ELISABETH REICHART
SAKKORAUSCH
Elisabeth Reichart
SAKKORAUSCH
Ein Monolog
OTTO MÜLLER VERLAG
ISBN 3-7013-0881-0
eISBN 978-3-7013-5881-6
© 1994 OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG/WIEN
Umschlaggestaltung unter Verwendung
eines Bildes von Helene von Druskowitz:
Günther Nussbaumer, Salzburg
Satz: Fotosatz-Studio Rizner Salzburg
Druck: Druckerei Roser, Salzburg
Bindung: Buchbinderei Almesberger, Salzburg
Mitautorin
Helene von Druskowitz
My Doves
Elizabeth Barrett-Browning
Es ist sinnlos, nicht verrückt zu werden.
Reinhold Batberger, Drei Elephanten
Sakkorausch: Ein Monolog
Sonnenuntergang.
Einer der ungezählten, die ich durch dieses Fenster sah, sehen werde.
Ich falle in den Untergang.
Gehe unter.
Über mir meine Sätze, meine Namen.
Maikäfer flieg
dein Vater ist im Krieg
die Mutter ist in Pommerland
Pommerland ist abgebrannt
Meine Sätze beweisen meinen Irrsinn. Meine Sätze treten als Zeugen gegen mich auf.
Antreten! Drauftreten!
Ich muß ein neues Loch in meinen Gürtel bohren. Foreign und dick – unvorstellbar. Vielleicht schreibe ich einmal einen Vergleich über die Gedanken dicker und dünner Philosophen: Die Auswirkungen der Leibesfülle auf die Betrachtung ethischer Probleme.
Sie wollen mich heilen.
Von meinen Gedanken.
Ich kenne sie, diese Heilsbringer.
Von ihnen will ich nicht erkannt werden. Ich habe meine Schrift verändert. Meine geniale Schrift kann nur noch von ebenso genialen Menschen gelesen werden wie ich es bin. Nicht von diesen Nervensägen, Schlächtern, Pfaffen.
Elizabeth hat sich dieser Gefahr entzogen. Sie schweigt und füttert die Stare. Selbst vor Kriegsbeginn hat die Königin nichts anderes im Sinn, als die Stare zu füttern. Ganz gewöhnliche Stare. Und ausgerechnet vor meinem Fenster, diesem so mühsam erkämpften Fenster!
Elizabeth hat nie um etwas gekämpft. Nicht einmal um ein Fenster. Nur Helene von Druskowitz gegenüber die Erinnerung an den eigenen Willen, die beharrlichen Versuche, ihren Kopf durchzusetzen. Ich mag keine Vogelammen. Von allen Rollen diese ausgewählt. Ein Irrtum der Natur. Warum verlangt sie von mir, daß ich ihr bei dieser Fütterung zusehe, diesem Rückfall in die Gebärdensprache und das Einheitsgezwitscher? Sobald ich mich von ihr abwende, zieht sie den Kopf ein und breitet die Arme aus. Vergebliche Fluchtbewegung. Die Flugbahn der Vögel bleibt unerreichbar. Selbst die Mauerasseln sind schneller als sie, die von den Wärtern ergriffen wird ... unerträglicher Anblick ... erstarrt in seiner täglichen Wiederholung ... besitzwütige Hände, unflätige Worte ... die Monster haben ein leichtes Spiel mit Elizabeth, die nicht über ihre Grausamkeit verfügt, nur über eine verstummte Dichterseele, die sich mit den Vögeln eins weiß, nicht mit den Menschen.
Hab keine Angst, sie werden nicht kommen. Weder heute noch morgen. Ich bleibe hier stehen und lasse uns aus der Zeit fallen. Fall du nur den Vögeln zu Füßen, solange sie nicht über dich herfallen. Ich warte auf dich wie dein Schatten, in den ich einziehen werde, wenn du die Stare verläßt und zu deinen Gedichten zurückfindest.
Hör auf mich, und hör weg von diesem Gezwitscher! Die Stare wissen von nichts. Manchmal sieht es so aus, als würdest du mit ihnen reden.
Erstarrter Mund unter den Menschen, beweglicher Mund unter den Vögeln?
Ich werde dir deine Gedichte vorlesen. Ich trage sie stets bei mir.
Spüre sie in der Innenfläche meiner rechten Hand, die ins Leere greift.
Dieses Gewohnheitsdenken.
Sogar der Körper fühlt die Tasche noch, und bei geschlossenen Augen kann ich sie anstarren bis zum Starrkrampf.
Meine unauffindbare Tasche.
Eine braune Ledertasche, alt, abgewetzt, ohne Henkel.
Mein Leben paßte in die Tasche.
Es hat keinen Sinn, sie zu suchen.
Das bißchen Erinnerung und Zukunft.
Mauer-Oehling.
War ein Stein darin?
Sicher war ein Stein darin.
Mein Afrikastein.
Statt Afrika ein Stein.
Schon damals, im Hafen, trug ich diese Tasche.
Bei meiner ersten gescheiterten Reise.
Ich will nach Afrika, flüsterte mir das - Leder zu, wenn ich versuchte, darauf einzuschlafen.
Das Leder suchte nach seinem Körper, ich suchte Schlaf, Afrika haben wir trotzdem nie erreicht.
Ich weiß nicht, ob die Tasche ein Loch hatte, von dem nur sie wußte, oder ob wir an der Südspitze Europas Dieben begegneten. Sollten wir im Süden uns unbekannten Dieben begegnet sein, wäre unser ganzes Leben von Dieben bestimmt.
Wegen eines Taschendiebes konnte ich nie den Kontinent meiner Wahl sehen. Vielleicht wäre ich dort geblieben. Vielleicht hätte mich die afrikanische Hitze umarmt, und mein verwüsteter Körper trüge leichter an diesem Betrug, den sie Leben nennen. Ohne Tasche bin ich nackt.
Als hätten sie mir die Haut abgezogen.
Hautlos. Taschenlos.
Das einzige Geschenk meiner Mutter. Hinter der Tasche verschwundene Mutterbrust. Der Schreck ließ mich lächeln. Lächelnd nahm ich die Tasche entgegen. In ihrem Dschungelleben ist mein Geist an keinen Ort und keine Zeit gebunden. Unfaßbare Zeitlosigkeit inmitten der reglementierten Tage, der zugeteilten Nächte. Elizabeth lächelt, während sie die Stare füttert. Nur während sie die Stare füttert, lächelt sie. Aber sie lächelt nicht der Stare wegen. Die Erinnerung an ihre Gedichte treibt sie zu den Vögeln, vertreibt den Schmerz von ihrem Mund.
Sprechende Stare?
Meinetwegen sollen es sprechende Stare sein.
Dichten können sie trotzdem nicht.
My littles doves have left a nest
Upon an Indian tree,
Whose leave fantastic take their rest
Or motion from the sea;
For, ever there the sea-winds go
With sunlit paces to an fro.
Sorry, die anderen Verse sind mir entfallen. Wohin fallen die Worte ... Ohne diesen Gedächtnisausfall würden Elizabeth statt der Stare wieder die Worte einfallen ...
Foreign würde gerne mit der Königin reden. Aber die Königin redet lieber mit den Vögeln.
Nein. Es ist gut, daß Elizabeth nicht mit mir redet. In ihrem Schweigen verstummt die letzte Versuchung, meine Geschichte zu erzählen. Die Auferstehung der Kinderseele. Ende gut, alles gut. Zu Satzklumpen erstarrtes Leben, mehr wäre nicht zu erwarten.
Alle meine Stücke sind in der Tasche. Zu viele Begabungen für ein Leben. Wehe der Frau, die Gestalt annimmt. Inmitten des Strohs brennt jeder Gedanke. Meine Seelenkinder! Sogar mein Stück über die verwunschene Elizabeth ist in der Tasche. Jetzt, da ich mich endlich dazu entschlossen habe, es Elizabeth zu zeigen, schließt sich die Tasche darum.
Rot, Fischlein, rot,
wer stach dich gestern tot,
tot bist du noch lange nicht,
schwimmst in meinem Augenlicht.
Ihr fürchtet meine Tasche. In ihr lauert der Beweis, daß Elizabeth nicht irrsinnig ist. In meiner alten, abgewetzten Ledertasche. Dort ist der einzige Bühnenraum, in dem meine Stücke aufgeführt werden können. Diese gefräßige Tasche wird alle Stücke ausspucken, sobald Elizabeth es will.