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Julian Schutting

Auf der Wanderschaft

Julian Schutting

Auf der Wanderschaft

Über das Vergnügen am Gehen

O T T O   M Ü L L E R   V E R L A G

© 2009 OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG-WIEN
Alle Rechte vorbehalten
Satz: Media Design: Rizner.at, Salzburg
Umschlaggestaltung: Ulli Leikermoser, Salzburg
Druck und Bindung: CPI Moravia Books GmbH, Korneuburg

Inhalt

Maria Hohenberg

Der Jauntaler Drei-Berge-Lauf (In Wahrheit eine Phantasie)

Gehen

Unterkünfte

Maria Hohenberg

Wer sie auf krummen Wegen umstrichen hat als einer, dem ihre Erscheinung im rechten Moment als ein Lichtblick zuteil geworden ist; wer sich abfinden muß, daß sie ihm aus der Sicht entschwindet, weil ihrer nicht habhaft zu werden ist wie eines Edelweiß, wie der von keinem noch erjagten weißen Gams; wer es sich untersagt, sie soeben noch in lieblichen Waldbildern Ausgedrückte und ihm auch schon ins nicht mehr Sichtbare Entrückte mit einer launischen Frau zu vergleichen, die ja doch erzwungen sein möchte, nicht von jedem, auch von ihm nicht zu jeder Zeit; wer also auf all seinen Spazier- und Wanderwegen in der Geduld eines Gärtners sich übt, dem unbedrängt über Nacht eine Lilie heranwächst, welche allen und keinem gehört – wird es dem auch gegeben sein, ihren Segen auf jede Entfernung auf sich ruhen zu wissen, sofern er nur angesichts der winzigen weißen Dame dem Verlangen widersteht, als ein wie die Bilderstürmer kirchleinwärts stürmender Marienritter atemlosen Anlangens sich lieb Kind zu machen bei der Himmelmutter, bei der Königin des Erdkreises, verkleinert zur Beschützerin des Landkreises?

wer keuchend oder ruhigen Atems bei ihr angelangt und, je nach Jahreszeit, an ihrem ihn kühlenden oder ihn wärmenden Körper gelehnt ist, dem sei es weiterhin zugeteilt, fürs erste nicht mehr von ihr zu wollen, als selbstvergessenen Rastens mit ihr Umschau zu halten, in menschenfreundlicher Zweisamkeit dann, wenn ihm die Andacht stören könnten Unterhaltungen gleichfalls Herbeigestrebter; wenn die Steinstufen hinaufgetrampelt wird wie hinter einer bimmelnden Kuhglocke her von einer Ausflüglergruppe, die sich im Wirtshaus den Metallring mit einem großen schweren und einem kleinen Schlüssel ausgeborgt hat – habe der doch nicht: von euch ist kein Schlüsselbund mit ihr zu schließen!, in sich hineingelacht, habe er vielmehr die Großseligkeit gehabt, die von seiner Glückseligkeit allerbescheidenster Art Ausgeschlossenen bei Maria von Hohenburg vorzulassen, ihnen die Tür zu öffnen, auch auf daß sich nicht länger anhört wie Kuhkettengerassel das Herumprobieren mit einem Schlüssel, der, welches Schloß auch immer er einstmals auf- und zugesperrt hat, bloß beigegeben ist als die schwerwiegende Mahnung: vergeßt nicht, uns die Leihgabe zu retournieren!

wer jemals den richtigen Schlüssel sogleich in das dem stattlichen Eisenschloß, anzusehen wie eine Schatulle, unauffällig beigegebene zierliche Schloß eingeführt und sodann, zu ihr hineingeschlüpft, uneigennützig die Tür bloß angelehnt hat, um ausreichend umschlossen zu sein vom Innern eines ländlichen Gnadenortes, von ins Dämmrige verändertem Sonnenschein, von dem Holzduft, der als ein immerwährender Atemhauch den scheintoten Kirchenbänken und geschnitzten Heiligen zugehört, vom Geruch nach Kerzenwachs, vertrocknetem Tannenreisig oder welkenden Blumen, der habe Weihrauchduft nicht vermißt dort, wo nur an hohen Marienfeiertagen Messen gelesen werden: habe lieber, beispielsweise seiner schwerkranken Mutter oder auch der mit Marias Hilfe ihm nicht allzu bald abgestorbenen Liebe, eine Kerze angezündet und hienach, der Luft und dem Himmelslicht Einlaß zu verschaffen, zwischen Tür und Türstock ein Aststück geschoben und zugewartet, bis die abgestandene Luft ausgeflogen war und in frisch zugeströmter Wald-, Heu- oder auch Schneeluft die hier Ansässige freier atme!

Maria Hohenburg, du Königin der goldenen Äpfel
(nämlich nicht: ’Madonna mit zwei goldenen Äpfelchen‘) –
von einem Obstgarten, nur von einem, ist durch die Krone
eines einzigen Apfelbaumes so zu ihrem Kircherl aufzuschauen
, daß um die mit einem Helm Gekrönte
ein Gravensteiner Apfelkranz golden erstrahlt
zu sommerlicher Sonnenstunde!
Maria Hohenburg, du von Apfelzweigen Umschlossene,
schließe in deinen Segen ein, was herunten im Tal
dir zu Füßen heranreift –
einzig aus der Sicht des zurückgebeugt
leicht in die Knie Gegangenen zu dir hinangehoben!
du von Äpfeln und Himmelsblau lieblich Geschmückte,
nimmst das Bildnis hinweg jener jungfräulichen Göttin,
die da als Diana von Ephesos über und über mit
Stierhoden behangen ist, nicht mit Birnen oder auch
weibliche Fruchtbarkeit bedeutenden Vogeleiern!

Wer, wie gesagt, im Bei-ihr-Anlangen, im An-ihr-Lehnen (egal ob er da Kühlung gesucht oder Durchwärmung gefunden hat an ihrer Mauer, die sich immer wohltuend anfühlt), nicht erst im In-sie-Hineingehen, Maria Hohenberg als einen besonderen Ort erkannt hat, der hat sich wohl schon im Sie-Umstreichen ihr Fern- und ihr Nahbild einprägen lassen, und deshalb vermeint er sie selten aus den Augen zu verlieren, welche sie ihm als eine auf Zeit und auch auf Raum Unsichtbare vorenthalten müssen oder müßten: so sehr hat er als ein Liebender sie vor Augen – aus verwunderlichem Gesichtswinkel gewinnt er sie („Schauen Sie, da drüben!“) auch zur Erfreuung nichtliebender Augen zurück, die sie gern aus scheinbar falscher Himmelsrichtung unverhofft in seinen Blick tritt, die sie aus Waldhängen, die kaum dem ihren gleichen, für ihn auftaucht, als eine auf vielen seiner Wege ihm vor Augen Schwebende nur dort nicht wirklich, wo ihm aus Vernunftgründen der Glaube fehlt an seine Augen: als ein winziger Nebelfleck, als ein winziges Schneefeld, als ein milchig-weißer und tropfenförmiger Himmels-Einschluß gibt in der Mitte einer schwarzgrünen Waldfläche sie sich zu erkennen, als sollte während wiedererkennender Blickberührung Himmelslicht in das Waldesdunkel dringen und Sonnenlicht sie überlaufen. als eine hellschalige Zwiebel bietet sich ihre Kopfpartie so verschwommen dar, daß sich in diesem Bilddetail der Duft ausdrückt, der in Maiandachten Maiglöckchensträuße umschwebt. und endlich schärft sich ihr Ganzes zu einem schmalen Dreieck, zu dem einfachen Zeichen für Bergkapelle, an welchem man mit freiem Auge nicht wahrnehmbares Kirchturmkreuz nicht vermißt: man deutet sich die zwei steilen Dreiecksseiten ja auch als betend himmelwärts weisende Hände, ob nun darüber der graublaue Turmhelm auszunehmen ist oder nicht.

wer sich jemals des An-ihr-Lehnens begeben hat, für ein paar Schritte von ihr weg, um da unten eine Eisenbahn durchs Drautal rauschen zu sehen, dessen Blick wird durch jedes Eisenbahnfenster ohne Umschweife auf sie treffen, zu ihrer lichten Gestalt hinangerissen, als hätte sie ihn vor sich hin Dösenden aufgeweckt: ihr Gemäuer, immer frisch gekalkt, aber in seiner Strenge ins Liebliche gemildert von dem zart geschwungenen Zwiebelturban, gleitet lange Zeit mit ihm mit wie ansonsten nur der Mond oder Wolken, dreht sich zum Abschied samt dem Wiesen- und Waldhang noch ein Stück mit, wie wenn sie den Anschein erwecken wollte, man frisch Aufgewachter hätte bloß aus dem Zug zu springen, einen Wiesenstreifen hinanzueilen, und schon wäre ihr auch ihr Waldgürtel genommen für ein stürmisches Bei-ihr-Anlangen und An-ihr-Rasten: ehe sie dahin ist wie eine Täuschung, wird sie noch zu einem Kreidefelsen: Von wo immer du dich zu mir aufmachst, an mir findest du einen Halt! (wie zur Zeit der allerersten Irrwanderungen nimmt sie sich wieder unerreichbar aus dann, wenn man aus der Region wegzufahren im Begriff ist, ohne ihr einen Besuch abgestattet zu haben: wie willst du denn jemals zu ihr gelangt sein über diesen Felsabsturz zu ihren Füßen! oder auch durchs Fenster des Postautobusses, der einen nach allzu langer Abstinenz zu dem Anweg über Pusarnitz bringt, hat man vor sich ein unnahbares Hinterglasbild: als eine verkalkte Marienerscheinung schwebt sie oberhalb einer Felswand in der Luft.)

oder sich an Feiertagen andere Vergnügungen zu gönnen – allzubald aus der Gondelbahn und vom Gipfel des Goldecks zu ihr hinunterzustieren voll des Verlangens, sich durchs Fernglas bei ihr anlangen und an ihr lehnen zu sehen; auf dem Millstätter See zu rudern, und auf einmal, kleines Herzbeben, durch Surfer und Segelboote hindurch (wäre sie denn gut fünfhundert Höhenmeter zum Drautal hinabgestiegen?) das weiße Mariensegel zu erblicken, inmitten Nadelwaldgrün wie eine Kirchenfahne aufgezogen. und also allüberall zwischen ihren Fernbildern und Wunscherscheinungen zu unterscheiden.

Maria Hohenburg. Auf dem Straßerl, das bei der Lehener Brücke von der Landstraße abzweigt und sich hühnerbergwärts vielmals verästelt, ist sie leicht zu erreichen: dank grünen Schildern mit stilisiertem Kirchlein, weiß wie das ihre, in der Mitte. auf allen anderen Wegen jedoch, die doch gleichberechtigt zu ihr führen sollten, macht sie ein jedes erste Mal Schwierigkeiten: per Auto ein jeder willkommen, und sollte es solch einen bloß nach den Hauswürsten des längst ausgebauten Wallfahrerwirtshauses verlangen, nicht aber per pedes einer, der, auch um nicht hinter den kommod ihn überholenden Autoausflüglern herzutrotten, das Augenmaß hat für Abschneider, welche Futterwiesen meiden: sein Arbeitsschweiß, sein Gekeuche Waldränder hinan bleibt vorerst unerhört, wiewohl da nicht zum Marienziel ein Sportler mit sich um die Wette rennt: möchte bloß schwitzend und keuchend sein Herz rascher schlagen hören der einen, die zwar Gebete wertschätzt, durch die sie im Herzen konzentriert wird, aber als eine nicht mit den Ohren Hörende und Erhörende eher Wunschlosigkeit gutheißt seitens eines, auf den der Begriff ’Himmelmutter‘ zurückstrahlt aus ihrem weißen Gemäuer – in der Gemischtwarenhandlung von Pusarnitz, auch von dieser Ortschaft haben Wallfahrten ihren Anfang genommen, einen Ansichtskartenständer wie eine Gebetsmühle zu drehen: nicht einmal auf den Luftaufnahmen der Region ist sie zu entdecken; aber der Kaufmann zeigt mit dem Finger dorthin, wo sie sich außerhalb des jeweiligen Ansichtskartenrandes befindet – ein Kirchlein, das einem im Helikopter wie zu ebener Erde erfahrenen Photographen zu entwischen versteht, als wäre es eine nicht jedermanns Blicken zugedachte Marienerscheinung? und so schwebt dir über den gestochen scharf wiedergegebenen Waldregionen und Bauernhäusern als eine Offenbarung dein Wander- oder Wallfahrtsziel!

Maria von Hohenburg. Was hätten die untauglichen Auskünfte der Einheimischen schon mehr zu besagen, als daß sie manches voraussetzen, was bloß dir nicht selbstverständlich ist, und wäre das nur ein Dialektwort; als daß du Unzeitgemäßes erfragen möchtest: die Jüngeren kennen den Wallfahrerweg kaum noch vom Hörensagen, und auch die Älteren, die ihn möglicherweise in Jugendtagen mitgegangen sind, wollen nicht in Verlegenheit gebracht werden („Jaja, da kommen Sie schon auf den richtigen Weg“), schon gar nicht von einem beharrlichen Fremden („Neinnein, der Weg da, der führt hinauf, den kenn ich. nur wie ist der Sumpf hinter der Mühle am besten zu umgehen?“ / „Bei uns gibt es keine Mühle!“), also dichte ihnen nur ja nicht an, sie würden sich aus eifersüchtiger Bedachtnahme, das Marienheiligtum habe nur ihnen gewogen zu sein, schwerhörig stellen, etwa gar auf Grund Einflüsterungen der Gottesmutter, du seiest zu ihr zu gelangen noch nicht reif: und sollte dir an der detaillierten Auskunft des Postautobuschauffeurs noch so sehr der Schönheitsfehler mißfallen, daß du die Bahntrasse zu übersetzen hättest, wie dich ja auch ein Jäger ermutigt hatte, durch den Auwald drauaufwärts zu gehen, ohne daß sich dann freilich in der Gegend eine Draubrücke findet – aber selbst der Prospekt der Wanderbusse scheint auf deine Täuschung erpicht zu sein („Dienstags bringen wir Sie nach…, von wo Sie nach Maria Hollenburg wandern“).

Verflixte erste Male! daß sich dir ausgerechnet auf dem Anweg zu der, welche geradewegs durch einen Dornwald ging, der Aberglaube an die Existenz der sogenannten Irrwurz in Erinnerung ruft – hätten Kobolde dergleichen Wurzeln dir in den Weg gelegt, damit du, statt den um das Kirchlein gelegten Bannkreis rasch zu durchschreiten, herumirrst, schon wieder anlangst bei dem Dornengeranke, dem du doch über eine Kuhweide ausgewichen warst? ist dann der Himbeerschlag ein letztes Mal umgangen (in den laß ich mich nicht locken, da ja dort Kreuzottern hocken, also: sich ringeln, um sich zur Revanche, daß die Ferse der Jungfrau der Schlange den Kopf zertreten wird, in Pilgerfuß lähmende Giftspritzen zu verwandeln!), ja, wie soll es dann weitergehen, wenn ein Witzbold von einem Kobold die zu Maria von Hohenberg weisenden Schilder verdreht hat: weisen dich weit von ihr weg!

oder von einer Weggabelung zwei Stränge sich hinanschwingen zu sehen in den Wald, auf einen Blick überzeugt, an dieser Stelle hätten sich die Wallfahrer nach Männern und Frauen geteilt, vor dem letzten Hangstück wieder zusammengeführt durch den dir von oben als gern vereist bekannten Hohlweg! links ginge es durch eine verlaufene Quelle hinauf, also lieber rechts hinter einer Traktorspur her: die endet in unwegsamem Gelände, vor einem Holzschlag: dahinter ein von Sturm oder Schneebruch schon vor langem vernichtetes Waldstück. niedergebrochene Lärchen und Föhren wie Barrikaden zu übersteigen, im Steilstück aber unter denen hindurchzukriechen, die so steil abwärts hängen und quer übereinanderliegen, daß du sie anzurühren dich hütest: könnten mit dir in ein Abwärtstrudeln geraten. nach Überwindung dieser nach Nadeln und Harz duftenden Hindernisse (welchen Marienwaller hielte dergleichen ab!) in einem toten Wald in splitternde Spieße zu geraten: Abgestorbenes und wie Späne Weggebrochenes steht dir von allen Seiten entgegen: hast dich in einem traumhaft verlangsamten Spießrutenlauf zu drehen und zu winden, daß dir das nicht in die Rippen fährt; pfeifst im Innehalten ’Maria durch den Dornwald ging‘ vor dich hin (oder hätten die Dornen wie Lanzen nach der Frucht ihres schutzlos gewölbten Bauches gestochen?), hältst dir den Unterarm vor die Augen, zerschlägst mit berstenden Ästen widerborstiges Gestrüpp. zwischen einander stützenden Aschebäumen und Baumgerippen durch Holzmehl zu waten, es aufzuwirbeln, alsbald von Holzstaub, Schädlingsraupen und Borkenkäfern bedeckt. danach in einem bloß kranken Waldstück eine schmale Schlucht hinanzusteigen, dabei nach dem felsigen Grund zu tasten, verborgen unter kniehoch zusammengeschwemmten Fichtenzapfen. und dir stattliche Spinnweben vom Gesicht zu zerren: was für Prüfungen legt einem da die Hohe Frau auf, auch wenn es kein Umkehren gäbe! hätte sie diese Unnatur in Dienste genommen, daß Zögerliche sich abgehalten sähen, sie aufzusuchen? Kindheitsphantasie von einem Raubritter auf edlem Kreuzzug: eine Heilige aus der Haft zu befreien in uneinnehmbarer Burg. kein Wildpfad, und von Herzen zu vermissen menschliche Überreste, also Hinweise auf menschliche Wesen, als da wären Glasscherben, Getränkedosen oder Kunststoffetzen: seit langem keine Menschenseele hier gewesen. endlich wird der Himmel sichtbar, und ein verrosteter Weihwasserkessel, von wem immer hier deponiert worden, weist dir den Weg ins Freie: im Hinaustreten auf einen Wiesenhang fliegt ein Bussard auf, ein Wespenbussard, denn im Um-dich-Schauen in dir wildfremder Landschaft trittst du in ein Wespennest, rennst davon über eine noch nicht lange verwaiste Alm: aus durchlöchert vertrockneten Kuhfladen fliegen rotblonde Wolken von Schmeißfliegen auf. wirst ja wohl bald zu einer Almwirtschaft gelangen. so nahe zum See und so hoch über ihm; auf keinem der bewaldeten Hügel rundum kann sich das Kircherl befinden. schöner fremder Wald! und da erglänzt in der Abendsonne zwischen zwei Wipfeln wie ein Weihnachtsstern, was ihrer Turmkrone aufsitzt, ein von einem geflammten Stern behütetes Kirchturmkreuz: bist höchstens fünfhundert Schritte von ihr entfernt!

Zu ihr unterwegs an deine Arbeit zu denken, und du weißt dich in der gesegnet, sooft dein Blick auf ihr Waldhaus trifft. aber daß ihr dein Wohlgefallen an einem mißfiele: zur lustvollen Verzögerung des Anlangens an den mehrmals wendenden Stufenfolgen ihrer bäurischen Freitreppe Umschweife zu machen, in kleineren Umschweifungen sie einzukreisen?

wieder einmal verschieben sich, ohne daß du das merkst, die um sie gelegten Schlingen dergestalt, daß sie ihnen längst entschlüpft ist und du dann mit einer deutschen Urlauberfamilie einen steinigen Waldhang abwärts stolperst zwischen kleinen Wasserfällen und wilden Quellen – meint denn der einfachste Weg, der zu ihr führt, er sei dir mit deinem ersten Mal langweilig geworden? nicht sie legt dir ein hauchdünn gerolltes Rindenstück in den Weg, das in deiner Hand zu einer Schlangenhaut wird. nicht sie schickt den Adler, der sich vor deinen Augen eine kleine Bauernkatze holt. und nicht sie sorgt für die hohe Luftfeuchtigkeit und deren Fichtennadel- und Thymianduft, auf daß du, knieweich wie nach allzu viel Dampfbad, für diesen Tag von ihr ließest!

Schwammerlsucher in ihrem Wald! und dich bringen drei stattliche Parasole nicht vom Weg ab zu der, welche sich keines Weges kokett vor dir versteckt. über ein Reh zu erschrecken, weil sich seine Fluchtsprünge über die Felsplatte vor deinen Füßen anhören nach beschlagenen Hufen? nicht läßt sie dich auf eine Kreuzotter treten, welche auf einer der rissigen Stufen sich sonnt. und wieso hat ihr einer eine erschlagene Natter vor die Tür gelegt?

Ja, schon viele Male hast du dich ihr über Waldhänge und Wildpfade genähert, bist über brüchiges Urgestein zu ihr hinangeklommen, bist manchmal dank der Orientierungshilfe ’Motorengeräusche‘ dem felsglatten Steilstück auf die Fahrstraße ausgewichen.

ja, viele Male hast du die unauffindbar deiner Sicht Entrückte einzukreisen vermeint in immer enger um sie gelegten Kreisen, in dem wie im Traum schon oftmals durchirrten Gelände überzeugt, dich ihrem bewaldeten Felsstock von der Hinterseite zu nähern, und plötzlich hat sich der Waldboden mit dir mitgedreht oder der Wald sich verschoben – jagst schon die eben noch von Laubkronen verborgenen Steinstufen zu ihr empor. was da nicht alles an Krüppelgebäum und armdicken Lianen hinanreicht und sich hinanstreckt zu ihrem Vorplatz, bis zu dem Mäuerl, auf dem junge Leute gern sitzen und liegen, als wollte von diesem in sich verschlungenen Geäst und Gezweig abgefangen werden ein Sturz in die scheinbar wenig tiefer gelegene Wiese – von weitem aber ist zu sehen, daß ihr Kircherl an einer Steilwand sitzt. was sie sich jedoch schon das erste Mal gern hat gefallen lassen: daß du einem Pfad durch die sogenannte Wildruhezone zu den hinter ihrem Hügel höher hinanreichenden Almen und Almhütten folgst, um von dort einen Bach entlang zu ihr abzusteigen: fließendes Wasser strebt ihr zu, wie anderswo dem Meer. daß du noch immer nicht weißt, ob nun Maria Hohenburg oder Maria Hohenberg ihr korrekter Name, das kann ihr keine Kränkung sein (selbst auf Wanderkarten und Wegweisern sind beiderlei Schreibungen anzutreffen): auf einem hohen Bergerl steht sie, und auf dem noch etwas höheren kleinen Felsstock dahinter sind Reste einer Burgruine zu entdecken – sie ist sich ihres Herzensadels wohl bewußt.

aber gern magst du glauben, am liebsten sei ihr, du kommest allein. mit einem betagten Freund bist du da, er schaut auf die Uhr: „Was, vierzig Minuten haben wir gebraucht, um um die Kapelle herum zu gehen?“, und so bleibt keine Zeit, bei ihr einzutreten, sonst ist sein Zug versäumt. (schauen aber wir zwei ins Drautal hinunter, alle heilige Zeiten mit dem Auto zu Besuch gekommen, ruht die Zeit: steht still über die Zeit hinaus, die wir an deren