hält als sich, verfällt, statt durch die Tat ihm nachzueifern, in Neid und Unwillen und bleibt in seinem Neid träge und untätig. Wer sich aber nicht durch Hass blenden lässt, sondern Lebensweise, Charakter, Reden und Handlungen [des Feindes] unparteiisch betrachtet, der wird gewahr werden, dass das meiste von dem, was er beneidet, vom Besitzer durch Fleiß, Vorsicht und gute Handlungen erworben worden ist, und nach diesen Zielen hin wird er seine Ehrliebe und sein Verlangen nach Ruhm üben, Trägheit und Schlaffheit aber gänzlich entfernen.

(11) Wenn aber unsere Feinde durch Schmeichelei, Tücke, Bestechung und Verführung zu einem schimpflichen und entehrenden Ansehen an Höfen oder in Republiken gelangt sind, so wird uns dies keine Unruhe, sondern eher Freude verursachen, indem wir unsere Freiheit, unseren reinen und unbescholtenen Lebenswandel dagegenstellen. Denn alles Geld über und unter der Erde kommt nach Platos Ausdruck der Tugend nicht gleich. Auch soll man stets an Solons Worte denken:

Dann werden wir die anderen nicht um das mit dem Geschrei [des satten Volkes] erfüllte Theater oder um die Ehrenstellen und Ehrenplätze bei Eunuchen, Kebsweibern und königlichen Satrapen beneiden. Denn nichts kann bewundernswert und edel sein, was aus dem Schändlichen entsteht. Die Liebe zum geliebten Gegenstand ist, wie Plato sagt, blind, und die Feinde, wenn sie schlecht handeln, geben uns eher Gelegenheit, es zu bemerken. So darf denn weder die Freude über ihr Vergehen, noch der Schmerz über ihre Ruhmestaten unwirksam sein, sondern beides soll uns erinnern, dass wir vor dem einen uns hüten und dadurch besser werden als sie, das andere aber nachahmen und ihnen darin nicht nachstehen.

Wie man den Schmeichler vom Freund unterscheiden kann

(1) Plato sagt, mein lieber Antiochos Philopappos:1 Demjenigen, der seine große Selbstliebe eingesteht, gewährt jedermann Verzeihung. Er bemerkt aber auch, wie neben manch anderem auch der große Nachteil daraus entsteht, dass man so unmöglich ein gerechter und unbestechlicher Richter über sich selbst werden kann. Denn die Liebe macht blind für den geliebten Gegenstand,2 wenn man nicht durch Belehrung gewöhnt ist, das Gute zu ehren und ihm eher nachzustreben, als dem, was uns angeboren und eigentümlich ist. Der Schein der Freundschaft bietet dem Schmeichler ein geräumiges Feld, indem er gleichsam zum Angriffspunkt gegen uns diese Selbstliebe benutzt, durch die jeder schon gegen sich selbst der erste und größte Schmeichler ist und umso leichter einen anderen zulässt, von dem er glaubt und wünscht, er werde ihm zugleich einen Zeugen für sich selbst gewinnen, der ihn in seinen Ansichten bestärke. Denn wer sich dem Vorwurf aussetzt, Schmeichler zu lieben, zeigt eine große Eigenliebe. Eingenommen für sich, wünscht er, alles zu besitzen, und glaubt auch, alles zu besitzen. Nun ist zwar ein solcher Wunsch nicht töricht, aber dieser Wahn ist gefährlich und erfordert große Behutsamkeit. Ist die Wahrheit etwas Göttliches und nach Plato der Anfang alles Guten bei Göttern wie bei Menschen,3 so muss wohl der Schmeichler den Göttern verhasst sein, insbesondere dem Pythischen Gott.4 Denn er steht stets dem Spruch »Erkenne dich selbst!«5 entgegen, er verleitet jeden zur Selbsttäuschung und zur Unkenntnis seiner selbst sowie seiner Vorzüge und Fehler, da er jene mangelhaft und unvollkommen lässt, diese aber ganz unverbesserlich macht.

(2) Wenn sich nun, wie meistens bei den anderen Übeln, der Schmeichler ausschließlich oder hauptsächlich an gewöhnliche oder schlechte Menschen hielte, so wäre dies nicht so gefährlich und nicht so schwer zu verhüten. Wie sich aber die Holzwürmer besonders in das leichte und süße Holz einnisten, so gewähren auch ehrliebende, redliche und sanftmütige Naturen eher dem Schmeichler, der sich anschmiegt, Eingang und Unterhalt. Die Pferdezucht folgt, wie Simonides6 sagt, nicht der Insel Zakynthos,7 sondern den weizentragenden Fluren; und so sehen wir auch die Schmeichelei nicht im Gefolge der Armen, Namenlosen oder Schwachen, sondern, wie sie mächtige Familien und Reichtum wanken lässt und deren Verderben herbeiführt und oft selbst Königsherrschaft und ganze Reiche untergräbt. Daher ist es eine wichtige Aufgabe, sie ins Auge zu fassen, wobei ungemeine Vorsicht nötig ist, damit sie nämlich richtig erkannt werde und sie dadurch weder der Freundschaft Schaden bringen noch sie verdächtig machen kann. Die Läuse weichen von den Sterbenden und verlassen die Körper, wenn das Blut, aus dem sie ihre Nahrung ziehen, stillsteht. Die Schmeichler aber sieht man gewiss nicht ausgetrockneten und ausgezehrten Gegenständen nachlaufen, sondern wo Ruhm und Macht sind, kommen sie heran und wollen sich nähren, eilen aber bei jeder Veränderung schnell davon. Indessen aber darf man es auf eine solche Probe nicht ankommen lassen, da diese nichts nützt, sondern nur Schaden bringt und ohne Gefahr nicht abgehalten werden kann. Denn das Gefühl, keine Freunde zu besitzen, ist dann hart, wenn man ihrer bedarf und es nicht mehr möglich ist, den unzuverlässigen, falschen Freund gegen einen redlichen und zuverlässigen einzutauschen. Vielmehr muss man einen Freund wie eine Münze schon geprüft haben, bevor man seiner bedarf und ihn nicht erst durch die Not prüfen lassen. Man soll ja nicht erst durch Schaden klug werden, sondern, um keinen Schaden zu erleiden, den Schmeichler erst kennen lernen und prüfen. Sonst mag es uns gehen wie denjenigen, die es erst dann merken, wenn sie das Gift gekostet haben, indem wir uns, während wir ein Urteil gewinnen wollen, selbst ins Verderben stürzen und zugrunde richten. Wir loben diese daher ebenso wenig wie jene, welche den Freund nur an Wohlstand und Nutzen messen und in jedem, der sie freundlich anspricht gleich einen Schmeichler frisch ertappt zu haben glauben. Denn ein Freund zeigt nichts Unangenehmes und Ungeselliges, und nicht durch ein herbes und grobes Wesen gewinnt die Freundschaft Ansehen, sondern gerade das Anständige und Würdevolle an ihr ist das, was sie uns angenehm und Wünschenswert macht.

Und nicht bloß im Unglück lässt sich mit Euripides sagen:

Sondern ebenso sehr bringt die Freundschaft im Glück Lust und Wonne, wie sie in Unglück den Kummer und die Betrübnis stillt. Wie Euenos sagt, unter den Gewürzen sei das Feuer das beste,10