Verlag Voland & Quist GmbH, Dresden und Leipzig, 2016
© by Verlag Voland & Quist GmbH
Korrektorat: Annegret Schenkel
Umschlaggestaltung: HawaiiF3, unter Verwendung von Motiven von Matthias Friedrich
Muecke
Satz: Fred Uhde
E-Book: eScriptum, Berlin
ISBN: 978-3-86391-142-3
www.voland-quist.de
Marion Brasch wurde in Ostberlin geboren. Nach dem Abitur arbeitete die gelernte Schriftsetzerin
in einer Druckerei, bei verschiedenen Verlagen und beim Komponistenverband der DDR.
1987 begann sie als Musikredakteurin bei DT64, später arbeitete sie u. a. für Radio
Fritz, Kulturradio und radioeins (RBB). 2012 erschien ihr Roman »Ab jetzt ist Ruhe.
Roman meiner fabelhaften Familie«, der zum Bestseller wurde, 2014 folgte »Wunderlich
fährt nach Norden« (beide S. Fischer).
Matthias Friedrich Muecke ist Maler, Grafiker und Szenenbildner. Er ist seit 1988
freiberuflich künstlerisch tätig. Diverse Einzelausstellungen und Buchveröffentlichungen.
Seit 2000 eigene Edition mit originalgrafischen Büchern. 2009 wurde eines seiner Bücher
von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet, 2013 erhielt er den Brandenburgischen Kunstpreis
für Grafik. Matthias Friedrich Muecke lebt in Falkenberg und Leipzig.
Inhalt
- Vorwort
- Lackaffe
- Godot wusste nichts …
- Wie der Weihnachtsmann zu seinem Beruf kam
- In der Zwischenzeit hatte Godot …
- Dornfröschen
- Godot stand unterdessen …
- Wie Hermann Hesse sich mal eine Schreibmaschine kaufte
- Godot gewann also …
- Zum Teufel
- Godot indes …
- Zum Glück eine andere Geschichte
- Godot wusste …
- Der Würfelmolch
- Währenddessen Godot …
- So phantasierte Godot …
- Die telepathischen Chinesen
- Godot hatte …
- Die Fischfängerin
- Und Godot?
- Unterird und Dunkelmunk
- Doch zurück zu Godot …
- Geschichte von zwei anderen Brüdern
- Und was hat Godot …
- Das letzte Kapitel
Vorwort
Das ist Godot. Woher ich das weiß? Keine Ahnung, es ist einfach so. Er war plötzlich
da und hat gesagt, er sei Godot. Natürlich habe ich das sofort bezweifelt und gedacht:
Godot, das ist doch der, auf den sie immer warten in dem Stück von diesem Iren. Sie
warten, und er kommt nicht. Na ja, aber was soll man machen, wenn einer behauptet,
Godot zu sein. Man könnte ihn der Lüge bezichtigen und der Hochstapelei. Man könnte
sagen, er sei ein Tunichtgut. Einer, der sich nur in den Vordergrund spielen will.
Doch irgendwie ist er nicht der Typ dafür, wie er da steht mit hängenden Schultern
in seinem zerschlissenen Anzug und auf dem Kopf diesen verbeulten Hut. Er sieht nicht
aus wie ein Wichtigtuer, eher wie einer, der auch nicht so recht weiß. Wahrscheinlich
hat er sich verlaufen auf dem Weg zu den beiden, die auf ihn warten. Er war mit den
Gedanken woanders und hat nicht aufgepasst an dieser einen Weggabelung. Und plötzlich
stand er in einer Gegend rum, die ihm völlig fremd war. Das kann schon mal passieren,
da darf man den Mut nicht verlieren und muss das Beste draus machen.
So dachte auch Godot, und je länger er darüber nachdachte, desto besser ging es ihm.
Irgendwann ging es ihm so gut, dass ihm eigentlich nichts mehr etwas anhaben konnte.
Bis auf drei Dinge: Hunde, Katzen und die Möglichkeit, dass es anfangen könnte, Hunde
und Katzen zu regnen.
Godot hatte diesen unerfreulichen Gedanken kaum zu Ende gedacht, als es anfing, Hunde
und Katzen zu regnen. Erst waren es nur ein paar, aber bald schon war die ganze Gegend
voll davon. Sie liefen aufgeregt durcheinander und faselten irgendwas vom Niedergang
der Werte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Doch die Tiere sprachen die Wahrheit,
denn nachdem sie vollzählig unten angekommen waren, verdunkelte sich der Himmel ein
weiteres Mal, um sich kurz darauf der Werte zu entledigen. Sie gingen auf ihn nieder
wie ein Gewitter. Godot beschloss, sich nicht einfach davonzustehlen, wie er es so
oft zu tun pflegte, wenn es unangenehm wurde. Also blieb er stehen und tat gar nichts.
Nebenbei trank er ein Tässchen Tee und aß ein Stück Kuchen.
Als der Niedergang der Werte vorüber war, überlegte Godot, ob er nicht vielleicht
ein oder zwei davon mitnehmen sollte, um ihnen wieder auf die Sprünge zu helfen. Weil
er jedoch nicht sicher sein konnte, ob ihm das jemals gelingen würde, ließ er es sein
und nahm stattdessen eine Katze mit. Eine besonders schöne Katze, wie Godot fand,
und so rief er sie Ingrid. Manchmal auch Marianne oder Sigrun. Meistens jedoch rief
er sie gar nicht.
Von nun an gingen die beiden ein Stück des Weges gemeinsam. Ein paar Stunden vermutlich,
aber vielleicht auch Tage oder Wochen, wer weiß das schon so genau. Irgendwann jedenfalls
war es nicht mehr so gut wie am Anfang. Die Krise begann, als Godot darauf bestand,
sich nicht mehr auf allen vieren fortbewegen zu müssen. Auch hatte er das Katzenfutter
satt, es stand ihm bis zum Hals. Es kam also, wie es in Fällen wie diesen immer kommen
muss: Godot schickte die Katze Zigaretten holen und kam nicht wieder. Stattdessen
setzte er sich auf einen Kieselstein und leistete ein wenig Trauerarbeit. Dazu dienten
ihm zwei morsche Bretter, die er gedankenverloren quer übereinanderlegte, und siehe
da: Es war schon ein Kreuz. Mit großer Geste ritzte er das Wort INGRID hinein, lud
es sich auf den Rücken und setzte seinen Weg fort. Allerdings kam er nicht weit, weil
sich ihm kurz darauf ein junger Mann mit langem, strähnigem Haar in den Weg stellte
und Godot um das Kreuz bat, er könne ihm dafür den rechten Schuh eines Lackaffen geben.
Godot fand das Angebot angemessen und überließ dem Fremden das Kreuz. Wie man sich
erzählt, soll dieser später daran gestorben sein, aber das ist eine andere Geschichte.
Stattdessen wäre es doch interessant zu erfahren, was es mit dem rechten Schuh das
Lackaffen auf sich hat, finden Sie nicht?
Lackaffe
Es war einmal ein Schaf, das hatte einen Affen, den es über alles liebte und dem es
jeden Wunsch von den Augen ablas. Wünschte sich der Affe Baumkuchen, kochte ihm das
Schaf welchen aus den schönsten Bäumen der Gegend. Wollte es einen Gabelstapler, besorgte
das Schaf einen Stapler und viele Gabeln, und der Affe konnte diese nach Herzenslust
stapeln. Eines Tages nun hatte der Affe einen besonders ausgefallenen Wunsch.
»Ich will Schuhe, die rot sind, wenn die Sonne aufgeht, und blau, wenn sie verschwindet!«
Hm, dachte das Schaf. Das ist ja mal ein ausgefallener Wunsch. Es grübelte, wie es
dem Affen diesen Wunsch wohl erfüllen könnte. Es hatte mal von solch ungewöhnlichen
Schuhen gelesen. Sie gehörten einem König in einem fernen Land, der sie von einem
anderen König in einem noch viel ferneren Land gestohlen hatte. Die Geschichte endete
damals sehr unappetitlich mit viel Blut und Nudelsuppe. Das Schaf schüttelte sich,
als es darüber nachdachte. Und als es sich so schüttelte, fiel ihm plötzlich eine
Kontaktlinse aus dem Auge.
Na sowas, dachte das Schaf. Eine Kontaktlinse. Sieht man ja heute auch nicht mehr
alle Tage.
Kaum hatte es diesen Gedanken gedacht, hatte es die Kontaktlinse auch schon wieder
vergessen. Tja, so ist es, das Schaf. Aus den Augen, aus dem Sinn. Und was tat der
Affe unterdessen? Er langweilte sich und spielte ein bisschen Fußball. Dabei stolperte
er und fiel auf die Fresse. Er fing fürchterlich an zu schreien. »Ach und weh!«, schrie
er. Manchmal auch: »Weh und ach!« Das kam darauf an, was er gerade besser fand. Doch
bald wurde ihm auch das langweilig, und er stand wieder auf. Er ging zum Schaf, das
in der Ecke saß und über die Schuhe nachsann.
»Ey, Kumpel«, sagte der Affe zum Schaf. »Mir ist langweilig, kauf mir Schabernack!«
Das Schaf blickte verstört auf.
»Schabernack? Was is’n das?«
»Schabernack ist Schabernack!«, sagte der Affe und guckte sehr altklug. »Und was wird
aus den Schuhen, die rot sind, wenn die Sonne aufgeht, und blau, wenn sie verschwindet?«
»Ach die.« Der Affe winkte ab. »Das ist doch Kinderkacke. Kauf mir Schabernack!«
»Ok«, sagte das Schaf. »Dann geh ich mal los.«
Sprach’s und ging dann mal los. Über Stock und Stein, Berg und Tal, holter und diepolter.
Es war sehr lange unterwegs, jedenfalls für seine Verhältnisse. Auf seiner Reise erlebte
es allerhand Abenteuer, heiratete zweimal und ließ sich wieder scheiden. Danach kaufte
es einen Schabernack und kehrte zu seinem Affen zurück. Doch der hatte schon einen
und war nicht mehr interessiert. »Ich bin nicht mehr interessiert«, sagte er arrogant.
Das Schaf war traurig. Es schrieb melancholische Lieder, die es zur Zither vortrug.
So wurde es reich und berühmt und bekam viele Preise. Der Affe hörte davon, und ihn
reute, was er dem Schaf angetan hatte. Er ging zu ihm und entschuldigte sich.
»Ach, lass mal«, sagte das Schaf. »Hier hast du etwas Geld, kauf dir was Schönes.«
Der Affe bedankte sich artig und zog von dannen. Er kaufte sich von dem Geld ein paar
schwarze Lackschuhe, mit denen er angab wie eine Lore Affen. Deswegen nannte man ihn
bald nur noch Lackaffe.
So war das damals.
Godot wusste nichts …
… von alldem, packte den rechten Schuh des Lackaffen gleichmütig zu seinen anderen
Sachen und setzte seinen Weg fort. Unterwegs wurde er von einer Mücke gestochen, nahm
daraufhin zwei Kopfschmerztabletten und drei Bäder, von denen er das vierte wegschmiss,
weil es nicht mehr gut war. Fünfmal schaute er auf die Uhr, um beim sechsten Mal festzustellen,
dass er gar keine Uhr besaß. Dieser Fakt sollte ihm zum Verhängnis werden, aber jetzt
noch nicht. Jetzt sehnte er sich viel mehr nach Kaffeemaschinen und Parkverbotsschildern,
nach dem Geruch von Fußabtretern und kaputten Telefonzellen, nach schlechten Vorabendserien
und vorweihnachtlich gefüllten Kaufhäusern. Weil er sich jedoch nur dieses letzte
Stichwort merken konnte, war seine Entscheidung klar.
Am Eingang des Kaufhauses stand der Weihnachtsmann. Er summte leise das Tannenbaumlied
und schaute dabei traurig auf die hektische Menschenmasse, die sich an ihm vorbei
und in das Kaufhaus hineinquetschte.
Godot ging zu ihm, um zu erfahren, was der Grund für seinen Trübsinn war, doch der
Weihnachtsmann wollte nicht darüber sprechen. Nur so viel: Es sei so furchtbar gewesen,
dass er aus Verzweiflung sehr stark dem Alkohol zugesprochen und sich eines Tages
im Bett von Schneewittchen wiedergefunden habe. Filmriss, man kenne das ja. Und weil
er nicht so recht gewusst habe, wie es weitergehen soll, habe Schneewittchen ihm einen
Job als linke Hand des vierten Zwergs von rechts gegeben. Der hätte sich jedoch schon
bald als seine eigene Stiefmutter entpuppt und ihn pausenlos mit kleinen Tellerchen
beworfen. Auf diese Art gepeinigt und gedemütigt, habe der Weihnachtsmann schließlich
beschlossen, die kleinen Türchen hinter sich zuzuschmeißen, um nie wieder zweimal
hintereinander das Wort zu zu gebrauchen. Na ja, und jetzt sei er eben hier.
Nachdem der Weihnachtsmann mit seiner Erzählung geendet hatte, brach er in Tränen
aus, um danach wieder das Tannenbaumlied zu intonieren. Godot überließ ihn seinem
Schicksal und sich selbst dem Strom der Menschen, der ihn in das Kaufhaus hineintrug.
Er fuhr mit der Rolltreppe hinauf ins oberste Stockwerk, aß im Restaurant einen Sauerbraten
mit Klößen und ruhte sich schließlich in der Spielzeugabteilung in den dicken Armen
eines überdimensionalen Teddybären aus.
Niemand nahm Notiz von ihm, und so erwachte er mitten in der Nacht im menschenleeren
Kaufhaus. Es war stockdunkel, lediglich die kleinen grünen Notausgangsschilder glommen
und warfen gespenstische Barbiepuppenschatten nach ihm. Wirklich gruslig, dachte Godot,
tastete sich vorsichtig durch das Kaufhaus, und nachdem er drei Weihnachtsbäume umgeworfen, eine
Lego-Stadt verwüstet und mehrere Dinosaurier zum Weinen gebracht hatte, sank er erneut
in die Arme des Plüschbären.
Er wäre fast wieder eingeschlafen, als er aus der Kurzwarenabteilung ein leises Stöhnen
vernahm. Vorsichtig robbte Godot in die Richtung, aus der es kam, und erkannte schließlich
schemenhaft ein Plüschkamel, das sich vergeblich mühte, durch ein Nadelöhr zu gehen.
Es wolle ein Exempel statuieren, sagte es. Godot fand das seltsam, ließ sich jedoch
nichts anmerken und bot dem Kamel stattdessen seine Hilfe an.
Danke schön, aber das ginge nicht, da müsse es alleine durch.