Haupttitel

Lukian von Samosata

Vom beinahe vollkommenen Menschen

 

Übersetzt von August Pauly,
ausgewählt, behutsam überarbeitet und mit erklärenden Anmerkungen versehen von Lenelotte Möller
marixverlag
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Illustration nach der Fotografie „Forum Romanum“ von Christa Kalz, Berlin
Lektorat: Dietmar Urmes, Bottrop
eBook-Bearbeitung: Medienservice Feiß, Burgwitz
Gesetzt in der Palatino Ind Uni und Linux Biolinum (griechisch) – untersteht der GPL v2
 
ISBN: 978-3-8438-0200-0
 
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Inhalt

Über den Autor

Zum Buch

Einleitung von August Pauly zur deutschen Gesamtausgabe

Timon oder der Menschenfeind

Charon oder die Weltbeschauer

Die Überfahrt oder der Tyrann

Die gekauften Gelehrten

Der Parasit oder der Beweis, dass Schmarotzen eine Kunst sei

Der ungebildete Bücherfreund

Die Verleumdung

Ausgaben und Übersetzungen

Literatur

Fußnoten

Kontakt zum Verlag

Einleitung von August Pauly zur deutschen Gesamtausgabe

Bei dem auffallenden Stillschweigen gleichzeitiger und späterer Schriftsteller über Lukian beschränkt sich das Wenige, was wir von seinen Lebensumständen wissen, auf einige in seinen eigenen Werken zerstreute Nachrichten, und auf die Folgerungen, die mit Sicherheit aus denselben gezogen werden können.

Sein Geburtsort war Samosata, eine unfern des Euphrats an den äußersten Grenzen griechischer Kultur gelegene syrische Stadt, an deren Stelle heutzutage ein gänzlich unbedeutender Ort, Semisat, befindlich sein soll. Das Jahr seiner Geburt lässt sich nicht mit Bestimmtheit angeben; doch vermutet Wieland nicht unwahrscheinlich, dass er um das Jahr 117 n.Chr. (Trajans Todesjahr) geboren wurde. Wie wenig das Glück ihn durch die Vorzüge ansehnlicher Herkunft und glänzender Vermögensumstände begünstigt hatte, erzählt er uns selbst in dem Aufsatz »Der Traum«, der mit Recht an der Spitze seiner Werke steht, und womit er die Vorlesung derselben in seiner Vaterstadt eröffnete. Der Bestimmung zum Handwerker, welche ihm seine Eltern, als er ungefähr 14 Jahre alt war, geben wollten, widerstrebte sein Genius, und er wählte die Laufbahn eines gerichtlichen Redners, welche damals ausgezeichnete Talente auf einen ehrenvollen Schauplatz führte, so wie sie dem Sohne unbemittelter Eltern ein reichliches Auskommen versprach. Wirklich hatte er mehrere Jahre, wie es scheint, zuerst in der Hauptstadt Syriens, Antiochien, sodann in Griechenland, mit Ausübung der gerichtlichen Beredsamkeit zugebracht, als die Unannehmlichkeiten dieses Berufs ihn bestimmten, sich auf den friedlicheren eines theoretischen Redners oder Lehrers der Redekunst (Sophisten) zu beschränken und sich dabei mit philosophischen und schönwissenschaftlichen Studien zu beschäftigen. In dieser Eigenschaft hielt er sich eine Reihe von Jahren in Gallien auf, wo er die Rhetorik als öffentlich angestellter Lehrer vortrug, und in der hohen Achtung, in welcher er dort stand, so wie in einem sehr reichlichen Einkommen die Früchte seines ausgebildeten Talentes erntete. Er mochte 35 bis 40 Jahre zählen, als er Gallien und zugleich das rhetorische Lehrgeschäft verließ, um nach Griechenland zurückzukehren, und, wie es scheint, die Jahre des mittleren Mannesalters, seine fruchtbarste Periode an literarischen Erzeugnissen, in Athen zu verleben. Dass er seine Vaterstadt zu einer Zeit wieder besuchte, wo er durch seine Schriften bereits zu einem hohen Grad von Berühmtheit gelangt war, ist nach dem oben angeführten Aufsatz ebenso wenig zu bezweifeln, als es wahrscheinlich ist, dass er sich lange in jener halbbarbarischen Provinzialstadt werde aufgehalten haben. Wenigstens ließe sich dies nicht wohl mit der Vorliebe zusammenreimen, welche er an mehreren Stellen seiner Werke für Athen an den Tag legte, welches auch in jenen späten Zeiten noch der Hauptsitz echter Urbanität und feiner Bildung war. In seinem höheren Alter nahm er eine mit Ansehen und bedeutendem Gehalt verbundene Beamtenstelle bei der Präfektur von Ägypten an, wobei ihm die Aussicht auf eine der höchsten Stellen im kaiserlichen Dienste, etwa das Gouvernement einer Provinz, eröffnet war. Ob diese Hoffnung in Erfüllung gegangen, wissen wir nicht: denn von jetzt an verlieren sich in seinen Schriften alle Spuren seiner weiteren Lebensgeschichte. Dass er verehelicht gewesen und einen Sohn gehabt habe, schließt man aus einer Äußerung in dem Dialog »Der Eunuch«.1

Das Zeitalter, welches Lukian in seinen besten Jahren durchlebte, war also jenes glänzende unter Hadrian und den beiden Antoninen, wo unter der milden und friedlichen Regierung dieser weisen und humanen Fürsten der Wohlstand der Provinzen blühte und der lebhafte Verkehr der Städte und Völkerschaften einen äußerlich glücklichen Zustand herbeiführte, wie ihn die Geschichte des Altertums sonst nirgends, wenigstens nicht von dieser Dauer, aufweist. Besonders war es Athen, welches sich von jenen Umständen sowie von der Vorliebe begünstigt, die Hadrian für diese Wiege des Wahren und Schönen hegte, schnell wieder zu einer bedeutenden Höhe des Ansehens emporhob. Mehr als je war hier der Sammelplatz von Gelehrten und Künstlern aller Art, und nur der Grad der Geistesbildung bestimmte in dieser Musenstadt den Wert und die Achtung des Einzelnen, während bloßer Rang und Reichtum nicht einmal vor jenem beißenden Spotte schützten, in welchem die Athener von jeher Meister waren. Der Aufenthalt in dieser Stadt, und daselbst der vertraute Umgang mit seinem väterlichen Freunde Demonax, dem veredelten Kyniker, dem er in einem seiner Aufsätze ein so schönes Denkmal setzt, war die wesentlichste Epoche in Lukians Bildungsgeschichte, und höchst einflussreich auf Zweck, Geist und Charakter sowie auf die Form seiner schriftstellerischen Produktionen.

So glücklich und blühend aber jenes Zeitalter in mancher Beziehung war, so litt es gleichwohl an eigentümlichen und sehr wichtigen Gebrechen. Eben jene Gunst, welche gebildete Regenten, wie Hadrian und Marc Aurel, den Wissenschaften und insbesondere der Philosophie schenkten, machte, dass sich viele Unwürdige herzudrängten, welche unter der Philosophenmaske die niedrigsten Absichten verbergend, die Wissenschaft zum bloßen Erwerbsmittel herabwürdigten und so ihren Verfall und ihre Verachtung herbeiführten. Es wimmelte ferner in jener Zeit von dem windigen Geschlechte der Sophisten oder Schönredner, welche mittels dialektisch-rhetorischer Kunstgriffe in schimmernden Deklamationen mit der Wahrheit ihr leichtfertiges Spiel trieben. Dazu kam, dass der religiöse Volksglaube gerade damals, als sich die alten Institute zum Untergange neigten, je ferner er jener Periode künstlerisch schaffender Phantasie stand, welche ihm das Dasein gegeben, und je mehr durch die Vereinigung der verschiedensten Nationen in einen Staatskörper, ein Gemenge der mannigfaltigsten Vorstellungen, Sagen und Gebräuche entstanden war, desto mehr seine Inkonsequenz und innere Unhaltbarkeit an den Tag legte. Zwar hing die Masse des Volks noch an den alten Sagen und äußeren götterdienstlichen Einrichtungen; allein das Unbefriedigende derselben, das immer fühlbarer ward, scheint jenen Hang zum Wunderbaren und zur Schwärmerei herbeigeführt zu haben, welcher Lukians Zeitalter ganz besonders charakterisiert: Der Orient mit seinen Mysterien, magischen Künsten und geheimen Wissenschaften beschäftigte die Einbildungskraft einer Generation, welche die sichersten Verwahrungsmittel gegen solche Verirrungen, nämlich frische Tatkraft und reges politisches Leben, längst verloren hatte; und so hatte denn eine Menge religiöser Gaukler in dem trüben Zwielicht jener Zeiten ein leichtes Spiel. Dass der äußerste Sittenverfall sich zu jenen krankhaften Erscheinungen gesellte, ist nichts weniger als befremdend: Und in dieser Beziehung erscheint uns besonders die damalige Welthauptstadt, wo alle Schätze und Herrlichkeiten des kultivierten Teiles der Erde zusammenflossen, als der Schauplatz einer Verdorbenheit, die in den Annalen der Menschheit ohne Beispiel ist. Geldsucht und Sklavensinn paarten sich hier mit brutalem Machtstolz und mit der üppigsten Verschwendung.

Lukian, ein heller Kopf und entschiedener Freund der Wahrheit, beschloss den Kampf gegen dieses Zeitalter des Trugs, Aberglaubens und Dünkels; und wäre er weniger kaltblütiger Verstandesmensch gewesen, er hätte ihn nicht mit so glücklichen Waffen geführt. Wie er selbst in jener schönen Allegorie vom Ausstreuen der Samenkörner andeutet (»Der Traum«, Kap. 15), so hatte er sich zur Aufgabe seines Lebens gemacht, Wahrheit und echte Lebensweisheit unter seinen Zeitgenossen zu verbreiten. Deklamationen, Strafpredigten und Ermahnungen hätten hier nichts verfangen: Die ernste Absicht musste, unter dem Scheine des heiteren, oft mutwilligen Scherzes verborgen, Torheit und Laster mit der Geißel der Satire gezüchtigt, dem Leser die bittere Arznei mit unterhaltender Ironie und Laune beigebracht werden. Dazu war unser Lukian durch seine Anlagen vor allen berufen. Er besaß von Natur in hohem Grade die Gabe des Witzes und das Talent, von jeder Sache die lächerliche Seite aufzufinden und ins Licht zu stellen, ein Talent, das sich durch den Umgang mit den besten Köpfen Athens nur umso glücklicher entwickelte und verfeinerte. Gesundes Urteil, Geschmack, Reichtum an Ideen und Kenntnissen, eine seltene Leichtigkeit in Erfindung der mannigfaltigsten und jedes Mal passendsten Formen, und, was das Genie charakterisiert, das glücklichste Gleichgewicht aller Geisteskräfte und die sicherste Harmonie in ihrer Zusammenwirkung – diese Vorzüge waren es, die ihn Werke von bleibendem, ja in gewissen Zeiten sich wieder verstärkendem Interesse schaffen ließen und ihm die Bewunderung jedes Gebildeten sichern.

Original ist Lukian schon dadurch, dass er sich das geschickteste Organ für seine Satire in der neuen Art von Dialog schuf, worin er die sokratische Gesprächsform der Philosophen mit der dramatischen der alten Komödie glücklich paarte und somit, indem er seine Charaktere gleichsam in Handlung setzte, um so lebhafter die Lichter seines Witzes wirken lassen konnte. Unstreitig sind seine satirischen Schriften der vorzüglichste Teil seines Nachlasses, und in ihnen hat sich seine Eigentümlichkeit am treusten ausgeprägt. Sie gelten zum Teil den gleisnerischen Afterphilosophen seiner Zeit (die vorzüglichsten hierher gehörigen sind Nigrinus, die Versteigerung, der Fischer, Hermotimus, die Entlaufenen, die neuen Lapithen, Ikaromenipp); in andern ließ er den religiösen Volksglauben seine Geißel fühlen, indem er die Lächerlichkeit und Inkonsequenz der Göttersagen in ihrer ganzen Blöße darstellte2 (z.B. Prometheus, Götter- und Meergötter-Gespräche, Jupiter Tragödus, Der überwiesene Jupiter, Die Götterversammlung, Ikaromenipp, Die Opfer); und da Pfafferei aller Art und in jeglicher Gestalt an ihm einen unerbittlichen Gegner fand, so empfanden besonders jene Gaukler, die unter religiöser Maske den Aberglauben des Volks sich zu Nutze machten, seine schärfsten Züchtigungen (z.B. Der Lügenfreund, Der falsche Prophet, Peregrinus). Endlich ergießt sich eine reiche Ader seiner Satire über die Torheiten der Menschen überhaupt, insbesondere über ihr Trachten nach vergänglichen äußeren Gütern, ihre Eitelkeit, ihren Hang zur Üppigkeit und dergleichen (z.B. Timon, Nigrin zum Teil, Totengespräche, Charon, die Überfahrt, die saturnalischen Aufsätze u. a. m.). Noch ist außer den genannten Klassen eine reiche Anzahl vermischter Dialoge und Aufsätze von verschiedenem, zum Teil vorzüglichem Wert und Interesse auf uns gekommen, von denen jedoch einige Lukians Namen fälschlich tragen. Wir nennen von den ausgezeichneteren unter diesen Produkten: »Die gedungenen Gelehrten«, die Abhandlung »Wie man Geschichte schreiben soll« sowie die Aufsätze Toxaris, Anacharsis, Demonax, Panthea.

Wenn man auch zuweilen über eine gewisse Kälte klagen möchte, die dem edleren Gefühl wehtut, so ist unserem Schriftsteller gleichwohl Achtung für alles wahrhaft Große und Liebe zum sittlich Schönen3 nicht abzusprechen. Als Philosoph machte er die praktische Weltweisheit zum Hauptgegenstande seines Studiums und bewegte sich zwischen den verschiedenen Systemen mit der Freiheit eines Eklektikers. Am meisten jedoch scheint er dem wahren Geist des Zynismus und Epikureismus zugetan gewesen zu sein.

Was seine Werke fast durchaus bezeichnet, ist eine gewisse Glätte, Leichtigkeit und muntere Laune. Die Schreibart ist den attischen Mustern mit vielem Glück nachgebildet, und erinnert nur selten an den Geschmack jenes späten Zeitalters. Dem Letzteren dürfte es zuzuschreiben sein, wenn der Stil besonders in jenen Schriften, deren Abfassung in die rhetorisch-sophistische Periode unseres Autors oder wenigstens in die Nähe derselben fällt, bisweilen mit Blumen überladen, mit falschem Witze spielend erscheint, wenn Metaphern zu sehr gehäuft, Allegorien zu lange fortgesetzt werden und dergleichen. Auch kann nicht geleugnet werden, dass der ihm besonders eigentümliche Wortreichtum, der nicht selten vollkommene Tautologien erzeugt, nicht eben zu seinen Vorzügen gehört.

Eine Übersetzung des Lukian, der sich durch eine so gefällige Leichtigkeit und Laune auszeichnet, muss sich, um eben diesen eigensten Reiz des Autors dem deutschen Leser zu bewahren, mit einiger Freiheit bewegen dürfen; und so konnte meine Aufgabe, gegenüber von einem Vorgänger wie Wieland, der gerade von dieser Seite ein Meisterwerk geliefert hat, nur diese sein, zu versuchen, wie sich jene Freiheit der Bewegung mit der Treue gegen die Urschrift noch näher möchte vereinigen lassen. Übrigens fühle ich nur zu sehr, wie diese Arbeit nachsichtiger Beurteilung bedarf, und wünschte mit größerer Zuversicht, als ich es kann, an die Worte Wielands zu erinnern: »Die Gelehrten, die Lukian mit Geschmack in seiner eigenen Schrift lesen, können allein von den Schwierigkeiten einer Arbeit urteilen, die oft da am schwersten ist, wo sie am leichtesten scheint; und sie sind es, von denen ich mir die meiste Billigkeit und Nachsicht verspreche.« – Noch bin ich das Geständnis schuldig, dass ich mich einige Male (z.B. im Timon) nicht enthalten konnte, unnachahmlich gelungene Stellen der Wieland’schen Übertragung, besonders im leichten und lebendigen Fluss des Dialogs, zu borgen. Warum hätte ich in solchen Fällen dem Leser etwas entschieden Mangelhafteres bieten sollen? Nur unterließ ich anfangs (was später nicht mehr geschehen soll) die ausdrückliche Nennung Wielands in der Note.

In der Ordnung der einzelnen Stücke folge ich den Ausgaben. – Dass ich die vorzüglichsten Bearbeitungen des ganzen Schriftstellers sowohl als einzelner Teile desselben benutze, brauche ich nicht zu versichern. Der Text, dem ich folge, ist der Lehmann’sche; einzelne Abweichungen werden in den Noten angezeigt. Nur im »Traum«, »Anacharsis« und »Vaterlandslob« übersetzte ich nach dem Texte meiner Ausgabe (Tübingen 1825).

Unter den Schriften Lukians finden sich drei: »Das Gericht der Vokale«, »Lexiphanes« und »Der Solözist«, welche, da sie grammatisch-rhetorische Spiele des Witzes zum Gegenstand haben, nur dem gelehrten griechischen Leser verständlich und von Interesse sein können. Ich wollte diese anfänglich ganz weglassen: Weil sie jedoch von der Redaktion gewünscht werden, so sollen sie am Schlusse des letzten Bändchens nachträglich folgen. Nur von einer Übersetzung der beiden »Eroten«, die Lukians Namen entehren würden, wenn er ihnen mit Recht vorgesetzt werden könnte, des fünften der »Hetärengespräche«, und des gleichfalls unechten, abgeschmackten Fragments »Okypos«, bitte ich den geneigten Leser um Dispensation. Der Kundige wird sie mir nicht versagen.

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Über den Autor

Über den Autor

Lukian (um 120 – etwa 180) stammte aus Samosata und war Sohn einfacher Eltern. Er kritisierte in Dialogen, Erzählungen und Briefen mit Satire, Parodie und Ironie die Gebrechen seiner Zeit: den religiösen Wahn, die Bedeutungslosigkeit der Philosophen und Literaten, die Eitelkeit der Rhetoren und die Leichtgläubigkeit des Publikums. Er ist einer jener antiken Schriftsteller, die die europäische Kultur maßgeblich beeinflusst haben. So hat beispielsweise Erasmus von Rotterdam in seiner Satire Das Lob der Torheit Lukians Ironie adaptiert. Später haben sich Wieland, Goethe und Schiller von ihm inspirieren lassen.

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Der aufgeklärte Spötter aus dem 2. Jahrhundert

Der griechische Satiriker des 2. nachchristlichen Jahrhunderts aus Samosata am Euphrat karikiert auf vielfältige Weise, direkt und indirekt, jedenfalls aber sehr pointiert menschliche Schwächen jeder Art.

Die griechische Religion, von seinen Zeitgenossen längst nicht mehr ernstgenommen, kritisiert er, indem er auch den Gottheiten, denen der Sagenwelt und den abstrakten wie Weisheit oder Reichtum, eben jene Fehler der Menschen zuschreibt. Die vorliegende Auswahl enthält eine Reihe von Texten, in denen der Verfasser keineswegs so politisch korrekt wie manche Autoren der Kaiserzeit die Zeitgenossen aufs Korn nimmt.

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Timon oder der Menschenfeind

Inhalt: Nach einer Beschimpfung Zeus’ durch Timon, in welcher Lukian seine Kritik an der alten griechischen Religion durchscheinen lässt, folgt ein Dialog zwischen Hermes und Zeus über ihn, der, ursprünglich reich, durch seine Freigiebigkeit und den Undank der Beschenkten arm geworden ist. Zeus hat Erbarmen. Plutos, der Reichtum, soll zu ihm zurückkehren, weigert sich aber zunächst und geht dann doch in Begleitung von Hermes. Als Peneia, die Armut, Timon verlässt, nimmt sie Weisheit und Mühe mit sich. Entsprechend verwendet Timon seinen neuen Reichtum, sich von den Menschen abzuschotten.

Gesprächsteilnehmer: Timon, Zeus, Hermes, Plutos, Peneia, Gnathonides, Philiades, Demeas, Thrasykles

Timon.4 (1) O Zeus, du Freundschaftsstifter, Beschützer des Gastrechts, Versöhner, Hüter der Familie, Blitze­schleuderer, Meineidsrächer, Wolkenversammler, Donnerer – und wie die Namen alle heißen, welche dir die angedonnerten, verrückten Dichter beilegen, zumal, wenn sie um das Silbenmaß verlegen sind (denn dann müssen deine vielen Beinamen helfen, den Einsturz ihrer baufälligen Gedichte zu verhüten oder eine Lücke im Vers auszufüllen): Wo bleibt nun dein niederschmetternder Blitzstrahl, dein weithin dröhnender Donner, dein glühendes grässliches, zuckendes Wetterlicht? Alles das ist eindeutig leere Fabelei, und hinter dem Gebraus der Worte steckt eitel poetischer Dampf. Dein viel besungenes, weithin treffendes, allzeit bereites Flammengeschoss – wie ist es doch gänzlich erloschen und erkaltet und hat auch nicht das kleinste Zornfünkchen mehr übrig, um auf die Köpfe der Frevler zu fahren!

(2) Leute, die im Begriff stehen, einen Meineid zu schwören, würden sich eher vor einem gestern ausgelöschten Lampendocht fürchten als vor der Flamme deines allgewaltigen Blitzstrahls. Es kommt ihnen vor, als ob du eine Kienfackel schwängerst, deren Feuer und Rauch sie nicht zu fürchten haben und von welcher getroffen sie höchstens mit Kohlenstaub bedeckt werden. Daher konnte sich schon ein Salmoneus herausnehmen, dir entgegenzudonnern,5 und man kann es ihm wohl zutrauen, dem stolzen und hitzigen Mann, gegenüber einem so phlegmatischen Zeus. Warum sollte er auch nicht. Es ist doch, als hättest du Alraun im Leib, so schläfrig liegst du da, so wenig kümmerst du dich um alle Meineidigen und Bösewichte, hast trübe und blinde Augen und taube Ohren bei allem, was geschieht, wie tote alte Männer.

(3) Denn solange du noch jung, stürmisch und jähzornig warst, machtest du dir viel mit den Ungerechten und Gewalttätern zu schaffen und gönntest ihnen damals keinen Waffenstillstand, sondern stets war dein Donnerkeil in Bewegung, dein Schild6 in Aktion, dein Donner grollte, deine Blitze schossen ununterbrochen wie die Pfeile in einer Schlacht vor dir her. Die Erde erbebte wie ein gerütteltes Sieb, der Schnee fiel in Massen, es hagelte Felsbrocken, und – um einmal recht derb mit dir zu sprechen – in Zorn und Allgewalt ergoss sich der Regen, ein Strom war jeder Tropfen, sodass zu Deukalions Zeit alle Schiffe in einem Augenblick untergingen und verschlungen wurden und nur mit Not ein einziger kleiner Kasten auf dem Lykorischen Berg sitzen blieb, in welchem sich ein schlechter Ableger des Menschengeschlechts erhielt, um noch schlechterer Nachkommenschaft das Leben zu schenken.7

(4) Darum erntest du auch von ihnen den verdienten Lohn für deine Gleichgültigkeit. Denn niemand mehr opfert dir heute noch oder bringt dir Kränze dar außer gelegentlich bei den Olympischen Spielen, und auch da nur beiläufig, durchaus nicht weil er es für notwendig hält, sondern nur um einem alten Brauch sein Recht zu geben. Über kurz oder lang werden die Leute einen zweiten Kronos8 aus dir machen, o edelster der Götter, und dich von deinem Thron stoßen. Ich sage nichts davon, wie oft sie schon deine Tempel bestohlen haben: Haben sie doch in Olympia Hand an dich selbst gelegt, und du, der Donnerer, hattest nicht einmal das Herz, die Hunde zu wecken oder die Nachbarn herbeizurufen, damit sie herbeieilten und die Diebe fassten, solange diese noch ihren Raub zusammenpackten. Nein, der großmächtige Gigantenwürger und Titanenbändiger sitzt da, mit seinem zehn Ellen langen Blitz in der Hand, und lässt sich die goldenen Locken abschneiden!9 Wann willst du endlich, du sauberer Held, endlich aufhören, solche Frevel ganz zu übersehen? Wann endlich die Ruchlosen bestrafen? Wie viele Phaëthonische Erdenbrände,10 wie viele Deukalionische Fluten wären nötig, um die bodenlose Verruchtheit der Welt zu züchtigen!

(5) Doch ich will vom Allgemeinen schweigen und nur von mir sprechen, der ich so viele Athener aus dem Staub gezogen und aus armen Schluckern zu reichen Männern gemacht, alle Bedürftigen unterstützt, ja ich darf sagen, meinen ganzen großen Reichtum verschwendet habe, um meinen Freunden Gutes zu tun. Und jetzt, da ich auf diese Weise arm geworden bin, kennt mich keiner mehr und sieht mich keiner mehr an von all denen, die sich sonst vor mir geduckt und gebückt und sich an meine Winke gehängt hatten. Begegne ich einem von ihnen auf der Straße, so geht er an mit vorüber, wie man an dem durch den Zahn der Zeit verfallenen Grabmal eines längst verstorbenen Menschen vorübergeht, ohne auch nur seine Inschrift zu lesen. Andere biegen schon, wenn sie mich von fern erblicken, in eine andere Straße ein, als ob sie den Anblick eines Mannes als Unheil bringend betrachten, der noch vor Kurzem ihr Retter und Wohltäter gewesen war.

(6) So hat mich denn die Not auf dieses entlegene Feld hinausgetrieben, wo ich mit diesem Fell auf dem Leib um einen Tagelohn von vier Obolen den Acker bebaue und so nebenher mit meinem Spaten und diesen öden Fluren philosophiere. Was ich dabei gewinne, ist doch wenigstens, dass ich die vielen Menschen nicht mehr sehen muss, die es unverdient gut haben. Das ist es, was mich am meisten ärgert. Drum auf, du Sohn des Kronos und der Rhea, entschüttle dich einmal deines tiefen und langen Schlafes, denn schon länger als Epimenides11 hast du geschlummert. Fache wieder deinen Blitzstrahl an oder entzünde ihn am Oita12 und zeige uns in einem gewaltigen Zornesfeuer wieder den mannhaften, jugendfrischen Zeus, sofern nicht wahr ist, was die Kreter von dir und deinem dort befindlichen Grab fabulieren.13

Zeus. (7) Wer ist denn der Schreier da unten, Hermes, in Attika, am Fuß des Hymettos? Ich meine den schmutzigen Kerl dort in dem Ziegenfell, der dort tief gebückt den Boden behackt. Der freche Mensch schwatzt in einem fort, er muss wohl ein Philosoph sein, sonst ließe er nicht so gottlose Reden gegen uns laufen.

Hermes. Wie, Vater, kennst du denn den Timon nicht mehr, des Echekratides’ Sohn aus Kolyttos?14 Das ist doch derselbe, der kürzlich noch so reich gewesen ist, uns so oft mit herrlichen Opfern und ganzen Hekatomben15 bewirtete, derselbe, bei dem wir die Diasien16 so köstlich zu begehen pflegten.

Zeus. Welche Veränderung! Das soll jener reiche Ehrenmann sein, der immer von so vielen Freunden umgeben war? Was ist ihm denn begegnet, dass er nun so schmutzig und armselig und – aus der schweren Hacke zu schließen, mit der er die Erde bebaut – gar ein Tagelöhner ist?

Hermes. (8) Man kann sagen, seine Gutherzigkeit, seine Menschenliebe, sein Mitleid mit allen Bedürftigen haben ihn aufgerieben. Richtiger gesprochen aber war es sein Unverstand, seine gutmütige Einfalt, sein Mangel an Unterscheidung unter den Freunden. Dies bewirkte, dass er nicht merkte, wie er seine Gefälligkeiten Raben und Wölfen erwies. Der arme Tropf glaubte, dass die Geier, die ihm die Leber benagten,17 lauter gute Freunde aus echtem Wohlwollen wären, während es ihnen doch nur um den Fraß zu tun war. Als sie ihm endlich auch die Knochen säuberlich abgenagt und den letzten Rest Mark ausgesaugt hatten, flogen sie auf und davon und ließen ihn dürr bis auf die Wurzel abgehauen liegen, ohne ihn künftig noch zu kennen oder anzusehen (Wie sollten sie auch?), geschweige denn ihn zu unterstützen oder ihm seine Geschenke zu erwidern. Aus Scham hierüber hat er nun, wie du siehst, die Stadt verlassen, ein Ziegenfell übergezogen und die Hacke ergriffen, um als Tagelöhner das Feld zu bebauen. Dabei ist er voller schwarzer Galle über die Schurken, die durch ihn reich wurden und nun ganz vornehm an ihm vorübergehen, ohne sich auch nur zu erinnern, dass er Timon heißt.

Zeus. (9) Wir dürfen diesen Mann wirklich nicht übersehen und vernachlässigen, er hatte nicht Unrecht, über sein Unglück zu klagen, da wir nahe daran sind, es nicht besser zu machen als jene unseligen Schmarotzer, indem wir eines Mannes vergaßen, der uns so viele fette Hinterviertel von Rindern und Ziegen auf unseren Altären verbrannt hat. Noch jetzt hab ich wahrhaftig den Fettdampf davon in der Nase. Allein die vielen Geschäfte und die Unruhe, welche mir die Menge von Meineiden, Brutalitäten und Straßenräubereien verursachten, dazu die Furcht vor den vielen Tempeldieben, derer ich mich kaum zu erretten weiß, sodass ich es mir nicht erlauben kann, auch nur ein bisschen einzunicken – alles dies führte dazu, dass ich seit langer Zeit auf Attika nicht einmal mehr herabgesehen habe, zumal seit die Philosophie und das Disputieren dort aufgekommen sind. Denn das ist ein Streiten und ein Schreien, dass man nicht einmal die Worte der Betenden davor hören kann. Entweder muss ich mit verstopften Ohren dasitzen oder zugrunde gehen bei dem ewigen Geplärr über das Ding, das sie Tugend nennen, über unkörperliche Wesen und andere Lappalien dieser Art.18 Und so unterlief es uns auch, dass wir diesen da ganz außer Acht ließen, wiewohl er durchaus kein unrechter Mann ist.

(10) Umso mehr beeile dich, Hermes, dich zugleich mit Plutos19 dich zu ihm zu verfügen. Plutos soll Thesauros20 mitnehmen, und beide sollen bei Timon bleiben und ihn nicht so leicht wieder verlassen, auch wenn er sie aus lauter Ehrlichkeit aufs Neue zum Haus hinausjagen wollte. Was aber jene Schmarotzer und ihre an ihm bewiesene Undankbarkeit betrifft, so werde ich sie schon finden. Sie werden es büßen müssen, sobald mein Blitz ausgebessert sein wird. Denn gerade die zwei besten Zacken daran sind stumpf geworden und abgebrochen, als ich ihn neulich ein wenig zu hitzig gegen den Sophisten Anaxagoras21 schleuderte, der seine Zuhörer bereden wollte, an der Existenz von Göttern sei gar nichts dran. Leider traf ich ihn nicht, weil Perikles die Hand über ihn hielt, und der Blitz fuhr daneben in das Anakeion,22 wo er zündete und beinahe selbst am Burgfelsen zerschellt wäre. Doch wird es gewiss eine hinreichende Strafe für die Schurken sein, wenn sie den Timon wieder so steinreich sehen werden.

Hermes (11) [für sich, indem er den Plutos holt]. Wie gut war es doch, dass er echt laut geschrien hat und so grob und unverschämt gewesen ist! Nicht beim Prozessieren allein, sondern auch beim Beten ist das nützlich. Siehe da, jetzt wird der blutarme Timon auf einmal wieder ein reicher Mann, bloß weil er durch sein Geschrei und seine Freimütigkeit, mit welcher er betete, die Aufmerksamkeit des Zeus auf sich gezogen hat. Hätte er, über seine Hacke gebeugt, stillgeschwiegen, er dürfte wahrlich noch weiterhacken, ohne dass sich eine Seele um ihn bekümmert hätte.

Plutos. Ich mag mich nicht zu ihm begeben, o Zeus.

Zeus. Warum denn nicht, mein Bester? Du weißt doch, dass ich es so will.

Plutos. (12) Beim Zeus, hat er mich nicht misshandelt und ausgeleert, in Stücke gerissen, ungeachtet dessen, dass ich schon von seinem Vater her sein Freund gewesen war? Hat er mich nicht fast mit der Mistgabel aus dem Haus gestoßen oder wie einen brennenden Funken mit der Hand eiligst weggeschleudert? Soll ich aufs Neue zu den Schmarotzern und Schmeichlern wandern und mich an Hetären verschenken lassen? Zu rechten Leuten schicke mich, o Zeus, die dein Geschenk zu würdigen wissen, die sich meiner annehmen, denen ich wert und teuer bin. Solche dummen Gimpel aber sollen bei ihrer Peneia23 bleiben, die sie uns ja doch vorziehen, und sich ein Ziegenfell und eine Hacke von ihr geben lassen. Mögen diese Tröpfe, welche Geschenke von zehn Talenten in ihrer Sorglosigkeit verschleudert haben, nun mit einem Verdienst von vier Obolen vorliebnehmen.24

Zeus. (13) Nichts Derartiges wird Timon dir mehr antun. Die Hacke wird ihn schon gelehrt haben, dir den Vorzug vor Peneia zu geben, er müsste denn keine Empfindung in seinen Lenden haben. Du kommst mir allerdings vor wie ein Mensch, dem man es nicht recht machen kann. Jetzt beschwerst du sich über Timon, dass er dir die Tür öffnete und dich frei herumgehen ließ, ohne dich eifersüchtig zu bewachen, ein anderes Mal schimpfst du auf die Reichen, sagst, sie sperren dich hinter Riegel, Schlösser und Siegel, sodass du keinen Augenblick ans Tageslicht hervorkriechen könntest. Hast du nicht öfter bei mir geklagt, du müsstest ersticken in der dumpfen Finsternis? Du sahst blass und sorgenvoll aus, hattest vom unaufhörlichen Geldzählen krumme Finger und drohtest, bei der ersten Gelegenheit davonzulaufen. Kurz, es war dir eine unerträgliche Lage, in einem eisernen oder ehernen Zimmer wie Danaë,25 unberührt eingeschlossen zu sein und von zwei scharfen und schlimmen Pädagogen, dem Wucher und dem Einmaleins, in Zucht gehalten zu werden.

(14) Du erklärtest alle diejenigen für Narren, die rasend in dich verliebt wären und sich doch nicht trauten, sich deinem Genuss ohne Scheu zu überlassen (obwohl sie es könnten und deiner vollkommen Herr wären), sondern dich lieber mit steif und fest auf Schloss und Riegel gerichteten Blicken bewachen, indem sie sich mit dem Genuss zufriedengaben, nicht nur zu wissen, dass sie dich genießen könnten, wenn sie wollten, sondern vor allem dass sie diesen Genuss jedem verwehren, wie der Hund in der Krippe, der weder selbst den Hafer frisst, noch das hungrige Pferd dies tun lässt. Auch lachtest du über die wachsamen Knauser, die, während sie – merkwürdig genug – neidisch gegen sich selbst wären, es doch nicht gewahr würden, wie ein Schurke von Sklaven, ein Hausmeister oder ein Kinderwärter sich heimlich in die Vorratskammer schleicht und sich’s dort auf Kosten des armen Teufels von Hausherrn wohl sein lässt, der inzwischen bei einer düsteren enghalsigen Lampe mit magerem Docht aufbleibt und seine Zinsen berechnet. Dies alles legst du sonst den Reichen zur Last. Ist es nun nicht ungerecht, dem Timon das Gegenteil zum Vorwurf zu machen?

Plutos. (15) Und doch wirst du bei genauer Prüfung finden, dass ich zu beidem meine guten Gründe habe. Mit Recht nehme ich an, dass Timon mich deswegen so leichtsinnig vergeudete, weil er gleichgültig gegen mich und ohne alle Zuneigung war. Diejenigen aber, die mich in ein finsteres Gemach verschließen und bewachen, damit ich dicker, fetter und schwerer werden möge, und mich weder anrühren noch jemals an das Tageslicht kommen lassen, damit ich von keinem Menschen gesehen werde, halte ich für Toren und klage sie der Misshandlung an, weil sie mich unschuldig unter so schweren Fesseln verfaulen lassen, ohne zu bedenken, dass sie in Kürze von dannen ziehen müssen, um mich einem anderen Glücklichen zu überlassen.

(16) Ich lobe mir also ebenso wenig diese Letzteren als jene, die gar zu schnell mit mir fertig werden, sondern die, was ja überall das Beste ist, die auch hierin Maß halten und mich weder wegwerfen noch mich unberührt lassen. Beim Zeus, bedenke selbst, Göttervater, wenn einer ein junges und schönes Mädchen förmlich zur Frau nähme und wäre dann, statt sie zu Hause zu behalten, so wenig eifersüchtig, dass er sie Tag und Nacht herumschwärmen und mit jedem Beliebigen sich abgeben ließe oder sie wohl gar noch selbst anderen Freiern zuführen würde, fremde Türen öffnete oder den Kuppler im eigenen Hause machte – würde wohl dieser Mann für ihren Liebhaber gelten können? Dies würdest jedenfalls du, Zeus, nicht zugeben, da du ja die Liebe aus so vielfältiger eigener Erfahrung kennst.

(17) Auf der anderen Seite denke dir einen Mann, der eine frei geborene, blühende und schöne junge Frau zwecks der Zeugung rechtmäßiger Nachkommenschaft als Gattin in sein Haus führte, dieselbe aber ebenso wenig selbst berührte wie anderen auch nur ihren Anblick gestattete, sondern sie zu ewiger unfruchtbarer Jungfernschaft verurteilte und einsperrte, während er sich doch für ihren Liebhaber erklärte und das Gepräge desselben in seiner fahlen Hautfarbe, seiner Magerkeit und seinen blassen und eingefallenen Augen trüge – würdest du ihn nicht für verrückt halten, da er, statt Kinder zu zeugen und die Freude der Ehe zu genießen, das wohlgestaltete liebliche Mädchen wie eine Priesterin der Demeter26 lebenslänglich zu Hause hält und verwelken lässt? Dasselbe ist’s, was mich auf die Menschen so böse macht, die mich entweder schmählich mit Füßen treten und zerfleischen und erschöpfen oder mich wie einen Sklaven behandeln, den man mit Fußeisen und Brandmalen am Abhauen hindert.

Zeus. (18) Ereifere dich doch nicht so sehr, sie büßen ja beide gehörig. Die einen schnappen mit dürrer Zunge ohne jede Erquickung, wie Tantalos,27 nur nach dem Gold, während gierige Harpyien28 den anderen, wie einst dem Phineus,29 die Nahrung aus dem Maule stehlen. Doch jetzt geh endlich und sei gewiss, in Timon nunmehr einen weit vernünftigeren Mann zu finden.

Plutos. Wie? Der sollte jemals aufhören, mich absichtlich mit einem durchlöcherten Korb zu schöpfen, aus Furcht, überschwemmt zu werden, wenn ich ihm in aller Fülle zuströmte? Gewiss, es wird nicht anders sein, als ob ich Wasser in das Fass der Danaïden gießen wollte.30 Ich werde vergeblich zugießen, denn weil das Loch zu groß ist, wird alles geschwinder wieder ausgelaufen sein als ich nachgießen kann.

Zeus. (19) Nun, wenn er dies Loch nicht zumachen will und dich abermals auslaufen lässt, so wird er wenigstens seinen Ziegenpelz und seine Hacke auf dem Boden wiederfinden. Aber seht nun zu, dass ihr fortkommt und ihn reich macht. Und du Hermes, vergiss mir nicht, auf dem Rückweg die Kyklopen vom Ätna31 mitzubringen, damit sie mir meinen Donnerkeil wieder ausbessern und spitzen. Denn er muss scharf sein, wenn ich ihn demnächst brauchen werde.

Hermes. (20) So wollen wir denn gehen, Plutos – aber was ist das: du hinkst ja? Seit wann bist du denn zu deiner Blindheit such noch lahm geworden?

Plutos. Ich bin es auch nicht immer, Hermes, sondern nur, wenn mich Zeus irgendwo hinschickt, da bin ich, ohne zu wissen, woher es kommt, so langsam und an beiden Beinen so lahm, dass ich oft kaum das Ziel erreiche, wenn der, der auf mich wartet, bereits ein lebenssatter Greis ist. Wenn ich mich aber entfernen soll, da solltest du sehen, wie ich fliegen kann: Kein Traumbild kann schneller verschwinden. Wäre ich dann ein Wettkämpfer, kaum könnte das Schrankenseil zu Boden fallen, so hätte ich, ohne dass mich manchmal die Zuschauer mit den Augen verfolgen könnten, schon die Bahn durchflogen und würde als Sieger ausgerufen.

Hermes. Da sagst du mir nicht die Wahrheit. Denn ich könnte dir viele nennen, die gestern noch keinen Obolos im Vermögen hatten, um sich einen Strick zu kaufen, und heute plötzlich reich sind, großtun und mit weißen Pferden fahren, während sie sonst keinen Esel im Stall hatten. Und wenn sie so in Purpur und mit Händen voller goldener Ringe herumspazieren, haben sie selbst Mühe, sich zu überzeugen, dass sie nicht bloß im Traum reich sind.

Plutos