Für meine Amsel.

Und alle anderen Amseln dieser Welt.

Für meinen Toni.

Verzeih mir die Indiskretionen, aber ich bin nimmer jung,

und wir brauchen das Geld.

Für meine nichtmeine Uta.

 

 

 

Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.

 

Karl Valentin

Ende der Toleranz

Ich glaube, mein Kater ist homosexuell.

Das kann ich ihm nicht vorwerfen, es ist halt so. So was sucht sich ja keiner aus.

Dabei habe ich extra eine Katze und einen Kater!

Wenn meine Katze Amsel und ich am Sonntag die Samstagsspiele nachspielen, mit Ecke, Hacke, Tor und viel »Robben! Robben! Ribéry!«-Rufen und Fallrückziehern und »Schiridudepp!«-Empörung, steht mein Kater Toni immer ein wenig abseits und schaut so komisch.

Sobald er den Ball bekommt, vertändelt er ihn, verstolpert ihn ins Seitenaus. Und bei dem kleinsten Rempler kiekst er: »Aua! Foul! Pep! Auswechslung!« (Wir spielen ausschließlich FC Bayern gegen die anderen und ausschließlich mit Pep Guardiola als Trainer.)

Manchmal foult ihn die Amsel absichtlich, dann schau ich absichtlich nicht hin und wechsle ihn auch nicht aus.

Ich bin Schiedsrichter, Pep und Seitenaus in einem, die Amsel ist am liebsten Arturo Vidal, Robert Lewandowski und Manuel Neuer. Der Toni müsste eigentlich den Costa, den Boateng und den Müller machen, was echt nicht so schwer ist, aber er will einfach nicht. Er mag immer nur »Duschen nach dem Spiel« spielen. Ich schrei ihn dann regelmäßig an, dass das ein ganz, ganz blödes Klischee ist und Katzen sich nie duschen, also wirklich niemals.

 

Dann war da die Geschichte mit dem Silberkettchen.

Von irgendeinem geheimen Ort in meiner Wohnung tauchte plötzlich dieses Silberkettchen auf. Ich nahm es und wollte es der Amsel schenken, die gerade am Wohnzimmertisch noch fehlende Spieler in ihr Panini-Sammelalbum einklebte, aber sie war nicht interessiert. »Ich mag keine Kettchen, nur Ringe«, sagte sie.

Das wiederum hörte der Toni, der lesend auf dem Sofa lag. Augenblicklich warf er sein Buch zur Seite und rief: »Ui, was für ein entzückendes Kettchen! Kann ich das bitte eventuell sofort haben?« Und schon hatte er’s gehabt, und weg waren er und das Kettchen.

Nur noch mit dem Kettchen spielt er, nur mehr das Kettchen lässt er an sich heran, legt es sich um den Hals, setzt sich vor den Spiegel und schnurrt strahlend und ganz und gar verzückt.

 

Und dann hat er tatsächlich mit mir geduscht.

Ich war bereits nackig (Amsel und ich hatten gerade eine sehr intensive Trainingseinheit hinter uns), als der Kater ungefragt auf meine Schulter sprang. Wenn ich nackt bin, diskutiere ich prinzipiell nicht; ich bin ohne Bekleidung nicht sonderlich überzeugend. Also nahm ich ihn mit unter die Dusche.

Das Peeling war dann seine Idee, die Gesichtsmaske und die Maniküre auch.

 

Neulich habe ich beim Putzen hinter dem hintersten Heizkörper in der Küche ein zerlesenes Exemplar eines Katzenkontakthefterls (»Tom meets Cat«) gefunden. Einen Bürschi, einen Maxi und ein Katerle hatte er rot angekreuzt.

Wie gesagt, ich nehme ihm seine Veranlagung nicht übel, aber Herrenbesuch kommt mir deswegen trotzdem nicht ins Haus. Niemals.

Gehobener Durchschnitt

Dabei war das nicht abzusehen gewesen.

Ich hatte schließlich nichts dem Zufall überlassen.

»Und wie wär die da?«, fragte der Peter.

»Ich weiß nicht recht …«

Seit drei Wochen suchte ich mit meinem Freund Peter übers Internet nach einer passenden Katze für mich.

Peter und mich verbindet eine lose Freundschaft, die auf der gemeinsamen Bekanntschaft mit einer Dame namens Ulla fußt. Als Bekannte taugt sie recht gut, finde ich. Als Geliebte, findet der Peter, ist sie durch und durch unseriös.

Und weil ich ihm die Ulla einst vorgestellt habe, kommt er jetzt immer mit seiner »Weißt du eigentlich, was deine Freundin Ulla wieder gemacht hat?!«-Verzweiflung zu mir. Zum Ausgleich hilft er mir bei der Erledigung von praktischen Dingen: Glühbirnen wechseln, Druckerprobleme und jetzt eben mit der Katze.

Peter war entnervt, weil mir keine Katze wirklich gefallen wollte.

»Jetzt sei halt nicht so«, sagte ich, »ich glaub bloß nicht, dass eine Ragdoll für die Wohnungshaltung geeignet ist. Besonders nicht im fünften Stock!«

»Das hast du bei der Sphynxkatze auch behauptet. Dabei stand bei der überhaupt nichts von Problemen bei einer Etagenwohnung …«

»Ich bitte dich, Peter! Eine nackte Katze!«

»… und bei der Perserkatze hast du geschrien, dass die zu viel haart!«

»Aber es muss doch, bitte sehr, ein Mittelding geben zwischen einer Katze, die mir die Bude vollhaart, und einer geradezu schamlos nackigen Katze!«

»Dann nimm halt die mit dem kurzen Fell aus Kroatien«, meinte Peter zunehmend erschöpft und öffnete eine weitere Bierflasche.

»Ich hol mir doch keine Katze aus einem früheren Bürgerkriegsland ins Haus! Weiß der Teufel, was die für Traumatisierungen mitbringt!«

Gegen Mitternacht rief Peter, der schon ganz zerraufte Haare und einen bierroten Kopf hatte, voller Verzweiflung aus: »Aber du willst doch nicht heiraten, sondern einfach nur eine Katze!«

Dann sagte er: »Mach doch, was du willst! Ich schau jetzt noch bei der Ulla vorbei!«, und ging.

 

Ich suchte unverdrossen weiter.

Aber alle Katzen, die ich fand, waren entweder alt, hatten einen katatonischen Gesichtsausdruck oder kamen aus einem Viertel, welches mir für eine Schriftstellerkatze unpassend erschien (»Was? Sie haben sich eine Katze aus Trudering geholt? Also, meine ist aus Schwabing …«). Auch wollte ich plötzlich eine ganz neue Katze, nichts bereits Angelebtes, Angebrauchtes.

Zwei Stunden später stieß ich auf einen nigelnagelneuen, wunderhübschen gestreiften Kater.

Er war adelig, hatte diverse wohlklingende Namen (Antoine Jacques Henri Roi du Soleil), eine französische Mami und wohnte im Münchner Westen. Außerdem war er recht teuer.

Am nächsten Mittag fuhr ich, nach einem langen telefonischen Vorgespräch mit seinen Besitzern, im Taxi hinaus zu einer Villa in Pasing. Dort begrüßte ich höflich sein Frauchen, streichelte seine Mutter und schaute ihm eine Weile beim tollpatschigen Spielen mit seinen entzückenden Geschwisterchen zu.

Dann nahm ich ihn sacht in meine Arme, bat ihn, sich von seiner Mami zu verabschieden – was er brav tat (Au revoir, Maman! Je t’aime!!!) –, und fuhr mit einem weiteren Taxi zurück zu meiner Wohnung. Dort setzte ich ihn ab, sagte: »Willkommen daheim!« und »Auf gute Zusammenarbeit!«, und ordnete des Nachmittags seinen Stammbaum in mein Familienbuch ein.

 

Der Kater trank, der Kater aß, er spielte mit meinen Schuhbändern und schaute interessiert den Vögeln im Innenhof zu. Am Nachmittag war er dann plötzlich verschwunden, und ich suchte ihn panisch unter dem Tisch, dem Sofa und hinter dem Abfalleimer. Nach der Tagesschau fand ich ihn endlich, er schlief in meinem linken Stiefel.

Die erste Nacht war grässlich, da er sehr unter Heimweh nach seiner Mutter litt, doch schon am nächsten Morgen schien er sie vergessen zu haben.

So weit, so glücklich.

Honeymoon, kurz

Die nächsten Tage verliefen eigentlich recht fröhlich.

Wir spielten Kitzeln, Verstecken und Hasch-Mich, hörten meine sämtlichen alten Pumuckl- und Räuber-Hotzenplotz-Platten, und nachdem er mich dreimal hintereinander bei der Aussprache seines Vornamens korrigiert hatte (»Enri, das H ist stumm!«), taufte ich ihn ohne größeren Protest in Toni um und ließ alle andere Namen einfach weg.

Wenn ich an meinen Geschichten schrieb, rollte er sich auf meinem Schreibtisch zusammen, schnurrte zufrieden im Takt der Computertastatur, und wenn ich fertig war, fragte er höflich: »Schauen wir jetzt Vögel, bitte?«

Dann trug ich ihn auf meinen starken Armen auf den Balkon, setzte ihn in seinen Kinderwagen und wir schauten Vögel.

Abends spielten wir Mau-Mau, Mikado oder Quartett, und zum Schlafengehen las ich ihm aus dem Telefonbuch vor: Die Einträge zu XYZ hörte er am liebsten.

 

Aber sehr bald war ihm das nicht mehr genug, und unsere Unterhaltungen wurden zunehmend anstrengend.

»Wie heißt dieser Vogel?«, fragte er mich eines Morgens. (Außer Amseln kannte ich nichts, also waren alle Vögel Amseln.)

»Warum heißt die Amsel Amsel?«, wollte er am Mittag wissen. (Keine Ahnung.)

»Warum hast du rotes Fell, aber bloß am Kopf, und ich überall schwarz-graues?«, interessierte ihn am Nachmittag. (Weil dem lieben Herrgott bei dir die Farben ausgegangen sind?)

»Ist die Erde wirklich rund?«, zweifelte er am Abend. (Was für eine Frage!)

»Können wir denn nicht mal eine Oper hören, Pumuckl und Hotzenplotz gehen mir langsam, aber sicher auf den Zeiger«, behauptete er die nächsten Tage über ständig. (Ich besitze keine Opernplatten.)

Ich rief den Peter an. Der hatte aber keine Zeit, weil … »Gleich kommt die Ulla!«

Darum rief ich bei einer Tierärztin in der Nähe an und machte einen Termin für die nächste Woche aus.

Damit der Kater, dessen intellektueller Horizont schier stündlich wuchs, bis dahin beschäftigt war, lud ich ihm alle Shakespeare-Dramen aus dem Internet herunter und zählte die Stunden.

Überintelligenz

»Herein!«, sagte eine rauchige Frauenstimme.

Vorsichtig öffnete ich die Tür und setzte mich schnell auf den Stuhl gegenüber der Frau hinter dem Schreibtisch.

»Sie müssen mir helfen, Frau Doktor!«, stieß ich hervor. Und schon begann ich haltlos zu weinen.

»Um Gottes willen, was ist denn passiert?«, fragte die Tierärztin.

Ohne Punkt und Komma brach es aus mir heraus.

»… jetzt ist er auch noch zum Frühaufsteher mutiert, wo doch Katzen angeblich immer schlafen. Aber der schläft fast nie!«

Ich schluchzte laut.

»Und allein ist er auch nicht gern, und ich muss mir doch am Markt ein Zubrot verdienen, von der Schriftstellerei kann doch keine Sau leben …«

Die Tierärztin reichte mir ein Taschentuch.

»Danke! Dabei kann man den keine fünf Minuten allein lassen! Keine fünf Minuten!«

Mich schüttelte erneut ein Heulkrampf.

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