Mami 1827 – Ein Frechdachs zum Liebhaben

Mami –1827–

Ein Frechdachs zum Liebhaben

Roman von Svanberg Susanne

Das schmiedeeiserne Gartentor quietschte. »Müßte auch mal wieder geölt werden«, meinte Ute von Bülow und rümpfte die sorgfältig gepuderte Nase. Ihr Blick ging abschätzend zu dem hinter hohen Bäumen fast verborgenen Haus. »Den alten Kasten verkaufen wir ohnehin.«

Ihr Mann, der Möbelhändler Johannes von Bülow, blinzelte erschrocken. Er ging wie immer einige Schritte hinter Ute, elegant, aber trotzdem unauffällig. Selbst an heißen Sommertagen wie diesem trug er einen mausgrauen Anzug und ein korrekt geschlossenes weißes Hemd. Er wirkte darin sehr seriös und zuverlässig. Schon lange hatte er es aufgegeben, neben der schillernden Persönlichkeit seiner Frau zur Geltung zu kommen. Jetzt holte er tief Luft und fragte entrüstet: »Du willst dieses schöne Jugendstilhaus mit seinem wundervollen Garten verkaufen? Meine Mutter hat ihn mit viel Liebe und Sachverstand gepflegt, diesen Garten.«

»Ich konnte ohnehin nie verstehen, daß ihr bunte Blumenbeete wichtiger waren als gepflegte Hände. Das hätte sie doch gar nicht nötig gehabt. Bei dem Vermögen, das ihr zur Verfügung stand, hätte ich einen Gärtner beschäftigt.« Ute betrachtete flüchtig ihre rotlackierten Fingernägel.

»Es war ihr Hobby«, antwortete Johannes mit leiser Wehmut. Der plötzliche Tod seiner Mutter hatte ihm bewußtgemacht, daß er sich viel zuwenig um sie gekümmert hatte, obwohl sie seit einigen Jahren ganz allein lebte. Die Reue kam zu spät. Seine Mutter war wohl in der Überzeugung gestorben, einen sehr undankbaren Sohn zu haben.

»Willst du dich mit diesem Gebäude belasten?« fragte Ute und ging zielstrebig zum Eingang, der von einer gewölbten Glaskuppel gegen Wind und Regen geschützt wurde. »Unser Haus ist nicht nur größer, sondern auch schöner und moderner. Warum sollten wir umziehen? Zum Vermieten eignet sich das Haus deiner Mutter auch nicht, also bleibt nur der Verkauf.«

»Noch ist nicht sicher, daß sie es uns vererbt hat«, gab Johannes zu bedenken. »Wir haben uns in den vergangenen Jahren kaum bei ihr sehen lassen.«

Gelassen steckte Ute den mitgebrachten Schlüssel ins Schloß. Sie hatte keinerlei Hemmungen, Cilly von Bülows Hinterlassenschaft in Besitz zu nehmen. »Das konnte sie auch nicht von uns erwarten, schließlich haben wir ein Geschäft, und man weiß doch, daß man da ständig präsent sein muß.« Ute hob selbstbewußt den Kopf und gab sich betont vornehm.

»Es ist dir doch bekannt, daß ich eine Schwester hatte.« Johannes hielt sich wie immer etwas im Hintergrund.

»Sie ist vor mehr als zehn Jahren mit dem Auto ums Leben gekommen«, antwortete Ute gelassen.

»Ja, aber sie hatte ein Kind, Celine. Meine Mutter hat die Kleine gern gehabt. Sie hat das Mädchen zu sich genommen und versorgt, bis Celine nach Düsseldorf ging, um Grafik zu studieren. Wie sie mir bei der Beerdigung sagte, schließt sie ihre Studien demnächst ab.«

»Deine Nichte ist ein uneheliches Kind. Peinlich genug für deine Familie«, meinte Ute herausfordernd. Sie kam aus kleinen Verhältnissen, hatte diese Tatsache aber längst aus ihrem Gedächtnis gestrichen.

»Ich fand es damals ja auch unerhört, daß meine Schwester ein Kind zur Welt bringt, dessen Vater gar nicht mehr lebt. Zwei Wochen vor der geplanten Hochzeit stürzte er mit dem Flugzeug ab. Meine Schwester hat ihn angeblich sehr geliebt. Deshalb hat sie später auch nicht mehr geheiratet, obwohl sie mehrfach Gelegenheit dazu gehabt hätte.«

»Sei froh, daß sie nicht mehr lebt, dann brauchst du nicht zu teilen«, erklärte Ute herzlos. Neugierig taxierte sie ein wandhohes Gemälde, das in der Diele hing. »Meinst du, der Schinken ist echt?«

»Selbstverständlich. Meine Mutter hat mehrere Gemälde eines namhaften Künstlers in Paris gekauft.« Voll Wehmut dachte Johannes daran, wie lange er dieses Haus nicht mehr betreten hatte. Das Haus, in dem er eine glückliche Kindheit und Jugend verbracht hatte. Zu seiner Mutter hatte er immer ein gutes Verhältnis gehabt, bis Ute in sein Leben trat. Zeitlich fiel das mit dem unerwarteten Tod seines Vaters zusammen und seiner Übernahme des elterlichen Möbelhauses. Damals arbeitete Ute als Verkäuferin. Als seine Frau stieg sie zur Firmenchefin auf. Sie verlangte von Cilly, daß sie dem Sohn ihre Anteile überschrieb. Um jedem Streit aus dem Weg zu gehen, kam die Witwe diesem Wunsch nach. Nun war Ute der Schwiegermutter keine Rechenschaft mehr schuldig, und das nutzte sie kräftig aus. Neben ihr wurde Johannes zu einem Schatten, und daran hatte sich bis heute nichts geändert.

»Dann läßt sich vermutlich ein vernünftiger Preis erzielen. Auch für die Teppiche, die Möbel und all den anderen Plunder.«

»Du willst alles verkaufen?« erkundigte sich Johannes befremdet.

»Ich will nicht ein einziges dieser verstaubten Stücke in unserem Haus sehen!« Utes Stimme klang hochmütig, für Johannes sogar verletzend.

Er schluckte mehrmals. So, wie er es häufig tat, wenn seine Frau Dinge anordnete, die ihm nicht behagten. Früher hatte er versucht, seine Meinung durchzusetzen, doch das hatte zu erbitterten Auseinandersetzungen geführt, aus denen Ute stets als Siegerin hervorgegangen war.

Nach dreiundzwanzig Ehejahren war Johannes des Streitens müde und fügte sich stillschweigend dem Diktat der fast zehn Jahre jüngeren Ute.

»Eigentlich finde ich es schade, wenn wir uns von diesen kostbaren alten Dingen trennen«, wagte er einzuwenden. Seine Stimme war sanft und bittend.

»Mann, diese ollen Karamellen sind doch out. Das hast du nur noch nicht mitbekommen. Mit dem ganzen Kram kannst du den Hasen füttern!« Wenn Ute mit Johannes allein war, drückte sie sich häufig so burschikos und ein wenig primitiv aus, was sie ängstlich vermied, wenn sie mit Leuten der sogenannten besseren Gesellschaft zusammen war, zu denen sie sich ja zählte.

Johannes zuckte zusammen. »Für mich sind es Erinnerungsstücke«, meinte er.

»Vergiß es!« forderte seine Frau laut und energisch. Nebenbei gab sie einer von Cillys Topfpflanzen einen Tritt, ohne zu berücksichtigen, daß diese in einem stabilen Tontopf stand. Dieser war härter als Utes Zeh. »Verdammtes Grünzeug«, schimpfte sie und hüpfte auf einem Bein, die schmerzende Fußspitze reibend. »Man kann ja hier kaum laufen, überall stehen die blöden Pflanzen. Das fliegt alles raus!«

Dagegen wagte Johannes keinen Einwand.

Ein bißchen schuldbewußt ging er hinter Ute her und tat seiner Mutter heimlich Abbitte. Cilly hatte ihr Heim sehr geliebt und wäre sicher sehr traurig gewesen, hätte sie hören können, wie abfällig darüber gesprochen wurde.

»Vom Erlös dieses Schuppens kaufen wir uns eine Ferienvilla in Florida mit allem Pipapo. Swimming-pool und Fitneßhalle, Partypavillon und eigenem Reitstall, Tennisplatz und Golfanlage.« Utes grüne Augen glitzerten voll Vorfreude.

»Bevor wir Pläne machen, sollten wir die Testamentseröffnung abwarten«, meinte Johannes vorsichtig. Er hätte gern in den alten Fotoalben geblättert, die Ute eben aus dem Regal nahm und in Richtung Papierkorb warf. Doch das wagte er nicht. Er fürchtete den Spott seiner Frau.

»Wer sollte uns denn etwas streitig machen? Diese Nichte? Als uneheliches Kind deiner Schwester hat sie ohnehin keine Rechte!« Die sehr elegant gekleidete Ute sah ihren bescheiden wirkenden Ehemann mitleidig an.

»In dieser Hinsicht haben sich die Gesetze geändert«, gab er zu bedenken.

»Für dich vielleicht, nicht für mich!« konterte Ute selbstbewußt.

Johannes verzichtete auf weitere Richtigstellung. Das würde der Notar erledigen, und dem konnte Ute schlecht widersprechen.

»Immerhin war Celine die einzige, die am Grab meiner Mutter geweint hat«, überlegte er laut. »Ich glaube, sie hat die Oma sehr gern gehabt.«

»Mit deiner Sentimentalität kommen wir nicht weiter. Hilf mir lieber die Schränke auszuräumen.« Utes Befehlston schallte durch die verwaisten Räume.

»Sollten wir damit nicht noch warten? Ich finde es pietätlos, hier alles zu durchstöbern.«

»Schließlich müssen wir uns einen Überblick verschaffen«, rechtfertigte sich die Frau mit den blondierten Haaren. »Müßte nicht auch ein Tresor dasein?«

»Weiß ich nicht«, brummte Johannes ungeduldig.

»Was weißt du überhaupt?« kritisierte Ute mit bösem Blick. »Deine Mutter muß doch irgendwo ihre Sparbücher, ihren Schmuck und ihre Wertpapiere aufbewahrt haben.«

Rücksichtslos riß Ute Schränke und Schubladen auf und schleuderte den Inhalt auf den Boden. Johannes stand kopfschüttelnd dabei, unfähig ihr Einhalt zu gebieten. Nach zehn Minuten glich Cillys gepflegtes Heim dem Wühltisch eines Kaufhauses. Da Ute den Tresor nicht fand, nahm sie sämtliche Bilder von den Wänden, und als sich dahinter nichts verbarg, ging die Suche im Obergeschoß weiter. In hektischer Eile durchwühlte Ute sämtliche Räume.

»Moment, das ist Celines Zimmer«, warnte Johannes, als seine Frau die Tür am Ende des Flurs aufriß.

»Na und? Deine Nichte hat hier nichts mehr zu suchen. Falls sie hier noch irgendwelche persönlichen Dinge hat, soll sie diese schnellstens abholen. Das kannst du ihr mitteilen.«

*

Notar Schwarz schaute über seine Brillengläser. Vor seinem Schreibtisch hatte das Ehepaar von Bülow Platz genommen. Beide schienen etwas nervös zu sein, doch das war normal. Außergewöhnlich war Utes Aufmachung. Sie war von den hochhackigen Schuhen bis zum Federhut in fliederfarbiges Lila gekleidet. Viel Schmuck ergänzte ihre elegante Erscheinung.

Ihr Ehemann trug einen seiner mausgrauen Anzüge und eine unauffällige Krawatte. Unruhig rieb er die Hände aneinander und rückte immer wieder die randlose Brille ans Ende seines leicht gekrümmten Nasenrückens.

Routinemäßig verlas der Notar die Personalien. »Celine von Bülow, Ihre Nichte, hat sich entschuldigt. Sie hat heute Examen und kann deshalb nicht zur Testamentseröffnung kommen. Sie wird jedoch eine Abschrift des letzten Willens von Frau Cilly von Bülow erhalten.«

Ute rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und vermochte ihre Neugierde nicht zu unterdrücken. »Das mit der Nichte meines Mannes ist doch wohl unwichtig. Sie steht in der Erbfolge ohnehin an letzter Stelle und wird wohl kaum bedacht worden sein«, belehrte sie den Notar.

»Das werden wir gleich hören.« Dr. Schwarz lächelte bedächtig und nahm den versiegelten Umschlag zur Hand. Ohne jede Hast entnahm er ihm das Dokument, das Cilly handschriftlich verfaßt hatte.

Ute ging das viel zu langsam. Sie atmete schwer, während ihr Ehemann stocksteif auf seinem Platz saß und den Atem anhielt, um kein Wort des Notars zu überhören.

Das Papier knisterte leise. Dr. Schwarz verlas die Formalitäten. Endlich kam er zur Sache.

Ute atmete hörbar auf.

»Mein Sohn, dem ich schon zu Lebzeiten das Möbelhaus vermacht habe, hat ein gutes, gesichertes Einkommen. Er soll den Pflichtteil erhalten, genau wie meine Enkelin Celine. Nach Abzug dieser Anteile erhält mein gesamtes Vermögen derjenige, bei dem mein Papagei Dino liebevoll aufgenommen und gepflegt wird«, verlas der Notar. Es folgten wieder einige Formalitäten.

Danach war es in dem kleinen Büro absolut still. Es war, als gäbe es keine Anwesenden. Auch der Anwalt schwieg. Erwartungsvoll sah er auf die Hinterbliebenen, die zur Testamentseröffnung gekommen waren. Sie schienen erstarrt zu sein. Nur ihre Gesichtsfarbe hatte sich auffällig verändert. Während Johannes von Bülow plötzlich leichenblaß war, prangten die Wangen seiner Frau in kräftigem Rot, was gar nicht zum lila Kostüm paßte.

»Ist… ist das alles?« keuchte der Möbelhändler schießlich und beugte sich etwas vor.

Dr. Schwarz nickte bestätigend. »Ich habe das gesamte Dokument verlesen.«

Entspannt lehnte er sich zurück, denn es war ihm klar, daß jetzt eine längere Diskussion folgen würde. Er hatte Cilly von Bülow gut gekannt und wußte um ihre Verbitterung über die Undankbarkeit ihres Sohnes. Er hatte sie seit Jahren nicht mehr besucht, und seine Telefonanrufe beschränkten sich auf ihren Geburtstag und Weihnachten.

»Da kann doch etwas nicht stimmen!« vermutete Ute mit schrill klingender Stimme. Selbst den lila Federn auf ihrem Hut schien sich die Erregung mitzuteilen, denn sie wippten unruhig. »Im Testament meiner Schwiegermutter ist von einem Papagei die Rede. Das ist doch absurd. Es muß sich dabei um einen schlechten Witz handeln. Sicher existiert noch ein anderes Dokument.«

»Ja, dieser Ansicht bin ich auch!« pflichtete Johannes bei. Es kam selten vor, daß er sich der Meinung seiner Frau anschloß, doch diesmal erschien es ihm selbstverständlich.

»Es tut mir leid, aber in dieser Hinsicht hat alles seine Richtigkeit. Frau von Bülow hat dieses Dokument unter meiner Anleitung erstellt und mir zur Verwahrung übergeben.«

»Das ist doch unmöglich! Kein vernünftiger Mensch wird derartigen Unsinn zu Papier bringen.« Ute erhob sich von ihrem Platz und trat an den Schreibtisch des Notars.

»Das ist auch meine Meinung.« Johannes sprang auf und trat neben seine Frau. »Was hat ein Papagei mit dem Nachlaß zu tun?«