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Matteo Bandello

Lucretia aus Vicenza

(Novelle)

   

   

   

Copyright © 2016 Der Drehbuchverlag, Wien 

Alle Rechte vorbehalten 

eBook: Lucretia aus Vicenza (Novelle) 

ISBN: 978-3-99042-840-5 

 Lucretia aus Vicenza ist in Bernardo Losco verliebt und schläft mit ihm und mit zweien seiner Brüder

Lucretia aus Vicenza

  

Wie der Herr Pirro sehr richtig bemerkt hat, können wir, ohne Anwesenheit der gnädigen Frau, den beabsichtigten Frieden nicht schließen. Darum wird es nicht übel getan sein, die Zeit, damit sie rasch vergehe, in vergnüglichen Gesprächen hinzubringen. Wohl wäre es möglich gewesen, dass uns der Stoff zu solcher Unterhaltung hätte fehlen können, wenn nicht Herr Alessandro dafür gesorgt hätte, dass ihr Nahrung zufließe. Er brachte mir einen ähnlichen Fall in Erinnerung, der vor nicht allzu langer Zeit in meiner Vaterstadt sich ereignete.

   Ich weiß nicht, ob jene Frau aus Mantua den drei Brüdern mit Willen den Mörser geliehen hat oder ob sie durch eine Täuschung dazu gebracht wurde, wie die Frau aus Vicenza, von der zu erzählen ich beabsichtige.

   So sage ich euch denn, dass in Vicenza unter dem Adel, den es dort gibt, die Familie der Loschi immer einen ehrenvollen Platz eingenommen hat, sowohl durch ihren alten und in Ehren erworbenen Reichtum, wie auch durch die tüchtigen und vaterlandsliebenden Männer, die aus ihr hervorgingen. Unter diesen war Herr Francesco Losco, der zur Gattin eine Edelfrau aus Trivigi hatte, welche ihm einige Söhne gebar. Wie Losco seinen Tod herannahen fühlte, machte er sein Testament, setzte seine Frau zur Vormundschaft der Söhne ein und ging dann ins ewige Leben hinüber.

   Die ehrsame Dame beweinte über die Massen den Tod ihres Gatten; sie liebte die Kinder und stand mit allem Fleiße dem Hauswesen vor. Der älteste der Söhne (der den Namen Gregorio führte) war schon in den Sprachwissenschaften unterrichtet; sie sandte ihn nach Padua, Hess ihn dort mit aller Sorgfalt sich weiter ausbilden und dann nach Pavia gehen, wo er im kirchlichen und gemeinen Rechte sehr gelehrt und berühmt wurde, worauf er nach Vicenza zurückkehrte und hier wegen des erworbenen Wissens großes Ansehen genoss.

   Nun blieben noch vier Söhne, deren einen sie zum Kleriker bestimmte; einen andern behielt sie bei sich, damit er zu ihrer Entlastung die häuslichen Angelegenheiten besorge. Die zwei übrigen waren Zwillingsbrüder und einander so ähnlich, dass nicht nur Fremde den einen vom andern zu unterscheiden nicht imstande waren, sondern sogar die Leute im Hause, ja die eigene Mutter selbst, es kaum vermochten. Den einen der beiden (der Giacomo genannt war) stellte die Mutter, da er sehr lebhaft und zu allem geschickt war, in die Dienste des Monsignore Francesco Soderini, Bischofs von Vicenza und Kardinals der heiligen Kirche. Der andere (Bernardino genannt) weilte zu Hause in Vicenza.

   Nun waren diese beiden Brüder, abgesehen davon, dass sie einander äußerst ähnlich sahen, zwei ausnehmend hübsche und kecke Jünglinge, wie sie Vaterstadt bisher kaum hervorgebracht hatte. Von der Schönheit des Bernardino hingerissen, verliebte sich in ihn Frau Lucretia aus Vicenza, die Gattin eines recht reichen Doktors. Das Anwesen der Brüder Loschi lag im Stadtviertel von San Michele, nahe dem Stadttor, und da es in jener Gegend viele Klöster von Mönchen und Nonnen gibt, in deren einem eine Verwandte der Lucretia lebte, mit welcher sie sehr vertrauten Verkehr pflog und die sie oft besuchte, ging sie häufig nach dem Kloster und musste am Hause der Loschi vorübergehen.

   Als nun Lucretia eines Tages dort des Weges kam, sah sie Bernardino unter dem Tor stehen, und es war ihr, als erblicke sie einen verkörperten Engel. Sie verliebte sich so glühend in ihn, dass ihr eine Stunde wie tausend Jahre erschienen, ehe sie sich nicht mit ihm zusammengefunden hätte.

   Darum begann sie häufiger als gewöhnlich die Nonne zu besuchen, damit sie dabei Bernardino erblicken könne, und wenn sie ihn sah, blickte sie ihn lieblich an, sie wechselte die Farbe und mitunter seufzte sie auch. Der Jüngling, der es gewahr wurde, dass eine schöne Dame ihn holdselig anblicke und ihn mit Wohlgefallen betrachte, tat sich darauf viel zugute. Weil er aber in Liebesdingen keine Erfahrung hatte (denn er hatte noch nicht sein sechzehntes Lebensjahr vollendet), ließ er es sich nicht angelegen sein, der Dame den Hof zu machen, oder ihr irgendeine Botschaft zukommen zu lassen.

   Sie brannte darauf, dazu eingeladen zu werden, wonach sie in hohem Grade begehrte und was sie dem Jüngling von Herzen gerne zugestanden hätte, und fand sich in recht übler Stimmung, da sie bemerkte, dass er nicht darauf einging. Sie war ungefähr dreißig Jahre alt, von schlankem und wohlgebildetem Körper, von weißer Haut, mit lachendem Gesichte, mit verliebten Augen, die wie zwei lebendige, leuchtende Sterne schienen.