RONALD M. HAHN

 

 

T.N.T. Smith, Band 8:

Die Tänzerin von Kairo

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

DIE TÄNZERIN VON KAIRO 

Das Abenteuer geht weiter! 

 

Das Buch

 

1942, Izmir, Türkei: T.N.T. Smith erfährt durch die Frau eines Waffenschiebers vom neuen Aufenthaltsort des Unsterblichen Helmuth von Arret. Auf der Flucht vor dem intoleranten Gatten seiner Informantin gelangt er nach Zypern und setzt sich mit einer Militärmaschine voller Journalisten in Richtung Kairo ab. Die Maschine verirrt sich im Sandsturm über der ägyptischen Wüste, muss notlanden und wird von einem deutschen Agententrupp angegriffen. Auch der britische SS-Mann Wellington ist nach Kairo unterwegs, um den Unsterblichen von Arret ins Deutsche Reich zu entführen. Smith schlägt sich nach Kairo durch. Doch sein dortiger Kontakt, die Agentin Leila, wird von der Gestapo überwacht. Der britische Geheimdienst kompliziert die Lage zusätzlich. Die Truppen der Deutschen unter Rommel stehen vor El Alamein...

 

T.N.T. SMITH. Die beinharte Science Fiction-Serie spielt vor der atemberaubenden Kulisse des Zweiten Weltkriegs und führt den Leser in rasanten Abenteuern um die ganze Welt.

Der Autor

 

 

Ronald M. Hahn, Jahrgang 1948.

Schriftsteller, Übersetzer, Literaturagent, Journalist, Herausgeber, Lektor, Redakteur von Zeitschriften.

Bekannt ist Ronald M. Hahn für die Herausgabe der SF-Magazine Science Fiction-Times (1972) und Nova (2002, mit Michael K. Iwoleit) sowie als Autor von Romanen/Kurzgeschichten/Erzählungen in den Bereichen Science Fiction, Krimi und Abenteuer.

Herausragend sind das (mit Hans-Joachim Alpers, Werner Fuchs und Wolfgang Jeschke verfasste) Lexikon der Science Fiction-Literatur (1980/1987), die Standard-Werke Lexikon des Science Fiction-Films (1984/1998, mit Volker Jansen), Lexikon des Horror-Films (1985, mit Volker Jansen) und das Lexikon des Fantasy-Films (1986, mit Volker Jansen und Norbert Stresau).

Für das Lexikon der Fantasy-Literatur (2005, mit Hans-Joachim Alpers und Werner Fuchs) wurde er im Jahr 2005 mit dem Deutschen Fantasy-Preis ausgezeichnet. Insgesamt sechsmal erhielt Hahn darüber hinaus den Kurd-Laßwitz-Preis – dem renommiertesten deutschen SF-Preis - , u.a. für die beste Kurzgeschichte (Auf dem großen Strom, 1981) und als bester Übersetzer (für John Clute: Science Fiction – Eine illustrierte Enzyklopädie, 1997).

Weitere Werke sind u.a. die Kurzgeschichten-Sammlungen Ein Dutzend H-Bomben (1983), Inmitten der großen Leere (1984) und Auf dem großen Strom (1986) sowie – als Übersetzer – der Dune-Zyklus von Frank Herbert.

Ronald M. Hahn lebt und arbeitet in Wuppertal.

 

Ronald M. Hahn

DIE TÄNZERIN VON KAIRO

 

 

1. Kapitel 

 

Berlin, Deutsches Reich, Juni 1942

 

Major von Pannwitz zupft an seinem Ziegenbärtchen, klemmt sich das Monokel ins rechte Auge und mustert wohlwollend die beiden vor ihm stehenden Haudegen, die sich bemühen, einen wachen Eindruck zu machen, obwohl sie nach einer langen Nacht gerade erst in die Garnison zurückgekehrt sind. Eigentlich müssten sie jetzt im Bau sitzen, aber... 

Die beiden sind als „Knochenbrecher“ bekannt. Obwohl man es in Pannwitzens Kreisen nicht sonderlich schätzt, wenn Offiziere sich dazu herablassen, sich in übel beleumundeten Kaschemmen mit den Plebs prügeln, drückt das Korps bei Leutnant Pabel und Oberleutnant Schybulla gern mal ein Hühnerauge zu. Die Kerle sind nämlich in London aufgewachsen und aufgrund ihrer Sprachkenntnisse für die Wehrmacht Gold wert. Außerdem kennt man sie als die größten Waghälse des Regiments, die hinter den feindlichen Linien regelmäßig risikoreiche Sonderaufträge ausführen. 

„Wie ich den Unterlagen entnehme, meine Herren“, sagt Von Pannwitz und deutet lässig auf die beiden Aktendeckel, die vor ihm auf dem Schreibtisch liegen, „sprechen Sie die Sprache der Tommys so gut, dass Sie sogar den alten Churchill foppen könnten...“ 

Schybulla und Pabel, zwei stattliche Mannsbilder von 24 und 22 Jahren, die in der vergangenen Nacht einen Puff und zwölf Heeresflieger zusammengedroschen haben, grinsen wohlgemut und werfen sich einen kurzen Blick zu. Sie sind stolz auf ihre Fäuste und ihre Potenz und freuen sich, dass es ihnen trotz zahlloser Disziplinarstrafen gelungen ist, aufgrund ihres persönlichen Mutes in die Offizierskaste aufzusteigen. 

„Kamman wohl sagen“, sagt Schybulla auf seine typisch unbescheidene Art. Pabel feixt nur. Er ist das kleinere Licht von den beiden; auch dies steht in den Akten. 

„Hrmph“, macht Major von Pannwitz, denn eigentlich schätzt er es nicht, wenn Untergebene ihm ins Wort fallen. Aber heute muss er wohl eine Ausnahme machen, denn der Auftrag, den er den „Knochenbrechern“ erläutern muss, kommt von ganz oben und ist offenbar von höchster Wichtigkeit. Er mustert die beiden jungen Offiziere konzentriert. „Ich habe gerade eine Anweisung aus der Reichskanzlei erhalten.“ Er seufzt. „Offenbar ist Ihr zweifelhafter Ruhm inzwischen sogar in die höchsten Kreise vorgedrungen.“ 

Schybulla und Pabel grinsen noch immer. 

So einnehmend sie auf eine gewisse Frauenart vielleicht auch wirken, denkt der Major naserümpfend, ein Mann von Bildung sieht auf den ersten Blick, dass sie eigentlich nur hirnlose Kretins sind. Der Kuckuck mochte wissen, wie es den Kerlen gelungen war, Offiziere zu werden. Wahrscheinlich wussten sie nicht mal, wie Rhododendron geschrieben wird. 

„Der Führer“, fährt er leidenschaftslos fort, „hat einen Sonderauftrag für Sie.“ 

Schybulla schluckt. „Der Führer?“ 

„Der Führer?“, echot Pabel und reißt die Augen auf. „Unser Führer?“ 

„Unser Führer“, wiederholt Major von Pannwitz. 

Schybulla greift sich an die Kehle. „Ich nehm an, dann ist es wohl ‘n Himmelfahrtskommando.“ Obwohl er ein braver Landser ist, dem es nie einfiele, einen Führerbefehl zu hinterfragen, kommt er nicht umhin, sich diskret zu schütteln. 

Pabel liegt dergleichen freilich fern, denn er ist ein völlig phantasieloser Bursche. Er schaut mit großen Augen in die Runde. Ihm schwillt die Brust. Der Führer! Wer hätte das gedacht? Der Führer hat einen Sonderauftrag für sie! Wenn der Führer sich persönlich um einen Einsatz kümmert, an dem englisch sprechende Soldaten teilnehmen müssen, so geht sein Gedanke, muss etwas Großes anstehen! Womöglich etwas so Großes, das aus einem popeligen Leutnant in Bälde ein Oberleutnant werden kann! 

Andererseits ist ihm auch klar, dass sie geliefert sind. Einen Führerauftrag lehnt man nämlich nicht ab, und wenn er noch so gefährlich ist. „Wie stehen die Chancen, dass wir an einem Stück in unsere geliebte Heimat zurückzukehren, Herr Major?“, erkundigt er sich höflich und innerlich vor Freude zitternd. 

„Schwer zu sagen“, sagt Major von Pannwitz und zupft erneut an seinem Ziegenbärtchen. Er wirft einen Blick auf seine makellos gepflegten Fingernägel und spitzt die Lippen, als wolle er gleich anfangen, das Horst Wessel-Lied zu pfeifen. „Es hängt alles von Ihrem Wagemut und der Schlafmützigkeit des Feindes ab.“ 

Ein Feindeinsatz! Schybulla und Pabel schauen sich an. Sie sagen zwar kein Wort, aber der Major sieht an ihren Augen, was sie einander lautlos sagen: Die Kacke ist am dampfen. 

„Wohin geht’s denn?“, fragt Schybulla schließlich. 

„Nach Kairo.“ 

„Wo, in aller Welt, ist Kairo?“, fragt Pabel. 

„Was sollen wir in Ägypten?“, fragt Schybulla, der im Gegensatz zu Pabel die Mittlere Reife hat. „Und wie kommen wir hin?“ Er schaut den Major an, und auf seiner Stirn steht geschrieben: Was soll die Scheiße? Will Von Pannwitz uns verarschen? Kairo ist weit. Außerdem liegt die Stadt mitten im Feindesland und wird vom Tommy geknechtet. 

„Sie bringen ein Spezialkommando dort hin“, sagt Major von Pannwitz. „Es sind vier Leute.“ 

„Vier Leute?“, echot Schybulla. „Was für Leute?“ 

„Agenten“, sagt Von Pannwitz. „Sie sind von der Gestapo oder von der Abwehr. Genau weiß ich es auch nicht. Jedenfalls werden sie in Kairo gebraucht. Fragen Sie mich bloß nicht, wofür. Ich hab mich nicht danach erkundigt. Und ich rate Ihnen, das Gleiche zu tun.“ 

„Warum springen die Typen nicht einfach mit ‘nem Fallschirm ab?“, fragt Pabel. 

„Weil sie nicht dazu ausgebildet sind und keine Zeit mehr haben, es zu lernen“, sagt Von Pannwitz. „Übernehmen Sie den Auftrag?“ Er kneift leicht die Augen zusammen. „Oder haben Sie etwa Schiss?“ 

„Natürlich nicht, Herr Major“, sagt Schybulla und wirft sich in die Brust. „Wann kommen die Agenten hier an?“ 

„Sie kommen überhaupt nicht hier an“, erwidert Major von Pannwitz. „Sie stoßen in Tripolis zu Ihnen.“ Er reibt sich die Hände und wünscht sich, dass die beiden Schandflecke der Wehrmacht möglichst bald dem Tommy in die Hände fallen, der sie hoffentlich einen Kopf kürzer macht. Den Wunsch laut zu äußern, würde er jedoch nie wagen, denn das wäre Wehrkraftzersetzung, und darauf steht der Tod. „In Tripolis kriegen Sie alles, was Sie für das Unternehmen brauchen, meine Herren. Dafür garantiere ich persönlich.“ 

„Wann geht’s los?“, fragt Pabel eifrig, der es kaum erwarten kann, sich einen Orden zu verdienen. 

„Heute Abend.“ 

Eine Stunde später erhält Schybulla den Marschbefehl. In Tripolis sollen die Itaker das Sagen haben. Na ja, wer’s glaubt. 

Pabel jubelt. Nach Afrika wollte er schon immer mal. Der Gedanke an ferne Länder beflügelt seine Phantasie. Und besonders gern möchte er mal das Land sehen, in dem Generalleutnant Rommel dem Tommy zeigt, was ‘ne Harke ist. Außerdem hat er gehört, dass die ägyptischen Nationalisten gern mit dem Führer zusammenarbeiten würden, um dem Tommy eins reinzuwürgen, der hintenrum noch immer ihr Land beherrscht. 

Bei Einbruch der Dunkelheit sitzen Schybulla, Pabel und sechs IRA-Scharfschützen, denen der Boden in ihrer Heimat schon vor Jahren zu heiß geworden ist in einer Ju 52, die sie in zwei Stunden und fünfzig Minuten nach München bringt. Von dort aus geht es nach Neapel. Um Mitternacht werden sie dort von einem Wehrmachtshauptmann erwartet. Von Pannwitz hat wirklich alles organisiert. Auf dem Flugplatz steht die italienische Transportmaschine nach Tripolis. Alles geht rasend schnell. Eine Stunde später sind sie in der Luft und nähern sich dem Mittelmeer. 

Die IRA-Scharfschützen ratzen. Leutnant Pabel pfeift „Lili Marleen“ und liest Ernst Jüngers In Stahlgewittern. Schybulla studiert Knaurs Weltatlas und schaut ab und zu durch ein Bullauge. Jagdmaschinen sorgen für ihren Geleitschutz. Bald sieht er das Mittelmeer. Der Feind ist nirgendwo zu sehen. Obwohl er Himmelfahrtskommandos wenig schätzt, ist es eine Freude, in diesem Krieg Soldat zu sein. Hätte der Führer ihn nicht angezettelt, stünde er nun hinter der Ladentheke seines Vaters und würde Blutwurst verkaufen. Oh, Gott! Der Krieg hat Erwin Schybulla das Glück gebracht. Dass er ein tapferer Mann ist, wissen alle in Mülheim an der Ruhr. Seine Heldentaten in Frankreich haben ihn nach oben gebracht. Vielleicht kann er, bevor der Krieg zu Ende ist, noch Hauptmann werden. Dafür ist er dem Führer dankbar. 

Landung in Tripolis. Der Morgen graut. Die Sonne knallt. Die Luft ist heiß. Erleichtert verlassen Schybulla und seine Leute die Maschine. Ein Hauptmann namens Graf Arco-Valley nimmt die Truppe in Empfang. Wüstenfahrzeuge aus britischen Beständen, Proviant, Wasserkanister, Landkarten, Tommy-Uniformen, Handgranaten, MPs, Pistolen und Benzin warten schon auf sie. Während die IRA-Scharfschützen sich noch mal auf die Matratze hauen, um ein wenig auf Vorrat zu pennen, studiert der unermüdliche Pabel die Landkarte und legt den Kurs nach Osten fest. Schybulla, trotz der kräftezehrenden Reise mächtig aufgekratzt, latscht in der Sonne durch die Garnison, schleppt eine italienische Hure ab und nagelt sie an der hölzernen Rückwand eines Vorratslagers im Stehen von hinten. Danach stellt Hauptmann Arco-Valley ihm in der Kantine die Agenten vor, die sie durch die Wüste bringen sollen. 

Schybulla ist nicht schlecht erstaunt, als er die drei Männer und die Frau sieht. Als sein Blick auf die Frau fällt, richtet sich sein Piephahn trotz der gerade geschobenen Nummer automatisch wieder auf. Der Anführer des Agentenquartetts, ein aristokratisch wirkender glatzköpfiger und etwa fünfzig Jahre alter Pfeifenraucher, den die anderen „Fritz“ nennen, hat Schmisse im Gesicht. Seine arrogante Fresse wirkt gefährlich, so dass Schybulla beschließt, sich an Pannwitz’ Rat zu halten und keine Fragen zu stellen. Die beiden anderen Kerle heißen Richter und D’Avoine. Die Frau heißt „Frau Rousseau“, doch ihre Aussprache lässt ebenso wenig wie die Herrn D’Avoines erkennen, ob ihre Wiege in Frankreich oder Potsdam gestanden hat. Die Leute sind so einsilbig, dass Schybulla es für besser hält, sich um die Vorbereitungen der Reise zu kümmern und sie in der Kantine sitzen lässt. 

Am nächsten Morgen, kurz nach dem Frühstück, das sie um 6.00 Uhr einnehmen, rumpeln drei Wüstenfahrzeuge aus einem Wellblechhangar hervor, verlassen die Garnison und stoßen nach Osten in die Wüste vor. Schybulla befehligt den ersten Wagen, Pabel den dritten. Den zweiten hat Fritz für sich und seine Agenten gekrallt. Richter entpuppt sich als fähiger Fahrer, so dass Schybulla annimmt, dass er kein Gestapo-Mann ist, sondern Militär. Die Motoren summen gleichmäßig vor sich hin. Die Fahrzeuge gleiten über eine harte, sandige Piste. Sie kommen gut voran. Irgendwann biegen sie ab und fahren nach Nordosten. 

Kein Mensch begegnet ihnen. Die sich vor ihnen erstreckende Wüste ist öde und leer. Hier und da soll es Beduinenlager geben, aber sie sichten keins. Die breiten Reifen rollen über den Sand und erzeugen Staubfahnen. Die Fahrzeuge sind bis unters Dach beladen. 

Am Abend halten sie an und rasten. Fritz, Richter, D’Avoine und Frau Rousseau halten sich von den Landsern und IRA-Scharfschützen fern und verpflegen sich selbst. Nach dem Essen wickeln sich Schybullas Männer in Schlafsäcke. Die Nacht in der Wüste ist arschkalt. Schybulla und Pabel hocken auf dem Kühler ihres Fahrzeugs, rauchen Orienta und Eckstein und bemühen sich trotz ihrer schwellenden Ständer das dralle rothaarige Weib zu ignorieren, das zwischen Fritz und den beiden anderen Agenten auf einem Kanister sitzt und sich mit ihnen unterhält. Schybulla fragt sich insgeheim, wie es wohl wäre, ihr einen reinzustecken. Er hat noch nie im Leben eine so tolle Frau gesehen. Sie sieht wirklich wie ein Filmstar aus. 

„Was meinst du?“ fragt Pabel nach einer Weile, als sie sich ausgiebig über die herrlichen Rundungen Frau Rousseaus ausgelassen haben. „Ob die von der Gestapo sind?“ 

Schybulla schüttelt den Kopf. „Glaub ich nicht. Die Tante vielleicht schon. Aber Fritz und die anderen...“ Er schüttelt noch mal den Kopf. 

„Was haben die wohl in Kairo vor?“ 

„Irgend ‘ne Schweinerei, nehm ich an.“ 

„Diese Agenten“, meint Pabel sinnierend, „führen ein verdammt spannendes Leben.“ 

„Meinst du?“ 

„Klar. Die können viel mehr für den Führer tun als wir armen Landserschweine.“ 

Die Nacht vergeht. Der neue Tag bricht an. Alle atmen auf, als die Fahrt fortgesetzt wird. Stundenlang preschen sie über den Sand. Mittags lässt Schybulla anhalten und auftanken. Dann wird gegessen. Und geraucht. Und Frau Rousseau begafft. 

Fritz, Richter, D’Avoine und Frau Rousseau bleiben wieder für sich. Schybulla hört die braven IRA-Fontschweine beim Anblick der Dame sehnsüchtig vor sich hinseufzen. Der narbige Rotschopf aus Cork sagt: „Laß dich bloß nicht mit der ein, Paddy. Mit Gestaposchlampen ist nicht gut Kirschen essen. Wenn du die anfasst, landest du garantiert im KZ.“ 

Pabel nordet die Landkarte ein. 

Um 20 Uhr erreichen sie den geplanten Zielpunkt dieses Tages: einen Felsen, der so groß ist wie ein Autobus und wie ein dunkler Fleck im Sand liegt. Die anstrengende Fahrt hat alle ermüdet. Die Fahrzeuge werden gründlich gewartet, denn sie sichern den Erfolg ihres Unternehmens. Wenn sie in der Wüste liegen bleiben – Gute Nacht, Marie. 

Im Dunkeln fällt Schybulla auf, dass Frau Rousseau, die wie immer mit Fritz, Richter und D’Avoine abseits hockt, ihm Blicke zuwirft, die man nicht missverstehen kann. Kein Zweifel, ihr juckt die Dose. Er geht zu den Agenten hinüber und bietet ihnen eine Eckstein an. Fritz lehnt dankend ab. Er raucht Pfeife. Die anderen qualmen, wie Schybulla nun erkennt, Zigaretten der Marke Trommler. Die Marke der SS. Gehört die Tante etwa auch dazu? 

„Wie geht’s weiter?“, fragt er und nimmt den Busen Frau Rousseaus näher in Augenschein. Sie schiebt sich einen Finger in den Mund und lutscht daran, so dass er Angst um den festen Sitz seiner Hosenknöpfe hat. „Ich meine, wenn wir in der Nähe des Zielorts sind? Sie wollen doch wohl nicht, dass wir Sie vor dem Kairo Hilton absetzen?“ 

„In Kairo“, sagt Frau Rousseau mit einer Stimme, die heiße Wonneschauer über seinen Rücken rasen lässt, „gibt’s gar kein Hilton.“ Sie kennt sich also aus. Eine Frau von Welt. Schybulla hat es gleich geahnt. 

„Fünfzehn Kilometer vor den Pyramiden von Gizeh holen unsere Kontaktleute uns ab“, sagt Fritz. „Mit Kamelen.“ 

„Und was wird aus uns?“, fragt Schybulla. „Fahren wir dann nach Tripolis zurück?“ 

„Sag ich Ihnen, wenn’s soweit ist.“ 

Frau Rousseau grinst Schybulla spitzbübisch an. Wenn er sich nicht irrt, zwinkert sie ihm sogar zu. Schybullas Piephahn mutiert auf der Stelle zu einer Prachtlatte und er fragt sich, wie er sie von diesen Affenärschen fortlocken kann. Hier in der Wüste findet sich bestimmt ein Plätzchen, an dem er ihr zeigen kann, wie sehr er sie liebt... 

„Na schön“, sagt er. Er steht noch ein paar Sekunden in der Gegend rum, dann zwinkert er Frau Rousseau zu, ohne dass die anderen es sehen und kehrt zu den Fahrzeugen zurück. 

„Schybulla?“, ruft Fritz hinter im her. 

Schybulla bleibt stehen. „Ja?“ 

„Heute Nacht wird nicht gepennt. Um Punkt einsdreißig fahren wir weiter.“ 

Schybulla merkt Fritz an der Stimme an, dass er es ernst meint. Er merkt ihm auch an, dass er die Macht hat, seinen Plan durchzusetzen. Na schön. Er verflucht die Tatsache, dass er Frau Rousseau nicht eher begegnet ist. Aus dem Fleischverstecken in der Wüste wird wohl heute nichts mehr werden. 

Um Punkt 1 Uhr 30 rollen die Fahrzeuge weiter. Ödnis, wohin das Auge reicht. Sie sehen weder Mensch noch Tier. Libyen liegt längst hinter ihnen. Hier gibt es keine Grenzkontrollen. Nicht mal Allah weiß, wo in dieser Gegend die Grenze verläuft. Sie ist zu groß. Die Motoren brummen: Wrumm. Wrumm. Wrumm.