Blackwater Bay

 

 

 

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Band 45

 

Blackwater Bay

 

von Rüdiger Silber und Logan Dee

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

 

© Zaubermond Verlag 2016

© "Das Haus Zamis – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: Die Autoren-Manufaktur

 

http://www.zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

Was bisher geschah:

 

Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.

Nach jahrelangen Scharmützeln scheint endlich wieder Ruhe einzukehren: Michael Zamis und seine Familie festigen ihre Stellung als stärkste Familie in Wien, und auch Asmodi findet sich mit den Gegebenheiten ab. Coco Zamis indes hat sich von ihrer Familie offiziell emanzipiert. Das geheimnisvolle »Café Zamis«, dessen wahrer Ursprung in der Vergangenheit begründet liegt und innerhalb dessen Mauern allein Cocos Magie wirkt, ist zu einem neutralen Ort innerhalb Wiens geworden. Menschen wie Dämonen treffen sich dort – und manchmal auch Kreaturen, die alles andere als erwünscht sind …

Unterdessen wird Coco Zamis von Asmodi erpresst. Der Fürst der Finsternis entreißt ihr das noch ungeborene Kind und benutzt es als Pfand. Während die junge Hexe bisher sicher war, dass sie es von dem Verräter Dorian Hunter empfangen hat, behauptet Asmodi, dass er es ist, der sie geschwängert hat.

Um ihr ungeborenes Kind wiederzuerlangen, begibt sie sich in Asmodis Hände. Doch keine der Aufgaben, die er ihr stellt, erfüllt sie zu seiner Zufriedenheit. Behauptet zumindest er und erpresst sie weiterhin.

Schließlich gelingt es ihr mit der Hilfe ihrer Familie, Asmodi den Fötus zu entreißen.

Aber jetzt ist es ihr eigener Vater, Michael Zamis, der ihr den Fötus verweigert.

Auf der Suche nach ihrem gestohlenen Dämonen-Fötus reist Coco Zamis nach London. Zufällig trifft sie ihren tot geglaubten Liebhaber wieder: Dorian Hunter. Doch der erkennt sie nicht, lädt sie aber in seine Villa in der Baring Road ein. Dort stößt Coco auf ein entsetzliches Geheimnis: Hinter einer mit magischen Schutzzeichen versperrten Kellertür wird ihr ungeborenes Kind versteckt gehalten. Dorian Hunter entpuppt sich als Marionette ihrer Familie. Er lebt in einer magisch erzeugten Scheinwelt. Coco kämpft mit allen Mitteln um ihr Kind. Mithilfe des geheimnisvollen Damon Chacal gelingt es ihr schließlich, den Fötus an sich zu bringen. Um ihn fürs Erste allen Widersachern zu entziehen, beschwört sie den einstigen Hüter des Hauses Zamis aus dem Reich der Toten und gibt ihr Ungeborenes in dessen Obhut.

Coco Zamis hat vorerst genug von ihrer Familie. Um Abstand zu gewinnen, flüchtet sie aus Wien und Europa. Es trifft sich gut, dass ihre alte Freundin, die Vampirin Rebecca, gerade ein neues Domizil in New York bezogen hat und Coco einlädt, sie zu besuchen. Es handelt sich um das legendäre Dakota Building. Schnell stellt Coco fest, dass ihre Freundin in größter Gefahr schwebt.

Rebecca ist schwanger und steht unter dem Einfluss der Vanderbuilds, einer mächtigen Dämonenfamilie, die im legendären Dakota Building residiert.

Coco erhofft sich Hilfe von der Voodoopriesterin Mama Wédo, doch nach dem Ritual behauptet Rebecca, mit Mama Wédo den Körper getauscht zu haben.

Gleichzeitig zeigen die Bewohner im Dakota Building ihr wahres dämonisches Gesicht. Immer deutlicher wird, dass sie Rebeccas Baby für ihre teuflischen Machtspiele benötigen. Und auch Coco gerät in die Fänger der Vanderbuilds. Als Rebeccas Kind auf die Welt kommt, entpuppt es sich als dämonische Kreatur.

Schließlich gelingt es Coco, ihre Widersacher zu besiegen, das Dämonenkind zu töten und mit Rebecca aus dem Dakota zu fliehen.

Doch sie ahnen nicht, dass sie etwas mitgenommen haben ...

 

 

 

 

Erstes Buch: Lady Mamba

 

 

Lady Mamba

 

von Rüdiger Silber

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

Prolog

 

Erstmals im Leben beschlich mich eine Ahnung davon, wie kranken Sterblichen im Patientenwartesaal zumute ist. Meine Freundin Rebecca und ich saßen schon eine gefühlte Ewigkeit in einer Wartezone der Klinik. Rebecca war die einzige Patientin, ich stand ihr zur Seite. Leichenblass, mit hohlen Wangen und entzündeten Augen, wirkte sie wie ein Karnevals-Vampir. Ihr war sterbenselend, und sie hatte Angst.

Das Krankenhaus war eine Privatklinik für menschliche Patienten in der New Yorker Park Avenue und spezialisiert auf Neurochirurgie. Der Leiter, Professor Cathán Connor, war jedoch ein Dämon. Wie viele Arztpraxen oder Anwalts- und Wirtschaftskanzleien in Dämonenhand verfolgte die Klinik nicht nur finanzielle Interessen, sondern sie diente auch dazu, Kontrolle über einflussreiche Menschen zu erlangen.

Alle Versuche, Rebecca mithilfe meiner Hexen-Heilkunst zu helfen, waren fehlgeschlagen. Daher hatte Darragh, unser zeitweiliger Verbündeter, der nach dem Tod des Grauen Mannes zum Oberhaupt des Morrigan-Clans aufgestiegen war, uns an den Professor empfohlen. Um die Untersuchungsergebnisse der Vampirin vor dem menschlichen Personal geheimzuhalten, hatte dieser uns einen Termin außerhalb der normalen Sprechzeiten gewährt.

Endlich ging die Tür auf. Herein trat ein kleiner, dicker Mann im weißen Arztkittel. Kurzes graues Haar umkränzte sein Haupt, Oberlippe und Kinn zierte ein Bärtchen, auf der Nase saß eine rahmenlose Brille.

»Guten Tag, bitte entschuldigen Sie, dass Sie warten mussten.«

Wir erhoben uns, und Professor Connor gab Rebecca die Hand. »Sie müssen die Patientin sein.«

»Rebecca Manderley«, stellte sie sich vor.

»Coco Zamis, Krankenschwester auf Zeit«, sagte ich. Er reichte auch mir die Hand. Ich spürte nur eine geringe dämonische Ausstrahlung an ihm. Sie war so schwach, dass ich hätte raten müssen, welche Art von Dämon er war. Aber er war sicher ein hervorragender Arzt, sonst hätten die oberen Zehntausend von New York ihn nicht an ihr Gehirn gelassen.

Wir folgten ihm in sein Büro. Er wies uns bequeme Besucherstühle an und ließ sich selbst hinter dem Schreibtisch nieder, dessen Arbeitsfläche genug Platz bot, um darauf die Präsidentenlimousine zu parken. Die Einrichtung des Büros war ganz auf den Effekt abgestimmt. Alles wirkte leicht überdimensioniert, als Zeichen der Macht. Verglaste Bücherschränke aus dunklem Mahagoni voller ledergebundener Bände erweckten den Eindruck von Gelehrsamkeit. Die Kunstwerke an den Wänden waren modern, aber gefällig und unpersönlich. Es gab gerade genügend anatomische Modelle und Tafeln, um den Eindruck von Fachkenntnis zu erwecken und doch empfindliche Besucher nicht zu grausen. Den Anschluss an die Neuzeit vermittelte die Schreibtischausstattung mit modernster Computer- und Kommunikationstechnik.

Professor Connor legte die Hände ineinander. »Wie kann ich Ihnen helfen, Mrs. Manderley?«

»Ich …« Rebecca sah mich Hilfe suchend an.

Also übernahm ich das Reden.

»Begonnen hat es mit starken Kopfschmerzen … Das ist jetzt etwa zwei Wochen her. Dann …«

»Es ist, als würde ich ein Kopfei ausbilden«, ergänzte Rebecca leise, »das wächst und wächst und mir irgendwann die Schädeldecke sprengt.«

Ich fuhr fort: »Dann kamen Albträume hinzu und eine Geräuschempfindlichkeit gegen bestimmte Musikinstrumente. Der Ton einer Trompete oder eines Saxofons verursacht meiner Freundin furchtbare Qual.«

»Früher mochte ich den Klang solcher Instrumente«, flüsterte Rebecca. »Aber jetzt ist es, als würde mir flüssiges Metall ins Ohr geschüttet und zerfräße mir das Gehirn.«

»Sie schläft nicht mehr, isst nicht mehr. Sie wird immer schwächer.«

Der Professor nickte verstehend. »Wie steht es mit der Koordination? Haben Sie Bewegungsstörungen?«

Rebecca schüttelte den Kopf.

»Sehstörungen?«

»Nicht dass ich wüsste.«

»Olfaktorische Halluzinationen?«

»Wie bitte?«

»Ich meine: Nehmen Sie sonderbare Gerüche wahr? Gerüche, die eigentlich nicht da sind?«

Rebecca sah mich an. Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie.

Connor erhob sich, kam um den Schreibtisch herum und bezog vor Rebecca Aufstellung. Er zückte eine Diagnostiklampe, die zwischen den Kugelschreibern an der Brusttasche seines Kittels klemmte. Nacheinander leuchtete er in beide Pupillen. Er führte einige Koordinationstests durch, wie man sie auch bei Verdacht auf Trunkenheit macht, und prüfte die Kraft der einzelnen Muskelgruppen.

Anschließend geleitete er uns in die radiologische Abteilung, um ein Magnetresonanztomogramm anzufertigen. Rebecca musste sich auf der fahrbaren Liege des Tomographen ausstrecken. Connor legte Rebecca einen intravenösen Zugang. »Für das Kontrastmittel«, sagte er. »Manche Sterbliche sind allergisch dagegen. Wie es auf Vampire wirkt, weiß ich nicht. Es wird einen Vampir nicht umbringen, aber zur Sicherheit spritze ich Ihnen zunächst eine geringe Testdosis.«

Eine halbe Stunde verstrich. Da keine Nebenwirkungen auftraten, ließ Connor die Patientin auf der Liege in die enge MRT-Röhre gleiten.

Eine Sekunde lang hatte ich die Vision, meine Freundin würde ins Leichenkühlfach geschoben. Ich schüttelte die Vorstellung ab. Zum Glück litt Rebecca, wenn sie auch keine Sargschläferin war, nicht unter Klaustrophobie.

Ich hatte Connor nicht alles über Rebeccas Symptome erzählt. Verschwiegen hatte ich ihm, dass Rebeccas ›Albträume‹ in manchem den Vergangenheitsvisionen glichen, die ich selbst von Asabi, der Voodooienne in Diensten der älteren Vanderbuilds gehabt hatte. Sie waren wie Erinnerungsblitze aus dem Leben Asabis. Andere Traumfetzen schienen aus Asabis späterem Leben zu stammen, nachdem sie zu Mama Wédo geworden war. Mama Wédo hatte vorübergehend mit Rebecca den Körper getauscht gehabt. Beim Rücktausch war Mama Wédo gestorben. Aber Rebecca und ich glaubten, dass irgendetwas von der alten Voodoo-Zauberin zurückgeblieben war in Rebecca … in ihrem Schädel.

Aber das brauchte Professor Connor nicht zu wissen. Wir waren nur an seiner schulmedizinischen Meinung interessiert.

Nach einer Stunde saßen wir wieder zu dritt im Chefarztbüro.

Connor drehte den Bildschirm mit den MRT-Aufnahmen, sodass Rebecca und ich sie ebenfalls vor Augen hatten. Es waren Querschnitte ihres Gehirns, von ›unten‹ gesehen, wie Connor uns informierte. Für mich sahen die fast spiegelbildlichen Hirnhälften aus wie schwarz-graue Rorschachbilder. Mittendrin breitete sich eine erschreckend große »Raumforderung« aus, wie Connor es nannte. Für mein Laienauge wirkte sie wie ein annähernd rundes, unscharf abgegrenztes Nebelfeld.

Ich hörte, wie Rebecca scharf die Luft einsog.

»Was ist das?«, fragte ich.

»Ich weiß es nicht«, bekannte Connor. »So etwas habe ich noch nie gesehen. Man würde es für ein Artefakt, eine Fehldarstellung, halten, aber das habe ich bereits ausgeschlossen. Offenbar handelt es sich um etwas, das das MRT nicht darstellen kann. Um etwas Unbekanntes.«

Hinter den Brillengläsern strahlten die Augen des Professors. Ich las Entsetzen in seinem Blick. Aber noch mehr Faszination.

»Ist es ein Tumor?«, fragte Rebecca.

»Von der Lage her könnte es ein Tumor sein«, erklärte Connor. »Es würde zu den Symptomen passen, die Sie geschildert haben. Aber ich habe noch nie einen Tumor gesehen, der so aussieht. Außerdem ist das … Ding zu groß, für einen Tumor ist es riesig. Ein Sterblicher mit einem solchen Tumor wäre auf die vegetativen Nervenfunktionen beschränkt oder tot. Er würde nicht vor mir sitzen und mit mir sprechen.«

»Ist es therapierbar?«, fragte ich.

»Das kann ich nicht sagen, solange ich nicht weiß, was es ist. Wir müssten eine Gewebeprobe entnehmen. Oder besser noch, gleich den Schädel öffnen und hineinsehen.«

Gierig, wie er Rebecca abschätzte, nahm er in Gedanken bereits die Knochensäge zur Hand.

Ich erhob mich. »Vielen Dank, Herr Professor Connor, für Ihre Hilfe. Wir werden uns darüber beraten.« Ich fasste Rebecca am Arm, und wir traten die Flucht aus der Klinik an.

 

Auf dem Bürgersteig musste ich langsam gehen, damit Rebecca mit mir Schritt halten konnte. Sie sagte: »Mit dem Ding im Gehirn kann ich unmöglich nach Kalifornien reisen.«

Das war unser Plan gewesen. Rebecca hatte in Erfahrung gebracht, dass sie nicht der letzte Vampir ihrer Sippe war, wie sie ein Leben lang geglaubt hatte. Eine direkte Tante von ihr lebte an der Westküste, im Sonnenstaat Kalifornien. Rebecca hatte der Tante einen Besuch angekündigt, mit mir als Reisegefährtin. Wir hatten vorgehabt, in New York einen offenen Sportwagen zu mieten und einen mehrwöchigen Roadtrip durch die USA nach Blackwater Bay zu unternehmen, dem Wohnort Tante Elviras.

»Ich möchte nach New Orleans«, hörte ich Rebecca sagen. »Immerhin liegt das in Louisiana, also auf dem Weg nach Kalifornien.«

»Nach New Orleans?«, wunderte ich mich. »Du hast eine Allergie gegen Blasinstrumente … und dann willst du ausgerechnet nach New Orleans?«

Sie nickte nachdrücklich. »Du hast gehört, was Connor gesagt hat. Er kann mir nicht helfen. Ich habe kein medizinisches Problem. Ich habe ein Voodoo-Problem. Nur Voodoo kann mir helfen.«

Darin waren sie und ich einer Meinung. Aber warum musste es New Orleans sein? »Voodoo wird auch hier in New York praktiziert«, sagte ich. »Und in Los Angeles. Und in Chicago. Die Heimat des Voodoo ist Haiti.«

»Kennst du einen Voodoo-Heiler in New York, in Los Angeles, in Chicago? Oder auf Haiti?«

»Nein«, gab ich zu.

»Aber ich habe Verbindungen nach New Orleans«, sagte Rebecca. »Keine Voodooisten«, schränkte sie ein. »Vampire.«

»Noch mehr unbekannte Verwandtschaft?«

»Diese Vampire gehören keiner Sippe an«, erklärte sie. »Sie bilden eher eine Art … Kommune.«

»Hippie-Vampire?«

»Die Vampire dieser Gemeinschaft kommen von überall her. Was sie verbindet, ist nicht die Sippschaft. Sie sind nicht so wie die meisten Vampire. Sie sind eher … wie ich.«

Ich ahnte etwas.

»Diese Vampire töten nur Mörder, um sich zu ernähren. Einige trinken sogar nur das Blut von Tieren. Ich habe vor einigen Jahren von ihnen erfahren und habe Kontakt zu ihnen aufgenommen. Und ihn zum Glück nie abreißen lassen.«

»Also Hippie-Vampire!«

»Wenn du so willst. Sie würden mir helfen, da bin ich sicher. Bestimmt kennen sie auch Voodoo-Leute in ihrer Stadt.«

Wir legten etliche Meter in nachdenklichem Schweigen zurück.

»Ich bin auf schnelle Hilfe angewiesen«, nahm schließlich Rebecca den Faden wieder auf. »Das Ding im Kopf lässt mir nicht mehr viel Zeit, ich spüre es deutlich. Wir müssen das Flugzeug nehmen.«

»Und deine Fledermaus-Staffel?«

»Die muss nachkommen. Anders geht es nicht.« Offenbar hatte Rebecca sich bereits Gedanken gemacht, denn sie fuhr fort: »Nach der Schlacht ums Dakota sind ohnehin nur noch neun von ihnen übrig. Wir könnten sie einzeln in Kisten einschließen und mit einer Spedition nachschicken.« Sie hob ratlos die Schultern. »Bis zu ihrer Ankunft muss ich eben ohne sie auskommen.«

 

 

1.

 

New Orleans, Vieux Carré

Die Zeiger meiner Armbanduhr standen auf 11:30 Uhr. Schon im Flugzeug hatte ich sie eine Stunde zurückgedreht, von New Yorker auf New Orleanser Zeit.

Ich trat auf den Balkon hinaus. Unser Hotel lag in der Burgundy Street. Wir hatten ein Doppelzimmer bezogen.

Noch herrschte nicht die Hitze, die New Orleans ab Ende März in ein Treibhaus verwandelt, aber meine Kleidung war sehr viel luftiger als noch vor etlichen Stunden in New York. Eine laue Mississippi-Brise zupfte an meiner Bluse. Sie trug den Geruch von Zypressen und Flusswasser mit sich.

Die Straße war gesäumt von den typischen zwei- oder dreistöckigen Häusern im spanischen Kolonialstil, die die Architektur des Vieux Carré bestimmten. Sie hatten flache Dächer und Arkadengänge und verschnörkelte gusseiserne Balkongeländer, die um die oberen Etagen verliefen wie Spitzenborten. Ich sah etliche Gebäude, die noch aus dem 19. Jahrhundert stammten, und einige aus dem 18. Jahrhundert.

Hier in der legendären französischen Altstadt Unterkunft zu nehmen, war meine Idee gewesen, nachdem ich mir schon in einem Buchladen am New Yorker Flughafen einen schmalen Reiseführer für New Orleans gekauft hatte. Ein minimales touristisches Programm war Pflicht, fand ich, wenn es mich schon einmal ins Big Easy verschlug, den Großen Leichtsinn, wie diese berühmte Stadt auch genannt wurde.

Auf einem der Balkone schmetterte eine Trompete. Von den Docks schrillte das Pfeifen der Flussboote herüber.

Aus Rücksicht auf Rebecca trat ich ins Zimmer zurück. Ich verschloss die Balkontür und zog die Vorhänge zu. Außerdem bewirkte ich einen magischen Schallschutz.

Das Zimmer war eng, aber hoch, und der Balkon der nächsten Etage spendete Schatten. Der Ventilator an der Decke wirkte überdimensioniert. Die vier riesigen Flügel standen still, ließen aber erahnen, wie heiß es hier werden konnte. In den Winkeln hing der Geruch von Kakerlakenpulver. Die fingerlangen Cockroaches waren hier eine noch schlimmere Plage als an der Ostküste, in New York.

Rebecca lag angezogen auf ihrer Hälfte des Doppelbettes. Sie schlief den Schlummer der Entkräftung. Blass war die Vampirin sowieso, aber jetzt wirkte ihr Gesicht schmal und kantig, wie eine expressive Schnitzmaske. Die eingesunkenen Augen verbargen sich hinter Strähnen des nachtschwarzen, stumpf gewordenen Haars wie hinter dem Gewebe eines Schleiers.

Von allem anderen abgesehen hatte Rebecca schon länger keine Nahrung mehr zu sich genommen. Wäre sie nur zu schwach zum Jagen gewesen, hätte ich schon eine Mahlzeit für sie herbeigeschafft. Doch in ihrem Elend verweigerte Rebecca die Nahrung.

Mir hingegen knurrte der Magen. In dem Reiseführer hatte ich ein Restaurant gefunden, in dem ich gerne speisen wollte. Anstatt Rebecca zu wecken, schrieb ich ihr eine Notiz.

Das Lokal, in dem ich essen wollte, lag in der Touristenmeile von New Orleans, in der Bourbon Street. Da ich etwas vom Vieux Carré sehen wollte, ging ich zu Fuß. Ich musste nur wenige Blocks weit laufen, vorbei an Galerien und Antiquitätengeschäften, von denen es hier jede Menge gab. Aus der St. Ann Street, offenbar ein Treffpunkt der Schwulenszene, schwenkte ich in die Bourbon Street ein. Hier reihten sich Andenkenläden, Fresslokale aller Art und vor allem Bars und Strip-Clubs, die aber erst abends aufmachten. Auf dem »Bankett«, wie der Bürgersteig in New Orleans hieß, reihten sich altmodische Straßenlaternen mit gusseisernen Pfählen. Sie rahmten ein paar bunte Straßenhändler ein sowie Musikanten, deren Banjogeschrappe, Saxofongetute und schrille Trompeten Rebecca in den Irrsinn getrieben hätten. Vorherrschend war der Geruch nach abgestandenem Bier, Whiskey und Marihuana.

Vor dem Schaufenster von Marie Laveau's Voodoo Shop blieb ich stehen und betrachtete die Auslage. Es war eher ein Souvenirladen. Etliche Artikel waren aus Plastik. Das meiste stammte aus industrieller Fertigung. Am besten gefielen mir noch die bedruckten T-Shirts.

Endlich erreichte ich das Galatoire's. Dieses Speisehaus hatte ich nicht wegen seiner als vorzüglich gepriesenen Küche gewählt. Sondern weil das Lokal keine Reservierungen entgegennahm und jeder Gast Schlange stehen musste, bis er hineinkam. Genau darin lag für mich der Reiz. Beschwingt schritt ich an der Warteschlange vorbei, drängte mich durch den Eingang und verlangte, den Maitre zu sprechen. Der sei schon unterwegs, erwiderte der Kellner mit einer Verneigung. Das wunderte mich nun doch, denn bis jetzt hatte ich ja erst den Kellner hypnotisiert. Im nächsten Moment spürte ich einen Blick, der mich von der Seite traf, und wandte mich um.

Neben mir stand ein Schwarzer, dunkel wie Ebenholz, hoch wie ein Turm. Gewandet war er in einen Anzug aus cremeweißem Tuch, der ihm wie angegossen saß, dazu trug er eine lachsfarbene Weste, eine schwarze Seidenkrawatte, und auf dem Haupt einen Panamahut gleicher Farbe. Die Stiefel, die unter den Hosenaufschlägen hervorragten, waren aus Schlangenleder gefertigt. Er hatte sonderbar helle Augen unter wuchernden Brauen, eine flache Nase mit breiten Nüstern und Kiefer wie ein Fangeisen. Nicht nur für einen Schwarzen hatte er einen geradezu abartigen Haarwuchs. Von der dunklen Gesichtshaut stach der Bartschatten kaum ab, aber er setzte sich über den Hals fort und verschwand als dunkler, gekräuselter Pelz unter dem Hemdkragen. Auch die Hände waren dicht behaart.

Ich wusste augenblicklich, dass er ein Werwolf war.

Er musterte mich verächtlich. In seinen Augen war ich offenbar eine anmaßende Touristin, die sich über die Regeln hinwegzusetzen versuchte.

So wie es der Schwarze selbst mit Erfolg tat. Der Maitre trat vor ihn hin. Er verbeugte sich tief. Er ließ sich den Panamahut reichen und führte den Gast ins Lokal.

Mein hypnotischer Befehl hielt den Maitre auf. Jetzt wandte er sich mir zu und verbeugte sich fast bis zum Boden. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen, meine Dame …«

Der Blick des Schwarzen, der den Vorgang verfolgt hatte, war unbezahlbar. Aber dann begriff er. Sein Lächeln ließ die Zähne aufleuchten. Es war, als schneide ein elfenbeinerner Brieföffner schwarzes Krepppapier entzwei.

Ohne zu zögern, sagte er: »Ein Tisch für zwei Personen, bitte.«

Ich erkannte, dass das eine Einladung war. Einem Impuls folgend, nahm ich sie an.

Unser Tisch war am hinteren Ende des lang gestreckten, leicht schiefwandigen Speiseraums. Über unseren Häuptern rotierte schläfrig ein hölzerner Ventilator unter einer Milchglasglühbirne.

Der Schwarze stellte sich mir als »Cadeus Luabre, Geschäftsmann am Ort« vor. Seine Stimme war ein tiefer, schmirgelnder Bass.

»Coco Zamis«, sagte ich, »aus Europa, wie Sie sicher schon an meinem Akzent erkannt haben. Genauer: aus Wien.«

Wieder ließ sein Lächeln die Zähne aufblitzen. »Ah! Wien … die Stadt der Musik! Die Wiege des Walzers!«

»Wie seltsam. Ich komme dorther … und habe den Eindruck, dass eigentlich New Orleans die Stadt der Musik ist«, versetzte ich artig. »Die Wiege des Jazz!«

»Mögen Sie Jazz?«

»Wenn ich in der passenden Stimmung bin …«

Er schien das für eine diplomatische Antwort zu halten, denn er lächelte verstehend und sagte: »Ich liebe Mozart!« Und seine Miene verriet mir, dass das kein höfliches, sondern ein ehrliches Bekenntnis war.

Der Kellner kam und reichte uns die Karten. Ich schlug meine auf.

»Ich empfehle Ihnen den Trout Marguery. Meerforelle in einer Hollandaise mit Krabben, Pilzen und Trüffeln«, kam Luabre meiner Entscheidung zuvor.

»Was nehmen Sie selbst, Mr. Luabre?«

Sein zähnebleckendes Grinsen wirkte entwaffnend und bedrohlich zugleich. »Ich nehme Alligator-Steak … aber so roh und blutig, wie es gerade noch geht, ohne dass es kalt serviert wird.«

Ich vertiefte mich in die Speisekarte. Aus Trotz ließ ich mir lange Zeit und bestellte, als der Kellner zurückkehrte, etwas anderes als mein Gastgeber mir nahegelegt hatte: »Bitte bringen Sie mir die Austern en brochette

Luabre nickte anerkennend. »Sie wissen offenbar selbst, was Sie wollen.«

Ich wählte einen Wein, der zu meinem Gericht passte. Luabre trank Dixie-Bier zum Steak.

Forschend sah er mich an. »Wenn Sie nicht um der Musik willen nach New Orleans gekommen sind … weswegen dann? Interessieren Sie sich für Architektur? Für Geschichte? Für den Karneval?«

»Ich interessiere mich für Völkerkunde. Spezialgebiet: Hexenwesen und Verwandtes.«

Wieder lächelte er leicht. Er hatte ja vorhin begriffen, dass ich eine Dämonin war … eine Hexe.

»Also Voodoo! Ist es das, was Sie nach New Orleans geführt hat?«

»Ja«, gestand ich. »Ich bin sehr beschlagen, was die magischen Künste meines eigenen Kontinents betrifft. Aber über die magischen Riten und Traditionen fremder Länder und Völker weiß ich noch viel zu wenig.«

Er nickte. »Voodoo in New Orleans ist zu siebzig Prozent Hokuspokus … nicht von Interesse. Und was die restlichen dreißig Prozent angeht … da halte ich mich heraus. Wenn man nicht in Schwierigkeiten geraten will, sollte man aber Folgendes wissen: Die Voodoo-Queen unserer Stadt ist ein Mensch und sehr mächtig. Sogar Dämonen respektieren sie wegen ihrer Magie und wegen ihrer zahlreichen sterblichen Anhänger in allen gesellschaftlichen Schichten. Sie nennt sich Lady Mamba und sieht sich als weiße Zauberin. Was sie nicht davon abhält, bei ihren Zeremonien Ziegen und Lämmer zu schlachten, Hähnen und Tauben lebendigen Leibes den Kopf abzureißen und schwarzen Katzen den Hals aufzuschlitzen. Ihr Widersacher ist Prince Wodu, ein Witch-Doctor. Er ist ein Dämon mit einer kleinen, aber machtvollen Anhängerschaft unter Dämonen und einigen wenigen Menschen, die bevorzugt les chèvres sans cornes als Blutopfer darbringen.«

Ich war nicht sicher, den französischen Ausdruck richtig verstanden zu haben: »Ziegenböcke ohne Hörner?«

»Der Bock ohne Horn, das ist im Voodoo der chiffre für Menschenopfer«, sagte Luabre unbekümmert. Immerhin war er selbst ein Dämon. Auch meine eigene Sippschaft in der kultivierten Musikmetropole Wien trieb ja bei ihren schwarzen Sabbaten nichts anderes als dieser Witch-Doctor. Nur umschrieben sie es weniger blumig.

Es war erstaunlich, zu beobachten, wie Luabres Pranken das Besteck höchst manierlich führten und dabei gewaltige Portionen in den großen Mund schaufelten, die er, fast ohne zu kauen, hinunterschluckte. Er war lange vor mir fertig und legte das Besteck auf den leer gegessenen Teller zusammen. Dann trank er sein Bier und winkte dem Kellner. Er zahlte für uns beide. »Bitte entschuldigen Sie die Eile«, sagte er, sich erhebend. »Ich habe einen wichtigen Geschäftstermin einzuhalten. Es war mir ein außerordentliches Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mademoiselle Zamis!« Und schon war er fort.

Ich trank in Ruhe meinen Wein aus. Wahrhaftig, es versprach interessant zu werden im Süden der USA …

Nun brach ich selbst auf, um nach Rebecca zu sehen.

 

Während ich zum Hotel zurückkehrte, befiel mich eine unerklärliche Unruhe. Ich musste mich dazu zwingen, ein normales Gehtempo einzuhalten. Endlich kam das Hotel in Sicht. Ich blickte zum Balkon empor … und erstarrte mitten im Schritt.

Die Vorhänge, die ich geschlossen hatte, standen einen Spaltbreit offen. Ein Schatten lauerte hinter der spiegelnden Scheibe und spähte auf die Straße hinab. Erkennbar waren nur ein dunkler Umriss und zwei glimmende Augen. Ich wusste sofort, dass es nicht Rebecca war. Meine Freundin war nicht viel mehr als mittelgroß, die fremde Gestalt hingegen hochgewachsen und dürr.

Mit hämmerndem Herzen ging ich weiter. Ich betrat das Hotel. Der Portier war nirgends zu sehen. Am Fuß der Treppe überwältigte mich das Gefühl der Bedrohung geradezu. Mit jeder Stufe, die ich nahm, wurde es stärker. Was immer bei Rebecca im Zimmer war … es war gefährlich.

Vor unserer Zimmertür blieb ich stehen. Ich lauschte. Hinter der Tür war es still wie im Grab.

Da fiel mir ein, dass ich vor meinem Weggang einen magischen Schallschutz bewirkt hatte. Natürlich konnte ich jetzt keinen Ton hören! Warum hatte ich keine magischen Fallen aufgestellt? Ich hatte die Tür hinter mir zugezogen und den Schlüssel im Schloss umgedreht … das war alles gewesen. Ich verwünschte meine Sorglosigkeit. Während ich den Zimmerschlüssel aus der Handtasche fingerte, bereitete ich mich darauf vor, in den schnelleren Zeitablauf überzutreten.

Im selben Moment wurde die Tür aufgerissen.

Auf der Schwelle stand ein furchterweckendes Wesen.

Eine Sekunde lang glaubte ich, es handele sich um einen langen, knochendürren Mann mit bläulich schimmernder Haut, die von weißem Aussatz entstellt war. Er starrte mich aus rot glühenden Augen an.

Dann teilte er die Lippen und entblößte spitze Eckzähne.

Er sagte etwas, aber ich hörte keinen Ton.

Der verdammte Schallschutz! Ich hob ihn auf.

Jetzt hörte ich ihn. »Komm rein, Coco!«, sagte er, nun schon eine Spur ungeduldig. Stirnrunzelnd hakte er nach: »Du bist doch Coco?«

Ich musterte ihn genauer. Er war ein Vampir. Und seine Haut war weiß. Ein Albino-Vampir! Was ich für dunkel pigmentierte Haut gehalten hatte, war die Ganzkörpertätowierung, die sich bis über den kahlen Schädel hinzog. Stellenweise blitzte die fahle Haut durch. Der nahezu fleischlose Kopf wirkte wie eine eckige, dicht mit eingefärbten Ritzbildern bedeckte Scrimshaw-Schnitzerei.

Seine Unterlippe war über die ganze Breite mit Ringen gepierct. Er trug Schwarz. Schwarz war der leichte Mantel, der von seinen Schultern hing, schwarz die Sneakers an den bloßen Füßen, schwarz die zu kurze Baumwollhose und schwarz das zu weite T-Shirt mit dem Aufdruck PEACE LOVE GUMBO.

»Bist du taub? Du bist doch Coco – oder nicht?«

Ich drängte mich an ihm vorbei ins Zimmer. »Die Frage lautet eher, wer du bist.«

Ich fand den Lichtschalter. Ein Knistern ertönte, als würde Papier zusammengeknüllt. Das war das Geräusch der Kakerlaken, die in ihre dunklen Winkel huschten.

Rebecca schlief noch immer auf dem Bett. Besser gesagt: Sie schlief wieder. Sie hatte sich auf die Seite gedreht. Neben ihrer Hand lag ihr Mobiltelefon. Offenbar hatte sie während meiner Abwesenheit ein Gespräch geführt. Rebeccas Antlitz wirkte ruhig. Ich war froh, dass die Albträume sie ausnahmsweise verschonten.

»Ich bin Vince«, sagte der Vampir. »Mother Euphrasine schickt mich.«

»Wer ist Mother Euphrasine?«

»Die Gründerin von Moon Mood. Sie leitet unsere Kommune.«

Dorthin also hatte Rebecca telefoniert.

»Ja, ich bin Coco«, bestätigte ich. Dann wollte ich wissen: »Wie bist du ins Zimmer gekommen?« Als ich essen gegangen war, hatte ich hinter mir abgesperrt und den Schlüssel mitgenommen.

Er hielt einen Schlüssel hoch, an dem ein klobiger Anhänger mit der Zimmernummer baumelte. »Es gibt immer zwei. Rebecca hat mein Klopfen nicht gehört.«

Er fuhr fort: »Ich war gerade in der Stadt, Besorgungen machen. Euphrasine hat mich angerufen und mir gesagt, dass ich euch beide auf dem Rückweg einsammeln und nach Moon Mood mitbringen soll.«

Ich weckte Rebecca. Sie hatte Vince bereits kennengelernt, bevor sie wieder eingeschlafen war. Dass wir noch nicht ausgepackt hatten, sparte Zeit. Vince machte den Gepäckträger für uns. Das Knochengestell war unfassbar stark.

Der Hotelpförtner stutzte, als er zwei Schlüssel zurückerhielt: den, den er mir ausgehändigt, und den, den Vince ihm unbemerkt entwendet hatte. Aber da wir den vollen Preis für die Übernachtung bezahlten, die wir nicht in Anspruch nahmen, begnügte er sich mit dem wortlosen Lupfen einer Augenbraue.

Vor dem Hotel parkte ein alter Pritschenwagen am Straßenrand. Die Karosserie sah aus, als besäße sie ein Tarnmuster aus der ursprünglichen sumpfgrünen Lackierung, Rost und grauer Rostschutzfarbe. Vince stellte das Gepäck hinten auf die offene Ladefläche zu den Kartons, die vollgepackt waren mit seinen Einkäufen und großen Camping-Kühlboxen.

Dann schwang er sich hinters Lenkrad. Der Beifahrersitz bot Platz für zwei, Rebecca saß zwischen uns. Der Motor brach in asthmatisches Röcheln aus, und der Wagen setzte sich in Bewegung.

 

 

2.

 

Moon Mood

Die Fahrt führte uns aus der Stadt hinaus. Wir nahmen die Interstate 10 in Richtung Baton Rouge, fuhren ab auf den Highway 70 und überquerten auf der Auslegerbrücke den Fluss.

»Warum fährst du bis raus nach New Orleans, um eure Besorgungen zu erledigen?«, fragte ich Vince. »Es gibt hier viele kleine Orte mit Läden und Shopping Malls. Sogar Baton Rouge liegt näher.«

»Manchmal fahre ich auch in die Hauptstadt.« Baton Rouge war die Hauptstadt von Louisiana. »Aber New Orleans ist größer. Je größer, umso anonymer. Außerdem haben wir dort in der Nähe … Beziehungen.«

»Gleich sind wir da«, sagte Vince nach einer Weile. Er lenkte den Pick-up über eine gewundene Allee, die gesäumt war von gewaltigen, knorrigen Eichen, aus deren Astgewirr Bärte spanischen Mooses herabhingen. Schließlich kam das Ende der Allee in Sicht und gab den Blick auf eine Reihe hoher Säulen frei.

Ich erkannte, dass es sich um die Front eines typischen Pflanzerhauses im griechisch-italienischen Stil aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg handelte. Je näher wir dem Gebäude kamen, desto deutlicher wurde sein Verfall. Es war groß und wahrte noch immer einen Hauch seines aristokratischen Stolzes aus jenen längst verflossenen Tagen, als die Herrenhäuser der großen Baumwoll- und Zuckerrohrplantagen die Fürstensitze des amerikanischen Südens gewesen waren. Aber die einstige strahlende Pracht war dahin. Einst mochte das Gebäude einen weißen oder pastellfarbenen Anstrich besessen haben. Nun waren die Außenwände grau verwittert, die Fensterläden morsch. Die Marmorsäulen des Portikus waren moosfleckig, die steinernen Stufen, die zum Eingang hinaufführten, gesprungen. Aus den Rissen spross Unkraut.

Umgeben war das Haus von einem weitläufigen Park, dessen allgegenwärtiger Wildwuchs von riesenhaften, uralten Magnolien und Platanen in geheimnisvolle Schatten getaucht wurde.

Moon Mood. Ein passender Name für das Anwesen. Ich konnte mir die »Mondstimmung«, wenn das graue, gespenstische Plantagenhaus zur Nacht vom Mondschein versilbert wurde, bildhaft vorstellen.

Vor dem Haus war ein großer freier Platz, auf dem ein weiterer rostiger Pick-up, ein alter VW Bus und ein zerbeulter Toyota Land Cruiser standen. Vince parkte neben dem Geländewagen. Er zog den Zündschlüssel ab und schob ihn unter die Sonnenblende. »Die Autos stehen allen Mitgliedern der Kommune zur Verfügung«, erklärte er. »Man muss nur vorher Bescheid sagen, wenn man eins benutzen will.«

Rebecca stand neben mir, schob sich die Sonnenbrille in die Stirn und sah sich blinzelnd um. Vince wuchtete unser Gepäck von der Ladefläche.