Gunter Pirntke

 

 

 

Kirchliche Sexgeschichte

oder

 

Die sündhaften Praktiken der Kirche

 

Impressum

Covergestaltung: Irene Repp

Digitalisierung: Gunter Pirntke

BROKATBOOK Verlag Gunter Pirntke


© 2016 

ISBN: 9783961180516


Mail: brokatbook@aol.com

Gunter Pirntke, Altenberger Str. 47

01277 Dresden, Ruf: +49 (0)15901959485


 

Hinweis

Das Buch ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das Übersetzen in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlags ist es auch nicht gestattet, diese Bücher oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten oder zu verbreiten.

 

Inhalt

Einleitung

Adam und Eva

Der Teufel

Jesus von Nazareth

Die Kirchenlehrer und die Entwicklung der Sexuallehre

Die Entstehung des Christentums

Die Kirchenlehrer und Verhältnis zur Sexualtät

Paulus

Augustinus

Thomas von Aquin

Die Sexuallehre der römisch-katholischen Kirche

Das kriminelle Christentum

Verdummung

Die Inqusition

Der Hexenhammer

Das finstere Mittelalter

Sex bei Pfaffen und Päpsten

Der Pfaffenspiegel

Der Trieb der Päpste

Der Borgia-Papst

Frauen und Kirchenmoral

Sexualunterricht auf katholisch

Opus Dei

Kinder Gottes

Vertraue deinem Priester

Grimms Märchenstunde

Zusammenfassung und Schlussbemerkungen

Quellenverzeichnis

Anmerkungen

Und sie predigten Wasser und soffen heimlich Wein von Petrus bis Benedikt

frei nach Heinrich Heine

Einleitung

 

 

Die Kirchen zerfleischen sich beim Thema Verhütung, Homosexualität, der Rolle der Frau und den Missbrauchsskandalen. Während des Skandals um die Vergehen katholischer Priester im Jahr 2013, schockierte Papst Benedikt die Öffentlichkeit, als er als erster Papst seit 600 Jahren zurücktrat.

 

Die anglikanische Kirche steckt in einem Grabenkampf, ob weibliche Bischöfe und homosexuelle Ehen akzeptiert werden sollen. Dabei ist für viele von uns der christliche Hickhack um Sex mittlerweile völlig bedeutungslos. Trotzdem ist das Abendland immer noch durchdrungen von den christlichen Einstellungen zu Sex.

 

Bereits die frühen Christen prägten die Moralvorstellungen der Kirche zur Sexualität: Aus einer biologischen Notwendigkeit wurde eine Sünde.

 

Obwohl Jesus sehr wenig über Sex gesprochen hatte, erhob das frühe Christentum das Zölibat zum Ideal und machte aus Sex etwas Gefährliches. Historiker Diarmaid MacCulloch begibt sich auf die Spuren der frühen Christen.

 

Im 11. Jahrhundert übernahm die christliche Kirche die Kontrolle über die Ehe. Doch die protestantische Reformation startete eine sexuelle Revolution.

 

Wie prägte das Christentum im Mittelalter und während der Reformation die westlichen Einstellungen zu Sex?

 

Die Aufklärung ermutigte die Menschen, Autoritäten in Frage zu stellen – einschließlich der kirchlichen Lehre zu Sex und Ehe.

 

In den folgenden Jahrhunderten veränderte die sexuelle Revolution die westliche Welt. Das Buch zeigt, wie sich Kirche und Gesellschaft in Fragen zu Sex und Gender immer weiter voneinander entfernten.

 

 

Adam und Eva

 

Adam und Eva waren nach der biblischen Erzählung im Buch Genesis (Kapitel 2 bis 5) das erste Menschenpaar und Stammeltern aller Menschen.

 

Adam wurde demnach von Gott aus Lehm erschaffen, danach wurde ihm der Lebensatem eingehaucht. Adam gab den Tieren Namen, fand aber kein partnerschaftliches Gegenüber. Darauf ließ Gott Adam in einen tiefen Schlaf fallen, entnahm ihm eine Rippe bzw. Seite und schuf aus dieser sein Gegenüber Eva. Wurde in der Erzählung bis dahin immer von „dem Menschen“ (Adam) gesprochen, erkennt Adam in der Begegnung mit dem neuen Wesen in sich den Mann und in seinem Gegenüber die Frau.

 

Der erste biblische Schöpfungsbericht besagt – siehe Gen 1,27 EU: Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn, und er schuf sie als Mann und Weib. Adam und Eva leben zunächst im Garten Eden. Dort überredet sie die Schlange entgegen dem Verbot Gottes vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. (Diese Schlange wird in der christlichen Tradition oft auf den Teufel bezogen. Diese Gleichsetzung findet sich schon im Neuen Testament in Offb 12,9 EU.) Da sich Adam und Eva nach dem Genuss der Früchte mit Feigenblättern bekleiden, könnte mit der verbotenen Frucht eine Feige gemeint sein, die in der biblischen Systematik der Früchte die 4. Frucht ist (vgl. Dtn 8,8) und auf die Zahl Vier verweist, die symbolisch für die materielle Welt steht. Das gängige Bild vom Apfel als verbotener Paradiesfrucht beruht nicht etwa auf einem Übersetzungsfehler der lateinischen Bibel, der Vulgata, sondern darauf, dass in der lateinischen Sprache „Malus“ „Apfelbaum“ bedeuten kann, aber auch „schlimm, böse“, ebenso wie „Malum“ „Apfel“ bedeuten kann oder ebenfalls „übel, schlecht, böse“. Daraus ergab sich ein ziemlich nahe liegendes Wortspiel, zumal die Vulgata den „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ aus dem hebräischen Urtext übersetzte mit „lignum scientiae boni et mali“. Die in dem Essen der verbotenen Frucht zum Ausdruck kommende Abkehr von Gottes Geboten gilt sowohl in der jüdischen als auch in der christlichen Religion als Ungehorsam gegenüber Gott, wie auch die Rebellion des Teufels gegen diesen. Hier als Übertrag vom Teufel auf dem Menschen, welcher den Menschen in seiner seelischen und körperlichen Beschaffenheit veränderte. Das Christentum spricht vom Sündenfall.

 

Als Folge der Rebellion beschreibt die Bibel, dass Adam und Eva ihre Nacktheit erkennen, woraufhin sie sich Kleidung aus Feigenblättern anfertigen. Vor Gott versuchen sie sich zu verstecken. Zum ersten Mal ist etwas im Paradies vorhanden, was vorher nicht bekannt war: die Verletzung des Schamgefühls. Gott stellt sie zur Rede, woraufhin Adam die Schuld Eva zuschreibt und Eva der Schlange. Beide werden aus dem Garten Eden vertrieben. Eva muss fortan Kinder unter Schmerzen gebären, Adam wird der harte und mühselige Ackerbau auferlegt.

 

Die lateinische Kirche entwickelt aus der biblischen Erzählung den Begriff der Erbsünde, sie begreift Adam als Typ und Haupt-Figur der Menschheit. Als solcher kann er, wie der Apostel Paulus im Römerbrief (Röm 5,12-21 EU) schreibt, ursächlich für den Tod aller Menschen sein. Diesem „alten (Menschentypus) Adam“ wird Jesus Christus als der eine „neue Adam“ gegenübergestellt, dessen Kreuzestod im Gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters (Phil 2,8 EU) und dessen Auferstehung ein Leben im Sieg über die Mächte des Todes hinaus ermöglichen. Diese Interpretation wird aber nicht von der Ostkirche akzeptiert, wo die Erbsünde unbekannt ist; es heisst nur, dass der Tod durch Adam und Eva in die Welt gebracht wurde und in der Auferstehung Jesu das Paradies wieder erschlossen ist.

 

Der Gegensatz von „Geist“ und „Fleisch“, der für Paulus grundlegend ist und der bei ihm auch hinter dem Gegensatz zwischen dem „neuen Adam“ Jesus und dem „alten Adam“ steht, ist schon in den ersten Kapiteln der Genesis zu finden. „Alle, die zu Jesus Christus gehören, haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt. Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen“ (Gal 5,24-25 EU). Das „Kreuzigen“ bedeutet nicht töten, sondern der Bestimmung durch den Geist unterwerfen im Sinn der inneren Beschneidung des Herzens durch den Geist. Das so beschnittene Herz hat wieder Zugang zur Gnade und zur Sehkraft der „Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes“ (Röm 5,2 EU) und die Unsterblichkeit (1 Kor 15,53-57 EU), die den Adam paradisus im Gnadenstand des Paradieses auszeichnet. Auch die beiden Bäume in der einen Mitte des Paradieses lassen sich auf diesen Gegensatz von Geist (Lebensbaum) und Fleisch (Erkenntnisbaum) zurückführen.

 

C:\Users\Gunter\Desktop\Lucas_Cranach_d.Ä._-_Adam_und_Eva_(Gemäldepaar),_Herzog_Anton_Ulrich-Museum.jpg

Adam und Eva (Lucas Cranach der Ältere), Herzog-Anton-Ulrich-Museum Braunschweig

 

 

 

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/67/Michelangelo_S%C3%BCndenfall.jpg

Michelangelo: Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies in der Sixtinischen Kapelle, 1508–12

 

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/0/01/Nuremberg_chronicles_-_f_9r.png/800px-Nuremberg_chronicles_-_f_9r.png

Schedelsche Weltchronik von 1493, Adam und Eva, traditionelle Arbeitsteilung

 

Die klassischen Worte aus Gen 3,19 EU:

„Denn Staub bist du und zum Staub zurück kehrst du.“ weisen zunächst auf den Ritus der Erdbestattung hin und bringen zudem nach christlicher Interpretation zum Ausdruck, dass nun der Tod in die Welt getreten ist. Zwischen Eva, der Schlange und ihren jeweiligen Nachkommen wird Feindschaft herrschen.

 

Ihren Namen erhält Eva erst nach dem Sündenfall.

 

Kurz nach ihrer Erschaffung im Bilde Gottes, wurden die ersten Menschen also auf die Probe gestellt. Der Bericht beschreibt einen Austausch mit einer ‚Schlange‘. Die Schlange ist immer allgemein als Satan, ein Gott widerstehender Engel, aufgefasst worden. Gewöhnlich, in der Bibel konfrontiert Satan durch die Vermittlung einer zweiten Person. In diesem Fall sprach er durch eine Schlange. Der Bericht lautet folgendermaßen:

 

Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?

 

Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!

 

Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.

 

Und das Weib sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß, und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon, und er aß. Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze. (1.Mose 3:1-7)

 

Der Kern ihrer Wahl, und somit der Versuchung war, dass sie ‚wie Gott sein‘ könnten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie in allem grundsätzliches Vertrauen zu Gott gehabt, und in allem ihn beim Wort genommen. Aber jetzt hatten sie die Wahl, das alles hinter sich zu lassen, sich selbst zu vertrauen und sich selbst bei ihrem eigenen Wort zu nehmen. Sie könnten selber Gott werden, ihren eigenen Ton angeben, Meister ihres eigenen Schicksals sein, autonom, sich selbst allein verantwortlich. Lange bevor Dawkins „Der Gotteswahn“ geschrieben hatte, fielen sie auf den wirklichen Gotteswahn herein – dass sie ‚wie Gott‘ sein könnten.

 

Mit ihrer Unabhängigkeitserklärung änderte sich etwas in unseren Vorfahren. Der Bibelstelle nach, fühlten sie Scham und versuchten sich zu bedecken. Ja, unmittelbar danach, als Gott Adam wegen seinem Bundesbruch zur Rechenschaft zieht, beschuldigt er Eva (und Gott, der sie geschaffen hatte). Sie wiederum beschuldigt die Schlange. Niemand wollte die Verantwortung übernehmen.

 

Und das sollte sich fortsetzen.

 

In der biblischen Erzählung zeugt Adam nach der Vertreibung aus dem Paradies mit Eva Kain, Abel und Set. Das biblische Buch Genesis 5,4 erwähnt außerdem nicht namentlich genannte Töchter und weitere Söhne, die Adam nach der Geburt Sets zeugte.

 

Und damit sind wir beim Thema des Buches. Es gab aber noch einen Mitspieler, den man so gern heranzog.

 

Der Teufel

Der Teufel wird in verschiedenen Religionen als eigenständiges, übernatürliches Wesen angesehen. Er spielt im Christentum eine besondere Rolle als Personifizierung des Bösen. Dargestellt wird er oft als Engel mit schwarzen Flügeln oder als „Junker“ mit Pferdefuß.

 

Im Christentum ist der Teufel der Inbegriff des Bösen. Er wird auch (abweichend von der alttestamentlichen Bedeutung dieser Namen) Satan oder Luzifer genannt. Der Teufel wird dabei als ein gefallener Engel angesehen, der gegen Gott rebellierte.

 

Die christliche Tradition bezieht auch die Schlange in der Schöpfungsgeschichte oft auf den Teufel. Diese Gleichsetzung findet sich schon in der Offenbarung des Johannes. In der Tradition wird der Teufel als Urheber der Lügen und des Bösen in der Welt angesehen. Die Offenbarung nennt ihn den „großen Drachen, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heisst und die ganze Welt verführt“. Der Epheserbrief bezeichnet sein Wirken „Herrschaft jenes Geistes, der im Bereich der Lüfte regiert und jetzt noch in den Ungehorsamen wirksam ist“. Besonders ausführlich wird der Teufel im apokryphen äthiopischen Henochbuch als Azazel als einer jener Gottessöhne erwähnt, die mit den Menschentöchtern die Nephilim, die „Riesen der Vorzeit“, zeugten.

 

Ebenfalls im Neuen Testament wird Satan als Engel bezeichnet, der sich als Engel des Lichts ausgebe (2. Korintherbrief 11,14), und als personifiziertes Geistwesen vorgestellt, das stets als Teufel agiere. So heisst es: „Wer die Sünde tut, stammt vom Teufel; denn der Teufel sündigt von Anfang an. Der Sohn Gottes aber ist erschienen, um die Werke des Teufels zu zerstören.“ (1. Johannes 3,8).

 

Bei Jesaja 14 findet sich ein Spottlied auf den König von Babel, von dem eine Stelle später von christlicher Tradition auf den Satan bezogen wurde, ursprünglich aber eine Anspielung auf die Gestalt des Helel aus der babylonischen Religion ist, das Gegenstück zum griechischen Gott Helios. Der Bezug auf den König wird schon anfänglich klargemacht:

 

„da wirst du dieses Spottlied anstimmen über den König von Babel und sagen: Wie hat aufgehört der Unterdrücker, aufgehört das Anstürmen!“

 

Die Stelle selbst lautet:

 

„Wie bist du vom Himmel gefallen, du Glanzstern, Sohn der Morgenröte! Wie bist du zu Boden geschmettert, Überwältiger der Nationen! Und du, du sagtest in deinem Herzen: „Zum Himmel will ich hinaufsteigen, hoch über den Sternen Gottes meinen Thron aufrichten und mich niedersetzen auf den Versammlungsberg im äußersten Norden. Ich will hinaufsteigen auf Wolkenhöhen, dem Höchsten mich gleichmachen.“ Doch in den Scheol wirst du hinabgestürzt, in die tiefste Grube.“1

 

 

Die Kirchenväter sahen darin eine Parallele auf den in Lukas 10,18 beschriebenen Fall Satans („Ich sah Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz“). Eine theologische Begründung für die Gleichsetzung besteht darin, dass die Stadt Babylon in der Offenbarung mit dem Teufel am jüngsten Tag gemeinsam von Gott vernichtet werde. Andere wenden dagegen ein, dass eine angenommene gleichzeitige Vernichtung keine Identität bedeute.

 

Auf ähnliche Weise wurden auch Teile von Ezechiel 28 auf den Fall des Satans bezogen. Dort spricht der Prophet vom Ende des Königs von Tyrus, der wegen seines Hochmuts sich für einen Gott hält und daher angeklagt wird. In den Versen 14–15 heisst es dann an den König gerichtet:

 

„Du warst ein mit ausgebreiteten [Flügeln] schirmender Cherub, und ich hatte dich [dazu] gemacht; du warst auf Gottes heiligem Berg, mitten unter feurigen Steinen gingst du einher. Vollkommen warst du in deinen Wegen von dem Tag an, als du geschaffen wurdest, bis sich Unrecht an dir fand.“2

 

 

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/e/e3/184_W%C3%BCrttemberg_und_M%C3%B6mpelgard_M%C3%B6mpelgarder_Altar_You_know_who.jpg/800px-184_W%C3%BCrttemberg_und_M%C3%B6mpelgard_M%C3%B6mpelgarder_Altar_You_know_who.jpg

Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen, Mömpelgarder Altar (um 1540)

 

In den Evangelien bezieht sich Jesus in verschiedenen Gleichnissen auf den Teufel, etwa im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen:

 

„Und Jesus erzählte ihnen noch ein anderes Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Leute schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? Er antwortete: Das hat ein Feind von mir getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune.“

 

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/1/1f/John_Roddam_Spencer_Stanhope_-_Eve_Tempted%2C_1877.jpg/320px-John_Roddam_Spencer_Stanhope_-_Eve_Tempted%2C_1877.jpg

Die Versuchung Evas, John Roddam Spencer Stanhope (1877)

 

– Matthäus 13,24–30 EU

Vor dem Tausendjährigen Reich gibt es (nach der Offenbarung des Johannes) einen Kampf zwischen dem Michael und seinen Engeln und Satan, der damit endet, dass der Teufel und seine Anhänger auf die Erde geworfen werden (Höllensturz; Offenbarung 12). Für die Dauer des Tausendjährigen Reichs wird er aber gefesselt (Offb 20, 1–3), um danach wieder kurz freigelassen zu werden (Offb 20, Vers 7). Er verführt dann für eine gewisse Zeit Menschen, ehe er in einen Feuersee geworfen wird (Offb 20,11).

 

Die Absage an den Teufel (Abrenuntiatio Diaboli) gehört in der römisch-katholischen Kirche zum Ritus der Taufe und zur Erneuerung der Taufversprechen in der Feier der Osternacht. Im Katechismus der katholischen Kirche heisst es in 391–394 über den Satan:

 

„Die Schrift bezeugt den unheilvollen Einfluss dessen, den Jesus den, von Anfang an‘ nennt (Joh 8,44) und der sogar versucht hat, Jesus von seiner vom Vater erhaltenen Sendung abzubringen [Vgl. Mt 4,1–11.]. ‚Der Sohn Gottes aber ist erschienen, um die Werke des Teufels zu zerstören‘ (1 Joh 3,8). Das verhängnisvollste dieser Werke war die lügnerische Verführung, die den Menschen dazu gebracht hat, Gott nicht zu gehorchen.

 

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fa/Ary_Scheffer_-_The_Temptation_of_Christ_%281854%29.jpg

Die Versuchung Christi, Gemälde von Ary Scheffer (1854)

 

Die Macht Satans ist jedoch nicht unendlich. Er ist bloß ein Geschöpf; zwar mächtig, weil er reiner Geist ist, aber doch nur ein Geschöpf: Er kann den Aufbau des Reiches Gottes nicht verhindern. Satan ist auf der Welt aus Hass gegen Gott und gegen dessen in Jesus Christus grundgelegtes Reich tätig. Sein Tun bringt schlimme geistige und mittelbar selbst physische Schäden über jeden Menschen und jede Gesellschaft. Und doch wird dieses sein Tun durch die göttliche Vorsehung zugelassen, welche die Geschichte des Menschen und der Welt kraftvoll und milde zugleich lenkt. Dass Gott das Tun des Teufels zulässt, ist ein großes Geheimnis, aber, wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt‘ (Röm 8,28).“

 

Der katholische Literaturwissenschaftler und Anthropologe René Girard interpretiert das christliche Verständnis Satans in seiner Analyse der neutestamentlichen Texte als eines der Hauptmotive der christlichen Offenbarung. Im Rahmen der von ihm formulierten mimetischen Theorie ist die Teufelsdarstellung in den Evangelien ein Paradigma des mimetischen Zyklus: Der Teufel ist der Versucher und der Stifter des Begehrens und des „Ärgernisses“ (skándalon), sein Wirken ist die sich selbst austreibende mimetische (= nachahmende) Gewalt, und er ist der „Mörder vom Anfang“, der das mythische Religionssystem, den kirchlichen Christusmythos, das ist die Gottwerdung und Anbetung des jüdischen Wanderpredigers, Rabbiners und Messias Jesus von Nazareth und die Trennung vom Judentum, hervorbringt. In der Bloßstellung der menschlichen (mimetischen) Gewalt durch die Passion und im darauffolgenden Ende des heilbringenden Opferkultes der archaischen Welt sei der Sinn des Triumphes des Kreuzes über die „Gewalten und die Mächte“ des Kolosserbriefes (2,14–15) sowie jene Täuschung der „Herrscher dieser Welt“ des 1. Korintherbriefes (2,6–8) zu sehen, wenn man diese und ähnliche Begriffe mit Satan gleichsetzt, wie die Kirchenväter es machten.“

 

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8d/Mih%C3%A1ly_Zichy_Lucifer_1887.jpeg

Die Verbannung Luzifers aus dem Himmel, Mihály Zichy (1887)

 

Girards Auffassung wurde von manchen theologischen Kreisen rezipiert, allerdings sind seine Gedanken in der christlichen Dogmatik ungewöhnlich und in der kirchlichen Öffentlichkeit noch kaum bekannt. Er verweist jedoch auf Origenes und dessen These des vom Kreuz getäuschten Satans als Träger „eine(r) wichtige(n) Intuition“, die in der westlichen Kirche „unter den Verdacht, ‚magisches Denken‘ zu sein“, geriet.

 

Der außerdem oft verwendete Begriff Luzifer hat folgenden Ursprung: In der Antike war Luzifer der Name für den Planeten Venus; im antiken Babylon wurde die Venus als „Tagesstern“, „Sohn der Morgendämmerung“ oder auch „Morgenstern“ oder „Abendstern“ bezeichnet. Die römische Mythologie kennt Luzifer als Sohn der Aurora, der Göttin der Morgenröte. In der griechischen Mythologie ist die Göttin Eos das Gegenstück zu der römischen Aurora. Und auch hier hatte diese Göttin einen Sohn, welcher Phosphoros oder Eosphóros hieß. Dieser entspricht also dem römischen Lucifer. Da in Jesaja 14,12 ein aus den Himmeln hinabstürzender „Engel [eigentlich Cherub] der Morgenröte“ Erwähnung findet, wurde in der Vulgata der „Glanzstern“ von Jesaja 14,12 als „lucifer“ wiedergegeben.

 

Der Teufel wird uns noch oft im Verlauf des Buches begegnen. Zumeist wird es sich aber um menschliche Teufel handeln.

 

Jesus von Nazareth

Jesus von Nazaret, geboren zwischen 7 und 4 v. Chr., wahrscheinlich in Nazareth, gestorben wahrscheinlich 30 oder 31 in Jerusalem, war ein jüdischer Wanderprediger. Etwa ab dem Jahr 28 trat er öffentlich in Galiläa und Judäa auf. Zwei bis drei Jahre später wurde er auf Befehl des römischen Präfekten Pontius Pilatus von römischen Soldaten gekreuzigt.

 

Das Neue Testament (NT) ist als Glaubensdokument der Urchristen zugleich die wichtigste Quelle der historischen Jesusforschung. Danach hat Jesus Nachfolger berufen, den Juden seiner Zeit das nahe Reich Gottes verkündet und sein Volk darum zur Umkehr aufgerufen. Seine Anhänger verkündeten ihn nach seinem Tod als Jesus Christus, den Messias und Sohn Gottes. Daraus entstand eine neue Weltreligion, das Christentum. Auch außerhalb des Christentums wurde Jesus bedeutsam.

 

Informationen über Jesus werden großenteils den vier kanonischen Evangelien, manche auch den Paulusbriefen, einigen Apokryphen und außerhalb davon überlieferten Einzelworten (Agrapha) entnommen. Diese Texte stammen von Urchristen jüdischer Herkunft, die an die Auferstehung Jesu Christi glaubten (Mk 16,6; Apg 2,32) und authentische Erinnerungen an Jesus mit biblischen, legendarischen und symbolischen Elementen verbanden. Damit wollten sie Jesus als den verheißenen Messias für ihre Gegenwart verkündigen, nicht biografisches Wissen über ihn festhalten und vermitteln. Gleichwohl enthalten diese Glaubensdokumente auch historische Angaben.

 

Die zwischen 50 und 64 entstandenen Paulusbriefe nennen kaum biografische Daten Jesu, zitieren aber einige seiner Worte und Aussagen aus der Jerusalemer Urgemeinde über ihn, die entsprechende Evangelienangaben bestätigen. Auch der Jakobusbrief spielt öfter auf Eigenaussagen Jesu an und gilt manchen Exegeten als mögliche Quelle dafür, falls er von Jesu Bruder stammt.

 

Wegen Anspielungen auf die Zerstörung des Jerusalemer Tempels (Mk 13,2; Mt 22,7; Lk 19,43 f.) werden die drei synoptischen Evangelien in der Regel später als das Jahr 70 datiert. Somit kannte keiner der Autoren Jesus persönlich. Sie übernahmen jedoch ältere Jesusüberlieferung, deren früheste Bestandteile auf den Kreis der ersten Nachfolger aus Galiläa zurückgehen. Den Autoren des Matthäus- und Lukasevangeliums lag nach der weithin akzeptierten Zweiquellentheorie das Markusevangelium oder eine Vorform davon vor. Sie übernahmen dessen meiste Texte und Komposition und veränderten diese gemäß ihren eigenen theologischen Absichten. Ihre sonstigen gemeinsamen Stoffe werden einer hypothetischen Logienquelle mit gesammelten Reden und Sprüchen Jesu zugewiesen, deren Verschriftung auf 40 bis 70 datiert wird. Ähnliche Spruchsammlungen wurden auch im vermutlich in Syrien entstandenen Thomasevangelium fixiert. Ihre frühesten, zuvor jahrelang mündlich überlieferten Bestandteile (Lk 1,2) stammen von Jesu ersten Anhängern und können originale Jesusworte bewahrt haben. Auch ihr jeweiliges Sondergut und das um 100 entstandene Johannesevangelium können unabhängig überlieferte historische Angaben zu Jesus enthalten.

 

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/b/b2/Meister_der_Reichenauer_Schule_001.jpg/800px-Meister_der_Reichenauer_Schule_001.jpg

Reichenauer Schule – „Christus spricht zu den Jüngern“, 1010

 

Jesu Verhalten gegenüber Frauen war im patriarchalischen Judentum damals neu und ungewöhnlich. Viele der berichteten Heilungen galten sozial ausgegrenzten Frauen wie Prostituierten, Witwen oder Ausländerinnen. Geheilte Frauen folgten ihm von Beginn an nach (Mk 1,31), manche versorgten ihn und die Jünger (Lk 8,2 f.). Sie spielten laut NT für Jesus auch sonst eine wichtige Rolle: Eine Frau soll ihn vor seinem Tod gesalbt (Mk 14,3–9), die Gattin des Pilatus soll gegen seine Hinrichtung protestiert haben (Mt 27,19). Nachfolgerinnen Jesu sollen nicht geflohen sein, sondern sein Sterben begleitet, seine Grablegung beobachtet (Mk 15,40 f.), sein leeres Grab entdeckt (Mk 16,1–8) und als erste seine Auferweckung bezeugt haben (Lk 24,10; Joh 20,18).

 

Nach Mt 19,12 gebot Jesus seinen Jüngern die Eheschließung nicht, sondern ließ um ihrer Aufgabe willen, der Reich-Gottes-Verkündigung, Ehelosigkeit zu. Einige Jünger traf Paulus später mit ihren Ehefrauen in Jerusalem an (1 Kor 9,5), sodass diese schon mit Jesus und ihren Männern umhergezogen sein können.

 

Entgegen den Lehren der katholischen Kirche war Jesus ganz gewiss kein Verfechter des Zölibats. Bei Matthäus heißt es weiter: „Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer von Anfang an, sie als Mann und Frau geschaffen und gesagt hat: ,Deshalb wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und die zwei werden ein Fleisch sein.'?“(Matth 19,4-5)

 

In anderen Schriften erscheint Jesus geradezu als Sexbefürworter. Laut dem Evangelium des Thomas, einer der apokryphen, nicht in die Bibel aufgenommenen Schriften, sagte Jesus: ,Wenn ihr wie kleine Kinder eure Kleider ablegt ohne Scham, wenn ihr zwei eins werden lasst, wenn ihr Mann und Frau zu einer Einheit verschmelzt, dann werdet ihr das Reich Gottes betreten."

Demnach hatte Jesus eine durchaus tolerante Einstellung zum Sex. Eine Zeit lang wurde darüber spekuliert, ob er selbst nicht auch verheiratet war. Zumindest konstatiert die Bibel nicht eindeutig, dass Jesus ledig war, sondern schweigt sich diesbezüglich aus. Zur damaligen Zeit war es für einen jüdischen Mann seines Alters durchaus üblich, ja fast obligatorisch, verheiratet zu sein. Außer bei strenggläubigen essenerianischen Sekten wurde der Zölibat einhellig verurteilt. Ein zeitgenössischer jüdischer Schriftgelehrter verglich den Zölibat gar mit Mord. Es war die Pflicht eines jeden jüdischen Vaters, seinem Sohn eine Frau zu suchen, genau wie es seine Pflicht war, ihn beschneiden zu lassen.

 

Wichtiger noch, das jüdische mischnaische Gesetz schreibt vor: „Ein unverheirateter Mann darf nicht Lehrer sein." Es wäre Jesus als ledigem Mann niemals gestattet worden, durchs Heilige Land zu ziehen und dem Volk zu predigen. Wenn Jesus aber verheiratet war, stellen sich die Fragen: Wann wurde er getraut und mit wem? In Kana vielleicht, als er Wasser in Wein wandelte? Vielleicht mit Maria Magdalena?3 Es gab zahlreiche Spekulationen.

 

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/c/cd/Mary_Magdalene_In_The_Cave.jpg/1280px-Mary_Magdalene_In_The_Cave.jpg

Jules-Joseph Lefebvre: Maria Magdalena in der Grotte, 1876, Ölgemälde

 

Einiges deutet sogar darauf hin, dass er Maria Magdalena nicht treu gewesen ist. Das Thomasevangelium berichtet, Jesus habe des öfters mit Salome das Lager geteilt, und das koptische Buch der Wiederauferstehung Christi, welches dem Apostel Bartholomäus zugeschrieben wird, erwähnt, Maria Magdalena sei nicht allein gewesen, als sie entdeckte, dass Jesus aus seinem Grab verschwunden war. Bei ihr befand sich „Salome, die ihn in Versuchung führte". Nach allem, was man über den Tanz der sieben Schleier hört, besteht kaum ein Zweifel, dass Salome nur zu gut wusste, wie man jemandem den Kopf verdreht.

 

Thieling ist überzeugt, dass Jesus 44 n. Chr. von Maria Magdalena geschieden wurde und 50 n. Chr. Lydia heiratete, eine Gemeindevorsteherin aus Thyatira, in deren Haus kirchliche Zusammenkünfte stattfanden. Als Lydia schwanger wurde, bestritten viele von Jesu Anhängern die Legitimität des Sprößlings. Diejenigen, welche die Ehelichkeit von Jesu neugeborenem Kind anzweifelten, so Thieling, „wurden der Sodomie beschuldigt".

 

Dieses wiedersprich aber den Worten von Jesus gegenüber Pharisäern nach Mk 10,2–12 über die Unauflösbarkeit der Ehe gemäß Gen 1,27 und verbot gegenüber seinen Jüngern beiden Ehepartnern die Scheidung und Wiederheirat. Nach Mt 5,32 und 19,9 begründete er dies als Schutz der Frau, die sonst zu Ehebruch genötigt werde. Der Einschub „abgesehen von (vom Fall eines) Ehebruch(s)“ (porneia) gilt als redaktioneller Zusatz. Nach Lk 16,18 sprach Jesus den jüdischen Mann an, der bei Wiederheirat die fortbestehende erste Ehe breche.

 

Dem Matthäusevangelium zufolge war Jesus von königlichem Geblüt — dem des Hauses David. Daher dürfte von ihm erwartet worden sein, dass er Erben zeugte. In dem Buch The Holy Blood and the Holy Grad wird die These aufgestellt, Jesus und Maria Magdalena hätten ein Kind gehabt, das nach Frankreich gebracht wurde und dessen Nachkommen später den Templerorden gründeten. Die Autoren behaupteten, dieses gefährliche Geheimnis sei der Grund für die blutige Verfolgung der Templer im dreizehnten Jahrhundert gewesen.

 

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/46/Tizian_010.jpg

Tizian: Büßende Maria Magdalena, um 1533, Ölgemälde

 

The Holy Blood and the Holy Grau ist nicht das einzige Buch, das die Ansicht vertritt, Jesus sei ein verheirateter Familienvater gewesen. In Jesus the Man wagt Barbara Thieling die Behauptung, Jesus habe mit Maria Magdalena sogar drei Kinder gezeugt, zwei Söhne und eine Tochter. Thieling erklärt weiter, Jesus sei nicht am Kreuz gestorben. Er habe lediglich vergleichsweise kurze Zeit daran gehangen — oft lebten die Gekreuzigten noch mehrere Tage, bis sie schließlich starben. Jesus wurde abgenommen und, so Thieling, wiederbelebt. Aus diesem Grund fand man auch sein Grab leer vor.

 

 

Da manche Qumranschriften (CD 4,12–5,14) und die Rabbinerschule Schammai eine ähnliche Position vertraten, wird vermutet, dass diese Strenge auf damalige soziale Auflösungstendenzen im Judentum reagierte und sowohl das Verhalten der Oberschicht kritisieren wie auch verarmte, von Zerrüttung gefährdete Familien schützen sollte. Dass Jesus sein Verbot an jüdische Männer richtete und des Ehebruchs angeklagte Frauen laut Lk 7,36 ff.; Joh 8,2 ff. verteidigte, wird als Absicht zum Schutz der Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft gedeutet.

 

Nach den Evangelien trieb Jesus ihr Sieben Dämonen aus (Lk 8,2 EU; Mk 16,9 EU). Maria Magdalena gehörte zu den Frauen, die Christus nachfolgten und mit für seinen und der Jünger Unterhalt sorgten (Lk 8,3 EU). Diese Frauen folgten ihrem Herrn nach Jerusalem und sahen bei der Kreuzigung Weitem zu (Mt 27,55f EU), halfen beim Begräbnis (Mt 27,61 EU; Mk 15,47 EU) und entdeckten am Ostermorgen das leere Grab (Mk 16,1-5 EU, Joh 20,1 EU). Nachdem Maria Magdalena hiervon den Jüngern berichtet hatte, begegnete ihr als erster der Auferstandene und trug ihr die Auferstehungsbotschaft an die Jünger auf (Joh 20,11-18 EU). Das ist auch die offizielle Lesart der katholischen Kirche.

 

In dem in Nag Hammadi gefundenen Philippusevangelium wird Maria Magdalena in zwei Versen namentlich genannt.

 

„Drei (Frauen) hatten ständig Umgang mit dem Herrn: Seine Mutter Maria, ‹seine› Schwester und Magdalena, die „seine Gefährtin“ genannt wird. Denn „Maria“, so heisst seine Schwester; und seine Mutter heisdt so; und seine Gefährtin heisst so.“

 

– Nag-Hammadi-Codex II, 3 Vers 32

 

„Die Sophia, die genannt wird: Die Unfruchtbare, sie ist die Mutter der Engel. Und die Gefährtin [des Erlösers] ist Maria Magdalena. Der [Erlöser liebte] sie mehr als [alle] Jünger und er küsste sie [oft] auf ihren [Mund].“

 

– Nag-Hammadi-Codex II, 3 Vers 55

 

Der Vers 55 ist im Original an mehreren Stellen fragmentiert und aus differenzierenden Lesungen von Buchstaben ergeben sich verschiedene Ergänzungsvorschläge und Interpretationen. Hier etwa zum Vergleich die Lesung des amerikanischen Koptologen Wesley W. Isenberg:

 

„Die Weisheit, [di]e die Unfruchtbare genann[t] wird, sie ist die Mutt[er der Eng]el und [die] Gefährtin des Hei[lands]. - Der Hei[land lieb]te [Ma]ria Mag[da]lena mehr.“

 

– Nag-Hammadi-Codex II, 3 Vers 55.

 

Im Thomasevangelium (Vers 114) wird überliefert, dass Simon Petrus „Mariham“ (Maria Magdalena) aus der Mitte der Jünger fortschicken wollte, denn „Frauen sind des Lebens nicht würdig“. Jesus soll daraufhin geantwortet haben: „Seht, ich werde sie ziehen, um sie männlich zu machen“, denn „jede Frau, die sich männlich macht, wird in das Himmelreich gelangen“.

 

In der Gnosis wird überliefert, dass Maria Magdalena die Gefährtin Jesu gewesen sei. Das gnostische Evangelium der Maria, das auf die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts datiert wird, ist möglicherweise nach ihr benannt.

 

In der koptisch-gnostischen Pistis Sophia hat Maria Magdalena einen überragenden Part als Auslegerin von Texten und als Fragestellerin inne: Von 48 Auslegungen entfallen auf sie 22, von 57 Fragen 43. Der Zweitplatzierte, Johannes, hat neun Gesprächsanteile (zwei Auslegungen und sieben Fragen). Hierzu muss betont werden, dass die Gesprächsanteile in dieser Schrift mit dem Grad der Geisterfülltheit in Verbindung stehen - umso bemerkenswerter die Dominanz dieser Frau in einer androzentrisch geprägten Gesellschaft.

 

Besonders in drei Kapiteln sagt Jesus bedeutende Dinge über sie:

 

„Du bist begnadet vor allen Frauen auf Erden, weil du die höchste Fülle und höchste Vollendung sein wirst“. (Kap. 19)

 

„Du bist begnadet in Fülle, du bist die allselige Vollheit, die von allen Geschlechtern selig gepriesen wird“. (Kap. 34)

 

„Doch Maria Magdalena und Johannes, der Jungfräuliche, werden alle meine Jünger und alle Menschen, die die Mysterien vom Unaussprechlichen empfangen, überragen. Und sie werden zu meiner Rechten und zu meiner Linken sein. Und ich bin sie und sie sind ich.“ (Kap. 96).

 

Papst Gregor I. setzte im Jahr 591 (darin Hippolytus folgend) in einer Predigt Maria von Magdala mit der anonymen Sünderin gleich, die Jesus die Füße wusch (Lk 7,36-50 EU). Diese Identifikation wurde Teil der katholischen Tradition um Maria Magdalena.

 

Diese Überlieferung bzw. Zuschreibung ist allerdings zumindest unklar. Die Tradition kennt auch die Gleichsetzung der fußwaschenden Frau mit Maria von Bethanien, der Schwester von Martha von Bethanien und Lazarus. Die bei Johannes (Joh 12,1-8 EU) berichtete Fußwaschung wird dort ausdrücklich mit dieser verknüpft; die Berichte in Matthäus 26 sowie Markus 14 sind Parallelen dazu (sie erwähnen Betanien als Ort und die Diskussion über die Verschwendung der teuren Salbe, aber keine Sünderin). Anders ist der Schwerpunkt bei Lukas (Lk 7,36-50 EU), bei dem die Frau als Sünderin bezeichnet wird und Jesus über Sündenvergebung spricht. Exegeten diskutieren darüber, ob es sich bei Lukas um ein anderes Ereignis handelt.

 

Später deutete man die Bezeichnung „Sünderin“, die nun zur Überlieferungstradition der Maria Magdalena gehörte, als „Prostituierte“. Noch bis 1996 gab es in Irland Magdalenenheime, eine von römisch-katholischen Ordensschwestern geleitete Organisation zur Aufnahme „gefallener Mädchen und Frauen“. Im Mittelalter vermischte man des Weiteren Motive der Legende der Maria von Ägypten mit denen der Maria Magdalena.

 

Im liturgischen Kalender der katholischen Kirche von 1969 geht aus der Vita zum Fest der heiligen Maria Magdalena am 22. Juli hervor, dass es sich weder um die Schwester der hl. Martha handele, noch um die Sünderin, die Jesus die Füße wusch.

 

Kommen wir noch zu Lydia. Die Purpurhändlerin Lydia von Philippi nahm den Apostel Paulus von Tarsus und seinen Begleiter Silas in ihr Haus auf und ließ sich und die Angehörigen ihres Hauses taufen. Lydia wird in der Apostelgeschichte erwähnt. Sie stammte aus Thyatira (heute: Akhisar) in Kleinasien und gehörte vermutlich zu den sogenannten gottesfürchtigen Griechen, die als Nichtjuden in die Synagogen gingen und dort im Gottesdienst zuhörten.

 

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/7/77/1861_Ellenrieder_Die_Taufe_der_Lydia_anagoria.JPG/1024px-1861_Ellenrieder_Die_Taufe_der_Lydia_anagoria.JPG

Die Taufe der Lydia, Gemälde von Marie Ellenrieder (1861), Alte Nationalgalerie Berlin

 

Als biblisches Zeugnis werden angeführt:

 

Apostelgeschichte 16,14:

Eine Frau namens Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; sie war eine Gottesfürchtige, und der Herr öffnete ihr das Herz, sodass sie den Worten des Paulus aufmerksam lauschte.

 

Apostelgeschichte 16,40:

Vom Gefängnis aus gingen die beiden zu Lydia. Dort fanden sie die Brüder, sprachen ihnen Mut zu und zogen dann weiter.

 

Lydia war demnach die erste Person auf europäischem Boden (in der Stadt Philippi), die den christlichen Glauben annahm. Sie drängte nicht nur Paulus und Silas, bei ihr zu wohnen, sondern es scheint sich laut Vers 40 auch fortan die christliche Gemeinde in ihrem Haus versammelt zu haben. Im Philipperbrief erwähnt Paulus die besondere finanzielle Hilfe durch diese Gemeinde, was ebenfalls Lydia angerechnet wird. Somit wird ihr allgemein eine herausragende Stellung zwischen Mäzenin und Gemeindeleiterin und als zweite Ehefrau des Jesus von Nazareth beigemessen.

 

Kommen wir nun mal zu den sogenannten Aposteln, den Verfassern des Neuen Testaments.

 

Erinnern wir uns kurz, wie es wirklich um das Neue Testament bestellt ist: Zunächst einmal muss man festhalten, dass wir keinerlei Original besitzen, was das Neue Testament angeht.

 

Wir besitzen Abschriften von Kopien von Kopien von Abschriften, aber nichts, was den Historiker überzeugen könnte. Die Quellenlage ist elend. Im Religionsunterricht wurde uns beigebracht, dass die Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes Zeugnis ablegten über diesen Christus, sowie eben Paulus. Aber wie sieht es wirklich mit diesen Zeugen aus? Nun, Markus war, wie wir heute mit Sicherheit wissen, da die Text- und Quellenkritik so weit fortgeschritten ist, kein Apostelschüler! Er kannte nicht nur Jesus nicht und war also kein Augen- oder Ohrenzeuge, sondern er war nicht einmal der Schüler eines Schülers. Markus, der älteste Evangelist, wird frühestens Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. bezeugt (von Bischof Papias von Hierapolis).

 

Viele Forscher nennen das Evangelium historisch wertlos. Weiter gibt Markus selbst nebenbei bemerkt zu, den HERRN nicht gekannt zu haben. Dass Lukas ein Apostelschüler (und wie man eine Zeit lang annahm, der Gefährte des Paulus) war, ist ebenfalls unbewiesen; es ist blanke Vermutung und frommer Wunsch. Matthäus, so sehr es schmerzt, kann ebenfalls nicht von sich behaupten, Jesus gekannt zu haben. Matthäus, soviel ist heute wissenschaftlich bewiesen, war nicht einmal der Verfasser des so genannten Matthäusevangeliums! Diese Bezeichnung stammt aus dem frühen 3. Jahrhundert und wurde nachträglich hinzugefügt! Nicht wenige Forscher halten dieses Evangelium deshalb für eine Fälschung.

 

Selbst katholische Theologen schweigen zunehmend, was dieses Thema angeht, was beredter ist als jedes Streitgespräch. Somit fallen diese drei als Zeugen im kritisch-historischen Sinne aus. Denn erzählt, erzählt werden konnte alles Mögliche. Ja, es war geradezu Sitte in dieser Zeit, die abenteuerlichsten Märchen über alles und jedes zu erfinden. Das Johannesevangelium ist ebenfalls äußerst fragwürdig. Frühestens 100 nach Christus ist es entstanden. Der Apostel Johannes war zu dieser Zeit schon lange tot, mausetot.

 

Es muss sich also um einen anderen Johannes gehandelt haben. Fest steht somit, ein Augenzeuge war dieser Johannes also ebenfalls nicht. Tatsächlich nahm das gesamte Neue Testament erst im 3. – 6. Jahrhundert nach Christus seine endgültige Form an. Selbst wenn man nicht allzu tief in die Textkritik eintauchen will, muss man so viel festhalten: Keines der vier Evangelien, auf das sich doch (fast) das gesamte Neue Testament stützt, wurde von einem Urapostel verfasst: Keines! Alle Schriften sind Annahmen, Vermutungen, Gemeindefantasien, fromme Legenden und unbewiesene Traktate. Und so wissen wir nicht das Geringste, wenn wir ehrlich sind, was die Figur dieses Jesus Christus angeht. Gottseidank haben wir die Paulusbriefe! Denn Paulus wurde etwa um 3 n. Chr. geboren und starb rund 60 n. Chr. Er ist der einzige Zeitgenosse des HERRN. Paulus ist also von unendlicher Bedeutung: Er war es, der die christlichen Ideen in einem kaum vorstellbaren Ausmaß verbreitete. Und er war der einzige Zeitgenosse dieses mysteriösen Jesus Christus. Viele halten Paulus deshalb sogar für den eigentlichen Gründer des Christentums. (siehe Kapitel Paulus)

 

Das also als notwendige Vorgeschichte zu unseren Themenkomplex über die Kirche und ihre Sexgeschichte und begeben uns dazu nach Rom.

Die Kirchenlehrer und die Entwicklung der Sexuallehre

 

 

Die Entstehung des Christentums

Von zentraler Bedeutung für das Christentum ist Jesus von Nazareth. Seine Jünger erkannten in ihm nach seiner Kreuzigung und Auferstehung den Sohn Gottes und den vom Judentum erwarteten Messias. In ihren Bekenntnissen nennen sie ihn Jesus Christus. Der Glaube an ihn ist in den Schriften des Neuen Testaments grundgelegt.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/9/96/Bloch-SermonOnTheMount.jpg/800px-Bloch-SermonOnTheMount.jpg

Die Bergpredigt Jesu, Gemälde von Carl Bloch, 1877

 

Die römisch-katholische Kirche ist die größte Kirche innerhalb des Christentums. Sie umfasst 23 Teilkirchen eigenen Rechts mit eigenem Ritus, darunter die nach Mitgliederzahl größte lateinische Kirche und die katholischen Ostkirchen. Mit den orthodoxen Kirchen, der anglikanischen Gemeinschaft und der alt-katholischen Kirche teilt die katholische Kirche alle sieben Sakramente einschließlich des Weiheamtes, aufgegliedert in Bischof, Priester und Diakon (Klerus). Unterscheidendes Merkmal ist die Anerkennung des Primats des römischen Bischofs über die Gesamtkirche. Der römisch-katholischen Kirche gehören weltweit etwa 1,214 Milliarden Mitglieder an. Sie wird vom Papst geleitet.

 

Die römisch-katholische Kirche beruft sich traditionell auf die Gründung durch Jesus Christus selbst, insbesondere auf das sogenannte „Felsenwort“ an den Apostel Petrus (Mt 16,18–19 EU). Ob historisch tatsächlich von einem eigentlichen Kirchengründungsakt Jesu Christi ausgegangen werden kann, ist auch unter römisch-katholischen Theologen umstritten. Meist wird in heutiger Ekklesiologie4 ein Zusammenwirken von vorösterlichen Wurzeln (Jesu endzeitliche Sammlung des Gottesvolkes), einem österlichen Impuls (Kirche als Gemeinschaft derer, die dem auferstandenen Jesus Christus nachfolgen) und pfingstlicher Geistgabe (Kirche als Gemeinschaft, in der der Heilige Geist gegenwärtig ist) als Ursprung der Kirche angesehen.

 

Um die Jahre 30 bis 33 geht man daher von der Entstehung der ersten Gemeinden, also der Urkirche, aus. Die römisch-katholische Kirche betrachtet sich mit dieser Urkirche in ununterbrochener Kontinuität stehend und nimmt auch die direkte Gründung durch Jesus Christus in Anspruch. Sie sieht diesen Zusammenhang institutionell, insofern die christliche Gemeinde von Rom traditionell als Gründung des Apostels Petrus angesehen wird und der Papst als Bischof von Rom direkter Nachfolger Petri ist.

 

Als das Christentum nach Rom kam, musste es gegen eine ziemlich starke Konkurrenz antreten. Die wichtigste Staatsreligion dort huldigte dem Zölibat — die Priesterinnen der Göttin Vesta, die das heilige Feuer hüteten, waren ja immerhin vestalische Jungfrauen. Aber tatsächlich war es für diese sechs Jungfrauen" ein verflixt harter Job, sich ihre Jungfräulichkeit zu bewahren.

 

Als Vestalin bezeichnet man eine römische Priesterin der Göttin Vesta.5

 

Die Priesterschaft der Vestalinnen bestand aus sechs (in der Spätantike sieben) Priesterinnen, die im Alter von sechs bis zehn Jahren für eine mindestens dreißigjährige Dienstzeit berufen wurden. Ihre Hauptaufgabe war das Hüten des Herdfeuers im Tempel der Vesta, das niemals erlöschen durfte, sowie das Holen des Wassers aus der heiligen Quelle der Nymphe Egeria, das zur Reinigung des Tempels verwendet wurde. Daneben stellten sie die mola salsa (eine Mischung aus Salzwasser und Getreideschrot) sowie das suffimen (Asche ungeborener Kälber) her, die bei bestimmten Kulthandlungen benötigt wurden.

 

Im Bereich des Kultes unterstanden die Vestalinnen dem Kollegium der Pontifices und insbesondere dem Pontifex maximus als Disziplinarvorgesetztem. Ihr persönlicher sozialer Status entsprach in vielerlei Hinsicht dem eines römischen Mannes, doch verfügten sie darüber hinaus über zahlreiche Sonderrechte.

 

Während ihrer Dienstzeit waren die Vestalinnen zur Keuschheit verpflichtet. Der Verlust der Jungfräulichkeit einer Vestalin galt als unheilverkündendes Vorzeichen für das römische Gemeinwesen. Eine unkeusche Vestalin wurde aus der Priesterschaft entfernt und konnte lebendig begraben werden.

 

Als zum Beispiel Hannibal die Römer bei Cannae besiegte, gab man die Schuld daran nicht militärischer Unfähigkeit, sondern auf Abwege geratenen Vestalinnen. Zwei wurden angeprangert und verurteilt. Später beschuldigte man sogar alle sechs vestalischen Jungfrauen, vom rechten Weg abgekommen zu sein. Ihnen wurde der Prozess gemacht, und drei wurden schuldig befunden, ihre Jungfräulichkeit hingegeben zu haben. Die Strafe für Unkeuschheit war ein langsamer Tod. Sie wurden in einer unterirdischen Kammer mit einem Bett, einer Lampe und einem kleinen Lebensmittelvorrat eingemauert.

 

Die Umstände, die zur Entstehung der Priesterschaft der Vestalinnen geführt hatten, waren schon in der Antike Gegenstand sagenhafter Spekulationen und konnten auch durch die neuzeitliche Geschichtswissenschaft nicht definitiv geklärt werden. Gelegentlich wurde in der Forschung angenommen, dass die Vestalinnen ursprünglich für Menschenopfer bereitgehaltene Jungfrauen waren oder dass sie in republikanischer Zeit die kultischen Pflichten übernahmen, die zuvor die Töchter des Königs ausgeübt hatten. Diese Hypothesen werden heute jedoch als unbegründete Spekulationen abgelehnt.

 

Der römischen Sage zufolge bestand der Vestakult bereits vor der Gründung Roms in Lavinium und wurde von dort nach Alba Longa und nach Rom übertragen. Jedenfalls existierte in Alba Longa eine Gemeinschaft von Vestalinnen schon zur Zeit der römischen Könige; sie ist noch im späten 4. Jahrhundert n. Chr. bezeugt. In Tibur sind Vestalinnen erst kaiserzeitlich durch Inschriften belegt. Da keine Parallelen außerhalb der Region Latium bekannt sind, wird davon ausgegangen, dass die Priesterschaft der Vestalinnen dort entstanden ist und keine fremden Vorbilder hatte.

 

Die Kultaufgaben der Vestalinnen waren der Sage nach von König Numa Pompilius festgelegt worden. Der fünfte König Tarquinius Priscus soll später die Disziplinargewalt des Pontifex maximus eingeführt haben, während die Festlegung der Anzahl von sechs Priesterinnen seinem Nachfolger Servius Tullius zugeschrieben wurde; vorher sollen es vier gewesen sein. Die Angaben der Quellen weichen teilweise voneinander ab und sind in der Forschung umstritten, müssen aber nicht in ihrer Gesamtheit als unglaubwürdig betrachtet werden; jedenfalls geht die Einrichtung tatsächlich auf die Königszeit zurück.

 

Die Gemeinschaftsorganisation der Priesterschaft und die kultischen Aufgaben der Vestalinnen blieben von der Zeit der ersten zuverlässigen Belege im 3. Jahrhundert v. Chr. bis in die Spätantike weitgehend unverändert. Für die Spätantike ist eine Erhöhung der Anzahl der Vestalinnen auf sieben zuverlässig bezeugt.

 

Zwar erhielten die Vestalinnen noch im Jahre 370 n. Chr. eine kaiserliche Bestätigung ihrer Sonderrechte, doch lassen sich in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts n. Chr. Auflösungstendenzen feststellen. In einem Fall ist bezeugt, dass eine Vestalin zum Christentum konvertierte. Im Zuge seiner Bestrebungen, das Christentum zur alleinigen Religion des Römischen Reiches zu machen, löste Kaiser Theodosius I. im Jahre 391 n. Chr. die Priesterschaft offiziell auf. Die letzte Virgo Vestalis maxima war Coelia Concordia, die im Jahr 394 von ihrem Amt zurückgab und zum Christentum übertrat.

 

Im Rom des ersten Jahrhunderts wurde die Göttin Venus immer noch auf die über-lieferte Weise verehrt.