Cover

Table of Contents

Über dieses Buch

[Titelei]

[Frontispiz]

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

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Impressum

Über dieses Buch

Ins sonnenbeschienene Nizza hat sich Albert Guittard zurückgezogen, um die Freuden des Ruhestands, die Liebe und die Künste, zu genießen. Eines nur steht ihm im Wege: er selbst. Als eine Art Woody Allen der späten zwanziger Jahre, als stets unzufriedener Neurotiker nämlich, ist er an den Stätten des gepflegten Müßiggangs durchaus nicht in seinem Element. Schnell wird ihm denn auch das gesellschaftliche Parkett galanter Causerie und amouröser Unverbindlichkeiten zur gefährlichen Rutschbahn. Im verzweifelten Bemühen um leichtfüßige Souveränität schlittert Guittard von peinlicher zu noch peinlicherer Situation und verwickelt dabei einen Reigen angebeteter – und austauschbarer – Damen in einen wilden Eiertanz.

Mit erzählerischer Raffinesse und »unvergleichlichem Sinn für die Metamorphosen des Gemüts« (Süddeutsche Zeitung) zeichnet Emmanuel Bove das Bild eines an grotesker Fehleinschätzung seiner selbst leidenden Mannes.

»Bove ist ein grausamer Erzähler. Seine unbarmherzigen Charakterstudien beziehen ihre Dynamik aus dem Gefälle zwischen dem Bild, das sich die Helden von sich selbst machen, und dem, das der Erzähler von ihnen gibt. Verbunden mit dem genauen, nüchternen Blick auf die Umgebung der Helden, entsteht dabei in allen Büchern ein so präzises Geflecht alltäglichen Erlebens, dass sich darin auch noch unsere heutigen Erfahrungen verfangen.« (Michael Althen in der Süddeutschen Zeitung vom 13. November 1990)

Mehr zum Autor und seinem Werk unter www.emmanuelbove.de

Der Autor

1898 als Sohn eines russischen Lebemanns und eines Luxemburger Dienstmädchens in Paris geboren, schlug sich Emmanuel Bove mit verschiedenen Arbeiten durch, bevor er als Journalist und Schriftsteller sein Auskommen fand. Mit seinem Erstling »Meine Freunde« hatte er einen überwältigenden Erfolg, dem innerhalb von zwei Jahrzehnten 23 Romane und über 30 Erzählungen folgten.

Nach seinem Tod 1945 gerieten der Autor und sein gewaltiges Œuvre in Vergessenheit, bis er in den siebziger Jahren in Frankreich und in den achtziger Jahren durch Peter Handke für den deutschsprachigen Raum wiederentdeckt wurde. Heute gilt Emmanuel Bove als Klassiker der Moderne.

Der Übersetzer

Georges Hausemer, 1957 in Differdingen (Luxemburg) geboren, pendelt als Schriftsteller, Übersetzer und Zeichner zwischen Luxemburg, einem Dorf in der Nordeifel und San Sebastián. Neben Romanen, Erzählungen, Reisereportagen und Büchern zu kulinarischen Themen liegen zahlreiche Übersetzungen aus dem Französischen, Englischen und Spanischen ins Deutsche und Luxemburgische von ihm vor, u. a. Werke von Brigitte Aubert, Emmanuel Bove, Emmanuel Carrère, Régine Deforges, Régine Detambel, Maxence Fermine, Felicitas Hoppe und B. J. Novak.

Ein Junggeselle

Roman

Aus dem Französischen
von Georges Hausemer

Edition diá

1. Kapitel

Seit dem Mittagessen war Albert Guittard unzufrieden mit sich. Dabei war er guter Laune vom Tisch aufgestanden. Sollte er nicht Monsieur und Madame Penner gegen siebzehn Uhr einen Besuch abstatten? Aber es hatte sich ein kleiner, unangenehmer Zwischenfall ereignet, an den wir kurz erinnern möchten, um den Charakter dieses sonderbaren Mannes zu erhellen. Er war gerade vom Tisch aufgestanden und wollte seinen Mittagsschlaf halten, als es am Gartentor klingelte. Obwohl er auf die fünfzig zuging und Junggeselle war, war Monsieur Guittard noch lange kein alter Knabe, der es nicht ertragen konnte, gestört zu werden. So wartete er einen Augenblick, um zu sehen, wer ihn besuchen wollte, bevor er sein Arbeitszimmer betrat, wo er sich bis gegen vier Uhr auf einer Couch auszuruhen pflegte. Nach knapp einer Minute teilte das Hausmädchen ihm mit, dass ein gewisser Monsieur Bourrette im Salon wartete.

»Bourrette?«, fragte Guittard, dem dieser Name nichts sagte.

»Ja genau, Monsieur.«

»Bourrette? Sind Sie sicher, den Namen richtig verstanden zu haben?«

»Bourrette, ja genau, Bourrette … Monsieur.«

»Hat dieser Monsieur Bourrette Ihnen nicht gesagt, was er von mir will, oder wer ihn geschickt hat?«

»Ich habe nicht danach gefragt, Monsieur.«

»Nun, dann gehen Sie und fragen Sie ihn. Ich kenne ihn nicht und wüsste auch nicht, warum ich ihn empfangen sollte. Wie sieht er denn aus?«

»Er ist ein Mann mittleren Alters.«

»Nun, ich meinte, wie er aussieht?«

»Ich weiß nicht, Monsieur. Irgendwie ganz normal. Er trägt eine Aktentasche unter dem Arm.«

»Was bedeutet das schon, dass er eine Aktentasche unter dem Arm trägt? Lassen Sie sich seine Visitenkarte geben und fragen Sie ihn, wer er ist. Und richten Sie ihm auch noch von mir aus, die Höflichkeit erfordert es, dass man den Zweck seines Besuches angibt, wenn man zu Leuten kommt, die man nicht kennt. Sagen Sie ihm das von mir. Es wird ihm eine Lehre sein.«

Kaum hatte die Hausangestellte sich entfernt, da befürchtete er, sie könnte vor dem unschuldigen Besucher tatsächlich die Worte wiederholen, die er allein in der Absicht ausgesprochen hatte, seiner schlechten Laune, die er eigentlich gar nicht hatte, Luft zu machen. Er gefiel sich bloß darin, so zu tun. Allerdings verbot ihm seine Selbstachtung, die Frau zurückzurufen. Mit uneingestandener Verlegenheit murmelte er etwas vor sich hin, damit er, falls es in der Tat zu Unannehmlichkeiten käme, wütend genug wäre, um die Stimme anschwellen zu lassen und nicht wankelmütig zu erscheinen. So wartete er auf die Rückkehr des Hausmädchens. Nach wenigen Sekunden erschien sie wieder und hielt ihm die Visitenkarte des Unbekannten hin. Albert Guittard warf einen Blick darauf: Emile Bourrette, 14, Square Lamballe, Nizza.

»Ist das alles?«, fragte Monsieur Guittard. »Hat er Ihnen nicht gesagt, was er von mir will?«

»Doch, Monsieur. Er kommt vom Hospiz Montvermeil.«

»Na und?«

»Vermutlich erwartet man von Monsieur, wie von allen Wintergästen, eine kleine Spende für die Armen.«

»Aber ich bin doch kein Wintergast. Wenn man seit vier Jahren in der Stadt lebt, kann man doch als Bürger dieser Stadt angesehen werden. Gehen Sie und sagen Sie ihm, dass ich kein Wintergast bin und dass ich es nicht nötig habe, um Almosen angebettelt zu werden. Ich weiß, was ich zu tun habe.«

Albert Guittard war nervös. Als er eine Stunde später mit mehr Gelassenheit über diesen Zwischenfall nachdachte, fand er keinen Grund für sein Benehmen. Er war eigentlich ein eher sanfter Mensch. Nur kam es leider oft vor, dass er sich, wie ein verwöhntes Kind, über belanglose Kleinigkeiten aufregte. Geringfügige Ereignisse aufzubauschen und einen banalen Besuch als Hausfriedensbruch hinzustellen, war eine willkommene Abwechslung in seinem eintönigen Leben. Übrigens bereute er sein Verhalten sofort wieder, nachdem Monsieur Bourrette gegangen war. Aus einem Schuldgefühl heraus und aus Angst, seine Weigerung, sich an einem Wohltätigkeitswerk zu beteiligen, könnte an höherer Stelle missverstanden werden und ihm unnötigen Ärger einbringen, beschloss er, seinen Fehler wiedergutzumachen. Kurze Zeit später ließ er dem Hospiz von Montvermeil einen Scheck überbringen. Nach Beendigung seines Mittagsschläfchens hatte er den Zwischenfall wieder vergessen und dachte nur noch an den Besuch, den er Madame und Monsieur Penner abstatten sollte.

Einem glücklichen Zusammentreffen mehrerer Umstände, auf die wir an dieser Stelle nicht näher eingehen können, war es zu verdanken, dass Albert Guittard sich vor gut zehn Jahren als vermögender Mann zur Ruhe setzen konnte. Er hätte noch reicher werden können, wenn er es gewollt hätte, denn als er einem seiner Neffen sein Geschäft überließ, lief dieses so gut wie nie zuvor. Aber als kluger Mann, für den er sich hielt, ahnte Guittard, dass das Leben nicht einzig und allein der Arbeit gewidmet sein sollte und dass es auf dieser Welt noch andere Freuden gäbe, die man auskosten müsste, bevor es zu spät war. Diese Freuden, das waren die Liebe, das waren die Künste. Das war das sanfte Gefühl, zu träumen. Von dem Tag an, wo er die Leitung seines Geschäfts aufgab, so hatte er geglaubt, präsentierten diese Freuden sich ihm in endloser Zahl, und seine erste Enttäuschung war die, dass nichts geschah. In der Nähe von Nizza kaufte er eine Villa, die er »Commodore« nannte, weil man von ihren Fenstern aus das Meer sehen und sie, mit ein wenig Phantasie, mit einem Kommodore vergleichen konnte, der den Ozean überwacht. Ohne Ehrgeiz, ohne Familie, träumte er nur noch davon, ein zartes Geschöpf zu heiraten, das Musik, Poesie und Malerei liebte und mit ihm die Welt bereiste. Er wünschte sich eine Frau in seinem Alter, die weder besonders hübsch noch eine gute Hausherrin sein musste. Er begehrte keine außergewöhnliche Schönheit, die seine Eitelkeit befriedigt hätte. Er wünschte sich lediglich, dass seine künftige Gefährtin Freude daran hätte, mit ihm zusammen zu sein. Ihm war nicht wichtig, bewundert, geliebt und umhegt zu werden. Also sah er sich mit größtmöglicher Uneigennützigkeit nach einer Ehefrau um. Und Madame Penner verkörperte in seinen Augen die ideale Ehefrau. Sie war etwas jünger als er, ihre großen blauen Augen gaben ihrem Gesicht jugendlichen Glanz, und ihre vorzeitig weiß gewordenen Haare schienen, im Gegensatz zu ihrem glatten, scheinbar sonnengebräunten Teint, von der frischen Luft und dem Licht gebleicht worden zu sein. Sie gefiel sich darin zu behaupten, sie habe in ihrem Leben viele Enttäuschungen erlebt und die Ehe sei nicht das, was sie sich als junges Mädchen darunter vorgestellt habe. Aber gleichzeitig bekundete sie eine gewisse Heiterkeit, eine gewisse Freude an Nebenbeschäftigungen, die ihre Worte auf sonderbare Weise widerlegten. Sie beschwor diesen Widerspruch ganz bewusst herauf, weil sie gerne auf ihn aufmerksam machte; denn seit Jahren hatte sie stets eine Antwort parat. So behauptete sie, man müsse sich seine eigene Philosophie zurechtlegen, das Leben geize trotz mancher Unannehmlichkeiten nicht mit den Stunden des Glücks, und man solle vor allem in schwierigen Zeiten an die Probleme denken, in die ein Freund geraten sei. Und überdies hatte Madame Penner die bezaubernde Fähigkeit, ihrem Gatten die Enttäuschungen, die er ihr bereitet hatte, nicht zu verbergen, sondern ihn frohgelaunt dafür verantwortlich zu machen, was ihn übrigens nicht im Geringsten zu berühren schien. Er war ein hagerer, gelbhäutiger, kahlköpfiger ehemaliger Oberst. Wenn er sich unterhielt, erwähnte er immer wieder die Jahre, die er in den Kolonien verbracht hatte. Man spürte, dass dieses Leben in den Tropen tiefe Spuren hinterlassen hatte und dass er die französischen Lebensgewohnheiten wie mit den Augen eines Indochinesen betrachtete. Da er, wenn er von Europa sprach, die Zeit um 1900 meinte, als er geheiratet hatte und sogleich nach Indochina aufgebrochen war, und es zwischen jener Epoche und heute eine große Lücke gab, klangen seine Worte etwas seltsam. Er schien, niemand wusste warum, Nachsicht verdient zu haben. Man verzieh ihm, dass er nichts vom Krieg wusste, dass er keine Ahnung hatte, wie schmerzlich diese vier Jahre gewesen waren. Seiner Frau schenkte er übrigens nicht die geringste Beachtung. Äußerte sie einen Wunsch, machte er keinerlei Anstalten, ihr diesen zu erfüllen, und dass er sich so wenig um seine Frau kümmerte, schockierte Albert Guittard am meisten. Er duldete nicht, dass jemand sich unhöflich benahm. Er glaubte von sich, ein großer Kenner des weiblichen Herzens zu sein, wenn er die Frauen in solchen Situationen bemitleidete; auch wenn er dies nicht offen zeigte, tat er es auf eine Weise, dass die Frauen einfach merken mussten, wie er sich um sie sorgte. Bei Madame Penner hatte er dies, aus Furcht vor ihrem Gatten, allerdings noch nicht zu tun gewagt, obwohl sein Verlangen danach unerträglich wurde. Seit langem schon wartete er auf eine günstige Gelegenheit. Aber jedes Mal, wenn er meinte, es wagen zu können, zögerte er so lange, bis die Gelegenheit vorbei war, noch bevor er irgendetwas unternommen hatte. Und um sich nicht selbst Vorwürfe machen zu müssen, redete er sich stets ein, dass die Gelegenheit gar keine gewesen sei. Dann litt er nur schweigend darunter, dass seine Angebetete so wenig respektiert wurde. Seine eigenen Geliebten hatte er stets umhegt, ihnen die kleinsten Wünsche erfüllt. Mit ihnen allen unterhielt er nach wie vor enge Beziehungen, und wenn er eine neue Eroberung machte, ließ er die Auserwählte immer als Allererstes wissen, dass er noch in Kontakt mit seinen früheren Freundinnen stand. Er hätte sich gewünscht, dass zum Beispiel Lili Menjoz oder Madame Laplante oder gar die kleine Josette Young Madame Penner etwas über seine Tugenden und sein Zartgefühl zuflüsterten. Er würde es übrigens nicht versäumen, sie darum zu bitten, falls der Zufall sie wieder nach Nizza führte. Ein einziges Mal nur hatte eine Frau ihn wie einen Heuchler und Komödianten behandelt. Bis heute erinnerte er sich an alle Details dieses Abenteuers. Es war eine schmerzliche Erinnerung. Diese Frau, die er am liebsten für immer vergessen hätte, erschien ihm tagtäglich als ein Musterbeispiel an Vulgarität.

Bevor er bei den Penners eintraf, die seit ihrer Rückkehr aus den Kolonien, das heißt seit zwei Jahren, eine Art provenzalisches Landhaus bewohnten, gelang es ihm nicht, die Erregung, die ihn ergriffen hatte, zu meistern. Er hielt mit seinem Wagen an einem Berghang und stieg aus, als wollte er sich vergewissern, dass alles in Ordnung sei. Er zündete sich eine Zigarette an und betrachtete die Landschaft, die sich vor seinen Augen bis zum Meer hin erstreckte.

»Ich benehme mich wie ein Primaner!«, dachte er. Er mochte diesen Ausdruck, doch falls es so aussah, als würde er ihn in einem abwertenden Sinn gebrauchen, tat er dies unbewusst. »Ich benehme mich wie ein Primaner auf dem Weg zum ersten Rendezvous mit seiner Geliebten. Das ist nun wirklich nicht der Fall.« Er lächelte zufrieden. Doch diese Selbstgefälligkeit war nur Schein. Sie diente ihm als Ansporn. Bevor er Madame Penner gegenübertreten konnte, musste er sich einreden, dass dieser Besuch für einen Mann, der längst kein Anfänger mehr war, ohne große Bedeutung sei.

Als er auf das Ehepaar Penner zuging, das gerade im Freien, auf der Terrasse, Tee trank, hatte er sich wieder in der Gewalt. Als Clotilde Penner ihn sah, rief sie erfreut:

»Wie nett, dass Sie gekommen sind, Monsieur Guittard! Eben bat mein Mann mich, bei Ihnen anzurufen, um Sie zu fragen, ob Sie uns wohl vergessen hätten. Wollen Sie bitte dort im Kolonialsessel Platz nehmen und eine Tasse Tee mit uns trinken.«

Monsieur Penner sah weder so erfreut aus, wie seine Frau von ihm anzunehmen schien, noch erweckte er den Eindruck eines Mannes, der sich nach einem seiner Freunde erkundigt hat. Er schaute seinen Gast über die Brille hinweg an, die er aufgesetzt hatte, um die Zeitung zu lesen, und sagte zu Clotilde:

»Frag nicht lange. Schenk Monsieur Guittard eine Tasse Tee ein.«

Statt sich zu erheben und seinem Gast die Hand zu reichen, begnügte er sich damit, ihm mit einer Geste zu verstehen zu geben, dass das eine überflüssige Formalität sei. Albert Guittard nahm neben Madame Penner Platz, und um irgendetwas zu sagen, fragte er sie, ob sie nicht zu sehr unter der Hitze leide. Ohne von seiner Zeitung aufzuschauen, antwortete ihr Mann an ihrer Stelle:

»Seit ich meine Frau kenne, behauptet sie, die Hitze sehr gut ertragen zu können. Sie wollen doch wohl nicht, dass sie sich darüber beklagt. Um sich nicht selbst zu widersprechen, ist sie jetzt gezwungen, sich bei senegalesischen Temperaturen wohlzufühlen. Am Nordpol würde sie die Kälte ebenso gut aushalten. Nicht wahr, mein Schatz, du erträgst alles bestens, die Hitze, die Kälte, deinen Mann?«

Madame Penner lächelte über diese Neckereien wie eine Frau, die alles, was ihr Mann sagt, für geistreich hält. Sein Lächeln, mehr noch als seine Worte, missfielen Guittard; nicht weil er Angst hatte, dass das Einverständnis, das zwischen den beiden Ehepartnern herrschte, ihn jeder Hoffnung beraubte, sondern weil er es unverständlich fand, dass eine zartfühlende Frau wie Clotilde sich nicht gegen eine solche Redeweise auflehnte. Seit drei Wochen hatte er sich vorgenommen, Madame Penner zu verteidigen, da sie es nicht selbst tat, aber er wusste nicht, wie er sich dabei anstellen sollte, was ihn genauso verärgerte. Wie damals, als er erfahren hatte, wo er ein seit Monaten gesuchtes Kunstobjekt finden könnte, und ihm mitten in der Nacht bewusst geworden war, dass er zu spät dort eintreffen würde.

Monsieur Penners Ungezwungenheit brachte ihn aus der Fassung. Hätte er doch nur das Recht gehabt, diesem unangenehmen Mann zu sagen, was er von ihm hielt, und Clotilde vor ihm in Schutz zu nehmen! In dieser für ihn vorteilhaften Situation hätte er ihr bestimmt gefallen. Der Drang, diesen Mann lächerlich zu machen, quälte ihn, aber gleichzeitig hielt ihn Angst davor zurück. Er hatte zudem das Gefühl, dass die Selbstsicherheit seines Rivalen nur auf dem Vertrauen in die Liebe seiner Frau beruhen konnte. Und genau dieses Vertrauen in eine Liebe, die er selbst hervorzurufen wünschte, war ihm widerwärtig. Aber all das spielte sich nur in seinem Innern ab. Nach außen hin gab sich Guittard äußerst zuvorkommend.

»Sie scheinen sich hier sehr zu langweilen«, sagte er zu dem Mann, den er verabscheute.

Immer wieder wandte sich Guittard auf diese Weise an Monsieur Penner, um ihm so zu verstehen zu geben, dass die Gegenwart seiner Frau ihm also nicht die geringste Freude bereitete. Aber der Ehemann schien nichts zu bemerken. Er antwortete:

»Gewaltig. Wenn wenigstens Clotilde etwas für mich tun würde!«

Er schaute sie an und lächelte, als wollte er sich bei ihr für seine Neckereien entschuldigen. Dann erhob er sich aus seinem Sessel, näherte sich seiner Frau, beugte sich über sie, um ihr einen Kuss zu geben. Vorwurfsvoll sah Guittard Clotilde an. Diese Gelegenheit wollte er nutzen, um sich zu vergewissern, dass sie ihn zumindest ein bisschen liebte, aber sie schien nichts zu bemerken. Nachdem auch sie ihrem Mann einen Kuss gegeben hatte, stieß sie ihn von sich und sagte:

»Ich bitte dich, Liebling, sei brav. Wir sind nicht allein.«

Dieser letzte Satz galt Guittard, der sich Mühe gab, nichts von seinen Gefühlen zu verraten. Erst nachdem Penner sich einige Schritte entfernt hatte, drehte er sich noch einmal um und sagte zu Guittard:

»Ich möchte mich kurz mit Ihnen unterhalten. Kommen Sie zu mir ins Büro, falls Ihnen das nichts ausmacht!«

Es klang so, als hätte sich der ehemalige Oberst rein zufällig daran erinnert, dass er seinem Gast etwas Vertrauliches mitzuteilen hatte.

Als Monsieur Penner gegangen war, atmete Guittard erleichtert auf. Seine Abneigung gegen den Kolonialbeamten war mit der Feindseligkeit zu vergleichen, die gewisse ältere Leute gegenüber denen verspüren, die ihre Einsamkeit stören. Alles, was dieser Mann tat, war ihm zuwider. Wenn er etwas sagte, kam ihm dies lächerlich vor. Wenn er seine Pfeife anzündete, tat er es mit ekelerregenden Fingern, und Guittard musste an den Speichel dieses Mannes denken. Guittards Abscheu vor Penner war so heftig, dass er den Eindruck hatte, nicht in seiner Nähe leben zu können. Alles widerte ihn an. Es genügte, dass er bewegungslos dastand, um in Guittard den Wunsch zu wecken, sich auf ihn zu stürzen und ihn in Stücke zu reißen, so sehr ärgerte ihn dessen Ruhe. Doch bewegte er sich, geriet Guittard in dumpfe Wut und wünschte sich, er möge aufhören, um ihn herumzutanzen. Es handelte sich um eine auf die Spitze getriebene Abneigung gegen ein Lebewesen, um eine Abneigung, die sich in Ekel verwandelte, sobald dieser Mann sich zufällig die Nase schnäuzte oder sein Gesicht berührte oder sein Jackett zurechtzog oder nur seine Fingernägel betrachtete. Am liebsten hätte er Clotilde ins Gesicht geschrien, dass sie einen solchen Mann unmöglich lieben könne. Er war überzeugt, dass sie die gleiche Abneigung in sich barg, und er brannte darauf, sich mit ihr über diesen Punkt zu einigen, Komplizen zu werden. Denn sein Hass war so groß, dass er sogar den Grund seiner Liebe gelegentlich aus dem Blick verlor und er Clotilde nur zu begehren glaubte, um sich an diesem Mann zu rächen. Er war überzeugt, dass Clotilde seine Liebe erwiderte, wenn er in der Lage wäre, seinen Hass nicht länger zu verbergen, sondern ihn offen zu zeigen, da er ja dann von niemandem mehr etwas zu befürchten hätte.

Als er mit Clotilde allein war, lächelte er sanft, sein Hass war wie verflogen.

»Sie sind sicher für die Schönheit dieses Abends empfänglicher als Ihr Gatte«, sagte er.

Es klang wie ein zaghaftes Kompliment, ohne einen im Geringsten gehässigen Ton gegenüber dem Abwesenden, wie eine bloße Feststellung, obwohl er nichts lieber getan hätte, als sich seine Feindseligkeit anmerken zu lassen.

»Wieso?«, fragte sie.

»Ich habe den Eindruck, dass Sie ihn ziemlich schlecht verstehen.«

»Aber überhaupt nicht.«

»Es war nur ein Eindruck … ein Eindruck …«, stotterte Guittard, der vor allem fürchtete, sich falsche Gefühle anmerken zu lassen, obwohl er sich gerade seine Schüchternheit zum Vorwurf machte.

»Ich dachte nur, dass Ihr Mann für diese weiblichen Empfindungen kein Verständnis hat«, fuhr er fort, »dass er eher ein Realist ist. Was, wie ich unbedingt hinzufügen möchte, kein Fehler ist. Vielleicht muss man sich so verhalten, um im Leben glücklich zu sein.«

Madame Penner machte eine ungläubige Miene. Sie sagte:

»Es ist tatsächlich kein Fehler, doch Sie möchten diese Eigenschaft bestimmt nicht besitzen.«

Guittard enthielt sich jedes weiteren Gedankens. Er war edelmütig genug, um nicht schwach zu werden, nur um bei seiner Gesprächspartnerin an Ansehen zu gewinnen. Selbst wenn er das schöne Gefühl hatte, dass man ihm auf die Schliche gekommen war, beharrte er darauf, wie von Anfang an weiterhin alles zu leugnen und auf diese Weise, ohne Bedauern, Vorteile zu opfern, die ihm ein verständnisvolles Lächeln oder gar ein Geständnis eingebracht hätten.

Sein Stolz war zu groß, als dass er auf seine Worte zurückgekommen wäre. Eher verzichtete er auf irgendeinen Nutzen, als sich zu widersprechen. Also blieb er trotz Madame Penners Ermutigung standhaft und kam unvermittelt auf ein anderes Thema. Denn er empfand keine Bedenken, plötzlich das Gesprächsthema zu wechseln und eine Meinungsverschiedenheit ungeklärt zu lassen. Clotilde ließ ihn nicht gewähren, sondern neckte ihn.

»Aber davon sprachen wir doch gar nicht«, sagte sie lächelnd. »Sie können doch nicht einfach das Thema wechseln.«