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Originalausgabe Februar 2015

Charakter und Zeichnung: Falk © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators

Text © Achim Mehnert

Copyright © 2016 der eBook-Ausgabe Verlag Peter Hopf, Petershagen

 

Lektorat: Katja Kollig

Umschlaggestaltung: etageeins, Jörg Jaroschewitz

Hintergrundillustration Umschlag: © ihervas - fotolia.com

E-Book-Konvertierung: Thomas Knip | Die Autoren-Manufaktur

 

ISBN ePub 978-3-86305-194-5

 

www.verlag-peter-hopf.de

 

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Hansrudi Wäscher wird vertreten von Becker-Illustrators,

Eduardstraße 48, 20257 Hamburg

www.hansrudi-waescher.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

 

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.

 

 

 

Inhalt

 

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHZEHN

SIEBZEHN

ACHTZEHN

NEUNZEHN

ZWANZIG

EINUNDZWANZIG

ZWEIUNDZWANZIG

 

 

 

ACHIM MEHNERT

In Fürst Ortwins Gewalt

 

Falk Band 3

 

 

 

EINS

 

Das weite Land lag einladend vor Falk und die Sonne schien von einem wolkenlosen, blauen Himmel. Der junge Ritter war unbeschwert wie lange nicht. Er war in die adlige Gesellschaft aufgenommen worden, doch nach den jüngsten Ereignissen um den hinterlistigen Grafen Armin hatte er für eine Weile genug vom höfischen Leben. Er fühlte sich zu jung, um sesshaft zu werden. Er wollte die Welt erkunden und erst zum Burgherrn werden, wenn er dafür reif genug war. Bis dahin verwalteten Fürst Gottfried von Starkenfels und Fürst Roderich seinen künftigen Besitz.

»Eine herrliche Zeit steht uns bevor, Donner.« Falk tätschelte seinem Braunen den Nacken. »Die Fürsten haben mir Empfehlungsschreiben an ihre Freunde mitgegeben. Um fehlende Gastfreundschaft brauchen wir uns nicht zu sorgen. Man wird uns mancherorts mit offenen Armen empfangen. Wir werden neue Menschen und Länder kennenlernen!«

Der Vierbeiner wieherte verständig. Falk lachte. Manchmal hatte er wirklich den Eindruck, dass sein Reittier seine Worte verstand.

Graf Armins Burg blieb hinter ihm zurück und Donner trug ihn immer weiter hinaus. Falk passierte kleine Dörfer und Gehöfte, ohne Kontakt zu anderen zu suchen. Für eine Weile war die Einsamkeit eine Wohltat. Sie half ihm dabei, seine Gedanken zu sortieren.

Drei Tage lang entfernte er sich immer weiter von seinen Freunden und der Burg, die in seinen Besitz übergegangen war. Er ritt am Tag und schlief des Nachts im Freien. Am dritten Tag erreichte er Ritter Scharfensteins Ländereien.

»Fürst Gottfried meint, er wäre ein Raubritter«, sagte er zu dem Braunen. »Aber mit unserem Empfehlungsschreiben haben wir nichts zu befürchten.«

Falk befürchtete keinen Überfall. Der Scharfensteiner würde sich hüten, etwas gegen den Freund so mächtiger Leute, wie die Fürsten es waren, zu unternehmen. Er zügelte jedoch seinen Vierbeiner, als er verdächtige Geräusche vernahm, und lauschte. Das Klirren von Metall auf Metall sprach eine deutliche Sprache. Vor ihm wurde gekämpft.

 

*

Falk zögerte keinen Augenblick. »Vorwärts, Donner! Sehen wir nach, was dort geschieht.«

Der Braune preschte durch einen Hohlweg, der zu beiden Seiten von lichtem Wald gesäumt wurde. Der Weg wand sich nach Westen, wodurch Falk keine freie Sicht hatte. Erst am Ende der Biegung wurde er Zeuge der Ereignisse: Gleich eine ganze Horde Wegelagerer hatte es auf einen Reisenden abgesehen.

Falk zog sein Schwert. Er trieb Donner an und stürzte sich ins Kampfgeschehen, ohne lange nachzudenken. Die feige Bande wähnte sich im Vorteil, doch die Räuber sollten sich irren. Sie erwarteten nicht, dass ihr vermeintliches Opfer Hilfe bekam.

Donner preschte mitten zwischen die Angreifer und trieb sie auseinander. Ihre Verwirrung hielt jedoch nur für ein paar Sekunden an. Sie dachten nicht daran, von ihrer Beute abzulassen. Falk erhaschte nur einen kurzen Blick auf das Opfer, einen wohlbeleibten Burschen, der sich seiner Haut zu wehren wusste. Sein Schwert teilte mächtig unter den Angreifern aus. Einen bekam er direkt zu fassen und schleuderte ihn dessen Kumpanen entgegen, was ihren Ansturm verzögerte, sie aber nicht aufhielt.

Ein wüster Fluch drang an Falks Ohr. Einer der Kerle hatte es nun auf ihn abgesehen. Der Ritter sprang aus dem Sattel, um Donner nicht zu gefährden. Schon wurde er heftig attackiert. Ihre Klingen schlugen aufeinander, während in Falks Rücken weiterhin verbissen gekämpft wurde. Es gelang ihm, seinem Gegner das Schwert aus der Hand zu schlagen. Blitzschnell setzte er nach und hieb dem Kerl die Faust unters Kinn.

»Das wird dir die Lust vertreiben, harmlose Reisende zu überfallen.«

Er fuhr herum, um dem Dicken beizustehen – und blieb wie angewurzelt stehen. Von harmlos konnte keine Rede sein. Kein Wegelagerer stand mehr auf den Beinen. Sie lagen im Dreck und rührten sich nicht. Der Dicke hatte sie im Alleingang ausgeschaltet.

»Alle Achtung! Während ich einen der Räuber entwaffnen konnte, habt Ihr gleich sechs Männer aufs Kreuz gelegt. Eine reife Leistung!«

»Das war eine Kleinigkeit.« Der Dicke winkte lachend ab. Er drehte die Enden seines Zwirbelbartes zwischen den Fingern und bedachte die bewusstlosen Wegelagerer mit einem verächtlichen Blick. »Allerdings hätte mir der siebte Schurke zum Verhängnis werden können. Eure Hilfe war deshalb hochwillkommen.«

Falk konnte nicht anders, als in das Lachen einzustimmen. Er war beeindruckt. Der Dicke war nicht nur ein hervorragender Kämpfer, er hatte zudem Humor.

»Gestattet, dass ich mich bedanke und mich vorstelle. Ich bin Bingo. Bingo, der größte aller Gaukler.«

»Bescheiden seid Ihr nicht gerade.« Falk ergriff die dargebotene Hand und nannte seinen Namen. Plötzlich hielt er einen Blumenstrauß in der Hand.

Abermals brach Bingo in Gelächter aus. »Was sagt Ihr? Ist das nicht ein nettes Kunststück?«

»Ja, ganz nett.« Hufschlag erregte Falks Aufmerksamkeit. »Aber all Eure Kunststücke werden Euch nicht gegen die da helfen.«

Eine Reitertruppe kam den Weg entlang. Falk zählte mehr als ein Dutzend bewaffneter Männer. Sie trugen Helme, Lanzen und Schwerter. Ein stattlicher Ritter mit wallendem Haar führte sie an.

»Die Scharfensteiner! Das sind selbst für mich zu viele«, unkte der Gaukler. Seine Heiterkeit war verflogen.

»Mal sehen, vielleicht hilft jetzt eins meiner Kunststücke«, gab Falk zurück.

Die Reiter blieben vor ihnen stehen. Beim Anblick der Bewusstlosen verfinsterte sich die Miene ihres Anführers. »Bei allen Teufeln – habt ihr meine Männer angegriffen?«

»Mit Verlaub, es war genau umgekehrt, Herr Ritter«, versicherte Bingo.

»Schweig, Bursche! Los, Männer, macht sie nieder.«

»Haltet einen Augenblick ein.« Falk hob beschwichtigend die Hände. »Handelt nicht voreilig, denn es würde Euch leidtun.«

 

Illu-01

 

Der Ritter schäumte vor Zorn. »Noch niemand hat sich auf meinem Land meinen Männern widersetzt. Die es wagten, haben es mit dem Leben bezahlt. Mit eurer Kühnheit habt ihr zwei einen großen Fehler begangen. Deshalb wird auch euch dieses Schicksal ereilen!«

Falk erkannte, dass friedliche Worte vergebliche Liebesmüh waren. »Los, Bingo!« Er gab dem Dicken einen Stoß. »Ins Gebüsch. Dorthin können uns die Schergen auf ihren Pferden nicht folgen.«

Der junge Ritter und sein neuer Bekannter sprangen durchs Unterholz davon. Bellende Schreie folgten ihnen. Die Männer sprangen von ihren Pferden und machten sich an die Verfolgung.

»Sie kommen. Lange können wir nicht vor ihnen davonlaufen«, fürchtete Bingo.

Der Gaukler hatte recht. Die Häscher würden ihnen kein Pardon gewähren. Falk musste schnell handeln, sonst waren sie verloren. Dazu musste er in die Offensive gehen. Statt die Flucht fortzusetzen, sprang er hinter einen Baum und duckte sich. Er gab Bingo einen Wink.

»Lauft weiter, damit sie Euch verfolgen«, zischte er. »Ich bereite dem Ritter eine kleine Überraschung.«

Der Gaukler stellte keine überflüssigen Fragen. Er hastete durchs Gebüsch und war dabei nicht zu überhören. Zweige brachen unter seinem Körpergewicht und er fluchte lauthals. Sekunden später folgten die Schergen des Scharfensteiners. Sie machten nicht weniger Lärm als der Dicke. Mit Rufen trieben sie sich gegenseitig an. Ihr Herr war nicht unter ihnen. Damit hatte Falk gerechnet. Als die Häscher ihn passiert hatten, ohne ihn in seinem Versteck zu bemerken, schlug er den Weg ein, den er eben gekommen war. Der Ritter saß auf seinem Pferd und wartete auf die Rückkehr seiner Männer. Zu Falks Enttäuschung war er nicht allein. Eine Eskorte mit gezückten Schwertern sicherte ihn.

»Habt ihr sie endlich eingefangen?«, schrie er.

»Noch nicht, Herr, aber wir kreisen sie ein«, kam die Antwort.

Bingo blieb nicht mehr viel Zeit. Wenn Falk sich nicht beeilte, war der Gaukler verloren. Den Häschern lag so wenig wie ihrem Ritter daran, den Dicken lebendig in die Hände zu bekommen.

Behände kletterte Falk auf einen Baum. Geräuschlos schob er sich durch das Astwerk, bis der Scharfensteiner genau unter ihm war. Der Schreihals ahnte nicht, was ihm bevorstand. Falk beugte sich vor und griff blitzschnell zu. Er bekam den Ritter am Umhang zu fassen und zog den Zappelnden in die Höhe, bevor dessen Männer begriffen, was geschah. Er zückte seinen Dolch und hielt ihn seinem Gefangenen an die Kehle.

»Jetzt beruhigt Euch. Und ruft die Männer zurück, sonst seid Ihr es, dessen letztes Stündchen geschlagen hat.«

»Das ist unerhört!« Der Scharfensteiner wehrte sich nach Kräften, doch gegen Falk kam er nicht an. Er sah ein, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als auf die Forderungen einzugehen. »Ihr habt es gehört. Tut, was er verlangt.«

Sie kamen dem Befehl ihres Herrn nach und ließen die Waffen sinken. Falk atmete auf. Soeben kehrten die Häscher mit Bingo zurück. Sie hatten ihn erwischt. Falk hielt den Ritter fest und ließ sich gemeinsam mit ihm von dem Ast herab. Da er ihn mit dem Dolch bedrohte, wagten die Schergen nicht, sich auf ihn zu stürzen.

»So ist es richtig. Wenn ihr euren Herrn behalten wollt, seid vernünftig. Lasst Bingo los, sofort!« Die Männer gehorchten. »Rasch, Bingo, öffne meine Satteltasche und nimm den Brief an Ritter Scharfenstein heraus.«

Der Gaukler tat, wie ihm geheißen. Die Bewaffneten ließen ihn aus Sorge um ihren Herrn gewähren. Mit spitzen Fingern holte Bingo das Schriftstück aus der Tasche und reichte es an Scharfenstein. Dessen Augen wurden immer größer, als er die Siegel erblickte.

»Oh, das sind ja … die Siegel der Fürsten Gottfried und Roderich.«

»Richtig. Und nun lest.«

Scharfensteins Augen wurden immer größer, als er den Inhalt des Schreibens zur Kenntnis nahm. »Verzeiht, Falk«, bat er zerknirscht. »Es war ein Fehler, mich gegen Euch zu stellen. Wie konnte ich aber auch ahnen, dass Ihr der Schützling solch mächtiger Herren seid? Ich bin untröstlich.«

»Schon gut.« Falk war froh, dass der Streit beendet war. »Ich hoffe, mein Freund und ich können nun ungehindert weiterreiten.«

»Selbstverständlich, dafür bürge ich. Doch bevor Ihr aufbrecht, müssen wir unsere Versöhnung feiern. Das bin ich Euch und Eurem Freund schuldig. Nehmt meine Einladung als meine Gäste an.«

»Danke, Ritter Scharfenstein, das ist sehr freundlich von Euch. Aber wir haben eine wichtige Mission zu erfüllen. Bei unserer Rückkehr nehmen wir Eure Gastfreundschaft gerne in Anspruch.«

»Wie Ihr wollt.«

Der Burgherr wirkte ein wenig enttäuscht. Falk verabschiedete sich von ihm und wenig später brachen er und Bingo auf.

 

*

Von nun an blieben sie unbehelligt. Auf ihrem Weg begegnete ihnen kein Mensch, schon gar keiner, der ihnen ans Leben oder an den Geldbeutel wollte. Ungehindert durchquerten sie Scharfensteins Gebiet. Stunden später hatten sie es hinter sich gelassen.

»Wie hat dir eigentlich mein Kunststück gefallen, großer Gaukler?«, fragte Falk.

»Ausgezeichnet. Ich hatte mich schon verloren geglaubt. Aber du hast mich auch neugierig gemacht. Was für eine wichtige Mission hat dich daran gehindert, Ritter Scharfensteins Einladung anzunehmen?«

Falk lachte auf. »Die Mission, am Leben zu bleiben. Scharfenstein war vom Brief meiner Freunde beeindruckt, aber bei diesen Raubrittern sollte man nie zu sicher sein. Ehrlich gesagt, ich traue ihm nicht. Ich habe ihm auch seine plötzliche Freundschaft nicht abgenommen. Ich spielte ihm einen bösen Streich. Das vergisst ein Mann wie er nicht. Ich bin sicher, er hätte sich etwas ausgedacht, um sich zu rächen. Unter seinem Dach wären wir nicht sicher gewesen.«

»Verstehe. Ich wäre seinen Beteuerungen glatt auf den Leim gegangen«, gestand Bingo. »In Wahrheit befindest du dich also weder auf einer Mission noch hast du ein bestimmtes Reiseziel.«

»Nein, keines von beidem. Ich bin einfach aufs Geratewohl losgeritten. Ich will mir die Welt ansehen, bevor ich mich auf meiner Burg niederlasse.«

Bingo lächelte vergnügt. »Das verstehe ich gut. Mich hat es nie lange an einem Ort gehalten. Seit fünf Jahren schweife ich in der Welt umher und schaue, wohin es mich verschlägt. Ich zeige meine Kunststücke an den Höfen der hohen Herren.«

»Wohin bist du jetzt unterwegs?«

»Ich bin auf der Reise an den Hof des Fürsten Ortwin von Seefels. Der Fürst gibt jedes Jahr ein Fest, zu dem alles eingeladen wird, was Rang und Namen hat.«

»Von diesem Fest habe ich noch nie gehört.«

»Es hat einen ernsten Hintergrund. Manche sprechen gar von einem Wunder.«

Wenn von Wundern die Rede war, war Falk skeptisch. »Erzähle mir davon.«

»Vor vier Jahren ist Ortwins Söhnchen von einem Schiff vor der Steilküste ins Meer gefallen. Ein Mann der Schiffsbesatzung hat ihn unter Einsatz seines Lebens vor dem Ertrinken gerettet. Seitdem wird diese wunderbare Rettung jedes Jahr gefeiert. Als Höhepunkt der Festlichkeiten hat sich der Fürst etwas ganz Besonderes ausgedacht.«

»Du machst mich neugierig.«

Bingo kicherte. »Das dachte ich mir. Nun, an der Stelle, wo sein Sohn ins Wasser gefallen ist, wirft Fürst Ortwin eine goldene Schale ins Meer. Derjenige, dem es gelingt, sie zu bergen, der darf sie behalten. Er wird hoch geehrt.«

»Die Freundschaft des Grafen scheint mir erstrebenswert«, überlegte Falk.

»Ganz gewiss. Er ist ein mächtiger Mann.«

»Dann werde ich dieses Jahr die Schale aus dem Meer fischen«, entschied Falk. Es ging ihm nicht um das Gold. Er wollte sich beweisen und zeigen, was in ihm steckte. Zudem war die Freundschaft zu anderen Rittern und Adligen ein erstrebenswertes Ziel.

»Traust du dir nicht zu viel zu?«, zweifelte Bingo. »Von den drei Schalen, die in den vergangenen Jahren ins Meer geworfen wurden, wurde nur eine geborgen. Die beiden anderen blieben verschollen. Nicht einmal den stärksten Männern ist es gelungen, sie aus der Tiefe zu holen. Ich habe mein Glück selbst versucht, doch die Natur hat sich gegen mich verschworen. Schau mich nur an.«

Falk drehte den Kopf zur Seite und musterte den Gaukler. »Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Ich bin zu fett. Meine Körperfülle verhindert, dass ich im Meer untergehe.«

»Das kann mich nicht abhalten. Ich will es auf jeden Fall versuchen.«

Schließlich war Falk schlank und kräftig gebaut und eine stattliche Erscheinung. Er traute sich zu, die goldene Schale aus dem Wasser zu fischen. Wenn es nicht gelang, war auch das kein Anlass für Trübsal. Schließlich hatte er nichts zu verlieren.

 

 

ZWEI

 

Zwei Tage später erreichten Falk und Bingo die Bucht, an der die zu Fürst Ortwins Burg gehörende Stadt lag. Häuser und Kirche flankierten den von einer Steinmauer eingefassten Hafen. Die stolze Burg selbst lag auf einer kleinen Anhöhe, die dem Uferstreifen vorgelagert und an drei Seiten von Wasser umschlossen war. Ein gewundener Weg führte hinauf. Die Sonne spiegelte sich im Meer. Dutzende Schiffe sprenkelten das gleißende Blau.

»Wir kommen zu spät«, stellte Bingo enttäuscht fest. »Die Schiffe sind schon ausgelaufen.«

Ein Segelschiff verließ soeben die Hafenzufahrt, die anderen waren schon weiter draußen. Sie steuerten eine Stelle jenseits der Burg an. Doch Falk war nicht bereit, aufzugeben.

»Einige Fischerboote liegen noch im Hafen. Vorwärts, Bingo. Ich versuche an Bord zu gelangen.«

»Was habe ich dir gesagt? Ich will mich gar nicht am Tauchen beteiligen«, protestierte der Gaukler. »Ich reite schon zur Burg hinauf und bereite alles für meinen großen Auftritt heute Abend vor. Damit habe ich genug zu tun.«

»Sei kein Spielverderber«, bat der Ritter. »Ich brauche dich unten am Hafen. Du musst dich um mein Pferd kümmern.«

»Also schön«, willigte der Gaukler ein.

Sie trieben ihre Pferde an und jagten im Galopp durch die Straßen der Stadt. Der Hufschlag der Vierbeiner wurde von den Wänden der eng stehenden Häuser zurückgeworfen. Wütende Rufe folgten den beiden Männern.

»Seid ihr verrückt geworden?«

Falk überhörte die Flüche. Weiter ging der wilde Ritt durch die Gassen, die sich zum Wasser hin neigten. Eine sanfte Brise drang herauf. Sie trug den Geruch von Seeluft mit sich. Am Pier setzte das letzte verbliebene Fischerboot die Segel, beobachtet von zahlreichen Schaulustigen. Falk trieb sein Reittier an. Verpasste er das Boot, war seine Chance vertan. Vor der Menge zügelte er den Braunen und sprang aus dem Sattel. Die Sekunden bis zu Bingos Eintreffen kamen ihm ewig vor.

»Wir sehen uns heute Abend auf der Burg!«, rief er dem Gaukler entgegen.

Bingo ergriff Donners Zügel. »Viel Glück!«

Falk bekam es kaum mit. Er bahnte sich einen Weg durch die Menge. Die Leute warfen ihm verwunderte Blicke zu, als er auf die Planken der Pier hinausstürmte. Das Fischerboot hatte soeben abgelegt.

»Wartet auf mich!«, schrie der Ritter hinterher.

Die Männer auf dem Boot reagierten nicht. Falk sah nur eine Möglichkeit. Er lief bis zum Rand der Holzbohlen und stieß sich ab. Aus der Menge folgten ihm Aufschreie, als er die fünf Meter übers Wasser flog und auf dem Deck landete. Zwei Männer fingen ihn ab. Sie starrten ihn an, als habe er den Verstand verloren.

»Was hat das zu bedeuten?«

»Genügen drei Goldstücke als Antwort?«, fragte Falk anstelle langer Erklärungen.

Die Augen des Schiffers wurden noch größer, als er begriff, dass es sich nicht um großspuriges Gerede handelte. Geschwind ließ er die Münzen in seinem Wams verschwinden und machte eine einladende Handbewegung.

»Seid willkommen an Bord. Eine eigenwillige Art, um eine Schiffspassage zu bitten.«

»Ich möchte an dem Wettkampf teilnehmen.«

»Dann seid froh, in uns einen Nachzügler gefunden zu haben.«

Das war Falk. Ohne seinen tollkühnen Ritt durch die Straßen der Stadt hätte er das letzte Schiff nicht erwischt. »Wann geht es los?«

Der Fischer streckte einen Arm aus. »Seht selbst. Die ersten Mutigen versuchen ihr Glück bereits.«

Das Ufer blieb hinter ihnen zurück. Gut zwei Dutzend Schiffe und Boote waren unter dem Felsen jenseits der Burg aufgefahren. Sie bildeten einen Kreis, in dem sich das Fischerboot eine Lücke suchte. Falk erspähte einen Mann im Wasser, der soeben aus den Fluten aufgetaucht war. Er japste und schnappte nach Luft. Kopfschüttelnd ließ er sich an Bord eines der Boote ziehen. Er war nicht fündig geworden.

Schon sprang unter Anfeuerungsrufen der nächste Wagemutige über die Reling.

 

*

Auf einem anderen Schiff stand ein Kapitän mit verschränkten Armen, der sich von der allgemeinen Aufregung nicht anstecken ließ. Er schenkte dem Treiben auf dem Wasser nur beiläufige Aufmerksamkeit, denn er verfolgte eigene Ziele. Unauffällig schielte er zu der Galeere hinüber, die seinem Schiff am nächsten war.

»Ist alles bereit?«, fragte er seinen Vertrauten, einen kräftigen, bärtigen Mann, mit dem er die Köpfe zusammensteckte.

»Ja, Herr«, erhielt er zur Antwort. »Es kann losgehen. Fünf unserer besten Leute warten auf Euren Befehl.«

»Gut. Siehst du den blonden Jüngling dort drüben?«

»Ja.«

»Er sieht aus, als ob er die Schale bergen könnte. Alle Augen werden auf ihn gerichtet sein. Wenn er taucht, folge ihm unbemerkt. Kämpfe mit ihm, aber halte dich dabei zurück. Ich will nicht, dass ihm etwas geschieht. Er dient uns zur Ablenkung. Es kommt nur darauf an, dass alle Zuschauer dem Geschehen auf dem Wasser ihre volle Aufmerksamkeit widmen. Das verschafft mir die Zeit, die ich brauche, um meinen Plan auszuführen.«

»Ich verstehe, Herr«, versicherte der Bärtige.

»Man wird dich festnehmen«, sagte der Geheimnisvolle mit den fein geschnittenen Gesichtszügen voraus. »Leiste Widerstand. Je größer der Tumult ist, desto besser. Du brauchst nicht um dein Leben oder deine Unversehrtheit zu fürchten. Ich sorge dafür, dass dir nichts geschieht. Ich kaufe dich bei Fürst Ortwin frei.«

»Es soll alles so geschehen, wie Ihr befehlt, Herr. Ihr könnt Euch auf mich verlassen.«

»Da bin ich sicher.« Der Kapitän merkte auf. »Sieh, der blonde Jüngling ist an der Reihe. Er macht sich bereit zum Tauchen. Beeil dich, damit du ihn nicht verpasst.«

Wortlos kletterte der Bärtige über die Reling. Unbemerkt von den Zuschauern auf den anderen Schiffen ließ er sich ins Wasser gleiten.

 

*

Falk holte tief Luft und hechtete in die Fluten. Mit kräftigen Schwimmzügen tauchte er hinab. Unterhalb der Felsen war das Meer an die dreißig Meter tief. Der Grund war unregelmäßig und von Felsgestein durchzogen. Dazwischen gediehen Kolonien von Wasserpflanzen, die sich in der Strömung wiegten. Es war kein Wunder, dass zwei der früher versenkten Goldschalen von keinem Taucher gefunden worden waren. Vielleicht lagen sie unter den Pflanzen verborgen oder sie waren im Schlick versunken.

Der Zufall kam Falk zu Hilfe. Er erhaschte einen flüchtigen Schimmer, als ein verirrter Sonnenstrahl bis zum Grund vordrang und von etwas Goldenem reflektiert wurde.

Die Schale!

Er konnte sein Glück kaum fassen. Eilig schwamm er zu der Stelle, wo er das Glänzen wahrgenommen hatte. Es war tatsächlich die Goldschale, die zwischen zwei Felsen hängen geblieben war. Zum Glück hatte sie sich nicht verkeilt. Er konnte sie mühelos an sich nehmen.

Jetzt aber schnell nach oben. Die Luft wurde Falk knapp.

Ein Schatten stieß auf ihn herab. Ein bärtiger Taucher, dessen Bestreben es anscheinend war, ihm die Trophäe abzunehmen. Falk schlug unter Wasser einen Haken, um sich seinem Kontrahenten zu entziehen, doch sein Fundstück behinderte ihn. Der Bärtige bekam ihn zu fassen und zerrte an ihm. Falk wehrte ihn mit der freien Hand ab und versetzte ihm einen Fausthieb. Das brachte ihm ein wenig Bewegungsspielraum, doch der andere ließ nicht locker. Er zog einen Dolch und wollte erneut angreifen.

Falk blieb keine Zeit mehr. Er war kurz vorm Ersticken. Nur noch Sekunden …

Er merkte, wie ihm die Schale entglitt. Ohne sich nach ihr umzusehen, jagte er der schimmernden Wasseroberfläche entgegen. Sie war nur wenige Meter über ihm, doch sie schien endlos weit weg zu sein. Plötzlich gab es keinen Widerstand mehr. Er stieß mit dem Kopf durch die Wellen. Falks Lungen sogen sich voll Luft. Er hatte es geschafft, doch viel hatte nicht gefehlt.

»Der blonde Jüngling ist wieder aufgetaucht, ohne die Schale«, vernahm er eine Stimme.

»Schade. Ich hätte sie ihm gegönnt.«

Falk achtete nicht auf die Rufe, die von den Schiffen kamen. Er entdeckte seinen Angreifer, der soeben auftauchte, immer noch den Dolch in der Hand haltend. Der Bärtige verlor keine Zeit. Er atmete ein paar Mal ein und aus und tauchte sofort wieder. Entschlossen folgte Falk ihm. Er dachte nicht daran, sich die Trophäe, die er als Erster gefunden hatte, von diesem Schurken abjagen zu lassen.

 

*

»Was hat das zu bedeuten? Jetzt tauchen beide wieder«, schallte es herüber.

»Es ist gegen die Regeln, zu zweit zu tauchen. Sie müssen ausgeschlossen werden, alle beide.«

Durcheinander brach aus, als die Zuschauer auf den Schiffen wild durcheinander riefen. Ihre Aufmerksamkeit war auf die Ereignisse im Wasser gerichtet. Der geheimnisvolle Kapitän mit den fein geschnittenen Gesichtszügen nahm es mit Zufriedenheit zur Kenntnis. Das Ablenkungsmanöver klappte.

»Es ist so weit. Vorwärts, Leute!«

Leben kam in die fünf bereitstehenden Männer. Sie schleuderten Seile zu der Galeere hinüber, wo sich die Haken verfingen. Geräuschlos schwangen sie sich auf das andere Schiff. Das Manöver dauerte nur Sekunden und lief in gespenstischer Stille ab.

Die wenigen Männer an Bord der Galeere wurden von dem Überfall völlig überrascht. Bevor sie begriffen, was geschah, waren sie schon ausgeschaltet. Einem Verteidiger gelang es, nach den Wachen zu rufen, doch eine Faust setzte auch ihn außer Gefecht.

Eine junge Frau starrte den brutalen Kerlen, die inzwischen ihre Schwerter gezogen hatten, entgegen. Bevor sie schreien konnte, legte sich eine schwere Hand auf ihren Mund.

»Ganz ruhig, dann geschieht Euch nichts.«

»Wo bleibt die Planke?«

»Da ist sie.«

Eine Holzplanke wurde vom Schiff ihres Kapitäns zu der Galeere hinübergeschoben. Sie reichte von Deck zu Deck. Zwei Männer schleppten die geknebelte Frau davon, während die drei anderen den Rückzug sicherten. Sekunden später machten auch sie, dass sie davonkamen.

Ihr Kapitän hatte inzwischen Befehl gegeben, den Anker zu lichten und die Segel zu setzen. Der Wind bauschte das Leinentuch und das Segelschiff nahm Fahrt auf. Noch immer waren die Besatzungen auf den anderen Schiffen abgelenkt. Sie hatten von dem Zwischenfall nichts mitbekommen. Sein Vertrauter leistete ganze Arbeit.

 

*

Falk tauchte hinab, so schnell er konnte. Diesmal bereitete es ihm keine Mühe, die Goldschale zu finden. Er hatte sich gemerkt, wo sie ihm entglitten war, und er fand sie auf Anhieb. Doch er freute sich zu früh. Sein Widersacher gab nicht auf. Abermals näherte er sich Falk mit gezücktem Dolch.

Der junge Ritter begriff diese Hartnäckigkeit nicht. Dem Bärtigen musste klar sein, dass man ihm die Schale nicht überlassen würde, wenn er sie sich unter unlauteren Umständen aneignete.

Du willst sie also haben? dachte Falk grimmig. Komm her und hol sie dir.

Statt aufzutauchen, wartete er, bis der Unbekannte heran war. Bevor der Kerl mit seiner Waffe zum Streich ausholen konnte, rammte Falk ihm die Trophäe mit aller Macht u0nters Kinn. Augenblicklich erschlaffte der Angreifer und ließ seinen Dolch los. Falk packte ihn, weil er nicht wollte, dass der halb Bewusstlose im Meer ertrank. Er zog ihn mit sich an die Wasseroberfläche und schwenkte triumphierend die im Sonnenlicht glänzende Beute. Begeisterte Rufe schallten ihm entgegen.

»Hurra, der blonde Jüngling hat die Goldschale gefunden.«

»Er hat es geschafft. Die Schale gehört ihm.«

»Nein!«, schritt jemand mit herrischer Stimme ein. »Helft den beiden an Bord. Ich werde die Schale erneut ins Meer werfen, damit ein würdigerer Mann sie erobern kann.«

Falk begriff sofort, mit wem er es zu tun hatte. Dies war Fürst Ortwin von Seefels, von dem Bingo ihm berichtet hatte. Für den Fürst stellten sich die Ereignisse so dar, als sei er hintergangen worden. Falk ließ sich an Bord helfen. Auch der Bärtige wurde aufs Schiff gezogen.

»Es darf immer nur ein Kandidat tauchen«, wurde er empfangen. »Es ist untersagt, bei der Suche nach der Schale Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gegen diese Regel habt ihr beiden verstoßen.«

»Ihr irrt, erhabener Fürst«, brachte Falk zu seiner Verteidigung vor. »Dieser Mann hat mir nicht geholfen. Im Gegenteil, er wollte mich umbringen.«

»Was?« Ortwin schaute den Bärtigen an. »Ist das wahr? Sprich!«

Der Unbekannte rappelte sich auf. »Nein, der Jüngling lügt.«

»Elender Feigling!« Außer sich vor Zorn versetzte Falk dem Bärtigen einen Kinnhaken.

»Es genügt«, schritt der Fürst ein. »Haltet ein! Das gilt für alle beide.«

Fürst Ortwins Wachen packten Falk und den Bärtigen und drängten sie auseinander. Falk leistete keinen Widerstand. Er hatte nichts zu befürchten. Sein Gegner konnte seine Lügen nicht lange aufrechterhalten.

Plötzlich drangen aufgeregte Schreie von einer in der Nähe wassernden Galeere herüber. Der Fürst fuhr herum.

»Was ist das für ein Geschrei auf der Galeere?«

Falk versuchte zu erkennen, was drüben vor sich ging. Anscheinend hatte es eine Auseinandersetzung gegeben. Mehrere Männer rappelten sich von den Planken auf. Einer hielt sich den Kopf, ein anderer hob ein Schwert vom Boden auf. Sie winkten und riefen um Hilfe.

 

*

»Ein furchtbares Unglück ist geschehen, Herr«, klagte einer der Männer von der Galeere. Er war auf Ortwins Schiff gekommen, um Bericht zu erstatten. »Die Tochter unseres Fürsten ist geraubt worden.«

»Edelgard?«, stieß Ortwin von Seefels aus. »Die Tochter von Fürst Bruno von Hochwald?«

»Ja, Herr. Mehrere Männer fielen über uns her und schlugen uns nieder.«

»Ein Schiff hat volle Segel gesetzt«, warf eine Wache ein. »Es löst sich aus der Phalanx und steuert das offene Meer an.«

»Auf dieses Schiff hat man das edle Fräulein gebracht, erhabener Fürst.«

Aus dem Augenwinkel erhaschte Falk eine Bewegung. Der Bärtige riss sich los und stieß die Wachen beiseite. Zwei Männer stürzten und behinderten andere, die ihnen zu Hilfe eilen wollten. Der Bärtige nutzte das Durcheinander, um mit einem weiten Satz über Bord zu springen. Falk wirbelte herum, um ihn aufzuhalten, doch er packte ins Leere. Dem Burschen war die Flucht gelungen.

»Er versucht das Segelschiff zu erreichen.«

»Aber wieso?« Ortwin starrte dem Flüchtling hinterher.

»Ich fürchte, die Entführung war der wahre Grund für seinen Angriff auf mich. Es ging ihm nicht um die Goldschale, die Ihr ins Meer geworfen habt. Er wollte nur die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenken, damit der eigentliche Raub ungestört durchgeführt werden konnte.«

»Ich verstehe das nicht. Das Schiff gehört meinem Freund Baldur. Er käme niemals auf die Idee, Edelgard zu entführen.«

»Nein, das ist nicht Graf Baldurs Schiff, Herr.« Eine Wache deutete zum Großmast des Seglers hinüber. »Die Flagge des Grafen wird eingeholt und jetzt wird eine andere gehisst.«

Auf blutrotem Grund prangte ein schwarzer Adler. Ortwin riss die Augen auf, als der Stofffetzen im Wind flatterte.

»Das ist die Flagge des Seeadlers. Gebt Alarm! Diesmal darf uns dieser teuflische Seeräuber nicht entkommen.«

»Der Bärtige hat den Segler noch nicht erreicht.« Falk fasste einen raschen Entschluss. »Vielleicht gelingt es mir, ihn einzuholen, bevor er zu seinen Kumpanen stößt.«

»Was habt Ihr vor?«

Falk blieb eine Antwort schuldig. Er hechtete ins Wasser und machte sich mit kräftigen Schwimmzügen an die Verfolgung des Bärtigen. Inzwischen hatte das Seeräuberschiff die schützende Bucht verlassen und bekam stärkeren Wind in die Segel. Falk schwamm mit aller Kraft und die Distanz zu dem Bärtigen verringerte sich. Dieser Schuft hatte ihn für sein Ablenkungsmanöver benutzt, damit die Piraten die Fürstentochter entführen konnten.

»Halt, wartet!«, schallte ein Hilferuf übers Wasser. Er kam von dem Bärtigen. »Werft mir ein Tau zu!«

»Das ist Jens. Er schwimmt hinter uns her!«

»Hier ist das Tau, Jens. Fang es auf! Wir ziehen dich herauf.«

Falk war so nahe heran, dass er die Stimmen vom Schiff vernahm. Den Piraten durfte die Flucht mit der entführten Fürstentochter nicht gelingen. Zumindest musste er den Bärtigen erwischen, um Informationen über den Seeadler und sein Versteck zu bekommen. Er nahm alle Kraft zusammen und erreichte Jens, bevor dessen Kumpane ihn aus dem Wasser ziehen konnten.

»Du gehst nicht an Bord!«

Jens wehrte sich wie wild. Er schlug um sich und rief nach seinen Kameraden. Es musste Falk nur gelingen, ihn lange genug festzuhalten. In der Bucht hatte Fürst Ortwin inzwischen Segel setzen lassen. Mehrere Schiffe pflügten auf der Jagd nach dem Seeadler durchs Wasser. Auf einmal erlahmten Falks Bewegungen. Schlingen wanden sich um seine Arme und hielten ihn fest. Jens riss sich los und kletterte an Bord. Auch Falk wurde hinaufgezogen. Er war vom Jäger zum Gefangenen geworden. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er war in die Hände der Piraten gefallen. Mehr als ein Dutzend Männer umringten ihn.

»Du bist ein tapferer Bursche, alle Achtung. Du scheust nicht einmal davor zurück, uns im Alleingang zu verfolgen. Solche Männer kann ich brauchen.«

Falk betrachtete sein Gegenüber. Die fein geschnittenen Gesichtszüge des dunkelhaarigen Mannes hatten etwas Edles an sich. Sie wollten nicht recht zu einem Seeräuber passen, doch von solchen Äußerlichkeiten ließ Falk sich nicht täuschen. Der Seeadler hatte eine wehrlose junge Frau entführt.

»Ich mache dir ein Angebot. Willst du in meine Dienste treten?«

»Hier ist meine Antwort, elender Mädchenräuber!«

Der Ritter schlug ansatzlos zu. Bevor die Umstehenden reagieren konnten, hatte er dem Entführer einen mächtigen Schwinger versetzt. Der Seeadler taumelte, hielt sich aber auf den Beinen. Er rieb sich das Kinn, während seine Männer sich auf Falk stürzten.

»Sollen wir ihn umbringen?«

»Nein«, gebot der Seeadler ihnen Einhalt. »Sperrt ihn in den Kielraum. Ich bin sicher, er wird noch vernünftig werden.«

Falk leistete keine Gegenwehr. Gegen die Übermacht hatte er keine Chance. Ohnehin war es ein Wunder, dass sie ihn nicht gleich massakriert hatten, statt ihn an Bord zu nehmen. Er wunderte sich, dass der Seeräuber so rücksichtsvoll mit ihm umging.

 

*

Fürst Ortwin von Seefels machte sich an die Verfolgung des Piraten, begleitet von einem halben Dutzend Schiffe seiner Gäste. Ortwin stand am Bug und spähte voraus. Der blonde Jüngling hatte den Bärtigen eingeholt und kämpfte im Wasser mit ihm.

»Hoffentlich gelingt es dem Jüngling, den Burschen festzuhalten. Dann erfahren wir, wo sich der Schlupfwinkel des Seeadlers befindet.«

»Zu spät«, bedauerte sein Berater. »Die Seeräuber haben ihn überwältigt. Sie ziehen ihn eben an Bord.«

»Schneller!«, forderte der Fürst. Er wunderte sich, dass die Entführer ihren Verfolger nicht gleich umbrachten. »Wir müssen schneller werden, sonst entkommt uns der Seeadler.«

»Ehrlich gesagt habe ich nicht viel Hoffnung, ihn einzuholen. Ihr wisst, was man über sein Schiff sagt. Es soll das schnellste sein, das jemals gebaut wurde.«

So hieß es, doch Ortwin war nicht gewillt, sich damit abzufinden. Unermüdlich trieb er die Besatzung an. Die Bucht und die Halbinsel, auf deren Anhöhe seine Burg lag, blieben zurück. Das offene Meer lag vor den Schiffen. Trotz aller Anstrengungen verringerte sich die Distanz zum Seeadler nicht.

»Er muss verrückt sein, Herr. Er steuert geradewegs auf die Klippen zu.«

Wie gewaltige Haifischzähne erhoben sich tückische Klippen aus dem Meer. Erfahrene Seefahrer machten einen großen Bogen um diese unkalkulierbare Gefahr. Die Brandung brach sich an den zerklüfteten Felsen. Wie Fontänen spritzte die Gischt in die Höhe und fiel als dunstiger Regen ins Meer zurück.

»Er ist tollkühn, aber er ist nicht verrückt. Wenn er den Weg hindurch findet, gelingt uns das ebenfalls. Es darf ihm nicht gelingen, mit Edelgard zu entkommen.«

Die Verfolger behielten den Kurs bei. Mit verwegenen Manövern umschiffte der Seeadler die aus dem Wasser ragenden Felsnadeln. Mehrmals kam er ihnen gefährlich nahe, doch es zeigte sich, welch hervorragender Seemann er war, der sein Schiff zu steuern wusste. Ein Verfolger hatte weniger Glück. Ein Einmaster wurde von den Wellen erfasst und gegen einen Felsen geschmettert. Unter der Wucht des Aufpralls brach der Mast. Das Splittern des Holzes, als der Kiel aufgerissen wurde, war sogar auf Ortwins Schiff zu hören.

»Sie sinken«, krächzte sein Berater.

Es geschah in Sekundenschnelle. Der Schiffsrumpf neigte sich zu der Seite, wo der gebrochene Mast aufs Wasser geschlagen war. Männer flogen über Bord und versuchten sich an den Wrackteilen festzuklammern. Ihre verzweifelten Hilfeschreie hallten herüber. Der Fürst zögerte keinen Augenblick, sie zu retten.

»Verfolgung abbrechen! Werft den Schiffbrüchigen Taue zu und fischt sie aus dem Wasser.«

Die Verfolger drehten bei, um den Unglücklichen zu Hilfe zu eilen. Ortwin spähte den Piraten hinterher. Wie höhnisch flatterte ihre Flagge im Wind. Während die Rettung der Schiffbrüchigen vonstatten ging, vergrößerten die Seeräuber ihren Vorsprung.

»Der Seeadler ist wieder einmal entwischt.«

»Der verdammte Kerl muss mit dem Teufel im Bunde sein«, fluchte Ortwin.

»Ja, mein Herr.« Der Berater des Adligen seufzte. »Fürst Bruno von Hochwald wird rasen, wenn er erfährt, dass seine Tochter entführt wurde.«

Ortwin nickte. Der Vorfall war ihm äußerst unangenehm. Als Gastgeber der Feierlichkeiten war er für Edelgards Wohlergehen verantwortlich. »Wie hätte ich ahnen sollen, dass der Seeadler sich unbemerkt unter meinen Gästen befindet? Dieser dreiste Seeräuber hat die Flagge meines Freundes Baldur benutzt. Ein weiteres Verbrechen auf seiner langen Liste.«

»Mir tut der blonde Jüngling leid, der Eure Goldschale geborgen hat. Nach der gelungenen Flucht machen die Piraten bestimmt kurzen Prozess mit ihm.«

Das vermutete der Fürst auch. »Ich frage mich, wer er gewesen ist. Ich habe ihn nie zuvor gesehen.«

»In der Stadt oder den angrenzenden Ländereien lebt er nicht. Vermutlich hat ihn die Herausforderung gelockt, erfolgreich nach der Schale zu tauchen. Es ist ihm gelungen, doch vergeblich.«

»Stimmt.« Ortwin schob den Gedanken beiseite. Seine ganze Sorge galt der Tochter von Fürst Bruno. »Lasst uns umkehren. Ich nehme an, der Seeadler hat Edelgard wegen eines Lösegeldes entführt. Selbstverständlich löse ich sie aus.«

»Hoffentlich habt Ihr recht. Was ist aber, wenn der Seeadler Edelgard nicht wegen eines Lösegeldes entführt hat?«

Der Adlige maß seinen Berater. »Wie meint Ihr das?«

»Wie soll ich es sagen? Ich möchte nicht unschicklich erscheinen, aber es wird allerlei gemunkelt, edler Fürst.«

»Ich habe auch schon von diesen Gerüchten gehört.« Ortwin von Seefels schüttelte den Kopf. Er weigerte sich, das Geschwätz der Leute ernst zu nehmen. »Ich glaube kein Wort davon. Soll sich der Pöbel das Maul zerreißen, ich stimme nicht darin ein.«

Wenig später waren die Schiffbrüchigen gerettet. Zum Glück hatte es keinen Toten gegeben. Am Horizont waren keine Segel mehr zu sehen. Der Seeadler war verschwunden.

 

*

Der Mann mit den fein geschnittenen Gesichtszügen stieß ein befreites Lachen aus. »Sie haben die Verfolgung aufgegeben. Die gefährlichen Untiefen sind überwunden. Übernimm du das Ruder, Hermann.«

»Verstanden, Herr.«

Hermann packte das Steuerrad und der Seeadler stapfte übers Deck, um nach der Gefangenen zu sehen. Sie war unter Deck eingeschlossen. Vor der Holztür, die mit einem schweren Riegel versehen war, stand ein Wachposten.

»Ich will mich davon überzeugen, dass unser Gast gut untergebracht ist.«

Die Wache verzog das Gesicht, als habe sie in einen fauligen Apfel gebissen. »Es ist besser, Ihr wartet, bis Fräulein Edelgard sich beruhigt hat, Herr. Sie …«

»Oh, jetzt sehe ich dein blaues Auge. Ich verstehe. Mit unserem Gast ist anscheinend nicht zu spaßen.«

»Nein, fürwahr nicht.«

Der Seeadler entschied, Fräulein Edelgard noch etwas Zeit zu lassen. Er hatte keine Lust, sich ebenfalls eine Ohrfeige einzufangen. »Sorge dafür, dass es ihr an nichts mangelt. Ich verschiebe die Begegnung mit ihr, bis wir auf meiner Burg sind.«

Der Wachposten nickte. Ihm war anzusehen, dass er keine Lust hatte, ein zweites Mal mit seiner Schutzbefohlenen aneinanderzugeraten. Der Seeadler wandte sich ab, weil ihm etwas anderes einfiel.

»Jens!«

Der Bärtige hielt sich bei einer Handvoll Männern auf, die ihren Bordarbeiten nachgingen. »Ja, Herr?«

»Wieso hast du meine Befehle nicht befolgt? Du solltest dich gefangen nehmen lassen. Stattdessen bist du dem Schiff hinterhergeschwommen, wodurch wir frühzeitig entdeckt wurden. Du hast die ganze Besatzung gefährdet!«

»Ich sah, dass Euer Vorhaben geglückt war. Deshalb dachte ich …«

»Du sollst nicht denken«, fiel der Seeadler Jens ins Wort. »Durch deine Schuld ist ein Schiff unserer Verfolger an den Klippen zerschellt. Ich hoffe, dass keiner von der Besatzung den Tod gefunden hat. Hättest du getan, was ich dir befohlen habe, wäre unser Vorsprung groß genug gewesen und niemand hätte uns verfolgt. Dann wäre dieses Unglück nicht geschehen. Außerdem hätten wir den blonden Jüngling nicht an Bord. Seine Anwesenheit verkompliziert alles.«

»Werft ihn über Bord«, fauchte Jens. »Dann seid Ihr ihn los. Hier draußen gibt es keine Rettung für ihn. Er wird elendiglich ersaufen.«

»Ich bin kein Mörder.« Die Miene des Seeadlers verfinsterte sich. »Hierher, Männer. Packt Jens und bindet ihn an den Mast. Wegen Ungehorsams bekommt er zehn Hiebe mit der Peitsche.«