ARPIO

Herzog der Chatten

von

Rolf Michael

 

History

 

 

Mondschein Corona – Verlag

Bei uns fühlen sich alle Genres zu Hause.

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

Neuauflage

Neuauflage Juli 2016

© 2016 für die Ausgabe Mondschein Corona

Verlag, Plochingen

Alle Rechte vorbehalten

Autor: Rolf Michael

Lektorat/Korrektorat: Jasmin Kreuz und Mia Koch

Grafikdesigner: Finisia Moschiano

Buchgestaltung: Finisia Moschiano

Umschlaggestaltung: Finisia Moschiano

 

ISBN: 978-3-96068-035-2

 

© Die Rechte des Textes liegen beim

Autor und Verlag

 

Mondschein Corona Verlag

Finisia Moschiano und Michael Kruschina GbR

Teckstraße 26

73207 Plochingen

www.mondschein-corona.de

 

 

Flucht ins Chattenland

 

 

Es geschah im Jahre 744 nach der Gründung Roms ...

Die Priester im Tempel des Saturn zählten das einundzwanzigste Jahr der Herrschaft des Kaisers Augustus über die Ewige Stadt und das Imperium Romanum. Es ist das neunte Jahr vor dem Tage, an dem der Stern von Bethlehem die Zeitwende markieren wird ...

Aufbrausende Sturmböen jagen über die Wälder des Nordens und lassen die Wipfel der Bäume schwanken. Dunkles Gewölk ballt sich im Westen auf und der heulende Wind vertreibt die Wärme des scheidenden Sommers aus dem Land der Chatten.

Mühsam sendet die hoch im Mittag stehende Sonne noch ihre wärmenden Strahlen vom stahlblauen Himmel herab. Aber bald wird Baldurs heller Tagesstern vom schwarzgrauen Wettergewölk verdeckt sein. Donar, der Herr des Donners und des Blitzes, scheint hier mit seinem Widdergespann selbst über Land zu fahren. Im Sturm aber reitet Wotan, der graue Wanderer mit dem Wolkenhut, auf seinem grauen Hengst über den Wolken.

Das unheimliche Wetterleuchten aus der Wolkenwand gleicht dem funkelnden Schein, mit dem der kühne Gott des Krieges, Tiu Saxnoth, sein blitzendes Schwert aus der Scheide heraus blankzieht.

Im Aufruhr der Elemente ziehen Germaniens hohe Götter über das Chattenland. Das Heulen des Sturms gleicht dem Heulen der Wölfe, die hinter Sonne und Mond her hetzen, um sie am Ende aller Tage zu verschlingen. Und der aus der Ferne rollende Donner verkündet Kampf und Tod. Doch der Regen, der dem Wetter folgt, der Regen bringt auch ein neues Leben mit.

Nur wenig Tageslicht dringt hinab bis zum Boden des dichten Waldes. Doch für die beiden einsamen Wanderer, die sich mit hastigen Schritten durch das Dickicht vorwärts kämpfen, reichen die wenigen herab dringenden Sonnenstrahlen aus.

Mit eiligem Schritt folgen sie einem schmalen, kaum zu erkennenden Pfad. Mühsam kämpfen sie sich durch das Gewirr von mannshohen Farnen und wucherndem Gestrüpp zwischen den hoch aufragenden Bäumen.

Kaum erkennbare Pfade wie dieser, dem die Männer hier durch den urtümlichen Wald folgen, zeigen sicher an, dass in dieser Gegend eine menschliche Siedlung zu finden ist. Solche Wege bahnen die Männer mit kräftigen Axtschlägen, um den Weg zu den nächsten Ansiedlungen des Gaues erkennbar zu machen. Außerdem natürlich auch, um den Frauen den Weg zu den Hecken zu erleichtern, wo Beeren und andere willkommene Waldfrüchte zu finden sind. Und sie ermöglichen es den Jägern, sich so leise wie möglich bis tief ins Herz des Waldes zu pirschen, ohne durch das geräuschvolle Bahnen von Wegen durch das Unterholz das Wild zu vergrämen.

„Warum gehst du nicht weiter Segifred?“

Der Mann, der sich schwer auf die Schulter des Jungen zu seiner Rechten stützt, hat die besten Jahre bereits hinter sich gelassen. Erste Silberfäden durchziehen das strohfarbene Haar, das in langen Strähnen bis auf die Schultern herab wallt. Der buschige Vollbart gleicht bereits einer Reihe von Eiszapfen.

Der Fremde trägt eine Hose aus derben, braunem Leder. Sein braungrünes Hemd wird von einem Strick aus grobem Flachs um die Hüfte gerafft. Um den rechten Oberschenkel schlingt sich ein Verband aus grobem Leinenstoff, der ehedem einmal weiß gewesen sein muss. Rostrotes, getrocknetes Blut klebt daran und die Schmerzen der Wunde zwingen den Alten, sich bei seinem Weg auf die Frame und den Jüngling zu stützen. Mehr humpelnd als ausschreitend kommt er voran.

Die Schuhe des Mannes mit der Frame sind am Fuß und an den Waden mit wärmenden Wollflocken gepolstert und bis zu den Knien hinauf mit Lederriemen geschnürt. Die Schultern des Fremden bedeckt ein Umhang aus dem Fell der grauen Wölfe. Eine kunstvolle Bronzespange hält die Wolfsschur vor der Brust zusammen.

Obwohl das Gewand des Wanderers von den Dornen und spitzen Ästen des Waldes zerrissen ist, weist der Stoff doch viele kunstvolle Stickereien auf. Handarbeiten dieser Art sind bei der einfachen Kleidung in Germanien ungewöhnliche. Die Arbeitskraft einer Frau wird in Haus und Hof für andere Dinge benötigt, als die Kleidung durch aufwendige Stickereien zu verschönen. Doch auch die in den Schaft der Frame geschnittenen Runen zeigen an, dass der fremde Wanderer nicht von geringem Stand ist.

Schwer stützt sich der Alte auf den langen Speer, als der Jüngling sich für einen kurzen Augenblick von ihm löst. Rasch beginnt er, das untere Geäst eines Baumes zu erklimmen, von wo aus er besser in den Wald hinein lauschen kann.

Der Junge hat ungefähr vierzehn Sommer gesehen und ist bis auf einen stark zerrissenen, braunen Umhang aus grober Wollweberei, den er mit einem einfachen Dorn zusammengeheftet hat, vollständig nackt. Das ist hier in den Wäldern Germaniens im Sommer selbst bei heranwachsenden Knaben durchaus üblich. Es härtet den Körper bereits im jugendlichen Alter gegen Kälte oder Schmerzen durch kleine Schnitt- oder Risswunden ab. Erst am Tag ihrer Mannesweihe, wenn sie vor dem Thing mit Frame, Schild und Umhang belehnt in die Gemeinschaft der Männer aufgenommen wurden, haben junge Germanen ständig Kleidung zu tragen und ihre Blöße zu bedecken.

Der Umhang des Jünglings dient mehr als Schlafdecke denn als Kleidungsstück. Sein nackter Körper darunter ist mit unzähligen Kratzern von den Dornenhecken des Waldes gezeichnet. Und die Füße des Jungen müssen Sohlen wie Leder haben, dass sie so mühelos über den unebenen Boden dahin schreiten. Doch ob auch ein Dorn seine Haut zerreißt oder sein Fuß schmerzhaft gegen einen Stein stößt, kein Klagelaut kommt über die Lippen des Jungen. Nur ein kurzes Zucken des Gesichts oder ein Knirschen mit den Zähnen zeigt manchmal einen stechenden Schmerz an.

Die hochgewachsene Gestalt des Jungen ist sehr schlank und lässt schon die werdende athletische Statur vorausahnen, die er als Mann einmal haben wird. Wie ein Schleier umrahmen die lang herabfallenden blonden Haare ein schmales Gesicht, in dem feierlicher Ernst und lachende Freude zugleich wohnen. In den blauen Augen des Jünglings blitzen Kühnheit und wacher Verstand. Jetzt hat er den Kopf aufgeworfen und lauscht auf die Geräusche des Waldes.

„Wir werden verfolgt, Vater!“, sagt er mit leiser Stimme, während er fast geräuschlos vom Baum gleitet.

„Wer folgt uns, Sohn? Menschen oder Wölfe?“ Der Alte lauscht ebenfalls in die Geräusche des Waldes, die der Wind zu ihnen herüber trägt. Doch außer dem Rauschen der Bäume und dem Gesang der Waldvögel dringt kein auffälliger Laut an sein Ohr.

„Zweibeinige Wölfe sind es“, gibt Segifred kurz zurück. „Sie folgen ungefähr drei Pfeilschüsse entfernt unserer Fährte. Durch das Gewirr der Blätter sah ich das Blitzen von den Spitzen ihrer Framen.“

„Dann müssen wir eilen!“, drängt der Alte. „Der Pfad, den wir gefunden haben, bringt uns sicher zu einer Siedlung der Chatten. Dort wird man uns weiter helfen, um den Verfolgern zu entkommen.“

„Die Chatten?“ Segifred sieht den Vater von der Seite an. „Wir schweifen schon seit zwei Tagen durch ihr Land und haben bis jetzt ihre Siedlungen gemieden. Warum haben wir nicht schon andere Siedlungen gesucht und im Namen des grauen Wanderers um Gastrecht gebeten?“

„Weil die Chatten Frieden mit den Römern haben und fast in Freundschaft mit ihnen leben“, knurrt der Alte. „Aber einem Fürsten der Cherusker, der vor der Rache der Römer flieht, werden sie ihre Hilfe sicher nicht verwehren.“

„Mögen alle Götter geben, dass du recht hast, Vater.“ Die Stimme des Jungen klingt düster. „Du selbst hast in deiner Jugend noch gegen die Chatten gekämpft. Und an unsere südliche Grenze zu den Chatten ist es ständig unruhig.“

„Ich suche nicht irgendeine Siedlung der Chatten, mein Sohn!“, brummte der Wanderer. „Doch wenn ich die Zeichen an den Bäumen richtig gedeutet habe, befinden wir uns bereits im Gau des Dachses. Und hier wird man uns weiter helfen!“

„Das hätte man schon im Gau des Habichts gekonnt.“ murrte der Jüngling. „Als wir am Follafluss in der Hütte eines Fischers übernachteten, weil du einfach nicht mehr weiter konntest. Und die Frau des Fischers war eine weise Trude, die dir besondere Heilkräuter auf die Wunde legte.“

„Schon deshalb mussten wir weiter. Ich konnte diesen braven Mann und sein Weib nicht in Gefahr bringen. Hätten uns die Römer dort gefunden, hätten sie nicht nur die Fischerhütte, sondern vermutlich die ganze Siedlung niedergebrannt. Wir brauchen den Schutz eines mächtigen Thingherrn. Und den finden wir nur hier!“

„Hier – im Gau des Dachses?“ Auf dem Gesicht des Jungen malt sich ungläubiges Erstaunen.

„Ja, im Gau des Dachses.“ wiederholt der Alte. „Denn hier herrscht die mächtige Sippe der Hassionen, die überall im Chattenland geehrt wird. Wenn bei den Chatten die uralte Vätersitte des Gastrechts noch heilig ist, werden wir hier Schutz und Unterkunft finden.“

„Ob Hassionen oder wie sonst immer sie heißen mögen. Es sind Chatten!“ gibt der Junge zu bedenken, während er den Vater beim Weitergehen stützt. „Und damit sind sie Feinde der Cherusker! Für diese Feindschaft zeugen genügend Narben an deinem Körper.“

„Diese Zwietracht und die Kriege zwischen Chatten und Cheruskern ist lange her“, erklärt der Mann mit der Frame, während er auf den Jungen gestützt weiter humpelt. „Ich selbst gehörte in jenen Tagen, als die Framen flogen, zu den Ersten im Kampf. Aber ich führte dann auch die Männer an, die zu den Chatten gingen, um den Frieden zu verhandeln.

Hassomar, der heute das Haupt der Hassionensippe ist, verrichtet nicht nur Heldentaten, die von Sängern besungen werden, sondern er fand im Thing des Friedens auch weise Worte, um das Blutvergießen zwischen unseren Völkern zu beenden. Damals schufen Hassomar und ich einen Frieden, der seit mehr als zwanzig Wintern anhält, wen man von kleinen Grenzstreitereien absieht, die überall vorkommen können.

Der Streit ist vorbei und die Wunden sind vernarbt. Die Chatten sind nicht mehr die Feinde der Cherusker. Und heute brauchen wir ihren Schutz. Du weißt, wie viel den Römern daran gelegen ist, mich, Segimär, Sigrams Sohn, in seine Gewalt zu bekommen.

Aber ihnen genügt es nicht, dass sie meinen Kopf bekommen. Sie wollen mich lebendig fangen, damit ich in Ketten vor dem Triumphwagen des Sentius Saturnius in Rom einem schmachvollen Tod entgegen gehen kann.“

„Es ist dennoch unklug, wenn wir bei den Chatten Schutz zu suchen“, erklärt der junge Segifred mit fester Stimme. „Wenn auch Frieden zwischen unseren Völkern herrscht, sind die Chatten doch Freunde der Römer. Bei aller Gastfreundschaft, welche die Götter gebieten. Sie werden es nicht wagen, sich den Römern entgegen zu stellen, wenn sie die Wahl zwischen der Auslieferung von zwei Fremden und der Vernichtung ihres Dorfes oder vielleicht sogar aller Dörfer des Baues durch die Römer haben.“

„Den Chatten ist das Gastrecht genau so heilig wie bei uns im Cheruskerland!“, stößt Segimär zornig hervor. »Wotan, der über das Gastrecht wacht, wird hier im Land hoch verehrt. Niemand wird es hier wagen, durch eine Neidtat oder Verrat an einem Gast den grauen Wanderer zu erzürnen.“

„Trotz meiner Jugend habe ich genug gehört, um zu wissen, dass die Chatten bei allem, was sie tun, auf ihren Vorteil bedacht sind.“ redete Segifred weiter. „Sei gewiss, Vater, sie werden uns ausliefern, wenn die Herzhunde des Saturnius unsere Fährte wieder gefunden haben.

Das allgemeine Gastrecht gilt nur für drei Tage Rast und Ruhe mit Speise, Trank und Schlaf. Danach verlässt der Gast nach altem Brauch wieder das Haus des Gastherrn. Wenn sie einen Kampf vermeiden wollen, müssen die Römer die Siedlung nur umstellen und drei Tage zu warten.“

„Eine dem Gast drohende Gefahr verlängert das Gastrecht“, knurrt Segimär gereizt.

„Bei den Cheruskern ist das so. Aber auch bei den Chatten?“ Segifred kann gerade noch den bloßen Fuß über einen spitzen Ast hinweg setzen. „Der Legat wird den Chatten notfalls sehr viele Denare und Sesterzen geben, wenn sie uns gebunden zu ihm senden. Römisches Geld, mit dem man bei den herumziehenden Händlern vieles kaufen kann, was das Leben angenehmer macht. Wer kann da widerstehen?“

„Das walte Wotan, dass die Hassionen noch nicht so verwelscht sind, dass sie ihre Ehre für römische Münze und gleißendes Gold verraten!“, brummt Segimär. „Ich denke, Hassomar wird mir den Stich meiner Frame längst vergeben haben, wie ich die Narbe seines Schwerthiebes zu meinen ehrenhaftesten Wunden rechne.

Achtet das Haupt der Hassionen die alten Gesetze, wird uns die Ruhe seines Hauses nicht verwehren. Seit Tagen leben wir nur von dem, was uns der Wald gibt und meiden die Siedlungen der Menschen, um unsere Spuren zu verwischen. Wer immer dort hinter uns im Wald ist, ich denke, die Römer haben die Jagd nach uns bereits aufgegeben.“

„Die Römer brauchen uns nicht zu folgen. Mit ihren Sesterzen haben sie die Geächteten der Wälder als Hetzhunde gedungen!“ sagt Segifred mit düsterer Miene. „Und wir kommen nicht schnell genug voran, um die Jäger hinter uns abzuschütteln. Stellen wir uns zum letzten Kampf, Vater. Gleich werden die Verfolger über uns sein.“

„Du hast Recht, Sohn. Diese Männer hinter uns sind keine Römer.“ sagt Segimär und humpelt mühsam vorwärts. „Die Legionäre brechen so durch Wald und Busch, dass man sie auf große Entfernung hört. Wenn die Geräusche, du dein feines Ohr erlauscht hat, richtig ist, dann sind tatsächlich die Waldschwarzen auf unserer Spur.“

Die Waldschwarzen! So nennt man die zahllosen Banden Gesetzloser, Unfriedsamer und Räuber, von denen es überall in den Wäldern nur so wimmelt. Die Menschen hier fürchten sie mehr als ein angreifendes Wolfsrudel.

Es sind entlaufene Unfreie oder Männer, die vor der Blutrache in die Wälder geflohen sind. Wie wilde Tiere hausen sie in den dichten und undurchdringlichen Wäldern Germaniens und ernähren sich von der Jagd und Überfällen auf einzelne Gehöfte. Sie würden selbst für einen Bissen Brot oder um einen zerschlissenen Umhang töten. Gnade und Erbarmen kennen die Waldschwarzen nicht. Aber sie haben von den Männern aus den Siedlungen auch nicht mehr Gnade zu erwarten als ein Wolf, der in ihre Schafhürde einbricht.

„Ich hätte während des Kampfes eins der römischen Schwerter aufraffen sollen, als ich dich wunden Mann aus dem Schlachtgetümmel rettete!“, sagt Segifred mit Bedauern in der Stimme. „Doch auch den knorrigen Wanderstab in meiner Rechten weiß ich als Waffe zu gebrauchen, wenn mir einer ans Leben will. Und du, Vater, hast deine Frame. Aber mit deiner Beinwunde kommen wir viel zu langsam voran, um ihnen zu entkommen. Verbergen wir uns besser im Unterholz oder stellen wir uns zum Kampf, wie es sich für Männer geziemt.“

„Gegen ein ganzes Rudel Ausgestoßener des Waldes können wir nicht gewinnen. Und dieses Gesindel wird uns wie eine Hundemeute ausschnüffeln, wenn wir uns verbergen“, entscheidet der Alte. „Die Siedlung der Hassionen kann nicht mehr fern sein. Sie liegt nahe bei einem hoch aufragenden Felsenberg, auf dem ein einziger, mächtiger Baum bis in den Himmel zu ragen scheint. Also lass uns keine unnützen Worte vergeuden, Sohn, sondern voran eilen. Jeder Schritt bringt uns der Rettung näher.“

So gut es die schmerzhafte Wunde zulässt, humpelt der Alte voran. Seine Zähne knirschen aufeinander, als er den Schmerz verbeißt. Segifred versucht so gut es geht, den Vater zu stützen.

Trotz des kühlen Windes perlt der Schweiß über seinen nackten Körper. Sein Atem geht rasselnd und das Keuchen des Vaters neben ihm wird öfter von kurzen, krampfhaften Hustenanfällen unterbrochen. Keiner der beiden Wanderer verschwendet jetzt noch Zeit zum Lauschen, wie weit die Verfolger noch entfernt sind.

Vorwärts! Nur vorwärts!

Schon ist in der Ferne durch die tief herabhängenden Zweige der schwarzgrünen Fichten das Ende des Waldes zu erkennen. Wenn die Flüchtlinge den Wald hinter sich haben und aufs freie Feld gelangen, treffen sie vielleicht auf Chatten, die ihnen weiter helfen werden.

Aber die Gefahr ist näher, als es Segimär ahnt. Wie ein Rudel Wölfe versuchen die unsichtbaren Jäger, Segimär und seinem Sohn den Weg abzuschneiden. Das immer stärker werdende Rascheln und Brausen im Gebüsch gibt dem Alten ungeahnte Kräfte.

„Lauf, Sohn! Versuch sie, auf deine Fährte zu lenken.“ knirscht er zwischen den Zähnen und gibt Segifred einen leichten Schlag auf die Schultern. Und den starken Eschenschaft seiner Frame als Sprungstab nützend, springt er mit raumgreifenden Sätzen auch ohne die Stütze des Sohnes vorwärts.

Segifred hat sofort den Plan Vater verstanden. Wenn er die ganze Meute auf sich zieht und das ganze Rudel der Waldschwarzen ihn verfolgt, kann der Vater vielleicht zur Siedlung gelangen, um Hilfe zu fordern. Auch wenn Segifred unter den Strapazen der letzten Tage zu leiden hat, er ist flink und noch kräftig genug, den Waldschwarzen zu entkommen. Im vorwärts Laufen rafft er einige faustgroße Steine auf, die er mit der Kraft seines rechten Armes einfach hinter sich ins Gebüsch schleudert.

Wütendes Gebrüll dringt aus den Büschen hinter ihm und zeigt an, dass sie Steine getroffen haben. Die Jäger sind schon sehr nah und nur das dichte Unterholz verhindert, dass sie bisher noch nicht versucht haben, ihn mit Wurfschlingen einzufangen.

Segifred vernimmt Stimmengewirr der verschiedensten germanischen Dialekte. Es sind nicht nur Chatten und Cherusker, sondern sicher auch Hermunduren, Sugambrer und Marser unter ihnen. Die gemeinsame Not der Gesetzlosen hat sie zusammengeführt und schmiedete sie zusammen.

Das Raubgesindel brüllt auf, als es erkennt, dass ihm die Beute zu entkommen droht. Wenn der Junge das freie Feld erreicht, kann er Bauern aufmerksam machen, die im Tal auf den Feldern arbeiten. Und alle Bauern Germaniens sind die Todfeinde der Raubgesellen des Waldes. Wer vor den Waldschwarzen flieht, zu dessen Schutz eilen sie herbei.

Nur noch fünf Steinwürfe bis zum rettenden Waldende. Noch vier ... noch drei ...

Der bärtige, mit zottigen Fellen bekleidete Mann scheint wie einer der Erdgeister vor Segifred aus dem Boden heraus zu wachsen. Nur mit einer instinktiven Seitwärtsbewegung des schlanken Körpers entgeht der Junge seiner zustoßenden Frame.

Impulsiv reißt der junge Cherusker den drei Finger breiten Eichenknüppel empor, auf den er sich bei der Wanderung gestützt hat. Bevor der Gegner die Frame zurückziehen und erneut zustoßen kann, hat Segifred den Stab durch die Luft gewirbelt und aus der Drehung heraus zugeschlagen.

Und die Spitze des Stabes findet sein Ziel. Aufplatzende Haut, spritzendes Blut und brechende Schädelknochen. Denn der Eichenknorren ist härter als ein Schädel.

Röchelnd sinkt der Raubgeselle zu Boden und sein Blut versickert im Moos des Waldes. Geschickt fängt der Junge die der erschlaffenden Hand entgleitende Frame auf und stürmt weiter vorwärts. Der Eichenknorren hat jetzt als Waffe ausgedient. Die Spitze der Frame ist aus römischem Eisen. Und mit diesem Speer ist der Jüngling doppelt gefährlich.

„Framen! Werft!“, heult ein Schrei aus dem Unterholz.

„Wenn du es so haben willst“, kommt es grimmig über Segifreds Lippen. Und dann schleudert der junge Cherusker im Rennen die gerade erworbene Waffe ins Gebüsch, aus dem er die Stimme gehört hat. Alle seine Kraft lag in diesem Wurf. Ein greller Schrei aus dem Dickicht zeigt an, dass er sein Ziel nicht verfehlt hat.

„Tötet ihn Männer! Zahlt die Blutschuld an unseren Genossen!“, erschallt ein wütendes Gebrüll. „Die Framen ... alles zugleich ...!“

„Halt, ihr Narren.“ Das muss der Anführer sein. „Fangt sie beide lebendig. Wenn der Alte tot ist, zahlt Saturnius nichts für ihn. Und für so einen gut gebauten und kräftigen Jungen geben sie Höchstpreise auf dem Sklavenmarkt in Monguntiacum!“

„Lauf, Segifred! Lauf zu den Chatten!“ hört der junge Cherusker den verzweifelten Ruf des Vaters hinter sich. Gleich darauf ein greller Todesschrei. Herumwirbelnd erkennt der Junge, dass mehr als zehn wildverwegene Männer auf Segimär eindringen.

Einer von ihnen ist Segimärs Frame zu nahe gekommen und krümmt sich vor Schmerzen am Boden. Die anderen lassen in respektvoller Entfernung Wurfschlingen kreisen. Mit seiner Wunde kann ihnen der Alte ihrem Wurf nicht ausweichen.

„Du kannst mir nicht helfen, Sohn!“, dröhnt die Stimme Segimärs. „Flieh und rette das Erbe unserer Ahnen!“ Mit weitem Schwung wirft Segimär die Frame über die Köpfe der Angreifer hinweg. Geschickt fängt der Junge die heranzischende Waffe mit den am Schaft eingeritzten Runen im Flug auf.

Dann muss Segifred mit ansehen, wie sich mehr als fünf Wurfschlingen über den Körper des Vaters senken. Vergeblich versucht der Cheruskerfürst, sich aus ihren Verstrickungen zu lösen. Wie ein Wolfspack ist die ganze Meute über ihm.

Mit einem Sprung wendet sich Segifred zur Flucht. Mit weiten Sprüngen rennt er den Pfad entlang. Hinter sich hört er das Brüllen des Anführers.

„Tötet ihn, bevor er das Ende des Waldes erreicht.“ erklingt die Stimme im Dialekt der Sugambrer. Obwohl sein junger Körper durch die Strapazen der vergangenen Tage ausgelaugt ist, gibt die Furcht vor dem Tod oder der Gefangennahme durch die gnadenlosen Raubgesellen dem jungen Segifred ungeahnte Kräfte.

Ein von hinten heranzischender Speer ritzt die Haut an seiner Schulter. Er achtet nicht auf den stechenden Schmerz. Er rafft im Laufen einen Ast auf und schlägt damit gegen die Dornenranken entlang des Pfades, dass sie in Bewegung geraten und den Verfolgern schmerzhaft ins Gesicht peitschen.

Lautes Schmerzgebrüll hinter ihm zeigt Segifred an, dass er dadurch ein oder zwei Herzschläge Vorsprung gewonnen hat. Im Laufen reißt der junge Cherusker den Umhang herab und schlingt ihn sich um den linken Unterarm. Kommt es zum Kampf, kann er die auf ihn geschwungenen Waffen damit notdürftig abwehren. Mit kräftigen Sprüngen erreicht Segifred das Ende des Waldes. Ein sanft abfallender Hang führt hinunter in eine weite Talebene.

Wie die Wogen eines gewaltigen Ozeans breitet sich das von einer Reihe dicht bewaldeter Berge umgebene grüne Land vor den Augen des jungen Cheruskers aus. Mehrere Bachläufe, in denen sich Forellen und andere Fische tummeln, durchziehen die Ebene und schaffen immer wieder kleinere oder größere Sumpflandschaften.

Die zahlreichen Felder, auf denen die fleißigen Chattenbauern verschiedene Getreidesorten anbauen, sind jetzt abgeerntet. Aus der Ferne sind die Männer zu erkennen, die mit aller Kraft die Pflüge hinter ihren Zugochsen ins rotbraune Erdreich drücken, um Furchen für die neue Saat zu ziehen.

Des Hessenlandes Krone wird man in späteren Jahrhunderten dieses Land südlich von Kassel zwischen Gudensberg, Felsberg und Fritzlar nennen.

Und die von einem Erdwall und einer darauf wuchernden Hecke geschützte Chattensiedlung, die Segifred von der Höhe erblickt, liegt an der Stelle des heutigen Dorfes Maden bei Gudensberg.

Ungefähr fünfzig Häuser scharen sich um einen mächtigen Herrenhof. Östlich davon wächst ein mächtiges, blauschwarzes Felsmassiv aus einem Hain heraus in den Himmel. Die mächtige Esche auf dem sonst kahlen Gipfel scheint mit den oberen Ästen die tief hängenden Regenwolken zu berühren und die Erde mit dem Himmel zu verbinden.

Für Segifred gibt es keinen Zweifel. Diese Siedlung im Tal muss die Heimstätte der Hassionen sein. Doch sie ist viel zu weit entfernt, als dass die Wächter auf den Wällen den fliehenden Jungen mit bloßen Augen sehen können und ihm rasche Hilfe bringen. Dennoch hofft Segifred, dass sein Hilferuf gehört wird.

Wenn nicht von den Menschen, dann hoffentlich von den Göttern.

„Not über Not“, schreit Segifred so laut er kann, während er mit raumgreifenden Sätzen ins Tal rennt. „Not über Not!“ Doch ungehört verweht der Wind den Notschrei über das Land.

Doch Segifreds Notschrei verweht der Wind nur für das Ohr der Menschen. Denn Allvater Wotan, der Windflüsterer, hat ihn vernommen. Und der Herr der hohen Walhalla hat überall in der Welt seine Diener.

Die Leute dieses Landes glauben, das der oberste Gott aller Germanen an jedem Morgen seine Raben über die Welt fliegen lässt. Und nun, da ihm der Wind den Hilferuf zugetragen hat, lässt Wotan seine schwarzen Vögel fliegen. Und weil die Menschen glauben, dass die Götter von ihren hohen sitzen jenseits der Regenbogenbrücke auf sie herab sehen, deshalb rufen sie auch in höchster Not die Götter um Rettung an.

Wenn auch die Wirklichkeit manchmal etwas anders ist, hier scheint nach dem Begriffsvermögen der Menschen Wotan selbst seine Diener ausgesandt zu haben, um Hilfe zu bringen.

Bei seiner Flucht durch das hochstehende Gras hat Segifred einige Rabenkrähen aufgescheucht, die am Kadaver eines verendeten Hasen ihr grausiges Mahl halten. Wild flatternd ziehen die schwarzen Vögel über dem flüchtenden Jungen ihre Kreise.

Ihr heiseres Krächzen lässt den Flüchtling aufblicken. Wotans Schicksalsvögel kreisen über ihm. Doch ob sie ihm den Tod verkünden oder den besonderen Schutz ihres Gebieters, kann niemand wissen.

Doch so schnell Segifred rennt, stetig folgen die kreisenden Raben seinem Lauf. Was auch immer das Schicksal dem Jungen bestimmt hat, heute Abend werden sie Wotan auf seinem Hochsitz in der Walhalla von einem Heldenkampf berichten können.

„Not über Not!“ Doch so laut der junge Cherusker auch schreit, die Siedlung ist viel zu weit entfernt, als dass er von den Männern am Tor der Siedlung gehört werden kann. Aber der tosende Sturmwind weht ihn hinauf in die Spähren, wo Germaniens Götter wohnen. Und mit fernhin grollendem Donner gibt Donar aus seiner Gewitterwolke dem flüchtenden Jungen neue Kraft, während Wotan dem Wind gebietet, der den laufenden Jüngling mit seiner Kraft voran schiebt.

Mit johlendem Geschrei brechen die Verfolger hinter Segifred aus dem Wald. Einen Augenblick haben sie aus Furcht vor den Bauern gezögert, ihre Jagd fortzusetzen. Zwar werden um diese Zeit überall im Land die Felder bestellt, aber die Bauern hinter den Pflügen sind im Allgemeinen nicht bewaffnet.

In den Siedlungen befinden sich nur die Krieger der Gefolgschaft als Wachen. Die aber werden dem Flüchtling kaum zu Hilfe eilen. Selbst wenn sie auf den fliehenden Jungen aufmerksam werden, müssen sie doch an eine List der Waldschwarzen glauben.

Wenn diese Verfolgung nur vorgetäuscht ist und sie ihre Posten verlassen, um dem Flüchtenden Hilfe zu bringen, dann ist die Siedlung ohne Verteidiger. Ein entschlossener Haufen todeskühner Männer kann aus einem Versteck hervorbrechen, sich durch das Tor kämpfen und die Siedlung im Handstreich einnehmen.

Das Risiko, dann gegen ihren eignen Wall anrennen zu müssen um das Raubgesindel wieder zu vertreiben werden die Wächter kaum eingehen. Das wissen die Waldschwarzen. Und das gibt ihnen neue Kühnheit, die Jagd auf Segifred fortzusetzen.

„Gib dich gefangen, Cheruskerknabe!“ klingt es höhnisch an das Ohr des Flüchtenden. „Wir kriegen dich doch. Du kannst nicht entkommen!“ Und schon verspürt Segifred die erste Wurfschlinge auf seinem Körper. Eine blitzartige Drehung des schlanken Körpers lässt das Seil jedoch abgleiten.

Im Lauf wie ein Hase Haken schlagend rennt Segifred weiter. Hinter ihm sausen weitere Schlingen durch die Luft. Doch sie verfehlen ihr Ziel, weil die Jagdbeute immer wieder blitzartig die Richtung wechselt.

„Not über Not!“, schreit Segifreds keuchende Stimme. „Wotan, wahre mich vor den Waldwölfen!“, betet sein Herz. Doch der geheimnisvolle graue Wanderer gibt außer dem Aufsteigen der Raben kein Zeichen, dass er den Ruf gehört hat. Und der junge Cherusker erkennt, dass die Verfolger ihn hier auf freiem Gelände trotz seines wieselflinken Laufes einkreisen.

Es sind mehr als zwanzig kräftige Männer, die außer den Wurfschlingen Framen und Keulen schwingen. Segifred erkennt, dass es keinen Zweck hat, weiter zu fliehen.

Jetzt ist die Zeit zum Kämpfen. Und vielleicht auch ist es jetzt auch Zeit zu sterben.

Abrupt bremst Segifred seinen Lauf. Mit einem wilden Schrei lässt er die Frame des Vaters kreisen. Zwei der Verfolger werden von der Spitze der Waffe getroffen. Die Fellkleidung auf ihrer Brust zerreißt und die Spitze der Frame zieht eine blutige Furche durch ihre Haut. Aufbrüllend stürzen sie zu Boden. Die anderen Männer weichen etwas zurück. Eine geschleuderte Keule wehrt Segifred blitzartig mit dem Schaft der Frame ab, bevor sie ihn treffen kann. Aber dann haben ihn die Verfolger umzingelt.

„Gib auf, Junge, wenn du weiter leben willst!“, brüllt der Anführer der Jäger wie ein zorniger Auerochse. „Wenn du dich weiter wehrst, töten wir dich.“

„Aber du wirst mir im Tode vorangehen und an Wotans Tafel mein Kommen verkünden!“ knirscht Segifred zwischen den Zähnen und hebt die Frame zum Wurf. Hoch über ihm erklingt das heisere Gekrächze der Raben. Der junge Cherusker lächelt. Die Lieblinge des geheimnisvollen grauen Gottes umschweben ihn, um ihm den Tod zu verkünden.

„So viel wert sind die Sesterzen der Römer nicht, dass wir an dich Wildling das Leben wagen.“ röhrt der Anführer im Dialekt der Sugambrer. „Wenn du den Tod des Helden suchst, so sollst du ihn haben.

Werft, Männer! Alle zugleich!“ Ein kurzes Nicken des Anführers. Von allen Seiten zischen die Framen auf den Jungen im Zentrum des Kreises zu. Und sie werden in seinem schlanken Körper zusammentreffen.

„Tiu hilf!“

Geistesgegenwärtig lässt sich Segifred der Länge nach zu Boden fallen. Zischend rasen die kräftig geschleuderten Speere über seinen sich im Gras abrollenden Körper hinweg. Und weil ihre Spitzen im Zentrum ihres Kreises, wo eben noch der schlanke Körper des Jungen war, kein Ziel finden, fliegen die Speere weiter.

Doch auf der anderen Seite des Kreises finden die Spitzen der Waffen ihr Ziel. Die Männer, die in der Flugbahn der Framen auf der anderen Seite des Kreises stehen, sterben mit einem Laut der Verblüffung auf den Lippen.

„Tiu! Tiu, hilf!“ keucht Segifred und springt empor. Die Verwirrung der getroffenen und sich Schmerzen krümmenden Männer ausnutzend stößt er den Runenspeer des Vaters, dem ihm zunächst stehenden Feind in die Brust, dass er röchelnd rückwärts zusammenbricht.

Einen Dolch, der auf ihn gezückt wird, wehrt der Junge mit dem vom Umhang geschützten Arm ab. Dennoch dringt die Bronzespitze der Waffe durch den groben Stoff in sein Fleisch. Rote Nebel des Schmerzes wallen vor Segifreds Augen. Doch die Todesangst lässt ihn die heranrasende Ohnmacht abschütteln.

„Wotan, steh mir bei!“, schreit er gellend. Reflexartig wehrt er mit dem Framenschaft eine Keule ab. „Wotan, zäume dein Sturmross und eile herbei!“

Doch das höhnisch meckernde Lachen der Feinde übertönt Segifreds Hilferuf. Diese Junge ist trotz seiner Frame ihre sichere Beute, die ihnen selbst der wütende Wotan auf seinem Grauross nicht entreißen kann.

Aber durch ihr Lachen vernehmen die Raubgesellen nicht das helle Wiehern eines Pferdes. Nur Segifreds feines Gehör vernimmt die Botschaft des geheimnisvolle Gottes.

Und dann erzittert die Erde unter dröhnendem Hufschlag ...

 

Blutsbrüder

 

Das heisere Geschrei der Raben, das der aufkommende Sturmwind zu ihm herüber weht, schreckt Arpio aus seinem Zustand zwischen Wachen und Träumen.

Fast mit der ganzen Länge seines schlanken Körpers hat der ungefähr zwölfjährige Knabe auf dem Rücken des ruhig unter ihm grasenden Pferdes gelegen. Das Haar mit der Farbe von wildem Honig ist so lang, dass es bis zu den Hüften herab fällt. Seine graublauen Augen blinzeln in die Sonne.

Die in die dunkle Mähne des Pferdes gekrallten Finger gaben dem Jungen den nötigen Halt für einen Tagtraum. Doch durch die Schreie der Raben ist er blitzartig wach und richtet sich auf.

Die schon etwas betagte fuchsbraune Stute unter ihm zuckt erschrocken zusammen und bricht erschrocken seitwärts aus. Arpio hat alle Mühe, dass sein nackter Körper nicht vom bloßen Rücken des Pferdes herab gleitet.

„Not über Not!“, tragen die Winde den Hilferuf an die lauschenden Ohren des Chattenknaben. Im Augenblick sind alles Sinne Arpios angespannt. Sofort sitzt er rittlings auf dem Rücken des Tieres und lauscht in den Wind.

„Not über Not!“, vernimmt Arpio immer deutlicher eine helle Jungenstimme. Kein Zweifel. Der Ruf kommt von dort, wo die Raben kreisen. Und er kündet von höchster Todesnot. Doch außer dem Flug der Raben ist nichts in der Ferne zu erkennen.

„Ruhig, Fronja. Steh und harre“, befiehlt Arpio dem Pferd. Dann schwingt er sich vom Rücken des Tieres und läuft zu einem der Bäume. Hurtig wie ein Eichkater steigt er den Stamm hinauf und zwängt sich durch das Geäst.

„Not über Not!“ Arpio ist noch nicht weit geklettert, als er in weiter Ferne den nackten Jungen und die ihn hetzende Meute sieht. Seine scharfen Augen lassen den jungen Chatten erkennen, dass hier die Friedlosen des Waldes eine sichere Beute jagen.

Jeder im Land weiß, dass die Waldschwarzen sehr gern Knaben und unreife Mädchen aus den Dörfern fangen und an die Römer verkaufen. Auf den Sklavenmärkten in Rom sind Germanen eine sehr beliebte Handelsware. Die Knaben macht man zu Gladiatoren, damit sie im Sand der Arena kämpfen und sterben. Aber das Schicksal der Mädchen in den römischen Bordellen ist nach germanischen Vorstellungen noch viel schlimmer als der Tod.

„Wotans Wüten komme über euch!“ knirscht der junge Chatte zwischen den Zähnen. Mehr gleitend als kletternd hangelt er sich vom Baum herab und läuft zu dem geduldig wartenden Pferd. Im Lauf rafft er den abgebrochenen Schaft einer Frame auf, den er sich heimlich zurechtgeschnitten und die Spitze im Feuer gehärtet hat.

Eigentlich ist es einem Knaben bei schwerer Strafe verboten, eine Waffe zu führen. Doch Arpio ist der jüngste Sohn Hassomars, der als Fürst und Bannerherr über diesen Gau gebietet. Und da er heute die Herde von Wotans heiligen Rossen hütet, ist es notwendig, dass er sich und die Pferde mit einem solchen Spieß gegen Wolf und Bär verteidigen kann.

Am Fuß der beiden heiligen Berge, die heute von der Stadt Gudensberg umgeben sind, befinden sich die Stallungen der sorgsam ausgewählten Schimmelhengste. Sie sind dem obersten Herrn der hohen Walhalla jenseits der Regenbogenbrücke geweiht und dürfen weder einen Wagen ziehen noch durch die Last eines Reiters entweiht werden.

Wolegar, der alte Hochpriester des geheimnisvollen Gottes, ist ihr Hüter. Aber in den Sommermonaten werden sie von besonders ausgesuchten Knaben der Hassionensiedlung auf die besten Weiden der Umgebung getrieben, wo ihnen hohes Gras genügend frisches Futter spendet.

Und Hassarpio, Hassomars Sohn, den seine Freunde Arpio nennen, ist nicht nur Wolegars bester Schüler in der Lehre der heiligen Runen, sondern er versteht auch am besten mit Pferden umzugehen. Jeder der Hengste in Wotans Herde kennt seine Stimme und folgt seinem Ruf.

Mit kühnen Schwung zieht sich der Chattenknabe auf Fronjas Rücken. Ein Zittern geht durch den Körper der Stute und mit grellem Wiehern wirft sie den Kopf empor. Das Tier spürt die Erregung des Jungen auf seinem Rücken und weiß, dass es nun gilt, mit dem Wind um die Wette zu laufen.

Mit hellem Ruf treibt Arpio die alte Stute an und schlingt sich die einfachen, aus grobem Flachs gedrehten Zügel um das linke Handgelenk. Damit versteht er Fronja auch ohne die Gebissstange vorzüglich zu lenken. Mit raumgreifenden Galoppsprüngen rast die Stute auf die friedlich grasende Herde zu.

Den Arpio weiß, dass er alleine zu schwach ist, dem Jungen zu helfen, den die Waldschwarzen jagen. Aber da ja Wotans heilige Vögel über ihm kreisen, wird der graue Gott sicher erlauben, dass Arpio dem Bedrängten mit seiner heiligen Herde zu Hilfe kommt.

Denn der Plan, den Arpio mit der Schnelligkeit eines Gedankens ersonnen hat, den kann ihm nur Wotans mit Weisheit gepaarte List eingegeben haben. Und er zögert nicht, ihn auszuführen.

„Hoja! Hoja! Aufgewacht, Wotans wackere Windgesellen!“ schrillt Arpios helle Knabenstimme. Es sind ungefähr fünfzig Schimmelhengste, die von den Rufen in aufgeschreckt erregt die Köpfe aufwerfen. Denn nur Pferde mit einem Fell von makellosem Weiß sind würdig, Wotan dereinst als Opfer zu dienen.

Laut schreiend reitet Arpio um die Herde und schwingt den in der Luft surrenden Framenschaft über seinen Kopf. Zwar stampfen die Hufe der Hengste unruhig den Boden, doch sie sind es nicht gewöhnt, auf diese Art getrieben zu werden. Und der Chattenknabe wagt es nicht, die Tiere mit dem Holz seiner Waffe zu schlagen und auf diese Art vorwärts zu jagen. Denn das würde Wotan, dessen Beistand Arpio laut anruft, fürchterlich erzürnen.

So sehr der junge Chatte schreit und seine Stute durch die Reihen der Schimmel hetzt, es gelingt ihm nicht die Hengste in die Richtung zu jagen, wo sich der unbekannte Junge eben seinen Verfolgern zum Kampf stellt.

„Donar, Herr aller Wetter!“, schreit Arpio verzweifelt. „Donar, leihe mit deine gewaltige Stimme, um Wotans milchfarbene Lieblinge anzutreiben. Hilf, Donar!“

Da reißt das nachtschwarze Gewölk auf. Denn der Chattenknabe ruft nicht vergebens zu den Göttern, die er mit kindlich frommen Herzen verehrt.

Ein grell niederfahrender, zackiger Blitz und ein gewaltiger Donnerschlag aus dem schwarzen Gewölk ist die Antwort des hammerschwingenden Herrn über die Wetter. Und Donars grollende Stimme wird auch von Wotans Rossen verstanden.

Durch Donnerschlag und Blitz von tödlichem Schrecken erfasst steigen die weißen Hengste auf der Hinterhand empor. Dann stürmen sie in wilder Flucht über die Wiese. Und als ob Wotan selbst ihren Lauf lenkt, rasen sie genau in die Richtung, wo der junge Cherusker eben unter den heranzischenden Framen hinweg getaucht ist.

„Lauf, Fronja!“ Arpio liegt fast auf dem Rücken der voranstürmenden Stute, um ihr die Last seines Knabenkörpers so leicht wie möglich zu machen. Er muss die Herde überholen, den Ring der Waldschwarzen durchbrechen und den kühnen Kämpfer auf den Rücken seines Pferdes ziehen, bevor die Wotans Herde heran ist und mit vernichtender Wucht alles niedertrampelt.

So unscheinbar Fronja mit ihrem kleinen Körper und dem zottigen Fell wirkt, durch die hellen Knabenrufe angetrieben streckt sich ihr Körper und das Gras scheint unter ihr nur so dahin zu fliegen. Erdbrocken und Steine spritzen von den Hufen bis zu Arpio hinauf.

Dann hat die keuchende Stute die Spitze der Herde erreicht. Die Linke in die Mähne gekrallt schwingt Arpio mit der Rechten den Schaft seiner Frame. Über die Schulter zurück blickend sieht er, dass ihm die Herde in dicht geschlossenem Verband folgt.

Eine Walze aus Pferdeleibern, die alles überrennt und niedertrampelt, was sich ihr in den Weg stellt.

Ein sanfter Hügel nimmt Arpio noch die Sicht auf den ungleichen Kampf. Mit hellem Anfeuerungsruf jagt er Fronja den Hang hinauf. Hoffentlich kommt seine Hilfe für den kühnen Kämpfer nicht zu spät.

Der Boden zittert unter den donnernden Hufen, als die Herde hinter Arpio über Hügel stürmt. Weiße Mähnen flattern und buschige Schweife wehen wie Sturmfahnen. Gelbweiße Schaumflocken fliegen aus den Nüstern der edlen Tiere.

Von der Erhöhung seines Pferderückens sieht Arpio den nackten Jüngling, der verzweifelt mit der Frame um sich schlägt, um die von allen Seiten auf ihn eindringenden Männer abzuwehren. Doch bevor sie sich wie ein Wolfsrudel auf den einsamen Kämpfer stürzen können, lässt sie das Grollen der heranstürmenden Herde herumfahren.

Die Augen der Waldschwarzen weiten sich, als sie den kleinen, nackten Reiter auf dem braunen Führungspferd sehen. Das goldfarbene Haar, das Arpio sonst bis zu seinen Hüften herab fällt, weht jetzt hinter ihm wie eine Sturmfahne im Wind.

Mit grellen Schreien treibt er die dahinjagende Fronja vorwärts. Er muss durch den Kreis der Jäger brechen und den fremden Jungen zu sich auf den rettenden Pferderücken ziehen, bevor die heranrasende Herde in ihrer Panik alles niederstampft, was im Weg ist.

„Herauf zu mir!“, schreit Arpio und treibt Fronja durch die Reihen der Raubgesellen direkt auf den Jungen zu. Einer der Männer wirbelt herum und versucht, die Frame in die Brust der heranstürmenden Stute zu bohren. Impulsiv schleudert Arpio seinen Holzspeer. Die feuergehärtete Spitze dringt ins durch den Pelz der Kleidung und die Haut direkt ins Leben des Gesetzlosen. Mit einem mächtigen Satz geht die Stute über den sich in Todeszuckungen krümmenden Körper hinweg.

Geistesgegenwärtig biegt Arpio den schlanken Körper zurück und entgeht der tödlichen Spitze einer auf ihn geschleuderten Frame. Die scharfe Schneide der Waffe, die sonst seine Brust durchbohrt hätte, schrammt über die Haut und hinterlässt eine tiefe Furche, aus der Blut sickert. Doch in seiner Erregung spürt Arpio nicht den aufbrandenden Schmerz.

„Mitlaufen! Aufspringen!“ ruft er dem nackten Jüngling mit der Frame zu. Und der junge Cherusker begreift sofort, dass der Knabe auf dem anstürmenden Pferd gekommen ist, um ihn zu retten.

Geistesgegenwärtig wirft Segifred Arpio seine Frame zu, greift in Fronjas Mähne und lässt sich vom rasenden Lauf des Tieres mitziehen. Arpio rutscht auf dem Rücken der Stute so weit nach vorn, dass sich der fremde Jüngling hinter ihm auf den Rücken des Tieres schwingen kann. Trotz der doppelten Last rast Fronja mit weiten Sätzen davon.

Hinter ihnen geht die Wotans heilige Herde über die entsetzt aufbrüllenden Räuber hinweg. Die wie hypnotisiert auf die anstürmenden Pferde starrenden Männer werden von den Vorderhufen an der Brust getroffen und rückwärts zu Boden gestoßen. Einige der Hengste, die versuchen, das menschliche Hindernis zu überspringen, zerschmettern mit ihren nach hinten auskeilenden Hufen die Knochen der Unglücklichen, die sich nicht geistesgegenwärtig im Gras abgerollt haben.

Die Huftritte der Hengste haben die vernichtende Kraft von groben Schmiedehämmern. Mit mächtigen Sätzen springen die Pferde über die brüllenden und sich im Gras krümmenden Männer hinweg.

Einige der Waldschwarzen reißen die Arme hoch, um die Pferde zu stoppen. Mit schrillem Wiehern stiegen die Hengste empor und ihre Vorderhufe wirbeln durch die Luft. Aber wenn sie Pferdeleiber wieder herabfallen, dann zertreten die Hufe nicht nur das Gras, sondern auch die Knochen der Männer, die sich auf dem Boden krümmen.

Und während sich einige weniger Männer so das Leben erhalten, schaffen sie für ihre Gesellen immer neue Qualen. In der Verwirrung finden ihre Hufe der nervös springenden Hengste immer aufs Neue ein Ziel und zerschmettern Rippen, Schädel und Knochen.

Trompetenhaftes Wiehern mischt sich mit dem Schmerzgebrüll der Männer, die unter den immer wieder herabschmetternden Hufen der Wotanspferde ein schreckliches Ende finden.

Segifred hat an Arpios Seite vorbei gegriffen und die Zügel übernommen, während der Junge weiter den Runenspeer in der Hand hält. Mit harter Hand zwingt er die Stute, ihre Richtung zu ändern und einen Bogen zu schlagen.

„Wo willst du hin?“, schreit ihm Arpio ins Ohr. „Zurück und die Neidinge nach Helaheim senden!“, knirscht der Cherusker durch die Zähne. „Solange sie leben, werden sie nicht aufhören, mich zu jagen.“

„Und ich werde dir in diesem Kampf beistehen, Geselle. Dieses Waldgezücht ist dem Chattenvolk der größte Feind!“ gibt Arpio zurück und wirbelt den Schaft der Frame so in der Hand, dass er sie zum Stoß gebrauchen kann.

„Sage Segifred, Segimärs Sohn aus dem Geschlecht der Harminonen, deinen Namen, mein Retter und Kampfgeselle“, bittet der Cherusker, während er die Stute energisch vorantreibt.

„Ich bin Hassarpio, Hassomars Sohn aus der Sippe der Hassionen!“ gibt der Junge zurück. „Meine Freunde nennen mich einfach Arpio.“

Für weitere Worte ist keine Zeit. Mit harter Hand hat der junge Cherusker die Stute pariert und treibt sie jetzt auf die noch stehenden Gegner zu. „Gib mir die Frame meines Vaters, Freund und spring vom Ross, wenn wir nah genug sind. Die Toten werden dir für deinen Kampf ihre Waffen überlassen.“

Arpio antwortet nicht. Denn sie haben die Gegner schon wieder erreicht. Nur noch fünf der Männer aus den Wäldern sind voll kampffähig. Die anderen wälzen sich mit zertretenen Knochen brüllend im Gras. Mit kühnem Schwung springt Arpio unmittelbar hinter Segifred im vollem Galopp vom Rücken des Pferdes.

Während Fronja weiter galoppiert, überschlägt sich Arpio rückwärts im Gras und steht sofort wieder auf den Füßen. Mit raschem Griff entreißt er der erstarrten Faust eines Toten die umklammerte Frame. Keine Sekunde zu früh. Denn schon stürmen zwei hochgewachsene Männer mit lautem Gebrüll auf ihn zu.

Es sind wildverwegene Burschen, die das Leben im Wald hart gemacht hat. Ein Zwölfjähriger hat im ernsthaften Kampf gegen sie keine Chance. Doch nun machen sich die heimlichen Knabenspiele und Waffenübungen bezahlt, die Arpio und seine Freunde von den Erwachsenen unbemerkt auf verborgenen Waldlichtungen gemacht haben.

Eine geschickte Drehung der Frame schlägt den auf ihn geschleuderten Speer aus der Wurfbahn. Mit aller Kraft schleudert der Junge einen faustgroßen Stein, den er zusammen mit der Frame aufgerafft hat, auf den Angreifer. Bevor der Mann mit dem Fellgewand und dem wild wuchernden Bart ausweichen kann, trifft ihn das Geschoss direkt über den Augen. Mit einem gurgelnden Schrei stürzt der Räuber blutüberströmt zu Boden.

Der andere Angreifer ist vorsichtig geworden. Obwohl ihre Nacktheit zeigt, dass sie noch keine Krieger sind, erweisen sich die beiden Jungen doch als Gegner, die man auch als Mann nicht unterschätzen darf.

Der Raubgeselle, der Arpio gegenübersteht, hat gesehen, dass Segifred vom Pferd herunter einem seiner Kameraden in rasendem Ritt die Frame durch die Brust gebohrt hat und nicht wieder frei zerren konnte. Er hat das Holz de Runenspeeres fahren lassen, sich vorm Rücken des Tieres geschwungen und eine Keule aus hartem Eichenholz aufgerafft. Mit dieser Waffe stellt er sich den beiden letzten überlebenden Feinden.

Doch nun muss der Waldmann selbst um sein Leben kämpfen. Denn auch der jüngere der beiden Knaben ist so gefährlich wie eine Natter im Gras.

„Stirb, kleine Chattenkröte!“ hört es Arpio aus dem Mund des Gegners zischen. Dann zischt die Frame in seiner Faust vorwärts. Doch der Junge hat den erbeuteten Speer wie einen Kampfstock ergriffen und pariert den Stoß durch einen Schlag von oben herab. Zischend versinkt die Spitze der Waffe des Feindes tief ins Erdreich.

Bevor sie der Raubgeselle den Speer frei zerren kann, ist ihm Arpios Frame mit der Raschheit des Blitzes tief ins Herz gefahren. Das ungläubige Erstaunen im Gesicht des Räubers erstarrt im Tode.

Doch bevor der Junge die Waffe aus dem Körper des zusammenbrechenden Gegners frei zerren kann, spürt er, wie sich zwei eisenharte, haarige Arme um seinen schlanken Körper legen. Die klebrige Substanz, die er auf seinem Kopf spürt, ist Blut, das aus einer Wunde am Kopf tröpfelt. Fauliger, ekelerregender Atem des Mannes, der ihn von hinten gepackt hat, dringt in Arpios Nase und lässt würgende Übelkeit in ihm aufsteigen.

Es ist der Räuber, der von Arpios Stein an der Stirn getroffen wurde. Trotz des Schmerzes an der Stirnwunde hat er sich heimlich tot gestellt und auf seine Chance gelauert. Jetzt ist er aufgesprungen und hat Arpio so um den schlanken Körper gepackt, dass der Junge im Ringergriff gefangen ist. Wie ein Hund ein gefangenes Kaninchen schüttelt, so wird der Junge jetzt von seinem heimtückischen Feind hin und her geschleudert.

„Glaubst du, ein von Knabenhand geschleuderter Stein kann Wufalar, den Sugambrer, töten?“, krächzt es in Arpios Ohr. Und dann drücken die muskulösen Arme des Waldräubers Arpios Brust so zusammen, dass er pfeifend die Luft ausstößt.

Arpio sieht, dass der Cherusker von seinen beiden Gegnern mit den Framen geschickt in die Zange genommen wird. Gegen die wie zwei gereizte Schlangen zustoßenden Speere ist die schwere Keule keine geeignete Waffe. Segifred muss sein eigenes Leben verteidigen und kann Arpio nicht zu Hilfe eilen.

„Ich breche dir alle Knochen im Leibe, wie deine Pferde die Körper meiner Kameraden zertreten haben“, krächzt der Waldschwarze mit brüchiger Stimme. Arpio keucht, weil der stinkende Atem immer wieder in sein Gesicht fährt und Brechreiz in ihm aufsteigen lässt.