Impressum

1. Auflage 2017

© Dryas Verlag

 

Herausgeber: Dryas Verlag, Frankfurt am Main

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Herstellung: Dryas Verlag, Frankfurt am Main

Lektorat: Kristina Frenzel, Berlin

Korrektorat: Birgit Rentz, Itzehoe

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München (www.guter-punkt.de) unter Verwendung von Motiven von Thinkstock

Satz: Dryas Verlag, Frankfurt am Main

 

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

ISBN Print 978-3-940258-68-7, ISBN E-Book 978-3-940258-71-7

www.dryas.de


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Tödliches Blau

 

Ein Oxford-Krimi

von Katharina M. Mylius

 

Mit einigen Hintergrundinformationen zum Bootsrennen zwischen Oxford und Cambridge im Anhang

 

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Lesetipps

Heidi und Fredericks erster Fall in Oxford: "Die Toten vom Madgdalen College"


 

ISBN Print 978-3-940258-39-7, ISBN E-Book 978-3-940258-42-7

 

Bei einem Alumni-Dinner im Magdalen College der Universität Oxford bricht ein wichtiger Lokalpolitiker tot zusammen. Er wurde vergiftet, doch keiner der Gäste an seinem Tisch will etwas gesehen haben.
Und auch bei ihren weiteren Nachforschungen stoßen Inspector Heidi Green und ihr neuer Kollege Frederick Collins von der Thames Valley Police auf eisernes Schweigen. Nur eins steht fest: Ein paar der Ehemaligen hüten ein dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit. Bald gibt es eine zweite Leiche …
Ein Oxford-Krimi mit überraschenden Wendungen, der Einblicke in die Welt der altehrwürdigen Universitätsstadt Oxford gewährt.

 

 

Ermittlungen in Kent: "Canterbury Requiem"


 

ISBN Print 978-3-940258-40-3, ISBN E-Book 978-3-940258-43-4

 

Es regnet und ein kalter Wind fegt durch Canterburys Straßen, als Ella sich nach der Chorprobe von Aileen verabschiedet. Am nächsten Morgen ist Aileen tot. Zunächst sieht alles nach einem Unfall mit Fahrerflucht aus, doch dann stellt sich heraus, dass Aileen starke Beruhigungsmittel im Blut hatte. Entschlossen beginnt Ella, die erst kürzlich nach Canterbury gezogen ist, in Aileens Leben nachzuforschen.
Dabei stößt sie auf Ungereimtheiten, häkelnde alte Damen, einen mürrischen Professor, einen pfiffigen Nachbarsjungen, einen ausgesprochen attraktiven jungen Mann im Pub und einen Detective Inspector, der ihr das Leben nicht unbedingt leichter macht …




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Für meine Eltern Inge und Thomas


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Sonntag, 8. März

 

Heidi hatte nur wenig geschlafen. Sie war letztendlich doch erst sehr spät ins Bett gekommen, weil Frederick ihr im Pub sein Herz ausgeschüttet hatte. Sie hatte sich die ganze Geschichte mit Susan angehört, auch Louise zuliebe. Nachdem Frederick sie nach Hause gefahren hatte, hatte sie sich sofort ans Telefon gesetzt und Louise angerufen, um ihr alles zu erzählen. Und so war sie erst weit nach Mitternacht ins Bett gekommen. Es fühlte sich so an, als hätte sie die Nacht durchgemacht, als ihr Handy auf dem Nachttisch zu vibrieren begann. Sie griff danach.

»Simmons, was gibt’s?«, fragte sie müde.

»Wir haben Ross!«, sagte der triumphierend. »Er wollte wohl nach London, wurde aber vorher in einem Zug aufgegriffen. Jetzt sitzt er in einer Zelle in der Police Station.«

»Haben Sie Collins schon Bescheid gegeben?«

»Er ist unterwegs.«

»Ich bin auch gleich da.« Heidi setzte sich auf. Ihre Schulter schmerzte und sie wurde an die unbequeme Schiene erinnert. »Könnten Sie mir bitte einen Streifenwagen vorbeischicken?«

»Ich hab schon von Ihrem Unfall gehört«, sagte Sergeant Simmons mitfühlend. »Blöde Sache! Und das werden Sie auch so schnell nicht wieder los. Ich habe mir mal als Kind den Fuß umgeknickt und ich spüre das immer noch jedes Mal, wenn das Wetter wechselt. Und hier in Oxford wechselt das Wetter ja ziemlich oft, ich …«

»Geht das in Ordnung mit dem Streifenwagen, Simmons?«, unterbrach Heidi ihn.

»Sicher, ich schicke gleich einen los, Inspector Green.«

»Ach, und Simmons, liegen die Auswertungen der Handys von Hind und Morgan schon vor?«

»Ich schaue gleich mal nach.«

»Danke, Simmons!«

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Heidi verfluchte Ryan Ross. Trotz der Schmerzmittel, die sie nach dem Aufstehen genommen hatte, spürte sie noch immer ein dumpfes Ziehen in der Schulter. Der Arzt im Krankenhaus hatte sie für drei Tage krankschreiben wollen, doch das war für sie nicht in Frage gekommen. Sie hätte es niemals ausgehalten, tatenlos zu Hause zu sitzen, während die Mörder von Marcus Hind und Carl Morgan noch immer auf freiem Fuß waren. Zumal sie nun Ryan Ross aufgegriffen hatten.

Sie stöhnte laut, als sie sich auf dem Stuhl im Vernehmungsraum niederließ.

Frederick schaute sie mitleidig an. »Geht’s?«

Heidi nickte. Dann öffnete sich die Tür und Sergeant Simmons brachte Ryan Ross herein. Der Sergeant hatte sie bei ihrer Ankunft bereits darüber informiert, dass Ross sich den gestrigen Tag über in einer Laube in der Nähe des Bahnhofs versteckt hatte, um sich dann mit einem Nachtzug nach London abzusetzen. Den wachen Augen eines Schaffners hatten sie es zu verdanken, dass er dabei erwischt worden war. Denn er hatte sofort bei der Police Station angerufen, als er Ross aufgrund des Fahndungsfotos erkannt hatte. Beim nächsten Halt des Zuges war Ross verhaftet und zurück nach Oxford gebracht worden, direkt in eine Zelle. Hätte er es bis nach London geschafft, wären die Aussichten darauf, ihn aufzuspüren, ziemlich schlecht gewesen.

»Nun, Mr Ross, halten Sie es nicht auch für angebracht, sich für das brutale Vorgehen bei Ihrer Flucht zu entschuldigen?« Frederick baute sich vor ihm auf. »Ihretwegen hat Inspector Green sich die Schulter geprellt und wird nun vier Wochen lang eine Schiene tragen müssen.«

Ryan Ross schaute Heidi kurz an und nuschelte etwas, das wie »Entschuldigung Ma’am« klang.

»Dann hätten wir das ja geklärt«, sagte Heidi kühl. Seine Entschuldigung änderte auch nichts an ihren Schmerzen. »Und nun erzählen Sie uns bitte, weshalb Sie unser schönes Oxford verlassen wollten!«, forderte sie dann, denn das war es, was sie wirklich von ihm hören wollte.

»Ich habe Panik bekommen, dass Sie mich für etwas bestrafen, das ich nicht getan habe. Ich habe weder Marcus noch Carl getötet, bitte glauben Sie mir!«

In diesem Moment klopfte es an der Tür, dann kam Sergeant Simmons herein und legte ein paar Papiere vor sie auf den Tisch. »Das sollten Sie sich anschauen«, kommentierte er.

Es waren die Auswertungen der Handys von Hind und Morgan. Heidi nickte Sergeant Simmons zum Dank zu und er verließ den Raum. Dann überflog sie rasch die erste Seite.

»Wenn ich das hier richtig lese, dann hatten Sie ziemlich regen Kontakt zu Carl Morgan«, sagte sie nach einer Weile.

»Wir waren beide im Development Squad, da bleibt das nicht aus«, erklärte Ryan Ross.

»Mr Ross, ich würde mal behaupten, das ist leicht untertrieben. Aus diesen Nachrichten hier kann man herauslesen, dass Sie ihn ziemlich unter Druck gesetzt haben«, sagte Heidi streng und reichte die Papiere weiter an Frederick. »Sie haben ihn nicht nur ein wenig gepiesackt, wie sie sich gestern ausgedrückt haben. Wollen Sie dazu etwas sagen?«

»Das hatte er sich selbst zuzuschreiben«, versuchte Ryan Ross, sich zu rechtfertigen. »Eigentlich war er der beste Ruderer im Team. Aber in den letzten Monaten hat die Mannschaft fast jedes Rennen verloren, und zwar immer, weil Carl irgendeinen blöden Fehler gemacht hat. Mir kam das irgendwann komisch vor und ich habe ihm ein bisschen auf den Zahn gefühlt.«

»Weil Sie an seiner Stelle ins Team wollten?«

»Ja. Als ich erfahren habe, dass ich nachrücken sollte, falls er ausfällt, habe ich mich auf die Lauer gelegt. Sein Verhalten kam mir einfach seltsam vor.«

»Und, haben Sie etwas herausgefunden?«

»Carl hat die Bootsrennen manipuliert«, sagte Ryan Ross aufgeregt. »Er hat dafür gesorgt, dass unser Team regelmäßig verloren hat.«

»Wieso hätte er das tun sollen?«, fragte Heidi ungläubig.

»Er hat Wetten auf die Rennen abgeschlossen!«

»In einem Wettbüro?«, hakte Heidi nach.

Ryan Ross nickte.

»Wissen Sie auch, in welchem?«

»Stan James Bookmakers in Headington. Ich bin Carl mal dorthin gefolgt.«

Heidi notierte es sich. »Wir werden das prüfen.«

»Und was haben Sie mit der Information gemacht?«, wollte Frederick wissen.

»Ich habe gedroht, Marcus davon zu erzählen, wenn Carl nicht freiwillig auf seinen Platz im Team verzichtet.«

»Hat er sich darauf eingelassen?«

Ryan Ross schüttelte den Kopf.

»Und was haben Sie dann gemacht?«

»Ich hab es Marcus gesagt.«

»Am Mittwochabend, als Sie allein mit ihm waren?«

»Genau.«

»Hat er Ihnen geglaubt?«

»Ja, denn er hatte selbst schon vermutet, dass es bei den ständigen Debakeln nicht mit rechten Dingen zugehen konnte. Er wollte noch am selben Abend mit Carl sprechen.«

»Dann hätten Sie also beinah erreicht, was Sie wollten«, überlegte Heidi laut. »Sie wären ins Team gekommen.«

»Ja, wenn Marcus nicht umgebracht worden wäre, bevor er das durchsetzen konnte«, sagte Ryan Ross wütend.

»Und da haben Sie sich überlegt, wie Sie Carl Morgan loswerden könnten?«

»Das habe ich tatsächlich für einen kurzen Moment«, gab Ryan Ross zu. »Aber ich hätte ihn doch niemals umgebracht!«

»Sie vielleicht nicht …«

»Was meinen Sie?«

»Haben Sie Josie Edwards dazu überredet, das für Sie zu übernehmen? Haben Sie ihr versprochen, auch sie ins Team zu holen, sobald Sie dabei sind?«

»Das ist absurd!«, rief Ryan Ross.

Heidi ging nicht darauf ein, weil Frederick ihr in diesem Moment die Unterlagen reichte und auf eine Textnachricht zeigte. Darin hatte Marcus Hind Carl Morgan noch am Mittwochabend zu den Bootshäusern beordert. Offenbar hatte er ihn tatsächlich an dem Abend aus dem Team geworfen, denn etwa eine Stunde später hatte er Gerry Kirkwood angerufen, um ihm mitzuteilen, dass es personelle Änderungen in der Teamaufstellung geben würde. Das passte alles zusammen. Ryan Ross schien die Wahrheit zu sagen.

Heidi schaute Frederick an, er nickte. »Sie können gehen«, sagte sie zu Ryan Ross.

Der sah sie ungläubig an.

»Aber bitte tun Sie uns den Gefallen und begeben Sie sich auf keine weitere Reise! Solange die Morde nicht aufgeklärt sind, müssen wir Sie bitten, Oxford nicht zu verlassen.«

»Das hatte ich nicht vor.«

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Nachdem Ryan Ross den Raum verlassen hatte, sah sich Heidi die Auswertungen der Handys noch einmal genauer an. Und dabei entdeckte sie weitere hochbrisante Nachrichten. Ryan Ross war nicht der Einzige gewesen, der Carl Morgan massiv unter Druck gesetzt hatte!

Sie besprach sich kurz mit Frederick und rief dann Sergeant Simmons herein. »Könnten Sie bitte Hannah Hind herbringen? Wir müssen dringend mit ihr sprechen«, erklärte sie. »Sie wohnt in Nord Hinksey in einem Studentenwohnheim ganz in der Nähe des Raleigh Park.«

»So weit draußen?«, maulte Sergeant Simmons. »Es kann aber eine Weile dauern, bis ich wieder zurück bin.«

»Das macht nichts. Nehmen Sie doch einen Kollegen mit. Wir werden uns in der Zwischenzeit in einem Wettbüro in Headington umsehen.«

»Seit wann gehen Sie denn in so was, Inspector Green? So hätte ich Sie gar nicht eingeschätzt. Sie wissen schon, dass man davon abhängig werden kann?«, fragte er ängstlich. »Mein Onkel James hat mir mal erzählt, dass sein Cousin Robert sein ganzes Vermögen verspielt hat. Sein Auto, sein Haus, sogar seinen Rasenmäher hat er zu Geld gemacht, um es in Wetten zu investieren. Und er hat alles verloren. Seien Sie bloß vorsichtig! Wenn man da einmal drinsteckt, kommt man so schnell nicht wieder raus! Und da sollen sich auch ziemlich zwielichtige Gestalten rumdrücken in solchen Etablissements.«

»Danke, Simmons, dass Sie sich solche Sorgen machen!«, antwortete Heidi lächelnd. »Ich werde auf mich aufpassen. Und es geht auch nicht um mich, sondern um Carl Morgan.«

»Der tote Ruderer?«, fragte Sergeant Simmons.

»Ja.«

»Meinen Sie denn, dass der wettsüchtig war?«

»Genau das wollen wir herausfinden«, erwiderte Heidi. »Hat der Tutor eigentlich schon Josie Edwards’ Alibi bestätigt?«

Sergeant Simmons verneinte.

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Heidi und Frederick verließen die Police Station und gingen zu einem Dienstwagen auf dem Parkplatz hinter dem Gebäude. Frederick öffnete Heidi die Beifahrertür und half ihr beim Einsteigen. Dann setzte er sich ans Steuer und fuhr los. Inzwischen war es halb zehn und die ersten Geschäfte entlang der High Street öffneten ihre Türen.

»Müssen wir so schleichen?«, fragte Heidi ungeduldig. »Wenn Sie in dem Tempo weiterfahren, kommen wir nie an!«

»Ihnen scheint es ja wieder besser zu gehen«, sagte Frederick amüsiert. »Gestern bin ich Ihnen noch zu abrupt gefahren, heute geht es Ihnen nicht schnell genug. Sie sind schon als Fahrerin kaum auszuhalten, Green, aber als Beifahrerin sind Sie unerträglich! Sie sollen sich doch wegen der verletzten Schulter schonen. Vielleicht machen Sie einfach mal die Augen zu und entspannen sich, bis wir in Headington sind.«

»Ich soll meine Augen schließen und entspannen, während Sie am Steuer sitzen? Das ist nicht Ihr Ernst! Wobei – bis wir in Headington sind, bin ich wahrscheinlich tatsächlich eingeschlafen bei dem langsamen Geschunkel, das Sie Autofahren nennen.«

Frederick ließ sich durch ihre Worte nicht aus der Ruhe bringen. Er fuhr am Magdalen College vorbei über die Magdalen Bridge und dann in einen Kreisel, blinkte und bog gemächlich auf die Headington Road ab, die nach Cowley führte.

»Hier ist ja wahnsinnig viel los für die Uhrzeit«, kommentierte er, als er eine Gruppe junger Leuten sah, die sich vor einem Pub versammelt hatten.

»Die stehen sicherlich dort fürs Katerfrühstück. Wahrscheinlich haben sie die Nacht durchgemacht. Ganz in der Nähe ist einer der besten Nightclubs von Oxford. Da war ich früher auch jedes Wochenende«, schwelgte Heidi in Erinnerungen. »Zusammen mit Louise. Wir hatten richtig viel Spaß.«

Frederick verzog unglücklich das Gesicht, als er den Namen »Louise« hörte. Er hatte ihr nach dem Gespräch mit Heidi noch eine Nachricht geschrieben, obwohl es fast Mitternacht gewesen war. Aber geantwortet hatte sie ihm bisher nicht.

»Louise meldet sich bestimmt bei Ihnen. Ich habe gestern noch lange mit ihr über Sie gesprochen«, sagte Heidi in diesem Augenblick.

Er schaute sie überrascht an. »Können Sie Gedanken lesen?«

»Heute schon.« Sie lächelte ihn an.

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Nach einer gefühlten Ewigkeit betraten sie endlich das Wettbüro in Headington. Heidi blickte sich um. An den Wänden hingen unzählige Bildschirme, auf denen die Ergebnisse der verschiedenen Rennen angezeigt oder in Echtzeit Pferde- und Hunderennen übertragen wurden. An den Tischen saßen Männer und Frauen jeden Alters mit kleinen Blöcken, Tippscheinen und Stiften und schauten immer wieder auf die Bildschirme. Die Stimmung hatte etwas von einem Pub an einem Freitagabend. Alle unterhielten sich angeregt und fieberten bei den Rennen mit. Man jubelte oder ärgerte sich lautstark, wenn ein Rennen vorüber war, und ging dann hinüber zu einer Bar, an der ein junger Mann Getränke verkaufte. Im hinteren Teil des Raumes hatte sich eine Schlange vor einer Theke mit Kasse gebildet. Anscheinend wurden dort die Tippscheine entgegengenommen. Heidi und Frederick drückten sich an den Wartenden vorbei, was mit Protestrufen kommentiert wurde.

»Nur die Ruhe!«, versuchte Frederick, die Leute zu beschwichtigen. »Wir kommen von der Thames Valley Police und würden gerne mit Ihnen sprechen, Sir«, sagte er dann mit lauter Stimme zu dem Mann hinter der Theke.

Bei den Worten »Thames Valley Police« verstummten die Proteste und die Wartenden betrachteten Heidi und Frederick neugierig.

»Es tut mir leid, aber ihr habt es ja gehört. Ich muss kurz weg«, sagte der Mann und wandte sich dann an Frederick: »Wollen wir vielleicht in mein Büro gehen?«

»Gerne.«

Heidi und Frederick folgten ihm in einen winzigen Raum, in dem nur ein Regal und ein kleiner Schreibtisch standen. Auf dem Tisch stapelten sich unzählige Ordner und Papiere.

»Entschuldigen Sie bitte die Unordnung! Hier ist immer ziemlich viel los und ich komme oft nicht gleich dazu, den Papierkram zu erledigen. Leider kann ich Ihnen keinen Sitzplatz anbieten, aber wenigstens können wir hier in Ruhe sprechen. Gibt es Probleme?«, fragte der Mann beunruhigt und schloss die Tür.

»Nein, nein, machen Sie sich keine Sorgen!«, sagte Frederick. »Wir sind hier, weil wir hoffen, dass Sie uns bei einem unserer Fälle weiterhelfen können, Mister …?«

»Holmes, mein Name ist Lewis Holmes.«

»Mr Holmes, es geht um Carl Morgan. Kannten Sie ihn?«, fuhr Frederick fort.

Lewis Holmes überlegte nicht lange. »Na sicher, der Junge war oft hier. Ich habe in der Oxford Mail gelesen, dass er tot ist.«

»Das stimmt leider.«

»Schade um ihn, er war eigentlich ein echt netter Kerl«, sagte Lewis Holmes und sein Bedauern klang ehrlich.

»Wir haben erfahren, dass er hier bei Ihnen regelmäßig Wetten abgeschlossen hat. Stimmt das?«, wollte Heidi wissen.

»Ja, er kam alle paar Wochen hierher. Und er hat immer ziemlich hohe Gewinne eingefahren, regelmäßig ein paar Tausender. Mir war das nur recht, denn das hat sich rumgesprochen und die anderen Jungs haben auch angefangen, auf die Ruderwettbewerbe zu wetten. Eigentlich verdiene ich am meisten mit Pferde- und Hunderennen, aber das hat sich in den letzten Monaten geändert. Der Junge war gut fürs Geschäft.«

»Er hat also ausschließlich auf Ruderwettbewerbe gewettet?«

»Ja.«

»Und hat er Ihnen erzählt, was er mit dem Geld wollte?«

»Nein, er hat nicht viel geredet. Er war keiner von denen, die hier stundenlang sitzen. Meistens kam er rein, hat schnell den Wettschein ausgefüllt, bezahlt, und dann war er auch schon wieder weg. Er wirkte immer irgendwie nervös, vor allem wenn er sich seinen Gewinn abgeholt hat.«

»Wussten Sie, dass er selbst bei den Rennen mitgerudert ist, auf die er gewettet hat?«

»Ich hab da mal so was gehört, ja, aber ich hab ehrlich gesagt nicht weiter nachgefragt«, gab Lewis Holmes zu. »Ging mich ja auch nichts an.«

»Verstehe«, sagte Heidi. »Wann war er das letzte Mal hier?«

»Wenn ich mich richtig erinnere, dann war das letzten Dienstag.«

»Und worauf hat er gewettet?«

»Auf das Rennen zwischen Oxford und Cambridge.«

»Wie viel hat er gesetzt?«

»Zwanzig.«

»So wenig?«

»Zwanzigtausend!«

Heidi musste kurz schlucken. »Und er hat darauf gewettet, dass Oxford verliert, nehme ich an.«

»Richtig.«

So ein verdammter Mistkerl, dachte Heidi wütend.

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Als sie die Police Station erreichten, schimpfte Heidi noch immer auf Carl Morgan. »Ich weiß nicht, was ich mit dem Kerl gemacht hätte, wenn ich rausgefunden hätte, was er vorhat!«, rief sie aufgebracht. »Was wollte er bloß mit dem ganzen Geld? Er hatte doch wirklich genug davon!«

»Vielleicht hat es ihm einen Kick gegeben, dass es in seiner Macht lag, über den Ausgang der Rennen zu bestimmen«, mutmaßte Frederick, während sie das Büro der Sergeants betraten. »Ansonsten hat er wohl nicht sehr viel Einfluss gehabt im Team.«

»Schon möglich. Aber trotzdem hätte er nicht die Rennen manipulieren müssen«, sagte Heidi und ging zu Sergeant Simmons hinüber, der mit dem Rücken zu ihr an seinem Schreibtisch saß. »Ist Hannah Hind schon hier?«, fragte sie und legte ihm die Hand auf die Schulter.

Sergeant Simmons zuckte zusammen und drehte sich zu ihr um. »Müssen Sie mich so erschrecken?!«

»Haben Sie uns denn nicht kommen gehört?«

Sergeant Simmons schaute Heidi fragend an und zog sich dann zwei Stöpsel aus den Ohren. »Was haben Sie gesagt?«

»Ob Sie uns nicht kommen gehört haben.«

»Nein, diese Ohrstöpsel sind wirklich praktisch. Ich brauche ja absolute Ruhe, wenn ich arbeite, wissen Sie? Selbst beim kleinsten Geräusch kann ich mich nicht richtig konzentrieren. Das war schon immer so. Am schlimmsten ist es, wenn das Radio läuft. Musik geht gar nicht, da werde ich ganz …«

»Und wie in aller Welt kommunizieren Sie mit den anderen Sergeants?«, fragte Heidi dazwischen.

»Mit Handzeichen. Ich habe da meine ganz eigene Sprache entwickelt. Das hier zum Beispiel bedeutet, dass ich jetzt keine Zeit habe.« Sergeant Simmons fuchtelte mit den Händen herum. »Und das hier …«

»Schon gut, Simmons! Haben Sie Hannah Hind herbringen können?«

Sergeant Simmons stöhnte. »Ich kann Ihnen sagen, das war was! Das Studentenwohnheim ist das reinste Labyrinth! Sie war natürlich nicht auf ihrem Zimmer, als ich ankam, sondern bei einer Freundin. Aber die Freundin wohnt nicht im selben Gebäude, sondern ganz am Ende des Campus! Bis ich dort hingefunden habe …«

»Ist Hannah Hind nun hier oder nicht?« Diesmal war es Frederick, der ihn unterbrach.

»Ach so, ja, sie wartet im Aufenthaltsraum. Soll ich sie holen gehen?«

»Am besten bringen Sie die junge Frau gleich in den Vernehmungsraum.«

»Natürlich, Inspector Collins. Und noch etwas: Ich habe endlich mit dem Tutor sprechen können.«

»Und?«

»Er hat mir bestätigt, dass er den Freitagabend mit Josie Edwards verbracht hat.«

»Glaubwürdig?«

Sergeant Simmons nickte. »Ich habe seine Aussage überprüft. Der Pförtner hat Mr Jeffries gegen sechs Uhr abends auf das Gelände des Christ Church gelassen und am Samstagmorgen gegen elf ist er wieder gegangen. Ich habe mich lange mit dem Pförtner unterhalten und er hat mir erzählt, dass er wegen des Mordes an Marcus Hind ganz besonders darauf geachtet hat, wer dort ein und aus geht. Er hat mir versichert, dass da niemand mit einem Cricketschläger unterwegs war, und auch nicht mit einer Tasche, in der man einen Schläger hätte verstecken können. Das wäre ihm aufgefallen.«

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Heidi und Frederick warteten im Vernehmungsraum auf Hannah Hind. Als die junge Frau den Raum betrat, wirkte sie angespannt. Ihre Wangen waren gerötet und sie blickte sich nervös um.

»Warum haben Sie mich hierherbringen lassen?«, fragte sie, nachdem sie sich gesetzt hatte. »Der Sergeant wollte mir das nicht sagen. Stattdessen hat er mir lang und breit erklärt, dass er nicht berechtigt ist, mir irgendwelche Informationen über den Fall zu geben.«

»Wir haben neue Informationen, die wir mit Ihnen besprechen wollen«, sagte Frederick und schob ein Blatt Papier zu ihr hinüber. »Das ist die Auswertung von Carl Morgans Handy. Diese Nachrichten hier«, er zeigte auf das Blatt, »haben Sie doch geschrieben, oder?«

Hannah Hind las den Text. »Dürfen Sie das überhaupt?«, fragte sie empört. »Das ist doch privat!«

»Wir ermitteln in einem Mordfall, Miss Hind, natürlich dürfen wird das. Aber die Frage ist wohl eher: Wieso haben Sie Carl Morgen derart unter Druck gesetzt?«

Hannah Hind schaute Frederick wütend an. »Können Sie nicht lesen?«

»Durchaus. Aber ich will es noch einmal aus Ihrem Mund hören.«

»Weil der verdammte Dreckskerl meinen Vater vor der ganzen Welt lächerlich gemacht hat!«

»Wie haben Sie von Morgans Manipulationen erfahren?«

»Ryan hat es mir erzählt. Ich wollte es zuerst nicht glauben, aber dann habe ich alles akribisch zurückverfolgt. Bei fast allen Rennen muss Carl seine Finger im Spiel gehabt haben.«

»Aber das Team hat doch nicht nur verloren«, wandte Heidi ein. »Ich weiß zum Beispiel, dass sie gegen Durham gewonnen haben.«

»Das stimmt schon«, gab Hannah Hind zu. »Aber das war ja auch keine Kunst. Ihr wichtigster Mann hatte sich die Hand gezerrt.«

»Jetzt, wo Sie es sagen, erinnere ich mich«, sagte Heidi nachdenklich. »Das heißt, Morgan hat bei den Rennen, bei denen er sich sicher sein konnte, dass Oxford gewinnen würde, wiederum alles gegeben, damit es auch zum Sieg kam.«

»Genau so muss es der Betrüger gemacht haben!«

»Und mit dem Wissen über die Manipulationen haben Sie ihn dann unter Druck gesetzt.«

Hannah Hind nickte. »Ich habe ihm damit gedroht, zur Polizei zu gehen und ihn anzuzeigen. Das hätte ich natürlich niemals gemacht, aber ich wollte, dass er mit der Trickserei aufhört. Doch ihm war das völlig egal, er war da total abgebrüht. Das passte eigentlich nicht zu ihm, aber Sie haben ja sicherlich seine Antworten gelesen.«

»Warum haben Sie sich nicht gleich Ihrem Vater anvertraut?«

Hannah Hind schluckte. »Ich wollte, dass Carl von allein mit dem Quatsch aufhört. Er war schließlich der beste Ruderer im Team. Und wenn mein Dad davon erfahren hätte, dann hätte er den Betrug anzeigen müssen. Es wäre ein riesiger Skandal gewesen und Dad hätte womöglich seinen Posten räumen müssen. Das hätte er niemals verkraftet! Und ich wollte doch, dass er mit dem Team gegen Cambridge gewinnt, verstehen Sie?«

Heidi verstand sie nur zu gut. »Haben Sie Carl deshalb umgebracht – weil er nicht aufhören wollte, die Rennen zu manipulieren?«

Hannah Hind wurde blass, doch sie sagte nichts.

»Sie haben uns selbst erzählt, dass Sie sich zur Zeit des Mordes in der Nähe des Tatorts aufgehalten haben«, fügte Heidi hinzu. Dann klingelte ihr Handy. »Das ist Steph«, sagte sie zu Frederick. »Da muss ich schnell rangehen.« Sie stand auf und verließ den Raum.

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»Danke, dass du dich meldest, Steph! Du hast an einem Sonntag sicher auch Besseres zu tun«, begann Heidi das Gespräch.

»Keine Ursache«, antwortete Stephanie Bradshaw und erklärte Heidi dann, was ihr Freund im pharmazeutischen Labor über die Tablette herausgefunden hatte: »Das ist Pantoprazol, ein Mittel, das die Magensäure neutralisiert, um so die Magenschleimhaut zu schützen.«

»Aha«, sagte Heidi nachdenklich.

»Es wird wohl vor allem von Patienten eingenommen, die mit Essstörungen zu kämpfen haben.«

Heidi musste sofort an Hannah Hinds dünnen Körper denken, aber dann fiel ihr noch etwas ein. »Verstehe. Vielen Dank, Steph!« Sie legte auf und wählte Dr Goldbergs Nummer.

Der Pathologe nahm gleich ab. »Heidi, ich habe gerade an dich gedacht!«

»Dann können Sie mir schon sagen, ob Sie die Substanz in Carl Morgans Körper gefunden haben? Es ist übrigens Pantoprazol.«

»Ach, ein Protonenpumpenhemmer«, sagte Dr Goldberg. »Ja, ich habe die entsprechenden Tests gemacht und kann ausschließen, dass der Junge das Mittel eingenommen hat. Vielleicht hatte er es noch vor, das kann ich natürlich nicht sagen, aber zum Zeitpunkt seines Todes hatte er es nicht im Körper.«

»Morgan hat ausgesagt, dass er am Mittwochabend eine hohe Dosis Diazepam eingenommen hat. Könnte es sein, dass sein Arzt ihm zusätzlich Pantoprazol verschrieben hat, um seinen Magen zu schonen? Vielleicht auch, weil ihm die ganze Aufregung auf den Magen geschlagen ist.«

»Eigentlich werden die beiden Mittel nicht kombiniert«, erklärte Dr Goldberg. »Aber bist du dir sicher, dass der Junge das Schlafmittel am Mittwoch genommen hat?«

»Das hat er zumindest behauptet.«

»Moment!«

Kurz herrschte Stille, dann hörte Heidi ein Rascheln am anderen Ende der Leitung.

Schließlich meldete sich Dr Goldberg zurück: »Ich bin gerade noch mal alle meine Unterlagen durchgegangen und kann mit Bestimmtheit sagen, dass ich keine Rückstände von Diazepam in seinem Körper gefunden habe. Der Junge hat gelogen.«

Heidi war sprachlos. Sie musste an Mrs Wellington denken, die gesehen hatte, wie Carl Morgan am Donnerstagmorgen nach Hause zurückgekehrt war. Was, wenn er ihnen etwas vorgemacht hatte, wenn er gerade aus dem Christ Church Meadow zurückgekommen war, wo er den Mord an Marcus Hind begangen hatte – weil der ihn aus dem Ruderteam werfen wollte?

»Danke, Dr Goldberg!«, sagte sie schließlich. »Und noch einen schönen Sonntag.« Sie legte auf und wollte gerade die Tür zum Vernehmungsraum öffnen, als ihr Handy erneut klingelte.

Diesmal war es Rich, der sie daran erinnerte, dass sie den Zwillingen versprochen hatte, mit zu Stanleys Party zu kommen. Er war kurz davor, zu Hause loszufahren, um sie abzuholen.

Wie soll ich das nur alles unter einen Hut bekommen?, fragte sie sich. Sie hatte die Geburtstagsfeier in dem Trubel völlig vergessen.

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Heidi ging in den Vernehmungsraum zurück und berichtete Frederick leise, was sie von Stephanie Bradshaw und Dr Goldberg erfahren hatte. Dann besprachen sie ihr weiteres Vorgehen.

Als sie fertig waren, sagte Heidi zu Hannah Hind: »Wir müssen Sie leider hierbehalten.«

Damit hatte sie die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um Sergeant Simmons nach North Hinksey zu schicken, damit er Hannah Hinds Zimmer durchsuchte. Nach Tabletten sollte er Ausschau halten und nach Hinweisen darauf, ob sie nicht nur Hockey, sondern auch Cricket spielte. Heidi bat ihn, sofort loszufahren. Denn sie hatte auch noch ein weiteres Anliegen.

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Als Heidi aus der Police Station trat, wartete Rich schon im Auto. Die Kinder saßen in ihren Sitzen auf der Rückbank und sangen vergnügt. Heidi nahm auf dem Beifahrersitz Platz.

»Tut mir leid, dass ich zu spät bin, aber ich musste noch etwas Wichtiges erledigen.« Sie drückte Rich schnell einen Kuss auf den Mund und begrüßte die Zwillinge.

Rich fuhr los, die Abingdon Road hinunter, und nach einer Weile bog er an einem Kreisel auf die Eastern Bypass Road ab. Ganz in der Nähe des Oxford Science Park lag das Play Center, in dem Stanleys Geburtstagsparty stattfand. In einer riesigen Halle waren Hüpfburgen, Trampoline, Klettergerüste und Rutschen aufgebaut. Die Kinder glucksten glücklich und rannten sofort zu ihren Freunden, um mit ihnen zu spielen.

Heidi sah sich um und entdeckte Kim in einer Ecke neben einer Getränkebar und einem großen eingedeckten Tisch, der mit Luftballons und Kerzen dekoriert worden war. Sie unterhielt sich mit einigen Eltern. Heidi und Rich gesellten sich dazu.

»Inspector Green!«, begrüßte Kim sie. »Schön, dass Sie es geschafft haben, zu kommen.«

»Die Kinder haben sich so auf die Party gefreut, noch einmal vielen Dank für die Einladung! Das hier ist mein Mann Rich.«

»Angenehm!«

Dann fragte Heidi leise: »Wie geht es dir heute, Kim? Mutest du dir hier nicht etwas zu viel zu?«

»Es geht schon.« Kim lächelte matt. »Ich mache das für Stanley.«

»Und wo ist deine Mutter?«

Bevor Kim antworten konnte, ertönte lautes Kindergeschrei. Stanley rief nach ihr.

»Bitte entschuldigen Sie! Stanley geht es heute nicht so gut«, erklärte Kim und lief schnell zu ihrem Bruder hinüber, um ihn zu beruhigen.

»Hallo Heidi!«, sagte in diesem Moment Debbie Williams, die unbemerkt neben sie getreten war.

Heidi begrüßte sie.

»Sag mal, die Halle hier zu mieten, muss doch ein kleines Vermögen gekostet haben«, flüsterte Debbie ihr zu.

»Ja«, antwortete Heidi. »Ich habe mich auch schon gefragt, wie die Burkes das finanziell stemmen können.«

»Die Party ist wohl Stanleys letzter Wunsch«, erklärte Debbie mit Bedauern in der Stimme.

»Wie meinst du das?«

»Ich habe gehört, dass der arme Kleine ernsthaft krank ist. Seine Werte werden von Tag zu Tag schlechter. Eigentlich braucht er sofort eine neue Leber, aber da sieht’s schlecht aus.«

»Das ist ja schrecklich!«, sagte Heidi betroffen. Ihr Handy klingelte. »Bitte entschuldige, Debbie! Das ist wichtig.« Sie trat ein Stück zur Seite, um ungestört sprechen zu können, und nahm den Anruf an.

Es war Sergeant Simmons. Er hatte keine Medikamente unter Hannah Hinds Sachen gefunden und auch keine Hinweise darauf, dass sie Cricket spielte. Dafür hatte sich Heidis schrecklicher Verdacht bestätigt. Ihr lief es kalt den Rücken hinunter. Auf einmal ergab alles einen Sinn.

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Frederick konnte Heidi schon von Weitem sehen. Sie stand vor der Halle und winkte aufgeregt.

»Das muss es sein«, sagte er zu Sergeant Simmons, der zusammen mit Hannah Hind auf dem Rücksitz des Dienstwagens saß.

Frederick parkte ganz in der Nähe des Eingangs, dann gingen sie schweigend zu Heidi hinüber. Sie besprachen sich kurz und betraten die Halle. Hannah Hind blickte sich eine ganze Weile suchend um. Plötzlich zuckte sie zusammen und ihre Gesichtszüge verhärteten sich.

Sie zögerte, doch dann sagte sie mit fester Stimme: »Da drüben, das ist sie, die Frau, die ich am Freitagabend im Christ Church Meadow gesehen habe.«

»Sind Sie sich ganz sicher?«, fragte Heidi.

Hannah Hind nickte. Die Person, auf die sie zeigte, war Kim.

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Heidi beobachtete Kim genau. Als sie Frederick und Sergeant Simmons entdeckte, erstarrte sie für den Bruchteil einer Sekunde, so als ob sie wusste, weshalb sie gekommen waren. Dann blickte sie panisch nach rechts und links. Offenbar suchte sie nach einer Möglichkeit, davonzulaufen. Doch dann schien sie zu realisieren, dass es kein Entkommen gab.

Zusammen mit Frederick und Sergeant Simmons ging Heidi zu ihr. »Kim, wir müssen dich bitten, mit uns zu kommen«, sagte sie.

Widerstandslos folgte Kim ihnen hinaus auf den Parkplatz.

Heidi räusperte sich. »Wir müssen noch einmal mit dir über die beiden Morde sprechen, Kim. Inzwischen gehen wir davon aus, dass du gemeinsam mit Carl Marcus Hind getötet hast.«

Kim starrte sie schockiert an.

»Und wir denken, dass du Carl umgebracht hast«, fuhr Heidi fort. »Wir haben eine Zeugin, die dich zum Tatzeitpunkt im Christ Church Meadow gesehen hat. Außerdem haben wir neben Carls Leiche ein Medikament gefunden, das den Aufbau der Magenschleimhaut unterstützt. Unser Sergeant Simmons hier hat gerade mit Stanleys behandelndem Arzt gesprochen, und der hat ihm bestätigt, dass Stanley dieses Mittel gegen seine Magenschmerzen einnimmt.«

Kim begann zu zittern.

»Deshalb gehen wir davon aus, dass du die Tablette am Tatort verloren hast. Willst du uns nicht erklären, wie das alles gekommen ist?«

Tränen liefen Kim über die Wangen. »Ich hab das nur für Stanley getan. Es ging um sein Leben und ich habe einfach keinen anderen Ausweg gesehen. Mein Bruder ist todkrank und keiner will ihm helfen!«, sagte sie verzweifelt. »Wir warten seit Monaten auf ein Spenderorgan, aber es findet sich einfach kein passendes. Und als ob das nicht schon schwer genug wäre, hat mein Vater uns auch noch verlassen. Er hat gesagt, dass er es nicht aushält, seinem Sohn beim Sterben zuzusehen. Meine Mutter ist seitdem nicht mehr dieselbe. Sie hat ihren Job verloren, wir sind mit der Miete im Rückstand und sie schafft es nicht einmal mehr, Stanley in die Preschool zu bringen. Sie hat mich einfach mit allem im Stich gelassen!«

»Und da seid ihr auf die Idee gekommen, euch mit Wetten ein wenig Geld dazuzuverdienen?«, fragte Frederick.