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Holt mich hier raus!

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Über das Buch

Tobias Rolle ist 13 ¼, Sportskanone und steckt gerade so richtig in der Klemme. Denn nachdem im Chemieunterricht ein Experiment schiefgegangen ist, findet er sich plötzlich im Körper seiner Lehrerin Frau Lunte wieder. Abgesehen von den peinlichen Klamotten, die sie trägt, muss sich Tobias auf einmal mit den furchtbaren Schülern aus der 9a herumschlagen und vor den Annäherungsversuchen des Kollegen Mattuschek in Sicherheit bringen. Als wäre das nicht schlimm genug, läuft Frau Lunte auch noch als Tobias herum und benimmt sich komplett daneben. Sie fühlt sich in ihrer neuen Rolle so wohl, dass sie sich in seiner Familie einnistet. Ganz klar, ein Notfallplan muss her! Dabei bekommt Tobias unerwartet Unterstützung von der süßen Hannah …

Inhalt

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Ihr wollt wissen, um was es in diesem Buch geht?

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten.

Es geht um mich, Tobias Rolle, und meine Geschichte, die so verrückt klingt, dass ihr mich für komplett irre halten werdet.

Noch mehr?

Okay, es geht um:

eine Wette zwischen Justus, Hugo und mir, die aus dem Ruder läuft

eine Perücke, die schuld an der größten Katastrophe aller Zeiten ist

ein chemisches Experiment mit furchtbaren Folgen

um Frau Lunte und mich und … nein, das kriege ich nicht über die Lippen. Das müsst ihr selber lesen.

Und wehe, ihr lacht über mich!

Gezeichnet

Tobias Rolle

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1. Versuch:

Dies ist ein Notruf!!!

Ich brauch eure Hilfe, denn ich steck in der Klemme.
Es ist nicht das erste Mal, aber diesmal ist es wirklich dramatisch. Furchtbar! Existenzvernichtend.
Dummerweise ist es aber mindestens genauso PEINLICH!!

Ich weiß nicht, was schlimmer ist …

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2. Versuch:

Ist jemand unter euch, der die Zeit zurückdrehen kann oder einen superguten Draht zu Gott hat? Eventuell reicht auch ein Chirurg. Außerdem brauche ich jemanden, der meinen Eltern alles schonend beibringt.

Oh Gott, mir wird ganz schlecht bei dem Gedanken, dass sie alles erfahren …

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3. Versuch:

Ich tue alles für den, der mich wieder rausholt. Ich wechsele jeden Tag meine Socken, ziehe immer die Spülung und werde niemals mehr lügen.

Sorry, ab jetzt aber wirklich …

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4. Versuch:

Liest denn kein Schwein, was ich hier von mir gebe oder warum hilft mir keiner? Muss ich erst meiner Oma eine Mail schicken? Die kriegt doch einen Schlaganfall, wenn sie liest, was mit mir ist. Das kann doch keiner wollen (außer Opa vielleicht).

????????????????????????????????????

Okay, ihr wollt erst wissen, was überhaupt los ist?

Die Geschichte glaubt mir doch sowieso niemand. Nicht mal ich würd sie mir glauben. Aber ich will nicht in die Klapsmühle, dass das mal klar ist! Wer das nicht kapiert und in sein Hirn brennt, kriegt ab hier Leseverbot!

Und noch was: Alles, was ihr hier lest, ist oberpeinlich, also streng geheim. Wer das missachtet, den besuch ich höchstpersönlich, wenn die Sache vorbei ist. Und ich will nichts davon auf Facebook lesen. Wenn ich mal nach Australien reise, sollen die Kängurus nicht auf mich zeigen. Kapiert?! Dann is ja jut.

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Wo fang ich bloß an? Am besten ganz vorne, damit ihr versteht, wie das alles passieren konnte. Ich mach’s aber so schnell, wie’s geht. Hier ist so was wie meine Kurzbiografie:

Geboren bin ich 65 Millionen Jahre nach dem letzten Dinosaurier, also vor genau 13 ein Viertel Jahren.

Ich heiße Tobias, genannt die Rolle. Nicht wegen meines Nachnamens, sondern weil ich mein bestes Tor gemacht hab, als ich mit dem Ball zusammen ins Tor gerollt bin. Aber das tut jetzt nichts zur Sache.

Ich geh sehr gern in die Schule, weil ich da immer Leute um mich hab, die mir zuhören. (Zu Hause tut das keiner mehr.) Ich quatsch nämlich ’ne ganze Menge zusammen, damit könnte man Container füllen. Die Lehrer stören manchmal ein bisschen mit ihrem Unterricht, die wollen am liebsten die Redezeit für sich allein buchen. Aber ich steh da drüber. Die sollen ja auch ihren Spaß haben.

Obwohl: Manche übertreiben es. Die Frau Lunte zum Beispiel, die gibt Chemie und liebt passenderweise Bunsenbrenner. Also die Lunte wird immer nervös, wenn ich mich melde und zupft an ihrem Kragen herum, obwohl sie ihre Lehrprobe bei uns längst überstanden hat. Wenn ich mich nicht melde und einfach so loslege, wird sie aber genauso nervös, und wenn sie dann gerade am Bunsenbrenner rumfummelt, holt man lieber gleich die Feuerwehr. Sonst fackelt sie die Schule mit allem Drum und Dran ab, und ich hab keinen mehr zum Zuhören. Aber das versteht die Lunte leider nicht.

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Bisher hab ich ihr das nicht übel genommen. Papa sagt, ab einem gewissen Alter kann man sich eben nicht mehr ändern. Mama meint zwar, das bezieht sich vor allem aufs Geschirrabspülen und Müllraustragen, und ob die Lunte da Nachholbedarf hat, weiß ich nun wirklich nicht. Aber Mama ist Psychologin und kennt die Leute auch von innen. Die muss es ja wissen. Jedenfalls seh ich die Lunte jetzt mit anderen Augen (im wahrsten Sinne des Wortes!). Sie ist mein fleischgewordenes Problem. Damit ihr das versteht, muss ich der Reihe nach erzählen. Also weiter im Text:

Meine besten Freunde sind Justus, Hugo und Olli, schon allein wegen der tollen Namen. Mein Bruder Till gehört nicht dazu. Der hängt den halben Tag vorm Spiegel und gelt sich die Haare. Und wenn er das nicht tut, dann hängt er überm Handy, oder er chillt und will nicht gestört werden. Jedenfalls nicht von mir. Keine Ahnung warum. Dabei könnte ich ihn echt mal auf andere Gedanken bringen. Aber man soll niemanden zu seinem Glück zwingen, sagt auch schon Opa. Und der kann ja nicht immer unrecht haben.

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Mit Justus und Hugo ist es so: Wir kennen uns schon ewig, mindestens seit der Grundschule. Früher haben wir uns gegenseitig Kastanien in die Ranzen gesteckt, heute Schnee. Wobei das mit dem Schnee auch schon wieder eine Weile her ist. Nicht nur, weil unsere Mütter gemeckert haben und wir keine kleinen Kinder mehr sind, sondern weil der Schnee ausgegangen ist.

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Justus ist superklug, er hat alle Bücher zu Ende gelesen, selbst die Bibel. Seine Augen sind davon leider ganz schlecht geworden, schuld sind die vielen kleinen Buchstaben. Jetzt hat er zwei Lupen auf der Nase, sonst würde er am Kiosk immer Bier statt Cola kaufen.

Hugo ist auch superklug, aber er hat statt Buchstaben ganz viel Zahlen im Kopf, ich weiß nicht, wo er die alle verstaut. Er ist wie ein lebender Taschenrechner. Er rechnet dir auf die Zehntelsekunde aus, wie viel Zeit noch bleibt, bis Olli in den Hundehaufen tritt. Olli ist nämlich mit einem Handy auf die Welt gekommen und kann sich nur unter größten Qualen von ihm trennen. Deswegen läuft er immer mit gebeugtem Kopf herum und sieht nichts von der Welt – ohne seine Navi-App wüsste er nicht, wie er zur Schule kommt. Olli hat aber nicht nur ein Handy, sondern auch Gefühle. Das merkt man am besten, wenn man ihm sein Handy wegnimmt. Tut es lieber nicht!!!

Mit Justus und Hugo kann man jeden Scheiß machen. Mit Olli auch, aber der hat nicht immer Zeit dafür – ihr wisst schon: wegen seines Handys.

Wir haben einen gemeinsamen Feind in der Schule. Oder soll ich sagen eine Feindin? Das Wort hab ich noch nie gelesen, nicht mal in den Büchern, die ich schon durchhab. Und das waren fast so was wie Fachbücher, denn da wurde ziemlich viel gekämpft. Also bleiben wir bei Feind.

Unser Feind heißt Frau Schrulle und ist das Grauen in Person. So wie sie uns immer anguckt, könnte sie als Voldemort durchgehen (ihr wisst schon: der Typ, der Harry Potter an den Kragen will). Deswegen heißt die gute Frau bei uns auch immer: die, deren Namen wir nicht nennen dürfen. Und wenn wir es eilig haben: die alte Schrulle.

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In Rente ist sie leider noch nicht, sonst könnte sie uns nicht mit Geschichte quälen, dabei ist sie mindestens scheintot. Das merkt nur keiner, weil sie immer eine Maske aufhat, keine aus Plastik, sondern aus dicker Schminke. So wie die Toten in den Königsgräbern. Darunter versteckt sie die Spurrillen, die sich in den letzten 500 Jahren auf ihrem Gesicht eingegraben haben. Wahrscheinlich wohnt sie in einer Gruft, und nur wenn Schule ist, lässt man sie für ein paar Stunden raus. Aber so genau will ich das gar nicht wissen.

Man könnte sagen, die alte Schrulle ist schuld an meinem Problem. Sie und ihre Perücke. Wenn sie rumlaufen würde wie ein normaler Mensch, dann säße ich jetzt nicht hier heimlich auf dem Mädchenklo und würde euch meine Geschichte beichten. Alles hat nämlich damit angefangen, dass ich rauskriegen musste, ob sie nun eine Perücke auf dem Kopf hat oder nicht – wegen einer Wette, die ich mit Hugo und Justus laufen hatte.

Ich sag euch, wer eine Frisur auf dem Kopf hat, die aussieht, als könnte man sie abnehmen wie einen Hut, der trägt eine Perücke. Und bei der alten Schrulle glaub ich sogar, sie friert sie nachts ein, damit sie in der Schule nicht ganz so alt aussieht. Aber Hugo und Justus meinen, wer Haare auf den Zähnen hat, hat auch welche auf dem Kopf (von anderen Stellen wollen wir lieber gar nicht erst reden).

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Also: Ohne Beweis geht hier gar nichts. Die Schrulle selbst hat mich dann auf den Trichter gebracht, was das für ein Beweis sein könnte. Dafür könnt ich sie jetzt hassen.

Normalerweise nehm ich nämlich Ohrenpröppel, wenn sie redet, weil sie bei jedem S so zischt, dass einem die Ohren wegfliegen. (Eigentlich bräuchte ich auch ’ne Regenjacke, weil ich in der ersten Reihe sitze und die alte Schrulle beim Zischen sehr freigiebig mit der Spucke ist.)

Aber heute Morgen hat der Olli einen der Pröppel verschluckt, weil er dachte, es wär eine Erdnuss, und da musste ich dann gezwungenermaßen mit einem Ohr zuhören, was die Schrulle von sich gab.

Ausnahmsweise war das spannend, denn sie ist mit Formel-1-Tempo durch die Geschichte gezischt, ohne Boxenstopp. Eben war sie noch bei der Französischen Revolution und schwuppdiwupps wieder beim Mittelalter, obwohl das gar nicht unser Thema ist. Klar, dort fühlt sie sich heimischer, allein schon wegen der Folterwerkzeuge. Damals durften die Lehrer den Schülern wenigstens noch die Zehennägel abziehen. Aber heute wollen die Eltern ihre Kinder nach der Schule ja unbedingt heil zurück. Wegen der Versicherungen und so.

Aber zurück zur Schuld der Schrulle: Als sie von den Feuerproben und Hexenverbrennungen erzählte, wurde mir ganz heiß. Nicht, weil ich innerlich gebrannt hab, sondern weil mir wieder die Wette einfiel. Eine Feuerprobe – welch geniale Idee! Man müsste nur ein bisschen am Schrullen-Haar kokeln, und wenn es nicht stinkt wie geröstete Fliegen, haben wir doch den Beweis, dass es künstlich ist. Könnt ihr mir folgen?

In dem Moment kam die Lunte herein und übergab der alten Schrulle einen Schlüssel. Es muss irgendetwas passiert sein, denn die beiden steckten ihre Köpfe so eng zusammen, dass jede Laus sich freut. Und dann tuschelten sie miteinander. Super, hab ich gedacht und die Zeit genutzt, um meine Freunde zu fragen, was sie von einem spontanen Feuer-Experiment halten.

Olli hat nicht verstanden, wovon ich rede, er hat ja auch noch nie zu der alten Schrulle hochgeschaut. Justus kannte kein einziges Buch, in dem etwas darüber stand, ob Perücken beim Abkokeln stinken oder nicht. Und Hugo hat gemeint, dass die Chancen, an die Perücke der alten Schrulle zu kommen, sowieso eins zu einer Million stünden. Freiwillig würde sie die ja wohl nicht hergeben.

Da hat er recht. Trotzdem ist mir die Idee nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Leider. Denn sonst würd ich jetzt irgendwo nett sitzen und meinen Bruder ärgern oder so. Echt dumm gelaufen.

Als die Lunte weg war, hab ich mich sofort für den Tafeldienst gemeldet. Die alte Schrulle hat sich gewundert, und das hätte ich mich normalerweise auch, aber ich wusste ja, dass es für einen guten Zweck war. Ich wollte nämlich ungestört die Haarfestung der alten Schrulle begucken. Und wisst ihr was: Kaum war ich vorne, trifft mich der Schlag, denn was ich gesehen hab, ist seltener als eine Supernova: Auf der Schulter der alten Schrulle kringelte sich lang und fett ein Haar! Und ich hab es als Erster entdeckt. Jetzt weiß ich, wie sich Kolumbus fühlte, als er Amerika entdeckte.

Ich hab’s wie Kolumbus gemacht und das Haar eingesackt, genau in dem Moment, als es zur Pause klingelte. So schnell, dass es nicht mal die alte Schrulle mitgekriegt hat. Sie hat dann zwar gemeckert, weil ich plötzlich mit meinem Rucksack rausgerannt bin und die Tafel noch genauso aussah wie vorher, aber was soll’s.

Ich bin mit meiner Beute zum Chemieraum geflitzt, wo die Lunte mit dem Versuchsaufbau beschäftigt war, und hab sie gefragt, wann die Stunde endlich losgeht und ob sie auch den Bunsenbrenner wieder anschmeißt. Doch statt sich über mein Interesse zu freuen, hat sie dauernd nervös zu mir rübergeschielt, und als ich mit anpacken wollte, damit alles ein bisschen schneller geht, hat sie mir die Glaskolben aus der Hand genommen. Man kann es ihr eben nie recht machen.

Bevor wir mit der Gruppenarbeit anfangen durften, hat die Lunte uns das Experiment vorgemacht; sie hat irgendwelche Stoffe in neue Erregungszustände versetzt oder so ähnlich. Was da genau ablief, weiß ich nicht, weil ich nur noch das fette Haar im Kopf hatte, das sich in meiner Tasche kringelte.

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Als ich mit Justus, Hugo, Olli und Basti (den müsst ihr nicht unbedingt kennenlernen) endlich drankam, hat die Lunte uns nicht aus den Augen gelassen. Dauernd hing sie selbst über dem Bunsenbrenner, dabei haben wir sie gar nicht in unsere Gruppe gewählt. Diesmal hab auch ich geschielt, aber nicht auf die Lunte, sondern auf die Uhr an der Wand. Die hat mir gesagt, dass ich keine Zeit mehr zu verlieren hatte. Gewissermaßen ist also auch die Uhr schuld an allem, was daraufhin passiert ist. Aber der kann man keinen Vorwurf machen, weil sie nichts dafür kann, dass sie da hängt.

Ich hab mich also an die Lunte herangeschoben, das Haar aus der Tasche gezogen und ins Feuer geworfen. Alles in einem Atemzug. Dagegen ist Superman eine lahme Kröte. Die Lunte kam damit überhaupt nicht klar – die kann nicht so schnell –, die hat sich so furchtbar darüber erschrocken, dass sie statt nur einer Messerspitze voll das ganze Pulver in die Flamme geworfen hat.

Es hat laut gezischt, wie zwanzig alte Schrullen im Chor, und es gab eine große Rauchwolke; die haben wir beide voll abgekriegt. Gestunken hat es auch, aber ich weiß nicht mehr nach was, denn ich war zu sehr mit meinem Husten beschäftigt, da konnte ich meine Nase nicht feinjustieren. Das Haar war weg, aber ich nahm mir vor, gleich Justus und Hugo zu fragen, nach was es gerochen hat.

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Doch dazu bin ich nicht mehr gekommen. Frau Luntes Gesicht ist in dieser Sekunde rotblau angelaufen, weil sie sich so aufgeregt hat. Da hab ich sofort kapiert, was sie mit neuen Erregungszuständen meinte – dafür also das ganze Experiment. Warum die Lunte gerade mich so auf dem Kieker hatte, ist mir dagegen nicht so klar. Hätte sie nicht das ganze Pulver einfach so ins Feuer geworfen, wär doch überhaupt nichts passiert. Typisch Lunte.

Ich hab trotzdem nicht mit ihr darüber diskutiert, ich wollte nicht, dass die gute Frau vor Aufregung noch umkippt und wir dann die ganze Sauerei von dem misslungenen Versuch alleine wegmachen müssen. Denn ich war auf einmal so schrecklich müde, dass ich die Augen kaum aufhalten konnte. Also hab ich den Raum freiwillig verlassen. Und weil ich plötzlich tierischen Durst bekommen hab, bin ich zu den Klos gelaufen, um Wasser zu trinken.

Ich hätt die ganze Leitung leer getrunken, wenn ich nicht so schrecklich müde gewesen wär. Meine Augen sind zugefallen, und ich muss kurz im Stehen eingeratzt sein, denn als ich sie wieder öffnete, hab ich mich wie auf einem anderen Planeten gefühlt. Ihr kennt das bestimmt: dieses Gefühl, wenn man morgens aufwacht und nicht weiß, wo man ist und ob es noch Traum oder schon Wirklichkeit ist. Kein Wunder, bei dem, was mir passiert ist. Ich bin zwar schon mal morgens mit Gummistiefeln im Bett aufgewacht, aber noch nie als anderer Mensch …

Ich stand also am Waschbecken und hab auf meine Uhr geschaut, um zu sehen, wie viel Zeit vergangen war, und da hat mich schon wieder der Schlag getroffen: Da war ein fremder Arm mit ’ner fremden Uhr dran, und beides sah echt komisch aus. Ich hab ganz schnell wieder die Augen zugemacht, um den Horror auszuknipsen. Aber als ich zwischen den Augenlidern hindurchlinste, lief noch die gleiche Gruselnummer. Dagegen ist ein Zombiefilm was für Tierfreunde.

Nach der ersten Schreckstarre hab ich an mir runtergeguckt, und es wurde immer gruseliger. Ich hatte einen Rock an und nackte Beine, die unten rausguckten. Diesmal haben sich meine Augen ganz von allein wieder verrammelt, aber so was von. Mit der Hand hab ich vorsichtig meine Brust berührt.

Aaaaaaaaargh!

Ich weiß nicht, wie ich es besser ausdrücken soll, am Ende kippt ihr alle vor Schreck um und dann ist keiner mehr da, der mir helfen kann.

Ich war ’ne Frau!!

Ja. Kein Scheiß.

Ich bin noch nie im Leben sprachlos gewesen. Nicht mal als ich auf die Welt gekommen bin, sagt Mama, und die muss es ja nun echt wissen. Aber Leute, ich schwör’s, in diesem Moment wusste ich nicht einmal, in welcher Sprache ich um Hilfe schreien soll.

Ich hab’s dann auch gar nicht probiert, da mir rechtzeitig eingefallen ist, dass dann alle angerannt kommen und mich sehen – genau so, wie ich da stand: in hochhackigen Damenschuhen und Blümchenbluse. Und mit dickem – psst Busen! (Die gefährliche Wahrheit versteckt sich immer im Kleingedruckten.)

Nach einer Schweigeminute hab ich dann aber doch meinen letzten Krümel Mumm aus der Schüssel gekratzt und den Kopf millimeterweise gehoben, um in den Spiegel zu schauen. Meine Muskeln waren auf Widerstand gepolt und meine Zähne haben angefangen zu knirschen vor Anspannung. Jetzt weiß ich, welche Torturen Olli mitmacht, wenn er einmal im Jahr beim Sehtest geradeaus an die Wand schauen muss.

Im Spiegel … was soll ich sagen … im Spiegel war nicht ich.

Da war die Lunte!!!

Passenderweise hat im selben Moment der Pausengong geläutet, wie ein Tusch, der das Ende der Vorstellung markiert. Mit dem Unterschied, dass die Tragödie für mich gerade erst begann.

Mir ist die Spucke im Hals stecken geblieben und ich … – stopp! – die Lunte hat einen Hustenanfall bekommen.

Draußen konnte ich schon die Schüler über den Flur rennen hören. Trotz Hustenanfalls kreiste nur noch ein Gedanke durch mein Hirn: Du bist Frau Lunte, und die ist auf dem Jungenklo. Du bist Frau Lunte, und die ist auf dem … Ihr wisst schon.

In letzter Sekunde und mit letzter Kraft hab ich mich in eine Kabine gerettet, die Tür hinter mir verschlossen und die Luft angehalten. Noch nie war ich so glücklich darüber gewesen, dass wir nicht mehr im alten Rom leben, denn da gab es keine Klokabinen, nur öffentliche Latrinen. Da haben sich alle nebeneinandergehockt und nett gegrüßt, stelle ich mir vor:

Hallo, Thomas, hallo, Hugo, hallo, Frau Lunte …

Allein bei dem Gedanken kann man tot umfallen.

Bin ich aber nicht, ich hab die Zähne zusammengebissen und bin mühsam mit den Dingern an meinen Füßen auf die Klobrille geklettert – für den Fall, dass einer der Jungen auf die Idee kommt, unter der Tür durchzuspicken. Ist alles schon vorgekommen.

Dass eine kurze Pause so lang sein kann, hätt ich nicht gedacht. Normalerweise schnippt man mit dem Finger, und schon sind die fünf Minuten um. Man schafft es gerade noch, die Hose hochzuziehen (und unter besten Bedingungen auch noch, die Finger nass zu machen), bevor das Pausenende ertönt. Diesmal leider nicht, es lief die Zeeeiiitluuupeee. Alle bösen Mächte müssen sich gegen mich vereint haben und Darth Vader hat sie angeführt. Denn während ich auf dem Klo hockte und bei jedem Rütteln oder Pochen an der Tür Schweißausbrüche bekam, hörte ich ihn laut in meinem Ohr schnaufen. Oder war ich es, der so laut geschnauft hat? Wer weiß, vielleicht hab ich mich zwischendurch in Darth Vader verwandelt. Wär ja ein echtes Upgrade im Vergleich zur Lunte gewesen. Aber selbst dieses kleine Glück war mir nicht vergönnt.

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Es ist euch hoffentlich klar, dass ich das alles nicht zum Spaß von mir gebe, ich häng mich ganz schön aus dem Fenster.

Und das war gerade mal so was wie der erste Akt – es geht ja noch weiter, noch viel schlimmer! Zur Abwechslung sitz ich gerade auf einem anderen Klo, und zwar auf dem Mädchenklo, falls ihr es genau wissen wollt. Die Tür hab ich von innen verrammelt, weil die Schrulle hinter mir her ist. Nur, damit ihr eine Ahnung bekommt, wie’s im Moment bei mir aussieht.

Wenn ihr verhindern wollt, dass ich hier verschimmle und mich der Hausmeister als männliches Skelett in Frauenklamotten herausträgt, dann tut bitte was! Irgendwas! Nicht, dass ich gerade was vorhätte, aber Weihnachten möchte ich gern zu Hause unterm Tannenbaum verbringen und Geschenke auspacken. Ganz normal, so wie immer.

Ich bin einer von euch, holt mich hier R-A-U-S!!!

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Es gibt tausend Gründe, unser Schulklo zu meiden, aber so ’ne Horrornummer wie die, als ich mich in die Lunte verwandelt hatte, stand nicht auf meiner Liste. Ich hab mir in den Arm gekniffen, für den Fall, dass alles nur ein Traum ist. Denn wenn es nicht wehtut, ist man fein raus und braucht sich null Gedanken mehr zu machen. Man dreht sich einfach auf die andere Seite und träumt was Netteres.

Leider hat es so richtig wehgetan!

Was in so einem Fall zu tun ist, steht in keinem Überlebenshandbuch. Ich hatte keine Idee, was der Grusel bedeutet, dafür hab ich gemerkt, dass es plötzlich still war. So, als hätte jemand den Ton ausgeknipst. Ich hab ’ne Weile gebraucht, bis ich wusste, dass es nicht an meinen Ohren lag, sondern daran, dass die Pause um und keiner mehr da war, der an meiner Tür rütteln konnte. Nur ein Wispern war zu hören, aber immer noch besser als das unheimliche Schnaufen, fand ich.

Im Gruselfilm ist das immer die Stelle, in der das Opfer die Tür öffnet, um zu sehen, ob die Gefahr vorbei ist. Denkste! Draußen lauern die Monster und lachen sich ins Fäustchen über so viel Blödheit. Ich bin nicht darauf reingefallen, ich hab die Klopapierrolle genommen, sie in die Kloschüssel getaucht und dann über die Tür geworfen, um die Monster zu verjagen. Klowasserbomben sind nicht ihr Ding. Müsst ihr euch unbedingt merken.

Weil das Wispern trotzdem nicht aufhörte, bin ich von der Toilette runter, um das Problem von unten anzugehen. Dabei sind zwei Sachen passiert: Erstens hab ich gerafft, dass gar keine Monster hinter dem Wispern steckten, sondern die Spülung, die pausenlos lief. Und zweitens bin ich mit dem rechten Absatz unter der Brille hängen geblieben. Und schwupps, lag mein Schuh in der Kloschüssel.

Habt ihr schon mal von »Murphys Gesetz« gehört? Es besagt, dass alles schiefgeht, was schiefgehen kann, zett bee, dass ein Butterbrot immer auf die Butterseite fällt. Oder mein Schuh ins Klo. Bei mir schlägt Murphys Gesetz regelmäßig zu, aber so schrecklich und kurz hintereinander wie an dem Tag noch nie.

Spaß hat es nicht gemacht, meinen Fuß in den klowassernassen Schuh zu stecken, das kann ich euch sagen. Ich bin aus der Kabine geschlichen und zur Eingangstür, um nach draußen in den Gang zu spähen. Die Luft war nicht lupen-, aber besenrein, will sagen, ich hab nicht auf bessere Zeiten gewartet, sondern bin raus, bevor mir jemand über den Weg läuft. Denn falls ihr’s noch nicht wisst: Eine Katastrophe kommt niemals allein!

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Meine nächste kam von links und hieß Schrulle. Mein Schreck war so groß, da hätte ich zweimal reingepasst. Schlimm genug, der alten Schrulle im Normalzustand zu begegnen, aber … so?

Ich hab geschrien, erst wegen der Schrulle, und dann gleich noch mal wegen der fiepsigen Stimme, die aus meinem Inneren kam. Das war noch 1000 Mal schlimmer, als mit der Schrulle zusammenzuprallen!

Komischerweise merkte die alte Schrulle nicht, wer ich wirklich war, sie war nicht mal überrascht, dass ich rumschrie wie eine Verrückte. Anscheinend war sie so was bei der Lunte gewohnt. Stattdessen hatte sie meinen tropfenden Schuh im Visier. Vielleicht waren es auch nur meine Absätze, auf denen ich herumtorkelte, um mein Gleichgewicht zu halten. In ihrem Hirn schien jedenfalls mächtig was los zu sein, es knirschte, als würden ihre rostigen Zahnräder auf Hochtouren laufen. Unter normalen Umständen hätt ich gern mal einen Blick hinein riskiert. … Oder vielleicht doch lieber nicht. Wer weiß, was ich da entdeckt hätte: Spinnweben sind noch das harmloseste, was mir einfiel.

Die Schrulle fixierte mich mit ihren Augen wie mit einem Schraubstock. Dabei kam sie so nah heran, dass ihr modriger Atem in meinen Nasenlöchern kitzelte. Ob ich was getrunken hätte, wollte sie wissen. Mir fiel die Cola ein, die ich heimlich vorm Frühstück alle gemacht hatte. Das ging die Schrulle ja nun wirklich nix an.

Ich hab auf stumm geschaltet, auch weil ich die fiese Lunte-Stimme nicht hören wollte. Aber bei der alten Schrulle zieht so was nicht. Bevor ich mich verdünnisieren konnte, hatte sie meine Hand schon unter ihren Arm geklemmt und schleppte mich ab, in einem Tempo, das ich ihr nicht zugetraut hätte. Ich hatte Mühe, ihr auf meinen Stelzen zu folgen, ohne mich der Länge nach hinzulegen. Eh ich mich’s versah, stand ich mitten im Lehrerzimmer, umringt von Frau Jacoby, Herrn Mörtel und Herrn Reus, der zwar einen tollen Namen hat, aber ein Tor nur dann trifft, wenn er mitten auf der Torlinie steht. Dabei ist er Sportlehrer.

Wenn eins mal klar ist: Das Lehrerzimmer ist für Schüler TABU! Hier beginnt die VERBOTENE ZONE! Wer das missachtet, wird mit Einzelunterricht bestraft. Was mit Schülern passiert, die wie ihre Lehrerinnen aussehen und unfreiwillig hier sind, hat uns keiner verraten.