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Neue Perspektiven für die Befreiung der Frau
Eine Streitschrift

2. Auflage Oktober 2008
zuerst erschienen Mai 2000

Neue Perspektiven für die Befreiung der Frau
Eine Streitschrift

Redaktionskollektiv REVOLUTIONÄRER WEG
unter Leitung von Stefan Engel und Monika Gärtner-Engel

Verlag Neuer Weg
in der Mediengruppe Neuer Weg GmbH
Alte Bottroper Str. 42, 45356 Essen
verlag@neuerweg.de
www.neuerweg.de

Umschlagbild: Erdal Üner

Gesamtherstellung:
Mediengruppe Neuer Weg GmbH

ISBN: 978-3-88021-284-8
eISBN: 978-3-88021-423-1

Stefan Engel/Monika Gärtner-Engel

Neue Perspektiven
für die Befreiung der Frau

Eine Streitschrift

Verlag Neuer Weg

Ich möchte dieses Buch meiner langjährigen Mitkämpferin und engen Freundin, der Gelsenkirchener Putzfrau Helga Janzik widmen. Sie verkörperte wie kaum eine andere die kämpferische Einheit der proletarischen Frauenbewegung im Ruhrgebiet mit dem revolutionären Enthusiasmus für den echten Sozialismus. 1977 organisierte sie den ersten Putzfrauenstreik in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Sie war eine einfache, unbeugsame Frau, die nach ihrer politischen Maßregelung die letzten 20 Jahre ein Leben unter der Armutsgrenze fristete. Dennoch hörte sie bis zu ihrem Tod 1997 nie auf, für andere – in erster Linie für die Jugend – einzutreten.

Inhalt

Neue Perspektiven
für die Befreiung der Frau
Eine Streitschrift

Vorwort zur 2. Auflage

Vorwort

I. Die gesellschaftlichen Grundlagen für die besondere Ausbeutung und Unterdrückung der Frau im Kapitalismus

1. Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens als fundamentales Gesetz der Entwicklungsgeschichte der Menschheit

2. Die doppelte Ausbeutung der Masse der lohn- und gehaltsabhängigen Frauen

3. Die bürgerliche Staats- und Familienordnung

4. Die besondere Unterdrückung der Frau und die Rolle der bürgerlichen Tradition und Moral in der kapitalistischen Gesellschaft

5. Die massenhafte Herausbildung kleinbürgerlicher Familienverhältnisse in der BRD nach dem II. Weltkrieg

6. Die staatliche Institutionalisierung der kleinbürgerlich-feministischen Denkweise

7. Die chronische Krise der bürgerlichen Familienordnung

II. Proletarische und bürgerliche Frauenbewegung

1. Marx und Engels begründen die proletarische Frauenbewegung

2. Die bürgerliche Frauenbewegung und die bürgerlichen Frauenorganisationen

3. Aufschwung und Niedergang der kleinbürgerlichen Frauenbewegung der 70er Jahre

4. Reformistische und revisionistische Parteien und Organisationen als Erben des kleinbürgerlichen Feminismus

5. Die Entwicklung der gewerkschaftlichen Frauenbewegung

6. Die selbständig organisierte Frauenbewegung vereint die Masse der Frauen im Kampf für eine befreite Gesellschaft

7. Die internationale Frauenbewegung als bedeutende Kraft im Kampf für die Befreiung von imperialistischer Ausbeutung und Unterdrückung

III. Der Kampf um die Befreiung der Frau und der Sozialismus

1. Erste Ansätze zur Befreiung der Frau in der Pariser Kommune

2. Die sozialistische Gesellschaft und der Kampf um die Befreiung der Frau

3. Revisionistische Verzerrungen des Marxismus-Leninismus in der Frauenfrage

4. Der Kampf der KP Chinas gegen den Revisionismus in der Frauenarbeit

5. Opportunistische Einflüsse und sektiererische Fehler in der alten kommunistischen und Arbeiterbewegung

6. Wirkliche Überparteilichkeit als Basis der selbständigen und kämpferischen Selbstorganisation der Frauen

7. Der Kampf der Marxisten-Leninisten um die Denkweise der Masse der Frauen

Vorwort zur 2. Auflage

Wir freuen uns, dass dieses Buch in einer weiteren Auflage erscheint. Seit der Herausgabe im Jahr 2000 hat sich die Krise der bürgerlichen Familienordnung verschärft und wurde eine internationale Erscheinung. Die Erwerbstätigkeit der Frauen stieg im Zusammenhang mit der Neuorganisation der internationalen Produktion weltweit sprunghaft an. 2006 waren bereits 1,2 Milliarden Frauen auf der Welt erwerbstätig, meist in den am schlechtesten bezahlten Jobs. Sieben von zehn Menschen, die mit weniger als einem Dollar am Tag leben müssen, sind Frauen. Die Tendenz zur Familienlosigkeit und damit verbundenem Elend unter der Masse der Bevölkerung nimmt zu.

Die Privatisierung ehemals staatlicher Unternehmen, insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen und der Rückbau auf eine minimale Grundversorgung verstärken auch die Bürde der unbezahlten Arbeit der Frauen in der Organisierung des Alltagslebens, wie der Kinderbetreuung und im Haushalt.

Hervorgerufen durch ihre Tätigkeit in der gesellschaftlichen Produktion und durch ihr gestiegenes kulturelles und politisches Niveau – wächst bei den Frauen zugleich die Erkenntnis, dass die Ursache ihrer zunehmenden Alltagsprobleme in der doppelten Ausbeutung und Unterdrückung der Frau liegt und damit nur gesellschaftlich gelöst werden kann. Die „neuen Perspektiven für die Befreiung der Frau“ liegen im internationalen Kampf für ihre Befreiung als wesentlicher Bestandteil des internationalen Kampfs zum Sturz der Herrschaft des Imperialismus und für den Aufbau des Sozialismus.

Immer öfter sind es Frauen, die mit besonderer Ausdauer, Mut und Hartnäckigkeit bei Kämpfen vorne dran stehen. In den letzten Jahren hat sich eine internationale kämpferische Frauenbewegung entwickelt, die weltweit zu einem politischen Faktor geworden ist.

Dieses Buch war seit seinem Erscheinen Thema zahlreicher Seminare und Veranstaltungen und erfreut sich wachsenden internationalen Interesses. Die englische Ausgabe wurde von einem indischen Verlag aufgelegt und weit über Indien hinaus in andere asiatische Länder verbreitet. In Kürze wird die spanische Ausgabe in Venezuela erscheinen und Leserinnen und Lesern in ganz Lateinamerika zur Verfügung stehen.

Stefan Engel und Monika Gärtner-Engel, Oktober 2008

Vorwort

Die Lebensbedingungen der breiten Massen in Deutschland verschlechtern sich seit der Wende zum Abbau sozialer Reformen zu Beginn der 80er Jahre. Dadurch sind grundlegende Lebensbedürfnisse in Frage gestellt. Neben der Verschärfung der Ausbeutung der Lohnarbeit und der Massenarbeitslosigkeit als Dauererscheinung ist dabei vor allem die besondere Ausbeutung und Unterdrückung der Frauen offen hervorgetreten. Die Frauen haben besonders durch ihre Einbeziehung in die gesellschaftliche Produktion und in die verschiedenen gesellschaftlichen Bewegungen ein neues Selbstbewusstsein herausgebildet. Das hat den Kampf um ihre Befreiung wieder verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Dieser Kampf steht in untrennbarer Wechselbeziehung mit der Entwicklung des proletarischen Klassenkampfs.

Umso schwerer wiegen die Versäumnisse und Fehler der marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung auf diesem Gebiet in den letzten Jahrzehnten. Insbesondere wurde die theoretische Arbeit zur systematischen Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus bezüglich des Kampfs um die Befreiung der Frau und seines untrennbaren Zusammenhangs mit dem proletarischen Klassenkampf vernachlässigt. Die theoretischen Grundlagen, die Marx, Engels und Lenin dafür bereits gelegt hatten, wurden verdrängt und so wurde Spielraum gelassen für reformistische und revisionistische Verfälschungen dieser Grundlagen.

Das erleichterte es dem bürgerlichen Feminismus in Deutschland, einen gehörigen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung zu bekommen und die Frauenbewegung weitgehend auf die Verwirklichung formaler Gleichberechtigung einzuengen.

Der kleinbürgerliche Feminismus gewann nach dem Scheitern der Studentenbewegung der 60er Jahre zeitweilig einen beherrschenden Einfluss auf die Frauenbewegung. Im Unterschied zum bürgerlichen Feminismus erreichte er gerade das aktive und kämpferische Potenzial unter den Frauen. Bei aller Radikalität gelang es der kleinbürgerlichen Frauenbewegung allerdings höchstens, die Realität der gesellschaftlichen Ungleichheit von Frauen und Männern ins Bewusstsein zu rücken und der Gesellschaft einige Reformen abzutrotzen. Sicher hat sie auch dazu beigetragen, dass das Selbstbewusstsein vieler Frauen gewachsen ist und dass eine Reihe gesellschaftlicher Tabus aufgebrochen werden konnten. Zu einer tatsächlich gesellschaftsverändernden Rolle war der kleinbürgerliche Feminismus aber nie in der Lage. Stattdessen hatte er eine desorganisierende Wirkung auf die kämpferische Frauenbewegung.

Den Herrschenden war es ein Leichtes, den kleinbürgerlichen Feminismus nach anfänglichen Auseinandersetzungen in ihr gesellschaftserhaltendes System der kleinbürgerlichen Denkweise einzubauen. Mit einem Netzwerk von reformistischen und feministischen Frauenprojekten, mit der Gewährung umfangreicher Medienöffentlichkeit und staatlicher Förderung wird die kleinbürgerlich-feministische Denkweise seither systematisch zur Spaltung der kämpferischen Arbeiter- und Volksbewegung eingesetzt und als Damm gegen die Hinwendung der selbständig organisierten Frauenbewegung zum revolutionären Klassenkampf. In dieser Rolle ist der kleinbürgerliche Feminismus sogar direkt reaktionär.

Ohne den kleinbürgerlichen Feminismus zu überwinden, kann die kämpferische Frauenbewegung ihre strategische Rolle im revolutionären Klassenkampf nicht ausfüllen! Ohne entschiedene Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus und der auf ihm beruhenden Lehre von der Denkweise kann die Überlegenheit der proletarischen Denkweise im Kampf gegen die kleinbürgerliche Denkweise in der kämpferischen Frauenbewegung nicht hergestellt und der kleinbürgerliche Feminismus nicht überwunden werden!

In Westdeutschland wurde seit Ende der 70er Jahre die formelle rechtliche Gleichstellung der Frauen weitgehend verwirklicht. Umso deutlicher erscheint seither ihre tatsächliche gesellschaftliche Benachteiligung. Nur einer Minderheit ist aber klar, dass diese durch die kapitalistische Produktionsweise und die damit verbundene Lebensweise in der bürgerlichen Gesellschaft bedingt ist.

Solange die DDR dem Kurs des sozialistischen Aufbaus folgte, war sie diesbezüglich der BRD haushoch überlegen. Doch mit der Restauration des Kapitalismus seit Ende der 50er Jahre brach der Prozess der Befreiung der Frau ab. Alles wurde nun der profitablen Einbeziehung weiblicher Arbeitskräfte in den Produktionsprozess untergeordnet. Zwar war die gesellschaftliche Stellung der Frauen in der DDR immer noch ungleich höher als im wiedervereinigten Deutschland, dennoch war »die befreite Frau in der DDR« aufgrund der Restauration des Kapitalismus nie mehr als ein Mythos.

Die Kritik an der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Lebensweise der Gesellschaft bildet eine notwendige Grundlage für einen zielklaren Kampf um die Emanzipation der Frau. Sie darf sich dabei keinesfalls auf die besondere Lage der Frauen einschränken, sondern muss das ganze System der Ausbeutung und Unterdrückung im staatsmonopolistischen Kapitalismus in allen seinen Seiten aufdecken. Die soziale Befreiung der Arbeiterklasse und die Befreiung der Frau sind zwei Seiten des gemeinsamen Kampfs für eine befreite, sozialistische Gesellschaft.

Die kämpferische Frauenbewegung muss sich neben den proletarischen Frauen als entscheidendem Kern aus Angehörigen mehr oder weniger aller Schichten der Bevölkerung zusammensetzen. Nur so kann sie zum wichtigsten Bindeglied zwischen der Arbeiterbewegung und der übrigen Massenbewegung im Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung und für den Sozialismus werden. Diese gewaltige Aufgabe kann sie nur erfüllen, wenn sie den Zusammenhang von sozialer Befreiung und Befreiung der Frau in der heutigen gesellschaftlichen Wirklichkeit begreift. Dazu soll diese Nummer des theoretischen Organs der MLPD beitragen.

Mit dem Wechsel von der ultrarechten Kohl/Kinkel-Regierung zu einer sozialdemokratisch geführten Schröder/Fischer-Regierung nach der Bundestagswahl im September 1998 hat sich die soziale Hauptstütze der Monopolherrschaft verschoben. Die neue Regierung gibt unter anderem vor, die Gleichstellung von Mann und Frau »zu einem großen gesellschaftlichen Reformprojekt« machen zu wollen. Das System der kleinbürgerlichen Denkweise wurde unter der neuen Regierung zur hauptsächlichen Regierungsmethode, mit der die Monopolpolitik verwirklicht werden soll. Das erfordert umso dringlicher, die marxistisch-leninistische Position zur Befreiung der Frau zu schärfen und in die Öffentlichkeit zu tragen.

Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG

I. Die gesellschaftlichen Grundlagen für die besondere Ausbeutung und Unterdrückung der Frau im Kapitalismus

1. Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens als fundamentales Gesetz der Entwicklungsgeschichte der Menschheit

Die Entwicklung der Menschheit unterscheidet sich wesentlich von der Entwicklung der Tierwelt durch ihr mehr oder weniger bewusst organisiertes gesellschaftliches Leben. Die menschliche Gesellschaft muss einerseits die notwendigen Mittel zum Leben beschaffen und andererseits für den Fortbestand der menschlichen Gattung sorgen. In seiner Schrift »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats« formulierte Friedrich Engels das fundamentale Gesetz des Werdens und Vergehens, das der Entwicklungsgeschichte der Menschheit von Anfang bis Ende zugrunde liegt:

»Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist aber selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung.« (Marx/Engels, Werke, Bd. 21, S. 27/28)

Indem Menschen Lebensmittel produzieren, stellen sie die Existenz und Fortpflanzung der Gattung Mensch sicher. Der Verbrauch der Lebensmittel fällt zusammen mit der Produktion und Reproduktion der Gattung Mensch, das heißt mit der Wahrung menschlicher Existenz und ihrer Fortentwicklung. Diese umfasst auch immer die Produktion und Reproduktion menschlicher Arbeitskraft und die Höherentwicklung ihrer Arbeitsproduktivität. Der Verbrauch von Arbeit, die Anwendung der menschlichen Arbeitskraft ist gleichbedeutend mit der Produktion der notwendigen Lebensmittel.

In der Erzeugung von Lebensmitteln und von Menschen vollzieht sich der einheitliche Prozess von Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese beiden Arten von Produktion und Reproduktion bedingen die jeweilige Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung, geben den gesellschaftlichen Einrichtungen jeweils ihre entscheidende Prägung. Dazu schrieb Friedrich Engels:

»Die gesellschaftlichen Einrichtungen, unter denen die Menschen einer bestimmten Geschichtsepoche und eines bestimmten Landes leben, werden bedingt durch beide Arten der Produktion: durch die Entwicklungsstufe einerseits der Arbeit, andrerseits der Familie.« (Marx/Engels, Werke, Bd. 21, S. 28)

Die menschliche Entwicklung ändert wohl im Verlauf der Geschichte ihre gesellschaftlichen Formen, nicht aber ihre Bedingtheit durch die beiden Arten der Produktion, die jeweilige Stufe der Arbeit und der Familie.

Die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens in der Urgesellschaft

Die Entwicklungsstufe der Arbeit zur Zeit der Jäger und Sammler in der Urgesellschaft stand in dialektischem Zusammenhang mit dem gemeinschaftlichen Leben in einer kommunistischen Haushaltung und dem kollektiven Eigentum an Land, Behausung und gemeinsam gefertigten Arbeitsmitteln.

Die Menschen lebten in Geschlechtsverbänden (Gens) zusammen, die sich gemeinsamer Abstammung rühmten und durch gesellschaftliche und religiöse Gepflogenheiten zu einer besonderen Gemeinschaft verknüpft waren. Die Familienform war anfänglich die Gruppenehe, die sich im Verlauf einer langen Zeit zur Paarungsehe weiterentwickelte. Über viele Jahrtausende hinweg machten die Menschen der Urgesellschaft die Erfahrung, dass die Gattung Mensch sich umso besser entwickelte, je mehr die Inzucht ausgeschlossen wurde. Mit der Paarungsehe war endlich die Familienform entwickelt, die jegliche Inzucht ausschloss. Auf dieser Stufe der Entwicklung war die Familie keine eigenständige Wirtschaftseinheit. Sie konnte und wollte auch gar nicht außerhalb einer größeren Gemeinschaft eigenständig existieren.

Die bürgerlichen Ethnologen (Völkerkundler) wie auch die christliche Kirche behaupten, dass die Einzelfamilie die seit jeher bestimmende Form des menschlichen Zusammenlebens gewesen wäre. Damit soll der bürgerlichen Familie Ewigkeitswert verliehen werden. Engels wies nach: »Die Familie ist unter der Gentilverfassung nie eine Organisationseinheit gewesen und konnte es nicht sein, weil Mann und Frau notwendig zu zwei verschiednen Gentes gehörten … die Familie ging auf halb in die Gens des Mannes und halb in die der Frau.« (Marx/Engels, Werke, Bd. 21, S. 100)

Diese Gesellschaftsordnung kannte nur freie und gleiche Menschen – Frauen wie Männer. Es war eine Gesellschaft ohne Staat und ohne Gesetze, ohne vom Volk getrennte Körperschaften und Obrigkeiten – ohne Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen durch den Menschen.

Die gesellschaftliche Arbeitsteilung bestand rein naturwüchsig auf Grundlage der Geschlechts- und Altersverschiedenheit. Die Kinder wurden nur der Frau zugeordnet, da die Rolle der Vaterschaft biologisch unbekannt und gesellschaftlich nicht relevant war. Ausgehend von der Verantwortung für die Kinder und für die Ernährung besorgten die Frauen gemeinschaftlich die Hausarbeit, die Zubereitung der Nahrung, die Herstellung der Kleidung sowie das Sammeln der Pflanzenkost. Die Männer besorgten Nahrungsmittel, jagten und fischten und führten Krieg. Diese naturwüchsige Arbeitsteilung rückte die Frauen in der klassenlosen Ordnung in der Regel unangefochten in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen, religiösen und kulturellen Lebens, da sie die kommunistischen Haushalte organisierten.

Der dafür im bürgerlichen Sprachgebrauch gewählte Begriff »Mutterrecht« oder »Matriarchat« trifft die damalige gesellschaftliche Stellung der Frau allerdings nur unzureichend. Selbstredend kann man in einer Gesellschaft nicht von »Recht« im juristischen Sinne ausgehen, in der es keine Klassen und keinen Staat gibt. Das Matriarchat gab deshalb auch nicht den Frauen Macht über andere Teile der Gesellschaft, wie das etwa beim Patriarchat in der Sklavenhaltergesellschaft oder im Feudalismus für die Männer der Fall war. Aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung genossen die Frauen jedoch für die Männer anerkannte Autorität in ihren Geschlechtsverbänden.

Die kommunistischen Haushalte unterschieden sich wesentlich von der uns bekannten privaten Haushaltsführung in der bürgerlichen Einzelfamilie. Sie umfassten eine erheblich größere Zahl von Personen und organisierten das gesamte gesellschaftliche Leben als gemeinschaftlichen Prozess, in den ausnahmslos alle Mitglieder der Gesellschaft einbezogen waren. Die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens fand in jeder Beziehung gesellschaftlich statt. Die Triebkraft war das gemeinsame Überleben.

Die Urgesellschaften waren – bei all den dargestellten Vorzügen – dem Untergang geweiht. Die kommunistischen Haushalte waren grundsätzlich beschränkt auf eine Maximalgröße, weil die Menschen zu einer komplizierteren, höheren Organisation, die über die Unmittelbarkeit ihres praktischen Lebens hinausging, noch nicht fähig waren. Das war Ergebnis einer unterentwickelten Produktion von Lebensmitteln, die sich in den engen Schranken dessen bewegte, was die Natur von sich aus anbot. So war die Menschheit aufgrund der Launen der Natur ständig vom Aussterben bedroht. Diese Stufe der Arbeit erlaubte nur eine dünne Besiedlung auf weitem Gebiet. Damit fehlte der kommunistischen Urgesellschaft jede Entwicklungsperspektive zum Beispiel durch eine wachsende Bevölkerung, durch einen Fortschritt in der Arbeitsproduktivität oder durch eine dichtere Besiedlung.

Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität schuf erstmals einen Überschuss an Lebensmitteln über den unmittelbaren Bedarf der Gesellschaft hinaus. Das war die materielle Grundlage für die Entstehung von Privateigentum und Klassenunterschieden, das heißt der Möglichkeit einer Minderheit der Gesellschaft, sich die Früchte der Arbeit der Mehrheit anzueignen. Mit der Herausbildung des Privateigentums lösten sich die kommunistischen Haushalte auf. Das gemeinschaftliche Ackerland und das Vieh wurden in Privatbesitz überführt. Mit der Arbeitsteilung zwischen Ackerbau und Viehzucht und der Verselbständigung des Handwerks zur Herstellung von Arbeitsgeräten für den Ackerbau entwickelte sich notwendig die Warenproduktion.

Die erhöhte Arbeitsproduktivität und die Überschüsse der Lebensmittelproduktion resultierten vor allem aus Viehzucht und Ackerbau – den traditionellen Arbeitsgebieten der Männer. Zudem entstand im Zusammenhang mit der Viehzucht auch die Erkenntnis über die biologischen Zusammenhänge der Zeugung und der Vaterschaft. Um die Kinder den Vätern zuordnen und den Privatbesitz vererben zu können, wurde den Frauen fortan Monogamie abverlangt. Die Einzelehe begann die wirtschaftliche Einheit der Gesellschaft zu werden. Privatbesitz oder Besitzlosigkeit dieser Einzelfamilien bestimmten fortan die gesellschaftliche Stellung ihrer Mitglieder in allen Klassengesellschaften. An die Stelle der gesellschaftlichen Gleichheit von Frauen und Männern trat nun die patriarchalische Familienordnung. Dieselbe natürliche Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, die in den Urgesellschaften die hervorgehobene Stellung der Frauen im Haus begründete, führte mit der Entstehung des Privateigentums zur Vorherrschaft der Männer in der Familie. Friedrich Engels fasste diese Entwicklung so zusammen:

»Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts. Der Mann ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kinderzeugung. Diese erniedrigte Stellung der Frau … ist allmählich beschönigt und verheuchelt, auch stellenweise in mildere Form gekleidet worden; beseitigt ist sie keineswegs.« (Marx/Engels, Werke, Bd. 21, S. 61)

Mit der Teilung der Gesellschaft in Klassen wurde die Entstehung des Staates notwendig, was den Übergang von der klassenlosen Gesellschaft zur Klassengesellschaft endgültig besiegelte. Lenin fasste in seiner Schrift »Über den Staat« die ausschlaggebende Rolle des Staates für die Klassengesellschaft zusammen:

»Es hat aber eine Zeit gegeben, da kein Staat existierte, da der allgemeine Zusammenhalt, die Gesellschaft selbst, die Disziplin, die Arbeitsordnung aufrechterhalten wurden durch die Macht der Gewohnheit, der Traditionen, durch die Autorität oder Achtung, die die Ältesten der Geschlechtsverbände oder die Frauen genossen, die zu dieser Zeit oftmals eine den Männern gleichberechtigte, ja nicht selten sogar höhere Stellung einnahmen, eine Zeit, da es keine besondere Kategorie von Menschen, keine Spezialisten gab, um zu regieren. Die Geschichte zeigt, daß der Staat als besonderer Apparat der Zwangsanwendung gegen Menschen erst dort und dann entstand, wo und wann die Teilung der Gesellschaft in Klassen in Erscheinung trat – also eine Teilung in Gruppen von Menschen, von denen die einen sich ständig die Arbeit der anderen aneignen können, wo der eine den anderen ausbeutet.« (Lenin, Werke, Bd. 29, S. 465)

Die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens in der kapitalistischen Gesellschaft

Der Kapitalismus ist die Entwicklungsstufe der Klassengesellschaft, in der die Arbeit die Stufe der maschinellen Großproduktion in Fabriken erreicht. Der Prozess der Lebensmittelproduktion ist vergesellschaftet, während die Erhaltung und Fortpflanzung der Gattung Mensch private Angelegenheit der Einzelfamilie bleibt.

Die Produktionsmittel sind Eigentum der Kapitalistenklasse. Darauf beruht ihre beherrschende Stellung in der Gesellschaft, die sie mit Hilfe des Staates verwirklicht. Die Arbeiterklasse muss ihre Arbeitskraft an die Kapitalisten verkaufen, um sich die zum Leben notwendigen Mittel kaufen zu können. Die Klasse der Kapitalisten lebt von der Ausbeutung der Lohnarbeit. Kapitalistische Ausbeutung ist an die Warenproduktion gebunden. Dazu führte Friedrich Engels aus:

»Wir bezeichnen als ›Warenproduktion‹ diejenige ökonomische Phase, in welcher die Gegenstände nicht nur für den Gebrauch der Produzenten, sondern auch für Zwecke des Austausches produziert werden, d. h. als Waren, nicht als Gebrauchswerte. Diese Phase reicht von den ersten Anfängen der Produktion für den Austausch bis herab in unsre gegenwärtige Zeit; sie erlangt ihre volle Entwicklung erst unter der kapitalistischen Produktion, d. h. unter Bedingungen, wo der Kapitalist, der Eigentümer der Produktionsmittel, gegen Lohn Arbeiter beschäftigt, Leute, die aller Produktionsmittel, ihre eigne Arbeitskraft ausgenommen, beraubt sind, und den Überschuß des Verkaufspreises der Produkte über seine Auslagen einsteckt.« (»Einleitung zur englischen Ausgabe der ›Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft‹«, Marx/Engels, Werke, Bd. 22, S. 291)

Bei der Warenproduktion geht es um die Produktion von Tauschwerten für den Verkauf. Waren sind solche Gebrauchsgegenstände, die einem Käufer übertragen werden. Das geschieht im Kapitalismus durch den Austausch von Ware gegen Geld.

Im Kapitalismus wird auch die Arbeitskraft des Menschen zur Ware, indem die Arbeiter ihre Arbeitskraft an die Kapitalisten verkaufen. Wie bei jeder Ware ist ihr Wert bestimmt durch die zu ihrer Produktion und Reproduktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, also durch den Wert der Lebensmittel, die zur Produktion und Reproduktion dieser Arbeitskraft notwendig sind. Die Kontinuität der kapitalistischen Produktion setzt aber Fortpflanzung voraus, so dass die »durch Abnutzung und Tod dem Markt entzogenen Arbeitskräfte … beständig ersetzt werden. Die Summe der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel schließt also die Lebensmittel der Ersatzmänner ein, d. h. der Kinder der Arbeiter …« (»Das Kapital, Erster Band«, Marx/Engels, Werke, Bd. 23, S. 186)

Die Arbeitskraft ist aber nicht nur rein physischer Natur. Besonders heute, im Zeitalter der Mikroelektronik, ist ein hohes Bildungs- und Ausbildungsniveau erforderlich. In der Lean Production werden von den Arbeitern schöpferisches Denken und eigenverantwortliches Handeln, Sprachkenntnisse, kommunikative Fähigkeiten und dergleichen mehr verlangt. Die menschliche Arbeitskraft ist also auch umso mehr wert, je mehr an Mitteln für Bildung und Ausbildung verbraucht und je mehr Zeit dafür verwendet wurde.

Die menschliche Arbeitskraft ist eine ganz besondere Ware. Sie ist eine Wert schaffende Kraft, Quelle von Wert. Sie kann mehr Wert produzieren, als sie selbst besitzt. So brauchen die Arbeiter nur einen Teil des Arbeitstags, um den Gegenwert ihres Arbeitslohns zu produzieren. Den anderen Teil des Tages arbeiten sie unbezahlt und schaffen Mehrwert für den Kapitalisten:

»Die kapitalistische Produktion ist nicht nur Produktion von Ware, sie ist wesentlich Produktion von Mehrwert. Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern für das Kapital. Es genügt daher nicht länger, daß er überhaupt produziert. Er muß Mehrwert produzieren. Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient.« (ebenda, S. 532)

Die Arbeiter sind aber nicht nur wesentliche Produktivkraft in der Warenproduktion, sondern zugleich die entscheidenden Konsumenten. Produktion und Konsumtion von Waren werden im gesellschaftlichen Prozess der Arbeit identisch. Karl Marx führte über den dialektischen Prozess von Konsumtion und Produktion im Arbeitsprozess aus:

»Die Arbeit verbraucht ihre stofflichen Elemente, ihren Gegenstand und ihr Mittel, verspeist dieselben und ist also Konsumtionsprozeß. Diese produktive Konsumtion unterscheidet sich dadurch von der individuellen Konsumtion, daß letztere die Produkte als Lebensmittel des lebendigen Individuums, erstere sie als Lebensmittel der Arbeit, seiner sich betätigenden Arbeitskraft, verzehrt. Das Produkt der individuellen Konsumtion ist daher der Konsument selbst, das Resultat der produktiven Konsumtion ein vom Konsumenten unterschiednes Produkt.« (ebenda, S. 198)

In der Identität von kapitalistischer Produktion und Konsumtion gesellschaftlicher Arbeit erscheint die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens in der kapitalistischen Gesellschaft. Produktion von Waren ist zugleich Konsumtion menschlicher Arbeit und individuelle Konsumtion von Waren fällt zusammen mit der Produktion menschlicher Arbeitskraft. Beide stehen in wechselseitiger Abhängigkeit: Ohne Produktion keine Konsumtion und umgekehrt. Produktion und Konsumtion verwandeln sich ineinander: So vollendet die Konsumtion die Produktion, und die Produktion erzeugt neue Bedürfnisse für die Konsumtion.

Der Verbrauch menschlicher Arbeit ist im Kapitalismus nicht nur die Grundlage für Produktion und Reproduktion des Lebens der Arbeiter, sondern auch die für das Leben der Kapitalisten. Dazu schrieb Karl Marx:

»Die produktive und die individuelle Konsumtion des Arbeiters sind also total verschieden. In der ersten handelt er als bewegende Kraft des Kapitals und gehört dem Kapitalisten; in der zweiten gehört er sich selbst und verrichtet Lebensfunktionen außerhalb des Produktionsprozesses. Das Resultat der einen ist das Leben des Kapitalisten, das der andern ist das Leben des Arbeiters selbst.« (ebenda, S. 596/597)

In der kapitalistischen Gesellschaft ist die Produktion von Lebensmitteln für den Austausch die bestimmende Seite in der Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Die kapitalistische Lohnarbeit und ihre Aneignung durch die Kapitalisten ist ihre wesentliche Basis.

Bürgerliche und kleinbürgerliche Kritik am doppelten Produktionsbegriff

Das Buch von Friedrich Engels »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats« wurde von Lenin als »eines der grundlegenden Werke des modernen Sozialismus« hervorgehoben, »worin man zu jedem Satz Vertrauen haben, worin man sich darauf verlassen kann, daß kein einziger Satz aufs Geratewohl ausgesprochen, daß jeder auf der Grundlage eines riesigen historischen und politischen Materials niedergeschrieben ist.« (»Über den Staat«, Lenin, Werke, Bd. 29, S. 463 – Hervorhebung Red. RW) Es ist eine hervorragende Anleitung für die Aneignung der materialistischen Geschichtsauffassung und ihre Anwendung auf die gesetzmäßige Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens. Gerade die Eindeutigkeit seiner Aussagen und Verallgemeinerungen rief bei den Theoretikern des Revisionismus heftigen Widerspruch hervor. So behauptete der sozialdemokratische Historiker Heinrich Cunow:

»Eine Entwicklung der Menschenproduktion, die der Entwicklung der Lebensmittelproduktion entspricht, gibt es nicht … Nicht die beim Zeugungs- und Geburtsakt beobachteten Gebräuche bestimmen das Gesellschaftsleben, sondern umgekehrt: aus dem Gesellschaftsleben ergeben sich die betreffenden Gebräuche.

Das ist so klar, wenigstens für einen jeden, der die Marxsche materialistische Geschichtsauffassung begriffen hat, daß es fast unverständlich scheint, wie Engels die ›Menschenerzeugung‹ als selbständigen Entwicklungsfaktor der Wirtschaftsentwicklung koordinieren konnte.« (»Die Marxsche Geschichts-, Gesellschafts- und Staatstheorie«, II. Bd., Buchhandlung Vorwärts, Berlin 1921, S. 140/41)

Cunow spielt sich hier als Verteidiger der materialistischen Geschichtsauffassung auf, um davon abzulenken, dass er selber den Marxismus angreift. Es ist vollkommen realitätsfremd, wenn er den dialektischen Zusammenhang von Lebensmittelproduktion und »Menschenproduktion« leugnet. Für was werden denn die Lebensmittel gebraucht, wenn nicht für die Erhaltung und Fortpflanzung des menschlichen Lebens? Und ist nicht umgekehrt die Entwicklung des menschlichen Lebens aufs engste verknüpft mit immer neuen Bedürfnissen und der Höherentwicklung der Produktion von Lebensmitteln?

Karl Kautsky schloss sich wie Eduard Bernstein und andere namhafte Revisionisten dem Kern der Kritik Cunows an:

»Wenn wir annehmen, daß die an den Geschlechtsverkehr anknüpfenden gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrem Entstehen und ihren Wandlungen nicht durch die Wandlungen der Technik oder der Ökonomie, sondern durch einen anderen, noch unbekannten Faktor bestimmt werden, so durchbrechen wir damit die Einheitlichkeit der materialistischen Geschichtsauffassung. Darin muß ich Cunow zustimmen«. (»Die materialistische Geschichtsauffassung«, Bd. 1, Dietz Verlag, Berlin 1927, S. 849/850)

Als ob es keine anderen materiellen Faktoren in der Entwicklung der Gesellschaft gäbe als Technik und Ökonomie! In der Urgesellschaft hatte zum Beispiel das gewachsene Bewusstsein der Menschen über die biologischen Zusammenhänge bei ihrer Fortpflanzung Rückwirkungen sowohl auf die Entwicklung der Familie wie auch auf die der Arbeitsproduktivität. Die Menschen gingen schrittweise dazu über, die Fortpflanzung unter Blutsverwandten zu vermeiden, und begannen mit der Zähmung von wilden Tieren und der Züchtung von Haustieren. Sie fingen an, die Natur zu begreifen und ihre Gesetze zweckmäßig zur Höherentwicklung der Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens anzuwenden. Darin kam die Höherentwicklung der dialektischen Einheit von Mensch und Natur zum Ausdruck.

Bei der Betrachtung der gesellschaftlichen Revolution von der Urgesellschaft zur Klassengesellschaft der modernen Zivilisation fand Engels zum Beispiel heraus:

»Je weniger die Arbeit noch entwickelt ist, je beschränkter die Menge ihrer Erzeugnisse, also auch der Reichtum der Gesellschaft, desto überwiegender erscheint die Gesellschaftsordnung beherrscht durch Geschlechtsbande. Unter dieser, auf Geschlechtsbande begründeten Gliederung der Gesellschaft entwickelt sich indes die Produktivität der Arbeit mehr und mehr; mit ihr Privateigentum und Austausch, Unterschiede des Reichtums, Verwertbarkeit fremder Arbeitskraft und damit die Grundlage von Klassengegensätzen: neue soziale Elemente, die im Lauf von Generationen sich abmühen, die alte Gesellschaftsverfassung den neuen Zuständen anzupassen, bis endlich die Unvereinbarkeit beider eine vollständige Umwälzung herbeiführt.« (Marx/Engels, Werke, Bd. 21, S. 28 – Hervorhebung Red. RW)

In einem Brief an Marx unterstreicht Engels 1882 seine Ansicht, dass in der Urgesellschaft noch nicht in erster Linie die Art der Produktion für die Entwicklung der Gesellschaft bestimmend war, sondern der Grad der Auflösung der Geschlechtsbande:

»Um endlich mit der Parallele zwischen Tacitus’ Germanen und amerikanischen Rothäuten ins reine zu kommen, habe ich mir den ersten Band von Deinem Bancroft gelind exzerpiert. Die Ähnlichkeit ist in der Tat um so überraschender, als die Produktionsweise so grundverschieden – hier Fischer und Jäger ohne Viehzucht und Ackerbau, dort Wanderviehzucht übergehend in Ackerbau. Es beweist eben, wie auf dieser Stufe die Art der Produktion weniger entscheidend ist als der Grad der Auflösung der alten Blutbande und der alten gegenseitigen Gemeinschaft der Geschlechter (sexus) im Stamm.« (Marx/Engels, Werke, Bd. 35, S. 125 – Hervorhebung Red. RW)

Die Art des Zusammenlebens war in der Urgesellschaft also die bestimmende materielle Bedingung für die gesellschaftliche Entwicklung. Das konnte auf dieser niedrigen Entwicklungsstufe der Produktion von Lebensmitteln gar nicht anders sein. Die Art des Zusammenlebens in der Urgesellschaft stellte die wesentlichen Anforderungen an die Höherentwicklung des menschlichen Bewusstseins. Das bestätigen neuere wissenschaftliche Forschungen, wonach die Entwicklung des Gehirns bei den früheren Menschen nicht allein aus der unmittelbaren Nahrungsbeschaffung resultiert:

»Am Anfang unserer Überlegungen über die Wurzeln des menschlichen Bewußtseins stand die Frage, warum höhere Primaten intelligenter sind, als es die alltägliche Bewältigung ihrer praktischen Angelegenheiten erfordert. Die Antwort ergibt sich nach meiner Vorstellung aus den hohen intellektuellen Anforderungen bei den sozialen Wechselwirkungen der Primaten.« (Als Primaten gelten in der Biologie Halbaffen, Affen und als höchste Stufe der Mensch – Red. RW.) (Richard Leakey/Roger Lewin, »Der Ursprung des Menschen«, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1998, S. 297)

Erst mit der Höherentwicklung des menschlichen Zusammenlebens entwickelte sich sprunghaft die Lebensmittelproduktion und wurden durch die größere Zahl von Menschen, die gemeinschaftlich zusammenlebten, umfassendere und neue Bedürfnisse erzeugt.

Als eine Entwicklungsstufe der Arbeit erreicht war, die gesellschaftlichen Reichtum an Lebensmitteln hervorbrachte, da konnte die urkommunistische Gesellschaft nicht weiter existieren. Entscheidende Grundlage der sozialen Beziehungen in der jetzt entstehenden Klassengesellschaft wurden das Privateigentum und die damit verbundenen Eigentumsverhältnisse. Zugleich aber behielten die Verwandtschaftsbande eine bestimmte Funktion und spielten im Leben der Menschen eine mehr oder weniger wichtige Rolle, zum Beispiel bei Versorgungsansprüchen, im Erbrecht usw. Aber in der Klassengesellschaft sind die Verwandtschaftsverhältnisse den Eigentumsverhältnissen untergeordnet, dienen ihrer Erhaltung und Festigung.

Die Revisionisten Cunow, Kautsky und Bernstein griffen die von Marx und Engels begründete Politische Ökonomie des Marxismus in zweifacher Hinsicht an:

Erstens leugneten sie den doppelten Produktionsbegriff, nach dem die Produktion und Reproduktion des menschlichen Lebens Bestandteil der Basis jeder Gesellschaft ist. Das hat ein Motiv: Wenn es die von Engels formulierte Dialektik in der doppelten Art der Produktion und Reproduktion nicht gäbe und stattdessen nur das bloße Abbild der Verhältnisse der Lebensmittelproduktion in den Lebensverhältnissen der Menschen, dann könnte es auch nichts wesentlich anderes geben als die Ausbeutergesellschaft, in der alles der Warenproduktion unterworfen ist. Dann könnte es auch keine Gesellschaft geben, in der die allseitige Befriedigung der materiellen und geistigen Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt steht. Einziges Ziel der Revisionisten ist es, durch einzelne Reformen für die arbeitende Bevölkerung auf die revolutionäre Umgestaltung der kapitalistischen Lebensverhältnisse zu verzichten. Als letzter Grund der revisionistischen Kritik an Engels bleibt die Aussöhnung mit der kapitalistischen Gesellschaft und damit der Verrat am Sozialismus.

Zweitens behaupten sie einen platten mechanischen Zusammenhang von ökonomischer Basis und politischem Überbau als einfache Kausalität von Ursache und Wirkung. Kautskys Forderung nach »Einheitlichkeit der materialistischen Geschichtsauffassung« entpuppt sich bei genauem Hinsehen als purer Ökonomismus. Friedrich Engels schrieb 1890 in einem Brief an Joseph Bloch:

»Nach materialistischer Geschichtsauffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens. Mehr hat weder Marx noch ich je behauptet. Wenn nun jemand das dahin verdreht, das ökonomische Moment sei das einzig bestimmende, so verwandelt er jenen Satz in eine nichtssagende, abstrakte, absurde Phrase. Die ökonomische Lage ist die Basis, aber die verschiedenen Momente des Überbaus … üben auch ihre Einwirkung auf den Verlauf der geschichtlichen Kämpfe aus und bestimmen in vielen Fällen vorwiegend deren Form. Es ist eine Wechselwirkung aller dieser Momente, worin schließlich durch alle die unendliche Menge von Zufälligkeiten … als Notwendiges die ökonomische Bewegung sich durchsetzt.« (Marx/ Engels, Werke, Bd. 37, S. 463).

Man kann das System der Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens nur begreifen, wenn man von der Dialektik in den allseitigen Wechselbeziehungen von Basis und Überbau in jeder Gesellschaft ausgeht. Engels’ Kritiker sind daran gescheitert, weil sie mit der metaphysisch-idealistischen Methode herangingen.

Lenin verteidigte den doppelten Produktionsbegriff ausdrücklich gegen die »Volksfreunde« und entlarvte den »ökonomischen Materialismus« als eine Widerspiegelung der bürgerlichen Ideologie:

»Zweitens, meint unser Philosoph, sei die Kindererzeugung kein ökonomischer Faktor. Wo aber haben Sie bei Marx oder Engels gelesen, daß sie unbedingt von ökonomischem Materialismus sprechen? Bei der Charakterisierung ihrer Weltanschauung haben sie diese einfach als Materialismus bezeichnet. Ihre Grundidee … bestand darin, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse in materielle und ideologische zerfallen … Wie denn, glaubt Herr Michailowski am Ende, die Verhältnisse bei der Kindererzeugung gehörten zu den ideologischen?« (»Was sind die ›Volksfreunde‹ …?«, Lenin, Werke, Bd. 1, S. 142/143)

Der »ökonomische Materialismus« gehört zur weltanschaulichen Grundlage der bürgerlichen Ökonomie. Lenin kennzeichnete den Unterschied zwischen bürgerlicher und marxistischer Theorie und Methode in der Politischen Ökonomie:

»Wo die bürgerlichen Ökonomen ein Verhältnis von Dingen sahen (Austausch von Ware gegen Ware), dort enthüllte Marx ein Verhältnis von Menschen(»Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus«, Lenin, Werke, Bd. 19, S. 6)

Lenin kritisierte auch ausdrücklich die Einengung des Anwendungsgebiets der marxistischen Politischen Ökonomie auf die Warenproduktion. In seiner Schrift »Bemerkungen zu Bucharins Ökonomik der Transformationsperiode« notierte er zur These Bucharins »Die politische Ökonomie erforscht daher die Waren-Wirtschaft« ein deutliches »nicht nur!« und kritisierte Bucharins Auffassung als »Schritt zurück gegenüber Engels«. (Nikolai Bucharin, »Ökonomik der Transformationsperiode«, mit Randbemerkungen von Lenin, Moskau 1929, Dietz Verlag, Berlin 1990, S. 26 – Hervorhebung im Original)

Es widerspiegelt einen Einfluss der bürgerlichen Theorie und Methode in der Politischen Ökonomie der alten internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung, wenn auch verschiedene Propagandisten der KPD den revisionistischen Kritiken Cunows an Engels eine gewisse Berechtigung einräumten. Im Vorwort zu seiner Schrift »Urkommunismus und Urreligion« verkündete Heinrich Eildermann 1921: »Engels sowohl wie Cunow irrten in dem Punkte, daß sie die Erzeugung von Menschen als ein die Geschichte in letzter Instanz bestimmendes Moment betrachteten. Die Familie wie alle Verwandtschaftsorganisation ist, soweit sie ein die soziale Entwicklung bestimmendes Faktum bildet, eine rein ökonomische Einrichtung.« (A. Seehof & Co. Verlag, Berlin 1921, S. 8 – Hervorhebungen Red. RW)

In der Zeitschrift der Kommunistischen Internationale erschien 1932 ein Artikel des sowjetischen Autors Ladislaus Rudas, in dem er verschiedene Kritiken am doppelten Produktionsbegriff ausführlich widerlegte:

»Will man glauben machen, daß Engels die Produktion der Menschen und die Produktion der Güter trennte, daß er der Meinung war, sie liefen vollständig unabhängig, miteinander in keinerlei Wechselwirkung tretend, nebeneinander her und bildeten in dieser Weise die Grundlage der gesellschaftlichen Entwicklung? Man lese sein Buch ›Der Ursprung der Familie‹. Jede Zeile ist hier der Darlegung gewidmet, wie diese zwei Momente der Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens in beständiger Wechselwirkung stehen, bis die entwickelte materielle Produktion der Güter mit der Zivilisation die Geschlechtsverbände endgültig in den Hintergrund drängt.« (»Wie Engels von der bürgerlichen ›Wissenschaft‹ widerlegt wird«, in: »Unter dem Banner des Marxismus«, Jahrgang VI, Heft 1/1932, Verlag für Literatur und Politik, Berlin 1932, S. 52/53)

Der letzte Halbsatz erweckt allerdings den falschen Eindruck, als würde das Gesetz der Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens in den Klassengesellschaften nicht mehr gelten, weil die Geschlechtsbande in den Hintergrund gedrängt wurden. Das zeigt, dass diese Auseinandersetzung in der kommunistischen Bewegung nicht zu Ende geführt worden war.

1943 merkten sowjetische Autoren in der offiziell autorisierten Ausgabe der Marx/Engels Werke in einer Fußnote zu Engels’ Definition der doppelten Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens an:

»Hier ist Engels eine Ungenauigkeit unterlaufen, insofern als er die Fortpflanzung der Gattung und die Erzeugung von Existenzmitteln nebeneinanderstellt als die Bedingungen, die die Entwicklung der Gesellschaft und der gesellschaftlichen Einrichtungen bestimmen. In seinem Werk ›Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats‹ zeigt jedoch Engels selbst an Hand der Analyse des konkreten Materials, daß die materielle Produktionsweise der Hauptfaktor ist, der die Entwicklung der Gesellschaft und der gesellschaftlichen Einrichtungen bedingt.« (Fußnote zu Engels’ Vorwort zur ersten Auflage von »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats« von 1884, Marx/Engels, Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Bd. 2, Berlin 1955, S. 160)

Für Marx und Engels waren jedoch der Erhalt und die Fortpflanzung der Gattung und die Erzeugung von Lebensmitteln stets nur zwei Seiten im dialektischen Entwicklungsprozess des menschlichen Lebens, wobei einmal die eine und einmal die andere Seite in den Vordergrund rückt.

In der Klassengesellschaft ist eindeutig die Warenproduktion zur charakteristischen Seite dieser dialektischen Wechselbeziehung geworden. In der künftigen klassenlosen Gesellschaft wird dagegen der kommunistische Mensch, das in jeder Beziehung gesellschaftliche Leben der klassenlosen Gesellschaft, im Mittelpunkt der Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens stehen. Es ist eine scheinbare Rückkehr der urkommunistischen Lebensverhältnisse auf höherer Grundlage. Im REVOLUTIONÄREN WEG 19 heißt es zu den Voraussetzungen für diese kommunistische Gesellschaft:

»Diese höhere Phase der kommunistischen Gesellschaft hat jedoch zwei elementare Voraussetzungen, die in enger, gegenseitiger Abhängigkeit stehen: erstens ein hohes Niveau der Entwicklung der Produktivkräfte und einen damit verbundenen Reichtum der Gesellschaft, der es zuläßt, die Bedürfnisse aller zu befriedigen, und zweitens ein hochentwickeltes sozialistisches Bewußtsein der Menschen, für die die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben ist, sondern der bewußte Einsatz für das Gemeinwohl der ganzen Gesellschaft.« (Willi Dickhut, »Der staatsmonopolistische Kapitalismus in der BRD«, Bd. II, Stuttgart 1979, S. 509)

Die KPdSU gab 1954 ein Lehrbuch der Politischen Ökonomie heraus. Es wurde auf Grundlage einer breiten Diskussion in der Partei im November 1951 zusammengestellt und von Stalin ausdrücklich gutgeheißen. Es gibt zweifellos eine gute Anleitung für die Aneignung der von der Politischen Ökonomie des Marxismus-Leninismus ermittelten Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen und sozialistischen Produktionsweise. Aber es enthält auch Einseitigkeiten und Mängel, die mit der Leugnung des doppelten Produktionsbegriffs von Marx und Engels zusammenhängen. In dem Lehrbuch ist zum Beispiel folgende Definition zu lesen:

»Somit ist die .«