Der Geisterjäger 8 – Die Dämonenklinik

Der Geisterjäger –8–

Die Dämonenklinik

Roman von Andrew Hathaway

»Ich habe Sie zusammengerufen, weil wir dem Ziel nahe sind!«

Der Mann sprach sehr kultiviert und lächelte zu seinen Worten.

»Bald schon können wir zum großen Schlag ausholen. Unser ärgster Feind, Rick Masters, der Geisterdetektiv, wird blindlings in die Klinge laufen.«

Der Mann ließ triumphierend seine Blicke über die Versammelten schweifen. Um seinen Mund spielte ein böses Lächeln.

Eine der Frauen stand auf. »Wieso können Sie so sicher sein?« fragte sie kalt. »Rick Masters gilt als gefährlich!«

Der Sprecher musterte sie überlegen. »Er wird in die Falle gehen, weil wir einen unwiderstehlichen Köder haben. Den Menschen, der ihm am nächsten steht.«

»Und das wäre?« fragte einer der Männer gespannt.

Das böse Lachen vertiefte sich. »Hazel Kent, wer sonst?«

*

»Du bist mit deinen Gedanken sehr weit weg«, stellte Rick Masters mit einem verliebten Lächeln fest. »Denkst du an Bilanzen oder an einen anderen Mann?«

Er mußte einige Momente warten, ehe sich Hazel Kent wieder auf ihn konzentrierte.

»Entschuldige.« Sie griff über den Tisch hinweg nach seiner Hand und drückte sie. »Du hast recht, ich war in Gedanken weit weg.«

»Bilanzen oder anderer Mann?« wiederholte der Geisterdetektiv seine Frage. Er grinste zwar dazu, aber Hazel merkte, daß doch ein wenig die Eifersucht eine Rolle spielte.

Sie schüttelte heftig den Kopf, daß ihre schwarzen Haare flogen. »Weder – noch! Ich war im Wolkenkuckucksland, das heißt, ich habe an gar nichts gedacht, einfach vor mich hin geträumt. Das passiert mir übrigens in letzter Zeit sehr häufig.«

Rick Masters runzelte die Stirn. »Ich glaube, du hast dir zuviel zugemutet«, sagte er. »Du wirkst müde und überarbeitet.«

Sie saßen in Hazels Speisezimmer in ihrem Haus in Westminster. Das Essen war bereits zu Ende. Butler Seton hatte noch Mokka und Cognac gebracht. Die Lichter waren gedämpft, die Fenster standen offen. Ein warmer Maiwind blähte die Vorhänge aus kostbarem Stoff.

Es war himmlisch still im Haus, nur unterbrochen von Draculas unverschämt lautem Schnarchen. Dracula war Ricks vierbeiniger Begleiter, ein winziger Mischlingshund, den ihm Hazel Kent einmal zum Geburtstag geschenkt hatte. Er lag auf einem Sessel und schlief. Um die Probleme der Menschen kümmerte er sich im Moment gar nicht.

Dafür tat es Rick Masters. Er war froh, Hazel Kent nach langem Suchen nach einer geeigneten Partnerin gefunden zu haben. Als Besitzerin und Leiterin der Kent-Werke führte sie ein selbständiges Leben, so daß sie ihn und seinen Beruf ertrug. Vor ihr hatte es mehrere Frauen gegeben, die es nicht ausgehalten hatten, wie Rick Masters in seinem Beruf aufging.

Wenn nun etwas mit Hazel nicht stimmte, betraf es Rick genauso wie sie. Daher machte er sich wirklich Sorgen um sie.

»Du solltest ausspannen«, schlug er vor. »Nimm dir ein paar Tage Urlaub. Wenn du willst, kann ich dich begleiten. Ich habe im Moment nichts zu tun.«

Hazel blickte versonnen in die flackernden Kerzenflammen. Ein Lufthauch strich vom Fenster her über den dreiarmigen Leuchter auf dem Eßtisch.

»Ich glaube, du hast recht, Darling«, murmelte sie. »Wegfahren! Das wäre schön. Die Firma sein lassen. Eine gute Idee. Aber wenn ich mich erholen soll, dann ohne dich.«

Rick Masters war keinen Moment beleidigt oder verletzt. Er verstand Hazel sehr gut. Sie wollte sich absolut entspannen. Wäre er dabei gewesen, hätten sie doch ständig etwas gemeinsam unternommen.

»Du brauchst Ruhe und Abgeschiedenheit«, sagte er und sprang auf. »Warte, ich glaube, ich habe da etwas.«

Er verließ das Eßzimmer und kam zwei Minuten später mit einer vielfach zusammengefaltenen Tageszeitung wieder. Er breitete das großformatige Blatt aus, suchte eine Weile und tippte endlich auf eine Stelle im Annoncenteil.

»Hier, das ist es! Ist mir heute beim Frühstück aufgefallen, weil ein schönes Foto dabei ist. Exklusives Hotel-Sanatorium. Erholen und entspannen Sie sich in der gepflegten Atmosphäre eines erstklassigen Hotels, und genießen Sie gleichzeitig die diskrete und unaufdringliche Behandlung durch unsere Ärzte und unser bestens geschultes Personal. Wäre das nicht etwas für dich?«

In Hazels grauen Augen glomm Interesse auf. »Wo ist denn das?«

»Seagull Hotel in Dover«, antwortete der Geisterdetektiv. »Wäre doch etwas.«

Hazel Kent bewies, daß sie eine Frau der schnellen Entschlüsse war. Eine halbe Stunde später saß sie bereits in ihrem silbergrauen Rolls Royce, den sie selbst steuerte. In aller Eile hatte sie das Nötigste gepackt, sich telefonisch im Seagull Hotel in Dover angemeldet und alles so geregelt, daß die geschäftlichen Dinge für einige Zeit auch ohne sie liefen. Das Wochenende stand vor der Tür. Sie schrieben Freitag, den 5. Mai, und Hazel verabschiedete sich mit den größten Erwartungen für eine angenehme Zeit von ihrem Freund.

Rick blieb noch so lange vor dem Haus in Westminster stehen, bis der Rolls Royce um die Ecke bog. Dann erst ging er mit Dracula zu seinem eigenen Wagen.

Der Geisterdetektiv ahnte nicht, daß er seine Freundin in die Hölle auf Erden geschickt hatte.

*

Hazel Kent fuhr ruhig und gelassen, wie es sich für die Fahrerin eines Rolls Royce gehörte. Diesen Wagen konnte man ganz einfach nicht sportlich fahren. Zum Rasen war er ungeeignet.

Sie liebte diesen Wagen, soweit man das von einem Auto überhaupt behaupten konnte, und allein schon die Fahrt nach Dover entspannte sie.

Während sie das Radio einschaltete und gedämpfte Musik einstellte, lächelte sie still vor sich hin.

Sie freute sich, daß sie sich trotz schwerer Erlebnisse in der Vergangenheit eine gewisse Unbekümmertheit erhalten hatte. Andere Frauen – und natürlich auch Männer – in ihrer Position wären nie auf die Idee gekommen, einfach auszubrechen. Sie besaß schließlich die Verantwortung für die Kent-Werke, die sie vor einigen Jahren von ihrem verstorbenen Mann geerbt hatte.

Während der Fahrt nach Dover spulte sich ungewollt ihr Leben vor ihrem geistigen Auge ab. Sie erinnerte sich an die tristen Jahre nach dem Tod ihres Mannes, mußte daran denken, wie sie sich in die Arbeit gestürzt und sich durchgesetzt hatte. Und sie erinnerte sich daran, wie sie wieder aufgeblüht war, als sie Rick kennengelernt hatte.

Die Bekanntschaft mit dem Geisterdetektiv hatte sie schon oft in gefährliche Situationen gebracht. Durch sie konnte Rick erpreßt werden, konnte er in seinem Kampf gegen das Böse behindert werden.

Trotzdem wäre keiner von ihnen auf die Idee gekommen, diese Verbindung wieder zu lösen. Dafür war sie ihnen beiden zu kostbar.

Die Ankunft in Dover riß Hazel Kent aus ihren Überlegungen. Sie kannte sich in der Stadt gut aus, weil sie schon oft auf den Kontinent hinübergefahren war, aber das Seagull Hotel hatte sie noch nie gesehen.

Es war bereits spät nachts, in den Straßen sah man kaum Menschen. Die Sekretärin, mit der sie telefoniert hatte, war nicht gerade auskunftsfreudig gewesen. »Sie werden es schon finden«, hatte sie nur gesagt.

Nun sah sich Hazel nach einem Hinweisschild oder etwas Ähnlichem um, entdeckte jedoch nur eine Frau mittleren Alters, die soeben ihr Haus verließ und einen Hund spazierenführte.

Hazel hielt an, kurbelte die Seitenscheibe herunter und rief die Frau an.

»Verzeihung, können Sie mir sagen, wie ich zum Seagull Hotel komme?«

Die Frau zuckte erschrocken zusammen, aber erst als Hazel den Namen des Hotels aussprach. Sie sah sich ängstlich nach allen Seiten um.

»Kennen Sie den Weg oder nicht?« fragte Hazel mit leichter Ungeduld. Sie konnte sich das Verhalten der Frau nicht erklären.

»Immer an der Küste entlang, die schmale Straße.« Die Frau sprach so leise, daß Hazel sie kaum verstand. »Aber…«

Sie sah so aus, als wolle sie noch etwas hinzufügen, schwieg jedoch.

»Ja, was meinen Sie?« Hazel wurde es langsam zu bunt. Warum stellte sich die Frau so seltsam an?

»Nein, nichts!« Die Fremde winkte hastig ab, rief ihren Hund und verschwand mit ihm wieder im Haus, obwohl der Hund kaum eine Minute auf der Straße gewesen war.

Kopfschüttelnd fuhr Hazel Kent weiter. An der Küste entlang, hatte die Frau gesagt. Hazel hielt den Rolls Royce möglichst nahe am Meer. Sie ließ Dover hinter sich. Als die letzten Straßenlampen hinter ihr zurückblieben, hatte sie das Gefühl, ins schwarze Nichts zu fahren.

Das war natürlich nur eine Einbildung, weil die Scheinwerfer ihres Wagens die Straße ausreichend beleuchteten. Trotzdem schüttelte sich Hazel. Sie wünschte sich bereits in eine hell erleuchtete Hotelhalle. Hier draußen war es ihr unheimlich. Dabei war sie sonst absolut kein ängstlicher Typ. Wahrscheinlich hatte sie sich nur von dem merkwürdigen Benehmen dieser Frau anstecken lassen.

Vor dem Wagen tauchte ein Schild auf. Hazel rammte den Fuß auf die Bremse und hielt dicht vor einer Abzweigung. Ein Pfeil mit der Aufschrift Seagull Hotel deutete auf eine einspurige Straße.

Hazel bog ab. Ruhig war es hier draußen sicher. Meilenweit gab es keine anderen Häuser. Sie hätte die Lichter der Fenster sehen müssen.

Der Mond ging auf. Er übergoß die Landschaft mit seinem reizvollen, silbrigen Licht, das auf dem Meer glitzerte. Beinahe unnatürlich weiß schälten sich die Kreideklippen aus der Dunkelheit. Sie schimmerten, als wären sie von innen erleuchtet.

Die schmale Straße, die dem Rolls Royce eben noch genug Platz bot, wand sich in zahlreichen Kurven auf die Klippen hinauf. Manchmal kam sie dem schroffen Absturz der Klippen so nahe, daß Hazel schauderte. Wenn sie hier von der Straße abwich, stürzte sie mit ihrem Wagen in die Tiefe und war rettungslos verloren.

Sie schaltete in den zweiten Gang herunter und ließ den Rolls Royce nur mehr im Schrittempo rollen.

Endlich erblickte sie vor sich ein einstöckiges Gebäude. Es war unbeleuchtet und wirkte unbewohnt.

»O nein!« rief Hazel aus und schlug mit der Hand auf das Lenkrad. Wie hatte sie sich so hereinlegen lassen können? Die Anzeige in der Tageszeitung mußte ein ausgemachter Schwindel sein. Das konnte doch kein Luxushotel sein.

Schon wollte sie sich nach einer Stelle umsehen, an der sie wenden konnte. Sie würde nach Dover zurückfahren und sich dort ein anderes Hotel suchen. Da flammten vor dem Haus mehrere Lampen auf und tauchten den Vorplatz in ein warmes, angenehmes Licht. Die Eingangshalle wurde ebenfalls schlagartig hell. Das Glitzern zahlreicher Lampen lockte Hazel unwiderstehlich an.

Sie atmete erleichtert auf und ließ den Rolls vor dem Portal ausrollen. Sofort war ein livrierter Boy zur Stelle, half ihr aus dem Wagen und übernahm die Schlüssel.

Hazel hatte die marmornen Stufen noch nicht erreicht, als schon zwei andere Angestellte mit ihrem Gepäck in die Halle eilten und es an der Rezeption abstellten.

Hazel war angenehm überrascht. Die Halle verströmte die Atmosphäre von unaufdringlichem Luxus, nicht zuviel und nicht zu wenig. Hier konnte man sich wohl fühlen. Schwere Sesselgruppen luden zum Sitzen ein. Zum Meer hinaus gab es riesige Glasscheiben. Undeutlich erkannte Hazel auch eine große Terrasse.

Ein etwa dreißigjähriger, dunkelhaariger und gutaussehender Mann erwartete sie hinter der Rezeption. Seine Manieren paßten in die besten Hotels der Welt.

»Verzeihen Sie den dunklen Empfang, Mrs. Kent«, entschuldigte sich der Hotelangestellte. »Wir hatten nicht mehr mit Ihnen gerechnet. Es war so spät geworden und…«

Hazel winkte lächelnd ab. »Ich bin sehr langsam gefahren, Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.« Sie sah sich kurz um. »Ich hatte mir das Gebäude viel größer vorgestellt.«

Der Dunkelhaarige deutete eine Verbeugung an. »Zur Landseite sehen Sie nur ein Stockwerk, Mrs. Kent. Wir befinden uns jetzt aber im dritten Stockwerk. Auf der Seeseite ist das Hotel nämlich nach unten gebaut. Ich bin übrigens James.«

Er ließ Hazel auf ihr Zimmer bringen. Zimmer war nicht der richtige Ausdruck. Vorraum, Bad, Wohn- und Schlafzimmer. Es war eine richtige Suite mit einem eigenen, geräumigen Balkon und lag in der obersten Etage.

Hazel war mit Trinkgeld nicht kleinlich, weil sie sich wirklich auf den Aufenthalt in diesem Hotel freute. So schön hatte sie es sich nicht vorgestellt. Und erst am nächsten Morgen, wenn sie bei Tageslicht den Blick über das Meer genießen konnte.

Dieses Hotel, das direkt in die Klippen hineingebaut war, gefiel ihr von Minute zu Minute besser.

»Frühstück um zehn Uhr in meinem Zimmer«, sagte sie noch, ehe sich der Page zurückzog.

Hazel schloß hinter ihm ab, löschte die Lichter und trat auf den Balkon hinaus.

Tief unter ihr rauschte das Meer. Als sie sich über die steinerne Brüstung beugte, hemmte nichts den Blick in die Tiefe…

Hazel atmete tief ein. Ja, hier konnte sie sich erholen.

Sie ahnte nicht, daß sie von zahlreichen glühenden Augenpaaren mordlustig angestarrt wurde.

*

Am nächsten Tag, dem Samstag, bereute es Rick Masters bereits, daß er Hazel dieses Sanatoriums-Hotel angepriesen hatte. Sie wäre sonst in London gewesen und hätte ihm geholfen, den Tag sinnvoll zu verbringen.

Nach dem Frühstück, das er allein ziemlich lustlos hinuntergewürgt hatte, saß er in seinem Wohnbüro in der Londoner City und warf Dracula einen trübseligen Blick zu.

Der kleine Hund stand mitten im Zimmer und schüttelte sich auch jetzt noch, obwohl Rick schon vor einer halben Stunde mit ihm spazierengegangen war. Grund für das Schütteln war der katastrophale Dauerregen, der seit dem frühen Morgen über Großbritannien niederging. Und zwar über dem gesamten Land. Dracula haßte es, naß zu sein. Als er vom Schütteln allein nicht trocken wurde, rieb er sich an Ricks Polstergarnitur. Der Geisterdetektiv sah seufzend zu.

Für einen Spaziergang war das Wetter zu schlecht. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als in seinem Wohnbüro zu bleiben. Vielleicht sollte er sich wieder einmal mit seiner Fachbibliothek beschäftigen.

Der Geisterdetektiv besaß eine der größten Spezialsammlungen der Welt. Seine Bücher beschäftigten sich mit allen Problemen der Schwarzen und der Weißen Magie, mit Geistern und Dämonen und allen Formen von Beschwörungen. Auf diesen Gebieten konnte er gar nicht genug wissen, um die gefährlichen Situationen zu überstehen, in die er immer wieder geriet.

Ehe er sich jedoch zu einem Entschluß aufraffte, griff er zum Telefon. Wenn das Wetter so schlecht war, wollte Hazel vielleicht wieder zurück nach London.

Er wählte die Nummer, die in der Zeitungsannonce angegeben war, bekam sofort Verbindung und verlangte Mrs. Kent. Es knackte, dann war Hazel in der Leitung.

»Es ist wunderbar, Rick!« rief sie, sobald er seinen Namen nannte. »Das Hotel ist schöner, als ich gedacht hatte. Die Aussicht, der Service, das Frühstück – himmlisch! Hier werde ich mich bestens erholen. In einer halben Stunde kommt irgendein Arzt und will sich mit mir unterhalten. Mal sehen, was er für mich tun kann. Wahrscheinlich gar nichts. Ich fühle mich blendend.«

»Aber – das Wetter«, wandte Rick zaghaft ein.

»Wetter?« Hazels Stimme klang erstaunt. »Ich habe prachtvollen Sonnenschein. Ich weiß gar nicht… willst… pracht…«

Es krachte und knackte plötzlich in der Leitung, daß Rick kaum noch etwas verstand. Dann war die Verbindung ganz weg. Ratlos hielt er den Hörer in der Hand und überlegte, ob er noch einmal anrufen sollte, als Hazel wieder da war.

»Rick? Ich habe soeben gehört, daß in der Gegend am Telefonnetz gearbeitet wird. Dadurch wird die Verbindung manchmal gestört. Du kannst mich dann auch nicht anrufen. Also, es ist wirklich…«

Damit war die Verbindung endgültig weg. Rick versuchte es trotz Hazels Auskunft, kam jedoch nicht zum Seagull Hotel durch.