Drei Schwerter für Salassar

Friedhof der Drachen

Band 4

von

Rolf Michael

 

Fantasy

 

Mondschein Corona – Verlag

Bei uns fühlen sich alle Genres zu Hause.

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

1. Auflage

Erstauflage Oktober 2016

© 2016 für die Ausgabe Mondschein Corona

Verlag, Plochingen

Alle Rechte vorbehalten

Autor: Rolf Michael

Lektorat/Korrektorat: Mia Koch

Grafikdesigner: Finisia Moschiano

Buchgestaltung: Finisia Moschiano

Umschlaggestaltung: Finisia Moschiano

 

ISBN: 978-3-96068-045-1

 

© Die Rechte des Textes liegen beim

Autor und Verlag

 

Mondschein Corona Verlag

Finisia Moschiano und Michael Kruschina GbR

Teckstraße 26

73207 Plochingen

www.mondschein-corona.de

 

Inhaltsverzeichnis

 

0.1 Der Herr vom Dunklen Turm

1. Diebe, Prügel und Küchenzauber

2. Kamele und Seefalken

3. Die Fahrt des Seefalken

4. Freunde des Drachen-Volkes

5. Insel der Verfluchten

 

0.1 Der Herr vom Dunklen Turm

Der blaugrüne Teppich des Meeres schien kein Ende nehmen zu wollen. Weiße Kämme schäumender Gischt ritten auf den Wogen wie die hellen Krieger des Elfenvolkes auf ihren Sturmadlern. In stetiger Bewegung bildeten sich Berge des nassen Elements, um sofort wieder in tiefe Wogen-Täler hinab zu stürzen.

Mit mächtigen Flügelschlägen glitt ein gewaltiger Drachen, in dessen Schuppen sich alle Farben des Regenbogens spiegelten, über Oceanas aufgewühltes Element hinweg.

Doch unter dem Wasserspiegel lag eine schweigende, gnadenlose Welt, in der Lebewesen geboren wurden, um anderen zum Fraß zu dienen. Eine Welt, die für Dhaytor, den Drachen, den Tod bedeutete, wenn seine Kräfte versagten und er in die Fluten hinab stürzte. Er kannte die gezackten Rückenflossen der Myrdocks, der grässlichen Raubfische des Südmeeres. Doch hier hatten sie fast die Größe der Gigantenwale der Eismeere und ihre Rachen waren mit dolchartigen Zähnen bewehrt. Auch der feste Hornschuppenpanzer eines Drachen hielt den tödlichen Gebissen der Myrdocks auf die Dauer nicht stand.

Schwer spürte Dhaytor, der alte Drachenvater, die Todeswunde.

Dort, wo an der Unterseite seines schlangengleichen Halses die Schuppen nicht so fest waren wie auf seinem Rückenpanzer, war ihm das Schwert Rasakos, des Drachenlords, ins Leben gefahren. Zwar hatten Zauberkräfte die Wunde geschlossen und verhinderten, dass Daytors Leben mit seinem Blut ausfloss. Doch es war nur eine Frage der Zeit, wann sich der Schatten über ihn senkte.

Der Schatten!

Das war der Name des Todes in der Adamantenwelt. Der Gott, der keinen Namen hatte. Jedenfalls keinen, den man wagen sollte, auszusprechen. Denn wer den Namen des Todes aussprach – dem erschien er, um ihn mit sich zu nehmen.

Dhaytor wusste, dass er diesem Tode geweiht war und es keine Rettung für ihn gab. Doch er wollte an jenem Platz sterben, zu dem alle seines Geschlechts hingingen, wenn sie spürten, dass sich der Schatten über sie herab senkte.

Daytor, der uralte Vater des Geschlechts, folgte einer Straße der Lüfte, die niemals von einem Drachen bezeichnet worden war. Doch jeder wusste, dass er diese Straße finden würde, wenn die Zeit des Todes für ihn herannahte. Der sterbende Drachenvater wusste, dass er sich auf dem Weg von seinen inneren Gefühlen leiten lassen musste.

Denn diesen Ort, zu dem es ihn wie ein innerer Zwang zog, hatte auch Dhaytor, obwohl er fast so alt war, wie die Welt selbst, noch niemals betreten.

Es war ein Ort, wo man nicht lebte, sondern starb.

Eine Insel der Legenden.

Saronai!

Die Toteninsel der Drachen ...

 

***

 

Die Wände des hochgewölbten Gemaches waren mit Teppichen aus blauschwarzem Samt verhängt.

Kunstvolle Hände hatten mit dünnen Gold- und Silberfäden geheime Zeichen und Symbole in den kostbaren Stoff gestickt. Dazu waren verschiedene Juwelensteine und Kristalle in den Stoff eingenäht, die mit ihren Energien die Zauberkraft der verbotenen Magie stärkten. In den abstrakt wirkenden Mustern der Wandteppiche erkannte nur der Kundige die Symbole einer geheimen Zauberkunst.

Mitten im Raum hingen, von unsichtbaren Händen gehalten, zwei transparente Kugeln von der Größe eines menschlichen Schädels. Unwirkliches Feuer, das aus ihnen versprühte, konnte mit dem Licht des Tages wetteifern.

Die beiden Lichtkugeln spendeten Helligkeit für den Mann, der in der Mitte des Raumes in einem mächtigen Sessel aus rötlichem Rosenholz saß. Unsichtbare Kräfte einer absurden Magie sorgten dafür, dass sich die Polster jeder Bewegung seiner verkrüppelten Gestalt anpassten.

Das Holzgestell war mit Schnitzereien übersät, in denen sich verschlungene Symbole einer verfluchten, schwarzen Zauberkunst bildeten. Die Füße des Sessels waren wie die Eruptionen eines ausbrechenden Vulkans geschaffen und die Feuer der Tiefe schienen zu den Postern herauf zu lodern.

Ein Thron, der eines gewaltigen Königs würdig war.

Und der Mann, der darauf saß, war ein König.

Und auf seine Art mächtiger als alle Herrscher, die über die Länder und Reiche von Chrysalitas geboten.

Ein König, der zwar nicht über Leben herrschte, doch die grauenvollen Kreaturen aus Sphären jenseits aller Vorstellungskraft, sie beugten sich vor seiner unsichtbaren Krone und duckten sich unter seinem Zepter.

Soduur, der schwarze Magier von Salassar, war ein König der Magie und aller bekannten dunklen Zauberkünste.

Niemand wusste genau, wie mächtig Soduur tatsächlich war. Denn nur selten mischte er sich in Dinge ein, die außerhalb seines schwarzen Turmes im Norden von Salassar geschahen. Doch wenn der Schwarzzauberer seinen Schatten erhob, dann kroch die Furcht durch die Stadt am Südufer der Chrysalischen See. Flüsternd wurden schreckliche Dinge erzählt, die Soduur in fernster Vergangenheit getan hatte.

Obwohl es um den alten Schwarzmagier sehr still geworden war, wirkte seine Macht. Eine Macht, die in der Angst vor seinen geheimen Kräften lag.

Soodur nahm keine Schüler an und seine Kunst und sein Wissen würden mit ihm sterben. Denn es wurde erzählt, dass die Bücher, aus denen er sein Wissen schöpfte, von denen einige aus den längst vergangenen Tagen stammten, als das verfluchte Hexenreich von Szylamar die Adamanten-Welt tyrannisierte. Mit seinem Leben aber würde das Wissen um die Schwarzzauberei aus der Welt Chrysalitas endgültig verschwinden.

Es wurde gemunkelt, dass Soduur einst einem Zirkel der Mächtigen angehört hatte, die man die »Herren vom Kreis des Regenbogens« nannte. Ein Zusammenschluss der mächtigsten weißen Magier aus allen Teilen von Chrysalitas. Ihr Zusammenschluss bildet einen magischen Gegenpol gegen die Macht des Hexenköngs von Szylamar.

Der geballten Zauberkraft dieses Zirkels gelang es schließlich, in einem gewaltigen Ringen der Kräfte des Geistes die Macht des Hexenkönigs zu brechen. Und Nijinjaczora, die Zitadelle der Grausamkeit, versank, mitsamt seinem mit einem Fluch sterbenden Herrscher, und verschwand in den Tiefen der Erde.

Eine gewaltige Beschwörung, nach der mehrere der Weißmagier erschöpft zusammenbrachen, ließ gewaltige Mengen Wasser aus dem unendlichen Ozean, der die bekannte Landmasse von Chysalitas bildete, zu einer gigantischen Wolke werden. Eine Wolke, die sich dort ausregnete, wo einst die Zitadelle Nijinjaczora gestanden hatte, von deren Garadia-Turm aus der Hexenkönig Szylamar beherrschte und Chrysalitas tyrannisierte.

Durch diesen gewaltigen Regen aber entstand im Zentrum von Chrysalitas, wo einst das Reich von Szylamar wie eine Spinne im Netz die Adamanten-Welt terrorisierte, die Chrysalische See. Wasser und Erde ließen das verfluchte Hexenreich für immer vor den Augen der Sterblichen und der Götter verschwinden.

Die Priester Dhasors wollten wissen, dass Soduur in jenen Tagen einer der mächtigsten Meister der weißen Magie gewesen war. Doch konnte er den Drang seines Wissensdurstes nicht beherrschen. Es gelang ihm, heimlich einige der Schriftrollen aus der Bibliothek von Nijinjaczora an sich zu nehmen, bevor die Zitadelle der Grausamkeit in den Fluten der Chysalischen See versank.

So aber setzen sich der Fluch und das Erbe des Hexenreiches von Szylamar in der Welt fort. Denn beim Studium der Schriften aus der verbotenen Bibliothek gewannen die unheimlichen Minuskeln der verbotenen Schriften Macht über Soduurs Geist. Und so verfiel er, ein Fürst der weißen Magier, den dunklen Zauberkünsten.

Soduur war weder schön noch hässlich zu nennen. Das schwarze Gewand, das er trug, war einfach geschnitten, völlig schmucklos und mit einem silbernen Strick um die Hüften zusammengebunden. Über dem fast kahlen Schädel, den nur ein silberner Kranz dünner, bis auf die Schultern herabfallender Haare umgab, trug er fast ständig eine Kapuze, durch die sein bleiches, eingefallenes Gesicht stets im Halbschatten lag.

Soduurs Alter ließ sich schwer abschätzen. Schon, als Szylamar unterging, war er kein Jüngling mehr. Demnach musste Soduur mehrere Hundert, vielleicht sogar auch über tausend Jahre alt sein. Doch das ist bei einem Meister der Schwarzen Magie, der sich auf jede Art lebensverlängernder Tränke und Tinkturen versteht, keine Seltenheit.

Die gelben Zahnstummel in Soduurs rissigen Mund schienen einem Toten zu gehören. Das zerfurchte, blasse Gesicht war das eines Philosophen, der nach einem erfüllten Leben in seinen letzten Tagen endlich die Erkenntnis der Wahrheit gefunden hat. Aber in seinen grauschwarzen Augen sprühten das Feuer und die Leidenschaft der Jugend.

Obwohl er einer der mächtigsten Magier von Chrysalitas war, vielleicht sogar der Mächtigste überhaupt, seit sich der Letzte seines Zirkels zum Sterben niedergelegt hatte, konnte man Soduur nicht glücklich nennen. Denn ein grässliches Schicksal zwang den uralten Mann, seine Tage in einem bequemen, aber für ihn dennoch fast unerträglichen Sessel zu verbringen.

Es mochte etwas mehr als zehn Jahre her sein. In einem Augenblick der Schwäche hatten seine Feinde Gewalt über Soduur gewonnen und ihn überwältigt. Und weil er ihnen nicht sagte, was sie wissen wollten, hatten sie sein Körper zerstört. Die einst hochgewachsene, majestätische Gestalt des Zauberers war zerbrochen worden.

Zerbrochen auf der Folterbank in den Verliesen der Zitadelle von Salassar.

Und wenige Monde später, so steht in den alten Annalen der Stadt geschrieben, starb Gerunio, der damalige Oberherr der Stadt, einen grausigen und qualvollen Tod. In den Schriften ist zu lesen, dass ein fingerlanger, weißer Wurm aus dem Mund des Gerunio gekrochen war, als er seinen Geist aufgegeben hatte. Und jeder in der Stadt wusste, dass dieser Wurm Soduurs Rache vollendete.

Zum Oberherrn der Stadt wurde in jedem Jahr der reichste Kaufmann gewählt. Und Gerunio, der Prächtige, hatte dieses Amt viele Jahre innegehabt. Nun aber war es Pholymates, den sie mit Recht den Reichen nannten, gelungen, durch einige geschickt abgeschlossene Handelsverträge sein Vermögen so zu vermehren, dass es in Kürze den Reichtum Gerunios überstrahlen würde. Zumal durch die abgeschlossenen Verträge Gerunios Geschäfte im Juwelenhandel empfindlich gestört wurden.

Gerunio brauchte also Gold. Viel Gold. Und von Soduur erzählte man sich, dass er die Kunst verstünde, aus den einfachsten, banalsten Zutaten wie Asche, Tonerde und abgenagten Knochen Gold zu schaffen ja, man wollte sogar wissen, dass er einen Strohballen in reines Gold verwandeln könne.

Doch Soduur lehnte es grundsätzlich ab, mit seinen dunklen Künsten die Geld- und Handelsgeschäfte von Chrysalitas zu beeinflussen. Und so schlug er auch die Bitte des Oberherrn, für ihn aus fünf Wagenladungen mit Stroh Gold zu machen, rundweg ab.

Eine solche Menge Gold in den geschäftlichen Kreislauf der Basare gebracht, das bedeutete Inflation in Salassar, die sich sehr rasch über das ganze Reich Mohairedsch verbreiten konnte. Und dann über die gesamte Welt Chrysalitas. Wenn es überall Gold im Überfluss gibt, hört es auf, wertvoll zu sein.

Eine Einladung zu einem Gastmahl des Oberherrn konnte Soduur jedoch nicht abschlagen. Er ahnte auch nicht, dass dieses Gastmahl eine Falle war, die der Teufel nicht hätte tückischer ersinnen können.

Denn bei dem Mahl gab es nicht nur die erlesensten und raffiniertesten Speisen von ganz Chrysalitas. Es gab auch exzellente Weine.

Wie schon jeder Karcist bereits weiß, soll ein Zauberer alles, grundsätzlich alles, was die Sinne trübt und benebelt, meiden. Denn bösartige Dämonen oder rächende Geister, die ihn unsichtbar umschweben, könnten sich diesen Moment seiner Schwäche zunutze machen, um über ihn herzufallen und ihn zu sich in das Reich des Unsichtbaren hinüber zu zerren.

Soduur nahm deshalb weder den Hauch der Yardi-Pflanze zu sich, noch aß er das Mark der Quioran-Wurzel und er hütete sich auch, den Duft, der den Blütenkelchen der Merianoca-Orchidee entströmte, einzuatmen. Und wenn er Wein genoss, dann entweder stark verdünnt oder nur die Menge eines Glases von der Größe einer Kinderfaust.

Beim Gastmahl des Oberherrn aber verbot es die Schicklichkeit, sich mit einer so geringen Menge zu begnügen.

Als Soduur die Wirkung spürte, war es bereits zu spät. Der vollmundige, in Tonkrügen unter einer Schicht Öl gereifte Wein, war von seiner hundertjährigen Lagerung zähflüssig wie Honig und schwarzrot wie pulsierendes Herzblut. Der von seiner Askese ausgelaugte Körper Soduurs saugte diese Köstlichkeit in sich auf und verlangte nach mehr. Und auch wenn der Zauberer abwehrende Bewegungen machte, auf Geheiß des Oberherrn schenkten ihm die bedienenden Sklaven den Kelch immer aufs Neue voll.

Und Soduur trank – trank sich das Verderben.

So war es Gerunio gelungen, den Schwarzzauberer mit Wein so zu berauschen, dass er völlig willenlos in die Polster des Ruhebettes zurücksank und in einen todesähnlichen Schlaf fiel.

Ein Schlaf, aus dem er besser niemals wieder erwacht wäre. Als Soduur wieder zu sich kam, fand er sich in der Folterkammer des Oberherrn wieder.

Gerunio wollte von ihm das Geheimnis erfahren, wie man aus Asche Goldstaub oder aus Stroh Blattgold machen kann. Doch Soduur schwieg. Ein Eid band ihn, den zu brechen für ihn Schlimmeres, als der Tod bedeutet hätte.

Grundsätzlich besteht jede Art von Magie, die Weiße wie auch die Graue und im Besonderen die Schwarze auf der Beschwörung von Dämonen, die in Sphären hausen, zu der es auch vom Jhardischtan keine Türen gibt. Die Dämonen, über die Jhardischtans Götter gebieten, sind gegen die Teufelswesen jener Dimensionen wie Hunde gegen Wölfe oder Katzen gegen Tiger.

Hat ein Zauberer keinen Sternstein in seinem Besitz, der ihm bei der Ausübung seiner Künste dient, so muss er einen oder mehrere dieser Kreaturen herbeirufen und mit ihnen einen Pakt eingehen. Der Dämon ist ihm dann in diesem Leben so dienstbar, wie der Magier nach seinem Tode der Sklave des Dämons ist.

Doch ist auch in diesem Pakt geschrieben, dass der Magier verschwiegen zu sein hat und keins seiner Geheimnisse preisgeben darf. Verstößt er dagegen, wird er nicht zum Sklaven, sondern zum Spielobjekt des Dämons. Und die Spiele einer solchen Kreatur sind schlimmer als alles, was sich auch ein krankes menschliches Gehirn ersinnen kann.

Soduurs Leben wäre sofort beendet und seine Seele auf ewig verdammt gewesen, hätte er das Geheimnis der Goldherstellung preisgegeben. Dämonen fragen nicht danach, was ein Mensch erdulden muss, wenn er sein Schweigen bewahrt.

Doch die Qualen, die Folterknechte hier in dieser Welt bereiten können, sind nur der tausendste Teil der Schmerzen, die den Verräter von Geheimnissen in der Dämonenwelt erwarten. Der irdische Schmerz erlischt sofort mit dem Tode. Die Qualen des Höllenreiches dauern jedoch bis zum Ende der Ewigkeit.

Auf Befehl des Oberherrn zerbrachen die Folterknechte den Körper des Zauberers auf der Folterbank. Doch ihre grausamen Künste versagten hier. Aus Soodurs Mund kamen Schreie und Stöhnen - aber keine Worte. Mehr tot als lebendig warfen die Torturknechte Soduurs auf der Folterbank zerbrochenen Körper vor das Tor der Zitadelle von Salassar, in der Gerunio seinen Palast hatte.

Cassar, der treue Leibsklave seines Herrn, hatte mit bangem Herzen vor dem Tor gewartet. Entsetzt erkannte der Sklave, was man seinem Herrn angetan hatte.

Doch es war noch Leben in dem Zauberer. Und der Dämon, der sich mit Soduur einst verbunden hatte und dessen Geheimnis er auch unter schrecklichsten Qualen bewahrt hatte, stärkte die Lebenskraft Soduurs, ohne darum gebeten worden zu sein. Denn er wusste, dass das Herz des Zauberers jetzt vor Hass überfloss und er sich nach seiner Genesung ausschließlich der Rache widmen würde.

Eine Rache, zu der Soduur dann auch den Dämon zu Hilfe rief. Und das Höllenwesen hatte nur darauf gewartet, sich einmal wieder so richtig vergnügen zu dürfen. Einen qualvollen Tod unter tausend Schmerzen zu bereiten, das ist für eine Höllenkreatur die höchste Lust.

Viele Monde lang pflegte der treue Cassar den zerbrochenen Körper des Soduur gesund. Und während Gerunio annahm, dass Soduur irgendwo im Dreck einer Gasse unter Qualen verendet und sein Körper von den überall herumhuschenden Ratten bis zur Unkenntlichkeit zernagt war, kam der Zauberer wieder zu Kräften.

Und dann kam die Rache ...

Die Wächter in den Kammern des Gewimmers unter der Zitadelle des Oberherrn starben, als Feuerwesen aus den Wänden hervorbrachen, sie ergriffen und ihnen mit ihren Flammenzungen die Haut ableckten. Dann trieben sie ihre spitzen Mäusezähnen in das durch das Feuer ihrer Zungen gebratene Fleisch und rissen es von den Knochen der ihren Schmerz herausbrüllenden Männer, bis schließlich nur fein abgenagte Skelette übrig bliebe.

Die Folterknechte, die das Rad der Streckbank bedient hatten, starben, als Höllenwesen aus Stein vor ihnen auf dem Boden wuchsen und jeden einzelnen ihrer Knochen zerbrachen.

Dem Torturmeister, der mit einer mächtigen Eisenbahre den auf dem Streckbett festgeschnallten Körper Soduurs zertrümmerte, sog ein unheimlicher Zauber den Kalk aus dem Knochengestell mit Ausnahme des Schädels. So wurde der ganze Körper des Torturmeisters zu einer einzigen haltlosen Masse, die noch einige Tage dahin vegetierte, ohne sterben zu können.

Jeder, der versuchte, dem in seinen Qualen brüllenden Bündel Mensch den Tod zu geben, stürzte wie vom Blitz getroffen nieder und erst Stunden später kam das Leben in ihn zurück. Und keiner wagte es ein zweites Mal, den Fluchbeladenen durch einen raschen Tod zu erlösen.

Nur die Ratten, die pfeifend seinen kraftlosen Körper des wimmernden Torturmeisters umtanzten, konnten ihre Zähne in sein Fleisch schlagen und irgendwann fand man in den Gassen von Salassar einen abgenagten Schädel, an dem noch wenige Fleischreste hingen. Da sprach es sich herum, dass der Torturmeister des Oberherrn für alle Qualen, die er den ihm ausgelieferten Menschen bereitet hatte, auf die grausigste Weise bestraft worden war.

Der Oberherr aber aß während eines Gastmahls einen Apfel. Den Wurm, der sich in diesem Apfel ringelte, konnte das Auge eines Menschen nicht erfassen. Doch in Gerunios Innerem mästete sich der Wurm und wurde größer.

Mehr als drei Monde dauerte der qualvolle Tod des Oberherrn, weil sein Inneres vollständig von dem Wurm zerfressen wurde. Und wie bei seinem Torturmeister so war auch der Körper des Oberherrn von unsichtbaren Gewalten dagegen geschützt, dass ein rascher Dolchstich, ein geschickter Schwerthieb oder ein rasch abgedrückter Pfeil seinen Qualen vorzeitig ein Ende bereitete.

Nach dem Wunsch Soodurs hatte der Dämon Todesarten gewählt, die dem Höllenwesen selbst die größte Freude bereiten würden und mit denen der Delinquent »den Tod spürte«, wie sich Soodur bei seiner Beschwörung des Dämons ausdrückte. Ein Wunsch, den die Teufelskreatur aus einer anderen Dimension nur zu gern erfüllte.

Nach dem Tode Gerunios, des Prächtigen, wählte der »Rat der Zehn« Pholymates, den Reichen, zum Oberherrn der Kaufmannsrepublik Salassar. Denn es war Sitte, dass die zehn reichsten Kaufleute der Stadt aus ihrer Mitte den Oberherrn wählten. Wer herausragende geschäftliche Erfolge hatte, der konnte eine Stadt besser regieren als ein gekröntes Haupt, dessen Urahnen vielleicht einmal tüchtige Herrscher gewesen waren, er selbst jedoch weder über Charisma noch scharfes logisches Denken oder gar Durchsetzungsvermögen verfügte.

Unter Pholymates nahm sich Salassar immer mehr Freiheiten heraus, obwohl es offiziell immer noch zum Reich Mohairedsch gehörte und die Herrschaft des Hohen Sarans im fernen Ugraphur anerkennen musste. Die Unabhängigkeitsbestrebungen der Stadt Salassar waren im dortigen Serail zwar bekannt, wurden aber ignoriert, weil die fälligen Abgaben im Allgemeinen pünktlich und in voller Höhe bezahlt worden waren.

Mit äußerster Konzentration hatte sich Soduur in einen mächtigen Folianten vertieft, der, von Geisterkräften gehalten, vor ihm aufgeschlagen war. Ein Gedankenbefehl zeigte den Unsichtbaren, die das Buch hielten, an, wann eine Seite umzublättern sei.

Mit seinen zerbrochenen Knochen konnte Soodur gerade eine Schriftrolle halten. Um diesen uralten Folianten zu studieren, musste er seine Geisteskräfte einsetzen. Denn wenn das Buch frei im Raum schwebte, bedeutete es für Soduur keine Schwierigkeiten, auf diese Art geruhsam seinen Studien nachzugehen.

Was anderen Menschen die Haare zu Berge stehen ließ, waren für Soduur alltägliche und leicht erklärliche Vorgänge. Der Kundige, der die Kräfte der Geisterwelt zu seinen Gunsten zu nutzen versteht, findet in diesen Dingen eine Welt, die ihren eigenen Gesetzen gehorcht, jedoch genauso real ist wie jede andere auch. Man muss sich zwar ihren Gesetzen unterwerfen, es aber gleichzeitig auch verstehen, diese Gesetze zum eigenen Nutzen anzuwenden.

Zufällig war Soduur auf das Buch aufmerksam geworden, das schon lange in den oberen Regalen seiner umfangreichen Bibliothek okkulter Werke stand. Eine Ausgabe der »Geheimlehre« die Falcar, der Sehende, in den Tagen geschrieben hatte, bevor die ersten aus Mohairedsch verbannten Kaufleute in den Sümpfen vom Delta des Lall-Flusses ihre Kontore errichteten und damit den Grundstein für die Stadt Salassar legten.

In diesem Buch hoffte Soduur endlich ein Mittel zu finden, mit dem er seinen zerschlagenen Körper Heilung zuführen konnte.

Ein Gedankenbefehl ließ die nächste Seite umschlagen.

Interessiert betrachtete der Schwarzzauberer die unheiligen Symbole, die wie eine Flammenschrift vom schwarzen Pergament abstachen ...

 

***

 

»Das ist er. Halt die Stricke bereit. Diesmal darf er uns nicht entwischen!«, zischte Bojand so leise, dass es gerade noch für ein menschliches Ohr zu vernehmen war. Der in seiner Gewandung völlig unauffällig wirkende Mann mit den markanten Gesichtszügen drückte seinen schmalen, hochgewachsenen Körper in die schützende Dunkelheit der Türnische aus grob gemauerten, glasierten Lehmziegeln, deren mittlerer Schlussstein den Schädel eines Dämons darstellte, der wiederum andre Dämonen abschrecken sollte, in dieses Haus einzudringen.

Seit zwei Tagen hatte der »Menschenjäger des Hohen Sarans« das alte, halb verfallene Mietshaus in der Shimarstraße von Salassar beobachtet. Und heute sah er endlich den Mann, auf den er gewartet hatte.

Ferrol, den Abenteurer.

Aber nicht nur den Abenteurer. Denn außerdem war Ferrol auch noch der Kronprinz von Mohairedsch. Den einzigen legitimen Sohn des Sarans Haran Esh Chandor, der sich von seinem Thron im Serail von Ugraphur aus bemühte, sein Land gerecht und mit Sanftmut zu regieren. Als Pufferzone zwischen den verfeindeten Reichen von Cabachas und Decumania war das nicht immer leicht.

Prinz Ferrol, der alle Anlagen zu einem tatkräftigen Herrscher hatte, war schon vor vielen Monden aus dem Palast von Ugraphur entwichen. In Villavortas, der glänzenden Hauptstadt von Decumania, wo er bei den Kampfspielen in der Arena der Liebling der Massen geworden war, griffen die Häscher zu spät zu. Denn Ferrol war wegen einer Wette, die er in irgendeiner Taverne abgeschlossen hatte, ins Frauenhaus des Kyrios eingedrungen und hatte dort mindestens bei einer der drei Frauen des weltlichen Herrschers von Decumania ein bleibendes Andenken hinterlassen. Von den Wächtern unsanft gestört gelang es ihm nach einer wilden Jagd durch das goldene Haus zu entkommen.

Den nach Decumania im geheimen Auftrag des Saras ausgesandten Männern blieb nichts weiter übrig, als vor dem Thron des Sarans zu bekennen, dass sie einen halben Sonnenumlauf zu spät in Decumania angekommen waren und dass es Ferrol trotz der überhasteten Flucht aus Villavortas gelungen war, alle Spuren hinter sich zu verwischen.

Dafür vernahm man ungefähr zwei Monde später immer wieder von kühnen Taten, die ein Abenteurer namens Ferrol in der Stadt Salassar begangen haben sollte. Meist wurde im gleichen Atemzug noch Churasis, der halb vertrottelte Zauberer und Sina, die Katze, jene ungekrönte Diebeskönigin von Salassar, genannt.

Ein Grund für Saran Haran Esh Chandor, diesmal seine besten »Menschenjäger« auszusenden. Das waren Männer, die sonst entlaufene Sklaven einfingen und zu ihrem Herrn zurück brachten. Die Besten von ihnen hatte der Saran in seinen »geheimen Dienst« genommen.