RONALD M. HAHN

 

 

HARDCORE-WESTERN

II. Die Herrin der Geisterstadt

 

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag/Edition Bärenklau

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 4 

Der Autor 5 

DIE HERRIN DER GEISTERSTADT 7 

In Kürze als E-Book im Apex-Verlag/Edition Bärenklau erhältlich: 111 

 

Das Buch

 

 

Gloria Thorndyke ist vom Schicksal begünstigt: Sie entstammt einer wohlhabenden Familie, hat eine gute Schule besucht und zeichnet sich durch gepflegte Umgangsformen aus. Dass sie sich nun mit dem Abschaum von San Antonio abgibt, hat nur einen Grund: Juan Luis Montana, ein Bandit, der mit seiner Bande eine Wells Fargo-Kutsche überfallen und die 100.000-Dollar-Ladung geraubt hat!

Dabei wurden der Transportbegleiter erschossen und zwei junge Frauen geschändet und ermordet.

Man hat die  Bande gnadenlos gejagt. Sieben Mann starben im Kugelhagel. Nur Juan Luis Montana hat überlebt.

Gloria kann nicht wählerisch sein. Es ist nicht einfach, jemanden aus einem Gefängnis zu befreien, der dreißig Jahre absitzen muss. Wer so etwas plant, darf nicht zimperlich sein und kann keine ehrliche Haut engagieren...

 

Der Autor

 

Ronald M. Hahn, Jahrgang 1948.

Schriftsteller, Übersetzer, Literaturagent, Journalist, Herausgeber, Lektor, Redakteur von Zeitschriften.

Bekannt ist Ronald M. Hahn für die Herausgabe der SF-Magazine Science Fiction-Times (1972) und Nova (2002, mit Michael K. Iwoleit) sowie als Autor von Romanen/Kurzgeschichten/Erzählungen in den Bereichen Science Fiction, Krimi und Abenteuer.

Herausragend sind das (mit Hans-Joachim Alpers, Werner Fuchs und Wolfgang Jeschke verfasste) Lexikon der Science Fiction-Literatur (1980/1987), die Standard-Werke Lexikon des Science Fiction-Films (1984/1998, mit Volker Jansen), Lexikon des Horror-Films (1985, mit Volker Jansen) und das Lexikon des Fantasy-Films (1986, mit Volker Jansen und Norbert Stresau).

Für das Lexikon der Fantasy-Literatur (2005, mit Hans-Joachim Alpers und Werner Fuchs) wurde er im Jahr 2005 mit dem Deutschen Fantasy-Preis ausgezeichnet. Insgesamt sechsmal erhielt Hahn darüber hinaus den Kurd-Laßwitz-Preis – dem renommiertesten deutschen SF-Preis - , u.a. für die beste Kurzgeschichte (Auf dem großen Strom, 1981) und als bester Übersetzer (für John Clute: Science Fiction – Eine illustrierte Enzyklopädie, 1997).

Weitere Werke sind u.a. die Kurzgeschichten-Sammlungen Ein Dutzend H-Bomben (1983), Inmitten der großen Leere (1984) und Auf dem großen Strom (1986) sowie – als Übersetzer – der Dune-Zyklus von Frank Herbert.

Ronald M. Hahn lebt und arbeitet in Wuppertal. 

 

 

 

Ronald M. Hahn

DIE HERRIN DER GEISTERSTADT

 

 

1.

San Antonio, Texas, 1888.

Myriaden von Sternen glitzerten in eiskalter Pracht am Himmel als Gloria Thorndyke mit aufreizendem Hüftschwung an der Rezeption des Hotels El Dorado vorbeiging und ins Freie trat. Der Empfangschef des vierstöckigen Backsteinbaus, ein braver Familienvater mit einem gezwirbelten Schnauzbart und einem Kneifer auf der Nase, leckte sich die Lippen, als sein Blick auf ihren runden Hintern fiel.

Die schlanke Blondine, die sich im El Dorado eingemietet hatte, beschäftigte seine Phantasie schon seit geraumer Zeit. Doch als Realist ging er davon aus, dass sie für ein Abenteuer mit Männern seines Alters nicht zu haben war: Sie war dezent geschminkt, ihr Gehabe zeugte von einer guten Kinderstube, und ihre teure Kleidung deutete an, dass kleine Angestellte seines Formats ihr nicht das bieten konnte, was sie verlangte. So verlockend ihr wiegender Gang auch war – diese Frau war zweifellos eine Lady.

Der Empfangschef hätte sich nicht mehr täuschen können.

Kaum war Gloria auf die dunkle Straße getreten als lautlos ein dunkler Schatten an sie heran glitt und in einer Entfernung von einem Schritt hinter ihr her ging.

Wir sind bereit“, flüsterte er mit heiserer Stimme. 

Gloria ging weiter als hätte sie ihn nicht gehört. Sie wandte nicht mal den Kopf. Sie wusste, wer der Schatten war. Sie kannte sein Gesicht, aber sie wollte es nicht anschauen. Der Mann war ein Tagedieb, ein Mietling, ein Strauchdieb und Lump, dessen Verschlagenheit sich förmlich in seine Gesichtszüge eingegraben hatte. Er nannte sich Lefty Feep. Sie kannte ihn, seit sie in San Antonio war.

Feep und seine Kumpane waren Bekannte des Mannes, dem ihr Herz gehörte. Sie hatten sich bereit erklärt, für sie zu arbeiten – doch nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern gegen harte Dollars.

Gloria verachtete Feep und seine Kumpane, aber sie konnte es ihnen natürlich nicht zeigen. Sie brauchte die Hilfe dieser Kerle. Heute Nacht. Vielleicht auch in den nächsten Tagen. Doch wenn J.L. und sie erst mal die mexikanische Grenze überschritten hatten und auf dem Schiff waren, das sie nach Europa brachte, würde sie sich von Feep und seinen Kumpanen verabschieden. Für immer. Sie freute sich schon darauf.

Wer ist bei ihm?“, fragte Gloria, als sie an einem Saloon vorbeikam, hinter dessen Fenstern eine ausgelassene Kuhtreiberhorde mit grell angemalten Dämchen am Tresen turtelte und der Musik eines Quintetts lauschte, das Skip to My Lou spielte. 

Nur ein lausiger Deputy“, erwiderte Feep verächtlich. „Mit dem werden wir schon fertig, Puppe.“ 

Gloria zuckte innerlich zusammen. Feeps rüder Ton gefiel ihr nicht. Sie bezweifelte auch, dass es J.L. gefiel, wenn sie ihm erzählte, welche Frechheiten er sich rausnahm. Deswegen fauchte sie leise: „Keine Vertraulichkeiten, wenn ich bitten darf! Ich bin schließlich nicht Ihresgleichen!“

Feep knurrte etwas. Wahrscheinlich war er jetzt beleidigt. Aber er hatte erst ein Drittel des Honorars eingesackt, das er bekommen sollte, um ihr zu helfen, J.L. aus dem Gefängnis zu holen. Er musste kleine Brötchen backen.

Gloria blieb vor dem Schaufenster eines Hutgeschäfts stehen und tat so als begutachte sie die Auslagen. Ihr Blick fiel plötzlich in einen Spiegel. Feeps narbige Visage ragte hinter ihr auf. Er hatte eine spitze Nase, eng zusammenstehende schwarze Augen, einen stechenden Blick, ein fliehendes Kinn, und einen schmutzig wirkenden Stoppelbart. Sein mexikanischer Sombrero wirkte verschwitzt und verlaust. Er verdeckte das obere Drittel seines Gesichts, aber Gloria wusste, dass er eine fortschreitende Stirnglatze hatte.

Nur einer?“ 

Nur einer.“ Feep sprach einen harten Akzent. Vermutlich war er irgendwann eingewandert, wie Tausende von anderen in Texas. Er rollte das R wie ein Slawe; sprach er ein L aus, klang es, als wären es gleich drei. Seine Stimme klang schleimig.  

Gloria fragte sich, wieso es überhaupt Menschen gab, die sich mit diesem Kerl abgaben. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er Freunde hatte. Man sah Feep seine Unaufrichtigkeit praktisch an. Sie hätte ihm nicht mal die Uhrzeit geglaubt. Aber wahrscheinlich galt auch in seinem Umfeld das alte Sprichwort, dass der Blinde unter den Einäugigen König war: Die Burschen, mit denen er herumzog, hatten wahrscheinlich einen Dachschaden.

Sind Ihre Leute in Position?“ 

Aber ja doch, Mylady“, sagte Feep spöttisch. 

Welch billige Retourkutsche, dachte Gloria. Am liebsten hätte sie sich geschüttelt. Aber sie wollte nicht den Eindruck erwecken, dass sie sich fürchtete. Ihr war bewusst, dass Feep sie nicht leiden konnte. Sie hatte es schon bei ihrer ersten Begegnung bemerkt. Sie kannte auch den Grund: Es lag an ihrem Äußeren und ihrem Charakter. Sie entstammte einer wohlhabenden Familie aus St. Louis. Ihrem Vater gehörten sechs große Schaufelraddampfer, die ständig auf dem Mississippi unterwegs waren. Sie hatte eine gute Schule besucht, gepflegte Umgangsformen und war damit alles, was Menschen wie Feep hassten. Er war zu kurz gekommen, sowohl in seinem osteuropäischen Heimatland als auch hier. Vermutlich hatte der Trottel geglaubt, hier läge das Gold auf der Straße und man brauchte sich nur zu bücken, um es aufzuheben.

Als sie seine höhnische Visage im Spiegel erblickte, wurde ihr plötzlich klar, dass es ein Fehler gewesen war, sich mit ihm einzulassen. Doch J.L. hatte ihr seinen Namen genannt, und sie konnte nicht wählerisch sein. Es war nicht einfach, jemanden aus einem Gefängnis zu befreien, dem man dreißig Jahre aufgebrummt hatte. Wer so etwas plante, konnte keine ehrliche Haut engagieren...

Okay“, sagte Gloria. „Verduften Sie jetzt.“ 

Sehr wohl, Mylady.“ Feep deutete eine Verbeugung an und verschmolz mit der Nacht. 

Gloria atmete auf. Sie drehte sich um. Als er nicht mehr zu sehen war, gab sie ihren Gefühlen nach und schüttelte sich.

Schließlich ging sie weiter. Sie bog an der nächsten Straßenecke rechts ab. Hier war etwas mehr Betrieb. Die meisten Fußgänger waren Männer. Gloria senkte den Kopf, schritt zielstrebig aus und näherte sich kurz darauf jenem Bezirk, in dem ein Saloon an den anderen grenzte. Das Office des Sheriffs befand sich am Ende der Straße: Ein einstöckiger Steinbau, dessen kleine Fenster vergittert und erleuchtet waren. Sie ging daran vorbei und warf einen konzentrierten Blick hinein.

Ein schlaksiger strohblonder Mann, auf dessen Lederweste ein sechszackiger Stern mit der Aufschrift „Deputy Sheriff“ prangte, flegelte sich auf einem belehnten Holzstuhl hinter einem alten und möglicherweise wurmstichigen Schreibtisch. Er hatte die Beine hochgelegt und steckte die Nase in eine Ausgabe der Police Gazette, ein Blatt, das trotz seines Titels keinen guten Ruf hatte, da es in sensationell aufgemachter Form ausschließlich über Mord, Totschlag, Hurerei und die kriminellen Auswirkungen alkoholischer Exzesse berichtete. Die Stiefel des Deputys mussten dringend zum Besohlen, sein Kopf dringend zum Barbier, denn die Mähne wallte bis auf seine Schultern. Er war etwa Mitte dreißig und wirkte nicht unsympathisch.

Gloria ging bis zum Ende des Hauses, dann blieb sie stehen und schüttelte sich noch einmal – doch diesmal in echter Angst.

Jetzt wird’s ernst, dachte sie. Sie hob ihre Handtasche. Sie war schwerer als sonst. Der zweischüssige Remington Derringer war ein Zusatzgewicht, an das sie nicht gewöhnt war. Aber sie konnte mit dem Ding umgehen. Ihr Vater hatte es ihr beigebracht.

Gloria öffnete den Verschluss der Tasche und klemmte sie unter den linken Arm. Sie schaute sich um, ohne eine Spur von Feep und seinen Kumpanen zu entdecken. Aber sie wusste, dass sie irgendwo im Dunkeln lauerten.

Gloria gab sich einen Ruck, dann ging sie zurück. Vor der Tür des Sheriffbüros blieb sie kurz stehen und atmete tief ein.

Dann ging sie rein.

Oha“, sagte der Deputy, als die Tür hinter ihr zufiel. Er nahm schnell die Beine vom Tisch und legte die Zeitung weg. „Was für’n Glanz in unserer bescheidenen Hütte.“ Er lächelte zutraulich und wirkte ganz so, als wolle er gleich anfangen, mit ihr Süßholz zu raspeln. Er war Gloria auch auf den zweiten Blick sympathisch; deswegen hoffte sie, dass er keine Schwierigkeiten machte, wenn er den Grund ihres Hierseins erfuhr. 

Guten Abend, Sir“, sagte sie höflich. Ihr Blick tastete den Raum schnell ab. Hinter dem Deputy: zwei Türen. Auf der einen stand „Privat“, auf der anderen „Unbefugten ist der Zutritt untersagt“. Die Seitenfenster des Büros waren verschlossen, die Läden vorgezogen. Aus den schmalen Gassen rechts und links des Gebäudes konnte also niemand zu ihnen hineinsehen. „Mein Name ist Katie Lennox. Ich habe hier eine Vorladung...“ Gloria trat nahe an den Tisch heran, legte die Handtasche auf die Schreibfläche und griff hinein. Sie spürte plötzlich, dass sie am ganzen Leibe zitterte. 

Hätte das nicht bis Morgen früh Zeit gehabt, Miss Lennox?“, fragte der Deputy freundlich. 

Leider nicht.“ Schon lag der Derringer in ihrer Rechten. Ihr Arm fuhr hoch und deutete auf die Brust des Mannes mit dem Stern. „Was ich vorhabe, duldet leider keinen Aufschub.“ 

Der Deputy riss erbleichend die Augen auf, wich zurück und breitete die Arme aus, als wolle er sie heben. „Lady, ich bitte Sie...“

An seinem mit Patronen gespickten Gurt hing zwar ein Colt Single Action, aber er war offenbar weder ein Revolverheld, noch verrückt genug, gegen einen Menschen zu ziehen, der die Waffe bereits in der Hand hielt. „Hören Sie... Tun Sie nichts, was Sie später bereuen...“

Gloria sah die Furcht in den Augen des Deputys und betete darum, dass er nicht die ihre sah und sich zu einer vorschnellen Tat verführen ließ. Sie hatte den Gedanken kaum gedacht, als es hinter ihr knallte. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass die Tür aufgeflogen und gegen die Wand geschlagen war.

Aus dem rechten Augenwinkel erblickte sie Lefty Feep und einen seiner Kumpane. Er war noch hässlicher als Feep und wurde Ratface genannt.

Beide eilten an ihr vorbei. Lefty schwang eine Winchester. Er holte flink aus und drosch dem Deputy den stählernen Lauf übers Nasenbein. Blut schoss aus der Nase des Mannes. Er knickte in der Mitte ein und griff sich instinktiv ins Gesicht. Lefty riss die Winchester ein zweites Mal hoch und zog sie dem Deputy über den Schädel.

Während Gloria den Derringer zitternd sinken ließ, eilte Ratface, ein schiefzahniger Lump mit mexikanischen Vaquero-Sporen, zur Tür, die zu den Zellen führte. Er riss sie auf.

J.L. – bist du da drin?“ 

Aus den finsteren Tiefen des sich an das Office anschließenden Zellentrakts meldeten sich gleich mehrere Stimmen, so dass Gloria, die aufgrund ihrer Aufregung noch immer nicht ganz klar denken konnte, nicht genau wusste, ob die Richtige dabei war. Sie stand wie benommen vor dem sich stöhnend am Boden windenden Deputy.

Feep nahm ihm den an seinem Gürtel befestigten Schlüsselbund ab und warf ihn Ratface mit einem triumphierenden Grinsen zu. Ratface tauchte schnell im Zellentrakt unter. Gloria hörte ein metallisches Scheppern. Mehrere Stimmen schrien: „He, du Arsch! Was ist mit uns?! Willst du uns nicht auch aus dem Loch hier rausholen?!“

Als sie wieder klar war, stürzte J.L., Ratface im Gefolge, ins Büro. Sein Haar war leicht zerzaust, als hätte er gelegen. Er war blasser als Gloria ihn in Erinnerung hatte, doch sein Aussehen hatte während der einjährigen Haft nicht gelitten. Er hatte ein wenig abgenommen, aber seine schwarzen Augen blitzten so leidenschaftlich wie zuvor.

He, Baby“, sagte er. Er ging zu dem halb bewusstlosen Deputy und versetzte ihm einen festen Tritt ins Gesicht. Der blutende Mann ächzte. Gloria schüttelte sich. J.L. bückte sich flink neben seinem Opfer nieder, löste den Patronengurt von seinem Leib, richtete sich auf und schnallte ihn sich selbst um. Sein Blick war fahrig, er wirkte sehr nervös. „Wo ist Leroy?“ 

Bei den Gäulen“, sagte Lefty. 

J.L. klopfte ihm und Ratface auf die Schulter. „Und jetzt ab – in die goldene Freiheit.“ Er nickte Gloria kurz zu. „Gut gemacht, Baby. Wusste doch, dass ich mich auf meine kleine Mieze verlassen kann.“

Feep und Ratface kicherten. Gloria errötete. J.L. umrundete den Schreibtisch und tätschelte ihren Hintern. „Das werd ich dir nicht vergessen...“ Er wandte sich eilig zum Gehen. Feep und Ratface erreichten die Tür zuerst. Als Feep die Hand auf den Türknauf legte, sagte J.L.: „He, Lefty warte mal...“ Er zog den erbeuteten Colt, drehte sich um und legte auf den Deputy an, der gerade den Kopf hob und ihn mit einem verschleierten Blick musterte.

J.L. – um Himmelswillen“, hauchte Gloria erschreckt. „Was...“ 

Ein Schuss krachte. Ein Feuerstrahl zuckte aus dem Colt. Auf der Stirn des Deputys erblühte eine Rose. Sein Körper sackte schwer auf den Boden.

Er hat böse Sachen über mich gesagt, Baby“, sagte J.L. mit verklärtem Blick. „Und so was lässt ’n richtiger Mann nicht auf sich sitzen.“ 

Feep riss kichernd die Tür auf. Der Lärm und die Musik aus dem umliegenden Tanzdielen, Kaschemmen und Restaurants schlugen ihnen wie eine Woge entgegen. Gloria spürte, dass ihre Knie weich wurden. Doch ehe sie ganz nachgaben, packte J.L. ihren Arm und riss sie mit. Sie eilten unter einem Vordach durch die Finsternis, liefen zur rechten Seite des Hauses und folgten Feep in eine Gasse. Gleich hinter dem Gefängnis breitete sich das zu dieser Stunde leere Grundstück eines Stellmachers aus, auf dem Leroy mit den Pferden wartete.

Aufsitzen“, zischte J.L. 

Feep und Ratface gehorchten sofort. Gloria stand da wie angewachsen. Vor ihrem geistigen Auge lag der hilflose Deputy in seinem Blut. Na schön, auch sie war bereit gewesen, auf ihn zu schießen – aber doch nur, wenn er versucht hätte, sie daran zu hindern, J.L. zu befreien. J.L. hatte den Mann umgebracht, obwohl er nicht die geringsten Anstalten gemacht hatte, ihn aufzuhalten...

Er hat ihn kaltblütig ermordet.

Komm schon!“ Sie spürte seine Hand auf ihrer Schulter und schüttelte sich unweigerlich. „Rauf auf den Gaul, Baby!“ 

J.L. bückte sich, packte ihren linken Fuß und stellte ihn in den Steigbügel eines Grauschimmels. Schon waren seine Hände unter ihrem Hintern und hoben sie an. Gloria erwachte aus ihrer Benommenheit. Sie packte den Sattelknauf, schwang sich hoch und nahm Platz.

Auf!“ J.L. nickte Feep zu. 

Feep machte ein Handzeichen, dann sprengte er als Erster vom Grundstück des Stellmachers. Sie nahmen die Gasse, durch die sie gekommen waren, doch in entgegengesetzter Richtung. Bald näherten sie sich dem Stadtrand von San Antonio.

Hinter ihnen verklang nach und nach das Geklimper der Musik.

2.

 

Das monotone Rattern der eisernen Räder auf den Schienen wirkte so einschläfernd auf Trudeau, dass er nicht merkte, dass der Toronto Star seinen Fingern entglitt. Während draußen, im Licht des Silbermondes, das unbewohnte, nur hier und da von winzigen Wäldchen bewachsene Land vorbeizog, nickte er im Nu ein und träumte von seiner letzten Nacht im Nordwest-Territorium.

Der Traum war sehr angenehm, denn in ihm kam die hübsche Rothaarige vor, die er heute Nachmittag auf dem Bahnhof von Uvalde gesehen hatte. In seinem Traum trug sie ein roten Korsett, schwarze Strümpfe und kurze Stiefelchen. Sie saß auf seinem Schoß, drückte ihren prächtigen Busen an seine nackte Brust und spielte auf aufreizend verdorbene Weise mit ihrer Zunge an der seinen herum. Ihr Schoß schien gewaltig erhitzt zu sein, denn sie rutschte so erregt auf ihm herum, dass er befürchtete, seine ohnehin schon enge Kordhose werde gleich platzen. Dann fasste sie an die prall gefüllten Körbchen ihres Korsetts und zog sie nach unten. Trudeau gingen die Augen über. Als er sich über ihre prächtigen Hügel beugte und den Mund aufmachte, um an einer erigierten rosigen Zitze zu nuckeln, drang ein Rascheln in seinen Traum ein und er wachte ruckartig auf.

Die hübsche Rothaarige, die er auf dem Bahnhof gesehen hatte und ihm gerade im Traum erschienen war, saß ihm genau gegenüber. Neben ihr stand eine schwarze Reisetasche.

Ich hoffe, ich habe nicht geschnarcht“, sagte Trudeau errötend. Er bemühte sich, eine treuherzige Miene aufzusetzen. 

Um die roten Lippen der Rothaarigen spielte nämlich ein spöttisches Lächeln, so dass er den Verdacht nicht los wurde, dass sie schon länger hier saß, während seines Nickerchens seine Gedanken gelesen und alles gesehen hatte, was in seiner schmutzigen Phantasie passiert war.

Ach, nein“, erwiderte sie. 

Warum grinsen Sie dann so?“ 

Die Rothaarige schwieg, doch ihr Grinsen blieb. Erst jetzt fiel Trudeau auf, wohin sie schaute. Er folgte ihrem Blick, bemerkte die angespannte Lage in seinem Beinkleid und legte schnell den Toronto Star über seinen Unterleib.

Sie sind Kanadier?“, fragte die Rothaarige. 

Yes, Ma’am.“ Trudeau nickte hastig. Er war ihr dankbar, dass sie es vorzog, das Thema zu wechseln. „Von echt französischem Blute, um genau zu sein. Und wenn man den Legenden trauen darf, die in unserer Familie kursieren, bin ich in direkter Linie ein Nachfahre des Grafen Bernadotte.“ Und da er schließlich eine Bildung hatte, lüpfte er seinen grauen Stetson und nannte ihr artig seinen Namen. 

„